ZENTRUM DER MACHT
Die Kunstsammlungen der Salzburger Fürsterzbischöfe
Gemälde / Graphik / Kunstgewerbe
BAND 2
Roswitha Juffinger (Hg.)
ZENTRUM DER MACHT
Die Kunstsammlungen der Salzburger Fürsterzbischöfe
Gemälde / Graphik / Kunstgewerbe
Mit Beiträgen von
Christoph Brandhuber
Peter Husty
Roswitha Juffinger
Martin Krummholz
Johannes Ramharter
Oliver Ruggenthaler OFM
Residenzgalerie Salzburg
Inhaltsverzeichnis
Roswitha Juffinger
Einleitung
321
Johannes Ramharter
323
331
340
379
V.
Die Kunstkammer der Fürsterzbischöfe von Salzburg
V. I
Die Fürsterzbischöfliche Silberkammer
V. 2
Die Fürsterzbischöfliche Kunstkammer
Anhang
Die erhaltenen Inventare der Salzburger Silber- und Kunstkammer
Walter Schlegel / Roswitha Juffinger
381
V. 4
Zur Bau- und Ausstattungsgeschichte der Fürsterzbischöflichen Silberkammer
in der Salzburger Residenz
Christoph Brandhuber / Oliver Ruggenthaler OFM
395
VI.
Das Weltbild eines Kirchenfürsten im Spiegel des Bildprogramms der „Dietrichsruh“
Wolf Dietrichs verlorenes Paradies
396
VI. 1
Das Geheimnis von La Rochelle –
415
449
451
459
469
497
VI. 2
Der Perlenfischer – Wolf Dietrichs Referenz auf bedeutende europäische Kunstzentren
VI. 3
Der Residenztrakt „Dietrichsruh“
Familiäre Vernetzungen als Grundlage der Karriere Wolf Dietrich von Raitenaus
VI. 3. 1 Der Deckenstuck im Treppenhaus
VI. 3. 2 Der Herkules-Saal
VI. 4
Das Wolf-Dietrich-Oratorium
VI. 5
Zwischen Sonnenstaat und Geistergrotte
Der Franziskaner Lorenzo Mongiò – ein Ikonograph für Salzburg?
Christoph Brandhuber / Roswitha Juffinger
511
VII.
Faszination Stadt
Rekonstruktionsversuch des Klebebands der Städtebilder
in der Universitätsbibliothek Salzburg
Anhang
519
Rekonstruktion des Klebebands der Städtebilder
537
537
VIII.
VIII. 1
Die Gemäldegalerie des Erzstiftes Salzburg
Überlegungen zur „Alten Galerie“ / der Gemäldegalerie Wolf Dietrich von Raitenaus
sowie zur Gemäldesammlung von Matthäus Lang von Wellenburg
549
318
VIII. 2
Die Gemäldegalerie des Erzstiftes Salzburg zwischen 1668 und 1772
Martin Krummholz
561
IX.
Die Bilder des Hieronymus Graf von Colloredo (1674 – 1726)
,
Zu den Anfängen der Colloredo-Mannsfeld schen Gemäldesammlung
in Opočno und zur Baugeschichte des Prager Palais
Anhang 1
587
596
600
Anhang 2
Anhang 3
Roswitha Juffinger
605
X.
Zum Kunstverständnis von Fürsterzbischof Hieronymus Graf von Colloredo-Wallsee –
eine Annäherung
607
X. 1
Rom zwischen Klassizismus und Antikenbegeisterung
Anton Raphael Mengs – Johann Joachim Winckelmann
Kardinal Alessandro Albani – Johann Friedrich Reiffenstein
611
615
619
624
X. 2
Der Stellenwert von Domenichinos Kommunion des Hl. Hieronymus
X. 3
Zeitgenössische Gemäldesammlungen: Salzburg & Opočno
X. 4
Colloredos Bibliothek
X. 5
Bilder aus Colloredos Gemäldegalerie
Andreas Nesselthaler – Albert Christoph Dies – Gregorio Fidanza
Roswitha Juffinger
639
XI.
„Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“ –
ein europäisches Phänomen des 18. Jahrhunderts
Christoph Brandhuber
651
XII. 1
Colloredos Malerakademie und die Graphiksammlung
der Universitätsbibliothek Salzburg
Peter Husty
671
XII. 2
Die Sammlung von Gipsobjekten nach Antiken im Salzburg Museum
Imma Walderdorff
674
687
694
Index
Bibliographie
Abkürzungsverzeichnis
Roswitha Juffinger
695
Abbildungsnachweis
319
Abb. 15 Unbekannter Künstler, Rückenansicht des Torso Belvedere, Kohle, Weißhöhungen/blaues
Papier, 198x270 mm, Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 346, Detail/linke Seite
des Blattes
638
Roswitha Juffinger
XI.
„Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“ –
ein europäisches Phänomen des 18. Jahrhunderts
Hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte, die zur
Gründung von Kunstakademien im 18. Jh. führte,
seien die Vorläufer dieser Institutionen der Aufklärung kurz zusammengefasst. Verbunden mit dem in
Italien im 15. Jh. einsetzenden Interesse an antiker
Kultur – Geschichte, Mythologie und Kunst – eigneten sich einzelne Künstler wie Raffael in Eigeninitiative Kenntnisse zur Antike an, eine erste Institutionalisierung zur Vermittlung des Wissens über die Antike
erfolgte durch Giorgio Vasari (1511 – 1574) unter der
Schirmherrschaft der Medici 1563 in Florenz durch
die Gründung der „Accademia del Disegno“. Vasari nennt im Vorwort zum 3. Teil seiner KünstlerLebensbeschreibungen die Grundsätze, die in allen
Kunstgattungen zu berücksichtigen wären: „die
Kenntnis und Anwendung der richtigen Proportionen“,
„die täuschend echte Nachahmung der Natur“ und
„eine idealisierte Darstellungsweise nach dem Vorbild
der bedeutendsten Antiken. … Die von Vasari zusammengestellten Grundsätze wurden bis ins 19. Jahrhundert hinein an allen Akademien der Welt beachtet.“1
Die Idee eines Studiums nach antiker Skulptur
greift Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768)
in seiner Publikation „Gedancken über die Nachahmung der griechischen Werke in Malerei und
Bildhauerei“, die 1755 in Dresden erschien, auf; er
legte dar, dass die im Barock von den Künstlern
engagierten Modelle für Aktzeichnungen in überwiegender Mehrzahl zu schmächtig, zu füllig oder
durch Krankheiten wie Rachitis entstellt, dem
„klassischen“ Schönheits-Kanon nicht entsprachen
und somit für ein Studium nicht geeignet wären.
Im Gegensatz dazu hätten die Griechen für ihre
Skulpturen athletisch gebaute, durchtrainierte junge
Männer als Modelle vor Augen gehabt. 2 Beredtes
Zeugnis für die Wahl eines nicht eben athletischen
Modells bietet – im Vergleich zu einer römischen
Akademiestudie– eine bislang unbearbeitete Rötelzeichnung Andreas Nesselthalers. (Abb. 1 & 2) Winckelmann las im Frühjahr 1761 in der Villa Albani,
jenem Zeitraum, in dem Hieronymus Colloredo in
Rom lebte, Passagen aus dem 1762 in Zürich anonym herausgegebenen kunsttheoretischen Traktat
von Anton Raphael Mengs „Gedancken über die
Schönheit und den Geschmack in der Malerey“ vor,
das ebenfalls dem neuen Schönheits-Ideal huldigte
und u.a. von Carl Graf Firmian gelobt wurde.3
Mengs mietete Anfang der 1750er Jahre in Rom
ein Haus in der Via Sistina, in dem sich sein Atelier
befand, das innerhalb kurzer Zeit zu einem Zentrum für das Kunststudium wurde, denn obwohl
Mengs keinen konventionellen Unterricht anbot,
wurde sein Haus zu einer Anlaufstelle und einem
Treffpunkt für zwangslose Kunstgespräche und
kunsttheoretische Diskussionen, die bei gemeinsamen Besichtigungen von Kunstwerken ebenfalls
gepflegt wurden. Seinen Künstlerfreunden stand
überdies die Möglichkeit offen, nach Gipsabgüssen,
die Mengs von Antiken anfertigen hatte lassen, zu
zeichnen; seinen didaktischen Fähigkeiten entsprechend, pflegte Mengs die Zeichnungen der Anwesenden zu kommentieren, zu korrigieren und allgemein über Kunstprinzipien zu diskutieren. 4
Mengs erwarb 1759/1760 während seines Neapel-Aufenthaltes an die 300 antike Vasen aus der
Gegend von Nola.5 In Winckelmanns Veröffentlichungen finden sich Hinweise auf den Antikenbesitz von Mengs: in dessen „Monumenti antichi
inediti“ von 1767,6 dessen ersten Band Colloredo
nachweislich besaß, sind im zweiten Band antike
639
Abb. 1 Andreas Nesselthaler (1748 – 1821), Aktstudie, Rötel/
Papier, 553x416 mm, Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 464
Abb. 2 Agostino Rosi (1727 – ?), Stehender Akt, Juli 1755 / 2. Preis
des Wettbewerbs der „Accademia Capitolina del Nudo“, Rötel/
Papier, 545x380 mm, Rom, Archivio Storico dell’Accademia
Nazionale di San Luca B 14
Vasen der Mengs’schen Sammlung abgebildet, an
denen Mengs „die Perfektion der Zeichnung, die Ausdrucksfähigkeit für menschliche Regungen, die Regeln
der Proportion und die Grazie der maßvollen Bewegungen“ schätzte.7
Für Studienzwecke war jedoch die von Mengs ab
1753 angelegte Abguss-Sammlung von Bedeutung,
die im Verlauf der Jahre zu einer der größten ihrer
Art wurde und eine enorme didaktische Wirkung
hatte. Mengs richtete in seinem Haus für diese Gipssammlung einen eigenen Studiensaal mit Oberlicht
ein. Der Maler sah in dieser Sammlung – analog zu
seiner reichhaltigen Stichsammlung – Vorbilder für
den praktischen Unterricht und für das zeichneri640
sche Studium, daraus erklärt sich die große Anzahl
von Fragmenten, Köpfe, Füße und Hände.8
In Rom gab es seit den 1670er Jahren bereits
eine „Scuola del Nudo“, in der 1. Hälfte des 18. Jh.s
haben Künstler private Studiensäle für Aktzeichnung betrieben. Während seines ersten römischen
Aufenthaltes 1741 – 1744 besuchte Mengs die private
„Akademie“ von Marco Benefial (1684 – 1764), der
in seinem unkonventionellen Unterricht die Prinzipien der Aktzeichnung vermittelte und vor Kritik
an Künstlerkollegen nicht zurückscheute. Benefials
Privatschule dürfte für Ausländer auch insofern
attraktiv gewesen sein, als er keine Gebühren einhob.9 Eine Kompositions-Studie Benefials mit der
Roswitha Juffinger
Abb. 3 Marco Benefial (1684 – 1764), Liegender Akt, Rötel/Papier, Mailand, Accademia
delle Belle Arti di Brera
Abb. 4 Unbekannter Künstler, Liegender Akt, Rötel/Papier, 180x263 mm, Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 359
XI. „Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“
641
Abb. 7 Ermenegildo Costantini (1731 – 1791), Stehender Akt,
Juli 1755 / 1. Preis des Wettbewerbs der „Accademia Capitolina
del Nudo“, Rötel/Papier, 560x430 mm, Rom, Archivio Storico
dell’Accademia Nazionale di San Luca B 13
Abb. 8 Unbekannter Künstler, Stehender Akt, Rötel/Papier, 277x215 mm, Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 119/1 verso
642
Roswitha Juffinger
Abb. 5 Giovanni Domenico Campiglia (1692 – 1775), Studienbetrieb in der „Accademia del Nudo“ am Kapitol; skizzierende Studenten vor Gipsabgüssen von antiken Statuen der Kapitolinischen Sammlungen, 1755, Kupferstich aus Giovanni Gaetano Bottari (1689 – 1775): „Museo Capitolino“, 3. Bd., The Bodleian Library Oxford, Arch. Numm III. 14
Abb. 6 Unbekannter Künstler, Gegengleiche Studie nach dem „Sterbenden Gladiator“ aus den Kapitolinischen
Museen, Rom, Rötel/Papier, 135x196 mm, Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 119/2
XI. „Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“
643
Abb. 9 Martin Ferdinand Quadal (1736 – 1808), Der Aktsaal der Wiener Akademie im St. Anna-Gebäude, 1787, Bleistift, Eisengallustinte/Papier, 198x329 mm, Wien, Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste 30.020 B
Darstellung eines liegenden Aktes (Abb. 3) spiegelt
sich bei einer der erhaltenen Salzburger AkademieStudien (Abb. 4) – ein Zeichen für die allgemeine
Verbreitung des „Repertoirs“ hinsichtlich der Körperhaltungen der Modelle bei Aktstudien.10
1754 gründete Papst Benedikt XIV. die „Accademia del Nudo“ auf dem Kapitol, die frei zugänglich und kostenlos, Studierenden das Zeichnen
nach Aktmodellen ermöglichte.11 Durch diese offene
Struktur entwickelte sich die Zeichnungs-Akademie
zu einem kosmopolitischen Zentrum, Treffpunkt
junger Künstler aus den verschiedensten Ländern.
1757 unterrichtete Giovanni Domenico Campiglia (1692 – 1775) an der „Accademia del Nudo“,12
deren Studienbetrieb er 1755 im 3. Band des vom
Jansenisten Giovanni Gaetano Bottari (1689 –
1775)13 herausgegebenen Werkes „Museo Capitolino“ festhält (Abb. 5). Die Figur des seit 1737 in den
Kapitolinischen Sammlungen befindlichen „Sterbenden Gladiators“14 ist in Campiglias Darstellung
644
als Rückenakt zu sehen; die Haltung des gestürzten,
sich auf einen Arm aufstützenden Gladiators mit
geneigtem Haupt wurde in der Akademie eingehend
studiert und findet sich als gegengleich angelegte
Komposition in Vorderansicht bei den Salzburger
Aktstudien (Abb. 6). Als weiteres Beispiel einer
„klassischen Pose“ sei die im Kontrapost stehende
Figur eines Mannes mit aufgestütztem rechtem Arm
und nach links gedrehtem Kopf angeführt, einer
Haltung, die sich im Archiv der Accademia di San
Luca (Abb. 7) und im Konvolut der Salzburger Akademie-Handzeichnungen (Abb. 8) finden lässt.
Auf Grund der vielfachen kulturellen Beziehungen des Salzburger Hofes unter Colloredo zu Wien,
sei kurz auf die Wiener Akademie eingegangen. Der
Zeichenunterricht an der Wiener Akademie sah
analog zu den römischen Akademien das Zeichnen nach graphischen Vorlagen, nach Gipsabgüssen sowie nach dem lebenden Modell vor; in den
Akademie-Statuten von 1751 finden sich detaillierte
Roswitha Juffinger
Abb. 11 Unbekannter Künstler, Zwei Studien zu sitzendem Akt, Rötel/Papier, 197x264 mm,
Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 119/7
Abb. 10 Unbekannter Künstler, Liegender Akt, Rötel/Papier, Rötel mit Weißhöhungen/Papier, 280 x 425 mm, Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen H 266
XI. „Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“
645
Anweisungen für den Zeichenunterricht, inklusive
der Festlegung, an welchen Tagen und wann dieser
stattzufinden hätte.15
Die von Staatskanzler Wenzel Fürst KaunitzRietberg knapp nach der Mitte des 18. Jh.s reorganisierte Akademie, ab 1786 im St. Anna Gebäude
in der Annagasse untergebracht, wurde mit über
600 Studierenden in den 1790-er Jahren zur größten Kunstakademie Europas. Martin Ferdinand
Quadal (1736 – 1808) vermittelt in einer Skizze aus
dem Jahr 1787 einen Eindruck vom Lehrbetrieb und
den Lehrenden (Abb. 9); dargestellt ist nicht eine
reale Szene, sondern eine Zusammenstellung aller
Lehrenden, u. a. Heinrich Friedrich Füger (1751 –
1818), Johann Baptist Lampi (1751 – 1830) und Franz
Anton Maulbertsch (1724 – 1796), sowie von fünf
Schülern als Staffagefiguren.16 Die Positionen des
Modells wurden von den Professoren der Malerei
bzw. der Bildhauerei festgelegt, wobei es darum ging
bestimmte Muskelpartien durch gezielte Beleuchtung klar erkennbar zu machen (Abb. 10). Dies
diente einerseits den naturwissenschaftlichen Interessen, andererseits als erforderliche Grundlage der
Historienmalerei. In der Skizze Quadals ist die mit
einem Schirm versehene Lampe über dem Modell
aufgehängt, die den Körper aus einer bestimmten
Richtung beleuchtet und somit scharfe Licht- und
Schattenkontraste erzeugt.
Um den Modell-Stehenden die längerfristige
Einhaltung einer Pose zu erleichtern, wurden Hilfsmittel wie Postamente, Stöcke, und Stricke verwendet.17 Die bei Quadal gezeigte Sitzhaltung, bei der
das eine Bein nach vorne angehoben, das zweite
angewinkelt nach hinten gesetzt ist, findet sich in
abgewandelten Stellungen bei den Salzburger Akademie Blättern wieder (Abb. 11). In Quadals Zeichnung sieht man, wie Raimund Wünsche anmerkt, „
… das Aktmodell mit gespreizten Beinen, was an die
Bewegung des Laokoon erinnert, während die Drehung
des Oberkörpers und die Denkerpose vom Torso inspiriert sind.“18
Auf zwei dieser europaweit seit der Renaissance
hoch gepriesenen antiken Skulpturen, von denen
646
eine Unzahl von Abgüssen bzw. verkleinerte Versionen im Verlauf der Jahrhunderte hergestellt wurden,
sei an dieser Stelle wegen eines direkten SalzburgBezuges verwiesen: Borghese-Fechter und Torso
Belvedere.
Der Borghese-Fechter, ca. 100 v. Chr., Kopie
nach einem Original des 3. Jh. v. Chr., stammt
aus einer Villa Neros in Nettuno. 1613 in der Villa
Borghese in Rom aufgestellt, wurde die Marmorskulptur 1807, gemeinsam mit weiteren Werken aus
der Antikensammlung Borghese19 von Napoleon,
Schwager des Fürsten Camillo Borghese (1775 –
1832), erworben und befindet sich heute im Musée
du Louvre, Paris. Im 17. und 18. Jh. war der Borghese-Fechter eine der am meisten bewunderten und
vielfach kopierten Marmorstatuen der Antike.
Erzbischof Johann Ernst Graf von Thun (1643
– 1709; reg. 1687 – 1709) ließ um 1700 im Mirabellgarten insgesamt vier, auf Marmorsockel mit dem
Wappen des Fürsterzbischofs stehende, paarweise
gegengleiche Skulpturen in Anlehnung an den Borghese-Fechter aufstellen.20 Die beiden dem Garten
zugewandten Figuren (Abb. 12) stammen von Andreas Götzinger (um 1643 – 1711),21 die zwei zum heutigen Makartplatz gerichteten Figuren (Abb. 13) von
Bernhard Michael Mandl (um 1660 – 1711).22
Der in der 1. Hälfte des 15. Jh.s zum ersten Mal
erwähnte Torso Belvedere aus dem 1. Jh. v. Chr.
mit der Inschrift „Apollonios, der Sohn des Nestor, aus
Athen hat es gemacht“ (Abb. 14), wurde bereits um
1500 von Künstlern skizziert – der Sockel der Statue
war so gebrochen, dass die Figur nicht stehend, sondern bis ca. 1550, als man den Sockel ergänzte, auf
dem Rücken liegend gelagert war. Der Torso wurde
über die Jahrhunderte als ergänzte Sitzfigur in Kompositionen von Malern und Bildhauern übernommen, verwiesen sei beispielhaft auf Michelangelo.23
Die in Salzburg erhalten gebliebene Zeichnung
in schwarzer Kreide mit Weißhöhungen auf blauem
Papier stellt die ganz Europa umfassende Bewunderung dieser Figur unter Beweis, die Kunstkenner veranlasste, sich Zeichnungen dieser „Ikone des Altertums“ für deren Sammlung zuzulegen (Abb. 15).
Roswitha Juffinger
Abb. 12 Andreas Götzinger (um 1643 – 1711), zwei gegengleich gearbeitete Skulpturen nach dem Vorbild des Borghese-Fechters, um 1700, Salzburg, Mirabellgarten
Abb. 13 Bernhard Michael Mandl (um 1660 – 1711), zwei gegengleich gearbeitete Skulpturen nach
dem Vorbild des Borghese-Fechters, um 1700, Salzburg, Mirabellgarten
XI. „Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“
647
Parallel zur Institutionalisierung der ZeichnungsAkademien wächst die Anzahl der Lehrbücher. Herausgegriffen seien zwei Beispiele:
1. Giovanni Volpato (1733 – 1803): „Principj del
Disegno tratti dalle piú eccelenti Statue Antiche
per li Giovani che voglioni incamminarsi nello
studio delle Belle Arti, pubblicati ed incisi da
Giovanni Volpato e Raffaelle Morghen“, Rom
1786
In Volpatos Publikation werden den Studenten
Antikenvorlagen zum Abzeichnen geboten, der
Aufbau dieser Art von Vorlagebuch ist standardisiert – beginnend mit anatomischen Details
des Gesichts, dann Darstellungen des Kopfes
im Profil und frontal. Beim Körper folgen Analog vorerst Detailansichten der Gliedmaßen und
Extremitäten und in der Folge ganze Figuren.
Herangezogen werden die berühmtesten Antiken
– Apoll und Torso vom Belvedere, Borghesischer
Fechter, Herkules Farnese, Medici-Venus, etc.24
2. Johann Georg Sulzer (1720 – 1779): „Allgemeine
Theorie der Schönen Künste“, Leipzig 1771
Als Quintessenz der Funktion einer Akademie
findet sich bei Sulzer: „Die Akademie muss ferner
mit einem guten Vorrat von Sachen versehen sein,
die zu Erlernung der Zeichnungskunst notwendig sind. Diese bestehen vornehmlich in folgenden
Dingen: Zeichnungsbücher, in welchen zuerst die
einzelnen Teile der Figuren, die Form und Proportion der Köpfe, der Nasen, Ohren, Augen, u. s. f.
hernach ganze Hauptteile, endlich ganze Figuren
zum Nachzeichnen, in hinlänglicher Abwechslung
befindlich sind. Das Nachzeichnen dieser Originale
ist das erste, worin die Jugend geübt wird. Auf diese Zeichnungsbücher sollten nun Zeichnungen von
Figuren folgen, welche nach den vornehmsten Werken der Kunst gemacht sind; richtige Zeichnungen
von Antiken; auserlesene Figuren der größten Meister, eines Raphael, Michelangelo, der Carrache u.a.
bei deren Nachzeichnung die Jugend schon etwas
von den höhern Teilen der Kunst lernt.“25
Abb. 14 Apollonius von Athen, Torso Belvedere, 1. Jh. v.
Chr., Original: Rom, Vatikanische Museen, Foto: Gipsabguss, Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, München
648
Roswitha Juffinger
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Rügler, Axel: Zur Idee der Kunstakademien, in: Kunst und Aufklärung im 18. Jahrhundert. Kunstausbildung der Akademien.
Kunstvermittlung der Fürsten. Kunstsammlung der Universität.–
Stendal / Ruhpolding 2005, S. 23.
Siehe Fußnote 1, Rüger, 2005, S. 25.
Röttgen, Steffi: Die „Mengsische Akademie“ in Rom. Anton
Raphael Mengs, seine Schuld und Angelika Kauffmann“, in:
Baumgärtel, Bettina (Hg.): Angelika Kauffmann. Ostfildern – Ruit
1998, S. 54. Zu Karl Graf Firmian siehe auch den Beitrag Juffinger:
Zum Kunstverständnis Hieronymus Colloredos – eine Annäherung.
Roettgen, 2003, S. 122.
Röttgen, Steffi: Zum Antikenbesitz des Anton Raphael Mengs und
zur Geschichte und Wirkung seiner Abguß- und Formensammlung, in: Beck, H., P.C. Bol, W. Prinz, H. v. Steuben (Hg.), Antikensammlungen im 18. Jahrhundert.– Berlin 1981, S. 130.
Siehe Fußnote 5, Röttgen, 1981, S. 129.
Siehe Fußnote 5, Amaduzzi, G. C., in: Röttgen, 1981, S. 130, Fußnote 5.
Zur Geschichte des Aufbaus der Sammlung und des Verkaufs nach
dem Tod von Mengs siehe Fußnote 5, Röttgen, 1981, S. 133ff.
Roettgen, 2003, S. 83.
Zum Konvolut von Aktzeichnungen der Universitätsbibliothek
Salzburg siehe den Beitrag von Christoph Brandhuber.
Barroero, Liliana: I primi anni della schuola del Nudo in Campidoglio, in: Biagi Maino, Donatella: Benedetto XIV e le arti del disegno. Convegno internazionale di studi di storia dell’arte. – Roma
1998, S. 367. Zur Akademie allgemein siehe weiterführend auch:
Cipriani, Angela, Enrico Valeriani: I disegni di figura nell’Archivio
Storico dell’Accademia di San Luca, Bd. I & Bd. II, Roma 1989.
Quieto, Pierpaolo: Documenti per Giovanni Domenico Campiglia, in: Labyrinthos. Studi e ricerche sulle arti nei secoli XVIII e
XIX.– Firenze 1984, S. 166.
Palozzi, R.: Mons. Giovanni Bottari e il circolo dei giansenisti romani, in: Annali della R. Scuola Normale Superiore di Pisa, Serie II,
X., 1941.
14 Haskell, Francis, Nicholas Penny: Taste and the Antique. The Lure
of Classical Sculpture 1500 – 1900.– New Haven / London 1981, S.
224.
15 Knofler, Monika: Das Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien – Von einer Lehrmittelsammlung zur zweitgrößten graphischen Sammlung Österreichs, in: Mittelungen der
Winckelmann-Gesellschaft, Nr. 64, Beilage 2.– Stendal 2001, S. 3.
16 Siehe Fußnote 14, Knofler, 2001, S. 6 und Fußnote 13. In der
Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien, befindet sich das Ölgemälde Quadals mit der Darstellung des Aktsaales
von St. Anna, Inv. Nr. 100.
17 Siehe Fußnote 14, Knofler, 2001, S. 3.
18 Wünsche, Raimund: Der Torso. Ruhm und Rätsel.– München
1998, S.48–49.
19 Brigitte Kuhn-Forte: Antikensammlungen in Rom, in: A.Kat.
Stendal Römische Antikensammlungen im 18. Jahrhundert.–
Mainz 1998, S. 34–35,41.
20 Tietze, Hans, Franz Martin: ÖKT, Bd. XIII.– Wien 1914, S.
161,204 Abb. Fig. 263, 205; Haskell, Francis, Nicholas Penny: Taste
and the Antique. The Lure of Classical Sculpture 1500 – 1900.–
New Haven/London1981, S. 221. Mit Verweis auf die Figuren im
Mirabellgarten, Salzburg.
21 Ramharter, Johannes: „Weil der Altar alterhalben unförmblich und
paufellig…“: Rechtsfragen zur Ausstattung von Sakralbauten im
Salzburger Raum. (= Fontes Juris Band 12).– Wien 1996, S. 138 &
140; Ramharter, Johannes: Andreas Götzinger, in: Saur: Allgemeines Künstlerlexikon. Bd. 57 Goepfert – Gomez Feu.– München /
Leipzig 2008, S. 131.
22 Haslinger, Adolf, Peter Mittermayr (Hg.): Salzburger Kulturlexikon, Michael Bernhard Mandl.– Salzburg 1987, S. 307–308.
23 Siehe Fußnote 18, Wünsche, 1998.
24 Siehe Fußnote 1, Rügler, 2005, S. 57, Kat. Nr. 7: Giovanni Volpato
/ Raffaello Morghen, Venus Medici.
25 Siehe Fußnote 1, Rügler, 2005, S. 47–48: Kunze Max, Rügler Axel:
Lehr- und Vorlagebücher im 18. Jahrhundert.
XI. „Accademia del Disegno / Accademia del Nudo“
649