Interview

Kulturreferent Anton Biebl: "Das Angebot ist zur Zeit extrem"

Anton Biebl, Münchens Kulturreferent, über seine größten Baustellen und Erfolge.
| Volker Isfort
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Der städtische Kulturreferent Anton Biebl
Der städtische Kulturreferent Anton Biebl © Robert Haas/SZ Photo

Von einer Halbzeit möchte Anton Biebl bewusst nicht sprechen, auch wenn heute vor drei Jahren seine sechsjährige Amtszeit als Kulturreferent begann. Zwar rennt mit Florian Roth schon eine Art selbst ernannter Nachfolger in spe durch die Stadt - und Die Grünen haben das Vorschlagsrecht. Aber der parteilose Biebl weiß, dass sich auch in der Stadtpolitik vermeintliche Gewissheiten schnell ändern können.

Gasteig-Renovierung: Kostendeckel liegt bei 450 Millionen Euro

AZ: Herr Biebl, der Gasteig steht leer, sollte es nicht längst eine kulturelle Zwischennutzung geben?
ANTON BIEBL: Am Donnerstag wurde dazu vom Referat für Arbeit und Wirtschaft ein Beschluss in den Stadtrat eingebracht mit genauer Beschreibung, welche Flächen dafür bereitstehen. Nach einer Bekanntmachung können sich dann Interessierte mit einem Konzept bewerben. Der Zwischennutzungszeitraum läuft bis Ende 2023. Wir hätten das ganz gerne früher entschieden, aber es gab Fragestellungen, die man abwarten musste. Erst ist das Impfzentrum eingezogen. Dann war nicht klar, welche Bereiche die Landeshauptstadt München für die Ukraine-Hilfe brauchen würde.

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Und Ende 2023 beginnt die Renovierung des Gasteig?
Dafür läuft nun die Investorensuche. Am 1. April wurde der Teilnahmewettbewerb im Europäischen Amtsblatt gestartet. Und jetzt warten wir, wer sich auf die Sanierung bewirbt. Ziel ist es, mindestens fünf Teilnehmerinnen oder Teilnehmer zu bekommen und mit ihnen die Angebote zu erarbeiten. Dafür ist Zeit bis zum dritten Quartal 2023. Der Zeitplan ist sehr ehrgeizig, um dem Stadtrat Ende 2023 ein zuschlagfähiges Angebot unterbreiten zu können. Der Kostendeckel liegt bei 450 Millionen Euro.

Für 450 Millionen Euro soll der Gasteig ab 2024 renoviert werden.
Für 450 Millionen Euro soll der Gasteig ab 2024 renoviert werden. © Mir/Büro Henn

Kunstminister Markus Blume hat über die Zukunftspläne des Filmfests gesprochen, etwas nebulös von einem Moonshotfestival und Erweiterung über Filme hinaus. Die Stadt sitzt ja mit im Boot, was halten Sie von den Plänen?
Diese Fragestellungen sind nicht neu. Sie wurden verschiedentlich im Aufsichtsrat der Filmfest GmbH behandelt. Die Summen, die dort genannt wurden, waren für die städtische Seite in der Kofinanzierung nicht abbildbar. Unabhängig davon arbeitet die Geschäftsführung ununterbrochen an der Zukunftsfähigkeit des Filmfests. Aktuell bin ich auf die Auslastungszahlen gespannt, weil wir zuletzt bei anderen Festivals eine gewisse Zurückhaltung des Publikums erlebt haben.

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Anton Biebl: "Das kulturelle Angebot ist zur Zeit extrem"

Sie haben zuletzt Kürzungen im Kulturbereich vornehmen müssen.
Das muss man differenzierter sehen. Wir haben 2020 elf Millionen Euro, 2021 elf Millionen und 2022 zwölf Millionen konsolidiert. Das ist die eine Seite. Wenn man aber den Schlussabgleich sieht, bei dem alle Einnahmen und Auszahlungen gegenüber gestellt werden, ist der Kulturhaushalt gestiegen. Wir hatten 2019 rund 232 Millionen Etat und 2021 waren es 257 Millionen Euro. Aktuell reden wir für den Haushalt 2023 nicht über Einsparungen, ich habe vielmehr einen zusätzlichen Bedarf von rund 24 Millionen Euro angemeldet.

Das klingt sehr sportlich.
Der Kulturhaushalt beträgt nur drei Prozent des städtischen Gesamthaushalts. Und man muss sehen, welchen Mehrwert die Kultur für die Münchner Bevölkerung, für die Touristen und die Attraktivität der Stadt insgesamt bietet. Die zusätzlichen 24 Millionen benötigen wir größtenteils für die Bibliothek und das VHS-Zentrum in Freiham, dazu kommen alleine für die Bibliothek dort 27 Stellen. Außerdem haben wir den Betriebsmittelzuschuss für das neue und viel größere Volkstheater wie geplant deutlich erhöht. Und wir haben der freien Szene zwar Einsparungen erspart, aber seit 2020 auch keine Erhöhungen geben können, das wollen wir ändern. Ob ich das alles umsetzen kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Sind Sie als Kulturgänger schon wieder bei 100 Prozent?
Gefühlt bin ich bei 130 Prozent, ich könnte mich jeden Abend vierteilen und würde nicht alles schaffen. Das kulturelle Angebot ist zur Zeit extrem. Alles, was in der Pandemiezeit produziert worden ist, wird jetzt gezeigt. Wir machen uns starke Konkurrenz, ich sehe aber gleichzeitig auch eine ziemliche Zurückhaltung beim Publikum. Beim Dok.fest hatten wir beispielsweise enttäuschende Besucherzahlen. Allerdings hat die Politik auch lange die Zeichen gesetzt, dass es kaum etwas Gefährlicheres gäbe als eine Kulturveranstaltung. Man muss sich nicht wundern, wenn die Besucherinnen und Besucher nun vorsichtiger sind.

"Der Zugang zur Kultur ist zerbrechlich"

Die Ungleichbehandlung der Kultur gegenüber der Gastronomie war extrem, auch extrem unlogisch. Viele haben aber vermisst, dass Sie lautstark die Stimme für die Kultur erheben.
Wir haben auf allen Ebenen, auch auf Bundesebene und Verbandsebene, die Stimme erhoben, aber wir hatten keinen Erfolg. Es hat mich sehr nachdenklich gemacht, wie zerbrechlich der Zugang zur Kultur ist. Aber wir waren den staatlichen Maßnahmen gegenüber ausgeliefert. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ich in der Philharmonie mit 50 Zuschauerinnen und Zuschauern gesessen bin, weil mehr nicht hineindurften. Wir haben alles versucht, aber es war nicht durchsetzbar.

Eine überraschende Personalentscheidung in Ihrer Amtszeit war die plötzliche Absetzung von Carmen Bayer und Werner Steer als Leiter des Deutschen Theaters. Warum war das notwendig?
Das sind interne Personalangelegenheiten innerhalb der GmbH. Die behandeln wir nie öffentlich.

Eine andere Personalie wirbelte wesentlich mehr Staub auf. Überweist München Valery Gergiev, dem urplötzlich unerwünschten Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, noch Gehalt?
Auch das ist eine interne Personalangelegenheit, zu der ich nichts sagen werde.

Wer wird Chefdirigent der Philharmoniker? "Wir sind auf Brautschau"

Der Legende nach ist der Kulturreferent relativ machtlos bei der Besetzung der Chefdirigentin oder des Chefdirigenten für die Philharmoniker. Das entscheidet das Orchester.
Entschieden wird die Personalie im Stadtrat und meine Aufgabe ist es, zuvor die Politik von der gefundenen Lösung zu überzeugen. Wir sind jetzt "auf Brautschau". Das finde ich gut, weil man dann denkt, wir suchen eine Braut. Aber die Philharmoniker sehen eher sich selbst als Braut. Wir haben in der kommenden Spielzeit rund 30 Dirigentinnen und Dirigenten zu Gast und ich habe schon gesagt, dass es mich ein wenig irritiert, dass darunter nur fünf Frauen sind. Ich frage mich auch ganz grundsätzlich, ob dieses Chefdirigent- oder Chefdirigentinnen-Modell noch langfristig richtig ist. Man könnte zum Beispiel auch experimentieren und sich gemeinsam mit einem noch vergleichsweise unbekannten Namen auf den Weg machen oder beispielsweise über eine Doppelspitze nachdenken.

Das Gegenargument ist immer, dass ein besonderer Name auch den Marktwert des Orchesters gerade im Ausland erhöht für die Konzertreisen.
Das Thema Konzertreisen betrachte ich ebenfalls differenziert, zum Beispiel im Hinblick auf China und den Umgang mit den Menschenrechten. Und ist es wirklich aus Klimagründen noch zeitgemäß, dass ein Tross von 130 Menschen durch die Welt jettet?

Die Frage muss sich die Kultur generell stellen: Muss ich für ein Theaterfestival Gruppen aus verschiedenen Kontinenten für eine Aufführung nach München?
Ich habe mit "Spielart"-Leiterin Sophie Becker schon zwei Mal über dieses Thema gesprochen. Sie macht natürlich viel mehr Online-Sichtung als früher, aber sie hat auch gute Argumente, warum sie Kuratorinnen und Kuratoren aus Afrika eingeladen hat. Das hat auch mit der politischen Lage zu tun. Wir haben das Thema Klimabilanz schon im Lenbachhaus durchexerziert und das wünsche ich mir auch bei den anderen Institutionen. Dafür werden wir eine Stelle "Klimaschutzmanagement" für unsere Kultureinrichtungen bekommen.

"Toll ist, dass nun im Schlachthofviertel ein Kultur-Cluster entstanden ist"

Was war die größte Erkenntnis beim Lenbachhaus?
Dass neben der Klimaanlage und der Beleuchtung der Leih-Verkehr ein Bilanztreiber ist. Wir werden zukünftig eher ganze Sammlungen ausleihen, was sich auch positiv auf einen anderen Sektor auswirkt. Herr Mühling hat mir bestätigt, dass er so im Gegenzug Ausstellungen machen kann, die er durch Verleihung von einzelnen Gemälden nie bekommen hätte.

Haben Sie eigentlich daran geglaubt, dass die Münchner das neue Volkstheater so schnell akzeptieren würden?
Das ist eine absolute Erfolgsgeschichte, die mich aber auch nicht überrascht. Ich war schon bei der Begehung am Stiglmaierplatz dabei, als wir festgestellt haben, dass wir dort nicht vergrößern konnten und die Idee des Neubaus entstand. Toll ist auch, dass nun im Schlachthofviertel ein Kultur-Cluster entstanden ist mit dem Volkstheater, dem Stadtteilzentrum LUISE, mit der Alten Utting, dem Bahnwärter Thiel und dem ganz nah liegenden Gasteig HP8 mit der Isarphilharmonie.

Direkt neben dem neuen Volkstheater lässt die Stadt die Alte Viehhofbank verkommen. Reinhard Wittmann gelang vor 25 Jahren die Gründung des Literaturhauses. Nun würde er gerne in der Alten Viehhofbank ein Forum Humor errichten, dem Sie ablehnend gegenüberstehen.
Der Humor hat seinen Ort im Isartor, im Valentin-Karlstadt-Musäum, das wir vielleicht noch erweitern werden. Wir haben aber einen klaren Stadtratsauftrag, das Projekt "Alte Viehhofbank" anzugehen. Derzeit wird die Beschlussvorlage vom Kommunalreferat vorbereitet. Dann wird sich jeder mit einem Konzept für eine kulturelle Nutzung bewerben können, selbstverständlich auch das Forum Humor.

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