Klima
Mit der Fähre durch die New Yorker Wall Street? Auch grosse Metropolen sind durch den ansteigenden Meeresspiegel gefährdet

Grosse Metropolen, die in Küstengebieten liegen, sind durch den ansteigenden Meeresspiegel gefährdet. Auch die 8,6-Millionen-Stadt New York. Die Stadt soll nicht zu einem amerikanischen Venedig werden.

Susanna Petrin, New York
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New York ist von Wasser umgeben, nicht nur vom Hudson River.

New York ist von Wasser umgeben, nicht nur vom Hudson River.

Justin Lane / EPA

Etwa drei Mal im Jahr schwappt die Flut bis in seine Küche, bis in sein Büro. Don Riepe hat gelernt, mit dem Wasser zu leben. Der Naturschützer und Wächter des Jamaica Bays wohnt an eben dieser [KS1] [SP2] Meeresbucht auf Broad Channel, einer New Yorker Inselgemeinde[KS3] [SP4] . Im Oktober 2012 hat der Supersturm Sandy Don Riepes Haus inwendig total demoliert – so wie alle Häuser seiner rund 3500 Nachbarn, so wie fast 90 000 weitere Gebäude allein in der Stadt New York. 43 Menschen starben. Jetzt stehen die meisten Einfamilienhäuser auf Broad Channel wieder; viele wurden auf drei Meter hohe Stelen gehoben.

Wir treten auf die von Don Riepe selbstgebaute Terrasse. Vor uns die Meeresbucht, am Horizont die Skyline Manhattans. Eine Aussicht, die einen sofort den Verstand verlieren lässt: Don Riepe bekommt viele Kaufangebote. Er hat das Haus vor rund 40 Jahren für Zehntausend Dollar gekauft. Heute sei es gemäss Bank rund 650 000 Dollar Wert. Immer mehr Menschen möchten gerne am Wasser wohnen.

Dass der Klimawandel alles verändert scheint trotz Sturm Sandy von vielen New Yorkern nicht verinnerlicht worden zu sein. Dabei müsste der Klimawandel den 8,6 Millionen New Yorkern besonders grosse Sorgen machen. Kaum eine andere Metropole der Welt ist von derart viel Meerwasser umgeben. New Yorks Stadtteile sind lauter Inseln und Halbinseln mit einer insgesamt fast 837 Kilometer langen Küstenlinie. Bis 2050 soll der Atlantik um 30 bis 40 Zentimeter stiegen.

«Der steigende Meeresspiegel ist wahrscheinlich die existenziellste Bedrohung New Yorks in vorhersehbarer Zukunft», sagt der Geophysiker Klaus H. Jacob, der über 50 Jahre am «Earth Observatory» der New Yorker Columbia University geforscht hat. Er hatte vor einem Hurrikan wie Sandy gewarnt. Die Rolle der Kassandra spielt der Wissenschaftler bis heute, zwangsläufig. Was ist seit Sandy getan worden? «Leider müssen wir darüber sprechen, was nicht getan worden ist», antwortet Klaus H. Jacob: «Das grösste Problem ist: Die Stadt New York hat keinen langfristigen Plan.»

Meereswälle schützen nur vor Sturmfluten

Kurz nach Sandy wurden Strände aufgeschüttet, Uferpromenaden neu aufgebaut, das U-Bahnsystem renoviert und viele Pläne entwickelt. Die Projektierung des ambitioniertesten Vorhabens, eine 9.5 Kilometer weite Schutzmauer im Meereshafen vor der Stadt, wurde unter Trump gestoppt – gemäss Klaus H. Jacob zu Gunsten einer ganz anderen Mauer, jener vor Mexiko.

Einen Meereswall könnte man aber noch so hoch bauen, erklärt der Wissenschaftler, er könnte New York nur vor Sturmfluten, nicht aber vor dem steigenden Meeresspiegel schützen. Denn die Stadt könne nicht permanent zum Meer hin abgeriegelt werden, sie würde sonst einfach von hinten durch den Hudson überschwemmt.

Diesen Winter hat der Bau der bisher grössten Schutzmassnahme begonnen: Der vier Kilometer lange East River Park wird zerstört – und danach um zweieinhalb bis drei Meter erhöht. Er soll den Osten Lower Manhattans vor Sturmfluten schützen. Es ist der erste Teil des «Big U»; die gesamte U-förmige Südspitze Manhattans soll nach und nach angehoben werden.

Was die Stadt so schön macht, das viele Wasser, könnte auch ihren Untergang bedeuten.

Was die Stadt so schön macht, das viele Wasser, könnte auch ihren Untergang bedeuten.

Keystone

«Das alles sind Brotkrümel im Vergleich dazu, was wirklich benötigt wird», sagt Klaus H. Jacob. Es werde über die kommenden Dekaden einige zehn, wenn nicht Hunderte von Billionen Dollar brauchen, um die Stadt langfristig vor Stürmen in Kombination mit dem steigenden Meeresspiegel zu sichern. «Die Politiker aber schauen maximal einige Dekaden voraus, und nicht ein Jahrhundert oder länger – doch das wäre nötig, um nachhaltige Lösungen zu finden.» Allzu oft würden Steuergelder an schon bald obsolete Projekte verschwendet. Der East River Park etwa werde voraussichtlich Mitte des Jahrhunderts bereits wieder erhöht werden müssen.

Ein völliges Umdenken täte Not. Klaus H. Jacob spricht von Hunderttausenden von Klimaflüchtlingen, die aus den tieferen in die höher gelegenen Stadtteile ziehen werden müssen. Davon, dass für sie dort rechtzeitig Schulen und Wohnungen gebaut werden müssen; womöglich in Hochhäusern, welche die heutigen klein aussehen lassen. In jenen tiefgelegenen Gebieten, die bewohnbar bleiben sollen, brauche es neue Systeme, etwa für Elektrizität, Abfallentsorgung und Transport. Denkbar seien Boote an der Wallstreet, schwimmende Häuser in Lower Manhattan – falls man solche genügend sturmresistent bauen könne. Stattdessen werde munter in Flutzonen weitergebaut.

Ein Sumpfgebiet hilft Fluten abzudämpfen

Don Riepe zahlt jedes Jahr eine höhere Flut-Versicherungsprämie. Er ist 82 und hofft, Zeit seines Lebens noch an jener Bucht wohnen bleiben zu können, die dank seiner Initiative heute ein Naturschutzgebiet ist – ein Sumpfgebiet, das hilft, Fluten abzudämpfen. Doch die völlige Überschwemmung seiner Gemeinde ist nur eine Frage weniger Dekaden. Was denken die Nachbarn? «Die Menschen sind mit ihren Alltagssorgen beschäftigt», sagt Don Riepe, die wenigsten würden so weit in die Zukunft denken.

Weite Teile New Yorks sind bereits letzten Herbst erneut überschwemmt worden. Diesmal kam das Wasser jedoch von oben: Während zwei der flutartigen Regengüssen wurden Teile der U-Bahn und Tausende von Kellern überflutet. In unsere Wohnung regnete es durchs Dach. [KS1] [SP2] «Im Nordosten der USA haben Starkniederschläge enorm zugenommen», sagt der auf extremes Wetter spezialisierte Forscher Andreas Prein vom National Center for Atmospheric Research in Colorado: «Unsere Modelle zeigen, dass das so weitergehen wird. Und die Infrastruktur hält schon jetzt nicht mehr mit dem Klima mit.»

Einige Investitionen sind nötig

Auch gemäss Prein ist der steigende Meeresspiegel langfristig das am schwersten zu lösende Probleme, doch vorerst böten kurzfristige Folgen des Klimawandels die noch grössere Gefahr: «Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis der Ballungsraum New York die nächste Hitzewelle abbekommt. Und Hitzewellen sind besonders problematisch, weil sie von allen natürlichem Extremereignissen die meisten Todesopfer fordern.“

«Es kostet viel, die Stadt gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen. Aber es kostet noch viel mehr, es nicht zu tun», sagt Klaus H. Jacob. Swiss Re hat ausgerechnet, dass ein Sturm wie Sandy im Jahr 2050 die Stadt rund 90 Milliarden kosten würde – fast fünf Mal so viel wie 2012.

New York sei eine reiche Stadt, sagt Andreas Prein, sie sollte es schaffen, sich noch rechtzeitig zu retten. Wenn nicht New York, welche Stadt sonst?