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Sektion (33) Diachronische, diatopische und typologische Aspekte des Sprachwandels Betreut und bearbeitet von Martin Durrell, Hans-Werner Eroms und Michail L. Kotin ULRIKE FREYWALD (Deutschland, Potsdam) Subjunktionen als parataktische Konnektoren. Hypothesen zur Herausbildung der heutigen Konjunktionspaare Mit der Diskussion um subordinierende Konjunktionen, die in gesprochener Sprache auch parataktisch verwendet werden können (wie weil, obwohl, wobei u. a.), ist stets auch die Frage verknüpft, ob es sich hierbei um eine Sprachwandelerscheinung der Gegenwart handelt. Sowohl für die synchrone als auch gerade für die diachrone Sicht kann es dabei hilfreich sein, die involvierten Konjunktionen nicht als Einzelfälle, sondern als Ausprägungen eines einzigen, allgemeineren Entwicklungsprozesses zu betrachten. Im Folgenden werde ich einen solchen Versuch unternehmen und anhand von vergleichenden Beobachtungen Hypothesen zur Diachronie der ‚Janusköpfigkeit‘ bestimmter Konjunktionen formulieren. Die derzeit diskutierten Vorkommen von Hauptsatzwortstellung nach traditionell subordinierenden Konjunktionen sind in (1) illustriert:1 (1) 1 a. Oder du gehst halt nach München, weil in München gibts halt auch schon gute Restaurants, die ’n großen Namen haben. (Gaumann 1983: 268) b. Ich bin unheimlich voll, obwohl den Berliner eß ich noch. (Gaumann 1983: 229) c. Der N. N. hat das ausgehandelt mit dem Kultusministerium, daß sich das Diplom nennen kann, wobei alle andern Studiengänge standen natürlich Kopf. (Gaumann 1983: 257) d. Mit Südafrika ist aber noch nicht fest, während mit den Seychellen klappts. (Gaumann 1983: 232) Stellvertretend für die umfangreiche Forschungsliteratur sei hier lediglich auf Gaumann (1983), Keller (1993), Uhmann (1998), Gohl/Günthner (1999), Selting (1999), Wegener (1999) zu weil sowie auf Günthner (1999, 2000, 2005) zu obwohl und wobei verwiesen. – Die Liste der Konnektoren, die sowohl eine subordinierende als auch eine parataktische Variante besitzen, ist nicht klar begrenzt; weitere Kandidaten neben den hier erwähnten wären möglicherweise insofern, trotzdem oder zumal und eventuell noch weitere. 66 Ulrike Freywald e. Ich würde sagen, dass beide haben ihre Performanzvorteile. (Freywald 2009: 113) Synchron zeigen diese Konnektoren klare formale und funktionale Parallelen. So ist es in der aktuellen Forschungsliteratur mittlerweile Konsens, dass die Verbstellungsalternation Verbzweit (V2) vs. Verbletzt (VL) nicht optional ist, sondern mit prosodischen, syntaktischen, semantischen und pragmatischen Unterschieden einhergeht: Im Gegensatz zur VL-Variante ist ein angeschlossener V2-Satz in allen Fällen (1a–e) syntaktisch nicht in seinen Bezugssatz integriert, er bildet eine eigenständige Informationseinheit und trägt eine eigene Illokution. Die Satzverknüpfung findet im Falle von V2 also nicht auf propositionaler Ebene statt, sondern auf Ebene der Sprechakte bzw. des Diskurses. Der Konnektor dass etwa hat neben seiner Subjunktor-Funktion die Funktion eines Assertionsmarkers entwickelt. In Konstruktionen wie (1e) und (3a,b) ist das hypotaktische Verhältnis zwischen Matrix- und Objektsatz aufgehoben: Der ehemals übergeordnete Satz erfüllt nurmehr die Rolle eines vorgeschalteten, rahmenden Elements, das Sprechereinstellungen oder evidentielle Information kodiert bzw. zur Aufmerksamkeitssteuerung und Diskursorganisation beiträgt, während der V2-Satz nach dass potentiell selbständig ist und die relevante und zudem stets als wahr behauptete Aussage der Gesamtäußerung enthält (vgl. hierzu Freywald 2008, 2009): (3) a. Ich merke immer, dass Norddeutsche denken dann, dass es ein Präteritum sei. (eigenes Korpus, 2009) b. Und dann kam raus, dass von den Selbständigen haben zehn Prozent Grüne gewählt. (eigenes Korpus, 2009) Die Eigenschaft, diskursrelevante Funktionen zu tragen, ist eine wesentliche Gemeinsamkeit sämtlicher VL/V2-Konjunktionen. Sie werden daher oft zu den Diskursmarkern gerechnet. Die jeweiligen Diskursfunktionen sind in (4) aufgeführt: (4) weil → Marker für epistemische Begründung; für neuen Diskursabschnitt (neues Thema, Erzählsequenz u. ä.) (Gohl/Günthner 1999) obwohl, wobei → Dissens-/Korrekturmarker (Günthner 1999, 2000) während → Adversativmarker (Freywald, i. Vorb.) dass → Assertionsmarker (Freywald 2009) Wie ist die heutige Situation mit einer ganzen Reihe solcher Konjunktionspaare entstanden? Und wie lange gibt es diese Paare schon? Einerseits wird z. B. von Sandig (1973) und Selting (1999) die These vertreten, diese Optionen existierten durchgehend seit frühester Zeit. Andererseits wird hierin häufig ein rezentes Phänomen gesehen, das erst wenige Jahrzehnte alt ist (z. B. Hypothesen zur Herausbildung der heutigen Konjunktionspaare 67 Keller 1993, Gohl/Günthner 1999, Uhmann 1998). Ganz so neu kann es jedoch nicht sein, da es bereits früh, so z. B. in Baumgärtner (1959), Riesel (1964), und Eisenmann (1973), erwähnt wird und regelmäßig in den gesprochensprachlichen Korpora des IDS aus den 1950–70er Jahren zu finden ist. Die Kontinuitätshypothese wiederum erscheint geschwächt, da nur im kausalen Bereich, nämlich mit ahd./mhd. (h)wanta/wan(de), ein Lexem nachweisbar ist, das ‚beides kann‘, vgl. (5): (5) a. wan iu und iuwern kindern des himelrîches als nôt ist, sô sult ir iuwer kinder selber ziehen (Berthold v. Regensburg; zit. nach Eroms 1980: 104) b. Dâ soltû rehte deheinen zwîvel an hân, wan ez ist diu rehte wârheit (Berthold v. Regensburg; ebd.) Weder konzessive noch adversative Konjunktionen zeigen meines Wissens im älteren Deutsch eine vergleichbare Funktionsteilung. Belege für vermeintliche eingeleitete V2-Sätze sind meist Konstruktionen, bei denen Prozesse wie Ausklammerung oder Stellungsvarianz im Verbalkomplex zu nichtabsoluter Letztstellung geführt haben (vgl. Freywald 2010). Den Ausgangspunkt für die heutigen Konjunktionspaare könnten jedoch Konstruktionen gebildet haben, in denen der Konjunktion ein Satzglied direkt folgt, das nur schwer oder gar nicht an der Spitze des Mittelfelds stehen kann, aber typisch fürs Vorfeld ist, so dass der Satz mit V2 fortgeführt wird, vgl. (6). Bei diesen Satzgliedern handelt es sich in der Regel um Konstituenten, die präferiert am linken Rand stehen, z. B. Topiks (oft syntaktisch komplex, etwa als Linksversetzung, in Form von hypotaktischen Strukturen o. ä.), kontrastive Elemente oder rahmensetzende Adverbiale – es sind also informationsstrukturelle Faktoren, die hier zu einem syntaktischen Konflikt führen (s. hierzu Freywald 2008). (6) a. Die edel kindelpetterinn die het nyͤ kain rue, wann die geschëft die waren gros (H. Kottanerin, Denkwürdigkeiten, 21, 26–28, Wien 1445–1452; Bonner Fnhd.-Korpus) b. Ich will eigentlich nur ein Geschenk, und das sind Schlittschuhe, weil wenn man Rollschuh laufen kann, kann man auch Schlittschuh laufen! (Berliner Zeitung, 1997) c. Nu solt ir merkchen, daz desselbigen nachts, als wir komen waren, da kam ain solcher grasz wasser flus […] (H. Kottanerin, Denkwürdigkeiten, 35, 1–3, Wien 1445–1452; Bonner Fnhd.-Korpus) d. Beckers TV-Einsatz hat gezeigt, dass wenn jemand das Publikum begeistern kann, dann sind es die Oldies. (Die Zeit, 2008) e. Ich hab gelesen, dass in Sizilien gibt’s welche, die sind ein paar hundert Jahre alt. (eigenes Korpus, 2003) 68 Ulrike Freywald Sozusagen als Nebeneffekt ergibt sich, dass der ursprünglich nur als Konfliktlösung gedachte V2-Satz aufgrund seiner Form sowohl größeres pragmatisches Gewicht als auch Illokutionsfähigkeit erhält. Es setzt ein Reanalyseprozess ein, an dessen Ende die ehemals subordinierende Konjunktion als Assertionsmarker und der folgende Satz als selbständige Aussage interpretiert wird (vgl. Freywald, i. Vorb.). Die Geschichte der sehr viel jüngeren Konjunktionen obwohl, wobei und während ist bislang weit weniger gut untersucht als die von weil oder dass. Als subordinierende Konjunktion existiert obwohl etwa seit dem 18. Jh.; noch jünger ist während, es wird seit etwa 1800 als adversative Konjunktion gebraucht.2 Das Lexem wobei hat sich erst in jüngster Zeit aus dem Relativadverb zur Konjunktion und anschließend zum parataktischen Konnektor entwickelt (vgl. Günthner 2000: 332). Seit wann obwohl und während als Diskursmarker gebraucht werden können, ist unklar, fest steht jedoch, dass die parataktische der subordinierenden Verwendung nachgeordnet ist. Damit können die jeweiligen V2-Varianten nicht viel älter als 200 Jahre sein, also frühestens im 18./19. Jh. entstanden sein, eher später. Dieser Zeitraum markiert nun exakt das Ende der für parataktisches weil konstatierten Beleglücke (Selting 1999), die frühesten bekannten Belege für weil+V2 stammen aus Auswandererbriefen um Mitte des 19. Jh. (Elspaß 2005). Es scheint also durchaus plausibel, hier von einem allgemeineren Entwicklungsprozess auszugehen, der mehrere Konjunktionen gleichzeitig erfasst. Die Entwicklung von Diskursmarkern aus subordinierenden Konjunktionen wäre damit als relativ junges, jedoch nicht als aktuelles Wandelphänomen einzustufen. Von einem historisch kontinuierlichen Muster kann demnach wohl nicht gesprochen werden. Auch weil+V2 wäre nach derzeitigem Erkenntnisstand dann nicht als durchgehendes, sondern eher als ein wiederauflebendes Muster zu bezeichnen. Bibliographie BAUMGÄRTNER, K. (1959): Zur Syntax der Umgangssprache in Leipzig. Berlin. BONNER FNHD.-KORPUS, Das Bonner Frühneuhochdeutschkorpus. URL: http://www.korpora.org/ 2 Zur Entstehung von obwohl vgl. De Groodt (2002); adversatives und temporales während haben sich nahezu zeitgleich aus der temporalen Präposition entwickelt (vgl. Grimm DWB, Bd. 27, Sp. 810). Hypothesen zur Herausbildung der heutigen Konjunktionspaare 69 EISENMANN, F. (1973): Die Satzkonjunktionen in gesprochener Sprache. Vorkommen und Funktion untersucht an Tonbandaufnahmen aus BadenWürttemberg, Bayern-Schwaben und Vorarlberg. Tübingen. ELSPAß, S. (2005): Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum geschriebenen Alltagsdeutsch im 19. Jahrhundert. Tübingen. EROMS, H.-W. (1980): Funktionskonstanz und Systemstabilisierung bei den begründenden Konjunktionen im Deutschen, in: Sprachwissenschaft 5. S. 73–115. FREYWALD, U. (2008): Zur Syntax und Funktion von dass-Sätzen mit Verbzweitstellung, in: Deutsche Sprache 36. S. 246–285. FREYWALD, U. (2009): Kontexte für nicht-kanonische Verbzweitstellung: V2 nach dass und Verwandtes. In: EHRICH, V. / FORTMANN, C. / REICH, I. / REIS, M. 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