Zur Spätdatierung und den wirtschaftspolitischen Aspekten
des Attischen Münzdekretes IG I3 14531
Frank Hildebrandt
1. Einleitung
Obwohl das sog. Münzdekret bereits ausführliche Bearbeitungen
erfahren hat und kontroverse – mitunter sogar erbitterte –
Diskussionen geführt wurden, scheinen dem Verfasser einige
wesentliche Fragestellungen und Indizien eine zu geringe
Beachtung erfahren zu haben. Es kann und soll nicht Ziel dieses
Aufsatzes sein, die epigraphische und numismatische Diskussion
in allen Details nachzuzeichnen und erneut vorzulegen, sondern
vielmehr eine Gewichtung der Argumente unter verschiedenen
Fragestellungen vorzunehmen.
Der im englischsprachigen Raum als ‘Coinage Decree’ bezeichnete Volksbeschluß IG I³ 1453 ist einer der deutlichsten Belege für den attischen Imperialismus im Attisch-Delischen Seebund. Ziel ist es, nicht nur eine einheitliche – natürlich attische
– Münzprägung einzuführen, sondern auch ein neues Maß- und
Gewichtssystem zu etablieren. Neben den Fragen zu Vorgaben
des Dekretes, seinen Bestimmungen, deren Umsetzung und zur
Benennung der verantwortlichen Beamten gehört die Datierung
zu den interessantesten und schwierigsten Fragestellungen: entstand der Text mit seiner eindeutig imperialistischen Tendenz
bereits zur Zeit des Perikles und wurde als administratives Erfordernis in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Einführung der Tributlisten erlassen, oder zeigt sich hier die Entwicklung der Jahre
seit Beginn des Peloponnesischen Krieges und des Todes von Perikles unter dem radikalen Kleon, als Athen seinen Druck auf die
Bündner weiter erhöhte und Kleon zur politisch bestimmenden
Figur avanciert war?
Das Münzdekret ist aber nicht nur wegen seiner politischen
und wirtschaftlichen Inhalte und möglichen Auswirkungen
von Interesse, seine formale Gestaltung bildet vielmehr den
Ausgangspunkt für die Datierung zahlreicher anderer Inschriften
in der . Hälfte des 5. Jhs. v.Chr.3
Die zuvor genannten Fragestellungen lassen bereits die Problematik bisheriger und auch dieser Untersuchung erkennen:
Einerseits ist der Beschluß in seiner theoretischen Konzeption –
den enthaltenen Rechtsbestimmungen – zu verstehen und mit anderen Dekreten zu vergleichen, andererseits muß aber viel mehr
als bisher die Verfassungswirklichkeit als nicht unwesentliches
Kriterium für die historische Datierung berücksichtigt werden.
Veränderungen im Münzbestand, bei Gewichten und Maßeinheiten und Relexionen in den antiken Quellen oder in weiteren
Gesetzestexten können die reale Umsetzung und den Gebrauch
bezeugen.
Die Einzelfragmente des Münzdekretes stammen aus verschiedenen Regionen des Seebundes. In Athen selbst wurden
bisher keine Bruchstücke gefunden, die dem Münzdekret zugeordnet werden könnten. Konträr verhält es sich mit der Fundsituation des Lapis Primus, der des öfteren bei unterschiedlichen
Fragestellungen zum Münzdekret als wesentlich herangezogen
wurde. Die einzelnen Fragmente dieser Inschriftenstele, die eine
Aulistung der Tributzahlungen im Attisch-Delischen Seebund
enthält, wurden in Athen gefunden.
In der folgenden Arbeit sollen die vorhandenen Fragmente
vorgestellt und die Problematik ihrer Herkunft erläutert werden.
Es folgt eine Zusammenstellung des Inhaltes auf der Grundlage
1
2
3
Dieser Aufsatz basiert auf einer Seminararbeit an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bei Herrn Prof. Dr. H.-J. Gehrke, durch
dessen Ermutigung der Verfasser die Arbeit wieder aufnahm und
weiterführte. Für rege Diskussionsbeiträge und den gedanklichen
Austausch danke ich besonders Frau Dr. M. Weber (Freiburg).
Es werden zusätzlich folgende Abkürzungen verwendet:
ATL: B. D. Meritt - H. T. Wade-Gery - M. F. McGregor, The
Athenian Tribute Lists I-IV (1939-1953).
IG: Inscriptiones Graecae.
ML: R. Meiggs - D. Lewis, A Selection of Greek historical inscriptions to the end of the ifth century B.C (1969). [nur für die
Kennzeichnung der Iinschriftentexte verwendet]
H. B. Mattingly, Historia 10, 1961, 148 ff.; ders., in: I. Carradice,
Coinage and Administration in the Athenian and Persian Empire
(1987) 65 ff. und zuletzt A. Vickers, JHS 116, 1996, 136 ff.
Ein Beispiel ist das Kleinias-Dekret (IG I³ 34), das sprachlich eng
verwandt zu sein scheint; seine Datierung wird des öfteren vom
Münzdekret abhängig gemacht; siehe dazu H. B. Mattingly, Historia 10, 1961, 150; T. J. Figueira, The power of Money. Coinage and
Politics in the Athenian Empire (1998) 463.
des von R. Meiggs und D. Lewis abgedruckten Dekretes4 mit
Fragestellungen zur Übersetzung; daran anschließend soll zunächst die zeitliche Einordnung des Dekretes erörtert werden,
da sich hier bis heute die größten Differenzen in der modernen
Geschichtsforschung ergeben haben5. Den Abschluß bilden theoretische Überlegungen zu Bestimmungen und möglichen Auswirkungen im Rahmen der Hegemoniebestrebungen Athens.
Nicht wiederholt werden dabei detaillierte epigraphische
und numismatische Untersuchungen, die von E. Erxleben bereits 1969 und 1970 mit bestechender Präzision und umfassend
vorgelegt wurden6. Auch auf eine grundsätzliche Diskussion
zum Stellenwert der griechischen Wirtschaft des 5. Jhs. v.Chr.7
und einer Einordnung des Dekretes im Spannungsfeld zwischen
Wirtschaft und Politik wird verzichtet, da diese Fragen eine eigene Erörterung erfahren müßten. Vielmehr versteht sich diese
Untersuchung als Anregung zu einer erneuten Diskussion der
inhaltlichen und historischen Dimensionen des Dekretes. Zahlreiche direkte und indirekte Indizien erfordern eine Datierung in
die Zeit nach dem Tod des Perikles und nicht in die Jahre kurz
nach 450 v.Chr. Obwohl die Argumente einzeln betrachtet meist
nicht mehr als schattenhafte Hinweise zu sein scheinen, ergibt
ihre Verknüpfung ein geschlossenes Bild.
Neben den politischen und wirtschaftlichen Inhalten bietet
das Münzdekret zugleich einen Einblick in die strafrechtlichen
Verfahrensweisen im Athen der . Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. Während die Umstellung der Münzwährung und die dazu nötigen
Schritte nur lapidar aufgeführt werden, nehmen die Strafandrohungen für Verfehlungen der Beamten, der Bürger und der Bündner einen großen Raum ein.
2. Die sieben Inschriftenfragmente
Philologische und sachliche Überlegungen hatten U. von
Wilamowitz-Moellendorf 177 einen Gesetzestext vermuten
lassen, in dem eine Vereinheitlichung des Münzsystems
angestrebt wurde. Er stützte seine Argumentation auf zwei
Zeilen aus den ‘Vögeln’ des Aristophanes9, weil hier eine Parodie
eines Münzdekretes deutlich ablesbar ist. Da das Werk 414
v.Chr. erstmals in Athen aufgeführt worden war, akzeptierte die
Forschung dieses Datum als einen terminus ante quem für das
Dekret.
Die Funde von sieben Fragmenten, die mehr oder weniger
unterschiedliche Textpartien bieten, bestätigen die von U. von
4
5
6
7
8
9
ML 45. R. Meiggs und D. Lewis verwenden als Basis den unter
ATL II D 14 abgedruckten Text, des weiteren wurden die kritischen
Anmerkungen von M. N. Tod, JHS 69, 1949, 104 f. und der Autoren
eingearbeitet.
Die unterschiedlichen Vorschläge wurden von E. Erxleben, ArchPF
21, 1971, 145 f. ausführlich aufgelistet. Dieser Zusammenstellung
sind noch einige spätere Aufsätze hinzuzufügen, die bei T. J. Figueira, The power of Money. Coinage and Politics in the Athenian
Empire (1998) 431 ff. aufgeführt sind.
E. Erxleben, ArchPF 19, 1969, 91 ff.; ders., ArchPF 20, 1970, 66
ff.
Vgl. dazu die sog. Bücher-Meyer-Kontroverse: einen Überblick
vermittelt H. Schneider (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
der römischen Kaiserzeit (1981) 1 ff.; des weiteren: E. Will, Annales 9, 1954, 7 ff.; M. M. Austin, in: ders. – P. Vidal-Naquet (Hrsg.),
Economic and Social History of Ancient Greece (1977) 3 ff.; M. I.
Finley, Die antike Wirtschaft (1977); M. W. Frederiksen, JRS 65,
1975, 164 ff.
Daß eine solche Zusammenfassung vor dem Hintergrund der zahlreichen Datierungen in die zwanziger Jahre des 5. Jhs. v.Chr. nicht
unerlässlich ist, belegen die in den jüngsten Arbeiten von C. Koch,
Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991) 369 ff.; J.
Bleicken, Die athenische Demokratie4 (1994) 140; J. Spielvogel,
Wirtschaft und Geld bei Aristophanes. Untersuchungen zu den ökonomischen Bedingungen in Athen im Übergang vom 5. zum 4. Jh.
v.Chr. (2001) 105 mit Anm. 106 und Figueira a. O. 431 ff. 433
vorgelegten und bevorzugten Datierungen um 450 v.Chr. und Deutungen.
Siehe zu der Arbeit von T. J. Figueira und ihrer Beurteilung auch
die Rezensionen von M. H. Crawford, JHS 121, 2001, 199 ff. sowie
H. B. Mattingly, AJA 103, 1999, 713.
Aristophanes, Ornithes 1040-1041: »Χpῆσθαι Nεφελοĸοĸĸυγιᾶς τοĩσδε
τᾶς µέτpοισι καὶ σταθµοĩσι καὶ ψηφίσµασι, καθáπεpὈλοφúξιοι.«
ZUR SPäTDATIERUnG UnD DEn WIRTScHAFTSPoLITIScHEn ASPEKTEn DES ATTIScHEn MünZDEKRETES
Wilamowitz-Moellendorf 177 geäußerte Vermutung von der
Existenz eines solchen Dekretes. Der Text des Münzdekretes
wurde aus sieben Fragmenten rekonstruiert, die im gesamten Gebiet des Attisch-Delischen Seebundes zwischen 155 und 1959
gefunden wurden. Anders als bei bilateralen Dekreten, z.B. beim
Dekret von Erythrai10, dem Chalkis-Dekret11 oder dem Dekret
von Brea1, liegt also eine Maßnahme vor, die – mit Sicherheit
auch um erfolgreich sein zu können – überall verbindlich umgesetzt werden mußte.
1. 155 wurde ein weißes Marmorfragment13 einer
Inschriftenstele aus Smyrna von A. Baumeister erwähnt14,
das wahrscheinlich bei dem Brand des Museums 19
zerstört wurde15. Es wies ca. 50 Buchstaben je Zeile auf,
war aber nicht stoichedon geschrieben. 19 hatte sich
A. Wilhelm zu der Inschrift folgendermaßen geäußert:
»Eine von Baumeister einst in einer Sammlung zu Smyrna
gesehene, seither vergessene und verschollene Inschrift.«16
A. Wilhelm erkannte die Bedeutung der Inschrift und die
Zugehörigkeit zum Münzdekret17.
Die Polis Smyrna war im . Jh. v.Chr. von ionischen
Siedlern aus dem nahen Kolophon okkupiert worden;
sehr schnell gelangte die auf einer Halbinsel gelegene
Hafenstadt zu Reichtum. Um 600 v.Chr. wurde sie von
dem lydischen König Alyattes erobert und zerstört1. Seit
dieser Zeit war Smyrna nur noch schwach besiedelt19. Die
Tributlisten erlauben allerdings keine Aussagen, ob Smyrna
ein tributplichtiges Mitglied des Seebundes war.
. 1903 wurde ein 194 von L. Pollack gefundenes Fragment
aus Marmor0 von der Insel Siphnos veröffentlicht. Auch
diese Inschrift war nicht Stoichedon geschrieben und
wies ca. 33 Buchstaben je Zeile auf. Siphnos war eine der
reichsten Kykladeninseln, deren Marmor-, Eisen-, Blei- und
Goldvorkommen eine enorme wirtschaftliche Bedeutung
besaßen. In den Tributlisten wird die Insel seit 450/49 v.Chr.
mit einem Tribut von drei Talenten geführt, 45/4 v.Chr.
sogar mit neun Talenten1.
Auf Grundlage der Fragmente von Smyrna und Siphnos
begannen erste Untersuchungen: zunächst wurden zwei Dekrete
vermutet, eines zu Beginn des Peloponnesischen Krieges und
ein weiteres um 4 v.Chr.. Da auf dem Fragment von Smyrna
ein beschädigter Teil zu ‘...τó πpóτε]pον ψήφισμα ὃ Κλέαp[χος
ἒιπεν...’3 ergänzt wurde, schien diese Formulierung ein von einem
Klearchos eingebrachtes Gesetz zu implizieren.
3. 19 entdeckte N. D. Chavarias auf Syme, einer
Nachbarinsel von Rhodos, zwei Fragmente aus lokalem
10
11
1
13
14
15
16
17
18
19
0
1
3
IG I³ 14.
IG I³ 40.
IG I³ 46.
Die bei den Fragmenten im folgenden aufgeführten Maße basieren
den Angaben in IG I³ 1453, photographische Aufnahmen der Fragmente enthält die Publikation ATL II.
Frgt. Smyrna: Höhe und Breite unbekannt; heute verschollen.
A. Baumeister, Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten
Verhandlungen der königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften
zu Berlin (1855) 196: »In Smyrna sah ich ferner bei einem Verwandten des bekanntlich dort verstorbenen Lord Arundell eine Anzahl der von Letzterem auf seinen Reisen in Kleinasien gesammelten Sculpturfragmente; darunter auch folgende Inschriften, deren
Fundort also leider unbekannt bleibt.«
Nach M. H. Crawford, JHS 121, 2001, 199 wurden die Bruchstücke
sekundär dorthin verbracht.
D. Lewis, in: I. Carradice, Coinage and Administration in the Athenian and Persian Empire (1987) 53.
ATL II, 66, D 14.
A. Wilhelm, Jahreshefte I, Beiblatt, 43.
DNP 11 (2001) 661 ff. s. v. Smyrna (G. Petzl).
Zur Situation der Polis Smyrna zusammenfassend F. Kolb, Die
Stadt im Altertum (1984) 75 f.
Frgt. Siphnos: Höhe 0,20 m; Breite 0,20 m; Aufbewahrungsort: auf
Siphnos verbaut.
DNP 11 (2001) 589 f. s. v. Siphnos (A. Külzer).
Lewis a. O. 54.
Zur Ergänzung mit πpόtεpoν: Lewis a. O. 59; D. Whitehead, ZPE
118,1997, 170ff.
Kalkstein4. Sie ergänzten den Inschriftentext weiter. Das
größere Fragment weist ca. 60 Buchstaben je Zeile auf, ist
aber nicht in Stoichedon geschrieben5; das kleinere ist mit
ca. 55 Buchstaben je Zeile ebenfalls nicht in Stoichedon
geschrieben. Syme taucht im Jahr 433 v.Chr. erstmals in den
Tributlisten auf.
4. 1935 folgte ein weiteres großes, aus lokalem Kalkstein
bestehendes Bruchstück6 aus Aphytis, südlich von Poteidaia.
Es wurde von D. M. Robinson ediert7. Hier ist die rechte
Seite der Inschriftenstele erhalten. Die in Stoichedon mit 4
Buchstaben verfaßte Inschrift stimmt in den Zeilen 19 bis
6 mit dem großen Fragment von Syme überein. Die Stadt
Aphytis war ein treuer Bündner Athens und zahlte seit 451
v.Chr. Tribute. Die Treue der Stadt wurde bei Zahlungen in
den Jahren nach 430 v.Chr. mit einigen Zugeständnissen
belohnt9.
Die bis zum Jahr 1935 bekannten fünf Inschriftenfragmente waren
der ionischen Schriftform entsprechend mit einem vierstrichigen
Sigma als wesentlichem Merkmal geschrieben; dies legte
allgemein eine Datierung in die Zeit des Peloponnesischen
Krieges nahe.
5. 193 publizierte M. Segre ein großes, 1933 gefundenes
Fragment von der Insel Kos, das aber in attischem Alphabet
mit dreistrichigem Sigma auf „pentelischem Marmor“
niedergeschrieben worden war30. Er rekonstruierte die
Zeilen 1 bis 9 sowie 1 als Stoichedon mit 40 Buchstaben,
die Zeilen 10 und 11 sowie 13 bis 1 als Stoichedon mit
41 Buchstaben. Teile der Zeilen 1 bis 4 stimmen mit dem
kleinen Fragment von Syme überein, die Zeilen 9 bis 1
lassen sich mit dem Fragment von Aphytis korrelieren.
Auslöser und gleichzeitig Mittelpunkt der nun einsetzenden
erbitterten Diskussionen zur Veränderung des bisherigen
Zeitansatzes der Verabschiedung bzw. Inkraftsetzung
des Dekretes sind das dreistrichige Sigma und die
Marmorbestimmung. Dieses Fragmentes unterscheidet
sich durch das Vorkommen des dreistrichigen Sigma an
Stelle des vierstrichigen Sigma von den bisher Bekannten.
Das dreistrichige Sigma führte zu den unterschiedlichsten
Interpretationen: G. E. Bean und J. M. Cook stellten
1957 die These von einer attischen Marinebasis für Kos
auf31, während M. N. Tod 1949 einen alten, traditionell
arbeitenden Steinmetzen3 oder gar eine Überführung
des Dekretes aus Athen annahm, da in Athen die ionische
Schrift mit dem vierstrichigen Sigma erst im Jahr 403/
v.Chr. auf Veranlassung des Archonten Eukleides33
zur allgemeinen Anwendung kam. Es steht aber fest,
daß Athener Staatsinschriften wohl seit 446 v.Chr. das
vierstrichige Sigma verwendeten34. Ein Import des KosFragmentes aus Attika, das von M. Segre als pentelischer
24
5
26
27
28
9
30
31
3
33
34
Frgt. Syme, klein: Höhe 0,065 m; Breite 0,088 m; Aufbewahrungsort: Syme Museum.
Frgt. Syme, groß: Höhe 0,22 m; Breite 0,165 m; Aufbewahrungsort:
Syme Museum.
ATL II, 62, D 14.
Frgt. Aphytis: Höhe 0,50 m; Breite 0,33 m; Aufbewahrungsort:
Thessaloniki Museum Inv. 6801.
D. M. Robinson, AJPhil 56, 1935, 149 ff.
ATL II, 63f., D 14.
ATL II, 75, D 21.
M. Segre, Clara Rhodos 9 (1938) 151 ff.; W. K. Pritchett, BCH 89,
1965, 438 f. Abb. 13. 14.
Frgt. Kos: Höhe 0,235 m; Breite 0,29 m; Aufbewahrungsort: Kos
Museum.
G. E. Bean – J. M. Cook, BSA 52, 1957, 124 f.
M. N. Tod, JHS 69, 1949, 105. Dazu auch: W. K. Pritchett, BCH 87,
1963, 20.
Zu schriftlichen Quellen zum Archon Eukleides siehe J. S. Traill,
Persons of Ancient Athens 7 (1998) 304 Nr. 435935. Weitergehende Informationen zur Person des Eukleides wurden bisher nicht zusammengestellt, ihm ist aber neben der verbindlichen Einführung
des ionischen Alphabets (Diodor 14,12) eine große Reformtätigkeit
zuzuschreiben, die durch Andokides 1,87 ff. bekannt ist. Zu antiken
Belegen vgl. L. Threatte, The Grammar of Attic Inscriptions. I Phonology (1980) 26 ff.; R. Develin, Athenian Oficials, 684 – 321 B.C.
(1989) 199.
s. dazu später Anm. 55.
FRAnK HILDEBRAnDT
Marmor bezeichnet wurde35, konnte petrographisch nicht
gesichert werden, wahrscheinlicher ist nach A. Georgiadis
1965 die Verwendung eines lokalen Marmors36. Das von
A. Georgiadis vorgelegte Ergebnis wurde von A. Meritt
nicht akzeptiert, auch die von den Herausgebern der
Inscriptiones Graecae beauftragten Geologen zweifelten das
Untersuchungsergebnis an, daß es sich nicht um pentelischen
Marmor handelt37.
Die mögliche Herkunft aus Attika stützte neue Überlegungen zur
Datierung. In den Tributlisten ist in Athen ab der achten Eintragung,
mit dem Jahr 446/5 v.Chr., konsequent das vierstrichige Sigma
in Gebrauch. Da aber keine sicher datierbare Inschrift attischer
Buchstabenform mit dreistrichigem Sigma nach 446 v.Chr.
bekannt ist, wurde das Dekret nun allgemein in die Jahre von
450 bis 446 v.Chr. verschoben. Nicht nur die Interpretation der
Schriftform, sondern vielmehr ihre Auswirkung auf die Datierung
des Dekretes sind von einschneidender Bedeutung; darauf wird
weiter unten bei der Datierungsfrage genauer eingegangen.
6. 1959 wurde ein weiteres Bruchstück aus „Marmor“ bekannt3,
das seit ca. 1930 im Museum von Odessa aufbewahrt
wurde. Dieses Stoichedon geschriebene Fragment weist
41 Buchstaben je Zeile auf. In der Publikation wurde eine
Herkunft aus Olbia am Schwarzen Meer vermutet, da viele
Stücke im Museum von Odessa aus Olbia stammen39.
Dem widerspricht jedoch die Beschreibung des Marmors
im Vergleich zu der vorwiegend in Olbia gefundenen
Marmorsorte; der Inschriftenträger stammt demnach
nicht aus den für Olbia verwendeten Steinbrüchen. Selbst
wenn der Stein aus Olbia stammen sollte, so kann er doch
sekundär dorthin verschleppt worden sein, da Olbia niemals
Mitglied im Attisch-Delischen Seebund war. Seit der
Flottenexpedition des Perikles 435 v.Chr., richtete Athen
sein Interesse verstärkt auf das Pontosgebiet40, das immer
ein wichtiger Handelspartner war. Athen erhob erst seit 45
v.Chr. Tribute im Schwarzmeergebiet41.
Kein Fragment konnte einem sicheren archäologischen Kontext
zugeordnet werden, der Aussagen über Anbringung bzw.
Aufstellung erlaubt. Durch Überschneidungen und Korrelationen
konnte aber ein Text des Dekretes erstellt werden, der allerdings
immer noch große Lücken aufweist. Die Ergänzung fehlender
Teile der rekonstruierten Inschrift wird zusätzlich erschwert, da
nicht immer die Größe der Fehlstellen zu ermitteln ist.
Von den insgesamt sieben Fragmenten sind nur die drei von
Kos, Aphytis und das mittlerweile verschollene Stück in Odessa
stoichedon mit einer Spanne von 40 bis 4 Zeichen geschrieben.
Aufgrund ihrer Schrift in stoichedon wird von C. Koch 1991 ein
Originaltext in Athen mit ähnlichem formalen Aussehen angenommen.4
3. Inhalt des Münzdekretes
Wie aus der bei R. Meiggs und D. Lewis abgedruckten
Rekonstruktion des Münzdekretes43 ersichtlich wird, konnte
die Einleitung aufgrund ihrer starken Zerstörung bzw. der
fehlenden Überlieferung nicht vollständig hergestellt werden.
Auch bei den nachfolgenden Textpassagen sind andere
Lesarten und Übersetzungen möglich. Wahrscheinlich wurden
in den ersten Zeilen Gottheiten als Zeugen angerufen und
die eponymen Archonten genannt. R. Meiggs und D. Lewis
erwähnen in ihrem Kommentar Hephaistos und Athena, die in
44
35
36
37
38
39
40
41
42
43
Pritchett a. O. 20 äußerte sich kritisch zur Möglichkeit, eine exakte
Marmorbestimmung durch einfache Obduktion vorzunehmen.
A. Georgiadis, BCH 89, 1965, 400 ff.
IG I³ 1453, S. 894.
Frgt. Odessa: Höhe 0,157 m; Breite 0,183 m; heute verschollen.
Dazu ausführlich E. Erxleben, ArchPF 19, 1969, 63.
K. Hitzl, Die Gewichte griechischer Zeit aus Olympia, OF 25 (1996)
138.
V. A. Anochin, Die Pontische Expedition des Perikles und der Kimmerische Bosporos (437 v.Chr.), in: U. Peters (Hrsg.), Stephanos
nomismatikos. Festschrift für E. Schönert-Geiss (1998) 36.
C. Koch, Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991) 369.
ML 45. Welche Fragmente bei der an dieser Stelle abgedruckten
Rekonstruktion verwendet und kombiniert wurden, ist aus den beigefügten Anmerkungen der Autoren nicht zuverlässig ersichtlich.
3
einem unverständlichen Kontext genannt werden44, der aber
mit strafrechtlichen Konsequenzen verbunden ist. Mithin darf
angenommen werden, daß beide Götter als Zeugen und Schützer
des Eides auftreten, so daß das Dekret und die in ihm enthaltenen
Bestimmungen zusätzlich religiös legitimiert sind. Versteht man
die Gottheiten als Personiikationen, so treten Athena als Ergane,
zuständig für Handwerk und Handel, und Hephaistos als Gott der
metallbearbeitenden Handwerker – insbesondere der Schmiede
– auf45.
Zunächst werden die Beamten in den Bündnisstädten (...
ἄpχοντε[ς ἐν ταĩς π]óλεσι...) und die Archonten Athens genannt. In
einem zweiten Abschnitt, der möglicherweise noch mit der Aussage über die Archonten verbunden ist, erhalten die Hellenotamiai, also die Schatzmeister der Bundeskasse, den Auftrag, etwas niederzuschreiben oder eine Liste aufzustellen46. Bei einem
Verstoß soll der Fall sofort vor die Heliaia der Thesmothetai, ein
sechsköpiges Kollegium innerhalb der neun Archonten Athens,
gebracht werden. Diese müssen dann innerhalb von fünf Tagen
ein Verfahren einleiten und durchführen. Die Thesmothetai waren mit der Überprüfung der Hellenotamiai betraut.
Jeder, der gegen die Aulagen und das im Fall einer Mißachtung geregelte Vorgehen verstößt, soll der Atimia47 verfallen,
sein Vermögen wird eingezogen und der zehnte Teil an die Göttin
Athena abgeführt.
In diesem Abschnitt wird die juristische Vorgehensweise bei
Verfehlungen gegen die Grundlagen der Dekretsausarbeitung
abgehandelt. Die Hellenotamiai erhalten einen Auftrag, den sie
durchführen müssen; sollten Unregelmäßigkeiten auftreten, kann
dies sofort zu einem Prozeß vor einer der höchsten Gerichtsinstanzen in Athen, einer Auswahl aus den Archonten, die den
Vorsitz der Heliaia übernehmen, führen. Die Bestrafung beinhaltet neben dem Einzug des Vermögens vor allem die Atimia mit
der Aberkennung des Bürgerstatus.
Bei einer möglichen Abwesenheit athenischer Archonten in
den Bündnisstädten sollen die lokalen Beamten diese Bestimmungen umsetzen. Kommt es zu Unregelmäßigkeiten, erfolgt
eine Atimia-Anklage in Athen. Die Bestimmung der Exekutive
zeigt eindeutig, welchen Einluß Athen mit diesem Dekret auf
seine Bündner zu nehmen trachtete.
Bei der Umprägung des Silbergeldes (...τò ἀpγú[pιον...) sollen drei
Drachmen pro Mine als Gebühr bezahlt werden. Eine Umstellung
hat innerhalb kürzester Zeit zu erfolgen. Die einbehaltenen
Gebühren müssen ebenfalls ausgeprägt und dann den Strategen
übergeben werden.
Diese Textpassage gibt Anweisungen für den Ablauf des
Umtausches. Daß Athen eine rasche Umstellung verlangt, kann
nicht unbedingt auf machtpolitische Gründe, sondern wohl eher
auf wirtschaftliche zurückgeführt werden. Es erscheint allein
für die Kontrolle sinnvoller, die Umprägungen schnell durchzuführen, um den Handel nicht unnötig zu beeinträchtigen. Denn
Athen musste weiterhin ein großes Interesse daran haben, daß
durch eine prosperierende Wirtschaft einerseits die Einnahme der
Tribute gewährleistet war und andererseits die eigene, im Seebund bestimmende Wirtschaftskraft weiter wuchs.
Bei einem Aufbegehren gegen diesen Erlaß und beim Handel
mit fremden bzw. unzulässigen Münzen soll der Verantwortliche
von den ἕνδεĸα48 in einem Vorverfahren angeklagt und mit dem
Tod bestraft werden49.
45
46
47
48
49
R. Meiggs – D. Lewis, A selection of Greek historical inscriptions
to the end of the ifth century B.C. (1969) 114.
Zur engen Verbindung von Athena und Hephaistos in Athen s. RE
VIII.1 (1912) 311 ff. s. v. Hephaistos (Malten); zuletzt M. Steinhart, AA 2000, 382 ff., dazu kritisch Künstlerlexikon der Antike II
(2004) 219 s. v. Pheidias (Strocka).
K. Brodersen – W. Günther – H. H. Schmidt, Historische griechische Inschriften in Übersetzung Bd. 1 (1992) 44 Nr. 68. Hier wird
in der Übersetzung die auf ATL II D 14 basierende Ergänzung vorgenommen, daß die Hellenotamiai ein Verzeichnis der Münzprägestätten der einzelnen Bündnisstädte anlegen sollen; dies läßt sich
aber aus den Fragmenten der Inschrift nicht sicher belegen und soll
daher nicht berücksichtigt werden.
Dieselbe Strafandrohung indet sich auch in IG I³ 46,27. Zum Begriff und den Konsequenzen der Atimia s. RE II (1896) 2101 ff. s.
v. Ἀτιµíα (Thalheim); DNP 2 (1997) 215 s. v. Atimia (Thür).
Elfköpiges Gremium von Exekutivbeamten.
Koch a. O. 396.
4
ZUR SPäTDATIERUnG UnD DEn WIRTScHAFTSPoLITIScHEn ASPEKTEn DES ATTIScHEn MünZDEKRETES
Mit dieser strafrechtlichen Paraphrase wird eine Sicherung und
die Unanfechtbarkeit des Beschlusses festgelegt. Ob aber nur
die Exekutivbeamten Athens als Ankläger und ob alle Bürger
des Seebundes als anklagbar verstanden werden, läßt sich nicht
erschließen. Dennoch ist dieser Satz einer der deutlichsten
Belege für den attischen Imperialismus: Athen kann Dekrete
verabschieden, die für das ganze Seebundgebiet gültig und nicht
mehr anfechtbar sind.
Die Verbreitung erfolgt durch in der Volksversammlung zu
bestimmende Herolde, die in die Bezirke Hellespont, Ionien,
Thrakien und den Bereich der Inseln entsandt werden. Jedem
ĸήpυξ soll von den Strategoi eine Reiseroute vorgegeben werden.
Die genaue Ausführung ihres Auftrages wird mit hohen Strafen
sanktioniert – der Zahlung von 10.000 Drachmen.
Nach der Verkündung in den Bündnisstädten sollen athenische Beamte dafür Sorge tragen, daß der Beschluß auf einer
steinernen Stele in der Agora aufgestellt wird. Widersetzen sich
die Städte diesem Auftrag, sollen dies die Beamten in Eigenverantwortung vornehmen. In Athen erfolgte eine Aufstellung vor
der Münzstätte – wie aber bereits oben erwähnt, konnte in Athen
bisher kein Inschriftenrest als Münzdekret identiiziert werden.
Diese Textpassagen enthalten Anweisungen zur Verbreitung
des Erlasses bei den Bündnern. Auch hier wird der attische Imperialismus wieder sehr deutlich sichtbar; athenische Archonten
können in die Innenpolitik ihrer Bundesgenossen eingreifen und
gegen deren Interesse eine Aufstellung des Dekretes erzwingen.
Die Aufstellung beinhaltet gleichzeitig eine Umsetzung, da nach
der Bekanntgabe die strafrechtlichen Schritte eingeleitet werden
konnten.
Neben der eigentlichen Bestimmung und Umsetzung ist die
Aufnahme des Beschlusses in den Eid der Bouleuten von größter Bedeutung. In den Amtseid sollte aufgenommen werden, daß
die Bouleuten überwachen müssen, daß ausschließlich Münzen,
Maße und Gewichte nach attischem Standard verwendet werden
– erneut wird explizit auf das Silbergeld (...νóµισ[µα] ἀpγυpíου...)
verwiesen. In diesem Zusammenhang wird der ‘vorhergehende
Beschluß (τó ψήφισµα) des Klearchos’ erwähnt, der wohl zu bedeuten hat, daß es bereits vorher ein Dekret ähnlichen Inhaltes
gegeben hat, das von Klearchos eingebracht worden war50.
In dem nun folgenden Abschnitt wird in kurzer Form der
Ablauf des Umtausches erklärt: Die Münzstätten sollen Abrechnungstafeln öffentlich aufstellen. Jeder soll in seiner Heimatstadt das Geld umtauschen können, die Athener in ihrer eigenen
Münzstätte.
Eine Interpretation wie in der Übersetzung von K. Brodersen, W. Günther und H. H. Schmidt 19951 erscheint aus praktischen Gründen wenig sinnvoll, denn so wäre es nur sehr wenigen möglich gewesen, ihr Geld direkt nach Athen zu bringen
und dort umzutauschen. In der Forschung wurde mitunter angenommen, daß hier städteweise verfahren und die Münzstätten der
Bündner geschlossen werden sollten, so daß Athen das Monopol
der Prägung erhielt. Dem widerspricht aber der letzte erhaltene
Abschnitt, der von den Münzstätten eine genaue Dokumentation
und dadurch Transparenz des Umtauschvorganges verlangt.
4. Die Datierungsproblematik
Die Datierung des Dekretes ist eine der strittigsten Fragen,
auch wenn nach C. Howgego in der Forschung eine Datierung
in die Jahre von 430 bis 40 v.Chr. mittlerweile favorisiert
wird5. Als Argument konnten die ‘Vögel’ des Aristophanes53
von 414 v.Chr. als terminus ante quem angeführt werden, der
imperialistische Sprachstil wurde Kleon zugeordnet54. Auch
50
51
5
53
54
Da in dem Eid der Bouleuten die Strafverfolgung als Aufgabe angesprochen wird, könnte es aber auch denkbar sein, daß eine Bestrafung bei der Mißachtung von Beschlüssen durch die zuständigen
Bouleuten nach einem von Klearchos vorgeschlagenen Verfahren
oder Strafkatalog zu erfolgen hatte.
s. Anm. 46.
C. Howgego, Geld in der antiken Welt (2000) 51. Neuere Arbeiten,
die eine Datierung um die Mitte des 5. Jhs. v.Chr. vertreten, sind in
Anm. 6 aufgeführt.
Aristophanes, Ornithes 1040-1041.
R. Meiggs – D. Lewis, A selection of Greek historical inscriptions
to the end of the ifth century B.C. (1969) 114: »It was also widely
thought that the imperialistic tone of the decree relected the spirit
of Cleon and his associates.«
sah man keine Schwierigkeiten, den Inhalt auf die ersten
Jahren des Peloponnesischen Krieges zu beziehen, weil hier
die Notwendigkeit eines einheitlichen Münz-, Maß- und
Gewichtssystems durchaus gegeben war.
Vor der Veröffentlichung des attisch geschriebenen Fragmentes mit dem dreistrichigen Sigma von Kos 193 bestand kein
Zweifel an einer Spätdatierung des Dekretes in die Zeit vor 414
v.Chr.55.
Diese Ansicht wurde aber nach der Aufindung des Fragmentes von Kos aufgrund der attischen Buchstaben und des
dreistrichigen Sigmas verworfen, das nach Ausweis der Tributlisten in Athen nach 446 v.Chr. nicht mehr verwendet wurde. Und
tatsächlich scheinen alle staatlichen Dokumente in Athen nach
dem Jahr 446 v.Chr. ein vierstrichiges Sigma aufzuweisen. Es
besteht die auf den Tributlisten basierende Lehrmeinung, daß
diese Buchstabenform – das dreistrichige Sigma – zugunsten
des vierstrichigen Sigma 445 v.Chr. aufgegeben worden war56.
Das Argument kann jedoch nicht überzeugen, da verschiedene
Inschriften auch der . Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. das dreistrichige
Sigma aufweisen, so hat bereits M. N. Tod versucht, eine Datierung nach 445 v.Chr. unter Verweis auf das dreistrichige Sigma
auf samischen Horossteinen zu belegen, die mit dem Aufstand
von 440/39 v.Chr. in Zusammenhang zu bringen seien57.
H. B. Mattingly brachte eine allgemeine Kritik an der Feindatierung anhand von Buchstabenformen vor5. Er führte das athenische Hamaxitos-Dekret59 an, das in der Troas gefunden worden
ist60. Es ist in attischer Schrift geschrieben, jedoch mit einem
vierstrichigen Sigma, und zeigt formale Bezüge zum Dekret auf
dem Kos-Fragment. Die von Lesbos abhängige Peraia, in der Hamaxitos liegt, iel erst nach dem Zusammenbruch der Revolte
von Mytilene 47 v.Chr.61 an Athen. Dieser terminus post quem
und die Bezüge zum Fragment von Kos ermöglichen auch für
dieses eine Datierung nach 430 v.Chr.
Des weiteren kann hier auf einen nur teilweise erhaltenen
Bündnisvertrag zwischen Athen und Egesta6 verwiesen werden.
Wie u. a. M. H. Chambers nachweisen konnten, ist der dort vermerkte Archontenname nicht mit dem Jahr 45/7 v.Chr. zu verbinden, sondern trotz des dreistrichigen Sigma in das Jahr 41/7
v.Chr. zu datieren63.
Es ist also nachgewiesen, daß das dreistrichige Sigma auch
nach 446 v.Chr. Verwendung fand. Das Argument des dreistrichigen Sigma verliert demnach seine Bedeutung für die Datierung des Dekretes64. Gerade die angeführten Dekrete aus dem
Seebundgebiet weisen auch Jahrzehnte nach 446 v.Chr. – dem
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
So ordnete M. N. Tod es bereits 1933 in die Jahre zwischen 430
und 415 v.Chr. ein, siehe dazu R. Meiggs – D. Lewis, A selection
of Greek historical inscriptions to the end of the ifth century B.C.
(1969) 114. Auch F. Hiller von Gaertringen datierte in IG I² 295
bzw. IG I³ 1453 E das Dekret 1924 auf Grundlage des Fragmentes
von Siphnos vor 415/4 v.Chr., als Kopien der Syme-Fragmente von
1925 in die Jahre vor 420/19 v.Chr. (F. Hiller von Gaertringen, AEphem 1923, 116f.). E. Erxleben, ArchPF 21, 1971, 161.
R. Meiggs – D. Lewis, A selection of Greek historical inscriptions
to the end of the ifth century B.C. (1969) 115: »The crucial letter-form was the early three-barred sigma, which, by a generally
accepted criterion, had become obsolete by 445.«; M. B. Walbank,
Athenian Proxenies of the Fifth Century B.C. (1978) 39 ff.
M. N. Tod, JHS 69, 1949, 104 f. Des weiteren J. P. Barron, JHS 84,
1964, 35 ff.
H. B. Mattingly, Historia 10, 1961, 149 f.; ders., Klio 75, 1993, 99
ff.; ders., ZPE 126, 1999, 117 ff. Zur epigraphischen Diskussion
siehe auch T. J. Figueira, The Power of Money. Coinage and Politics in the Athenian Empire (1998) 330 ff. 381. Kritisch zur Datierung anhand der Buchstabenformen B. F. Cook, Greek Inscriptions
(1987) 14.
IG I³ 1454.
Dazu: E. Schwertheim, Ein Dekretfragment aus dem 5. Jh. v.Chr.
aus Hamaxitus, VI. Aristirma Sonuçlari Toplantisi (1988) 283 ff.;
T. J. Figueira, The Power of Money. Coinage and Politics in the
Athenian Empire (1998) 347 f.
Thukydides 3,50,3; A. Vickers, JHS 116, 1996, 172.
IG I³ 11.
M. H. Chambers – R. Galluci – P. Spanos, ZPE 83, 1990, 38 ff.; K.
Hitzl, Die Gewichte griechischer Zeit aus Olympia, OF 25 (1996)
100 mit Anm. 601.
Zur Datierung von Inschriften anhand der Ausführung des Sigma s.
A. Henry, ZPE 120, 1998, 45 ff.
FRAnK HILDEBRAnDT
in Athen gemeinhin als markant angenommenen Datum für den
Wechsel zum vierstrichigen Sigma – diesen Buchstaben auf.
Zu einer weiteren Relativierung der Bedeutung der Schrift als
Datierungskriterium führen folgende Überlegungen: Jedes neue
Mitglied hätte bei seinem Eintritt in den Seebund dieses Dekret
aufstellen müssen, dessen Original durchaus schon vor der Kopie
für das neue Mitglied existiert haben kann65.
Die Unsicherheiten bei der genauen Geschichte der Bündner
und der Zuweisung der Fragmente ermöglicht daher keine geschlossene Argumentation. Da die Stadt Syme erst 433 v.Chr. in
die Tributlisten aufgenommen wurde, kann das Fragment nicht
früher datiert werden – es fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt für
eine Datierung des Dekretes selbst.
Es muß an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen werden, daß das dreistrichige Sigma nur auf ofiziellen / staatlichen
Dokumenten in Athen und Attika mit dem Jahr 446 v.Chr. vom
vierstrichigen Sigma abgelöst wird, was allerdings nicht bedeutet, daß andernorts eine weitere Verwendung des dreistrichigen
Sigma unmöglich gewesen ist. Dies führt nun zu der Frage, ob
die von Athen für den Seebund bestimmten Beschlüsse von den
Bündnern selbst niedergeschrieben wurden oder eine zentrale
Fertigung in Athen existierte, so daß die Tafeln und Stelen nur
noch an die Bündner-Poleis verschickt werden mußten. Eine befriedigende Antwort könnte möglicherweise eine petrographische
Untersuchung der verwendeten Inschriftenträger aller erhaltenen
Fragmente bieten, denn die bisherigen Bezeichnungen als „lokaler Kalkstein“ oder „Marmor“ reichen nicht aus66. Sie lassen aber
bereits erkennen, daß unterschiedliches Material verwendet wurde; was wiederum nur den Schluß zuläßt, daß das Dekret in der
jeweiligen Polis eigenständig niedergeschrieben wurde. Gegen
eine zentralisierte Herstellung in Athen sprechen die fehlenden
historischen und archäologischen Zeugnisse dort. Die Inhomogenität der in Stein ausgeführten Beschlüsse zeigt sich auch in der
Besonderheit, daß nur auf den Fragmenten von Kos, Aphytis und
Odessa, nicht aber auf denen von Syme, Siphnos und Smyrna, im
Stoichedon-System geschrieben wurde; dies sind deutliche Belege für lokale Herstellungen der Inschriftenstelen in den Bündnisstädten.
B. D. Meritt scheint sich der Bedeutung der Materialfrage in
keiner Weise bewußt zu sein, wenn er die Frage nach dem Steinmaterial mit folgender Aussage abtut und seine Argumentation
nur auf epigraphische Besonderheiten aufbaut: »But the identity
of the marble is irrelevant to the question of the Attic text and its
date.«67
Als weitere Veriizierungsmöglichkeit für die Datierung des
Dekretes wurde oft die Numismatik herangezogen, indem nach
Unterbrechungen lokaler Prägungen, veränderten Standards und
dem verstärkten Vorkommen attischer Münzen im Seebundgebiet
gesucht wurde6. Es zeigt sich aber kein Bruch im 3. Viertel des
5. Jhs. v.Chr. bei den großen nordägäischen Münzprägestätten
von Abdera, Akanthos, Mende, Maroneia und Ainos69. Auch in
anderen Bezirken konnte keine Einschränkung der Prägetätigkeit
festgestellt werden, so prägten die Poleis, u. a. auf der Insel Rhodos, bis in die Jahre nach 430 v.Chr. sicher nicht nach attischem
65
66
67
68
69
Mattingly a. O. 100.
R. Meiggs – D. Lewis, A selection of Greek historical inscriptions
to the end of the ifth century B.C. (1969) 111, sprechen von zwei
Fragmenten aus lokalem Kalkstein (Syme) und drei Fragmenten aus
Marmor (Aphytis, Kos, Siphnos); da die anderen Fragmente nicht
mehr zugänglich sind, ist eine Klassiizierung hier nicht möglich.
Die Autoren differenzieren die Marmorfragmente nicht weiter.
Wie undifferenziert auf das Steinmaterial eingegangen wird, zeigen
die Anmerkungen in ATL II, D 14: dort wird für die Fragmente
von Syme als Material »local limestone«, für das Bruchstück von
Aphytis »native limestone« genannt, wobei der Unterschied zwischen beidem nicht ersichtlich wird. Diese Beobachtung verdeutlicht, welchen Wert die Autoren den Inschriftenträgern beigemessen
haben und daß das verwendete Material nicht in die Überlegungen
einbezogen wurde.
B. D. Meritt, GrRomByzSt 8, 1967, 126.
P. Gardener, JHS 33, 1913, 147 ff.; E. S. G. Robinson, The Athenian currency decree and the coinages of the allies, Hesperia Suppl.
8 (1949); in Kürze zur Diskussion s. auch R. Meiggs – D. Lewis,
A selection of Greek historical inscriptions to the end of the ifth
century B.C. (1969) 115 f.
C. Howgego, Geld in der antiken Welt (2000) 51. Ebenso auch M.
Price, The coinages of the northern Aegean (1987) 45 ff.
5
Münzfuß70. Bei der Bedeutung des Münzdekretes wären aber mit
Sicherheit bei einer Frühdatierung Maßnahmen Athens faßbar,
um die Realisierung voranzutreiben. Auch müßte sich statistisch
im Münzbefund eine Häufung athenischer Münzen nachweisen
lassen, aber weder bei Fundmünzen noch in Hortfunden ist eine
erhöhte Anzahl festzustellen71. Nur für die Zeit des Peloponnesischen Krieges, als Athen große Ressourcen in Kämpfen gebunden hatte und ohnehin mit abfallenden Bündnern beschäftigt war,
läßt sich erklären, warum die Umsetzung nicht eindrücklicher
betrieben wurde.
Die Beobachtung von E. Erxleben, daß sich in Siphnos und
Athandros um 450 v.Chr. eine Unterbrechung der Prägetätigkeit
feststellen läßt7, könnte für diese eher unbedeutenden Poleis
auch mit anderen Gründen erklärt werden, z. B. einem quantitativ
ausreichenden Münzbestand oder einer langen Dauer der Münztypen und der somit fehlenden Differenzierungsmöglichkeit.
Sowohl H. B. Mattingly als auch E. Erxleben weisen als
Beleg für eine Spätdatierung des Dekretes auf den Schatzfund
von Kaliandra, der vor 43 v.Chr. zu datieren ist, und den „Silversmith“-Hort hin, datiert um 430 v.Chr.73: Dieser Hort mit insgesamt 15 Silbermünzen wurde 15 in Naukratis gefunden; er
enthielt drei samische Tetradrachmen, von denen eine nach B.
V. Head74 in die Zeit nach 439 v.Chr. zu datieren ist. Begründet
wird dies u. a. mit einem ebenfalls dem Hortfund angehörenden
lykischen Stater des Dynasten Kuprrli75, der nach O. Mørkholm
um 450 v.Chr. geprägt wurde76. Der Stater scheint ca. 15 bis 0
Jahre im Umlauf gewesen zu sein, was eine Niederlegung des
Hortes frühestens in den späten 430er Jahren bedeuten würde.
Die somit nach 439 v.Chr. zu datierende samische Tetradrachme
belegt, daß auch nach der samischen Expedition des Perikles die
Polis eigene Münzen nach eigenem Standard prägte und keine
Unterbrechung der Prägetätigkeit zu diesem Zeitpunkt nachweisbar ist.
Der Schatzfund von Kaliandra enthält Münzen der BündnerPoleis – insbesondere von Mende –, die nach 450 v.Chr. nach
euböischem Gewichtsstandard geprägt wurden und sich nicht am
attischen Standard orientieren77. Dies bedeutet, daß in den 440er
Jahren keine Auswirkungen des Münzdekretes erkennbar sind,
was sich letzten Endes nur durch die Inexistenz erklären läßt.
Auch die Nennung eines Kλέαpχος vermag keinen Anhaltspunkt
für die Datierung zu geben, da er ansonsten nirgends erwähnt
wird. Nach D. Lewis ist es vorstellbar, daß es zwei Münzdekrete
gab – möglicherweise wurden mehrere Versuche einer Vereinheitlichung unternommen7. Falls nun das zweite Dekret einen
großen Teil des Vorausgegangenen aufgenommen hätte, wäre
eine Datierung in die Jahre von 449 bis 446 v.Chr. möglich,
allerdings nicht wahrscheinlich. Diese Argumentation für die
Frühdatierung basiert auf der Formulierung ‘τó πpóτε]poν ψήφισµα
ὃ Κλέαp[χος ἔιπεν’. Nach D. Lewis könnte das Dekret aber auch
als ‘früher’ bezeichnet worden sein, weil der Eid der Bouleuten
erst später erfolgte. Eine solche Interpretation erscheint aber vor
dem Hintergrund erhaltener Dekrete nicht sehr wahrscheinlich
und läßt sich nicht belegen. Es wurde auch ein allgemeines
Prozeßrecht angenommen, das auf Initiative des Klearchos
verabschiedet worden war und auf das sich die Bouleuten stützen
sollten; dieser Erlaß hätte dann generell gefaßte grundlegende
70
71
72
73
74
75
76
77
78
E. S. G. Robinson, The Athenian currency decree and the coinages
of the allies, Hesperia Suppl. 8 (1949) 330 ff. Zu Chios vgl. N. M.
M. Hardwick, The Coinage of Chios from Sixth to the Fourth Century B.C. (1991) 123 ff. 149.
Robinson a. O. 338 ff.
E. Erxleben, ArchPF 20, 1970, 131.
H. B. Mattingly, JHS 101, 1981, 82 ff.; zur Datierung in das 3. Viertel des 5. Jhs. v.Chr. vgl. M. Thompson – O. Mørkholm – C. M.
Kraay, An Inventory of Greek Coin Hoards (1973) 231 Nr. 1647.
– Zu einem weiteren Hortfund s. J. H. Kagan, The Decadrachm
Hoard. Chronology and Consequences, Coinage and Administration in the Athenian and Persian Empires (1987) bes. 25 f.
W. M. Flinders Petri, Naukratis I (1886) 64 f.
BMC Lycia (1897) 15 Nr. 71.
O. Mørkholm – J. Zahle, ActaArch 43, 1972, 75.
Robinson a. O. 334 f.; E. Erxleben, ArchPF 20, 1970, 112 f.
D. Lewis, in: I. Carradice, Coinage and Administration in the Athenian and Persian Empire (1987) 59.
6
ZUR SPäTDATIERUnG UnD DEn WIRTScHAFTSPoLITIScHEn ASPEKTEn DES ATTIScHEn MünZDEKRETES
Bestimmungen, etwa zum Verfahrensablauf, enthalten79. Gegen
diese Überlegungen führte C. Koch an, daß dies in einer weiteren
Phase zu allgemeinen Prozeßgesetzen geführt haben müßte, die
aber nicht nachweisbar sind.
Bei der Frage nach einer inhaltlich begründeten Datierung
des Dekretes verwies E. Erxleben auf die Nennung der Tributbezirke. Er datierte das Dekret nach 445 v.Chr. mit der Begründung, daß nur vier Tributbezirke (die Inseln, Ionien, Hellespont
und Thrakien) genannt werden, wie es seit 43 v.Chr. in den
Tributlisten üblich war0. Von 443 bis 43 v.Chr. war Karien als
ein fünfter Bezirk aufgeführt worden, davor ist die Aufteilung
aber nicht eindeutig. B. D. Meritt und H. T. Wade-Gery haben
bei der Bearbeitung der athenischen Tributlisten auf eine Periode im Zeitraum von 450 bis 446 v.Chr. aufmerksam gemacht,
in der scheinbar nur vier Bezirke genannt werden1. In Hinblick
auf das dreistrichige Sigma ergäbe sich eine Datierung in diesen
Zeitraum. Aus den Listen 5, 7 und lassen sich allerdings keine
Bezirke erschließen, da einzelne Blöcke immer wieder von geographisch abweichenden Poleis unterbrochen werden, so daß sie
auch nicht als Argument für eine Vierzahl dienen können. Wiederum wird diesem Umstand – wie auch bei der Materialfrage
– von B.D. Meritt nur eine wohl zu geringe Bedeutung beigemessen3. Darf es erlaubt sein, Argumente für eine Frühdatierung
geltend zu machen, die bei näherer Betrachtung problematisch
sind?
Als auf Veranlassung des Perikles der Panhellenische Kongreß zusammengerufen werden sollte, entsandte Athen 0 Boten
in Gruppen zu je fünf Mann, wie Plutarch berichtet4. Es handelt
sich also um die in attischen Inschriften immer wieder genannte
Gliederung in vier Bezirke, aus denen auch die Seebundtribute
gezahlt wurden.
E. Erxleben verwies ferner auf die Reihenfolge der Nennung,
die sich so in der 34. Liste von 41/0 v.Chr., dem sog. Thoudippos- und dem Kleinias-Dekret (IG I³ 34) wiederindet5; ob diese
Argumentation aber aussagekräftig ist, wird von W. Schuller angezweifelt, weil auch bei den Tributlisten keine Systematik in der
Aufeinanderfolge der Bezirke und Poleis erkennbar ist6.
Ähnlich wie im Kleinias-Dekret (IG I³ 34) sieht E. Erxleben
im Münzdekret eine eingeschränkte Rechtsgewalt des Rates, die
für die Spätzeit charakteristisch sei. Das Eisangelie-Verfahren
bei der Übertretung oder fehlerhaften Ausführung sei ein Kennzeichen für den Machtverlust.
Als terminus ante quem blieb auch bei E. Erxleben die kurze Passage in den ‘Vögeln’ des Aristophanes als Argument für
79
80
81
82
83
84
85
86
C. Koch, Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991) 400
ff. Ebenso im folgenden.
E. Erxleben, ArchPF 21, 1971, 147 ff.; W. Schuller, Die Herrschaft
der Athener im Ersten Attischen Seebund (1974) 212.
B. D. Meritt – H. T. Wade-Gery, JHS 82, 1962, 68. Das diese Anzahl nicht absolut gesichert ist, räumt B. D. Meritt, GrRomByzSt 8,
1967, 125 f. selbst ein.
ATL II, D 14: »The dating of the coinage decree depends on its letterforms, especially the three-bar sigma…«
B.D. Meritt, GrRomByzSt 8, 1967, 126: »...the question of four districts instead of ive in the second assessment period is still open,
but of little meaningful importance;…«
Plutarch, Perikles 17,2.
E. Erxleben, ArchPF 21, 1971, 151 f.
Schuller a. O. 212; L. Kallett, Hesperia 73, 2004, 465 ff. Zwar hat
M. Steinhart, BCH 121, 1997, 33 ff. für die Schlangensäule in Delphi wahrscheinlich machen können, daß die Nennung der stiftenden
Poleis einem festen System entsprach. Die attischen Tributlisten
weisen aber eine nahezu jährliche Veränderung der Reihenfolge
auf. Es darf gefolgert werden, daß auch andere attische Dekrete
formal die Bezirke enthalten mussten, eine synchrone nennung
aber nicht vorgesehen war. Als passender Vergleich wären hier die
unterschiedlichen delphischen Theorodokenlisten zu nennen, deren
Abfolge vielmehr einer Aufteilung in geographische Zonen entspricht; zu den Theorodokenlisten vgl. Steinhart a. O. 66.
Auch D. Lewis, in: I. Carradice, Coinage and Administration in
the Athenian and Persian Empire (1987) 59 maß der Reihenfolge
keine Bedeutung bei: »I have never seen any necessary connection
between the journeys and the way that tribute lists and assessments
are organized; I am perfectly prepared to contemplate the possibility
that the Athenians varied their procedures and word-order without
there being any particular signiicance to the variations.«
eine spätere Datierung bestehen7. Gerade dieser Textstelle mißt
allerdings C. Koch – m. E. zu Unrecht – keine Aussagekraft
bei: Er plädiert für eine Frühdatierung in die Jahre von 450
bis 446 v.Chr.9, räumt aber selbst ein, daß die in den ionischen
Fragmenten erkennbaren älteren Dativendungen auf -εσι und ασι nicht herangezogen werden können, da sie bis 419/ v.Chr.
nachweisbar sind90. Auch wird die Anzahl der Tributbezirke als
Datierungskriterium verworfen. Hauptbestandteil der Argumentation ist die bereits genannte Textpassage in den ‘Vögeln’ des
Aristophanes, in denen C. Koch eine historisierende Fassung des
Nomos festzustellen glaubt, deren Ursprung dann nicht mit der
Aufführung 414 v.Chr. verbunden werden kann. Bei dem Verkaufsangebot der Händler handelt es sich um eine bilaterale Vereinbarung der Verkäufer aus Athen mit den Νεφελοĸοĸυγιεĩς, weil
auf eine ähnliche Regelung zwischen Athen und den Ὀλοφíξιοι
Bezug genommen wird; somit ist eine Regelung, die ein ganzes Bundesgebiet betrifft, in den Worten des Aristophanes nicht
intendiert. Auch eine Verbindung zum Kallias-Dekret (IG I³
5) aus dem Jahr 434/3 v.Chr.91, in dem die Zahlung von Geldern zur Begleichung von Verbindlichkeiten an die Heiligtümer
Athens angesprochen wird, kann nach C. Koch nicht sicher mit
dem Münzdekret verbunden werden. Gemäß der Anordnungen
im Kallias-Dekret (IG I³ 5) sollen die Zahlungen allerdings in
einheimischer Währung (νοµíσµατος hεµεδáπο) geleistet werden;
diese Formulierung wurde bis zum Ende des Peloponnesischen
Krieges verwendet und gibt daher keinen weiteren Aufschluß.
Es bleibt jedoch zu fragen, warum im Kallias-Dekret gerade die
präzisierende Formulierung „einheimische Währung“ verwendet wurde. Als schlüssige Erklärung kann nur angeführt werden,
daß zum Zeitpunkt der Einbringung bzw. Verabschiedung dieses
Beschlusses Fremdwährungen existierten, was gegen die Existenz des Münzdekretes spricht9. Zwei weitere Dekrete ermöglichen ebenfalls den Rückschluß, daß keine Vereinheitlichung der
Münzen durchgeführt worden ist: Das Dekret IG I³ 33 aus dem
Jahr 49/ v.Chr. beinhaltet die Abrechnung von Tamiai für die
Tempelkassen, die auch nur in einheimischer Währung bezahlt
werden sollen. Auch die Abrechnungen von Tempelkassen der
Athena (IG I³ 376), die wohl in das Jahr 409/ zu datieren sind,
beinhalten diesen Passus.
Die von C. Koch vorgebrachte Argumentation läßt viele
Fragen offen, da er nur aufgrund von Indizien, deren übermäßig
starke Gewichtung sicherlich nicht gerechtfertigt ist, den Ausschluß einer späten Datierung versucht. Zudem schließt er sich
als entscheidendes Kriterium am Ende seiner Ausführungen zum
Münzdekret der Auffassung von Ch. G. Starr93 an, das Dekret
aufgrund der politischen Verhältnisse in die Zeit zwischen 450
bis 446 v.Chr. zu datieren94. Daß gerade die Datierung unter Verweis auf die politischen Umstände weder für die Zeit um 450
v.Chr. noch für die 430er Jahre tragfähig ist, wird nachfolgend
ausgeführt; sie können nicht als Argument dienen. Aristophanes
sei – so C. Koch – nicht mehr mit dem Münzdekret in Verbindung zu bringen, aber die Verwendung der Tagespolitik in seinen
Werken95 läßt doch deutliche Rückschlüsse auf ein Psephisma zu,
das mit Münzen zu tun hatte96. In einer Theateraufführung auf
ein Dekret anzuspielen und mit ihm zu kokettieren, das bereits
vor Jahrzehnten verabschiedet wurde, erscheint wenig sinnvoll,
87
88
89
90
91
9
93
94
95
96
Erxleben a. O. 161.
C. Koch, Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991) 370
ff. Ebenso im folgenden.
Ebenda.
E. Erxleben, ArchPF 21, 1971, 153 weist auf das Vorkommen dieser Endungen in der sog. Kleonschatzung (ATL II, A 9) aus dem
Jahr 425/4 v.Chr. hin.
IG I³ 5.
Ähnliche Überlegungen wurden bereits von E. Erxleben, ArchPF
19, 1969, 113 und H. Schaefer, Hermes 74, 1939, 225 ff. angestellt.
Ch. G. Starr, Athenian Coinage 480-449 B.C. (1970) 69 ff.
Koch a. O. 373.
Zur Tagespolitik in den Werken des Aristophanes vgl. die bei H. J.
Wolff, Marriage and family organization in ancient Athens. A study
on the interrelation of public and private Law in the Greek city,
Traditio 2, 1944, 76. 85. 88 f. angeführten Beispiele.
Aristophanes, Ornithes 1040 f.
FRAnK HILDEBRAnDT
wenn kein aktueller Bezug vorhanden ist97; daß die Aktion des
Verkaufens, der C. Koch einen anekdotischen Charakter beimißt, auch nicht den realen Tatsachen der Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg entspricht, wird aber gelissentlich übergangen
bzw. als zusätzlicher Scherz im Zusammenhang mit einer Münzverordnung angesehen 9.
Eine weitere indirekte Erwähnung in der antiken Literatur
bzw. ein vager Hinweis indet sich bei Andokides: Er berichtet
von einem Gesetzesantrag des Anagrapheus Teichamenos, Sohn
des Mechanion,99 aus dem Jahr 403/ v.Chr., der die Wiedereinführung des sog. Solonischen Systems100 fordert101. Nach dem
Ende des Peloponnesischen Krieges 404 v.Chr. und der politischen Kontrolle durch Sparta ist es evident, daß Beschlüsse der
nachperikleischen Amtsträger in Mißkredit geraten waren und
aufgehoben werden konnten und sollten. Gerade dieser zeitliche
Aspekt in Verbindung mit dem bei Aristophanes angeführten
Gesetz eines Münzdekretes scheint ein weiteres, bisher kaum
beachtetes Indiz für die Einbringung und Verabschiedung des
Münzdekretes nicht lange vor 414 v.Chr.
Bisher sind die Argumentationen für die Datierung durch die
Epigraphik, die Numismatik, die Prosopographie und anhand des
Inhaltes vorgestellt worden: Der aus den Fragmenten zusammengesetzte Text des Dekretes ergibt keine Aussagen zur Datierung.
Die epigraphische Datierung mit Hilfe der Buchstabenformen
hat sich aus verschiedenen Gründen als problematisch erwiesen:
das Ende des dreistrichigen Sigma im Jahr 446 v.Chr. ist lediglich
durch die Tributlisten abgesichert und bezieht sich auf Athen und
Attika; zudem darf als zweifelhaft gelten, ob neue Konventionen
in Athen auf das Bündnisgebiet übertragen werden müssen oder
dürfen, die Anfertigung und Aufstellung oblag schließlich den
einzelnen Bündnern. H.B. Mattingly versuchte, diese Problematik deutlich zu charakterisieren10.
Die Datierung anhand inhaltlicher Kriterien ist aber nicht
besser abgesichert; sehr oft wird der imperialistische Ton als
entscheidendes Kriterium für eine Spätdatierung angeführt, obwohl eine derartige Argumentation nicht treffend ist. Politische
Argumente können allenfalls subsidiär angeführt werden. Gerade
die Möglichkeit, daß der Stil des Münzdekretes nicht gegen eine
Datierung um 450 v.Chr. angeführt werden kann, zeigt deutlich,
welches Gewicht einer solchen Argumentation beizumessen ist.
Welche Eingriffe Athen aber in den Seebund und die Angelegenheiten der Bündner vornahm, wird bereits durch die Verlegung
der Bundeskasse im Sommer des Jahres 454 v.Chr. von der Insel Delos nach Athen und dem Dekret von Erythrai (IG I³ 14)
ersichtlich; wobei bei der Verlegung der Bundeskasse zu berücksichtigen ist, daß dies vor dem Hintergrund des endgültigen
Scheiterns der Ägyptischen Expedition auf Antrag der Samier
geschah, Athen aber wohl sehr gelegen kam.
97
98
99
100
101
10
In seiner Einschätzung des Quellenwertes der Komödien weist J.
Spielvogel, Wirtschaft und Geld bei Aristophanes. Untersuchungen
zu den ökonomischen Bedingungen in Athen im Übergang vom 5.
zum 4. Jh. v.Chr. (2001) 18. 25 f. darauf hin, daß der Inhalt zwischen aktueller Wirklichkeit und komischer Umsetzung angesiedelt
sind, dabei verwendet der Dichter reale Bestandteile aus seinem Erlebnis-/Erfahrungshorizont; Zudem mußte es das Ziel des Dichter
sein, „daß der Zuschauer sich in der Handlung zurechtfand, sie als
Teil der ihm vertrauten Umgebung identiizierte...“ (S. 25).
Daß gelegentlich in der griechischen Komödie auch ältere Gesetze
karikiert werden, ist m.E. nur schlüssig durch einen Bezug zum Tagesgeschehen zu erklären: so lassen sich entweder die im Lauf der
Zeit unnötig gewordenen Inhalte oder aktuelle Veränderungen, die
zuvor angemessener durch Gesetze gelöst waren, komisch verarbeiten. Es widerspricht also nicht den Überlegungen zur Aktualität der
Komödien des Aristophanes, wenn u. a. solonische Gesetze eingearbeitet werden.
C. Koch, Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991) 372.
Vgl. RE V.2² (1934) 136 s. v. Teisamenos [5] (Schwahn); R. Develin, Athenian Oficials, 684 – 321 B.C. (1989) 199.
Nach H. Büsing, JdI 97, 1982, 20 ff. enthalten die von Aristoteles,
Athenaion Politeia 10 und Plutarch, Solon 15 überlieferten Informationen zum Charakter der solonischen Reform einen Beleg für eine
»tatsächliche Normenveränderung«.
Andokides 1,83: »...νóµοις δἐ χpῆσθαι τοĩς Σóλωνος, ĸαὶ μέτpοις ĸαὶ
σταθμοĩς,..., οἷσπεp ἐχpώμεθα ἐν τῷ πpόσθεν χpóνω. «
R. Meiggs – D. Lewis, A selection of Greek historical inscriptions
to the end of the ifth century B.C. (1969) 113.
7
5. Auswirkungen und Ursachen
Die eigentlichen Bestimmungen des Dekretes werden in nur
wenigen Sätzen ausgeführt, z.B. in der Erweiterung des Eides
der Bouleuten; dagegen sind die Strafverfolgung und die
Verantwortungsbereiche der Beamten sehr genau ixiert. Durch
die hohen Strafandrohungen, z.B. für die Herolde, läßt sich
die Bedeutung erkennen, die Athen diesem Gesetz beimaß.
Noch deutlicher wird allerdings, daß Athen seinen Bündnern
die Übernahme seines Münz-, Maß- und Gewichtssystems
diktierte103. Athenische Beamte überwachten die Umsetzung
in allen Teilen des Seebundes und konnten in die bestehenden
Verfassungsmechanismen eingreifen, um den Beschluß
durchzusetzen. Jeglicher Opposition wurde mit der Atimia
gedroht.
Ob dieses eindeutigen Imperialismus erstaunt aber, daß im
Text explizit nur auf die Silberwährung Bezug genommen wird;
die kyzikenischen Elektron- und die lampsakenischen Goldstatere werden nicht erwähnt; Unterbrechungen in den Elektronprägungen von Kyzikos, Mytilene oder Phokaia konnten nicht festgestellt werden104. Sie müßten dann neben einem einheitlichen
System parallel verwendet worden sein. Diese ‘Sekundärwährung’ wird in der Forschung mit dem ökonomisch bedeutenden
Schwarzmeerhandel erklärt, in dem die kyzikenischen Münzen
zur Hauptwährung geworden waren. Auch wird angenommen,
daß das Dekret nicht für Chios, Lesbos und Samos galt, da sich
diese Bündner selbst als unabhängig bezeichneten – gesichert ist
dies allerdings nicht105.
Ob überhaupt eine Umsetzung des Dekretes erfolgt ist, wird
allgemein angezweifelt106: Zwar glaubte E. Gardener107 in einer
1913 veröffentlichten Untersuchung, eine Unterbrechung der
Münzprägung für die Kykladeninseln feststellen zu können;
jedoch war seine Materialbasis sehr klein und gerade die stilistischen Kriterien der Datierung sind noch heute umstritten, so
daß sein Ergebnis zweifelhaft erscheint. Außerdem hat E. Gardener nur einen Bereich des Bündnisgebietes berücksichtigt und
untersucht.
E. S. G. Robinson10 konstatiert 1949 am Ende seiner Untersuchungen zur Schließung von Münzstätten im Bündnisgebiet in
der . Hälfte des 5. Jhs. v.Chr., daß Athen in seinen Bemühungen
nicht erfolgreich war – dieses Fazit wird allgemein für das Dekret
anerkannt.
Mit der Leitung des Attisch-Delischen Seebundes hatte Athen
spätestens seit der Mitte des 5.Jhs. v.Chr. eine Führungsrolle in
Griechenland eingenommen, die nicht nur auf die Struktur eines
Militärbündnisses beschränkt blieb, sondern immer stärker auch
auf die staatlichen Elemente der Beteiligten Einluß zu nehmen
versuchte. Welche Stellung Athen innerhalb des Bündnisses einnahm, wird bereits aus der Formulierung Ἀθεναĩοι ĸαí συμμαχοí
ersichtlich. Ein weiterer Ausbau der Vormacht wäre durch eine
Straffung des Bündnissystems möglich gewesen; sicherlich
erforderte es einen großen Aufwand, die jährlich entrichteten
Tribute umzurechnen oder zu kontrollieren oder Aufwandsentschädigungen an Bündner auszuzahlen. Dies hätte durch ein
einheitliches metrologisches System deutlich verbessert und
beschleunigt werden können. Die Beschränkung auf Silber und
die Benennung des Zahlungsverkehrs mit Athen führen C. Koch
1991 zu der These, daß das Dekret im Zusammenhang mit den
Phoros-Abrechnungen entstanden sei109.
Bereits U. von Wilamowitz-Moellendorf110 hatte 177 auf
die ökonomischen Möglichkeiten eines solchen Dekretes hingewiesen, seiner Aussage zufolge wäre es sogar zu einem wirt103 Koch a. O. 380: »Nicht nur die Verwendung anderer als athenischer
Münzstempel für die eigene Münzprägung einer Polis wird untersagt, sondern sowohl das Prägen als auch die Verwendung eigener
Münzen durch die Polis.«
104 E. S. G. Robinson, The Athenian currency decree and the coinages
of the allies, Hesperia Suppl. 8 (1949) 325.
105 Robinson a. O. 325 bezieht sich auf Thukydides 5,18,5.
106 Meiggs – Lewis a. O. 113.
107 Meiggs – Lewis a. O. 115.
108 Robinson a. O. 338.
109 C. Koch, Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991)
380.
110 D. Lewis, in: I. Carradice, Coinage and Administration in the Athenian and Persian Empire (1987) 60.
8
ZUR SPäTDATIERUnG UnD DEn WIRTScHAFTSPoLITIScHEn ASPEKTEn DES ATTIScHEn MünZDEKRETES
schaftlichen Aufschwung gekommen – da aber Zölle und Preise
bestehen blieben, können diese Überlegungen nicht veriiziert
werden.
Mitunter wurde angenommen, daß Athen mit dem Dekret
vorwiegend die Schaffung einer Freihandelszone anstrebte,
zugleich hätte man durch die Gebühren von drei Talenten bei
der Umstellung einen rentablen Proit gemacht. H. Engelmann
spricht von einer harten Kalkulation seitens Athens111. Zu dieser
Hypothese lassen sich keine Aussagen machen, da das im Umlauf beindliche Geldvolumen heute nicht mehr abgeschätzt werden kann; zudem sind drei Drachmen als Gebühr sehr gering. Sie
dienten wahrscheinlich eher der Deckung der Kosten, die durch
Umstellungsmaßnahmen und die Neuemissionen auf die Münzstätten zugekommen wären, z. B. zahlreiche Stempelschneider,
Herstellungsmaterial zur Vorbereitung der Prägung etc. Sicherlich wurden diese Faktoren auch bei der Entscheidung berücksichtigt, hier aber eine Gewichtung zugunsten dieser Argumente
vorzunehmen, hält der Verfasser für verfehlt.
M. I. Finley wies 197 darauf hin, daß sich in diesem Gesetz
ganz deutlich der Herrschaftsanspruch Athens offenbart11: Mit
dem Geld war die ἀυτονομíα einer jeden Polis greifbar und jedem
Menschen gegenwärtig113. Namen und Wappen der Städte zählten nach H. Engelmann zu ihrem ‚χαpαĸτήp’, waren ein zentraler
Bestandteil der ἀυτονομíα114. Athen hätte nun diesen sichtbaren
Beweis der ‘Freiheit’ abgeschafft und sich selbst als Beherrscher
dieser Städte präsentiert; das Dekret sei ein klares Zeichen gewesen, dessen Nachricht nicht versteckt, sondern mitten im
städtischen, täglichen Leben wirkte. Mit den Strafdrohungen
griff Athen zwar nicht unmittelbar in die Rechtsordnung seiner
Bundesgenossen ein, aber es war ein deutlicher Eingriff in deren
Rechts- und Verfassungsautonomie115. C. Howgego stellt in diesem Zusammenhang sogar die berechtigte Frage, ob die Athener
versuchten, ihren Verbündeten und auch sich selbst ihre eigene
Macht zu verdeutlichen116.
Der Eingriff in die Münzprägung ist sicherlich der markanteste Punkt in diesem Dekret, es werden aber auch ausdrücklich
Maße und Gewichte genannt: die Untersuchungen zu den Gewichten von Olympia von K. Hitzl 1996 zeigen, daß dort ausschließlich die Handelsmine mit dem attischen Standard von 110
Drachmen verwendet wurde117. Die chronologischen Zusammenstellung verdeutlicht, daß die Umstellung des Gewichtsstandards
nicht vor dem späteren 5. Jh. v.Chr. denkbar ist. Da Olympia aber
nicht dem Gebiet des Seebundes angehörte, kann die Übernahme
des attischen Gewichtsstandards nur als sekundäre Auswirkung
bzw. Anpassung an ein neues, wichtiges Handelssystem verstanden werden11. Dieses Ergebnis legt eine Spätdatierung des
Dekretes in die Jahre nach 430 v.Chr. nahe119. Athen hatte mit
der Einführung dieses neuen Standards ein einheitliches Marktgewicht geschaffen, das auch für Attika neu war. Warum aber
bleibt die Pluralität mit den kyzikenischen und lampsakenischen
Elektronprägungen bestehen? Es zeigt sich, daß eine einfache
Korrelation mit den bestehenden Systemen möglich war, so mußte z. B. die aiginetische Mine nur um sieben Drachmen erhöht
werden. Der neue Standard stimmt mit ca. 40 g mit der Kyzikenischen Handelsmine überein und erlaubt auf diese Weise auch
eine leichte Umrechung der Elektronprägung zu den attischen
Drachmen. Dies läßt es verständlich erscheinen, warum Athen
111 Lewis a. O. 60.
11 M. I. Finley, The ifth-century Athenian Empire: a balance sheet,
in: P. D. A. Garnsey – C. R. Whittaker (Hrsg.) Imperialism in the
ancient world (1978) 120.
113 Lewis a. O. 60; C. Howgego, Geld in der antiken Welt (2000) 52;
St. Ritter, Bildkontakte. Götter und Heroen in der Bildsprache griechischer Münzen des 4. Jhs. v.Chr. (2002) 16 f.
114 H. Engelmann, ZPE 60, 1985, 165.
115 Koch a. O. 403.
116 Howgego a. O. 53.
117 K. Hitzl, Die Gewichte griechischer Zeit aus Olympia, OF 25
(1996) 138.
118 Athen besaß in der 2. Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. einen starken Einluß
in Olympia, so daß auch der Handel mit der Stadt an Bedeutung
gewann. Die archäologischen Untersuchungen von K. Hitzl, Die
Gewichte griechischer Zeit aus Olympia, OF 25 (1996), vermögen
keine Aussagen zu den Ursachen und zur Umsetzung des Münzdekretes beizutragen.
119 Hitzl a. O. 138.
die Elektronprägungen nicht in den Beschluß einbezogen hat – es
fehlte schlicht an der Notwendigkeit.
Wenn man den athenischen Einluß auf das peloponnesische
Olympia als klein einschätzt und daher die Argumentation auf
Grundlage der Gewichte für wenig relevant hält, so muß dem
entgegengehalten werden, daß bereits um die Mitte des 5.Jhs.
v.Chr. eine zentrale Rolle der Polis in diesem ‚panhellenischen’
Heiligtum zu erkennen ist: B. Fehr zeigte dies für die vereinheitlichte Zeitbestimmung anhand der Gestirne, die vor der Mitte des
5. Jhs. v.Chr. in Athen aufgekommen war10. Neben zahlreichen
Bildbeispielen mit Helios und Selene in Attika – als prominenteste die Basis der Athena Parthenos und der Parthenon Ostgiebel –
indet sich dieses Motiv auch an einem zentralen Ort in Olympia,
auf dem Basisrelief der Goldelfenbeinstatue des olympischen
Zeus. Neben der Hervorhebung von Athens Ruhm und Größe
waren auf derselben Basis auch panhellenische Anspielungen
vorhanden, so in der Amazonomachie auf den Querleisten des
Zeusthrones, wo der dorische Heros Herakles und der ionischattische Heros Theseus als Bundesgenossen auftreten11. Neben
dem Einluß Athens, der sich anhand der archäologischen Denkmäler aufzeigen läßt, ist aber noch auf einen weiteren Aspekt
hinzuweisen: die Wandlung der Zeitbestimmung und die archäologisch nachweisbare Verbreitung im griechischen Kulturraum
belegen Vereinheitlichungsbestrebungen seit der Mitte des 5. Jhs.
v.Chr. Anders als das Münzdekret besitzt diese Vereinheitlichung
eher einen generellen praktischen Nutzen, z. B. bei der Ausrichtung allgemein-griechischer Feste wie den Panathenäen, den
olympischen Spielen o. ä., und die Durchführung ist durch die
Gottheiten Helios und Selene sakral/ religiös legitimiert. Zwar
sind die Neuerungen des Münzdekretes ebenfalls von enormer
praktischer Bedeutung, sie dienen aber mehr den Interessen einer
einzelnen Polis als der Organisation panhellenisch bedeutsamer
religiöser Feierlichkeiten.
Sicherlich läßt sich mit der Veränderung der Zeitbestimmung,
die durch ihren astronomischen Bezug nun eine einfachere Umrechnungsbasis für die einzelnen Poleis bot, auch das vermehrte
Auftreten von Sonnenuhren erklären. Demnach wäre eine archäologische Evidenz der Anerkennung und Umsetzung des neuen
Verfahrens vorhanden.
Neben dem durch die Gewichte bezeugten handelspolitischen und zivilen Aspekt kann aber auch eine Vereinheitlichung
der Maße und Gewichte vor einem militärischen Hintergrund als
plausibel erklärt werden: Die von Athen ausgerüsteten Flotten
mußten in den Bündnisstädten Proviant und Material aufnehmen,
dies wäre stark vereinfacht worden.
Welcher Umstand das Dekret ausgelöst hatte, läßt sich nicht
mehr sicher ermitteln: E.S.G. Robinson führt 1949 eine beständige Irritation Athens an, die durch die stark im Umlauf beindlichen Münzen von Aigina hervorgerufen wurde1. D. Lewis
197 plädiert als Ursache für die Unregelmäßigkeiten der Tributlisten in den Jahren von 446 bis 431 v.Chr.13. Auch die Revision
der Tributleistungen unter Kleon 45/4 v.Chr., das sog. Thoudippos-Dekret14 bzw. die sog. Kleon-Schatzung, hätte einen geeigneten Anlaß für die Konstituierung des Münzdekretes geboten.
Neben der Kontrolle der eigenen Bundesgenossen, die längst
zu Abhängigen Athens geworden waren, muß aber auch die Benachteiligung der ‘Nicht-Bündner’ bei der Frage nach den Ursachen berücksichtigt werden. Das sog. Megarische Psephisma von
43 v.Chr. belegt die Bedeutung einer solchen Maßnahme, als
Megara von den gesamten Märkten des Seebundes ausgeschlossen wurde. Dies kam einem Boykott oder Embargo gleich, da der
unmittelbare Handelspartner Megaras das nahegelegene Athen
10 B. Fehr, Hephaistos 2, 1980, 119 f. »Dementsprechend kann man
auch in den Gestirngottheiten auf der Basis der olympischen Zeusstatue den Versuch erblicken, eine geplante Einführung einer auf
astronomischen Erkenntnissen beruhenden Standardzeit, auf die die
bürgerlichen Kalender aller griechischen Poleis bezogen werden
konnten, durch die Berufung auf Helios und Selene religiös zu legitimieren. Kein anderer Ort war hierfür besser geeignet als Olympia,
der Treffpunkt der gesamten griechischen Welt.«
11 Pausanias 5,11,4.
1 E. S. G. Robinson, The Athenian currency decree and the coinages
of the allies, Hesperia Suppl. 8 (1949) 325.
13 D. Lewis, in: I. Carradice, Coinage and Administration in the Athenian and Persian Empire (1987) 62.
124 IG I³ 71.
FRAnK HILDEBRAnDT
war. Wenn die Wirtschaftsinteressen in dem Maß wie heute im
allgemeinen Denken verankert waren, stellte dies einen schweren
Affront gegenüber den Außenstehenden dar. Die Wirtschaft
scheint als Instrument der imperialistischen und repressiven Politik Athens eingesetzt worden zu sein, da bei einem ausschließlich
wirtschaftlich orientierten Denken ein solcher Erlaß nicht unbedingt notwendig ist. Durch den Handel und die damit einhergehende Dominanz hätten sich attische Münzen und Maßstandards
wahrscheinlich auch ohne Dekret etabliert.
Insbesondere die wirtschaftspolitische und ökonomische
Tragweite des Dekretes hat vor dem Hintergrund der Datierungsfrage in der bisherigen Forschung nur eine untergeordnete Rolle
eingenommen15; an dieser Stelle sollen einige theoretische Überlegungen mit dem Ziel angestellt werden, die Gewichtung unterschiedlicher Optionen und die Durchsetzbarkeit aufzuzeigen:
Ein einheitliches Münz-, Maß- und Gewichtssystems in
einem Bündnis wie dem Attisch-Delischen Seebund bietet die
Möglichkeiten eines vereinfachteren Austausches von Handelsgütern, die Schaffung eines großen Binnenmarktes, der für alle
Beteiligten leicht zu erschließen ist, die Sperrung des Marktes
für Fremdgüter und somit die Steigerung des eigenen Absatzes.
Zudem wird der Kapitalausgleich zwischen Städten, aber auch
Privatpersonen, die an Handelstransaktionen beteiligt sind, vereinfacht. Denkbar wäre sogar ein lächendeckendes System zur
Kreditvergabe oder zumindest ein non-pekuniärer Geldverkehr.
Die Gefahren eines Wirtschaftsraumes bestehen in einer
Kapitalansammlung, in einer Abwanderung der Metallrohstoffe
in benachbarte Regionen, der äußeren Isolation – dem Ausschluß
vom Handelsverkehr – und der Kopplung an den stärksten
Partner, da von ihm der Geldwert abhängig ist.
Es bestanden grundsätzlich drei Möglichkeiten für Athen,
eine wirtschaftliche Kontrolle auf der Basis einer Währungskontrolle im Gebiet des Attisch-Delischen Seebundes zu erlangen: erstens die Kopplung der anderen Poleis an die attische
Währung, zweitens die Schaffung einer einheitlichen Währung
und eines gemeinsamen Währungsraumes, drittens die Beibehaltung eines Systems mit divergierenden Standards.
Eine Kopplung an die attische Währung kann einerseits durch
einen festgeschriebenen Wechselkurs – orientiert an Geldmaßen
oder Standardeinheiten, die abstrakte Maße und Gewichtssysteme voraussetzen – oder durch einen lexiblen Wechselkurs realisiert werden. Der lexible Wechselkurs basiert dabei auf Angebot und Nachfrage von Gütern, der wirtschaftlichen Potenz des
Gesamtgebietes und seiner politischen Bedeutung gegenüber den
unmittelbaren und mittelbaren Nachbarn. Erforderlich ist eine
Festlegung der Umrechnungsfaktoren. Gerade die Umrechnung
und die Festlegung der Wechselkurse sowie die Einrichtung einer Kontrollinstanz bedeuten für diese Form einer angestrebten
ökonomischen Führungsposition einen extremen bürokratischen
Aufwand.
Die Schaffung eines einheitlichen Währungsraumes erfordert
eine verbindliche Festlegung der Umtauschfaktoren; eine derartige Festsetzung beruht entweder auf dem eigenen Willen aller
Bündnispartner oder wird durch den stärksten Partner initiiert
– wobei er die Möglichkeiten zur Durchsetzung besitzen muß.
Eine Umstellung in einem großen, differenten Währungsraum
birgt die Gefahr einer Destabilisierung des Wirtschaftsverkehrs
und des Warenaustausches, der nur durch eine sehr schnelle Umstellung begegnet werden kann; diese wiederum erfordert die
Finanzhoheit und Exekutivgewalt eines Bündnispartners, der
zudem die Währungssicherheit garantiert. Je größer die Zahl der
beteiligten Poleis, desto umfangreicher sind die Vorbereitungen
und desto komplexer wird die Umsetzung. Es gilt ferner zu beachten, daß die Poleis eigene Hoheitsrechte zugunsten einer gemeinschaftlichen, zentralen Organisation abgeben müssen.
Die Beibehaltung eines Systems mit divergierenden Wechselkursen erhält ihre Legitimation durch die gewachsenen, eingespielten Mechanismen. Der Ausgleich von Wechselkursen ist
weniger komplex, da zumeist nur zwei Partner beteiligt sind. Zudem ist eine größere, wirtschaftlich nicht uninteressante Flexibilität bei Marktveränderungen gegeben.
Obwohl ein Dekret zur Einrichtung einer gemeinsamen
15 Zuletzt sehr knapp O. Picard, Guerre et économie dans l’alliance
athénienne (490-322 av. J.-C.) (2000) 86; des weiteren einer eher
ökonomisch begründeten Datierung des Dekretes T. R. Martin, Sovereignty and Coinage in Classical Greece (1985) 196 ff.
9
Währung nicht zwangsläuig als Äußerung einer repressiven Politik verstanden werden darf – zumal auch ein föderalistischer
Staatenzusammenschluß eine solche Maßnahme als Zeichen des
Zusammenwachsens verabschieden kann –, so ist das hier vorliegende Münzdekret, gerade weil es die Durchsetzung des attischen System zur Aulage macht, als imperialistische Äußerung
par excellence verständlich.
Nachdem nun die wirtschaftlichen Implikationen beleuchtet
worden sind, gilt es, den Sinn dieser Verordnung in bezug auf
das Militär aufzugreifen, denn gerade die Verbindung von Politik
und Krieg als deren Mittel müßten bei einer bündnisweiten Vorlage von nicht unerheblichem Interesse sein:
Zunächst einmal ist es durch genormte Maße und Gewichte
einfacher, einheitliche Ressourcen für das Militär – Land- und
Seestreitkräfte – bereitzustellen, d.h. in Häfen oder Garnisonen
wäre immer ein ideales Quantum benötigter Güter vorrätig
und einsatzbereit. Dies wiederum erfordert aber auch genormte
Waffensysteme (hier ließen sich möglicherweise die von
Thukydides erwähnten Pferdetransportschiffe anführen16)
und Truppenkontingente, um eine hinreichende logistische
Auslastung zu gewährleisten. Die Zeitersparnis bei der
Bereitstellung und Verladung von Verbrauchsgütern bzw. die
unkompliziertere Instandsetzung von Schadmaterial auf der Basis
genormter Güter ermöglicht der militärischen Führung bis zur
Ebene des Verbandskommandeurs eine erhöhte Flexibilität und
Führungsfähigkeit und dadurch bessere Wirkungsmöglichkeiten.
In der Praxis setzt dies Truppenverbände in relativ einheitlicher
Gliederung und materieller Ausstattung voraus, die durch eine
Ordnungsmacht bereitgestellt werden können. Hilfstruppen
wären überlüssig, wenn sie keine besonderen Spezialkenntnisse
aufweisen.
Neben der direkten Bereitstellung von Verbrauchsgütern
werden auch der bürokratisch-inanzielle Ausgleich, die Verrechnung und eventuelle Entschädigungszahlungen in ganz erheblichem Maße vereinfacht. Aus diesen Überlegungen läßt sich
ableiten, daß sich bei der Einführung eines solchen Dekrets zunächst ein militärisches Abhängigkeitsverhältnis zum führenden
Bündnismitglied entwickelt, dies geht konsequent mit einer außenpolitischen Abhängigkeit einher.
Hinzu kommt noch die ökonomische Abhängigkeit, so daß
ein Dekret zur Vereinheitlichung von Münzen, Maßen und Gewichten letzten Endes die Vorstufe einer auch politischen Übernahme ist und in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit
den Bündnismitgliedern entsprechende Druckmittel bietet. Von
all diesen aufgezeigten Möglichkeiten lassen sich bis zum Zusammenbruch des Seebundes keinerlei Anzeichen aufzeigen,
sicher ist allerdings, daß sich gerade in den 40er Jahren das politische Klima in Athen dermaßen verändert hatte, daß in diesem
Ambiente die hier aufgeführten Überlegungen zur Politik Raum
inden konnten.
In der perikleischen Zeit hatte sich eine Wandlung zu einer
imperialistischen Geisteshaltung angedeutet, es regierte im Athen
der Parthenon-Zeit das Bewußtsein der eigenen Größe. Der Attisch-Delische Seebund hatte dem schier übermächtigen Perserreich nicht nur getrotzt, sondern sich als eigenständige Macht
etabliert. Die verringerte äußere Bedrohung, der zunehmende
Wohlstand und die scheinbare politische Überlegenheit führten
zu einem stärkeren Selbstbezug der Menschen; Ausdruck dieser
neuen Sinnesweise ist das vermehrte Auftreten von Sophisten
seit den 430er Jahren, die ihre Dienste gegen Bezahlung feilboten. Auch Thukydides versäumte nicht, auf den gewachsenen
Reichtum und den damit verbundenen Herrschaftsanspruch der
Athener hinzuweisen. Das sich überlegen fühlende Athen provozierte unter einem Vorwand den Krieg mit Sparta17, mit dem
Ziel als alleinige Macht die griechische Welt zu beherrschen. War
zu Beginn dieses Krieges der Optimismus noch ungebrochen, so
126 Thukydides 2,56; 4,42 unterrichtet uns über die Existenz und den
Gebrauch dieser speziellen Transportschiffe: Perikles ließ sie im
Jahr 430 v.Chr. durch Umrüstung aus älteren Schiffen herstellen,
um so Truppenkontingente auf die Peloponnes verschiffen zu
können (»...ĸαì τpιαĸοσíους ἐν ναυσìν ἱππαγωγοĩς πpῶτον τότε ἐĸ τῶν
παλαιῶν νεῶν ποιηθεíσιας·...«); des weiteren werden sie bei der Planung des Einfalls in Korinth 425 v.Chr. erwähnt.
127 Thukydides 1,88 berichtet zwar, daß die formelle Kriegserklärung
von den Spartanern ausging, weil diese einerseits Angst vor einem
weiteren Erstarken Athens hatte und andererseits einen Vertragsbruch nicht hinnehmen wollten.
10
ZUR SPäTDATIERUnG UnD DEn WIRTScHAFTSPoLITIScHEn ASPEKTEn DES ATTIScHEn MünZDEKRETES
mußte man doch nach dem ersten Sommer eine traurige Bilanz
ziehen. Der Epitaphios des Perikles1 und die Trostrede des Perikles im Sommer 430 v.Chr.19 zeigen in aller Deutlichkeit das
attische Selbstverständnis, aber auch die ersten Zweifel. In den
folgenden Jahren wütete der Krieg weiter; neben den Verlusten
in der Schlacht, mußte Athen durch die Pest einen ebenso hohen
Blutzoll zahlen.
Just in dieser Zeit – als Athen bereits erkannt hatte, daß die
eigenen Ansprüche nicht erreichbar waren und sich die Situation verschlechterte – ist die Verabschiedung des Münzdekretes
plausibel. Hervorgerufen durch die unerwarteten Rückschläge
drang Athen mit allen Mitteln auf die Herrschaft im Seebund. Die
politisch bestimmenden Personen unternahmen alle Anstrengungen, um Athen im Seebund absolutem Zugriff zu ermöglichen
– Zurückhaltung und der Gedanke der Isonomia waren längst
aufgegeben. Es ist jedoch bezeichnend, daß man nicht mehr die
Mittel und den Druck aufbringen konnte, um die Vorstellungen
umzusetzen.
6. Zusammenfassung
Das Münzdekret stellt ganz offen die imperialistischen
Bestrebungen Athens zur Schau: in die Autonomia der
ehemaligen Symmachoi wird in einer Weise eingegriffen, die
in den ersten Jahrzehnten des Attisch-Delischen Seebundes
unmöglich erscheint.
Wirtschaftliche und machtpolitische Gründe treiben Athen
zu dieser rigorosen Maßnahme. Durch die attischen Münzen hätte man den Bündnern die eigene Dominanz in unverfälschtester
Form vor Augen geführt.
Welche Bedeutung im politischen Geschehen Athens dieser
Erlaß haben mußte, zeigen die hohen Strafen, die für sämtliche
Verfehlungen festgelegt sind.
Aufgrund dieser Härte ist eine Datierung während der Zeit
des Peloponnesischen Krieges durchaus wahrscheinlich; neben
den angeführten Argumenten scheint aber auch unbewußt mitzuschwingen, daß im ‘Goldenen Zeitalter’ des Perikles Athen seine
Macht nicht auf diese direkte, nahezu skrupellose Weise ausgebaut haben kann130. Plutarch schildert in der Vita des Perikles
sehr eindrucksvoll, welche Macht dieser in Athen besaß und ausübte, wenn er z.B. das Bauprogramm auf der Athener Akropolis
beschloß. Die Intention, die eigentlich in den Viten Plutarchs zu
inden ist, wurde im Rahmen des hellenophilen Denkens in der
Geschichtswissenschaft und der Archäologie des 1. bis 0. Jahrhunderts gelissentlich übersehen. Die Pentekontaetie als Zeit der
Hochklassik, der bedeutenden Bauten und Skulpturen erlaubte
keine Kritik; dieser Anspruch wurde auch auf die zentrale politische Figur Athens – den Staatsmann Perikles – übertragen.
Daß die Datierung des Münzdekretes in der Forschung lange
umstritten war, zeigt deutlich, daß der Inhalt sowohl von Perikles
als auch aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges stammen
könnte.
Dennoch scheint die spätere Datierung plausiblere Gründe
in Anspruch nehmen zu können, die jedoch nicht von der Bewertung der politischen Verhältnisse in Athen ausgehen dürfen.
Die entscheidenden Argumente entstammen der numismatischen
Forschungen und dem Aristophanes-Text. Daß das Dekret keine
nachweisbaren Wirkungen gezeigt hat und durch die zuvor zitierte Textstelle bei Aristophanes ein Münzdekret zu vermuten
ist, läßt sich nicht anzweifeln; insbesondere die numismatischen
Untersuchungen erbrachten immer wieder, daß eine Unterbrechung der Münzprägungen der griechischen Bündnisstädte nicht
feststellbar ist, und somit ein Erlaß zur Vereinheitlichung der
Münzen keine Wirkung mehr gezeitigt hat oder zeitigen konnte.
Gerade der durch Aristophanes geschaffene terminus ante quem
ist ein deutliches Indiz für die spätere Datierung in die Jahre von
430 bis 40 v.Chr. Immer wieder greift Aristophanes in seinen
Bühnenwerken auf die aktuelle Tagespolitik zurück131, die feinen Sticheleien und die Kritik müssen sich also auf Vorgänge
beziehen, die dem Zuhörer gegenwärtig waren – es hätte nichts
genutzt, ein Dekret zu parodieren, dessen Verabschiedung bereits eine Generation zurücklag. Die Aufführung der ‘Vögel’
128
19
130
131
Thukydides ,35 ff.
Thukydides 2,63.
E. Cavaignac, RevNum 15, 1953, 1 ff.
Vgl. Anm. 117; K. Hitzl, Die Gewichte griechischer Zeit aus Olympia, OF 25 (1996) 137.
in der Zeit des Peloponnesischen Krieges, als in Athen über die
Sizilien-Expedition diskutiert wurde, erforderte in der Kritik
paradigmatische Vergleiche, wie es ein mißlungenes oder von
den Bündnern mißachtetes und von Athen nicht durchgesetztes
Münzdekret durchaus sein konnte.
In diesem Zusammenhang wird auch die Überlieferung von
Andokides 1,f. verständlich, in der der Anagrapheus Teichamenos eine Rückkehr zu den solonischen Maß- und Gewichtsvorgaben fordert. Diesen Antrag kann er nur stellen, weil eine
Veränderung stattgefunden hatte. Zudem besitzen das KalliasDekret (IG I³ 5) von 434/3 v.Chr., das Dekret IG I³ 33 von
49/ v.Chr. und das Dekret IG I³ 376 in ihren Zahlungsbestimmungen den deutlichen Hinweis auf eine einheimische Währung,
die nur den Schluß zuläßt, es habe weiterhin Fremdwährungen
gegeben. Das Münzedekret kann demnach nicht vor 434/3 v.Chr.
in Kraft getreten sein und hat auch in den nachfolgenden Jahren
keinerlei Wirkung gezeigt.
Die sog. Kleonschatzung (IG I³ 71) aus dem Jahr 45/4
v.Chr., die eine Verdopplung der Tributlasten der Bündner vorsah,
kann als Beginn einer neuen, restriktiven Entwicklung in Athen
gesehen werden, in deren Nachfolge auch das Münzdekret zu
sehen und einzuordnen ist13. Nur kurze Zeit zuvor, im Jahr 46
v.Chr., war das hegemoniale Streben Athens erneut aufgelammt,
als man für die zweite Katharsis der Insel Delos verantwortlich
zeichnete 133; die auf Delos zu Ehren des Apollon abgehaltenen
Festspiele der Delia waren vereinnahmt und nun endgültig zu
einem athenischen Fest geworden134. Dennoch erforderte diese
Aktion einen ungleich bescheideneren Aufwand als die Durchsetzung der Kleon-Schatzung und des Münzdekretes.
In dieser Zeit strebte Athen offensichtlich nach der Weltmacht, um so mehr hätte eine Zurschaustellung dieses Dekretes
einen Kontrast zu den Ansprüchen Athens dargestellt. Die imperialistische Dynamik Athens war durch den Peloponnesischen
Krieg seit 430 v.Chr. immer stärker gebremst worden135. Sicherlich sind auch dies nur Indizienschlüsse, aber eine Datierung in
die Zeit Kleons scheint – und C. Howgego hat dies entsprechend
formuliert136 – doch historisch gewichtiger und plausibler.
Eine allein auf den Formen der Buchstaben basierende Datierung kann diesen Indizien nicht standhalten, obwohl der offene Imperialismus bereits um die Mitte des 5. Jhs. v.Chr. sehr
deutlich war. Diente die Ägypten-Expedition in den Jahren zuvor
noch dem ursprünglichen Ziel des Bündnisses, dem Kampf gegen die Perser, so zeigt doch der Konlikt mit Samos von 441 bis
439 v.Chr. exemplarisch den offenen Imperialismus137.
Wenn das Dekret in dieser Zeit erlassen worden wäre, hätte
Athen sicherlich das Potential besessen, dies im Bündnisgebiet
politisch oder militärisch durchzusetzen. Auch in anderen Dekreten und bei Thukydides konnten keine Reminiszenzen für
eine solch gewichtige Maßnahme lokalisiert werden.
Erst der Peloponnesische Krieg mit dem nochmals gesteigerten Weltherrschaftsanspruch Athens und die in diesem Krieg
gebundenen Ressourcen erlauben eine plausiblere Erklärung,
warum das Dekret nicht weiter durchgesetzt werden konnte und
überhaupt keine Spuren hinterließ.
Nachtrag
Nach Abschluß meines Manuskriptes hat M. B. Chatzopoulos
einen neuen Inschriftenfund aus Aphytis mit guten Fotos
publiziert, den er als Ergänzung des Münzdekretes bestimmt13.
Das aus Kalkstein bestehende Fragment wurde am 1. August
1969 in Aphytis gefunden. Es beindet sich im Museum
Thessaloniki mit der Inv. 6117 und weist die Maße H 70 cm, B
3 cm, T 1,7 cm sowie eine Buchstabenhöhe von 1, cm auf.
Erhalten sind 13 Zeilen am rechten Rand. Unter Bezugnahme
13 E. Erxleben, ArchPF 20, 1970, 132. Dazu auch: E. Erxleben, ArchPF 21, 1971, 161: »Das Münzdekret, nur um wenige Jahre oder
auch nur Monate jünger, atmet denselben Geist.«
133 Thukydides 3,104.
134 Aristoteles, Athenaion Politeia 54. 56; Plutarch, Nik. 2 f.
135 B. Fehr, Hephaistos 2, 1980, 120.
136 C. Koch, Volksbeschlüsse in Seebundangelegenheiten (1991) 396.
137 V. A. Anochin, Die Pontische Expedition des Perikles und der Kimmerische Bosporos (437 v.Chr.), in: U. Peters (Hrsg.), Stephanos
nomismatikos. Festschrift für E. Schönert-Geiss (1998) 33 ff.
138 M. B. Chatzopoulos, Horos 14-16, 2000-2003, 31 ff. Taf. 7-8.
FRAnK HILDEBRAnDT
auf ein bereits 1935 von D. M. Robinson vorgelegte Fragment
aus Aphytis (Nr. 4)139 nimmt M. B. Chatzopoulos auch hier eine
Inschrift in stoichedon mit 4 Zeichen an.
Zunächst referiert M. B. Chatzopoulos sehr knapp den Forschungsstand und die Bedeutung des Dekretes140. Dem Text des
Fragmentes folgt die vollständige Fassung des Dekretes mit
einigen Anmerkungen141. Die geringe Größe und der schlechte
Erhaltungszustand des neuen Fragmentes ergänzen den bisher
bekannten Text nicht und geben auch keinen Anhaltspunkt für
eine Datierung14. M. B. Chatzopoulos bringt keine neuen Argumente, entscheidet sich unter Hinweis auf die weiterlaufenden
Münzserien für die Spätdatierung um 430 bis 40 v.Chr.143. Er
zitiert einige Autoren, die die Spätdatierung des Dekrets aus unterschiedlichen Gründen vertreten und auf dessen ökonomische
Bedeutung in der späteren Zeit betonen.
139
140
141
142
143
D. M. Robinson, AJPhil 56, 1935, 149 ff.
Chatzopoulos a. O. 32.
Chatzopoulos a. O. 33 ff.
Chatzopoulos a. O. 36.
Chatzopoulos a. O. 41 ff.
11