Kritik

Der Musik die Lauheit austreiben

Christian Thielemann debütiert beim BR-Symphonieorchester mit Bruckners Fünfter
| Robert Braunmüller
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Christian Thielemann und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beim Applaus nach Bruckners Symphonie Nr. 5 im Herkulessaal.
3 Christian Thielemann und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beim Applaus nach Bruckners Symphonie Nr. 5 im Herkulessaal.
Christian Thielemann,
BR/T. Birkenholz 3 Christian Thielemann,
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal.
BR/T. Birkenholz 3 Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal.

Die Symphonie ist so etwas wie seine Marke. Christian Thielemanns im Streit endende Ära bei den Münchner Philharmonikern begann 2004 triumphal: mit Anton Bruckners Fünfter, mit der schon Sergiu Celibidache den Gasteig eröffnete. Später erschien eine CD, und auch bei Gastspielen wurde dieses komplexe Werk mit dem Fugen-Finale öfter aufgeführt. Nun also Thielemanns lang erwartetes Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, wieder mit der Fünften.

Die Deutung und das Ritual haben sich wenig geändert. Der Dirigent wartet auf eine allerletzte Stille, dann erst setzen die Celli und Kontrabässe knapp oberhalb der Hör-Grenze mit ihrem Pianissimo-Pizzicato ein. Dann profitiert die Musik im Herkulessaal von einer Direktheit, die im Gasteig nie möglich war.

Thielemann zielt nicht auf das ominöse Bruckner-Misterioso und eine pseudo-sakrale Feierlichkeit. Ihn interessierte schon immer Drama der Themen mehr. Nach der Aufführung blickt man etwas überrascht auf die Uhr in der U-Bahn. Was, es ist fast dreiviertel Zehn? Und das bei sehr flüssigen Tempi, die auch im Adagio nur für Momente langsam, nie schleppend oder gar getragen wirken.

Der Dirigent neigt, wie früher, zu einer von Wagner geprägten "Kunst des Übergangs" mit einer verbindlichen Dynamik und weichen Übergängen. Im Unterschied zu manch altersweisem Bruckner-Dirigenten lässt er die Musik nicht nur geschehen. Thielemann gestaltet sie energisch, ohne eine unerfüllte oder uninterpretierte Sekunde mit sehr lebendiger Körpersprache. Er formuliert eine Rhetorik der Themen, fast als gelte es eine "Klangrede" im Sinn Harnoncourts zu erzeugen.

Das sorgt für Frische, vor allem im heiklen Finale mit den etwas überladenen kontrapunktischen Spiel. Und naturgemäß kann man sich über den einen oder anderen Manierismus auch streiten. Aber das ist ja gerade der Vorzug einer dezidierten Interpretation gegenüber musikalischer Lauheit.

Und niemand macht Thielemann die große Schichtung der Themen in der Coda mit dem alles überstrahlenden Choral nach: Es wird laut, sehr laut sogar. Aber nichts dröhnt, alles bleibt transparent und durchhörbar, was im Herkulessaal bekanntlich nicht jedermann gegeben ist.

Das sorgt für einen Gänsehaut-Moment. Dann wollte am Freitag sofort enthusiastischer Beifall ausbrechen. Den würgte Thielemann ab: Er erzwang Stille. Aber weniger, so scheint es, weil er auf das Bruckner-Mysterium hinauswill, sondern weil er's kann.

Danach Jubel und allumfassende Verbrüderung, als habe das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eben einen neuen Chefdirigenten gefunden. Sie haben aber schon einen. Und da der im Herbst antretende Simon Rattle mit Bruckner wenig anfangen kann, könnte dieses Konzert der Anfang einer wunderbaren Freundschaft werden. Denn was auch immer man an Thielemann kritisieren kann: Sein Bruckner hat einem doch gefehlt.

Eine Aufzeichnung des Konzerts in der Mediathek von BR Klassik. Am 8. Juli dirigiert Thielemann bei Klassik am Odeonsplatz Verdis "Quattro pezzi sacri" und Ballettmusiken mit dem Chor und dem Symphonieorchester des BR (mit Übertragung, einzelne Restkarten)

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