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8 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden In diesem Kapitel sollen Kompartimente des Stadtlandhybriden jenseits von Downtown Los Angeles dargestellt werden. Sie sollen dazu dienen, individuelle Entwicklungspfade von einzelnen Kompartimenten in dem komplexen Bündel der Entwicklungspfade des Stadtlandhybriden Los Angeles aufzuzeigen. Dabei wird zunächst mit Chinatown ein so genanntes ‚ethnisches Viertel‘ hinsichtlich seiner spezifischen Eigenlogik untersucht werden, daran schließen sich Untersuchungen in Orange County an. Hier werden die beiden Siedlungen Irvine (als nach landschaftsästhetischen Kriterien geplante) und Anaheim (als eine in den 1850er Jahren als Agrarsiedlung gegründete) mit sehr verschiedenen Entwicklungspfaden ebenso untersucht, wie die fokussierte Welt von Disneyland (in Anaheim). An der östlichen Peripherie des Stadtlandhybriden liegt die Wüstensiedlung Twentynine Palms, an deren Beispiel sich übergreifende Logiken des Wachstums des Stadtlandhybriden Los Angeles verdeutlichen lassen. Abschließend wird ein lineares Kompartiment – mit großer Bedeutung in der südkalifornischen Selbstbeschreibung – behandelt: die Strände. 8.1 Chinatown Chinatown ist neben Koreatown und Little Tokyo ein weiteres ethnisch-asiatisches Viertel in Los Angeles306. Old Chinatown lag nördlich der Union Station entlang der Alameda Street und wurde mit der Erweiterung von der Union Station zum größten Teil niedergerissen. Die aktuelle Chinatown schließt sich an die erweiterte Union Station nördlich an. Es lässt sich an physischen Einschreibungen kultureller Praktiken (siehe Smith 2008), wie z. B. der Verwendung chinesischer Schriftzeichen und Ornamentik, die den Besucher durchaus „an Disney World erinnern“ können, wie Tsui (2010: 15) am Bei306 Moïsi (2009: 61) verweist darauf, dass der Begriff ‚Asien‘ ein westliches Konzept darstellt: „Die ‚Asiaten‘ würden sich selbst nie so bezeichnen, und sie verstehen sich auch nicht als ‚Asiaten‘, zumindest nicht annähernd in dem Maße, wie die Europäer sich als ‚Europäer‘ verstehen“. Als wesentliche Gründe für diesen Unterschied benennt Moïsi (2009) die einigende Wirkung einer christlich-jüdischen Tradition gegenüber einer Vielzahl religiöser Bekenntnisse in Asien, das Konstrukt einer gemeinsamen kulturellen Wurzel in der griechisch-römischen Antike, das es in vergleichbarer Weise in Asien nicht gäbe, sowie eine gemeinsame religiös-kulturelle Konstruktion von Bedrohung, „wie ihn der Islam einst für die christlichen Nationen Europas darstellte“ (Moïsi 2009: 61), wie sie für Asien nie erzeugt wurde. O. Kühne, Stadt – Landschaft – Hybridität, DOI 10.1007/978-3-531-18662-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 350 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Abbildung 67 ‚Chinatown‘ lässt sich als das Ergebnis gesellschaftlicher Konstruktion einer Landschaft der Andersartigkeit in Rekursion mit physischen Manifestationen kultureller Selbstdefinition interpretieren (Aufnahmen: März 2006). spiel der Chinatown von San Francisco bemerkt, abheben (Hardwick 2010). Die ersten Chinesen waren mit dem Eisenbahnbau für die Southern Pacific nach Südkalifornien gekommen und gerieten schon bald in Konflikt mit den gewerkschaftlich organisierten weißen Arbeitern, die sich durch die Bereitschaft chinesischer Arbeitskräfte zu geringeren Löhnen zu arbeiten, hinsichtlich ihrer ökonomischen Kapitalausstattung bedroht sahen. Ein Konflikt, der 1871 zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen weißen und chinesischen Arbeitern führte (Brett/Nee 1973, Olessak 1981, Schäfer 1998; siehe auch Fußnote 279). In der weißen Kultur wurden Chinatowns als Welten von Außenseitern, als schmutzig, Orte, geprägt von Glücksspiel, Prostitution, Gangstertum und organisierter Kriminalität stereotypisiert, so dass historische Chinatowns „stigmatisiert und mit allen denkbaren negativen Konnotationen belegt wurden“ (Li 2005: 31; Abbildung 67). Im Vergleich zu anderen ethnischen Quartieren nehmen heute die Viertel asiatisch stämmiger Bevölkerung im „Archipel der ethnischen Viertel“ (Hardwick 2010: 234) infolge „ihres wirtschaftlichen Erfolges, ihres hohen Bildungsniveaus und ihres neither Black nor White-Status“ (Schneider-Sliwa 2005: 144; Laux/Thieme 1995) sowie ihrer Assimilationsbereitschaft an die Werte und der Sprache der WASP-Kultur bei gleichzeitiger Konservierung eigener kultureller Identitätsanteile eine Sonderstellung ein (Lopez 1996; siehe auch Waldinger/Bozorgmehr 1996, Straughan/Hondagneu-Sotelo 2002, Moïsi 2009). Eine besondere Bedeutung weist dabei die spezielle kleinökonomische Erschließungsstrategie auf: Asiatische Kleinhändler „spezialisieren sich auf begrenzte Areale, in Chinatown 351 denen sie die einzigen Geschäfte zur Versorgung halten“ (Schneider-Sliwa 2005: 144), bieten in ihren Hotels, Restaurants, Geschäften und Tankstellen häufig 24-Stunden-Öffnungszeiten an, binden insbesondere ihre Familienmitglieder in ihre Unternehmen ein, die sich häufig an den Bedürfnissen von Landsleuten ausrichten, und machen sich damit zum Teil von der marktmäßigen Versorgung von Arbeitskräften und durch Lieferanten unabhängig, darüber hinaus nutzen sie „eigene rotierende Kreditsysteme und moderne Methoden der Geldbeschaffung durch eigene Banken“ (Schneider-Sliwa 2005: 144; siehe auch Brett/Nee 1973, Zhou/Kim 2003), wodurch sie sich auch weitgehend von den Spezifika des Kapitalmarktes abkoppeln. Hilfestellungen für Neuankömmlinge bei Arbeits- und Wohnungssuche sowie bei Behördengängen bilden einen Einstieg in die Gemeindeintegration, die sich als (teilweise) Erhaltung des Bestandes an sozialem Kapital deuten lässt (siehe Smith 2008). Tsui (2010: 47) beschreibt diese Funktion als „Chinatown Gate“. Diese freiwillige ethnische Segregation bildet vielfach den ersten Integrationsschritt zur Akkumulation symbolischen Kapitals, die vielfach in dem Verlassen des innerstädtischen ethnischen Viertels und einer Beteiligung an Suburbanisierungsprozessen mündet, ohne dass das dort im Wesentlichen verortete soziale Kapital aufgegeben wird (Brett/Nee 1973, Zhou/Kim 2003, Li 2005, Schneider-Sliwa 2005, Smith 2008, Tsui 2010; siehe auch Starr 2006). Somit bleibt die Chinatown von Los Angeles, wie die anderen Chinatowns auch, „ein kultureller Prüfstein, eine unstrittige Notwendigkeit für Generationen von chinesischen Amerikanern“, in denen Zuwanderer dazu angehalten werden, ihre „kulturelle Identität zu erforschen“ (Tsui 2010: 9). Chinatown stellt ein Beispiel eines ethnischen Viertels von Los Angeles unter vielen dar. Es ist eine Repräsentantin der alltäglichen, räumlich verankerten Fremdheit in Bezug auf die weiße Hegemonialkultur und lässt sich im Sinne Foucaults (1990) als Heterotopie verstehen. Sie verkörpert auf Ebene der angeeigneten physischen Stadtlandschaft „eine räumlich situierte Andersartigkeit, die mit dem Kontinuum der gewöhnlichen, prosaischen, alltäglichen Situationen nicht im Einklang steht“ (Sloterdijk 2008: 24; vgl. auch Anderson 1987, Kleinmichel 2008, Steinbrink/Pott 2010). Damit unterscheidet sich die Heterotopie von der Utopie: Die Utopie ist als nicht physisch manifester Ort allein Teil der gesellschaftlichen Landschaft, diese ist – bezogen auf die Raum- und Landschaftsvorstellungen der Hegemonialkultur (in ihrem Allgemeingültigkeitsanspruch zu verstehen als ‚Große Erzählung‘) – zumeist durch Homogenität, nicht von Heterogenität geprägt (vgl. Bieger 2007)307. 307 Für die Einwohner des Quartiers ist es hingegen sehr wenig heterotop, es repräsentiert den alltäglichen Raum, während die Wohnquartiere der Träger der weißen Hegemonialkultur und anderer ethnischer Minderheiten heterotopisch erscheinen. Gäbe es einen Index der Heterotopie, würde für die Mehrheit der Einwohner von Chinatown ein Wohnquartier der weißen Mittelschicht sicherlich weniger heterotop erscheinen als beispielsweise eines von Afroamerikanern, zu stark sind die Lebensweisen und -stile der weißen Hegemonialkultur durch Kino- und Fernsehfilme, durch Fernsehserien und die alltägliche Kommunikation darüber verbreitet. 352 8.2 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Hollywood Hollywood ist – wird Giesenfeld (2007: 6) gefolgt – ein Wort, das eine „Welt-Angelegenheit“ bezeichnet, auch das Hollywood-Zeichen, ursprünglich 1923 als Werbung für Grundstücke errichtet308, „scheint unter den amerikanischen Icons einzigartig zu sein“ (Braudy 2011: 1), es steigere nicht – so Braudy (2011: 4) – wie andere amerikanische Wahrzeichen (wie die Freiheitsstatue oder der Mount Rushmore) die patriotische Gesinnung oder das Verständnis für historische Zusammenhänge, „das Hollywood-Zeichen fokussiert unsere Träume und unser inneres Leben, sei es zum Guten oder zum Schlechten“. Die Transformation vom physischen Objekt zum Simulacrum wird beim Hollywoodzeichen durch seine Absperrung gegen die Öffentlichkeit intensiviert: Mit Infrarotkameras, Bewegungsmeldern und Mikrofonen wird das Verbot der Besichtigung des Zeichen aus der Nähe gegen die Öffentlichkeit durchgesetzt (Hollywoodsign 2011)309. Hollywood repräsentiert eine polyvalente angeeignete physische Landschaft zweiter Ordnung und versinnbildlicht die vielfach damit verbundenen Konsequenzen: Die physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Stadtlandschaft Hollywood treten gegenüber der gesellschaftlich-symbolischen Dimension zurück: Hollywood steht „für die dominante Erscheinungsform des Mediums ‚Film‘ überhaupt“ (Giesenfeld 2007: 6), die Ausformung des Films als Massenkunst, die Organisation von Filmproduktion des ‚Studiosystems‘, Vertriebsstrategien, insbesondere auch der Definition und rekursiven Herstellung ästhetischer Standards durch das Erzeugen sozialer Erwartungen; Hollywood steht für „die im Kapitalismus effektivste Art, industrielle und kommerzielle Filme zu machen“ (Giesenfeld 2007: 6; siehe auch Ostermann 2007). Diese in Hollywood lokalisierte Filmindustrie „propagiert die amerikanische Kultur und ihre mythischen Konstruktionen weltweit und ist verantwortlich für das Bild der fiktionalen Stadt, welches die Rezipienten auf der ganzen Welt von Los Angeles haben“ (Lüke 2008: 94). Gerade in Hollywood bestimmen die medial (vor-)geprägten Blickweisen die Wahrnehmung der angeeignet-physischen Landschaft, „das subjektive Erleben von Landschaft vor Ort findet innerhalb vorgefertigter Erwartungsmuster statt“ (Vöckler 1998: 279, vgl. auch MacCannel 1976, Anders 1980, Jakle 1987). Wie Touristenorte darauf ausgerichtet sind, „möglichst exakt so auszusehen wie die Hochglanzbilder, die uns die Medien von ihnen geben“ (Eco 2006: 27; vgl. auch Welsch 2006, Lippuner/Redepenning/Schneider 2010), bestehen in Hollywood – als Inbegriff einer glamourösen Hyperidentität – Bestrebungen, sich dem globalen alltagsweltlichen Stereotyp (als Teil der gesellschaftlichen Landschaft) im Bereich der angeeigneten physischen Landschaft anzupassen: Der phy308 Bei seiner Errichtung bestand das Hollywood-Zeichen noch aus den Buchstaben „HOLLYWOODLAND“ (Braudy 2011). 309 Hierin liegt eine gewisse Ironie, dass mit Kameras die physisch-phänomenologische Auseinandersetzung des mit Hilfe von Kameras simulacrisierten Objektes durchgesetzt wird. Hollywood 353 sische Zustand des Hollywood Boulevards zeigte infolge der Verlagerung der Filmproduktionsunternehmen erhebliche Entglamourösisierungserscheinungen und ruft bei Besuchern – deren gesellschaftlich-landschaftliches Stereotyp ein anderes war – eher Enttäuschung hervor, das Hollywood in der gesellschaftlichen Stadtlandschaft des globalen Kinopublikums „war nur notdürftig mit dem Ort gleichen Namens verknüpft“ (Davis 2004: 446). In Anlehnung an Foucaults (1990) Heterotopie-Konzept lässt sich das Hollywood der stereotypen gesellschaftlichen Stadtlandschaft als Heterotop beschreiben, das „eine spezifische heterotopische Gebrauchsdynamik“ (Bieger 2007: 44) des Glamours erwarten lässt, aber dessen physische Grundlagen wenig Bezug zu einer heterotopen angeeigneten physischen Stadtlandschaft aufweisen. Die Folge der Divergenz zwischen gesellschaftlicher Landschaft auf Grundlage von wiederholten Stereotypen und der angeeigneten physischen Stadtlandschaft von Hollywood auf Grundlage physischer Objekte in ästhetisierter Zusammenschau war eine Sanierung mit dem Ziel, die physischen Objekte gemäß dem Simulacrum Hollywood zu gestalten. Die angeeignete physische Agglomerationslandschaft von Hollywood wird somit „in Entsprechung des Verhältnisses von Modell und reproduzierter Ware nach den medialen Bildern geformt, die man sich von ihnen gemacht hat“ (Hartmann 2000: 219). Die Veränderung der physischen Repräsentanzen von Hollywood sollte– vergleichbar anderer Siedlungen, aber auch Außenbereiche – dazu beitragen, „die Dissonanz zwischen Raumerfahrung und Raumerwartung zu harmonisieren“ (Löw 2010: 185). Das Bemühen um die „Hollywoodisierung von Hollywood“ (Davis 2004: 448) bedeutete einen weiteren Schritt in Richtung Fragmentierung des posturbanen Patchworks von Los Angeles: Physische Manifestationen der stereotypen gesellschaftlichen Stadtlandschaft von Hollywood wie die Bowl, Graumann’s Chinese und Egyptian Theaters oder Musso and Franks werden flankiert von der „unerreichbaren Pracht der Hügel und den gescheiterten Hoffnungen im flachen Teil des Stadtbezirks“ (Davis 2004: 446) und kontrastiert mit dem Universal CityWalk, einer von MCA betriebenen und 1992 eröffneten posturbanen und idealisierten Gegenwelt, architektonisch gestaltet aus „Mission Revival, Art déco, stromlinienförmiger Moderne und nostalgischer Volkstümlichkeit“ (Davis 2004: 448; Abbildung 68). Starr (2006: 452) beschreibt den CityWalk als physische Manifestation der Bedürfnisse der Bewohner des Stadtlandhybriden Los Angeles: „Eine gemanagte und sichere Stadt der Engel“, die von den Bewohnern der Agglomeration als virtuelle urbane Szenerie, die gegenüber den gewachsenen Innenstädten bevorzugenswert erschien (Gladstone/Fainstein 2003; vgl. auch Ellin 1999, Campbell 2000). Die enge Verflechtung mit den Universal Studios, zwischen dessen Eingang und Parkplätzen es angesiedelt ist (Hahn 2001), impliziert eine weitere Steigerung der Bedeutungszuschreibung als postmoderne Variante des ‚besonderen Ortes‘. Einer objektivierten Ästhetik des mittleren Geschmacks also, die stereotype und gesicherte Objektanordnungen in mittelkomplexer Mischung darbietet und damit genügend (optische) Reize bietet, um keine Langeweile mangels Unterkomplexität, aber auch keine Überforderung infolge einer überkomplexen Umgebung aufkommen zu lassen. Damit stellt der CityWalk eine graduelle Steige- 354 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Abbildung 68 Hollywood (oben) und Universal CityWalk (unten). Während sich in die Bemühungen von Hollywood, dem eigenen glamourösen Image hinsichtlich der physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft gerecht zu werden, immer wieder von Erscheinungen im physischen Raum konterkariert wird, die dem stereotypen Image nicht entsprechen (wie Obdachlose auf dem Walk of Fame – oben 2. Bild von rechts, oder beliebig erscheinende einstöckige Funktionsgebäude, o. l.), stellt der Universal CityWalk eine in sich geschlossene ästhetisierte Totalität dar (Aufnahmen: September 2010 und März 2011). rung der Komplexität (in beherrschbarer, also nicht Unsicherheit produzierender Form) dar und kontrastiert die entkomplexisierte Struktur der Suburbien. Das Streben nach Anpassung des physischen Raumes Hollywood an die stereotype glamouröse gesellschaftliche Stadtlandschaft Hollywood manifestiert sich auch in der von Frank Gehry entworfenen Goldwyn Library, die die einer Brandstiftung zum Opfer gefallene Hollywood Regional Branch Library ersetzte. Das Ziel, einen ‚vandalensicheren‘ Bau zu erstellen, veranlasste Gehry, „die Sicherheitsfunktionen als Motive des Entwurfs weitestgehend in den Vordergrund“ (Davis 2004: 233; Starr 2006; siehe Abbildung 54) zu stellen. Dabei bezieht sich die Goldwyn Library „unerbittlich auf einen teuflischen Anderen (Brandstifter, Sprüher, Eindringling), den sie auf die Straßen und auf die Menschen auf den Straßen in der Umgebung zurückspiegelt. Sie tränkt ihre unmittelbare Umwelt, die schäbig, aber nicht besonders feindselig ist, mit ihrer arroganten Paranoia“. Sie repräsentiert den Willen zur Gentrifizierung des Stadtteils – verbunden mit steigenden Bodenpreisen und dokumentiert den exklusivistischen Drang, sich aus dem öffentlichen Raum abzusondern und Form und Funktion zu trennen. In dieser Absonderung repräsentiert die Goldwyn Library das Selbstverständnis vieler aktueller Architekten, die sich „wie Modeschöpfer verhalten und ganz damit beschäftigt sind, Gebäude zu entwerfen, denen man ihre persönliche Handschrift ansieht“ (Sennett 1991: 118), anstatt den physischen und symbolischen Kontext des angeeigneten physischen Stadtlandhybriden zu berücksichtigen. In den 1920er Jahren begann „mit ‚Hollywood‘ die Verschmelzung zwischen einem Business und einem Ort (oder zumindest mit dem Namen eines Ortes) um so eine Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County 355 Marke zu kreieren“ (Braudy 2011: 55). Davis (2004; vgl. auch Giovacchini 2003) differenziert diese Marke und spricht von insgesamt sechs – miteinander verflochtener – Hollywoods unterschiedlicher Stimulationsstufe: HOLLYWOOD1 als soziale Realität (Slum), HOLLYWOOD2 als vom Film erzeugtes Spektakel, HOLLYWOOD3a als Disney – MGM (in Florida), HOLLYWOOD3b in Form von Universal (in Florida), in denen Teile von der Agglomeration von Los Angeles nachgestaltet sind, HOLLYWOOD4 als CityWalk (in Los Angeles) sowie (Hollywood)5 als Sanierungsprojekt. Diese Polyvalenz in den unterschiedlichen stadtlandschaftlichen Dimensionen entzieht Hollywood einer eindeutigen Fassbarkeit, Hollywood „ist flüchtig und dehnbar zugleich“ (Davis 2004: 445). Diese Uneindeutigkeit von Hollywood ist selbst in der behördlichen Repräsentation virulent: „Jede Behörde der Stadt Los Angeles und des Los Angeles County hat einen anderen Zuständigkeitsbereich, der sich ‚Hollywood‘ nennt, doch nicht zwei davon sind deckungsgleich, und nur einer ist identisch mit dem Stadtgebiet der kurzlebigen City of Hollywood (1903 – 1910)“ (Davis 2004: 443). 8.3 Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County Orange County schließt im Südosten an den County von Los Angeles an. Es hat sich seit den 1940er Jahren vom landwirtschaftlich-beschaulichen, von Orangenplantagen geprägten Hinterland von Los Angeles über einen „nahezu nicht zu unterscheidenden Teil des suburbanen Saums von Los Angeles“ (Kling/Olin/Poster 1995: 3) seit den 1970er Jahren zu einem eigenständigem Geflecht von Edge Cities und Edgeless Cities mit einer eigenständigen, unabhängigen und komplexen Ökonomie insbesondere im Dienstleistungsbereich, aber auch in der Computer-Hardware-Produktion, mit einem eigenen kulturellem Leben entwickelt (Kling/Olin/Poster 1995), einem Gebilde, in dem Allianzen „weniger auf geographischen Kriterien als auf technologischen“ (Kaplan 1999: 290) beruhen. Heute ist Orange County eine wichtige Destination im nationalen und internationalen Tourismus, neben den zahlreichen Stränden sind Freizeitparks wie Disneyland in Anaheim wie auch Knott’s Berry Farm im benachbarten Buena Park Ziel insbesondere für Kurzurlaube310. Mehrere Shopping Malls bemühen sich, den Konsum zu fokussieren, darunter die superregionale South Coast Plaza in Costa Mesa, die von sich behauptet, „sie mache täglich mehr Umsatz als San Franciscos Downtown“ (Hayden 2009: 31). Die Entwicklung von Orange County in den vergangenen 60 Jahren war durch Landnutzungskonflikte zwischen Farmern, Gewerbetreibenden und Siedlungsentwick- 310 Neben Stränden und Freizeitparks ist Orange County durch seinen spektakulären Bankrott im Jahre 1994 bekannt geworden. Infolge von Fehlspekulationen in Höhe von mehr als eineinhalb Milliarden US-Dollar wurde Orange County die erste große Gebietskörperschaft, die ihren Bankrott erklärte. Aufgrund der großen Wirtschaftskraft von Orange County wurde der Bankrott jedoch in 18 Monaten überwunden, eine unüblich kurze Zeit (Baldassare 1998, Kaplan 1999). 356 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Abbildung 69 Orange County: Ein Hybride aus Stadt und Land, Kultur und Natur. Einige Edge-Cities und viele Edgeless Cities-Kompartimente durchziehen die angeeignete physische Landschaft (Aufnahme: August 2010). lern geprägt, die mit der Marginalisierung der Landwirtschaft hinsichtlich ihrer physisch-räumlichen Repräsentanzen, ihrer Bedeutung für die regionale Ökonomie wie für den regionalen Arbeitsmarkt geprägt war (Scott 1986, Olin 1995), mit der Folge des Verlusts an Arbeitsplätzen mit einfachen Qualifikationsanforderungen, der nahezu flächendeckenden Siedlungserschließung des Counties und daraus resultierend der Simulacrisierung der gesellschaftlich-landschaftlichen Assoziationen (insbesondere in Verbindung des Namens des Counties) in Bezug auf die physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft: der weitgehenden Absenz von Zitrusbäumen. 8.3.1 Irvine – der mittlere Geschmack und seine Edge City Bei Irvine, rund 60 Kilometer südöstlich von Downtown Los Angeles, handelt es sich um die größte, privat entwickelte New Town der Vereinigten Staaten311. Während europäische New Towns dem Prinzip Le Corbusiers ‚towers in the parks‘ folgten, wurden ihre amerikanischen Pendants – infolge der oben beschriebenen Sehnsüchte der WASPKultur – weniger dicht im Stile von Vorstädten errichtet. Dabei wurden die New Towns beiderseits des Atlantiks auf den motorisierten Individualverkehr bei gleichzeitiger Funktionstrennung der Siedlungsteile ausgerichtet (Kling/Olin/Poster 1995, Ruggeri 311 New Towns wurden– infolge der massiven Verstädterungsprozesse – ab den 1960er Jahren sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten angelegt. Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County 357 2009). Während in den meisten europäischen New Towns die Architektur der Gebäude prägendes Merkmal war, „nutzen die Planer vorn Irvine Landschaftsarchitektur und Städtebau als Marketinginstrument, das die Stadt als Alternative zu den ausufernden Vorstädten von Los Angeles positionieren sollte“ (Ruggeri 2009: 247). Die Gliederung von Irvine wurde – konsequent nach den gesellschaftlich-landschaftlichen Sehnsüchten nach Ländlichkeit und (domestizierter) Natur – als von Laien unterscheidbare und als Dörfer (villages) bezeichnete Quartiere konzipiert. Die Architektur der Landschaft wurde – um größtmögliche Bildhaftigkeit (imageability) zu erreichen – sorgsam nach dem Modell Englischer Landschaftsgärten geplant und umgesetzt (Schiesl 1995, Ruggeri 2009; allgemein für den Stadtlandhybriden siehe Fogelson 1993, zuerst 1967; Abbildung 70). Den Ausgangspunkt der Geschichte der Stadt Irvine liegt in der Irvine Ranch, die sich Ende des 19. Jahrhunderts etwa 37 Kilometer vom Pazifischen Ozean bis zum Santa Ana River erstreckte und eine Fläche von rund 445 km2 einnahm. Im Jahr 1894 wurde die Ranch in die Irvine Company überführt und der Betriebsschwerpunkt wurde sukzessive von extensiver Viehhaltung auf lukrativeren Ackerbau, sowie Oliven- und Zitrusfrüchteanbau umgestellt. Während des Zweiten Weltkrieges wurden auf dem Gelände zwei Marineeinrichtungen errichtet, wozu die Irvine Company, der Schiesl (1995: 55) attestiert, dass „nur wenige Organisationen in der ökonomischen und sozialen Entwicklung der Nachkriegszeit in Orange County“ eine derart bedeutende Rolle gespielt hätten, das entsprechende Land an den Staat veräußerte. Mit der Eröffnung von Disneyland in Anaheim 1955 und des Santa Ana Freeways intensivierte sich der Einfluss der ökonomischen und demographischen Gravitationsfelder von Los Angeles und Anaheim auf Irvine: Die durch Entwickler getragene Bautätigkeit nahm zu (Schiesl 1995). Ein weiterer wesentlicher Schritt in der Entwicklung der Irvine Ranch zu einer New Town war die Errichtung des Satelliten-Campus der University of California ab dem Jahr 1959. Der Architekt William Pereira bekam den Auftrag, auf einer Fläche von rund 6,1 km2 den Campus einschließlich einer Siedlung für 50 000 Einwohner zu planen. Neben dem Campus sah der Plan in der Nachbarschaft des Campus ein Stadtzentrum, dazu Wohnviertel, Industriegebiete und insbesondere weit ausgedehnte Naherholungsgebiete vor. Insbesondere der Süd-Sektor-Plan von Irvine bemühte sich um eine Synthese von Architektur und (zugeschriebenen) sozialen Bedürfnissen: Die Gartenstadtidee – die wiederum auf der Idealisierung und Stereotypisierung ländlicher angeeigneter physischer Landschaft basierte (Thomas 1984) – aufgreifend, wurde mit dem Ziel der Schaffung einer sozialen Heterogenität ein System überschaubarer Siedlungseinheiten geplant, ökonomisch und funktional eigenständige Einheiten zu schaffen. Diese Siedlungseinheiten wurden als Mischung unterschiedlicher Haustypen – Gartenappartments, Einfamilienhäuser und Mehrparteienhäuser – geplant, die durch Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen ergänzt wurden. Um die Unterscheidbarkeit der Siedlungen zu gewährleisten, sollten diese durch Grünanlagen voneinander getrennt werden (Schiesl 1995, Pincetl 1999, Starr 2006, Lowenthal 2009). 358 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Abbildung 70 Irvine. Die Planungen der New Town richten sich stark an stereotypen stadtlandschaftlichen Vorstellungen potenzieller Bewohner mit gehobener Ausstattung an symbolischem Kapital aus. Dabei dominieren Ästhetiken, die dem Vorbild des Englischen Landschaftsgartens entlehnt sind – in einer Region mit erheblichem Niederschlagsdefizit (Aufnahme: August 2010). Im Jahre 1970 wurde der Irvine Industrial Complex West (heute bekannt als The Irvine Business Complex) eröffnet und die Villages Turtle Rock, University Park, Culverdale, the Ranch und Walnut fertig gestellt. Im Jahre 1971 wurde – aus Angst, die Steuern der wohlhabenden Siedlungen könnten andernorts eingesetzt werden – Irvine als eigenständige Gemeinde inkorporiert. Zugleich wurde der ursprüngliche Plan von Pereira überarbeitet und eine erweiterte polyzentrische Struktur von Irvine geplant (The City of Irvine 2010a). Dabei wurden den unterschiedlichen Villages unterschiedliche architektonische Themen zugeordnet, so wurde Turtle Ridge in toskanischem Stil, Northpark Square in spanischem Missionarsstil, Woodbridge im Ostküstenstil angelegt, heute wird mit nachhaltigen Bauformen und dem New Urbanism experimentiert, und auf Grundlage der Kevin Lynchschen (1960) Theorie der Knoten, Kanten, Landmarken, Wege und Bezirke angeordnet und gegliedert, so dass der nach einheitlichen Prinzipien angelegte Entwurf in der angeeigneten physischen Stadtlandschaft bis heute lesbar bleibt. Die Einwohnerzahl in Irvine nahm rasch zu. Lebten im Jahre 1971 hier noch 10 081 Personen, erhöhte sich die Zahl auf 143 072 im Jahre 2000, aktuell (2009) wohnen 212 793 Personen in Irvine, deren ethnische Zugehörigkeit sich folgendermaßen zusammensetzt: weiß 47 Prozent, asiatisch 36 Prozent, hispanisch 9 Prozent, schwarz 2 Prozent und andere 6 Prozent (City of Irvine 2010b). Diese Entwicklung deutet Ruggeri (2009: 250) folgendermaßen:„Ein hervorragendes Schulsystem, die Verfügbarkeit ganz unterschiedlicher Wohnformen, eine Fülle von Arbeitsangeboten und die Schönheit der Landschaft waren nur einige Ursachen, die in den ersten 30 Jahren zu dem enorm raschen Wachstum von Irvine beitrugen“. Neben diesen Annehmlichkeiten einer eigenständigen Kommune mit einem hohen Status an symbolischem Kapital wird in Irvine ein besonderes Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County 359 Augenmerk auf Ordnung, Sauberkeit und Erhaltung der arkadisch scheinenden Landschaft gerichtet, bei deren Einhaltung die Irvine Company mit Hauseigentümervereinen kooperiert (Schiesl 1995, Gayk 1995, Ruggeri 2009). Das Prinzip der Bildhaftigkeit wird in Irvine durch eine – auf (positiv stereotypisierte) Naturelemente bezogene – Namensgebung unterstützt. Dabei sollen Ortsnamen „in denen Begriffe wie ‚Klippe‘ (‚bluffs‘) und ‚Hügelkette‘ (‚ridges‘) […] ein unmittelbares Identitätsgefühl [auslösen]“ (Ruggeri 2009: 254) verwendet werden, um so das Gefühl der ‚intakten‘ Gemeinschaft (und damit die Immobilienwerte) zu erhalten. Ähnliche semantische Umdeutungen werden durch die Irvine Company in Bezug auf die Bezeichnungen der Siedlungen genannt. Um sich von dem Suburban Sprawl Südkaliforniens abzugrenzen werden die einzelnen Siedlungsteile – nicht wie ansonsten üblich – als Nachbarschaft (‚neighborhood‘) sondern als Dorf (‚village‘) bezeichnet. Um die Siedlung an die sich wandelnden Bedürfnisse der Bewohner anzupassen, sammeln die Marketingbüros der Irvine Company „in einer fortlaufenden Rückkopplungsschleife Informationen über die Zufriedenheit und Wahrnehmung der Nutzer“ (Ruggeri 2009: 262). Auch in der ökonomischen Dimension unterscheidet sich Irvine von klassischen Suburbiumssiedlungen: Bereits in den 1960er Jahren hatten die Stadtverantwortlichen von Irvine die Kritik des Suburban Sprawl mit seinen von einem Zentrum abhängigen Wohnsiedlungen aufgegriffen und die Ansiedlung von Arbeitsplätzen für Qualifizierte und Hochqualifizierte (wie etwa die Aeronutronics Division der Ford Motor Company südwestlich des Campus) in der Kommune vorangetrieben (Schiesl 1995), so dass Irvine eine zentrale Bedeutung der Emanzipation Orange Counties von Los Angeles einnahm. Hierzu trägt auch die Errichtung des von der Irvine Company betriebenen Irvine Spectrum Centers, eines Urban Entertainment Centers mit einer Verkaufsfläche von knapp 44 000 Quadratmetern, bei, das in zwei Bauphasen 1995 und 1998 nahe der Kreuzung der Interstates 5 und 405 (Santa Ana Freeway und San Diego Freeway) in Simulation marokkanischem Baustils errichtet wurde und im Entertainmentbereich insbesondere Freizeitmöglichkeiten für Erwachsene anbietet (Kinos und Restaurants; Hahn 2001 und 2006). Diese Entwicklungen von Irvine wirken auch beispielgebend für andere Siedlungen: Im Zuge der Expansion der Siedlungstägigkeit übernahmen ab den 1970er Jahren die Kommunen von Laguna Niguel und Mission Viejo Entwicklungs-, Gestaltungs- und Vermarktungsstrategien zur Anwerbung von Personen mit einer höheren Ausstattung an symbolischem Kapital (Schiesl 1995, Starr 2006). Irvine stellt einerseits architektonisch und städtebaulich eine Ausnahmeerscheinung in der Entwicklung der Agglomeration Südkaliforniens und darüber hinaus dar, schließlich folgt die Siedlung auf Grundlage einer einzigartigen Eigentümerstruktur einem einheitlichem Entwurf und hebt sich damit von der Kleinkammerigkeit anderer suburbaner Räume ab (Forsyth 2005, vgl. auch Rabinovitz/Siembieda 1977), doch zeigt die Zusammensetzung der ethnischen Zugehörigkeit wie auch die Ausstattung an ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital deutliche Tendenzen zur aktiven sozialen Segregation. Anders ausgedrückt: Durch die Konzentration auf Bevölkerungsteile mit einer 360 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden hohen Ausstattung an symbolischem Kapital wurde die ästhetisch distinktiv abqualifizierte Einförmigkeit des Suburban Sprawls durch distinktiv intendierte Reminiszenzen an klassische architektonische und städtebauliche Motive ersetzt. Die Integration von Bevölkerungsteilen mit einer (im Vergleich zum County) unterdurchschnittlichen Ausstattung an symbolischem Kapital wurde (entgegen der Proklamation in den einschlägigen Plänen) nie ernsthaft in Erwägung gezogen – zu sehr hätten diese den Eindruck der postsuburbanen ‚Heilen Welt‘ durch spezifische architektonische Zwänge preiswerten Bauens und alternative Praktiken des Sozialverhaltens konterkariert (vgl. auch Schiesl 1995). Die modernistischen Tendenzen eines großen Entwurfs als große Erzählung von Architektur und Städtebau werden dabei mit den postmodernistischen Prinzipien der Kleinkammerigkeit, des Aufgreifens historisierender Baustile sowie der Hinwendung zur romantischen Gestaltung der angeeigneten physischen Landschaft ergänzt (Kühne/ Franke 2010). Damit wird den (medial und durch ständige Surveys rekursiv verfestigten) stereotypen Bedürfnissen nach ländlich scheinenden Bau- und Landschaftsformen Rechnung getragen und – durch offensives Marketing in Bezug auf die Gestaltung der Siedlung – zur Gewinnerzielung (hier für die Irvine Company) genutzt. Den architektonisch-städtebaulichen postmodernen Manifestationen stehen wiederum modernistisch-exklusivistische Manifestationen des Strebens nach Ordnung, Sauberkeit und der Erhaltung eines (scheinbar) neuen Zustandes gegenüber. Wodurch sich Irvine als modernistisch-postmodernistischer Hybrid kennzeichnen lässt. Dabei lässt sich mit Claus Leggewie (1998) nachvollziehen, dass in Irvine wie in Siedlungen des New Urbanism (am Beispiel von Celebration bei Orlando) nach der Lebbarkeit von Disneywelt gestrebt wird. 8.3.2 Das Ringen um Identität im postmodernen Raumpastiche: Anaheim, Orange County Die Gründung von Annaheim (zunächst noch in der Schreibweise mit ‚nn‘, die später durch Streichung eines ‚n‘ an die Schreibweise des Santa Ana-Flusses angepasst wurde)312 erfolgte als Weinbaukolonie auf genossenschaftlicher Grundlage durch 50 Siedler zumeist deutscher Herkunft im Jahre 1857. Der Landvermesser und Ingenieur Georg Hansen entwarf die Landaufteilung und das Bewässerungssystem. Dabei verfuhr er „nach heimatlichem Vorbild, indem er einen zentralen Wohnort plante, von dem aus die Farmer die umliegenden Gärten und Felder zur Arbeit aufsuchen sollten“ (Vollmar 1998: 25; Vollmar 1996). Allerdings konnte sich Hansen mit dieser räumlichen Konfiguration nicht durchsetzen: Die Genossenschaftsmitglieder bevorzugten es, die Häuser auf dem jeweils eigenen, großen Feldgrundstück zu errichten, „um die landwirtschaftlichen Arbeiten und Kulturen besser beaufsichtigen zu können und in freier Umgebung zu 312 Diese Änderung der Schreibweise brachte – so Vollmar (1996: 295) – „den Kolonisten einen ihnen sehr vertraut klingenden und gleichzeitig assimilierten Siedlungsnamen ein“. Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County 361 leben“ (Vollmar 1998: 25). Damit wurde auch in Anaheim die Tradition einer dispersen Siedlungsstruktur gelegt. Die ersten Jahre der Siedlung waren durch Krisen, wie Dürren mit damit verbunden geringen Ernteerträgen, in die Weingärten eindringendes Vieh wie auch Transportproblemen (insbesondere dem Fehlen eines Hafens für Hochseeschiffe für den Transport der schweren Weinfässer), geprägt. Ab Mitte der 1860er Jahre setzte ein bescheidener Bevölkerungszuwachs wie auch der Aufbau einer gewissen Zentralität für das Umland ein (was dadurch begünstigt wurde, das die späteren Konkurrenten wie Santa Ana, Fullerton oder Placentia noch nicht gegründet waren). Mit dem Argument der langen Reisedauer zum Hauptort des Counties, Los Angeles, strebte Anaheim seit 1870 die Gründung eines eigenen Counties an, allerdings ohne Erfolg: Erst 1889 wurde das County Orange gegründet, und zwar mit dem Verwaltungssitz in der konkurrierenden Stadt Santa Ana, dem früheren Anschluss an das Streckennetz der Southern Pacific im Jahre 1874 (Santa Ana wurde erst zwei Jahre später angeschlossen) zum Trotz. Durch das Wachstum von Siedlungen und der Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung waren die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts durch eine Intensivierung der Konflikte um Wasser zwischen den aufstrebenden Kommunen (insbesondere mit Santa Ana) geprägt (Vollmar 1996 und 1998, Kling/Olin/Poster 1995, Griffiths 2001, Faessel 2006). Die landwirtschaftliche Basis des Wohlstandes von Anaheim stellte um die Wende zum 20. Jahrhundert die robuste und saftreiche Valencia-Orange dar. So wurden im Jahr 1923 in Orange County auf 37 528 Acres Orangen angebaut, was eine Ernte von etwa 4,3 Mio. Kartons in einem Wert von 10,9 Mio. Dollar einbrachte (Vollmar 1998). Die strukturellen lokalen und regionalen Konflikte um Wasser und zentralörtliche Bedeutung wurden in den Jahren des Ersten Weltkrieges mit einer längeren Nachwirkungsphase für deutschstämmige Einwanderer durch US-weite Diskriminierungen überschattet: „Tausenden wurden ihre Arbeitsplätze gekündigt, weil sie in Deutschland geboren waren. Bücher von deutschen Autoren wurden aus den Beständen öffentlicher Bibliotheken verbannt“ (Griffiths 2001: 66). Zwar blieben die Deutschstämmigen in Anaheim von solchen direkten Auswirkungen von Deutschenfeindlichkeit weitgehend verschont, doch fühlten sich die Stadtväter von Anaheim – gegen ihre zuvor geäußerte Einstellung – auf Druck des Counties veranlasst, patriotische (anti-deutsche) Kundgebungen zur Unterstützung der Vereinigten Staaten abzuhalten (Griffiths 2001). Das Wachstum Anaheims blieb jedoch – im Vergleich zu anderen Orten in Südkalifornien – Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (in Absolutzahlen) verhalten: Zählte es 1890 1 273 Einwohner, bewohnten es 1940 11 031, dabei erwiesen sich insbesondere die 1930er Jahren als krisenhaft: Verfall der Orangenpreise, Arbeitslosigkeit und Streiks prägten dieses Jahrzehnt. Wahrscheinlich aufgrund seiner geringen Größe wurde Anaheim nicht – wie andere Siedlungen im Orange County wie Newport Beach, Santa Ana oder Riverside – an das Straßenbahnsystem der ‚Pacific Electric Co.‘ angeschlossen worden, „weshalb es sozusagen die elektrische Transportphase übersprang und sich direkt in das aufkommende Zeitalter des Kraftfahrzeugs stürzen konnte“ (Vollmar 1998: 85). Eine wesentliche ökonomische Basis für die Massenmobili- 362 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden sierung bot, wie an der kalifornischen Küste allgemein, auch in Anaheim der kriegsbedingte Aufbau der Rüstungsindustrie, durch eine exzessive Baulandgewinnung wuchs Anaheim zwischen 1950 und 1960 von 14 556 auf 104 184 Einwohner, darunter zahlreiche Armeeangehörige, Soldaten, Techniker und Verwaltungspersonal, die in den sechs Militärstützpunkten in Orange County stationiert waren und sich dann im County niederließen (Vollmar 1998). Wies die Entwicklung von Anaheim bis zum Beginn der 1950er Jahre im Vergleich zu anderen Siedlungen Kaliforniens keine nennenswerten Besonderheiten auf, änderte sich dies mit der Ansiedlung des 1955 eröffneten Disneylands (vgl. nächster Abschnitt): Anaheim wurde zunächst zum Nukleus, später zu einem zentralen Standort eines sich später globalisiert entwickelnden Netzes an Vergnügungsparks, was wesentliche Auswirkungen auf die Entwicklung des lokalen und regionalen Beherbergungsgewerbes, von Gaststätten und der Entwicklung öffentlicher (Straßen) und privater Infrastruktur (z. B. Parkplätze) hatte. Die Ansiedlung von Disneyland bereitet den Weg für zwei weitere Großprojekte: Das 1967 fertig gestellte Stadion, in dem fortan die zu California Angels umbenannten Baseballer der Los Angeles Angels (heute Los Angeles Angels of Anaheim) und das Footballteam der Los Angeles Rams spielten, und das ein Jahr nach dem Stadion eröffnete Kongresszentrum, gegenüber Disneyland an der Katella Avenue. Im Jahre 1993 wurde eine weitere Austragungsstätte für sportliche Großveranstaltungen mit der ‚Anaheim Arena‘, einer Halle mit 19 000 Plätzen, errichtet. Die Errichtung von Großprojekten weitab des ursprünglichen Stadtkerns von Anaheim war mit einem Bedeutungsverlust des Stadtzentrums um Broadway und Lincoln Avenue verbunden. Mehrere Revialtisierungsversuche seit Mitte der 1960er Jahre zeigten – bei gleichzeitiger unvermindert anhaltender Ausweisung randstädtischer Neubaugebiete – einen verhaltenen Erfolg (Vollmar 1998; vgl. Abbildung 71). Im Jahr 2006 wies Anaheim etwa 334 Tausend Einwohner auf. Infolge des starken Wachstums der Siedlung sind kaum noch Reserveflächen im Stadtgebiet verblieben, wodurch (insbesondere in bevorzugter Lage) Flächennutzungskonkurrenzen auftreten (wie in Bezug auf die Planungen der Nutzung eines Teiles der Flächen um Disneyland Ende des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert, und die Frage, ob Flächen für Wohnbebauung oder für die touristische und anderen geschäftliche Nutzungenbereitgestellt werden sollten). Im Stadtlandhybriden von Südkalifornien stellt Anaheim einen spezialisierten Standort der Konsum- und Kulturwelten dar. Dabei ist – auch im Vergleich zu den übrigen Kommunen Südkaliforniens – das symbiotische Verhältnis von Wirtschaftsunternehmen (Disney) und kommunaler Politik und Verwaltung bemerkenswert. Gerade diese zum Pol der Wirtschaft neigende Ökonomie-Politik-Hybridität macht Anaheim zu einem herausstechenden Element im postmodernen Raumpastiche Südkaliforniens. Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County 363 Abbildung 71 Anheim. Wie in vielen Teilen des Stadtlandhybriden unterliegt die Downtown (o. l.) zwar Restrukturierungsbemühungen, verhindern Shopping Malls und Edgeless Cities dort aber eine größere Konglomeration höherzentraler Funktionen. O. r.: Ein Beispiel für eine Wohnsiedlung in Anaheim. Das Angels Stadium (u. l.) stellt einen wesentlichen Identifikationskern im Stadtlandhybriden dar. Es ist – ausgerichtet auf den üblichen Modal Split in der Region – umgeben von großen Parkplatzflächen. Die touristische Erschließung von Anaheim (insbesondere durch Disneyland) hat auch Gastronomiegewerbe gefördert: Im Anaheim Garden Walk wird konzentriert Urbanität simuliert (u. r.; Aufnahmen: April 2006, August 2010 und April 2011). 8.3.3 Welt zwischen Fokussierung, Idealisierung und Kitsch: Disneyland Disneyland lässt sich als die physische Manifestation amerikanischer mythologischer Selbstdefinition beschreiben, so drückt es perfekt die „bis heute erhaltende Mythologie des Kleinstadtlebens und Identität durch die schematisierte Intensität eines Themenparks aus, die eine metaphorische Landschaft für die Entwicklung neuer im Westen entwickelter Städte darstellt“ (Starr 2007: 240; vgl. auch Soja 1998, 2002, zuerst 1986, Löfgren 2002, Culver 2010). Zentral für Disneyland ist somit die Inszenierung und Verdinglichung amerikanischer Geschichte, verbunden mit den Zielen der rekursiven sozialen Verfestigung von Kernbeständen amerikanischen historischen Selbstbewusstseins in einer parkähnlichen angeeignet-physischen landschaftlichen Gestaltung, mit dem Ziel sowohl Erwachsene wie auch Kinder anzusprechen. Dabei wird „Geschichte in ein Simulacrum verwandelt“ indem gemäß ökonomischer Interessen „Geschichte in ein Mimikry verwandelt wird“ (Fine 2000: 18), allerdings in eines, das sehr stark idealisie- 364 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Abbildung 72 Konzentrierte Simulationen der (durch den Disney-Konzern für relevant deklarierten) Welt mit den Schwerpunkten physischer Repräsentanzen amerikanischer Geschichte und Disney-Werken (u. l. und m. r.; Aufnahmen August 2010). rend ausgelegt ist (Abbildung 72)313. Dabei stellt Disneyland eine jederzeit (sofern hinreichendes ökonomisches Kapital zum Besuch zur Verfügung steht) verfügbare, nahezu karnevaleske Heterotopie dar (vgl. Bachtin 2005, zuerst 1929): Es ermöglicht eine zeitlich begrenzte Aufhebung sozial erwarteter Handlungsmuster und die Rückverortung in der romantisierten Welt der Kindheit. Von einer alles zentrierenden „kleinstädtisch-nostalgischen“ (Culver 2010 : 1) Hauptstraße, der ‚Main Street, U.S.A.‘, wird der „alles konsumierende Besucher zu separaten Welten der Fantasie, der Zukunft, der Frontier, der ‚glücklichsten Plätze‘ der Erde“ (Soja 2000: 136; vgl. auch Eco 2002, zuerst 1975, Banham 2009, zuerst 1971) geführt. Dieses Paradies „übertriebener Vergnüglichkeit“ (Hasse 2000: 87) lässt sich im Sinne 313 Dabei wirkt Disneyland – insbesondere durch die hohen Eintrittspreise – sozial selektiv: Untere Sozialschichten werden – als potenzielle Unruhestifter (wie auf Rummelplätzen) – ferngehalten (Vollmar 1998). Die Emergenz des Postsuburbanen: Orange County 365 von Foucault (1990) als Heterotop bezeichnen. Die Funktion von Disneyland liegt darin, „die Absehung von Zuständen oder gar Strukturen unerfüllten Lebens zu institutionalisieren“ (Hasse 2000: 87). Dabei verdrängt bei Besuchern hedonistische emotionale Gestimmtheit rationale Distanziertheit. Eine Distanziertheit, die den Betreibern von Disneyland durchaus geläufig erscheint. Dabei werden der Zynismus und die innere (und von ihr selbst tolerierte) Widersprüchlichkeit der Postmoderne am Beispiel Disneyland besonders deutlich: Der Zynismus entsteht dadurch, „dass eine über Jahrhunderte voranschreitende Fortschrittsentwicklung den modernen Individuen einen Kater beschert hat, dessen Linderung sich die Kulturindustrie profitabel einzuverleiben versteht“ (Hasse 2000: 92). Disney bedient sich bei der Organisation der angeeigneten physischen Landschaft analog zu Filmtricks: Die einzelnen Themenfelder werden in jener Komplexität und Größe dargestellt, dass ein durchschnittlich sozialisierter Fußgänger sie problemlos erfassen kann, ohne Überforderung oder Langeweile zu empfinden; negativ konnotierbare Elemente werden in den Gestaltungen „planmäßig externalisiert“, positiv konnotierte „Elemente integriert“ (Vollmar 1998: 126), Gebäude und Verkehrsmittel sind derart verkleinert, so dass sie keine Furcht erzeugen (Virilio 1986): Die Dampflokomotive im Betrieb, in Originalgröße aus der Nähe durchaus als erhaben wahrnehmbar, wird verkleinert, mit bonbonesken Farben versehen, mit spärlicher accessoireistischen Dampfproduktion versehen (getrieben wird der Zug freilich nicht mehr mit Dampf), aus modernistischer Sicht wird er damit zu Kitsch. Wie bei phyischen Simulationen stark anthropogener Vorbilder wird auch bei der symbolischen Materialisierung stark natürlich konnotierter Vorbilder eine Deutung im ästhetischen Muster der Erhabenheit nur als Simulacrum nahegelegt: Vorbilder stärkerer Naturnähe mit potenziell existenziell bedrohlichen Konnotationen (wie der Mississippi, ‚der Wilde Westen‘, der Dschungel oder das Matterhorn) werden in einer Form verniedlicht, dass eine Konnotation mit den täglichen Bedrohungen des Stadtlandhybriden Los Angeles durch naturbürtige Interaktion (wie Erdbeben oder Feuer; vgl. z. B. Keil 1998, Miller/Hyslop 2000) nicht hergestellt wird. Auch Multiethnizität wird in ‚Small World‘ durch Aktualisierung tradierter ethnischer Stereotype bei einlullender Beschallung auf eine Ebene der niedlichen Eingängigkeit reduziert. Für den Ästhetiker der Moderne stellt Disneyland sicherlich einen Inbegriff des Kitsches dar. Schon die Anlage als Modellierung der „Sehenswürdigkeiten“ der Welt an einem Ort erscheint eklektizistisch. Die Heterotopie Disneylands ist geprägt von intuitiver Zugänglichkeit: Die Anordnung der dargestellten Objekte folgt den Prinzipien des Effektes, sie sind allgemeinverständlich, also einer profanen „überholten und veralteten Formensprache verpflichtet“ (Schweppenhäuser 2007: 55; vgl. auch Ellin 1999), die in der Bestätigung von klischeetierten Wahrnehmungsgewohnheiten verbleibt, ohne Erwartungs-Bestätigungsroutinen zu brechen. Dabei ist der Besucher nicht Konsument einer reinen Simulation, er hybridisiert zwischen Simulation und als real erlebter Erfahrung, „denn es gehört zum Selbstverständnis der Disney-Manager, den Besuchern das Gefühl 366 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden zu vermitteln, selber die Akteure eines monumentalen Films zu sein“ (Hasse 1993: 49), in dem der „affirmative Betrachter zu einem Teil der kultischen Zeremonie“, wie Bieger (2007: 214) in Bezug auf die Heterotopien von Las Vegas feststellt, zu werden scheint, bei dem „auf dem somatischen Erfahrungslevel“ (Bieger 2007: 214) angesetzt wird. Die Besucher sind Teil einer sekundären angeeigneten physischen Landschaft, „die nach dem Bild phantastischer Märchenwelten gemacht ist und nur eine Oberfläche der flüchtigen Imagination aufweist“ (Hasse 1993: 49), die Dichotomie zwischen Bildschirm und Konsument scheint aufgehoben, das Spiel scheint real und diese Realität erscheint traumhaft (Hasse 1993). Das Disneyland lässt sich – vergleichbar mit Las Vegas – als eine Rückübersetzung virtueller Weltproduktion (durch Filme und Fernsehserien, zunehmend auch durch das Internet) in den physischen Raum interpretieren. Dabei werden die dargestellten Objekte einer räumlichen wie zeitlichen Verdichtung unterzogen, so dass Disneyland „als Ort einer nahtlosen ‚Verbesserung‘ von Wirklichkeit“ (Bieger 2007: 227) erscheint, in der heterotopologische Raum-Zeit-Dichotomien aufgehoben werden. Verkörperte Orte sind „gleichermaßen nah und fern, vergangen und noch kommend, real und fiktiv, erlaubt und verboten“ (Bieger 2007: 230). Dabei wird bei der Gestaltung der angeeigneten physischen Landschaft Disneylands weniger auf das Konzept des Landschaftsgartens (im Sinne Frederick L. Olmstedts) zurückgegriffen, vielmehr sind ‚natürliche‘ Elemente „einer rigorosen Reduktionsprozedur und durchgreifenden Kontrolle ausgesetzt“ (Vollmar 1998: 131). Diese ‚natürlichen‘ Elemente sind nach Vorbild der HollywoodFilmlandschaften „manieriert und technisch animiert“ (Vollmar 1998: 131), wodurch sich rekursiv erzeugte, simulacrische gesellschaftliche Landschaftsstereotypen verfestigt werden. In einem solchen Sinne „produziert Disneyland nicht nur Illusion, vielmehr wird das Verlangen danach gestärkt: Ein wirkliches Krokodil befindet sich im Zoo, und seine Natur liegt darin, zu dösen oder sich zu verstecken, aber Disneyland vermittelt uns, dass die gefälschte Natur vielmehr unseren Bedürfnissen in Tagträumereien entspricht“ (Eco 2002: 586, zuerst 1975; ähnl. Donnelly 2002). Die physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft in Disneyland sind so gestaltet, dass sieden sozial (insbesondere durch Filme, heute auch durch Videospiele u. a.) präformierten Stimulationserwartungen in optimierter Taktung entsprechen. Die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des 11. Septembers lassen sich besonders anhand der Disney-Freizeitparks verdeutlichen: Die Walt Disney Company hatte im vierten Quartal des Jahres 2001 einen Rückgang des Nettogewinns von 114 Mio. USDollar zu verzeichnen, die durch die Besucherrückgänge in den Freizeitparks des Unternehmens begründet lagen. Hierfür lassen sich fünf Begründungsfaktoren bestimmen (Kagelmann/Rösch 2007): 1. Infolge der weit verbreiteten Angst vor der Nutzung von Flugzeugen brach der Anteil der internationalen Besucher ein. Twentynine Palms: die postmoderne Frontier, die Wüste und das verzögerte Ausgreifen des Stadtlandhybriden 367 2. Das Stammpublikum der Disneyparks blieb zu großen Teilen aus Angst vor neuen Anschlägen fort. 3. Das Freizeitverhalten änderte sich in den Vereinigten Staaten zugunsten des häuslichen Bereichs. 4. Die Disneyparks galten – infolge der hohen Symbolkraft für den ‚American Way of Life‘ – als mögliche Anschlagsziele. 5. Infolge der Konzernstrategie, Sicherheitsaspekte in den Parks als Interna zu begreifen, herrschte bei einem großen Teil potenzieller Nutzer eine große Unsicherheit hinsichtlich der Sicherheitsstandards vor. 8.4 Twentynine Palms: die postmoderne Frontier, die Wüste und das verzögerte Ausgreifen des Stadtlandhybriden Die erste schriftliche Erwähnung fand die Gegend des späteren Twentynine Palms 1855 durch Colonel Henry Washington in Form der Oase von Mara, die ihren Namen durch die Indianer des in der Gegend lebenden Chemeheuvi-Stammes erhielt („Mar-rah“ bedeutet „Land der wenigen Wasser“). Den Namen Twentynine Palms erhielt der im San Bernardino-County gelegene Ort mutmaßlich aufgrund der die Oase umstehenden 29 Palmen. Den amerikanischen Ureinwohnern folgten in den 1870er Jahren Goldsucher, sie nutzten die Oase von Mara, um ihre Wasservorräte vor dem Weg durch die unbekannte Wüste aufzufüllen. Nach Goldfunden in den 1870er Jahren südlich und östlich der Oase begann der bergmännische Abbau von Gold. Die Goldvorkommen waren jedoch rasch erschöpft, so dass bereits zur Zeit des Ersten Weltkrieges der Erzabbau eingestellt wurde. Nach dem Krieg kehrten viele Veteranen mit Tuberkulose und dauerhaften Verwundungen durch Senfgaseinsatz in Kampfhandlungen zurück in die Vereinigten Staaten. Der zahlreiche dieser Männer behandelnde Arzt Dr. James B. Luckie aus Pasadena, Kalifornien, begann in den 1920er Jahren damit, ein Gebiet mit positiven Klimaeigenschaften für Menschen mit Atemwegs-und Herzerkrankungen in der kalifornischen Wüste zu suchen. Seine Wahl fiel nach der Inaugenscheinnahme zahlreicher Orte aufgrund der moderaten Seehöhe, der weitgehend unbelasteten, trockenen Luft, den Wasservorkommen sowie der relativ guten Erreichbarkeit von den großen Siedlungen der Agglomeration von Los Angeles auf Twentynine Palms. Den Veteranen und ihren Familien wurden seitens der Bundesregierung 160 Acres (64,75 ha) große Parzellen zur Verfügung gestellt314. Diese Art der flächenextensiven Besiedlung dominiert bis heute die Siedlungsstruktur von Twentynine Palms. Im Jahr 1927 wurde mit dem Bau 314 Die Größe von 160 Acres geht zurück auf das Heimstättengesetz (Homestead Act) von 1862. Mit dem Ziel die relativ unfruchtbaren Gebiete westlich des 100. Längengrades nutzbar zu machen wurde jedem Amerikaner die Möglichkeit geboten, „gegen eine Minimalgebühr und mindestens fünf Jahre Arbeits- 368 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden erster Straßen begonnen. Im selben Jahrerhielt die sich entwickelnde Gemeinde eine eigene Schule (Waite/Gartner/Smith 2007, City of Twentynine Palms 2011b). Während der Zeit der Großen Depression (1929 – 1941) wuchs die Bevölkerungszahl in Twentynine Palms insbesondere infolge der günstigen Kosten von Lehmziegelgebäuden auf billigem Bauland (Ton, Sand und Wasser waren lokal vorhanden und die Ziegel konnten infolge des ariden Klimas problemlos an der Luft getrocknet werden; Rimmington 2009). Der Bau dieser traditionellen ‚Adobe‘-Häuser in Twentynine Palms fand 1940 ein jähes Ende, nachdem der San Bernardino-County eine Regelung erlassen hatte, die beim Bau von Lehmgebäuden eine Zementverstärkung von Stürzen und Gebäudeecken vorsah. Die Verbilligung der Transportkosten in der Zeit des Zweiten Weltkrieges (durch den Ausbau von Straßen sowie den technischen Fortschritt bei Fahrzeugen) bei zunehmendem Wohlstand bedeutete eine weitere Abkehr von der traditionellen Lehmhausarchitektur (trotz der Isolierung aufgrund der dicken Wände und besserer Klimaanpassung) und eine stärkere Verbreitung industriell vorgefertigter Gebäude auf Holz- und (später) Kunststoffgrundlage (Rimmington 2009). Einen besonderen Impuls erhielt die Entwicklung der Siedlung durch die Ausweisung des 825 430 Acres (3340,16 Quadratkilometer) umfassenden „Joshua Tree National Monuments“ im Jahre 1936 im südlich an Twentynine Palms anschließenden Teil der Mojave-Wüste (1994 wurde das „National Monument“ zum Nationalpark erklärt), wodurch die Siedlung – auch infolge der Ansiedlung der Verwaltung und des Besucherzentrums des Monumentes in dem Wüstenort – überregional bekannt wurde und mit der touristischen Erschließung auch die Einnahmen aus den relevanten Geschäftsfeldern stiegen315: Cafés, Restaurants, Motels und Tankstellen wurden insbesondere am Highway errichtet. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Siedlung war die Gründung des „Marine Corps Air Ground Combat Centers Twentynine Palms“ im Jahre 1949. Im Jahr 2000 lebten von den 18 860 Militärangehörigen und deren Familienmitgliedern 8 413 Personen auf der Militärbasis (City of Twentynine Palms 2006 und Waite/Gartner/ Smith 2007). Demnach ist das „Marine Corps Air Ground Combat Center“ der größte Arbeitgeber in der Stadt. Inkorporiert wurde Twentynine Palms am 23. November 1987. Mit einer Fläche von 53,75 Quadrat-Meilen (was 139,21 Quadratkilometern entspricht) ist Twentynine Palms– worauf auf der offiziellen Homepage der Stadtverwaltung hingewiesen wird – größer als die Stadt San Francisco. Seit der Inkorporierung ist die Einwohnerzahl von 11 000 aufgrund 30 000 gewachsen. Dabei sind die demographischen Charakteristika der Stadt durch das Militär geprägt: Das Medianalter betrug im Jahre 2000 24 Jahre und 64,4 Pro- einsatz aus der public domain [dem Land ohne private Eigentumstitel; Anm. O. K.] 160 Acres Land erwerben und eine Existenzgrundlage aufbauen zu können“ (Schneider-Sliwa 2005: 78). 315 Heute werden im Park etwa 1,4 Millionen Besucher jährlich gezählt (Waite/Gartner/Smith 2007). Twentynine Palms: die postmoderne Frontier, die Wüste und das verzögerte Ausgreifen des Stadtlandhybriden Abbildung 73 369 Anteile der bebauten Grundstücke an den parzellierten Grundstücken316 zent der Bevölkerung ist männlichen Geschlechts (City of Twentynine Palms 2006)317. Die Stadt, die von einem fünfköpfigen Stadtrat regiert wird, hatte zum Zeitpunkt ihrer Inkorporierung sieben Vollzeitbeschäftigte in der Stadtverwaltung, heute beschäftigt diese über 35 Vollzeit-und 40 Teilzeitbeschäftigte (Waite/Gartner/Smith 2007, Rimmington 2009, City of Twentynine Palms 2011a und 2011b). Trotz des deutlichen Bevölkerungswachstums wird die Siedlungsfläche von „Niemandsland“ dominiert, einem „Leerraum zwischen dem Stadtkörper und seinem zu groß geschneiderten Planungsanzug“ (Burckhardt 1980: 140): Siedlungsfläche wird von bebaubaren, parzellierten, aber dennoch unbebauten Grundstücken – selbst im Kernbereich der Stadt – dominiert (siehe Abbildung 73 und Abbildung 74). Dies deutet (wie auch der Erhalt des im Vergleich großzügig dimensionierten, während des Zweiten Weltkriegs durch das Militär angelegten Twentynine Palms Airports mit zwei Start-/Landebahnen und den dazugehörigen Rollbahnen ohne nennenswerten Flugbetrieb) auf unerfüllte – auch infolge der Wirtschaftskrise – Wachstumserwartungen der Wüstenkommune hin (ähnliche Phänomene finden sich in anderen Wüstenkommunen wie Salton City). Eine Folge von großer 316 Die Grundlage der Karte lieferte die straßenblockweise Auswertung der parzellierten Grundstücke, sofern diese mindestens 20 Parzellen aufwiesen. Enthielt ein Block weniger als 20 Parzellen, wurde dieser mit einem benachbarten Block gemeinsam berechnet. Der benachbarte Block wurde nach Kriterien des Siedlungszusammenhangs (also ähnliche topographische Lage, vergleichbare Gebäudedichte) ausgewählt. 317 Die aktuellsten für Twentynine Palms verfügbaren Daten beziehen sich auf den Zensus aus dem Jahr 2000. 370 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden Abbildung 74 Repräsentanten von Twentynine Palms: o. l., ein Joshua Tree, ein Symbol für die Naturnähe; o. r., der südwärtige Blick auf den Central Business District, selbst hier finden sich zahlreiche unbebaute Grundstücke; m. o., ein dichter bebauter Bereich südlich des Twentynine Palms Highways; m. u., der dünner besiedelte Bereich nordwestlich des Twentynine Palms Airports, er zeigt die flächenextensive Besiedlung; u. l. Willkommensschilder aus westlicher Richtung, von denen das rechte die hohe Bedeutung des Militär indiziert; u. m., ein verlassenes Haus mit Wasserspeicher als Dokument der durchaus nicht linear wachsenden Besiedlungsgeschichte; u. r. das Symbol des Twentynine Palms-Frontier-Mythos: das NEXTSERVICE-Schild an dem Highway in östlicher Richtung vor dem Twentynine Palms-Airport (Aufnahmen: August 2010 und April 2011). Verfügbarkeit von Bauland und der weitgehenden Verwendung industriell vorgefertigter (und damit billiger) Gebäude sind die geringen Gebäudewerte in Twentynine Palms: 79,7 Prozent der von den Eigentümern bewohnten 2 271 bewohnten Gebäuden wiesen im Jahre 2000 einen Wert von 50 000 bis unter 100 000 Dollar auf, 10,3 Prozent von unter 50 000 Dollar und 10,0 Prozent einen Wert von 100 000 bis unter 300 000 Dollar (City of Twentynine Palms 2006). Infolge der großen Verfügbarkeit von Bauland bei Die Küste des Stadtlandhybriden: Ozean, Strand, Siedlung und ein Luxusliner 371 im Verhältnis zu Neubauten hohen Sanierungskosten finden sich zahlreiche (durch das Wüstenklima besonders konservierte) Ruinen von Wohngebäuden. Die Eigenwerbung von Twentynine Palms, hier insbesondere durch die Handelskammer und die Stadtverwaltung, rekurriert einerseits auf die naturräumliche Ausstattung und deren Bewertung, andererseits auf die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern und Arbeitsplätzen (Twentynine Palms Chamber of Commerce 2006, City of Twentynine Palms 2011a und 2011b). Hinsichtlich der naturräumlichen Ausstattung wird die trockene und saubere Luft angeführt, die angenehmer „als in Palm Springs und dem Coachella Valley“ (City of Twentynine Palms 2011a) sei, womit die beiden wesentlichen Konkurrenzregionen in der ostwärtigen Expansion der Agglomeration Südkaliforniens benannt und komparativ (negativ) qualifiziert werden. Mit den Verweisen auf die ausreichenden Wasservorräte für die Stadtentwicklung und die Nutzbarkeit von Thermalwässern und die für die Photovoltaik nutzbare hohe Sonnenscheindauer soll die (ökologische) Zukunftsfähigkeit der Wüstensiedlung unterstrichen werden. Eine zentrale Bedeutung in der Eigenwerbung für Touristen, Investoren und Einwohner erhält die angeeignete physische Landschaft: „Durch die außergewöhnliche Vielfalt an spektakulären Landschaften gewinnt Twentynine Palms auch an Bedeutung als Ort für Fotoshootings und Dreharbeiten der Filmindustrie“ (City of Twentynine Palms 2011a). Die Grundlage für mediale Inszenierungen wird dabei für ein durch simulacrische Weltkonstruktion sozialisiertes Publikum zum Qualitätsmerkmal – möglicherweise sogar Authentizitätsmerkmal – erhoben (auch wenn die medialen Repräsentanzen von Twentynine Palms bisweilen in eklatantem Widerspruch zu der offiziell favorisierten Lesart der Siedlung stehen; 9.2.5 – Die vermeintliche Fluchtaus dem Stadtlandhybriden: Twentynine Palms). Die „pulsierende und wachsende Stadt“ Twentynine Palms (City of Twentynine Palms 2011a) biete Investoren, Militärangehörigen und Einwohnern beste Voraussetzungen, denn sie sei „entspannt und freundlich, wirklich ein Tor zum Outback Kaliforniens und eine schöne Oase in der Wüste für Körper, Geist und Seele !“ (City of Twentynine Palms 2011a). Gerade der Bezug auf das „Outback Kaliforniens“ liefert eine Verbindung zur Selbstmythologisierung der Siedlung als Gemeinde, die – getragen von Gemeinschaftsgeist –„nie ihren Pioniergeist verloren“ (City of Twentynine Palms 2011a) habe. Das Schild am östlichen Ortsausgang „NEXT SEVICES 100 MILES“ stellt dabei ein Symbol des bis heute perpetuierten spezifischen Twentynine Palms-Frontiermythos dar (Waite/Gartner/Smith 2007). 8.5 Die Küste des Stadtlandhybriden: Ozean, Strand, Siedlung und ein Luxusliner Die Strände der Agglomeration von Los Angeles bilden eine zentrale physisch-räumliche lebensweltliche Bezugsgröße der Bewohnerschaft. Dabei ist Strand – so John Fiske (2003: 51) – „eine anomale Kategorie zwischen Land und Meer, die weder das eine 372 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden noch das andere ist, aber Merkmale beider enthält“, womit sich Strand auch als MeerLand-Hybrid beschreiben lässt. Er wird in differenzierten Gesellschaften als eine OrtZeit-Verschränkung „außerhalb der profanen Normalität“ (Fiske 2003: 51) genutzt, die weder Zuhause noch Arbeit darstellt.. Dabei überlagert der Mensch – Fiske (2003: 53) zufolge – den mächtigen Gegensatz von Land und Meer „aus Gründen der Bequemlichkeit und Angstvermeidung […] mit der sozialen Struktur Natur/Kultur, in der er vermittelnde Kategorien schaffen kann“. Land wird – im Falle der Agglomeration von Los Angeles – zur kultürlichen Stadt, „das Meer zur Natur, ungezähmt, unzivilisiert, roh“ (Fiske 2003: 52). Der ästhetische Reiz des Strandes liegt in der Möglichkeit des Erfahrens dynamischer Erhabenheit aus der involvierten Distanz. Die Dynamik des Ozeans wird – basierend auf Grundlagen sozial vermittelter Deutungs- und Erlebnismuster – kognitiv fassbar, bisweilen auch kontemplativ erfahrbar, jedoch von einer physischen Struktur des randhaften Übergangs zwischen Ozean und Festland (hier stark anthropogen überformt und symbolisch besetzt) aus, die bei Zunahme der Wirkmächtigkeit des Dynamischen einen Rückzug in die (scheinbar) vertraute Sicherheit zulässt. Der Natur-Kultur-/Meer-Land-Hybride Strand verortet sozial attraktiv geltende Tätigkeiten (wie baden, sonnenbaden, surfen, nackte-Haut-zeigen; vgl. auch Löfgren 2002), so dass der Mensch technische Maßnahmen ergriffen hat, um diesen Hybriden sowohl land-/kultur- als auch see-/naturwärtig auszudehnen: Strandpromenaden und Strandcafés auf der einen und Piers auf der anderen Seite implizieren eine weitere Differenzierung des doppelten Hybriden Strand. Die große Bedeutung des Strandes für die Jugendkultur erwächst laut Fiske (2003: 68) zufolge aus dieser Hybridität, „weil auch die Jugend selbst eine anomale Kategorie [oder einen Hybriden; Anm. O. K.] darstellt, jene zwischen Kind und Erwachsenem“, eine Bedeutung, die medial rekursiv verfestigt wird (vgl. Abschnitt 9.2.6 – Die Perspektive des Suburbiums: Die Serie O. C. California). Als weiteres physisches Manifest dieser Handlungsnorm (des Versuchs) der Darstellung der Besonderung lässt sich die Überführung des Luxusliners ‚Queen Mary‘ von Southampton nach Long Beach im Jahre 1967 interpretieren (vgl. Olessak 1981; Abbildung 75). Der Luxusliner stellt ein Symbol der großen Vergangenheit des transatlanAbbildung 75 Die zum Hotel umgebaute ‚Queen Mary‘ in Long Beach (Aufnahme: März 2011). Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden: ein vorläufiges Fazit 373 tischen Personenschiffsverkehrs auf der klassischen Nordatlantikroute SouthamptonCherbourg-New York dar und versinnbildlicht das (vermeintliche ?) Selbstbewusstsein Südkaliforniens gegenüber den Städten der Ostküste (insbesondere New Yorks). Dabei stellt der Umgang mit dem Schiff nahezu idealtypische Bezüge zur Postmoderne dar: Erstens wird das Historische gewürdigt, nicht jedoch das Historische, dem eine gewisse Authentizität zu unterstellen wäre, sondern zweitens ein historisches Objekt, das lediglich eine rudimentäre symbolische Verbindungen zu dem aktuellen Liegeplatz hat und drittens fand eine Umnutzung als Hotel und Restaurant – „vollgepumpt mit Stimulanzien“ (Morris 2002: 611, zuerst 1976) – statt, nicht etwa eine Restaurierung nach Originalplänen. 8.6 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden: ein vorläufiges Fazit Die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse zeigen differenzierte – in der Logik der Entwicklung des Stadtlandhybriden Los Angeles eingelagerte – Eigenlogiken seiner Kompartimente auf unterschiedlichen Maßstabsebenen (vgl. Löw 2010). Sieht sich der Stadtlandhybrid Los Angeles in Gänze im Wettbewerb mit Global Cities wie insbesondere New York, aber auch London, Paris und Tokyo, schrumpft diese Maßstabsebene bei seinen Kompartimenten auf regionalen Maßstab zusammen: Hier konkurrieren Riverside, Irvine, Santa Ana, Santa Monica, Anaheim etc. Siedlungen, die wiederum völlig unterschiedliche Entwicklungspfade mit unterschiedlichen Abfolgen verschiedener Akteurs- und Machtkonstellationen beschritten haben. t In Chinatown basiert diese eigenlogische Entwicklung einerseits auf der spezifischen Verteilung sozialen Kapitals, aus dem insbesondere ökonomisches Kapital generiert wird, und andererseits – und mit der ersten Entwicklung rückgekoppelt – der lange Zeit vorherrschenden Stigmatisierung durch den Diskurs Hegemonialkultur. t Orange County stellt ein Konglomerat sich materialisierter Illusionen einer postfordistisch-demokratischen und nachhaltigen Gesellschaft mit ländlichen Strukturen bei gleichzeitiger Simulation von Urbanität dar (vgl. Graham 1997, Starr 2006) 318. Orange County bildet mit seinen Edgless Cities eine andere postmoderne Polarität zur restrukturierten Downtown von L. A.: Wenige Kristallisationspunkte intergenerationeller und verortbarer Identifikationsmöglichkeiten (wie das Angeles Stadium oder Disneyland) sind hier ausgebildet. 318 Jean Baudrillard (2004) charakterisiert Orange County als künstliches Paradies und primitive Kultur der Zukunft, geprägt durch Konservatismus, egomane Hausfrauen mit einem ausgeprägten Hang zum Konsumismus und Kindern, deren Handlungen im Wesentlichen von repressiver Entsublimierung geprägt sind (so eine sarkastische Charakterisierung von Schoenkopf 2007). 374 Kompartimente des postmodernen Stadtlandhybriden t Twentynine Palms versinnbildlicht den (gescheiterten ?) Versuch das Wachstum des Stadtlandhybriden mit einer neuen Frontier gegen die Mojave-Wüste zu versehen. t Ein Pol der Dauerhaftigkeit (in dem sich rasch physisch wandelnden Stadtlandhybriden) ist der Strand, er ist zu einem wesentlichen Bezugspunkt südkalifornischer Kulturen geworden und ist (in Teilen) als ‚anomal kategorisierter‘ und damit besonderer öffentlicher Raum erhalten geblieben. Infolge des raschen Wachstums des Stadtlandhybriden Los Angeles im 20. Jahrhundert und der damit verbundenen Dominanz der Migration (weil zahlreiche Zuwanderer auch wieder abwandern) aus unterschiedlichsten Kulturkreisen gegenüber autochthonem Bevölkerungswachstum werden nur wenige bedeutsame Objekte generationenübergreifend lebensweltlich symbolisch in der gesellschaftlichen Landschaft als bedeutsam verankert (Hayden 1997; vgl. allgemein zu amerikanischen angeeigneten physischen Landschaften Körner 2010). Insofern sehen sich physische Objekte mit einem stärkeren Veränderungsdruck konfrontiert, als dies in städtischen Siedlungen mit längerer Historie und stabilerer Bevölkerung zu finden ist. Die Konstruktion besonderer Orte in Los Angeles erfolgt somit in vergleichsweise geringem Maßstab durch lebensweltliche Aneignung (in Form der Konstituierung – durch Beobachtung und Vermittlung durch signifikante Andere (Kühne 2011) – einer heimatlichen Normallandschaft) als durch mediale Inszenierung. Welche Objekte hier differenziert einer symbolischen Aufladung unterliegen, wird im nächsten Kapitel thematisiert.