Und angesichts des Wesens der Herrschaft in der Plantokratie bedeutet Rückzug,
Land zu finden, das flüchtig ist, das die Herrschaft über Land, Wasser, Luft usw. flieht,
und dann dieses Land anautonom genug einzurichten, um die Behandlung zu beginnen.
Das Land kann eine besetzte Garage in der Stadt oder eine verlassene Mühle
auf dem Lande sein. Die Behandlung kann darin bestehen, eine Band zu gründen,
transversal.at
Harney / Moten
Allseits unvollkommen
ein Barbecue zu veranstalten, zu tanzen und zu trinken.
Allseits unvollkommen
Plantokratie und schwarzes Studium
Stefano Harney und Fred Moten
Aus dem Englischen von Gerald Raunig
AllSEitS UnvollkoMMEn
StEFAno HARnEy / FREd MotEn
AllSEitS UnvollkoMMEn
Plantokratie und schwarzes Studium
Aus dem Englischen von Gerald Raunig
Für Manolo Callahan
(zur Erneuerung unserer Versammlungsgewohnheiten)
ISBN der Printversion: 978-3-903046-34-4
Lektorin: Isabell Lorey
Satz: Niki Kubaczek
Wir danken Stevphen Shukaitis für die herausgeberische Arbeit am Originaltext und Minor Compositions sowie subtextos für die Kooperation.
Die in der englischen Version von All Incomplete abgedruckten Fotografien von Zun Lee sind gemeinsam mit seinem Nachwort auf Deutsch in
einem eigenen E-Book veröffentlicht:
https://transversal.at/allseits-unvollkommen-2
transversal texts ist Textmaschine und abstrakte Maschine zugleich, Territorium und Strom der Veröffentlichung, Produktionsort und Plattform
- die Mitte eines Werdens, das niemals zum Verlag werden will.
transversal texts unterstützt ausdrücklich Copyleft-Praxen. Alle Inhalte,
sowohl Originaltexte als auch Übersetzungen, unterliegen dem Copyright ihrer AutorInnen und ÜbersetzerInnen, ihre Vervielfältigung und
Reproduktion mit allen Mitteln steht aber jeder Art von nicht-kommerzieller und nicht-institutioneller Verwendung und Verbreitung, ob privat
oder öffentlich, offen.
Dieses Buch ist gedruckt, als EPUB und als PDF erhältlich.
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Umschlaggestaltung und Basisdesign: Pascale Osterwalder
transversal texts, 2022
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ZVR: 985567206
A-1060 Wien, Gumpendorferstraße 63b
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eipcp.net ¦ transversal.at
Gefördert von: Stadt Wien Kultur; Foundation for Arts Initiatives;
Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport.
inhalt
vorwort von denise Ferreira da Silva
9
der diebstahl der versammlung
21
Wir wollen eine Präzedenz
37
nießbrauch und Gebrauch
43
lasst unsere Mikes in Ruhe
61
Unschaubar, unschaubar
85
Al-khwāriddim. Savoir-Faire ist ringsumher
89
Eine partiale Erziehung
99
Indent. Der Dienst an den Schulden
133
Gegen Management. Wassermelonen-Männlichkeit
153
Basis-Glaube
199
Plantokratie und kommunismus
209
Wer entscheidet, ob etwas bewohnbar ist?
231
Schwarzer (Ante)Heroismus
241
Selbstmord als klasse
255
die Gabe der korruption
273
voRWoRt
denise Ferreira da Silva
Jede Entscheidung bedeutet immer die Wahl eines Dings
unter anderen; eine Wahl, die immer auch eine Wahl
des Geringeren ist, weil kein Ding alle Anforderungen
dessen erfüllen kann, was man Begehren nennt. Oder
vielleicht ist es geringer, weil das, was wir Begehren
nennen, nur das Vorhandensein einer Forderung ist, zu
wählen, zu entscheiden, das eine, und nur das eine auszuwählen und vergnügt seines Wegs zu gehen. So oder
so versagt der Algorithmus, das formale Entscheidungsinstrumentarium des logistischen Kapitals dort, wo er
mit mehr arbeiten muss, als ihm angemessen ist, um
sein Ding zu machen, zu wählen, zu entscheiden. Wenn
die Eingabe nicht zu den Daten passt, gerät der Prozess ins Stocken. Eine Eingabe, jede Eingabe ist immer weniger als ein Ding. Sie ist niemals Rohmaterial;
niemals einfach nur irgendetwas. Eine Eingabe bedeutet Daten, sie hat eine Form und einen Zweck. Sie ist
immer bereit, in Beziehung zu sein, eine Verbindung
herzustellen. Das bedeutet auch, dass die Eingabe, damit sie funktioniert, damit der Algorithmus sein Ding
machen kann, als Teil in die Struktur passen und in der
Lage sein muss, das Verfahren, dem sie unterworfen ist,
zu ermöglichen, sie muss prozessierbar sein. Auf diese
Weise kann eine Eingabe kein Ding sein. Sie ist immer
ein Objekt.
Ungeachtet dessen, was Heidegger sagen würde, existiert das Ding nicht ausschließlich für das existenzielle
Ding. Auch Descartes’ Übung zur geistigen Ertüchtigung macht ein Ding nicht unmittelbar und unwiderruflich zur res extensa. Wie Kant erkannte, geht das Ding
9
vielmehr darüber hinaus, was als Form, als Objekt oder
Daten erfasst werden kann. Als solches steht ein Ding
immer im Missverhältnis zur Struktur (und zwar weil
es sich über die Grenzen der Eingabe hinaus erstreckt,
weil es darin nicht seinen richtigen Platz findet) und
verlangsamt das Verfahren bis zum Stillstand (weil was
in ihm ist, über die Eingabe hinausgeht, weil was in ihm
ist, keine Daten-Überflüsse zukünftiger Möglichkeiten
sind). Das, was im Ding die Parameter von Form und
Effektivität übersteigt, kann niemals in den Prozess eintreten, es sei denn, es ist bereits abgestoßen, ausgestoßen oder so gut wie tot.
Kein-Ding ist genauso ein Ding, wie irgendein Ding
jedes-Ding ist. Was ist dann das Ding? Ein Ding ist nur
diese unbegreifliche Unvollkommenheit, die auch Stefano
Harney und Fred Moten freigiebig unserer Aufmerksamkeit darbieten. Unbegreifliche Unvollkommenheit
ist dann nicht so sehr der Name für ein Etwas oder ein
Irgendwo, von dem aus Widerstand versucht wird. Gegen die Knappheit und die juristischen und ethischen
Begriffe, mit denen sie die Subjekte des Eigentums, der
Souveränität oder des Begehrens eingekleidet hat, ist
das imperfectum als improprium nur ein anderer Name
für die materielle Fähigkeit (die Macht der Materie), die
vielleicht das ist, was Stefano Harney und Fred Moten
rechthervorbringend nennen, wofür ich Freigiebigkeit
als Prinzip vorschlage.
I.
Nichtbegreifen, wie es in dieser Danksagung an Stefano
und Fred gemeint ist, betont dieses Scheitern, weil es
10
daran erinnert, wie Formalität und Effektivität sowohl
nach Vollkommenheit streben als sie auch geben.
Das, was weder das eine noch das andere aufweist,
kann nicht als vollständig, abgeschlossen, absolut oder
perfekt angesehen werden. Es ist dann nicht begreiflich:
Es erklärt sich nicht selbst, es legt nicht Rechenschaft
für sich selbst ab, weder für alle seine verschiedenen Teile
noch für sich als Ganzes. Das, was sich nicht sehen lassen kann, was keine richtigen Formen hat und nicht der
geraden Linie folgt, ist unvollkommen, und als solches
ist es kein Körper (denn die Idee eines Körpers gibt das
Ganze vor, dem alle Teile zuzurechnen sind), und es ist
nicht Welt (denn die Idee der Welt gibt einen Teil vor,
der für das Ganze Rechenschaft ablegen kann). Uneigentliche Strukturen und verzerrte Verfahren sind selbst
in der Aussage – Gödels Theoreme – nicht begreiflich,
die die Unvollkommenheit der vorherrschenden Denkweise feststellt. Und zwar deshalb, weil sie keine Struktur (als Körper oder Welt oder System), keinen Teil (als
Organ, Subjektivität oder Axiom) und keine Bewegung
(als Blutkreislauf, Geschichtlichkeit oder Argumentation) hat. Das sind natürlich verschiedene Arten von Formen, Teilen und Bewegungen; aber alle drei zusammen
ergeben die Idee der Entwicklung, in dem Sinn, dass die
Bewegung, durch die die Teile verbunden sind, das Ganze aufrecht erhält oder zur Vollkommenheit bringt. Wie
soll man ohne die Struktur und ihre Teile wissen, was
zu verbessern ist? Was Verbesserung braucht? Was sie
bereits erreicht hat? Wie kann das Ganze ohne ein Verfahren und sein Ergebnis subsistieren? Wie fügen sich
die Teile zusammen, um eine Wirkung zu erzielen? Was
bleibt von alleine bestehen? Und wie? Wie kann ohne
ein Was und ein Wie eine Verbesserung stattfinden?
11
Ohne Struktur und Verfahren gibt es keinen Widerstand, nur Existenzen ohne Ziele, Elemente ohne Zweck
und Intraferenzen ohne höhere oder niedere Motive.
Oder wie die Lektüre von Allseits unvollkommen uns in
Erinnerung zu rufen hilft: Alles besteht in der bloßen
unbegreiflichen Unvollkommenheit oder in Compliance
mit der tiefen Implikation, was dasselbe ist wie existenzielle Komplizität. In der Unangemessenheit, sei es
als Bruch einer Regel oder als Verletzung eines Prinzips, gibt es keine Position und keine Voreingenommenheit, von der aus man sich der Verwandlung (d.h.
der Korruption, die das in der Konstitution von allem
implizierte Werden ist) widersetzen könnte, um darauf zu bestehen, das zu bleiben, was es nie gewesen
ist oder werden wird, nämlich vollkommen. Dies ist
die Gabe. In der Logistikalität ist es nicht so sehr das
Wo und Wie und Wozu der Bewegung – all das betrifft
die Verbesserung des Flusses –, sondern jenes Danach,
das nicht notwendigerweise oder auch nur zufällig aus
dem Vorhergehenden folgen oder dem Nachfolgenden
vorausgehen muss. Die unbegreifliche UndercommonsSozialität, das schwarze Studium mag uns einfach mitnehmen, ohne Plot oder Plan, als/in irdische Existenz,
das heißt, nur geleitet von der Rechthervorbringung,
die unter der unbegrenzten Freigiebigkeit der Existenz
herrscht. Danke, Stefano und Fred!
II.
Das Paradox der politischen Korruption ist, dass sie die
Modalität ist, durch die brutale Institutionalität aufrechterhalten wird. Das Paradox der biosozialen Korruption ist,
12
dass sie die militante Bewahrung einer allgemeinen, generativen Fähigkeit zur Differenz und Diffusion konstituiert.
Diese Paradoxien verbinden sich, um die Kante der Korruption zu vergolden, sie in eine Gabe zu verwandeln, die
bereits doppelkantig war, die wir tragen oder anlegen können, als wäre sie der Stoff unserer Haut.
Von allen Dingen, von denen das Juridische und das
Wissenschaftliche abhängen und denen sie anhängen,
ist Eigentum vielleicht am offensichtlichsten und am
wenigsten direkt. Es ist offensichtlich in dem Sinn, dass
es etwas ist, das man hat, aber es ist nicht direkt, weil
dieses Haben die Form eines Attributs (einer Qualität)
oder eines Artikels (eines Ziels, eines Objekts oder eines
Zwecks) annehmen kann. Unbegreifliche Unvollkommenheit verfehlt beides, da sie erkennen lässt, wie allem, was existiert, jener Teil fehlt, durch den jedes und
alles mit/als/in etwas anderem existiert.
Angemessenheit, als sich auf eine Regel oder ein
Prinzip beziehen, ruft notwendigerweise diese beiden
Aspekte des Habens in Erinnerung, in ihrer Demontage
bringt sie hoffnungslos das, was das Haben hat, hervor.
Verbesserung, so schlagen Harney und Moten vor, ist
sehr stark bedingt durch jene Figur – den Menschen,
das Subjekt, das Humane oder die Menschheit –, deren
Teile sich so verhalten, dass sie nicht nur zur Verkörperung der Vollkommenheit wird, sondern zum Körper/
Geist, der fähig ist, andere existierende Dinge zur Vollkommenheit zu bringen. Das Ding mit dem Eigentum,
also die juridisch-ökonomische Figur, die Vorrang vor
jeder alternativen Beschreibung des Daseins hat, ist jedoch nicht eigenständig. Denn es war immer abhängig
von kolonialen juridisch-ökonomischen Architekturen,
und das „rassische“ ethisch-symbolische Arsenal, die
13
Verbesserung selbst, die angebliche Qualität und Fähigkeit zur Unterscheidung, war auch immer bedingt durch
unsere Unangemessenheit.
Improprium, das, was ein Ding, irgendein Ding, jedes Ding geworden ist, wenn es vorangestellt wird, d.h.
wenn es als (zeitlich und räumlich) vor dem proprium (dem cartesianischen Ding, wie es von John Locke
und Adam Smith vorgestellt wurde) verstanden wird,
könnte, wie sich herausstellt, die einzig akzeptable Bezeichnung für die ultimative Möglichkeitsbedingung
der Kapitalakkumulation sein. Damit Verbesserung/
Nießbrauch – die Qualität und Fähigkeit des Subjekts – möglich werden, ist es erforderlich, dass Unangemessenheit notwendig ist (als eine Qualität, die für
ihr Anderes exklusiv ist), und umgekehrt ist es, damit
sie möglich werden, erforderlich, dass Angemessenheit
notwendig ist (als Qualität, die dem transparenten Ich
innewohnt). Nur das proprium, das eigene, angemessene
Ding, dasjenige, das die Vollkommenheit hat und kennt,
ist in der Lage, die Vollkommenheit in/als Welt zu verwirklichen – Stefano und Fred erinnern uns daran, warum wir uns besser vor ihr in Acht nehmen sollten, sowohl vor der Vollkommenheit (als Bedrohung) als auch
vor der Welt (aus der wir gerettet werden müssen). Aber
weil ihre Angemessenheit in einem intrinsischen Vergleich artikuliert wurde, im Widerspruch zur exklusiven
Unangemessenheit von allem anderen, weil es ohne sie
keinen Sinn macht, kann das proprium nicht alle seine
Teile verbessern; wenn es das tut, verwandelt es seine
Flugbahn in eine Eschatologie.
Hier gibt es keine Äquivalenz. Proprium ist nicht die
Bedingung für die Artikulation dessen, was in Gegensatz
und Unterscheidung dazu improprium genannt wurde.
14
Denn die Gabe, an die Harney und Moten erinnern, ist
die Unangemessenheit, d.h. diese beständige und kontinuierliche Re/De/Generierung, unsere Korruption,
„generative Fähigkeit zur Differenz und Diffusion“. Die
grenzenlose Unangemessenheit der Dinge ist diejenige,
die durch einen Knick genau die Berechnung re/de/generiert, die für die Verbesserung der Dinge gemacht ist.
III.
Wenn ihre Logistik sowohl annimmt als auch vorgibt, dass
die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten eine gerade Linie ist, was, wenn unsere Logistikalität, vor und gegen sowohl die Annahme als auch die Vorgabe, eine kürzere Strecke in einer Kurve improvisiert – oder nicht einmal in einer
Kurve, sondern in einem Knick? Der Knick ist weder Kurve
noch Kreis, geschweige denn Linie. Tatsächlich wird von einem Knick oft gesagt, er sei eine Blockade. Und was ist eine
Sammlung von Knicken, oder ein Kollektiv von Knicken,
wenn nicht eine Dread oder Jam? Schaust du mich aus?
Watch me? No, watch meh, motherfucker.
Sich durch Bestimmung des aktuellen Längen- und
Breitengrads zu verorten, bedeutet, die Möglichkeit zu
verpassen – und all das, was passieren könnte, aber nicht
antizipiert werden kann, wenn man es versucht –, etwas
inmitten/unter allem anderen zu finden, mit/in/aus dem
es existiert. Diese Art des Ortens spezifiziert und verallgemeinert zugleich und folgt als solche der grundlegenden Karte dessen, was Kant in der Kritik der Urteilskraft
unter seinem Gesetz der Spezifizierung der Natur vorsieht. Das Bild ist eines von unterscheidbaren Ganzheiten, innerhalb derer andere kleinere Ganzheiten liegen,
15
von denen jede (mit Ausnahme der allgemeinsten, die er
Natur nennt) ein Teil der größeren ist, innerhalb derer
sie sich befindet, und von denen jede auch an der größeren teilnimmt.
Abstrakt betrachtet, nimmt diese Festlegung des Wo
eines Etwas alles andere, was mit ihm existiert, aus der
Betrachtung heraus. Sobald das geschehen ist, kann das
Verschieben von etwas von einem Wo(-Ort) zu einem
anderen (Ort) in Betracht gezogen werden, das heißt,
es ist möglich, die Aufmerksamkeit wieder auf das Ganze zu lenken, auf den gesamten Kontext, in dem dieses Ding existiert. Aber an diesem Punkt, so erinnern
Stefano und Fred, geht es nicht einmal mehr um das
Ding, sondern um die Bewegung, das Bewegen des
Dings und darum, wie man das macht. In der Logistik geht es, so stellen sie fest, um das Wo und Wie
und Wozu der Bewegung, um den Fluss und seine
Verbesserung, um die Verfahren, die ihn sicherstellen.
Darüber können wir aber nur nach- und mitdenken,
weil wir bei der Betrachtung dessen, was geschieht, statt
uns auf das Was und das Wie zu konzentrieren, davon
ausgehen, dass es nicht ungeschehen gemacht wird, und
uns dann darauf konzentrieren, was es geschehen ließ
(seine Wirkursache), oder darauf, wie es war, bevor und
nachdem das, was es geschehen ließ, sich abspielte.
Wie wir jedoch den Algorithmus kennen, der etwas bewirkt, kann die Befehlslinie – um Korruption,
Abweichung und unerwünschte Re/De/Generierung
zu behandeln und zu verhindern – nicht für sich selbst
Rechenschaft ablegen. Als solche öffnet sie sich, der
allgemeinen unbegreiflichen Unvollkommenheit ausgesetzt, in deren Mitte sie sich befindet. Nicht vollständig unterscheidbar von allem, was sich in seinem
16
Allgemeinsten – im kleinsten und im größten entgrenzten Ganzen – findet, diffus unterschiedlich in seinen
vielen Implikationen, schwindet und wandert der Fluss:
Es kann sogar sein, dass das, was im Geschehen ist, vor
dem stattfindet, was es überhaupt erst hervorgebracht
hat. So verkorkst ist es in der Tat.
Die Logistikalität, unsere wandernden Wunder, bedroht die Logistik. Nicht, weil sie herumirrt, die (Verwerfungs-)Linien ignoriert, überschreitet und oben darüber hinwegtanzt. Nein! Harney und Moten erinnern
uns: „Der Knick ist weder Kurve noch Kreis, geschweige denn Linie“, sondern vielmehr „eine Sammlung
von Knicken, oder ein Kollektiv von Knicken, wenn
nicht eine Dread oder Jam.“ Die grenzenlose Unangemessenheit der Dinge ist das, was das Soziale in die
schwarze Sozialität re/de/generiert, die die militante Praxis der Diffunität ist, das heißt, die gebende
Unvollkommenheit.
IV.
In diesem Sinne geht es bei den Undercommons, wenn überhaupt, nur am Rande um die Universität; und es geht bei
den Undercommons entscheidend um eine Sozialität, die
nicht auf dem Individuum basiert. Wir würden sie auch
nicht als eine beschreiben, die aus dem Individuum abgeleitet ist – bei den Undercommons geht es weder um das
Dividuelle noch um das Prä-Individuelle oder das SupraIndividuelle. Undercommons sind eine Verbundenheit, eine
Gemeinsamkeit, eine Diffunität, eine Geteiltheit.
Als ich in den letzten Monaten beim Lesen von Allseits
unvollkommen die steigenden Infektionsraten verfolgte,
17
und mit ihnen die wachsende Zahl von Menschen, die an
COVID-19, der durch Sars-CoV-2 verursachten Krankheit, starben, konnte ich nicht umhin, mich zu fragen,
wie hier Verbesserung am Werk ist, zum Beispiel in
Brasilien und in den USA. Verbesserung, das wissen wir,
bestimmt die Entscheidungen (der politischen Entscheidungsträger_innen und der Algorithmen), sterben zu
lassen, die angesichts von Zahlen getroffen werden, die
zeigen, um wen es sich handelt (die ökonomisch Enteigneten, die systemrelevanten Arbeitskräfte, diejenigen mit
Vorerkrankungen, in den USA nicht ganz zufällig ein
großer Prozentsatz der schwarzen, indigenen, LatinxBevölkerung des Landes). Es ist das operative Element
hinter dem, was eine Anhäufung von Entscheidungen zu
sein scheint, die zu einem Anstieg der Zahl der Infektionen und Todesfälle führte. Ich kann nicht anders, als mir
darüber Gedanken zu machen, wie diese Argumentation
ausgedrückt wird, welche Worte verwendet, welche vermieden werden. Unter anderen Begriffen wie Erfindung, Fortschritt, Zivilisation, Entwicklung ist Verbesserung auch bei den vorausgegangenen Entscheidungen
am Werk, die zu ihrer ökonomischen Enteignung führten, zu ihren Vorerkrankungen, zu ihrer Beschäftigung
in den Wirtschaftsbereichen, die während einer globalen
Pandemie am stärksten gefährdet sind.
Angesichts dieser globalen Pandemie wird einmal
mehr deutlich, wie Verbesserung das Management von
Knappheit in Wirtschaft und Politik steuert. Da zu erwarten ist, dass das, was korrupt oder unangemessen ist,
unfähig ist zu florieren, ist die logische Entscheidung,
das zu schützen oder zu bewahren, was überleben und
florieren kann. Was auch immer das ist, es ist in der
Lage, sich zu verbessern – aus sich selbst heraus oder
18
durch die Politik. Wie sonst lässt sich die bis dato undenkbare Entscheidung des Gesundheitswesens erklären,
die älteren und unterversorgten COVID-19-Patient_innen von den Beatmungsgeräten fernzuhalten, um diese für die „Jüngeren“ und „Gesünderen“ zur Verfügung
zu haben, also für die, deren (Ver-)Besserung diese Behandlung zur Folge haben würde. War es nicht dieselbe
Logik, mit der die Regierungen in der Weltwirtschaftskrise 2007-2008 die Rettung von Großkonzernen und
Banken rechtfertigten, weil sie „zu groß zum Scheitern“
waren? Im letzteren Fall waren sie zwar bereits gescheitert, aber sie waren (ihr Anteil an der Weltwirtschaft
ist) zu groß, um sie sterben zu lassen. Was bedeutet das
für den Rest von uns? Diejenigen, die zu klein sind, um
zu florieren? Zu gebrechlich, um zu leben? Diejenigen,
die nicht zählen, die in der Entscheidung und im Algorithmus (im Struktur-Verfahren, dem Algorithmus, der
es stützt, der ihm sowohl ein Ziel als auch eine Evidenz
gibt) als Null, Nichts, Kein-Ding, Kein-Körper erscheinen? Was ist mit ihnen? Wie können sie überhaupt existieren und bestehen, wenn sie wissen, dass ihre Zahl nie
genannt wird, weil sie keinen Sinn macht, weil sie nicht
in die Berechnung passt, weil sie aus der Reihe tanzt und
verkehrt herum ist? Sie, wer?
Denn niemand sucht nach uns. Also suchen wir uns mit
Husni-Bey und fragen uns, wie wir uns von der unendlichen
Probe abgewandt haben und uns ihr wieder zuwenden werden, die das Studium verrückt macht, oder schwarz, indem
wir mit denen zusammenstehen, die kein Standing haben,
bis wir ihnen zugestimmt haben. Mit uns. Den Komplizitären. Den Verdammten. Wer entscheidet dann?
Die Existenz als unbegreifliche UndercommonsSozialität, die uns Allseits unvollkommen bietet, hat
19
nichts mit Zukommen oder Mitkommen zu tun. Ohne
Plot oder Plan, als/im Fleisch oder Körper, sofern er
als/in unaufhörliche/r De/Re/Komposition behandelt
wird, was nichts anderes ist als irdische Existenz. Das
ist nicht die Kraft des Gesetzes, der Linie, die verbindet, trennt und lenkt. Rechthervorbringung, die als die
Qualität und Fähigkeit zu geben gelesen werden kann
– nicht im Kontext einer Ökonomie (wie in der Verwaltung von Knappheit), sondern als Freigiebigkeit (wie
in der Fülle des Regenwalds). Jene Freigiebigkeit finde ich in ihrer kämpferischen Praxis des MiteinanderSchreibens (wie auch mit all den anderen, mit denen sie
mit-denken). Das ist für mich Freigiebigkeit, die auch
der Weg der schwarzen Sozialität ist, in ihrer Unreinheit
und Komplizität – danke, Fred und Stefano!
20
dER diEBStAHl dER vERSAMMlUnG
Wenn ich auf die Frage „Was ist Sklaverei?“ kurz
„Mord!“ antwortete, würde man meinen Gedanken sogleich verstehen. Es bedurfte keiner
längeren Ausführungen, dass die Macht, dem
Menschen das Denken, den Willen und die Persönlichkeit zu nehmen, eine Macht auf Leben
und Tod ist und dass somit einen Menschen
zu versklaven gleichbedeutend ist mit Mord.
Warum also kann ich auf die Frage: „Was ist
Eigentum?“ nicht ebenso gut antworten: „Es
ist Diebstahl!“, ohne mit Sicherheit unverstanden zu bleiben? Und doch ist dieser zweite Satz
nichts anderes als die Umschreibung des ersten.
(Pierre-Joseph Proudhon)
1.
Der erste Diebstahl erscheint als rechtmäßige Eigentümerschaft. Dies ist der Diebstahl des fleischlichen, irdischerdigen Lebens, das dann im Körper eingekerkert wird.
Aber der Körper, so stellt sich heraus, ist nur das erste
Principal-Agent-Problem. Der Körper ist nur ein Aufpasser, ein Vertreter, ein Aufseher für den wirklichen
Hausherrn, den wirklichen Eigentümer, das Individuum, in seiner giftigen, schwerfälligen Begrifflichkeit. Der rechtliche Begriff für dieses Principal-AgentProblem ist Geist. In dieser Hinsicht ist die Bezeichnung
„Geist/Körper-Problem“ eher eine synekdochische Redundanz in der Abstraktion als eine Verwicklung oder gar
ein Gegensatz von anima und Materie, Mama und Seele.
Von Erwin Schrödinger übernimmt Robert Duncan
eine Formulierung, die in einer bestimmten Weise
21
Unordnung entstehen lässt. Schrödinger sagt: „Lebende
Materie entzieht sich dem Verfall ins Gleichgewicht.“
Wenn also Proudhon recht hat, und Sklaverei, Mord,
Raub und Eigentum eine Einheit sind, wenn das allgemeine Regime des Privateigentums am treffendsten als
sozialer Tod erfasst wird – was ist, wenn Tod und Privateigentum jenes Gleichgewicht sind, von dem Schrödinger
spricht? Was John Donne über Gottes souveräne
Fähigkeit des Bewahrens sagt, ist ein Problem, das dazu
gedacht gewesen sein wird, ein Problem zu lösen; und
wenn Schrödinger davon spricht, sich dem Verfall ins
Gleichgewicht zu entziehen, sagt er nicht, dass aller
Verfall schlecht wäre. Die Korruption ist unser (verfemter) Anteil, unsere antologische Praxis, unsere exzentrische Zentrierung, wie M. C. Richards es formulieren
würde. Wie wir uns dem Eigentum und dem Gleichgewicht entziehen, ist genau in jener Verweigerung der
Verlustprävention gegeben, die wir Teilen, Reiben, Empathie, Haptikalität nennen: die Undercommons-Liebe
des Fleisches, unsere wesentliche omnizentrische oder
anazentrische Exzentrizität.
Im Gefolge der Entstehung einer solchen Unordnung
ist jedes Ding Verlustprävention. John Locke erfindet
die tabula rasa als Container für Eigenschaften –
Eigenschaften des Geists und Eigenschaften als Eigentum des Besitzgeists. Selbsterkenntnis ist bei Locke
Selbst-Besitz und Selbst-Positionierung. Sein Akkumulationsprozess ist Selbstverortung, denn man kann
gar nicht anders, als dafür sesshaft zu werden. Vom ersten Moment an, der immer wiederzukehren scheint,
ist alles Eigentum gesetzt, beginnend mit der Setzung/
Positionierung eines Körpers, um Eigentümerschaft und
Eigentum und Eigentumsgeist zu verorten. Setzung und
22
Hinterlegung führen das Eigentum als Verkörperung
ein, und ihr unumgängliches Ziel, gegeben im kontinuierlichen Rückzug, ist Verlust. Dies erfordert die Produktion einer Wissenschaft des Verlusts, das heißt die
Wissenschaft des Weißseins, Logistik.
Jede Aneignung, jede Verbesserung ist eine Verknöcherung des Teilens. Diese Verknöcherung ist in und als
Einhegung gegeben. Das erste abscheuliche Gefäß, das
von und für die Logistik produziert wurde, ist nicht das
Sklavenschiff, sondern der Körper – Begriff gewordenes
Fleisch –, der das Individuum-in-Unterwerfung hervorbringt. Eine tiefgehende Bösartigkeit beginnt mit dieser
Kolonisierung des gesetzten Körpers, der Bestimmung
des gesetzten Geists und der Manipulation ihrer wechselseitig umhüllenden Redundanz in verschiedenen Abstufungen von Brutalität, gegeben in der toten, immerwährenden Bewegung des Willens zur Kolonisierung.
Diese Einschließung, diese Besiedelung wird sich wiederholen, weil sie wiederholt werden muss. Jede Sklav_in
wird jedes Mal der Spiegel gewesen sein, in dem das
Selbst, indem es sich selbst sieht, in sich, als es selbst
zur Existenz kommt, was eine allseits mörderische Fantasie ist.
Locke erfindet hier das Derivat, einen heruntergekommenen Teil des verfemten (An-)Teils, der bereit
ist, auf die Macht dieses Anteils zurückzugreifen, aber
nur, um mehr Derivate zu schaffen, um mehr Zonen der
Enteignung zu schaffen, indem er Eigentum setzt, in der
Leugnung des Verlusts, die dem Verlust vorangeht. Alles
Eigentum ist Verlust, weil alles Eigentum Verlust des
Teilens ist. In seiner Vorsätzlichkeit ist Eigentum Diebstahl; aber jenseits der Mordlust, die den Diebstahl in der
Aneignung jedes einzelnen Geists/Körpers gewöhnlich
23
begleitet, ist der Diebstahl, um den es hier geht, absoluter Serienmord, den wir nur überleben, insofern alles Eigentum durch Teilen verwundbar bleibt. Das bedeutet nichts anderes, als dass alles Eigentum flüchtig
ist. Es flieht vor seiner eigenen Setzung, flieht vor dem
Hinterlegt-Sein. Alles (Eigentum) lässt die hinterlegte
Kaution verfallen. Teilen, Erschöpfung, Verausgabung,
Derivation werden in der messbaren und rechenschaftspflichtigen individuellen Einheit des Derivats eingehegt
und erstarrt gewesen sein. Aber das Teilen ist unser
Mittel, die Mittel der Erde in uns und unsere Mittel in
der Erde. Die Logistik scheint gewöhnlich Mittel über
Zwecke zu stellen – alles ist, wie es dorthin zu bekommen ist, nicht was es ist –, und doch ist die Logistik
eigentlich die Degradierung der Mittel, die allgemeine
Abwertung der Mittel durch Individuierung und Privatisierung, was dasselbe ist. Sie ist die Wissenschaft
der verlorenen Mittel, fortschreitend mit jedem Akt der
Verlustprävention.
Wenn Locke das Derivat erfindet, dann ist Immanuel
Kants Innovation der Hochfrequenzhandel. Und wenn
Kant das Schicksal der Logistik umkehrt, indem er verkündet, dass die Zwecke (des Menschen), und nicht
die Mittel wichtig sind, wird der Mensch, das ultimative Derivat, vollkommen logistisch eingerichtet. Der
Mensch wird hochgehalten, nicht von Kant, sondern
von der Logistik, einer Logistik, die den Schein eines
freistehenden Subjekts erweckt. Ein menschliches Universum erscheint Kant, voll von dem, was er als menschliche Eigenschaften setzt. Kant spaziert über die Docks,
überquert die sieben Brücken von Königsberg und
überblickt die logistische Welt von einem Standpunkt
aus, den er nie zu verlassen braucht. Dort kommt sein
24
Schiff mit jedem neuen Reisetagebuch und jeder ethnographischen Abhandlung herein, dort wird er Zeuge der Humanisierung des Fleisches. Die Logistik hat
jetzt ein Subjekt, und das ist die „Rasse“. Die Humanisierung des Fleisches ist die Rassifizierung des Fleisches. Es ist die Katastrophe, die über das Gattungswesen hereinbricht, eine Katastrophe, die nicht einmal
Marx rückgängig machen kann. Deshalb ist die Logistik die Wissenschaft des Weißseins in der Wissenschaft
des Verlusts und als Wissenschaft des Verlusts.
Das ist, wie uns Denise Ferreira da Silva lehrt,
die Gefahr für Fleisch/Erde zur Zeit G.W.F. Hegels.
Überwachung. Zugriff. Transparenz. Resilienz. Die globalisierte, generalisierte Verlustangst ist überall dort, wo
die Logistik die Notwendigkeit sieht, unser verwickeltes Fleisch zu begradigen. Und wo immer die Logistik
auf Monstrosität stößt, humanisiert sie sie. Nun bedeutet dunkel sein, wie uns Saidiya Hartman unterweist,
verwickelt sein; gejagt sein, dem Subjekt des Zugriffs
unterworfen sein. Wie kann man von uns, derartig unter-unterworfen, sagen, dass wir Personen sind? Fleisch/
Erde ist den Angriffen der globalen Verbesserung, des
weltlichen Nießbrauchs ausgesetzt. Mit der Verbesserung produziert Hegel das Regelwerk, das Deregulierung genannt wird. Nichts wird der Entwicklung der
„Rasse“ im Weg stehen, nichts dem Rennen der Entwickler. Davor und durch es hindurch aufgereiht ist unsere Opazität, gegeben in und als unser otium, jene anteprogrammatische Unordnung, die R.A. Judy unsere
Sprache nennt, aufgereiht, wie Fumi Okiji es tut und
sagt, mit offenem Mund, in dem Fluch, der Verdammnis, der Unvollkommenheit, die wir teilen.
25
2.
In der Philosophie des Zen-Buddhismus ist das Ziel der
Herz-Lehre ji ji muge, was mit „nicht blockiert“ übersetzt werden kann. Nichts hält den Pfad, den Weg vom
Fließen ab. Das Herz reist frei. Aber wenn das Herz frei
reist, darf es sich nicht einbilden, dass es frei ist. Deshalb
müssen wir ji ji muge auch mit „Nicht-Nicht-Blockade“
übersetzen. Der Unterschied zwischen Nicht-Blockade
und Nicht-Nicht-Blockade ist sowohl unendlich klein
als auch unendlich. Doch wo ist diese Unterscheidung
zu finden? Wir haben diese Unterscheidung in der Differenz zwischen Diversität und allgemeinem Antagonismus oder zwischen Berührung und Haptikalität oder
vielleicht am ausdrücklichsten zwischen Logistik und
Logistikalität gesucht.
Denn was soll man davon halten, wenn heute gerade
die Wissenschaft der Logistik die Herz-Lehre des ZenBuddhismus am meisten verwirklicht zu haben scheint?
Es ist die Wissenschaft der Logistik, die vom unblockierten Fluss träumt und versucht, diese Träume in die
Realität umzusetzen. Harte Logistik und weiche Logistik arbeiten zusammen. Das Yang der neuen Seidenstraße
und das Yin des Algorithmus träumen gemeinsam davon, nicht blockiert zu werden.
Wenn dies wahr ist, sollten wir uns Sorgen machen.
In ihren Ursprüngen und ihren zeitgenössischen Mutationen ist die Logistik eine regulierende Kraft, die
sich gegen uns, gegen die Erde stellt. Logistik beginnt
im Verlust und in der Leere. Und sie beginnt in einem grundlegenden Irrtum namens Raumzeit. Der Verlust, der das Eigentum ausmacht, konkret das Eigentum
an Privatbesitz, der Verlust des Teilens, der Verlust der
26
Erde und die daraus folgende Gestaltung der Welt, geht
einher mit dem Irrtum, dass das, was privatisiert worden ist, leer ist und durch das Eigentum selbst, durch
die Eigenschaften gefüllt werden wird, durch die in es
hineingelegten Eigenschaften. Diese Leere wird mit einem Inneren gefüllt werden. Diese Leere wird durch die
Logistik bestätigt, durch die Mobilisierung, den kolonisierenden Trieb dieses Inneren, wo Eigentum in einen
leeren Raum importiert wird.
Wiederum hat dies seinen Anfang bei Locke, oder
zumindest können wir bei ihm wieder beginnen.
Lockes Begriff des Geists als tabula rasa – oft als aufklärerische Bewegung weg von der Vorherbestimmung
dargestellt – ist eine Projektion dieser Leere, die besessen und gefüllt werden muss. Damit diese Leere zu
Privateigentum werden kann, muss sie mit den Koordinaten von Raum und Zeit gefüllt und in ihnen verortet werden. Der Raum entsteht als Abgrenzung dessen,
was mein ist, und die Zeit beginnt mit dem Moment
des Diebstahls und der Auferlegung, in dem es mein
wurde. Der individuelle Geist und seine Reifung aus
der tabula rasa heraus markieren diese erste Unterwerfung. Die aufklärerische Innerlichkeit entstand – um
mit Hayden White zu sprechen – mit diesem emplotment, dieser Kerbung von Zeit und Raum, mit dieser
Trennung von dem, was geteilt wird. Aber Innerlichkeit gibt es nur für den besitzenden Geist. Denn was
es diesem Geist erlaubt, von sich selbst Besitz zu ergreifen, ist seine Fähigkeit, Eigentum zu fassen, als etwas, das er nun als jenseits seiner selbst setzt. Er hält
das, wovon er weggenommen wird, für das, was er
braucht, um sich selbst zu erschaffen, und er braucht es
nicht nur, sondern begehrt es zwanghaft, unaufhörlich,
27
unersättlich ohne Ende. Mit anderen Worten findet die
Kerbung von Zeit und Raum in den Geist durch die
Kerbung von Zeit und Raum auf der Erde statt, in einer
Umwandlung von Leere in Welt, und gleichzeitig wird
diese Kerbung als eine Erfüllung des Geists verstanden,
als seine innere Bestimmung in und von dem, was nun
als Körper begriffen werden kann. Ist es zu sprunghaft
zu sagen, dass an dieser Stelle untrennbar Logik und
Logistik beginnen?
Deshalb kann man den aufklärerischen Denker
Locke nicht von Locke, dem über „Rasse“ schreibenden Autor der berüchtigten Kolonialverfassung der
Carolinas trennen. Eigentum war eine Rückkopplungsschleife – je mehr du besitzt, desto mehr besitzt du dich
selbst. Je mehr Logistik du einsetzt, desto mehr Logik
bekommst du; je mehr Logik du anwendest, desto mehr
Logistik brauchst du. Wie Hortense Spillers sagt, war
der transatlantische Sklavenhandel die Lieferkette der
Aufklärung. Er war eine nie endende Suche und Unterwerfung, denn Eigentum ist immerwährender Verlust. Wenn Gilles Deleuze sagt, die Macht sei traurig,
können wir das Gleiche vom Eigentum sagen, in dem
das unmittelbarste Gefühl des Verlusts des Teilens liegt.
Dieses Gefühl des Verlusts übersetzt sich in eine teuflische Besessenheit von Verlustprävention. Die Logistik
entpuppt sich ebenso als Wissenschaft der Verlustprävention wie als Wissenschaft, Eigentum durch die Leere hindurch zu bewegen und auf ihrer Reise die Welt
zu machen, indem sie sie füllt. Das bedeutet nicht, wie
in der anarchistischen Tradition, dass wir im Gehen die
Straße machen. Es geht darum, alles, was auf dem Weg
liegt, in eine koordinierte Zeit und einen koordinierten
Raum für das Eigentum zu verwandeln.
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Durch solches Ergreifen, solches Erfassen, solche Verlustprävention operiert die Niederträchtigkeit des atlantischen Sklavenhandels, der ersten massenhaften,
teuflischen, gewerblichen Logistik. Schon diese Rückkopplungsschleife des Eigentums erfährt mit jeder Kerbung einen weiteren Verlust, den Verlust des Teilens.
Im Aufnehmen des europäischen Erbes von „Rasse“ und
Sklaverei, das nach Cedric Robinson mit dem Klassenkampf in Europa in den Jahrhunderten direkt vor Locke
entstand und bis in Lockes eigene Zeit hineinreichte,
wird heute jedoch ein doppelter Verlust erlebt, eine Intensivierung der Rückkopplungsschleife des Eigentums
(und dessen, was wir die Subjektreaktion nennen). Diese üble Kerbung der Afrikaner_innen wird als potenzieller Verlust von Eigentum erlebt, das fliehen kann.
In diesem doppelten Verlust des Teilens – gegeben im
Eigentum-Besitzen und in der Auferlegung des Eigentum-Seins – entsteht die tödlichste, den Planeten bedrohende Krankheit des Spezies-Seins: Weißsein. Und
aus diesem Grund können wir sagen, dass Logistik die
weiße Wissenschaft ist.
Das ist es, was viele Weiße – die Leute, die, wie
James Baldwin sagt, denken, dass sie weiß sind oder
dass sie es sein sollten – tun, wenn man sie sieht, wie
sie geradewegs an einer Warteschlange vorbeigehen und
sich niedersetzen, oder sich in die Mitte eines überfüllten Raums bewegen, oder lauter sprechen als die um
sie herum, oder einen Gehweg blockieren, während sie
mit ihrem kleinen Kind über „Wahlmöglichkeiten“ diskutieren. Indem sie aus Praxis Theorie machen, kerben
sie sich, wie man es ihnen beigebracht hat, und etablieren die Raumzeit von Besitz und Selbstbesitz im Eigentum. Jeder Schritt, den sie tun, ist die Behauptung einer
29
Stellung, ein Herausstampfen der Welt aus dem irdischen Dasein in das rassifizierte kapitalistische Menschsein. Es wird umso ausgeprägter, je mehr es bedroht
ist, verzehrt von seiner eigenen Rückkopplungsschleife,
und es produziert immer schärfere Subjektreaktionen angesichts dieser Bedrohung. Das ist der alte/neue
Faschismus: nicht die Anonymität des dem Führer Folgens, sondern die Subjektreaktion auf die Führung,
die sich ebenso gut als liberale Abweichung von ihrem
Ruf wie als vermeintliche Opposition zum repetitiven
Locke’schen Gleichschritt ihres Rufs imaginieren kann.
In Zeit und Raum der Kerbung ist der kürzeste Abstand zwischen zwei abstrakten und dimensionslosen
Punkten – die Leerstellen, die beschworen werden, um
als Welt oder Welten oder Teile von Welt ge- und erfüllt zu werden – eine gerade und dimensionslose Linie. Mit etwas Einbildung ist das Schachtelnest der
Natur eine Lieferkette, eine Handelspartnerschaft, ein
Vorankommen von Handlangern im Gefolge eingebildeter Souveränität. Aus dieser engen Geometrie gehen
die Grundbausteine der Wissenschaft der Logistik als
brutalistische Geografie hervor. Das Problem des Handlungsreisenden betrifft die Frage, wie man diese Idee –
dass die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten
eine gerade Linie ist – erweitern kann, wenn es mehrere
Ziele und Haltepunkte gibt. Natürlich hat die Logistik
oft erkennen müssen, dass diese leere Erde Blockaden
enthält und ihr den Zugriff verwehrt. Aber die Wissenschaft baut sich auf, um diese Blockaden zu überwinden
und diesen Zugriff durchzusetzen. Die Logistik zielt darauf ab, uns zu begradigen, uns zu entwirren und uns
für ihren Nießbrauch, ihren verbessernden Gebrauch zu
öffnen; ein solcher Zugriff auf uns verbessert wiederum
30
die Flusslinie, die gerade Linie. Und was die Logistik
für den kürzesten Abstand zwischen uns hält, erfordert,
uns als Körper in den Raum zu kerben, wo Innerlichkeit
auferlegt werden kann, selbst wenn die Fähigkeit zur
Innerlichkeit verweigert werden kann, in der ständigen
Messung und Regulierung von Fleisch und Erde.
3.
Wenn Shoshona Zuboff in Das Zeitalter des
Überwachungskapitalismus 1 die Innerlichkeit gegen die
räuberische Wirtschaftslogik des Überwachungskapitalismus verteidigen will, erfahren wir viel darüber, wie
Logistik heute funktioniert. Zuboff argumentiert, dass
die Informationstechnologie heute ihr Geld mit dem
Sammeln, Abpacken und Verkaufen von großen Datenmengen über unser Alltagsverhalten verdient. Facebook
oder Google verdienen also nicht, wie gemeinhin angenommen, Geld, indem sie mit Werbung auf deinen
Geschmack oder dein Verhalten abzielen. Nach Zuboff
haben sie kein Interesse an uns als Individuen, was aber
nicht bedeutet, dass ihre Methoden nicht auch individuieren. Vielmehr sind es die gebündelten Daten, auf
die es ankommt, weil sie nicht dazu verwendet werden,
unsere Spuren zu verfolgen, sondern dazu, unser Verhalten zu verändern. Sie merkt außerdem an, dass das
Eingreifen in die Bündel sogar noch wertvollere Datenbündel liefert. Facebook spioniert dich nur insofern aus,
so Zuboff, als es uns ausspioniert; und wenn wir sein
1 Shoshona Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, aus
dem Englischen von Bernhard Schmid, Frankfurt/Main, New York:
Campus 2018.
31
Rohmaterial und sein Produkt sind, dann ist ihre Verwendung des Begriffs der primitiven Akkumulation gerechtfertigt. Problematisch ist, dass dieses Argument
von einem Kapital ohne Arbeit auszugehen scheint, wobei die Arbeit durch einen Algorithmus ersetzt wird, der
sich selbst ausgeführt haben wird. Von der italienischen
Autonomia und von jahrhundertelanger afrikanischer
Theoriebildung, die den Alptraum der totalen Subsumtion erfahren hat, den Zuboffs Annahme der abwesenden Arbeit erweitert, lernen wir allerdings, dass auch wir
Rohmaterial, Produkt und Arbeit sind. Unsere Arbeit
bringt diese ökonomische Logik, oder jede ökonomische Logik zum Laufen. Und was ist die Natur unserer Arbeit im Überwachungskapitalismus? Logistik. In
der zwanghaften Selbstverwaltung „unserer“ Klicks und
Strokes hegen wir die Überdeterminierung, die von der
Logistik festgelegt wird. Durch und als eine Reihe von
Anwendungen, die wir anwenden – auf und unter einem
Feld von Plattformen, die wir errichten –, konzentriert
unsere Arbeit die Produktionsmittel immer weiter mit
dem Ziel, uns schlicht und ergreifend daran zu hindern,
uns umeinander zu sorgen, aufeinander zu schauen, und
uns dazu zu bringen, uns gegenseitig anzusehen, was bedeutet, uns um sie zu sorgen.
Je mehr wir uns mit Zuboff – auch in ihrer Begrifflichkeit – auseinandersetzen, desto mehr stellen wir fest,
dass die andere Seite der Modifizierung die Prävention
ist. Einen Teil einer Bevölkerung in eine Richtung zu
bewegen, bedeutet, sie daran zu hindern, sich in eine
andere Richtung zu bewegen. Bald scheint es in dieser Logistik des Überwachungskapitalismus ebenso sehr
um Blockade wie um Fluss zu gehen, was natürlich
damit vereinbar wäre, dass wir nicht nur Rohmaterial,
32
nicht nur Produkt, sondern auch vergesellschaftende Arbeit sind. In jedem Fall werfen die Blockaden des
Überwachungskapitalismus, des logistischen Kapitalismus im Allgemeinen, eine Frage auf: Wenn ihre Logistik sowohl annimmt als auch vorgibt, dass die kürzeste
Strecke zwischen zwei Punkten eine gerade Linie ist,
was, wenn unsere Logistikalität, vor und gegen sowohl
die Annahme als auch die Vorgabe, eine kürzere Strecke
in einer Kurve improvisiert – oder nicht einmal in einer
Kurve, sondern in einem Knick? Der Knick ist weder
Kurve noch Kreis, geschweige denn Linie. Tatsächlich
wird von einem Knick oft gesagt, er sei eine Blockade. Und was ist eine Sammlung von Knicken, oder ein
Kollektiv von Knicken, wenn nicht eine Dread oder
Jam? Schaust du mich aus? Watch me? No, watch meh,
motherfucker.
Womit wir bei der Geschichte von Leonard Percival
Howell wären. 2 Als ob Versklavung, Indentur und
Herrschaft nicht schon genug gewesen wären, wurden
die Imperialisierten auch noch mit Namen versehen. So
zog Howell es vor, sich Gangunguru Maragh zu nennen,
kurz Gong, oder noch kürzer Tuff Gong. Gong kam aus
einem Ort namens Clarendon auf Jamaica. Nicht ganz
Jamaica ist für den Zuckeranbau geeignet, aber dieser
Teil schon. Nach der Abschaffung der Sklaverei behielten die Briten ihre böse Vorliebe für Süßes, und so verdoppelten sie, wie an so vielen Orten im Empire, das,
was Édouard Glissant den „raketenartigen Nomadismus“
Wir entnehmen diese Kurzbiografie einem viel detaillierteren
und anschaulicheren Text. Vgl. Michael A. Barnett, D.A. Dunkley,
Jahlani A.H. Niaah (Hg.), Leonard Percival Howell and the Genesis
of Rastafari, Mona: The University of the West Indies Press 2015.
2
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der Konquistadoren nennt 3, in Clarendon mit den vom
indischen Subkontinent Verschleppten, die in der kalten
Logistik und den brutalen Algorithmen der Kolonialität angesiedelt, abgesiedelt, umgesiedelt und zugleich
in ihr als Vertragsknechte zur Indentur verdingt wurden. Gong, der in Marcus Garveys Organisation gearbeitet und die Welt bereist hatte, war, nachdem er sich
regelmäßig mit der anglikanischen Kirche in Jamaica
angelegt hatte, auf der Suche nach einem antikolonialen Glauben. Er wusste, dass die Kirche – die Kirche
der Logistik, das „Christentum“ der Überwachung, die
wahre Religion der Kolonialherrschaft – den Glauben,
den er suchte, nie ertragen würde, jenen Glauben, den
er fand und gründete, als er sich den aufständigen Obdachlosen seiner Heimat zuwandte. In den hinduistischen Vertragsknechten aus Indien sah er den Beweis,
dass jedes Volk seine wahre Religion finden muss. Er
verbrachte Zeit mit ihnen in Clarendon, beobachtete aufmerksam ihre Teezeremonien mit Ganja und ihre
Ital-Diäten. Er nannte sich nach ihrer Sprache Gan oder
Gyan für Weisheit, Gun für Glaube, Guru für Lehrer und
Maragh für König. Bald machte sich Gangunguru
Maragh daran, die aus seiner Sicht wahre Religion des
schwarzen Menschen aufzubauen.
Er selbst trug nie Dreadlocks, aber mit seinen Dreadstragenden Anhänger_innen gründete er in Sligoville ein
Dorf namens Pinnacle, das die britischen Behörden als
sozialistisch bezeichneten. Sie versuchten wiederholt, es
zu zerstören, und sie sperrten Gong in ihre neu eröffnete
psychiatrische Anstalt. Aber der Rastafarianismus konnte
Nomadisme en flèche, vgl. Édouard Glissant, Poétique de la Relation.
Poétique III, Paris: Gallimard 1990, 24.
3
34
weder zerstört noch eingesperrt werden, was man bedenken sollte, wenn man in Slave Island, dem Vorort
des alten Colombo in Sri Lanka sitzt. im 16. Jahrhundert hatten die Portugiesen Afrikaner_innen hierhergebracht, aber die Küste von Colombo und die von Ostafrika schauten immer schon wechselseitig aufeinander.
Wie uns Vijay Prashad und May Joseph lehren, haben
afrikanische Maharadschas auf Thronen in Indien gesessen, und der Handel und kulturelle Austausch zwischen Sri Lanka und Ostafrika ist uralt. 4 Und doch
war es nicht diese gerade Strecke zwischen zwei Punkten, diese direkte Reise von Südasien nach Ostafrika,
die Gong oder seine verdingten Genoss_innen in den
Dörfern von Clarendon zurücklegten, um beieinander
zu sein. Der Knoten, das Knäuel, die Umarmung; der
Zug, die Jam, der Knick, auf den sie trafen und den sie
trugen, ist die kürzere Strecke, wo watch meh bedeutet:
schau mit mir eine Stunde lang, während wir uns noch
einmal alle versammeln.
Das Zen-Herz reist ohne Blockade. Wir könnten
aber auch sagen, es reist mit nichts, das es blockiert.
Und wie wir zunächst aus der taoistischen Philosophie wissen, ist das Nichts nicht Leere. Es ist nicht
Raum. Wenn das Zen-Herz durch das Nichts reist, ist
das Nichts sein ständiger Begleiter. Das Nichts ist die
Blockade, durch die es reist, auf der es steht, in der es
hängt. Die Blockade, die aus der Nicht-Blockade eine
Nicht-Nicht-Blockade macht. Nichts, Null, Knoten
gibt dem Zen-Herz seine richtungslosen Richtungen,
4 Vgl. May Joseph, Nomadic Identities. The Performance of Citizenship, Minneapolis: University of Minnesota Press 1999, und Vijay
Prashad, Everybody was Kung Fu Fighting. Afro-Asian Connections and
the Myth of Cultural Purity, New York: Beacon Press 2002.
35
seine wandernden Synkopierungen, seine engmaschigoffenen pansynkretischen Praktiken, die uns Besuch
und Erneuerung erlauben, indem sie uns dazu verpflichten. Der unschaubare Ort, den wir schaffen, wenn wir
miteinander schauen, nachdem wir uns geweigert haben, einander auszuschauen, das eine und das andere
verweigert haben, wird geteilt, entblockiert, entladen
in einen Knick, die Nicht-Nicht-Blockade unseres gestrandeten Strangs.
Watch meh, kürzere Strecke, ji ji muge!
36
WiR WollEn EinE PRäzEdEnz
1.
Unser Präsident, unser verblendeter und heruntergekommener und dämonischer Souverän, welche Form
auch immer diese Abstraktion unserer abstrakten und
völlig fiktiven Gleichwertigkeit angenommen haben
wird, ist ein Punkt ohne Eigenschaften auf einer langen und hoffnungslos geraden Linie von billigen Imitaten. Es ist wie bei Richard von Bordeaux, der tun kann,
was er will, außer sich selbst davon abzuhalten, zu tun,
was er will, und der seine eigene Absetzung (getarnt als
Serienmord, der den friedlichen Übergang der Macht
und ihrer vulgären Zeremonien ausmacht) wie einen
genetischen Makel mit sich herumträgt, wie die illegitimen, aber unvermeidlich vererbbaren BolingbrokeArschloch-Ambitionen, die ihn mit immer verkümmerteren Fähigkeiten zur Selbstreflexion zurücklassen. So
dass in all seiner singulär fokussierten Begrenzung und
Befähigung, im relativen Nichts des Gefängnisses, das
er Welt nennt, der allumfassenden und vollkommen zu
besiedelnden Sphäre, auf der er die ganze Zeit herumtrampelt, während er für einen unmöglichen Bogen tödlicher und unmöglicher Bilder posiert, unser Präsident,
welchen auch immer ihr jemals wolltet oder nicht wolltet, einer nach dem anderen in merkbarem imperialem
Niedergang, nur ein kranker, unsicherer Kopf in einer
hohlen Krone ist, der uns dazu bringt, ihm beim Sprechen darüber zuzusehen, wie er uns töten wird, und uns
dann dazu bringt, ihm dabei zuzusehen, wie er uns tötet.
37
2.
Was wir wollen, hängt, so sagt man gewöhnlich, immer
damit zusammen, was wir nicht haben. Zoe Leonard hat
darüber gesprochen, was wir wollen, allerdings auf eine
schräge Art, im dimensionslosen Unendlichkeitsraum,
in dem wir nicht einmal herumkriechen können, wenn
wir uns durch das Reiben und Surren der Stadt als Espenhain im Spätherbst bewegen, in den Bergen, gehalten und nicht gehalten auf dem Grund des Meeres. Sie
spricht über das, was wir wollen, im Verhältnis zu dem,
was wir haben, wenn das, was wir haben, die ganze Erfahrung des Nicht-Habens ist, des geteilten Nichts, des
Nichts-Teilens. Sie spricht über ein gemeinsames Unterprivileg, und aus ihm heraus, aus dem Privileg des
gemeinsamen Untergrunds, in und aus dem Reichtum
einer Prekarität, die von Hand zu Hand geht, wie eine
sorgende Umarmung. Seht euch all den Reichtum an,
den wir haben, sagt sie, darin, dass wir verloren haben,
dass wir gelitten haben, dass wir gelitten worden sind,
dass wir einander gelitten haben, als wären wir einander kleine Kinder, als wären wir ineinander verliebt, als
hätten wir einander so sehr geliebt, dass die eine und
der andere nur noch weggehen kann. Wir wollen eine_n
Präsident_in, sagt Zoe, die das alles mit uns geliebt und
verloren hat, die unser kleines Alles geteilt hat, unser
kleines Nichts. So etwas, das allgemeine und generative Nichts, das mehr und weniger als politisch ist, wäre
noch nie dagewesen, ohne Präzedenz. Vielleicht will sie
gar keine_n Präsident_in, vielleicht will sie eine Präzedenz, das unendlich neue Ding des absoluten NichtDings, seine Zen-Xenogenerosität, seine queere Reproduktivität, die als unregierte und unregierbare Sorge
38
und Umarmung in der Abwesenheit eines Anfangs nicht
aufhört anzufangen.
3.
Ist es möglich, das zu wollen, was man im Leiden geworden ist, sowohl in der Abwesenheit des Wahlrechts
als auch in seinen Tiefen, ohne das zu wollen, was es ist,
zu leiden? Kann man wollen, was es ist, alles zu sein,
und wollen, was es ist, ganz zu sein, ohne zu wollen, was
es ist, vollkommen, komplett, fertig zu sein? Ist es möglich, die allgemeine Unvollkommenheit zu begehren,
ohne dieses scheinbar unerträgliche Verlangen, durchbohrt, zerrissen, gebrochen zu werden? Anstelle der_s
Präsident_in, die wir wollen und nicht wollen, haben
wir Cedric Robinson, den wir erst vor kurzem verloren
haben. Er schreibt:
Würde ein Dämon oder Gott uns zu einem boshaften Spiel nötigen, in dem wir eine Transgression gegen Nietzsche erdenken, die so tief und
grundlegend für sein Naturell und sein Projekt
ist, dass sie den Boden aufbricht, auf dem seine Philosophie steht, könnte man es nicht besser
tun als mit folgender Konstruktion: eine Gesellschaft, in deren Matrix zum Zweck der Aufhebung und Neutralisierung jener Kräfte, die der
individuellen Autonomie entgegenstehen, die
konstruierte Realität eingewoben ist, dass alle
gleichermaßen unvollkommen sind. Hier wird um
eine Logik gerungen. Ist es nicht so, dass das
Entstehen der Macht als Instrument der Sicherheit in der menschlichen Organisation von vielen als Folge und Antwort auf die Verhältnisse
von Ungleichheit und gefühlter gesellschaftlicher
39
Entropie gesehen wird? Wird nicht individuelle
Autonomie, selten genug unter der ersten Bedingung und gefährdet durch die zweite, in der endgültigen Konstruktion entfremdet? Und erfordert
die Aufrechterhaltung der Autonomie nicht sogar
logischerweise ein Gewächshaus der Sicherheit,
ähnlich dem, das für die Entwicklung der Macht
erforderlich ist – ist also Autonomie nicht in gewissem Maße eine Variante der Macht?
Dann würde das Prinzip der Unvollkommenheit – als Abwesenheit von abgetrennter organistischer Integrität –, wenn es in einer Metaphysik den Platz der Ungleichheit in der politischen
Philosophie einnehmen würde, der menschlichen
Gesellschaft ein Paradigma zur Verfügung stellen,
das subversiv wäre gegenüber der politischen Autorität als archetypischer Lösung, als Vorschrift
für die Ordnung. 5
Wie können wir die US-amerikanische Demokratie –
die Brutalität unserer Verbesserung, die Bösartigkeit der
Weisen, wie von uns Gebrauch gemacht wird – besser
verstehen denn als die Praxis des privatisierten Interesses
an Ungleichheit, ausgedrückt in der Theorie der abstrakten Gleichheit jedes vollkommenen Individuums, deren
ständige Wiederholung brutal das allgemeine Interesse
an einer Gleichheit reguliert, die in und als eine absolute Unvollkommenheit gegeben ist, die sich der Individuierung entzieht? Wie können wir begreifen, dass die
gegenseitige Interinanimierung unserer Knechtschaft
und unserer Freiheit – und damit unseres Liberalismus
und unseres Protests – die metaphysische Grundlage einer nationalen politischen Philosophie ist, die wir unter
5 Cedric J. Robinson, The Terms of Order. Political Science and the
Myth of Leadership, Chapel Hill: University of North Carolina Press
2016, 196f.
40
Missachtung der von uns gewollten Präzedenz in Anspruch
nehmen? Wie können wir diesen Anspruch von uns weisen, nachdem wir gelernt haben zu wollen, dass die Ordnung, von der unser erzwungenes Begehren abgeleitet
ist, in der Unordnung von Allem (Nichts), was wir haben, ersäuft? Wie können wir die Physik unserer Umgebung intensiver fühlen, unsere soziale Ästhetik, die
Schwerkraft unserer Liebe und unseres Verlusts, unsere
geteilte, radikal ausgelotete, radikal gesendete Unvollkommenheit? Was würde es bedeuten, wenn wir sagen
würden, dass wir zur Politik keine Haltung einnehmen
können – selbst nicht die alte und ehrenwerte „Ich wähle nicht, weil ich Marxist_in bin“-Position? Was wäre,
wenn wir sagen würden, dass wir keine Optionen haben,
dass wir hier nicht einmal die Option keiner Option haben? Wir denken, das wäre gut. Zoe lässt uns loslegen:
Wegzudenken von dem, was wir wollen, bedeutet, mit
Leichtigkeit das Nicht-Sein und das Nicht-Haben zu
bewohnen, hier.
41
niESSBRAUcH Und GEBRAUcH
1.
Die Idee, dass die Moderne streng genommen die Globalisierung Europas ist, nennt Tsenay Serequeberhan den
Prätext der europäischen Aufklärung, jenen „metaphysischen Glauben oder die Idee, dass die europäische Existenz anderen Formen des menschlichen Lebens qualitativ überlegen ist“. 6 Dieser metaphysische Glaube ist in
der Idee von Europa als geografischer und geopolitischer
Verkörperung und Ausnahme begründet. Die europäische Ausnahme ist zweifellos genau untersucht worden.
Kritiker_innen des Kolonialismus und seiner zügellosen
Episteme, allen voran Sylvia Wynter, haben festgestellt,
dass man das sich selbst besitzende, die Erde besitzende Individuum nicht produzieren kann, ohne die Figur
des Menschen zu produzieren, dessen wesenhafte Inhumanität in seinem rastlosen Theoretisieren und Praktizieren von „Rasse“ offensichtlich wird. Denn wie könnte ein sich selbst besitzender, erdbesitzender Mensch
nicht zu einer sich selbst besitzenden Gruppe gehören,
die in und auf einer sich selbst besitzenden Welt instanziiert ist, einem absoluten und zugleich expansiven Ort? Die sich selbst besitzende, die Erde besitzende
Gruppe grenzt sich von anderen Gruppen ab – insbesondere, und das ist das Wesentliche, durch gewaltsame
6 Tsenay Serequeberhan, „The Critique of Eurocentrism and the
Practice of African Philosophy“, in: Emmanuel Chuckwudi Eze
(Hg.), Postcolonial African Philosophy. A Critical Reader, Cambridge:
Blackwell 1997, 143 und 142.
43
Speziation jener Gruppen, die (sich selbst und die Erde)
nicht besitzen. Die Kosten dieser Speziation, die sich
durch Invasion und Einschließung vollzieht, fallen denjenigen zu, denen die, die eins sein wollen, auf Grundlage von Blut und Boden die Zugehörigkeit versagen
– denjenigen, deren Versagen dabei, Ausnahme zu sein
(sein zu wollen), ein sub- oder voreuropäisches (südliches oder östliches oder negro- oder Immigrant_innenoder Terrorist_innen-)Problem darstellt. Was bedeutet
es, sich einzubilden, man sei (Ausnahme) geworden? Es
wird für Europa das Geschenk seines eigenen, insularen
und zugleich unbegrenzten Orts gegeben haben, und
seiner eigenen singulären und unterteilbaren Zeit. Diese
transzendentale Vergütung, in der die Gabe als das Gegebene und das Gegebene als die Gabe konzeptualisiert
wird, wird Europa (die) Welt als Ort und Zeit der Ausnahme gewährt haben. Aber jemand wird Europa ausgenommen haben müssen, um den ständig entstehenden Zustand seiner Ausnahme zuzulassen, um seinen
politisch-theologischen Grund und dessen Atmosphäre zu sakralisieren. Jemand wird Europa (den Europäer_innen) die Fähigkeit gegeben haben müssen, eins zu
sein. (Irgend-)Jemand wird dem Menschen die Fähigkeit gegeben haben, eins zu sein, eine Vollkommenheit,
die gewesen sein wird, als wäre sie gegeben. Nicht trotz,
sondern gerade deswegen sprechen wir in Anlehnung an
Frantz Fanon von demselben „Europa, das nicht aufhört,
vom Menschen zu reden“, als einer „Lawine von Morden“, einer blutigen Geschichte der Sklaverei und des
Kolonialismus, die nahelegt, dass die Ausnahme immer
nur unzureichend gewährt und unfreiwillig angenommen wird, dass sie das illusorische Objekt der Unfähigkeit eines leeren Willens zur Selbstbestimmung ist.
44
Wenn die Behauptung der europäischen Ausnahme ihre
Un/Möglichkeitsbedingung ist, dann ist die Lawine der
Morde die expressive Ausführung dieser Behauptung.
Die Ausnahme ist eine Kategorisierung, die man sich
nur um den Preis der Einbildung erlaubt, dass sie von
einem Anderen gewährt wurde. Den eigenen Exzeptionalismus zu deklarieren, bedeutet nicht, sich selbst
auszunehmen, auszuschließen oder zu entschuldigen,
das alles sind transitive Konstruktionen. Der Exzeptionalismus imaginiert das Intransitive und schreibt die
Handlung Anderen zu, und, was noch wichtiger ist,
er schreibt eine ursprüngliche Art von Macht jemand
anderem zu. Und hier sehen wir, wie der Prätext, den
Serequeberhan identifiziert, tatsächlich in einem doppelten Sinne vor-gegeben ist – er muss gegeben sein,
aber um gegeben zu sein, muss er auch gewährt worden
sein. Hier gibt es keinerlei Dialektik. Vielmehr könnten
wir sagen, dass nur der Europäer jemals sowohl Herr als
auch Sklave gewesen ist. Das ist sein Drama. Es wird im
Körper gespielt und in der Welt, die er haben muss, aufgeführt. Die Ausnahme wird eine Macht gewesen sein,
die von einem Anderen an Selbste gegeben wurde, die,
indem sie die Macht und das zu ihr gehörige Wissen
annahmen, in diesem Geben und Nehmen ihre eigene
Bestätigung erhalten haben sollen. Aber der Prätext ist
nie wirklich begründet, nie wirklich gewährt, nie wirklich gegeben. Europa wird immer wieder durch das abgeschafft, was es zu umhüllen sucht, was seinerseits und
außer der Reihe Europa umhüllt. Was den Europäer
selbst in seiner Mitte umgibt, ist die einheimische Informant_in, die Gayatri Spivak als einen Gründungstext
für eine Welt der Ausnahme identifiziert, gegen, aber
dennoch innerhalb des allgemeinen Antagonismus von
45
irdischer Anarrhythmie und Verlagerung. Die Paradoxie
des Prätexts besteht also darin, dass das Ausnahmesein ebenso wenig genommen wie gegeben und ebenso wenig beansprucht wie gewährt werden kann. Diese
Gleichzeitigkeit von Herr-Sein und Sklave-Sein ist der
statische, omnizidale Niedergang der Souveränität. Das
ist es, was es bedeutet, an den Kampf um die Freiheit
gekettet zu sein, ein „rationales“ Instrument, das an Ort
und Stelle Amok läuft, als die ewig erstarrte Bewegung
des Menschen.
2.
Was bedeutet es, für Verbesserung einzutreten? Oder
noch schlimmer, für das einzutreten, was im Geschäftsleben „Verpflichtung zur kontinuierlichen Verbesserung“
heißt? Es bedeutet, für die brutale Speziation von allem
zu stehen. Für die Speziation einzutreten, ist der Beginn eines teuflischen Nießbrauchs. Die Verbesserung
kommt zu uns durch eine Innovation im Landbesitz, wo
das individuelle Eigentum, abgeleitet aus der Steigerung
der Produktivität des Bodens, im immerwährenden und
damit festgesetzten Werden der Miniatur der Ausnahme
gegeben ist. Das heißt, dass die Fähigkeit zu besitzen –
und das erste Derivat dieser Fähigkeit, der Selbst-Besitz
– von Anfang an mit der Fähigkeit verwoben ist, produktiver zu werden. Um verbessert zu werden, produktiver gemacht zu werden, muss das Land gewaltsam auf
seine Produktivität reduziert werden, auf die regulative
Minderung und Verwaltung der irdischen Generativität. Speziation ist diese allgemeine Reduktion der Erde
auf Produktivität und die Unterwerfung der Erde unter
46
Herrschaftstechniken, die bestimmte Produktivitätssteigerungen und -beschleunigungen isolieren und erzwingen. In dieser Hinsicht zwingt der (notwendigerweise
europäische) Mensch in und als Ausnahme die Speziation
sich selbst auf, in einer Operation, die ihn der Erde entund ausnimmt, um seine vermeintliche Herrschaft über
sie zu bestätigen. Und so wie die Erde gewaltsam spezifiziert werden muss, um in Besitz genommen zu werden,
muss der Mensch sich selbst gewaltsam spezifizieren, um
diese Art von Besitz zu vollziehen. Das heißt, dass die
Rassifizierung in der Idee der Herrschaft über die Erde
selbst präsent ist, in der Idee und im Vollzug der Ausnahme, in den Grundzügen des Besitzes durch Verbesserung. Formen der Rassifizierung, die Michel Foucault,
wie auch in besonderer Weise und am anschaulichsten
Cedric Robinson im mittelalterlichen Europa identifizieren, werden mit dem modernen Besitz durch Verbesserung nießbrauchbar gemacht. Spezifizierte Menschen
werden endlos verbessert durch die endlose Arbeit, die
sie auf ihrem endlosen Weg zur Menschwerdung leisten.
Dies ist der Nießbrauch des Menschen. Eigentumsrechte an Land an die Steigerung seiner Produktivität zu
knüpfen, bedeutete im frühneuzeitlichen England, die
Biodiversität zu beseitigen und eine Spezies zu isolieren und zu züchten – Gerste oder Roggen oder Schweine. Lokale Ökosysteme wurden aggressiv umgestaltet,
sodass die monokulturelle Produktivität die anakulturelle Generativität erstickte. Die entstehende Beziehung
zwischen Speziation und Rassifizierung ist die eigentliche Konzeption und Konzeptualisierung des Siedlers.
Der Erhaltung dieser Beziehung gilt seine Nachtwache
und sein Feierabend. Für den Einschließer wird Besitz
durch Verbesserung hergestellt – das betrifft Landbesitz
47
wie Selbstbesitz. Die Aufklärung ist die Universalisierung/
Globalisierung des Imperativs zum Besitz und des daraus resultierenden Imperativs zur Verbesserung. Diese Produktivität muss sich jedoch immer mit ihrer widersprüchlichen Verarmung auseinandersetzen: mit der
Zerstörung ihrer Biosphäre und ihrer Entfremdung in
oder sogar von ihrer Verwicklung, die beide zusammen die Liquidierung des menschlichen Differenzials
sicherstellen, die bereits in der Idee des Menschen
selbst, in der Ausnahme, gegenwärtig ist. Für eine derartige Form der Verbesserung einzutreten, bedeutet die
Beschwörung einer Politik, die der Differenz, also dem
Reichtum, dessen gleichzeitige Zerstörung und Akkumulation die Politik operationalisieren soll, Entleerung
zuschreibt. Diese Zuschreibung eines vermeintlich wesentlichen Mangels, einer unvermeidlichen und vermeintlich natürlichen Minderung, wird Seite an Seite
mit der Auferlegung von Besitz-durch-Verbesserung
durchgesetzt. Politik zu machen bedeutet, jedem und allem Speziation aufzuerlegen, Verarmung im Namen der
Verbesserung aufzuzwingen, das universelle Gesetz des
Nießbrauchs des Menschen zu beschwören. In diesem
Kontext ist die kontinuierliche Verbesserung, wie sie mit
der Dekolonisierung und insbesondere mit der Niederlage des nationalen Kapitalismus in den 1970er Jahren
aufkam, die kontinuierliche Krise der Speziation in der
Umgebung des allgemeinen Antagonismus. Das ist der
Widerspruch, den Robinson ständig beschwört und mit
jener Art von tiefem und feierlichem Optimismus analysiert hat, der aus dem Mitsein und aus dem Dienst an
deinen Freund_innen kommt.
48
3.
Am Ende des Films Devil in a Blue Dress, der auf dem
gleichnamigen Roman von Walter Mosley basiert und
den Robinson uns mit Freude lesen und sehen lehrte,
erscheint deutlich das persistente Leben – das unter der
Herrschaft der Speziation überlebt; das die Speziation
umgibt, die es umhüllt; das die Speziation verletzt, von
der es durchzogen ist; das die Speziation vorwegnimmt,
die sein Ende ist – eines Viertels mit gepflegten Rasenflächen, kleinen Familienhäusern und den Schwarzen,
die darin leben. Die letzte Zeile des Films verleugnet
und bestätigt zugleich die permanente Krise der Speziation. „Ist es falsch, mit jemandem befreundet zu sein,
von dem man weiß, dass er schlechte Dinge getan hat?“,
fragt der Protagonist des Films, Easy Rawlins. „Alles,
was du hast, sind deine Freund_innen“, antwortet Deacon Odell. Das ist richtig. Das ist alles. Morgen könnte
die Polizei wiederkommen oder die Bank, und die Gewalt der Speziation mitbringen, gegen die es nur diese
konstante und allgemeine Ökonomie der Freundschaft
gibt – nicht die Verbesserung, die in Eins-zu-einsBeziehungen gegeben sein wird, sondern die militante
Bewahrung dessen, was du (verstanden als wir) hast, in
gemeinsamer Enteignung, die die einzig mögliche Form
des Besitzes ist, des exzessiven Habens von jeder_m Habenden. Weder die Globalisierung des Besitzes durch
Verbesserung noch das Erreichen des Ausnahme-Seins
ist möglich. Wir leben die Brutalität und in der Brutalität ihres Scheiterns, das ein Scheitern in und als Derivation ist. Außerdem ist die souveräne Deklination
(die in einer Variation von Silvas Grammatik als Gott:
Patriarch – Besitz-Individuum – Bürger_in gegeben ist)
49
ein Derivat – ein starres, verdinglichtes, verbrieftes Verständnis von Differenz. In der Zwischenzeit erinnert uns
Devil in a Blue Dress in den Szenen, die konstant auf
Easys Veranda, in Joppys Bar und in John’s Place (dem
illegalen Club über Hattie Maes Lebensmittelladen)
spielen, immer wieder daran, dass es darum geht, wie
Manolo Callahan sagen würde, unsere Gewohnheiten
der Versammlung zu erneuern, was eine Wende, einen
Schritt weg vom Derivat bedeutet. Wir studieren nicht
das Scheitern, genauso wenig wie Easy irgendeinen Job
studiert. Wir versuchen nicht, in die Deklination einzutreten, die das initiiert, was sie impliziert: die (notwendigerweise gescheiterte) Trennung, Speziation und Rassifizierung – die Einschließung und Besiedlung – der
Erde. Das Spiel ist, wie Callahan und Nahum Chandler
uns lehren, die Entsedimentierung, die Entblätterung, die Erneuerung der irdischen und untrennbaren
Versammlung, der gewohnten Jam, durch und in der
Differenzierung dessen, was weder geregelt noch verstanden werden wird. Alles, was wir haben, sind wir in
diesem fortwährenden Weggeben von allem. Und, wie
auch Robinson großartig Sorge trug, uns in seiner kritischen Bewunderung von Easys Freund Mouse zu lehren, der immer im Begriff ist, jemandem die Nase wegzublasen, hängt alles von unserer Bereitschaft ab, es zu
verteidigen.
4.
In der berühmten Passage über die Sklaverei in den
Grundlinien der Philosophie des Rechts erscheint das
„noch nicht“ des Universellen – die Phase der bloßen
50
„Natürlichkeit der Menschen“ – als ein zweifelhaftes
und unbrauchbares Heilmittel:
Hält man die Seite fest, dass der Mensch an und
für sich frei sei, so verdammt man damit die Sklaverei. Aber dass jemand Sklave ist, liegt in seinem
eigenen Willen, so wie es im Willen eines Volkes
liegt, wenn es unterjocht wird [...]. Die Sklaverei
fällt in den Übergang von der Natürlichkeit der
Menschen zum wahrhaft sittlichen Zustande; sie
fällt in eine Welt, wo noch ein Unrecht Recht ist.
Hier gilt das Unrecht und befindet sich ebenso
notwendig an seinem Platz. 7
Dieses „noch nicht“ des Universellen, der Weltgeschichte, wird anschließend verstärkt, wenn Hegel sagt: „Aus
derselben Bestimmung [des absoluten Rechts] geschieht, dass zivilisierte Nationen andere, welche ihnen
in den substanziellen Momenten des Staats zurückstehen [...], als Barbaren [...] betrachten und behandeln.“ 8
Zunächst wendet sich Hegel aber sofort von der ersten
Passage ab und den Themen der „Besitznahme“ und des
„Gebrauchs der Sache“ zu. Diese „natürliche Wesenheit“
– die Sache – existiert nur für ihren Besitzer, denn da
„diese realisierte Äußerlichkeit der Gebrauch oder die
Benutzung, die ich von ihr mache, ist, so ist der ganze
Gebrauch oder Benutzung die Sache in ihrem ganzen
Umfange“. 9 Doch dann stößt Hegel, gerade nachdem
er paradoxerweise die notwendige Rechtschaffenheit des
notwendigen Unrechts der Sklaverei in der fortschreitenden Geschichte behauptet hat, auf ein Problem.
7 G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/
Main: Suhrkamp 1986, 126.
8 Ebd., 507f.
9 Ebd., 130.
51
Wenn der ganze Umfang des Gebrauches mein
wäre, das abstrakte Eigentum aber eines anderen
sein sollte, so wäre die Sache als die meinige von
meinem Willen gänzlich durchdrungen und zugleich darin ein für mich Undurchdringliches,
der und zwar leere Wille eines anderen. 10
Hegel nennt dies ein Verhältnis des „absoluten Widerspruchs“ und führt dann die römische Idee des usufructus,
des Nießbrauchs ein. 11 Theoretisch geht es ihm um
das feudale Eigentumsrecht mit seinem geteilten Besitz. Zugleich geht es ihm auch um denjenigen in der
„Natürlichkeit der Menschen“, der es verabsäumt hat,
sich, wie Hegel es in der Betrachtung, die dem Abschnitt
über die Sklaverei vorausgeht, formuliert, „in Besitz“ zu
nehmen und „das Eigentum seiner selbst“ zu werden. 12
Nießbrauch erfordert es, dass diese natürliche Entität
dem Aspekt ihrer Nützlichkeit, „dem Utile [...] nachgesetzt wird“. 13 Hegel spricht von römischem und feudalem Eigentum, aber sein Anliegen ist die Weltgeschichte,
Ebd., 131f.
Vgl. ebd., 132: „In den Institutiones, libr. II, tit. IV, ist gesagt:
‘Ususfructus est ius alienis rebus utendifruendi salva rerum substantia.’
Weiterhin heißt es ebendaselbst: ‘ne tamen in universum inutiles essent proprietates semper abscendente usufructu, placuit, certis modis
extingui usumfructum et ad proprietatem reverti.’ – Placuit – als ob
es erst ein Belieben oder Beschluss wäre, jener leeren Unterscheidung durch diese Bestimmung einen Sinn zu geben. Eine proprietas
semper abscendente usufructu wäre nicht nur inutilis, sondern keine
proprietas mehr.“ Die Übersetzung der lateinischen Stellen lautet:
„Nießbrauch ist das Recht, eine fremde Sache zu gebrauchen und
Früchte aus ihr zu ziehen unter Erhaltung der Substanz der Sache.“
– „Damit die Besitztümer durch fortwährende Trennung vom Nießbrauch nicht überhaupt unnützlich seien, ist festgelegt worden, dass der
Nießbrauch unter bestimmten Umständen erlischt und zum Besitztum zurückkehrt.“
12 Ebd., 122.
13 Ebd., 133.
10
11
52
diese (notwendigerweise europäische) Welt, in der ein
Unrecht noch immer Recht ist. Es geht ihm um die
Frage, wie man zu eigenem Eigentum wird, und um den
Nießbrauch, der dieses Projekt initiiert und irritiert. Es
ist ein illusorischer und undurchdringlich leerer Wille,
der die Verbesserung gewährt und heimsucht.
5.
In dem Moment, wo man sagt, es ist meins, weil ich
daran gearbeitet und es verbessert habe, oder man sagt,
ich bin ich, weil ich an mir gearbeitet und mich verbessert habe, beginnt man einen Krieg. Und indem man
den Ursprung dieses Kriegs fälschlicherweise der Natur
zuschreibt, schreibt man diesen Krieg dann als (Anti-)
Gesellschaftsvertrag fest.
Der (Anti-)Gesellschaftsvertrag und die Öffentlichkeit, die er schafft, sind, so sagt man, eine Reaktion auf
Feudalismus und Absolutismus. Aber das ist nur die
halbe Wahrheit, und sie ist noch dazu recht ungenau.
Vielleicht ist es besser, sich den (Anti-)Gesellschaftsvertrag so vorzustellen, dass er, wie Angela Mitropoulos
sagt, nicht in Opposition zum Absolutismus entstand,
sondern als Demokratisierung der Souveränität. Selbst
das mag eine ungewollt anarchische Qualität gehabt haben, wenn sich jeder Mann als König betrachtete. Aber
der (Anti-)Gesellschaftsvertrag reagiert nicht nur auf
den Absolutismus und reflektiert ihn zugleich, indem
er jedes Haus, jedes Schloss, jede Hütte zu einem Spiegelkabinett macht, sondern er taucht auch als eine Möglichkeit auf, die Gewalt des europäischen Menschen zu
erklären und zu rechtfertigen. Von Adam Ferguson bis
53
Immanuel Kant versuchen alle zu erklären, warum die
Afrikaner_innen, Asiat_innen und indigenen Völker,
die ausgerottet und versklavt werden, um so viel weniger
kriegerisch sind als die Europäer_innen. Die Kreuzzüge
verleiteten die Europäer_innen zu dem Glauben, ihre
Brutalität sei Teil des Menschseins und keine Ausnahme, auch wenn sie gerade durch den Religionskrieg auf
den Geschmack von Blut kamen, den sie nicht ignorieren konnten. Der (Anti-)Gesellschaftsvertrag entsteht
also weniger, um dem Absolutismus entgegenzutreten, als vielmehr, um den offensichtlichen historischen
Exzeptionalismus der europäischen Barbarei einzuhegen. Offensichtlich konnte die Welt nicht um Gut und
Böse herum geordnet werden, ohne dass das verheerende Folgen für Europa gehabt hätte. Diejenigen, die
den (Anti-)Gesellschaftsvertrag entwerfen, verkennen
die Kriege, die er auslöst: Kriege der Souveräne gegen
die Vertragspartner_innen, der Vertragspartner_innen
untereinander und der Vertragspartner_innen gegen
diejenigen, die Bryan Wagner als „dem Tausch unterworfen, aber nicht Partei des Tausches“ 14 beschreibt,
die, die nicht eins sind, die unzählbar und nicht haftbar sind, selbst wenn sie akkumuliert, selbst wenn sie
finanzialisiert worden sind. Vielleicht wäre der (Anti-)
Gesellschaftsvertrag in dieser Hinsicht sogar besser als
etwas zu verstehen, das gegen eine Geschichte der Revolte auftrat: Die Bauernaufstände, die den europäischen
Feudalismus zu Grabe trugen und die Robinson als „sozialistischen Austausch“ versteht, der den anthropologischen (Unter-)Grund des Marxismus ausmacht, sind
14 Bryan Wagner, Disturbing the Peace. Black Culture and the Police
Power after Slavery, Cambridge: Harvard University Press 2009, 1.
54
die Revolte der Natur, die von jenen betrieben wird, die
für die Natur einstehen sollen, nachdem sie philosophisch in einen im Wesentlichen paradoxen Naturzustand zurückversetzt wurden durch diejenigen, die die
Unterordnung der Natur unter und innerhalb der sozioökologischen Katastrophe der Verbesserung zu organisieren versuchen.
Das heißt wiederum, dass die politische Hälfte der
Geschichte, in der der Gesellschaftsvertrag als Verbesserung und nicht als deren ge(n)ozidale Auferlegung verstanden wird, falsch und unvollkommen ist. Der (Anti-)
Gesellschaftsvertrag ist nicht nur eine politische Theorie, sondern auch eine ökonomische Praxis: die Praxis der rechtlichen Regulierung und Antisozialisierung
des Tausches in der Auferlegung der Verbesserung. Der
Gesellschaftsvertrag spezifizierte insbesondere die Individuierung seiner Parteien. Nun müssen Individuen sich
formieren, um einen Vertrag eingehen zu können. Und
der ökonomische Vertrag entsteht nicht im Tausch, sondern aus der Idee, dass Eigentum von der Verbesserung
kommt. Folglich ist es nicht einfach das Individuum,
sondern das zur Selbstverbesserung fähige Individuum,
das den Vertrag eingehen muss und kann. Das sich selbst
verbessernde Individuum kann auch als das sich selbst
akkumulierende Individuum gedacht werden: nicht besitzend (das ist Stillstand ohne Bewegung), nicht erwerbend (das trägt immer noch die Spur des anarchischen
Tausches), sondern selbst akkumulierend – das heißt,
Eigentum sammelnd, um das Eigentum zum Einsatz zu
bringen, einschließlich und vor allem Eigentum in Form
der Eigenschaften des Selbst, die eingesetzt und verbessert werden können, während sie als ewig und absolut
gesetzt werden. „Eigenschaften des Selbst“ ist hier kein
55
Wortspiel. Zu den Eigenschaften, die akkumuliert und
zum Einsatz gebracht werden können, gehören „Rasse“,
Religion und Geschlecht, aber auch Klasse, Ansehen,
Vertrauen, Sparsamkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. All diese Eigenschaften können zur Verbesserung
verwendet werden, wobei Verbesserung bedeutet, zu besitzen und noch mehr zu besitzen, und so eine weitere
Anhäufung von sich selbst, anderen und der Natur in
Gang zu setzen, um das alles zum Einsatz bringen zu
können.
Vielleicht kann man es so formulieren: Eigentum
entsteht in Europa als Nießbrauch, in der Verbesserung
des Bodens, die es gewährleistet und rechtfertigt. Es
wird durch das Regime erweitert und verbreitet, das der
Gesellschaftsvertrag im Selbstbesitz definiert, der seine
vollendete Form im Individuum angenommen haben
wird – jene brutale, spröde Kristallisation einer immer
und notwendigerweise unvollkommenen Verschmelzung
von Subjekt und Objekt. Unablässig an der Aufgabe arbeitend, alles, einschließlich sich selbst, der Arbeit zu
unterwerfen, ist der Europäer der Nießbrauch des Menschen. Die endlose Verbesserung des Menschen, in der
die Notwendigkeit als absolute Kontingenz erzwungen
wird, ist im europäischen Denken auf das bösartige Erfassen seiner Objekte, einschließlich seiner selbst, fixiert. Die geschichtliche Entfaltung dieser Fixierung auf
das Fix(ier)en, das mörderische Wechselspiel von Vereinnahmung und Verbesserung, ist in und als Gewalt
der Selbstverbesserung in der Selbstakkumulation gegenüber all dem gegeben, was sich beim Rendezvous von
Differenzierung, Unvollendung und Affizierung zeigt.
Die sich ständig verändernde Aktivität dessen, was
dem, was als das Selbst erscheint, als kontinuierliche
56
Demontage der Idee des Selbst selbst und seiner ewig
prospektiven Vervollkommnung-in-Verbesserung erscheint, kann aus der kurzsichtigen und unmöglichen
Perspektive des Selbst nur mit einer widerlichen Kombination aus Regulierung und Akkumulation beantwortet werden. Derjenige, der akkumuliert, tut dies auf
Kosten dessen, was er für seine Anderen hält – Frauen,
Sklav_innen, Bäuer_innen, Tiere, die Erde selbst. So ist
der Gesellschaftsvertrag als Vertrag zwischen den Verbessernden und Akkumulierenden in das Fleisch derjenigen eingeschrieben, die nicht Partei des antisozialen
Tauschs unter den Bedingungen des antisozialen Vertrags, des (Anti-)Gesellschaftsvertrags sein können und
sich auf jeden Fall weigern, es zu sein. So sehr die Vertragspartner_innen in einer Strategie vereint sind, alles dem Nießbrauch zu unterwerfen, was für den antisozialen Tausch keine (zählbare, individuierte) Partei
sein kann oder sein wird, so sehr widmen sie sich in
der Zwischenzeit auch dem gegenseitigen Töten, dem
Krieg in und als ihrer geliebten Öffentlichkeit, der im
Namen der Verbesserung dieser Öffentlichkeit und ihrer
Probleme – das heißt ihrer Bewohner_innen – geführt
wird. Der Krieg des sich selbst akkumulierenden Individuums, seine totale Mobilisierung gegen die Unzählbaren und gegen seine Nächsten unter dem Zeichen
des Eigentums als Verbesserung, um einen Rückfall ins
Natürliche zu verhindern, lässt gerade die Prämisse des
(Anti-)Gesellschaftsvertrags unersetzlich werden.
Und jeder Untervertrag innerhalb des (Anti-)Gesellschaftsvertrags muss zur Verbesserung führen. Es geht
nicht darum, dass beide Parteien mit dem, was sie getauscht haben, zufrieden sind. Ein solcher Vertrag ist
nicht einfach nur schlecht gemacht, sondern steht im
57
Widerspruch zur gewünschten Identität der Vertragspartner_innen. Und hier können wir es andersherum
formulieren: Der Gesellschaftsvertrag wurde von den politischen Theoretikern auch als Vertrag zwischen denjenigen entworfen, die zur Selbstverbesserung fähig sind,
oder zu dem, was sie Fortschritt nannten, und deshalb
war er im Wesentlichen destruktiv gegenüber Vorstellungen von Tausch, die man bei feudalen Rebell_innen
antrifft (Robinsons An Anthropology of Marxism ist hier
aufschlussreich) oder jenen, die man bei Afrikaner_innen antrifft, die gewöhnlich lieber woanders hinzogen,
als in einen Konflikt einzutreten, um eine Verbesserung zu erreichen (Robinsons Black Marxism ist hier
aufschlussreich). 15 Ferguson und Kant sagen beide, dass
es im Krieg um die Verbesserung der europäischen „Rasse“ geht. Und Robinson lehrt uns, dass dies als gewaltsame innereuropäische Rassifizierung der Differenz vollzogen wird, ein fortwährend barbarisches Fest, in dem
Invasion und die Instanziierung der Verbesserung als
militärisch erzwungene Äußerlichkeiten zuerst Europa
und dann die Welt produzieren, als tote und tödliche
politische Körper, Monster, deren mechanisierte, drohnenartige Simulationen des Geists das Soziale mit der
Art von Latex-Leutseligkeit und latenter Drohung regulieren, die man gemeinhin mit Polizeikommissar_innen und Universitätsrektor_innen verbindet. Antisoziale
Geselligkeit ist die Grundlage des Gesellschaftsvertrags.
Letztlich ist Verbesserung Krieg, weshalb Öffentlichkeit Krieg ist und das Private – in seiner anti- und
15 Vgl. Cedric J. Robinson, An Anthropology of Marxism, Chapel
Hill: The University of North Carolina Press 2019 [2001] und Black
Marxism. The Making of the Black Radical Tradition, Chapel Hill:
The University of North Carolina Press 2021 [1983].
58
ante-individuellen Unreinheit, als Refugium auch unter
ständigem Druck – ein Vordach.
Der (Anti-)Gesellschaftsvertrag wird vom ökonomischen Vertrag heimgesucht, der kein Tauschvertrag ist,
wie man ihn vielleicht in der Freundschaft findet, sondern ein Vertrag, der auf dem Anspruch auf Eigentum
an sich selbst, an anderen und an der Natur basiert, der
immer daran gebunden ist, wie viel mehr man aus sich
selbst, aus anderen und aus der Natur machen, das heißt
in und durch sie akkumulieren kann. Mit anderen Worten: Das sich ausdehnende Universum des Eigentums
nahm eine vertragliche Form an, die nicht, wie manchmal angenommen wird, auf freie Individuen beschränkt
war – also auf das europäische Subjekt, das sich der
europäische Theoretiker einbildete; es ist vielmehr eine
vertragliche Form, die ein breites Spektrum an Kontakt
als materiellen Grund ihres exklusiven und ausschließenden Netzwerks erfordert. Was es wirklich gefährlich
macht, ist, dass es sich niemals von dem befreien konnte, wovon es sich unterscheiden wollte; wirklich gefährlich für es ist, dass das, was gezwungen ist, seine Ausnahme zu gewährleisten, den Vertrag verweigern kann,
für den es dritte (oder unzählbare oder Nicht-)Partei ist.
Tausch hingegen ist eine Praxis, die die Akkumulation
an und als Beseitigung ihrer Quelle – des sich selbst verbessernden Individuums – verhindert. Stattdessen geht
es beim Tausch, gegeben in und als die differenzielle und
differenzierende Verwicklung des sozialen Lebens, selbst
unter den mächtigsten Formen von Zwang und Regulierung, um ein soziales Optimum.
59
6.
George Clinton lehrt uns dies:
Ich bin immer gespannt, welchen Tanz sie tanzen
werden, denn der Tanz verändert sich dauernd. Aber
ich vertraue auf die Tatsache, dass Funk auf den Hintern wirkt. Wenn ich also jemanden irgendeine Art
von Tanz tanzen sehe, versuche ich immer herauszufinden, welchen Groove es braucht, damit sich der
Hintern so bewegt. Ich bin wirklich ein Hinternologe. Ich schaue mir das nicht nur an, weil es gut aussieht, sondern um mit meiner Musik sicherzustellen, dass der Hintern an sein Optimum kommt. 16
Und Jacques Derrida lehrt uns zu fragen:
Wann werden wir für eine Erfahrung der Freiheit
und der Gleichheit bereit sein, die auf diese Freundschaft, aus Achtung vor ihr, die Probe macht und
schließlich gerecht, gerecht jenseits des Rechts, das
heißt dem Maß ihres Unmaßes gemäß wäre? 17
Es ist bloß so, dass wir diese beiden Lektionen nur lernen konnten, indem wir zuerst von Robinson gelernt
haben, dass das soziale Optimum aus dem sozialen
Reichtum hervorgeht, der nur hervortritt, um dann, optimalerweise in aller Güte, aber auch unter absolutem
Zwang, zurückzutreten, als die Bewahrung der sozioontologischen Totalität in Freundschaft. Wie er freuen
wir uns darauf, auf das Optimum zurückzukommen, das
wir nie verlassen haben.
George Clinton im Gespräch mit Jeff Mao, zit. in Matthew
Trammell, „How to Stay Cool as Fuck Forever, According to
George Clinton“, The Fader, 14. Mai 2015, http://www.thefader.
com/2015/05/14/how-to-stay-cool-as-fuck-forever-according-togeorge-clinton.
17 Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, aus dem Französischen
von Stefan Lorenzer, Frankfurt/Main: Surhkamp 2002, 409.
16
60
lASSt UnSERE MikES in RUHE
Daughter of Zion, Judah the Lion
He redeemeth, and bought us with his blood ...
John the revelator, great advocator
Gets ‘em on the battle of Zion
(Blind Willie Johnson)
When my brother fell
I picked up his weapons.
I didn’t question
whether I could aim
or be as precise as he.
A needle and thread
were not among
his things
I found.
(Essex Hemphill)
When we walk down the street
We don’t care who we see or who we meet
Don’t need to run, don’t need to hide
‘cause we got something burning inside
we’ve got love
power
it’s the greatest power of them all
we’ve got love
power
and together we can’t fall.
(Luther Vandross)
At times, this land will shake your understanding
of the world
and confusion will eat away at your sense
of humanity
but at least you will feel normal.
(Vernon Ah Kee)
61
der Rebellator
In UponWestminster Bridge läuft Mikey Smith als Jaywalker durch die Sprache. 18 Es ist 1982, der Beginn des
logistischen Kapitalismus. Das Fließband schlängelt sich
aus der Fabrik und in seinen Mund. Und er kann es nicht
glauben, he cyaan believe it. Er will es nicht glauben. Er
will nicht zur Arbeit gehen. Er kommt aus dem Eigentum. Er war schon mal da. Er ist gekommen, es ungeschehen zu machen. Er ist umgezogen, um zu entfugen.
Die Versammlung in seinem Mund tanzt aus der Reihe.
Mit dem Aufkommen des logistischen Kapitalismus
ist, was nie fertig wird, nicht mehr das Produkt, sondern
die Produktionslinie, und nicht die Produktionslinie,
sondern ihre Verbesserung. Im logistischen Kapitalismus
ist es die ständige Verbesserung der Produktionslinie, die
nie aufhört, die nie getan ist, die ständig ungeschehen
gemacht wird. Die Soziolog_innen haben einen flüchtigen Blick auf diese Linie geworfen und meinten, sie sähen Netzwerke. Die Politikwissenschafter_innen nannten
diese Linie Globalisierung. Und es waren die Wirtschaftsprofessor_innen, die sie als Business Process Reengineering bezeichneten und auspreisten. Mikey wusste
es besser.
Mikey schwenkt zurück auf die andere Straßenseite,
wo Louise Bennett sitzt, und spricht darüber, wie sie ihn
inspiriert hat. Wir sehen sie in einem Clip, wie sie mit
ihren Worten Rechte ungerecht werden lässt, Anwältin
einer auseinandergenommenen Sprache, die offen dafür
ist, zu respektieren, was man mag, und zu mögen, was
man respektiert. Jetzt sind ihre Worte überall, wie ein
Anthony Wall, Upon Westminster Bridge, BBC Television, 1982,
https://youtu.be/NE3kVwyY2WU. Der Titel ist auch der Titel eines
Gedichts von William Wordsworth.
18
62
Flüstern von einem Baumwollbaum, und das müssen sie
auch sein. Und die Logistik, also der Zugriff, ist überall
– wiederum, weil sie es sein will.
Aber nicht nur die Logistik; und nicht nur irgendeine Art von Zugriff. Die kapitalistische Wissenschaft
der Logistik kann durch eine einfache Formel dargestellt werden: Bewegung + Zugriff. Aber der logistische
Kapitalismus unterwirft diese Formel dem Algorithmus: totale Bewegung + totaler Zugriff. Der logistische Kapitalismus will den totalen Zugriff auf deine
Sprache, die totale Übersetzung, die totale Transparenz, den totalen Wert aus deinen Worten. Und dann
will er mehr. Vor der Aufstandsbekämpfung in Queen
Mary, University of London, nannten wir das postkolonialen Kapitalismus. Wie fühlt es sich an, ein Problem in der Lieferkette von jemand anderem zu sein?
Was ist ein koloniales Regime anderes als die Auferlegung von psychopathischen Protokollen des totalen
Zugriffs auf Körper und Land im Dienst dessen, was
man heute Lieferketten-Management nennt? Das Problem des 21. Jahrhunderts ist das Problem der color line
der Versammlung.
Dieser logistische Kapitalismus, dieser postkoloniale
Kapitalismus, nutzt den gespeicherten, gestohlenen,
historischen Wert von Worten, um seinen Standpunkt
durchzusetzen. Mikey würde nicht auf diese Weise
sprechen. Er sah, was kommen würde, indem er nicht
richtig erinnerte, was gekommen war. Mikey bewegte
sich als Jaywalker durch sein Publikum, das sich falsch
durch seine Worte hindurch hörte. Mikey hob eines
Abends die Hände zum Kampf und kapitulierte vor uns.
Er kämpfte, und indem er kämpfte, kapitulierte er vor
dem, was M. Jacqui Alexander unseren „kollektivierten
63
Selbstbesitz“ nannte 19, er kapitulierte vor unserer Haptikalität, die zugleich unsere kollektivierte Enteignung ist.
Denn ein Rebellator, ein Prophet-Rebell, verteidigt unsere Partialität, unsere Unvollkommenheit, unsere Hände,
die enteignet sind, um einander in der Schlacht um Zion
hochzuhalten. Mikey war ein Rebellator in der Schlacht
von Zion. Mikey, der Rebellator, sabotiert eine Wort-/
Wordsworth-Zeile.
Mikey spricht mit C.L.R. James auf einem Bett in
Brixton in South London, in einem unaufgeräumten Zimmer, Linton Kwesi Johnson steht daneben. Du
musst dich durch die Sprache bewegen, weil die Sprache die Linie durch dich bewegt. Die Linie bewegt
sich jetzt, das Fließband, die Flusslinie, die High Line,
und das heißt du. Du bewegst dich zur Arbeit, wie du
es immer getan hast, aber jetzt arbeitest du auch, während du dich bewegst. James erzählt ihnen, dass er früher Wordsworth geliebt hat und es immer noch tut, aber
erst als er in die Karibik zurückkehrte, wurde ihm klar,
was in dieser Poesie fehlte, weil etwas anderes in dieser
Poesie überall war. James spricht von Sprache als Herrschaft; Mikey hat bereits mit Sprache als erzwungener
Verbesserung in der Produktion zu tun, an der neuen
und verbesserten Linie, wo der Mann seinen Männern
Befehle gibt. Mikey arbeitet an einer alten, neuen, offenen, geheimen Logistikalität, geboren im Laderaum,
zusammengehalten im Verlust und im Verlorensein, und
James gibt ihm ein paar Unkoordinaten mit auf den Weg,
ein Seekapitän wie Ranjits Vater, jetzt hoch an Land,
tief, verschifft, gestrandet auf einem Bett in Brixton,
19 M. Jacqui Alexander, Pedagogies of Crossing. Meditations of
Feminism, Sexual Politics, Memory, and the Sacred, Durham: Duke
University Press 2005, 328.
64
in einem unaufgeräumten Zimmer. Mikey arbeitet nicht
daran, die englische Sprache zu verbessern. Er arbeitet daran, sie zu entkräften.
Mikey Smith dereguliert das Englisch der Königin
in „Mi Cyaan Believe It“, und er sorgt sich nicht darum, unvollkommen zu sein. Er läuft als Jaywalker durch
das Englisch der Königin und instituiert ein Soundsystem, dem sich ihr Standard unterwirft, gleich da auf
der anderen Seite, unten also. Er geht dort hinüber, gerade jetzt, auf der Gully-Seite. Mikey, der Rebellator. Er
sagt, dass sie „eine ganze Zeit unruhig waren, sie sollten zur Ruhe kommen.“ Aber es gibt keine Ruhe im Zugriff; der Zugriff stört die Unruhe, die er zu stehlen und
stillzustellen kam. Dies ist die Frühzeit des logistischen
Kapitalismus, mit James auf dem Bett, im industriellen
Kapitalismus gealtert, und all dem Siedlerkapitalismus,
der sich unter ihnen in London in der harten roten Erde
abgesetzt hat. In einem unaufgeräumten Zimmer instituieren sie. Sie sind das Offline-Institut der neuen Linie, die neue Poetik der Anti-Linie, die antilleanische,
multi-matrilineare Zerstreuung von Drum and Bass and
Grain gegen den Strich des organisierten Sprechens,
und sie fangen die Logistik im Querverkehr der Logistikalität, in der ständigen Verletzung des Fußgängerübergangs durch den Querverkehr, in der Verletzung
der sanktionierten Kreuzung, der geregelten, hegemonialen Frist. Mikeys mehr und weniger als rechtwinkliges Ausbrechen cyaan believe, kann diese verwaltete Störung nicht glauben und versaut sie immer wieder als
Feld hypermusikalischen Verweilens, gekreuzt zwischen
Kreuzen und Vergessen, Widersprechen und falschem
Erinnern, Offenbaren und Rebellieren, in Verweigerung
des Glaubens. Schau in die falsche Richtung, bevor du
65
über die Straße gehst. Beweg’ dich in die falsche Richtung, wenn du über die Straße gehst. So ähneln wir uns,
so sammeln wir uns.
Wenn wir uns bewegen, bewegen wir uns hin zum
Zugriff, d.h. wir versammeln und zerstreuen uns aufs
Neue. Und im logistischen Kapitalismus bewegt sich
das Fließband mit uns, indem es sich durch uns bewegt, greift es auf uns zu, um sich zu bewegen, und bewegt uns, um zuzugreifen. Wir können den Zugriff
nicht verweigern, denn der Zugriff ist es, wie wir rollen und weiterrollen, in und als unsere UndercommonsAffizierbarkeit, wie Silva sagen würde. 20 Aber wir lassen
den Zugriff brennen, und das lieben wir, die Linie, die
in der Demontage jedes einzelnen Produkts demontiert
wird, unsere erneute Versammlung in der allgemeinen
Zerstreuung, unsere gedisste Versammlung offline auf der
Linie, verirrtes Bleiben, gestrandet unter dem Strang, in
Ruhe nur in der Unruhe, mit all den falschen Bewegungen, weil unsere Montagen und Demontagen nicht dieselben sind wie ihre. Sie wissen, manchmal besser als wir,
dass sich falsch zu bewegen oder sich nicht zu bewegen
jetzt nicht mehr nur Behinderung für die Logistik oder
ein Hindernis für den Fortschritt ist. Sich falsch zu bewegen oder sich nicht zu bewegen ist Sabotage. Es ist ein
Angriff auf das Fließband, eine Subversion des logistischen Kapitalismus. Sich falsch zu bewegen heißt, dem
Kapital den Zugriff zu verweigern, indem wir in dem allgemeinen Zugriff bleiben, den das Kapital begehrt und
verschlingt und verweigert. Sich falsch zu bewegen, sich
um nichts zu bewegen, heißt, unsere eigene Sache des
20 Denise Ferreira da Silva, „No-Bodies. Law, Raciality and
Violence“, Griffith Law Review 18(2), 2009, 214.
66
Nicht-Habens zu haben, des Aushändigens und Ausgehändigt-Werdens; es ist unser ständiges Aufbrechen – vor
und gegen es, so wurde uns gesagt – unseres ständigen
Zusammenkommens. Aber mit der kritischen Infrastruktur, die die neue Linie ist, und mit der resilienten Reaktion, die sie schützt, sind Jaywalkers, die mitten auf der
Straße gehen, nicht mehr nur Landeier im Weg der Logistik, Bauerntölpel im Verkehr, sondern Saboteur_innen, Terrorist_innen, Dämon_innen. Jaywalkers sabotieren nicht durch Exodus oder Okkupation wie einst ein_e
Maroon oder ein streikender Bergarbeiter oder ein_e
Geistertänzer_in. Jaywalkers stören die Produktionslinie,
die Arbeit der Linie, das Fließband, die Flusslinie, indem
sie Ungleichheit des Zugriffs für alle fordern. Wenn die
Linie nicht anhält, um dich verschnaufen zu lassen, stehen Jaywalkers herum und sagen, dass das heute aufhört.
Jaywalking ist für sich selbst schon gedisste Versammlung. Auf solche Sabotage steht die Todesstrafe. Wir wissen nicht wirklich, was wir instituieren, wenn wir nicht
instituieren, aber wir wissen, wie es sich anfühlt.
Der totale Wert und seine Gewalt sind nicht nur nie
verschwunden, sondern sie sind, wie Silva sagt, die Grundlage der Gegenwart als Zeit, die Bedingung der Zeit, der
Welt als Zeit-Raum-Logik, die auf der ersten schrecklichen Logistik des Verkaufs, der ersten Massenbewegung
des totalen Zugriffs beruht. 21 Nun treibt uns die kontinuierliche Verbesserung zum totalen Wert, macht alle Arbeit
unvollkommen, bringt uns dazu, uns zu bewegen, um zu
produzieren, zwingt uns, online zu gehen. Wir sind befreit von der Arbeit, nur um mehr zu arbeiten, härter zu
Vgl. Nahum Dimitri Chandler, Toward an African Future. Of The
Limit of the World, Living Commons Collective 2013, 81.
21
67
arbeiten. Wir werden gewaltsam eingeladen, unser Recht
auf Verbindung auszuüben, unser Recht auf freie Rede,
unser Recht zu wählen, unser Recht zu evaluieren, unser
Recht auf richtige Individualität, damit wir die Produktionslinie verbessern können, die durch unsere liberalen
Träume läuft. Freiheit durch Arbeit war nie der Kampfruf der Sklav_innen, aber wir hören ihn heute überall um
uns herum. Kontinuierliche Verbesserung ist das metrische und metronomische Messgerät des Aufschwungs.
Diejenigen, die sich nicht verbessern wollen, diejenigen,
die nicht mit der korrekten neurotischen Korrektheit
kollektivieren und individualisieren wollen, diejenigen,
die dasselbe noch einmal tun, diejenigen, die revidieren,
diejenigen, die den Witz erzählen, den man schon gehört hat, und das Essen kochen, das man schon gegessen hat, und den Spaziergang machen, den man schon
gegangen ist, diejenigen, die planen, zu bleiben und sich
weiter zu bewegen, diejenigen, die sich weiter falsch bewegen – das sind diejenigen, die alle zurückhalten und
die Produktionslinie versauen, die uns alle verbessern soll.
Sie mögen es, unvollkommen zu sein. Sie mögen es, unvollkommen zu sein und sich gegenseitig unvollkommen
zu machen. Man sagt, ihre Unvollkommenheit sei eine
Abhängigkeit, eine schlechte Angewohnheit. Man sagt,
sie seien parteiisch, lückenhaft, skizzenhaft. Ihnen fehlen
Koordinaten. Sie sind kollektiv unkoordiniert im totalen
Rhythmus. Sie sind un(selbst)genügend.
Paolo Freire meinte, dass unsere Unvollkommenheit
das ist, was uns Hoffnung gibt. 22 Unsere Unvollkommenheit neigt uns zueinander. Für Freire können wir umso
22 Paolo Freire, Pädagogik der Autonomie, aus dem brasilianischen
Portugiesisch von Ivo Tamm, Münster u.a.: Waxmann 2008, 47-49.
68
weniger lieben und geliebt werden, je mehr wir uns als
vollkommen, fertig, ganz, individuell betrachten. Ist es zu
viel, dies andersherum zu formulieren? Und mit Freire zu
sagen, dass Liebe die Undercommons-Selbstverteidigung
des Unvollkommen-Seins ist? Dies scheint jetzt gerade
besonders wichtig zu sein, wenn wir zunächst eingeladen
und dann gezwungen werden, uns mit unserer Unvollkommenheit auseinanderzusetzen und sie zu verbessern,
wenn uns gesagt wird, wir sollten unduldsam und peinlich von ihr berührt sein. Wir müssen unversehrt sein.
Man sagt uns, wir sollten unsere Begeisterung steigern,
weil wir ganz versaut sind. Aber zu unserer Verteidigung:
Vollkommen zu sein, lieben wir nur in einer schlichten
Unvollkommenheit, die sie demontiert, erledigt, angeeignet und die Linie hinuntergeschickt hätten. Ja, wir haben
wirklich etwas dagegen zu arbeiten, weil wir wirklich etwas dagegen haben zu sterben.
der Berater
Der Berater ist nicht da, um Lösungen anzubieten,
Innovationen vorzuschlagen oder gar Ratschläge zu geben. Der Berater existiert, um im Zeitalter des logistischen Kapitalismus Zugriff zu demonstrieren. Der Berater ist kein Ideologe. Die Ideologie funktioniert hier nur
für den Berater selbst. Er ist nachweislich der Einzige,
der seinen Schwachsinn glaubt, aber zum Glück für ihn
ist das nicht der Punkt, nicht sein Punkt. Der Berater
nimmt den Zugriff auf die Arbeitsplätze wörtlich, er demonstriert ihre Offenheit, indem er in ihrer Mitte auftaucht, wie eine Drohne. Eines Tages kommt man zur
Arbeit, und da sitzt er neben der Chefin. Nichts, was sie
sagt oder tut, ist so wichtig wie diese Demonstration des
Zugriffs. Was der Berater in das genötigte, ausgesetzte
69
Korps der Arbeiter_innen einführt, ist der Algorithmus. Der Berater trägt den Algorithmus in sich, der im
Namen der Vollkommenheit Gewalt ausübt. Wenn der
Berater seine algorithmische Ladung mitbringt, ist der
Körper der Arbeiter_innen erledigt, diese unerwünschte und ständig aufs Neue besetzte Einschließung. Wir
werden durch die Arbeit, in der Arbeit des Algorithmus vervollkommnet, befreit. Wir werden erledigt und
fertiggemacht durch eine Demontage, die der Berater
erzwingt und aggressiv verkörpert, die von und für sich
selbst war, von und für uns selbst, die Demontage, die
wir immer wieder vollziehen angesichts jeder souveränen
Invasion, jeder gewaltsamen Zuschreibung von Worten
und Wert und Werk. Der Berater vervollkommnet, um
auf die private Schleife eines vereitelten Wunsches nach
Unversehrtheit zugreifen zu können. Den Algorithmus der Arbeit interessiert nicht das Produkt oder gar
die Organisation, sondern die unendliche Krümmung
der Produktionslinie. Der Algorithmus der Arbeit ist
eine Demonstration innerhalb einer Demonstration.
Mit dem Zugriff kommt (die Notwendigkeit der) Verbesserung, die immer die Form einer Forderung nach
mehr Zugriff annimmt. Wie die Einführung des Beraters innerhalb der Organisation den Zugriff demonstriert, demonstriert die Einführung des Algorithmus
die Verbesserung. Der Algorithmus ist die Maschine der
Selbstverbesserung; als solche ist er die einzige Maschine, die neue Maschinen macht. Zwischen ihm und dem
Menschen, der einzigen anderen Maschine, die neue
Maschinen macht und sich dabei selbst verbessert, steht
ein Spiegel – der die geteilte Exklusivität der Selbstvorstellung markiert und instanziiert, diesen beängstigenden, albernen, Stuart Smalleyschen binären Solipsismus.
70
Der Spiegel zwischen dem Menschen, dem Spiegel und
dem Menschen, dem Spiegel des Menschen, ist der Algorithmus. In der Zwischenzeit macht das Inhumane,
das unser fleischliches Innewohnen und Einwohnen in
der allgemeinen Mechanik einer allgemeinen Geringschätzung der Selbstreflexion ist, Maschinen, weil es
sich nicht verbessern will. Vor dem Algorithmus kamen die Maschinen von den Streiks, vom Widerstand,
von der Sabotage. Maschinen, die vom Algorithmus gemacht werden, warten nicht auf den Klassenkampf.
Der Algorithmus der Arbeit unterwirft jeden
Arbeitsprozess auf der Produktionslinie der Demontage, Entfugung und Nichtvollendung, um zu fordern,
dass er besser vollendet, besser zusammengefügt, besser montiert wird. Er hinterlässt keine verbesserte Organisation, sondern eine Metrik, die sicherstellt, dass die
Organisation niemals zufrieden sein wird. Die Metrik
misst alles an der letzten Instanz und stellt sicher, dass
die letzte Instanz sich nie einstellt. Die Metrik verlangt
mehr Zugriff, mehr Messung des Zugriffs, mehr Bewegung, mehr Versammlung, mehr Messung der letzten
Instanz, die in und als Einschließung gegeben ist. Der
Berater spricht immer noch, aber es ist jetzt egal, was
er sagt. Der Algorithmus der Arbeit ist angekommen,
der algorithmische Überschuss ist viral geworden. Wenn
der Siedler im Geschrei der ursprünglichen Akkumulation nicht zu hören war, und der Bürger im Lärm der
Maschinen nicht zu hören war, so ist der Berater nicht
zu hören in den Clicks der Metriken. Mikey hörte dieses Geräusch und ging in die andere Richtung, einen
anderen Weg, so dass der Algorithmus nicht durchkommen konnte, so dass wir ihn hochhalten und weitergeben konnten.
71
Chandler erinnert uns an einen Begriff, den W.E.B.
Du Bois gefunden und angewandt hat: demokratischer
Despotismus. Wenn der Berater den Zugriff nicht demonstrieren kann und deshalb der Algorithmus die
Verbesserung nicht demonstrieren kann, ruft der Berater nach der Police, wie einst (und immer noch) der
Bürger nach dem heteropatriarchalen Nationalismus
oder der Siedler nach der rassistischen manifest destiny.
Die Police ist über all das hinweg, auch wenn all das
nicht vorbei ist. Die Police tritt an, um zu diagnostizieren, was den Zugriff blockiert, und was den Zugriff blockiert, sind „diese Leute“. Was stimmt nicht mit diesen
Leuten in Detroit, die Wasser wollen, diesen Leuten in
British Columbia, die Land wollen, diesen Leuten in
Manila, die einen Platz zum Bleiben wollen? Die Police
sagt, dass mit diesen Leuten etwas nicht stimmt, weswegen der Berater keinen Zugriff bekommt. Aber es
ist genau andersherum. Dem Berater wird der Zugriff
verweigert – diese Leute verweigern ihm den Zugriff
–, weil sie den allgemeinen Zugriff-im-Antagonismus,
den er verweigert, umarmen. Und so muss die Police
gerufen werden. Selbstverteidigung wird zur Krankheit. Liebe wird zum Problem, weil Liebe das Problem
ist, die Selbstverteidigung des Verfügbaren. Aber, hey,
vielleicht kann Governance helfen, das heißt, vielleicht
sind diejenigen, die Selbstverteidigung praktizieren,
bereit, sich selbst zu diagnostizieren, sich selbst zu reflektieren, sich selbst zu verbessern! So oder so wird
die Police verbieten, oder die Police wird in Stellung
gebracht werden – als Demokratie, als demokratischer
Despotismus, wo jeder die Chance bekommt zu sagen,
bei diesen Leuten stimmt etwas nicht. Der demokratische Despotismus ist die Auferlegung der Police und
72
ihrer gewaltsamen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten
auf die, bei denen etwas nicht stimmt, denen Unrecht
angetan wird.
Denn die Sache ist die, dass der Berater nicht falsch
liegt, der Algorithmus der Arbeit nicht falsch funktioniert, der Police-Abzocker nicht falsch diagnostiziert.
Wir sind es, die falsch liegen, mit uns stimmt etwas
nicht, deshalb wird uns auch Unrecht angetan. Wir sind
unvollkommen. Außerdem haben sie die Idee der Unvollkommenheit von uns! Ein anderes Wort für Unvollkommenheit ist Studium, oder genauer gesagt, Revision. Der Berater bekommt diese Revision von uns, vom
Studium, von unseren opulenten gegenseitigen Revisionen aus der Existenz, als Existenz. Das Studium ereignet
sich, und es hört nicht auf. Im Studium engagieren wir
uns bewusst und unbewusst. Wir revidieren, und zwar
immer wieder. Dabei geht es nicht nur darum, Verbesserung als kapitalistische Effizienz wahrzunehmen. Das ist
zu leicht abzutun. Es geht um die Verbesserung selbst,
das Zeitkonzept, den moralischen Imperativ, das ästhetische Urteil, also um die kapitalistische Verbesserung,
die in und auf dem schwarzen Fleisch gründet, seiner
weiblichen Informalität. Die Revision hat kein Ende
und keine Verbindung zur Verbesserung, geschweige
denn zur Effizienz.
Der Berater fügt und entfügt also Institutionen, kann
aber nicht auf das instituierte Leben zugreifen, kann das
schwarze Leben nicht erschließen, kann das queere Leben nicht bloßlegen, kann die feministische Planung
um den „Küchentisch“ nicht offenbaren, wie Barbara
und Beverly Smith es nannten und Tiziana Terranova
es erneut aufruft, wenn sie bestimmte Paradoxien von
Freiheit und Zwangsvollstreckung in kleinen General
73
Intellects des surrealen Lebens erörtern. 23 Er kann nicht
auf offene Geheimnisse zugreifen, kann nicht unvollkommen machen, was schon unvollkommen ist, kann
nicht deformieren, was immer schon informell ist, und
doch können sie es nicht glauben, und das führt zum
staatlichen Ausnahmezustand, der unter solchen Namen wie Resilienz und Bereitschaft bekannt ist. Wenn
der demokratische Despotismus versagt, muss schlicht
Despotismus im Namen der Demokratie durchgesetzt
werden. Resilienz ist der Name für die gewaltsame Zerstörung von Dingen, die nicht nachgeben, nicht in die
Form zurückkehren, sich nicht beugen, wenn Zugriff
verlangt wird, nicht flexibel und fügsam sind. Anzuhalten, wenn man zum Anhalten aufgefordert wird, und
sich weiterzubewegen, wenn man zum Weiterbewegen
aufgefordert wird, beweist Resilienz und Beherrschung;
aber die gebrochene, brechende, gedisste Versammlung
erweist sich als offen, heimlich, und entfugt sich im vereinnahmten, aber unverfügbaren Blick, für uns, hin zu
uns, als unvollkommen und viel mehr als vollkommen.
Ihre daimonische Aufführung kann nicht individuiert
werden und wird nicht aufgeführt werden.
Hold she
Es geht nicht darum, wer dich niederhält, wenn du
versuchst, Jaywalker zu sein; es geht darum, wer dich
hochhält. Das ist die Frage der Haptikalität. Die Polizei
23 Vgl. Barbara Smith, Beverly Smith, „Across the Kitchen Table.
A Sister-to-Sister Dialogue“, in: Cherríe Moraga, Gloria Anzaldúa
(Hg.), This Bridge Called My Back. Writings by Radical Women of
Color, Kitchen Table/Women of Color Press 1983, 123-140; Tiziana
Terranova, „Free Labor. Producing Culture for the Digital Economy“,
in: Marc Bousquet, Katherine Wills (Hg.), The Politics of Information.
The Electronic Mediation of Social Change, Alt-X Press 2003, 99-121.
74
kann nicht halten, was bereits gehalten wird. Gleichzeitig ist das, was bereits gehalten wird, alles, was wir halten können. Das ist unsere haptische Institution. Wenn
du Mama dabei zusiehst, wie sie ein Lied anhört, bist
du instituiert. Wie bei dem Michael-Jackson-Song, den
sie lautgedreht hat, um mir das Tanzen beizubringen.
Auf Zun Lees Foto wird sie festgehalten, aber sie ist
ungehalten. Sie beugen sie, weil Zugriff und Logistik
danach streben, eins zu sein. Je mehr sie von der Polizei, dem Fotografen, der Betrachter_in erfasst wird,
desto mehr wird sie verschifft. Aber je mehr sie verschifft wird, desto mehr wird sie gehalten, desto mehr
wird sie ausgehändigt.
Sie können unsere Hände nicht sehen, und das ist dämonisch für sie. Die Hände der Rebellator_innen werden nicht zu den Bullen hochgehalten, sie werden zu
uns hochgehalten, sie halten uns hoch. Alle Hände, all
diese Münder müssen für sie dämonisch aussehen, und
queer. Es ist queer, sich in solche Hände zu begeben,
die kommen können, von solchen Händen hochgehalten zu werden, die dich erreichen können.
Nur weil es keine Regeln für unseren Zugriff gibt,
heißt das nicht, dass wir nicht wissen, was zu tun ist.
Wir wissen, wie man einer Dancehall-Queen folgt. Wir
wissen, wo sie studiert. Wir halten uns an das, wo sie
studiert. We hold she.
Mehr als mein verdammtes Selbst
Wie können wir einen Genozid überleben? Wir können diese Frage nur ansprechen, indem wir studieren,
wie wir den Genozid überlebt haben. Im Interesse der
Imagination dessen, was existiert, gibt es ein Bild von
Michael Brown, das wir ablehnen müssen zugunsten
75
eines anderen Bilds, das wir nicht haben. Das eine ist
eine Lüge, das andere unverfügbar. Wenn wir uns weigern, das Bild eines einsamen Körpers zu zeigen, die
Umrisse des Raums, den dieser Körper gleichzeitig einnahm und verließ, dann tun wir das, um ein rechthervorbringendes schwarzes soziales Leben zu imaginieren,
das mitten auf der Straße entlangläuft – für eine Minute,
aber nur für eine Minute versammelt sich unüberwacht
eine andere Stadt, tanzend. Wir wissen, dass es da ist
und hier und real; wir wissen, dass das, was wir nicht
haben können, die ganze Zeit passiert.
Unsere Inschriften tragen eine Analytik des Verlorenen und Gefundenen, des Gefallenseins und Aufsteigens, die sich brennend in und als Name von Michael
Brown in Erinnerung bringt. Zunächst, dass es eine soziale Erotik des Verlorenen und Gefundenen in der Verweigerung des Standings durch das Gefallensein gibt.
Wir fallen, damit wir wieder fallen können, und das
ist es, was Aufstieg für uns wirklich bedeutet. Fallen
heißt, seinen Platz zu verlieren, den Platz zu verlieren,
der eine_n ausmacht, der einsmacht, den Ort des Seins
aufzugeben, das heißt, des Einzelnseins. Diese radikale
Heimatlosigkeit – seine kinetische Indigenität, seine irreduzible Queerness – ist die Essenz des Schwarzseins.
Diese Verweigerung, einen Platz zu finden, ist darin gegeben, was es ist, stattzufinden. Michael Brown ist der
jüngste Name des andauernden Ereignisses des Widerstands vor und gegen die sozioökologische Katastrophe.
Die Konstituierung der Moderne im transatlantischen
Sklavenhandel, im Siedlerkolonialismus und in der Entstehung des Kapitals in und mit dem Selbst, dem Staat
und all den anderen Apparaten der Souveränität, ist die
Sozialökologische Katastrophe. Michael Brown gibt
76
uns einmal mehr Anlass, darüber nachzudenken, was es
heißt, die Katastrophe zu ertragen, den und im Genozid
zu überleben, durch unkartografierbare Differenzen als
eine Reihe von (Nicht-)Lokalitäten zu navigieren, die
sich am Ende – entweder ganz bis ans Ende oder als unsere fortwährende Verweigerung von Anfängen und Enden – immer verweigern werden, eingenommen worden
zu sein. Fallen ist eine anakatastrophische Verweigerung
des Falls und damit der Welt, die insofern die Vereinnahmung der Erde ist, als sie immer ein Bild war, das
eingefroren und aus der bildlichen Bewegung herausgenommen wurde. Auf dem Spiel steht die Macht der
Liebe, die gegeben ist, wenn man die Straße hinunterläuft, als offener Ungehorsam gegen den (rassifizierendkapitalistischen, siedler-kolonialen) Staat und seine Zugriffe, insbesondere seinen Zugriff auf die Fähigkeit,
Recht zu machen (und zu brechen).
Gegen die Monopolisierung der Zeremonie durch
den Staat sind die Zeremonien klein und verschwenderisch; wären sie nicht überall und immer, wären wir
tot. Die Trümmer, die kleine Rituale sind, sind nicht
abwesend, sondern verstohlen, eine Reihe von liedhaften Vernarbungen, wenn Leute ein Zeichen geben, eine
Hand schütteln. Aber was ist, wenn wir gemeinsam fallen können, weil wir gefallen sind, weil wir wieder fallen müssen, um in unserem gemeinsamen Gefallensein
fortzufahren, in der Erinnerung, dass das Fallen in einem Verhältnis der Apposition zum Steigen steht, dass
ihre Kombination im Herumhängen gegeben ist, als das
Geben von Pause, Unterbrechung, Verweilen im Vorhof, Untersuchungshaft, Laderaum, Halt, Halten im
Interesse des Reibens, Abklatsch-Reflex und -Reflexion
der mütterlichen Berührung, eine mütterliche Ökologie
77
des Handauflegens, des Behandelt-, Ausgehändigt-,
Überliefertwerdens, die übernatürliche Zerstreuung
des Aufziehens. Hemphill verkündigt mit Nachdruck
die Sozialität, der Luther Vandross Zuflucht gewährt. 24
Gefallenes, aufgestiegenes, trauer-/morgenvolles Überleben. Wenn Schwarze sterben, dann gewöhnlich, weil
wir uns durch Widerspruch lieben; gewöhnlich, weil wir
verliebt sind, ob wir kämpfen oder fliegen, ob Kampf
oder Flucht hochgehalten werden als Kapitulation.
Man bedenke Michael Browns generatives Stattfinden
und Wiederstattfinden als Verweigerung des Falls, als
Verweigerung des Standings. Das geht aber nur, wenn
man sich – und jetzt müssen wir eine Formulierung
von Ah Kee missbrauchen – in schwarze Weltlosigkeit
hineinversetzen will. 25 Unsere Heimatlosigkeit. Unsere Staatenlosigkeit. Unsere Selbstlosigkeit. Nichts davon
ist unser oder kann unser sein.
Der Staat kann nicht mit uns leben, und er kann
nicht ohne uns leben. Seine Gewalt ist eine Re-Aktion
auf diesen Zustand. Der Staat ist nichts anderes als ein
Krieg gegen seine eigene Bedingung. Der Staat führt
Krieg gegen seine eigenen Quellen und Ressourcen, in
24 Vgl. Essex Hemphill, „When my brother fell“, in: ders. (Hg.),
Brother to Brother. New Writings by Black Gay Men, Washington:
Redbone Press 2007, 137; Luther Vandross, „Power of Love/Love
Power“, Power of Love, CD, Epic EK 46789, 1991. Siehe dazu auch
die Motti dieses Kapitels.
25 Vernon Ah Kee schreibt in Whitefellanormal (DVD, 30 sec, 2004):
„Wenn du dich in die Welt des schwarzen Mannes hineinversetzen
willst, in seine Geschichte, in seine Farbe und auf dem Niveau, auf
dem du ihn derzeit wahrnimmst, dann wisse, dass du nie mehr als
Mittelmaß sein wirst.“ Wir möchten Rachel O’Reilly dafür danken,
dass sie uns auf die Arbeit von Ah Kee aufmerksam gemacht hat
(vgl. „Compasses, Meetings and Maps. Three Recent Media Works“,
LEONARDO, 39(4), 2006, 334-339).
78
gewaltsamer Reaktion auf seine eigene Un/Möglichkeitsbedingung, die das Leben selbst ist, die die Erde
selbst ist, die Schwarzsein nicht so sehr als Name vertritt,
als ein Name unter anderen, der nicht nur ein weiterer
Name unter anderen ist. Dass wir überleben, ist Schönheit und Zeugnis; es ist, durch oder innerhalb welcher
Wertzuschreibung auch immer, weder abzutun noch zu
übersehen noch abzuwerten; dass wir überleben, ist unbewertbar. Gleichzeitig ist es aber auch unzureichend.
Wir müssen erkennen, dass lange schon Kriegszustand
herrscht, der Status des rassifizierend-sexistischen, kapitalistischen, Siedler-kolonialen Staats. Seine Brutalitäten und Militarisierungen, seine regulativen Banalitäten
werden ständig aktualisiert und überarbeitet, aber sie
sind nicht neu. Wenn überhaupt, dann müssen wir strategischer über unsere eigenen Innovationen nachdenken und erkennen, dass der Kriegszustand ein reaktiver
Zustand ist, eine Maschine zur Regulierung und Kapitalisierung unserer Innovationen im/für das Überleben.
Deshalb ist das Beunruhigendste an Michael Brown (aka
Eric Garner, aka Renisha McBride, aka Ahmaud Arbery,
aka Sandra Bland, aka Trayvon Martin, aka Eleanor
Bumpurs, aka Emmett Till, aka George Floyd, aka
Breonna Taylor, aka Tyisha Miller, aka ein endloser
Strom von Namen und abwesenden Namen), wie wir
auf ihn reagiert haben, wie wir ihn missverstanden haben, und die Quellen dieses Missverständnisses, die ein
Verlangen nach Standing, nach Stillstand innerhalb der
staatlichen Kriegsmaschine manifestieren und verdinglichen, die, entgegen der landläufigen Meinung, ihren
Untertanen die Staatsbürgerschaft nicht bei der Geburt,
sondern erst beim Tod verleiht, was der angemessene Begriff für die Einbindung in ihre im eigentlichen
79
Sinn politischen Grenzen ist. Die Strafverfolgung von
Michael Brown, wie der angemessene technische Begriff für die Ermittlungen der Grand Jury gegen Darren
Wilson, die Drohne, lautet, ist, wie unser Tag vor Gericht aussieht und immer ausgesehen hat. Der gefährdete, entblößte, unbestattete Körper – der Körper, der im
Tod seinen Status als Körper gerade in und mittels der
Vorenthaltung der fleischlichen Zeremonie erhält – ist,
wie politisches Standing aussieht. Das ist die Form, die
es annimmt und behält. Dies ist eine sophokleische Formulierung. Das Gesetz des Staats ist, was Ida B. Wells
zu Recht Lynchjustiz nennt. Und wir erweitern es in
unseren Einsprüchen gegen es.
Wir müssen aufhören, uns so sehr darum zu sorgen, wie es uns tötet, reguliert und akkumuliert, und
uns mehr darum sorgen, wie wir es töten, deregulieren und zerstreuen. Wir müssen unser Überleben lieben und ehren, das in unserem Widerstand liegt, das
unser Widerstand ist. Wir müssen unsere Verweigerung
dessen, was verweigert wird, lieben. Aber insofern diese Verweigerung begonnen hat stehen zu bleiben, insofern sie begonnen hat, Standing anzustreben, steht sie
in der Notwendigkeit der Erneuerung, jetzt, selbst wenn
die Quellen und Bedingungen dieser Erneuerung immer undurchsichtiger werden, immer mehr in die Regulierungsapparate verwickelt sind, die eingesetzt werden,
um sie zu unterdrücken. In solchen Momenten müssen
wir die Wahrheit mit einer gewissen Bösartigkeit und
sogar einer gewissen Grausamkeit aussprechen. Black
lives don’t matter, schwarze Leben zählen nicht, was eine
empirische Aussage nicht nur über schwarze Leben in
diesem Kriegszustand ist, sondern auch über Leben. Das
heißt, dass Leben keine Rolle spielen; und das sollten
80
sie auch nicht. Es ist die Metaphysik des individuellen
Lebens in all seiner Immaterialität, die uns überhaupt
erst in diese Situation gebracht hat. Michael Brown lebte und bewegte sich innerhalb eines tiefen und sich entwickelnden Verständnisses davon:
Wenn ich diese Erde heute verlasse, dann wisst
ihr wenigstens, dass ich mich mehr um andere
kümmere als um mein verdammtes Selbst ...
Aber wir müssen uns überlegen, wie und was es bedeutet, dass sein Testament sich in einen derartigen Ausdruck von Trauer und Empörung über den Nichtanlass
der Nichtanklage gewandelt hat:
Nennt mich ruhig „Dämon“, aber ICH WERDE
mein verdammtes Selbst lieben.
Wir leiden mit, aber auch unter diesem Ausdruck unseres Leidens. Denn dieser Ausdruck unserer Nichtanerkennung des Dämonischen – wie brutal auch immer
die Polizei und/oder die polis in ihrer Seelenlosigkeit es
uns zuschreiben oder in uns einschreiben – bedeutet,
dass einstige Rechtschaffenheit freiwillig ihre Waffen
niederlegt, wenn sie die rechthervorbringende Kraft in
der Wahl demobilisiert. In der Zwischenzeit ist Michael
Brown wie ein weiterer Fall und Aufstieg durch den
Menschen – gekommen und gegangen, als Unterbrechung und Bruch, nicht um uns daran zu erinnern, dass
schwarze Leben zählen, sondern dass schwarzes Leben
zählt; dass das absolute und unbestreitbare Schwarzsein
des Lebens zählt; dass dies kein Werturteil ist, sondern
eine Beschreibung eines Tätigkeitsfeldes, das die weltliche Unterscheidung zwischen dem Organischen und
dem Anorganischen verwischt. Die Innovation unseres Überlebens ist gegeben in der Umarmung dieser
81
daimonischen, intern reich differenzierten Choreographie, ihrer Lumpen-Kontaktimprovisation, die verdunkelt wird, wenn der Klassenkampf in den Black Studies
das schwarze Studium als Klassenkampf zu unterdrücken
droht.
Wie sehr haben die Black Studies als bürgerliche
Institutionalisierung des schwarzen Studiums die Art
und Weise bestimmt, wie wir den Kriegszustand, in
dem wir zu leben versuchen, verstehen und bekämpfen?
Wie haben sie bestimmt, wie wir die komplexe NichtSingularität verstehen, die wir jetzt als Michael Brown
kennen? Es wäre falsch zu sagen, dass Michael Brown im
Tod mehr als er selbst geworden ist. Das war er bereits,
wie er selbst sagte, im Echo von so viel mehr als ihm
selbst. Er war bereits mehr als das, indem er weniger als
das war, indem er der Geringste von ihnen war. Michael
Brown auf eine Chiffre unseres unerfüllten Wunsches zu
reduzieren, mehr als das zu sein, für unsere seriell unerreichte und konstitutionell unerreichbare Staatsbürgerschaft, bedeutet, sich auf eine Art konterrevolutionäre
Brutalität einzulassen; es bedeutet, am makabren, vampirischen Verzehr seines Körpers teilzuhaben, des Körpers, der zu seinem wurde, obwohl er nicht er wurde, im
Tod, in der reduktiven Stasis, der sein Fleisch unterworfen wurde. Michael Browns Fleisch ist unser Fleisch; er
ist Fleisch von unserem Fleisch in Flammen. 26
Am 9. August 2014 wurde, wie jeden Tag, wie an
einem beliebigen anderen Tag, schwarzes Leben, im
Einverständnis und ausgesandt, in irreduzibler Sozialität nicht allein zu sein, dabei erwischt, wie es – mit
Vgl. Theodore Harris und Amiri Baraka, Our Flesh of Flames,
Philadelphia: Anvil Arts Press 2008.
26
82
rechthervorbringender Fruchtbarkeit – mitten auf der
Straße entlanglief. Michael Brown und seine Jungs:
schwarzes Leben, das Recht bricht und macht, gegen
und unter dem Staat, selbstlos ihn umgebend. Sie hatten auf die melancholische Berufung verzichtet, auf die
wir sie jetzt reduzieren, Berufung auf Staatsbürgerschaft
und Subjektivität und Humanität. Dass sie das getan
hatten, ist die Quelle von Darren Wilsons genozidaler
Instrumentalisierung in der Verteidigung des egoistischen Staats. Sie befanden sich im Kriegszustand, und
sie wussten es. Außerdem waren sie Krieger in aufrührerischer, unvollendeter, unvollkommener Schönheit.
Was uns bleibt, ist der Unterschied zwischen der Art
und Weise von Michael Browns Tanz, seinem Fall und
Aufstieg, seiner andauernden Nicht-Performance, und
den wohlmeinenden Protesten bloßer Bittsteller_innen,
die vergeblich in der kläglichen, minimalen, zeitweiligen Blockade dieser oder jener Autobahn nach Energie
suchen, als ob die bloße Besetzung etwas anderes wäre
als die (umgekehrte) Verschärfung der Forderung nach
Anerkennung, die tatsächlich das „business as usual“
begründet. Anstatt unsere Sorge auf die Frage wie wir
leben und atmen zu verschwenden, müssen wir unsere Weisen und Wege verteidigen, indem wir sie beharrlich praktizieren. Es geht nicht darum, auf die Straße
zu gehen; es geht darum, wie und weswegen wir auf die
Straße gehen. Was wäre es und was würde es für uns
bedeuten, rechthervorbringend auf die Straße zu gehen,
auf der Straße zu leben, hier und jetzt eine andere Stadt
zu versammeln?
Gegen die tote Staatsbürgerschaft, die ihnen auferlegt
wurde, gegen den Körper, zu dem der Staat sie machen
wollte, und anstelle der Bilder, die wir ablehnen und
83
nicht haben können, geht es indes hier um ein Bild unserer Einbildung. Das ist Michael Brown, sein/ihr Abstieg, Aufstieg, Zeremonie, Fleisch, Animation in und
von der mütterlichen Ökologie – Michael Browns Innovation, als Kontakt, in der Improvisation. Kontaktimprovisation ist, wie wir den Genozid überleben.
wir sind nicht (von) selbst hierhergekommen.
schwarz nimmt wie schwarz nahm. wir waren
offensichtlich schon neben unseren selbsten.
letztendlich waren wir oberhalb von uns selbst
in dieser zum schoß gewordenen narbe, diesem
schoßartig narbenden offenen offen gestimmten schrei, schwester, kannst du meine form bewegen? nahm, hatte, gibt. weil er nicht auf sich
selbst gestellt war, ist er in uns gegangen. wie wir
darüber hinweggekommen sind, dass wir nicht
hierhergekommen sind, ist mehr als das zu wollen in der weise, wie wir uns selbst tragen, wie wir
uns selbst hineintragen in den rest, in den wir gegangen sind. hier, nicht hier, gekauft, ungekauft,
brachten wir uns selbst mit, und so konnten wir
unsere selbste weggeben. das ist mehr, als sie uns
nehmen können, selbst wenn es mehr ist, als wir
hinnehmen können.
84
UnScHAUBAR, UnScHAUBAR
1.
Was kann nicht geschaut werden? Was verstößt gegen
die Idee von Sicherheit und Überwachung, macht diese
Idee unmachbar? Schließt die Wache kurz, lässt sie überfließen und überhitzen und entfacht ihren Zorn? Diese
Wachtkette, die Police-Fragen zulässt wie: Wer überwacht die Überwacher_innen? Gewaltenteilung. Nein,
wir sind gebounced. Die Unschaubaren sind die Unerträglichen. Wer stimmt nicht zu, sich ausschauen zu lassen, sondern wird stattdessen unschaubar? War immer
unschaubar, aber nicht im Verhältnis zu allem Schaubaren? War nie da, nie eine Bevölkerung, sondern erklärt
wider das Ausgeschaut-Werden: Watch meh now!? Wir
sind das, für mehr + weniger als für uns gegenseitig, was
wir sind. Wen kannst du nicht anschauen? Wen schaust
du an, Arschloch? Who’d rather go blind?
2.
Auch Sicherheit und Überwachung können in all ihren
Erscheinungsformen nicht geschaut werden. Es ist nicht
nur so, dass wir es nicht wollen; es ist auch so, dass sie,
wenn wir es täten, unweigerlich verschwinden würden.
Einer der Gründe, warum wir diesen Scheiß nicht schauen können, ist sein ständiges Übersehen dessen, was es
nicht schauen kann, dessen, was nicht geschaut werden wird, nämlich uns, die wir zueinander „schau mich
85
an!“ sagen, ohne jemand im Besonderen zu sein. Dieses Übersehen ist eine brutale Form des Überwachens.
Es hinterlässt einen Spureneffekt, einen Rückstand, das
Übrige. Es nimmt den Raum ein, den es im Übersehen
desavouiert, wie ein großer alter Gentrifizierer, ein hipper Siedler, der mit der privat-öffentlichen Polizei und
dem weltlichen, deiktischen Rahmen; der, der sich einbildet, er überliste sich ständig selbst mit bestimmten
geometrischen Manövern – wie dem Triangulieren oder
dem Einnehmen der Mitte oder dem Übernehmen einer Schule im Namen der MINT-Fächer. Das Übrige
hasst nicht nur den Platz, den es einnimmt, sondern
auch die Leute, die es vertritt, indem es sie übersieht
und überwacht. Es hält sie für bedauernswert und ist in
seiner Senilität dumm genug, das auch noch zu sagen.
Sein Spiel von Positionierung und Räumung ist der Ort,
an dem Überwachung und Missachtung konvergieren.
Man könnte diese Konvergenz MSBNC-Sehen nennen,
aber das lässt alle möglichen aufdringlichen GentryDekolonisator_innen vom Haken. Wir sehen euch, sagen sie. Wir sind die Nachtwache. Eh klar, Künstler_innen und so.
3.
Marx sagt irgendwo, dass der Kriminelle das Strafrechtssystem produziert. Was wird durch die Kriminalität produziert, also durch uns, die wir Gesetze produzieren, die dazu gemacht sind, gebrochen zu werden? Ruft
die Kriminalität mit ihrem Aufruf zur allgemeinen Unordnung nicht die Ordnung ins Leben? Wenn wir, die
wir Gesetze produzieren, die gebrochen werden sollen,
86
Politik produzieren oder aber ins Leben rufen, dann fallen wir notwendigerweise vor die Politik, jenseits und
außerhalb der Politik. In der Tat fallen wir, mit anderen
Worten, außerhalb, unter und um den Ausnahmezustand
herum, der das Wesen der Politik und ihr Ziel ist. Uns
auszuschauen heißt, in die Politik zu fallen; mit uns zu
schauen heißt, mit uns aus der Politik herauszufallen; es
heißt, uns in die Arme zu fallen. Und sie könnten uns
niemals schauen, ohne sich in uns zu verlieben, in uns,
die wir sie hochhalten, indem wir uns gegenseitig hochhalten. Ihre Zerstörung ist tödlich. Sie sind der Abfall,
der Zuflucht und Heimsuchung abweist. Sie fallen über
uns her, wenn ihre Augen auf uns fallen. In unserem
Gefallensein sind wir befallen von ihrer aufrechten Haltung. Schwarzsein ist nicht wegen des Weißseins unschaubar, weil das Weißsein dieser Unschaubarkeit bedarf oder weil das Weißsein es nicht sehen kann; es ist
nicht unsichtbar oder überwacht oder in dunkler Unterwachung umgangen oder überspitzt oder ersehnt; es unterliegt nicht der (Farb-)Korrektur, selbst in der totalen,
gebrochenen Allgegenwart der Institution, obwohl das
Unschaubare als all das gedeutet werden kann. Schwarzsein ist unschaubar, weil es keine Möglichkeit gibt, es zu
schauen, die nicht in ihm ist, keine Möglichkeit, es von
außen zu schauen, das heißt von seinen anti-schwarzen
und weltlichen Auswirkungen her: Politik, Police,
Legalität.
4.
Es war einmal ein Künstler, der Anwalt war. Er war
überzeugend in seiner Verdopplung, zeigte sich immer,
87
indem er seine Selbste mit meta-anklägerischem Eifer
zur Schau trug. Daran war nichts Beunruhigendes. Es
war für das Gefüge beruhigend, wie ein Stützpfeiler. Er
sagte nur „Watch me!“ zu ihnen, und sie liebten es und
sagten es durch ihn, und er war verschlüsselt, lange bevor er die Notwendigkeit zur Geheimhaltung erklärte.
In dieser Rücksicht, die ohne Rücksicht ist, spielte er
einen Agenten von unten, und wir waren nicht einmal
für ihn vorhanden. Wir zeigen uns nicht für ihn, wenn
er in Uniform den Weg hinaus zeigt. Er hält den hoch,
den er nicht aus den Augen lassen kann, und wir werden indirekt beaufsichtigt von einem Überbleibsel, einem Aktivisten in einem Spiegelsaal. Er übersieht uns.
Er verpasst all die kleinen Unterschiede, die wir fühlen.
Unser Fleisch ist unser. Sein Wille ist nicht der seine.
Wir reichen herum. Er sieht weg. Er kann uns nicht
schauen. Wir werden Ihn nicht schauen.
88
Al-khWārIDDIM
SAvoiR-FAiRE iSt RinGSUMHER
Es gibt einen Rhythmus, der eine Welt macht, und die
Zeit und der Raum, die dieser Rhythmus platt schlägt,
bitten die Individuierung hinein in diese Welt. Diesen
Rhythmus gibt es seit fünfhundert Jahren. Jetzt klingt
er für sich selbst aber, als wäre er der einzige Rhythmus,
der Rhythmus der Welt und der Individuen, die danach
streben, in dieser Welt zu leben. Es ist der Rhythmus
der Produktion von Waren durch Waren, der an seinem Ursprung innerlich gespalten ist. Der erste Schlag
lässt jede Ware getrennt sein, begrenzt, isoliert von der
nächsten. Der zweite Schlag macht jedes Ding gleich
mit jedem anderen Ding. Der erste Schlag vereinzelt
jedes Ding. Der zweite Schlag macht alles gleich. Zeit
und Raum ordnen diesen Rhythmus und werden durch
ihn geordnet. Es ist ein Siedler-Rhythmus, dieses EinsZwei der kapitalistischen Produktion, ein Rhythmus von
Bürger und Untertan, von Dividuierung und Individuierung, von Genozid und Gesetz. Er klingt dadurch hervor, dass er jede andere Bewegung des Beats enteignet.
Er behauptet, dass nichts anderes gehört werden kann,
dass nichts anderes gefühlt werden muss. Er ist, kurz gesagt, ein tödlicher Rhythmus, wie Fanon am Ende von
Die Verdammten dieser Erde warnte. Aber dieser Rhythmus wurde immer in die Mitte des allgemeinen Antagonismus gestellt und von ihm heimgesucht, von der Kakophonie der Beats, Linien, Falsette und Brummtöne,
von Hüften, Füßen, Händen, von Glocken, Geläut und
Gesang, von einem Undercommons-Track. Im Herzen
seiner Produktion steht eine gewisse Unvereinzelung,
eine gewisse Differenzierung, die nicht trennen will, ein
89
unbegrenzter Trost gegen die Isolation, eine haptische
Resonanz, die diesen tödlichen Rhythmus möglich und
unmöglich macht, der Undercommons-Track, der vor
der aufkommenden Logistik dieses tödlichen Rhythmus’ auf der Flucht bleibt und sie erschöpft.
Doch dieses Schlagen von Ware auf Ware beharrt heute auf einer Welt wie nie zuvor, wickelt seine Schläge um
die Erde, auf der das Fest verbindlich ist. Und es dringt
tief in das ein, was nicht verletzbar oder gar in seine Zeit
und seinen Raum zu zwingen schien. Sein Eins-Zwei
wird zu einem Null-Eins, Null-Eins, während es Gedanken, Affekte, Fleisch, Informationen, Nerven in immer präzisere und minutiösere Attribute der doppelten
Trennung sortiert. Kurz gesagt, dieser Rhythmus wird
zu einem Algorithmus. Jedes Ding, das er erfasst, jedes
Ding, in das er eindringt, jedes Ding, das er besiedelt,
wird mit einem Takt versehen, der gezwungen ist, sich
überall zu hören, sich überall zu fühlen. Dieser Zwang
fährt tiefer in die Körper, die er aktiviert, die Information, die er zirkulieren lässt, die Nerven, die er zu neuen
Verbindungen, neuen Netzwerken der Vereinzelung und
Äquivalenz befeuert. Seine Arbitrage öffnet diese Vereinzelung im vermeintlich Unteilbaren, Ganzen, Singulären, und das Öffnen dieser Vereinzelung schließt ihn
dann in der Äquivalenz ein, reinigt ihn für den nächsten
Takt an den neuen Rändern seines rabiaten Trommelns.
So zwingt auch seine Zeit und sein Raum jedes Ding
in die Klaustrophobie seines Welttakts, jedes Ding, das
nicht flüchtig ist, ist verloren.
Geformt zu sein bedeutet, in diesem Rhythmus geformt zu sein, algorithmisch verfasst zu sein, gezwungen zu sein, diesen Rhythmus aufzunehmen, ihn aber
auch zu entwickeln, zu verbessern, zu exportieren und zu
90
importieren, was bedeutet, dass algorithmisch verfasst
zu sein nicht nur heißt, geschlagen zu werden, sondern zu schlagen. Dieses geschlagene Schlagen könnte als synaptische Arbeit bezeichnet werden. Um dem
Zwang des logistischen Kapitalismus zu entsprechen, ist
es notwendig, diesen Beat nicht nur aufzunehmen, sondern ihn zu verbessern, nicht nur für diesen Rhythmus
verfügbar zu sein, sondern diesen Rhythmus verfügbar
zu machen, mit diesem Rhythmus zu attackieren, sich
in diesem Rhythmus gegen die umgebende Informalität durchzusetzen, die dieses Null-Eins, Eins-Zwei entsiedelt, mit einer Militanz, die weder Eins noch seine
Abwesenheit ist. Was bedeutet synaptische Arbeit? In
erster Linie: diesem Rhythmus, der tötet, geöffnet zu
werden, unfreiwillig, gezwungenermaßen, willkürlich.
Aber dieser Moment der Äquivalenz, der Verkörperung als Subjekt, des ausbeutbaren Nervs und Affekts
verfugt sich mit einer heruntergekommenen Vereinzelung, einem Impuls, die Schläge zu ertragen, um würdig zu sein, die Peitsche zu halten, einem Impuls, den
Rhythmus in die Erde zu kerben, mit dem Rhythmus
zu regulieren, vagabundierende Beats gegen flüchtige
Grooves zu formen. Das Land zu verbessern, das Volk
zu erneuern, diese alten Schlachtrufe über dem tödlichen Rhythmus kehren intensiv, invasiv, im Innern der
synaptischen Arbeit wieder, die immer damit beginnt,
zum eigenen Rhythmus den Takt zu geben, indem sie
eine Eins zum Eignen gibt. Der Drummer ist vereinzelt,
und doch indifferent.
Der Rhythmus operiert in der Form einer Linie.
Diese Linie ist zwei, null und eins. Sie ist ein Fließband, auf dem das Gleiche gemacht wird und das Gleiche verbessert wird, wie im Liebeswerben um Differenz,
91
bis es wieder gemacht wird. Die mit einem Kommentar weitergeleitete E-Mail ist das alltägliche kaizen dieses Rhythmus’. Aber auch dieses Beispiel ist trügerisch,
denn es geht hier nicht um Aktion, sondern um Contenance, um Benehmen, um algorithmische Komposition.
Verbesserung findet in synaptischer Arbeit meist nicht
durch Machen statt, sondern dadurch, dass mehr für die
Ausbeutung verfügbar gemacht wird, eine ursprüngliche Akkumulation der Sinne und die Enteignung von
Intention, Aufmerksamkeit und Spannung. Der Rhythmus operiert in der Form eines Fließbands, das durch
die Gesellschaft, durch die soziale Fabrik läuft, nicht um
etwas Bestimmtes, sondern um sich selbst herzustellen.
Die Produktionslinie ist ihr eigenes Produkt. Das war
der wahre Sinn von Kaizen, die Verbesserung der Verbesserung: Metrik, algorithmische Komposition für sich
selbst. Das bedeutet, dass immer eine weitere Verbindung hergestellt, eine weitere Null-Eins durch diese Verbindung geöffnet werden muss. Jede Verbindung wird zu
einer Arbitrage, jeder Nerv ist spekulativ, wenn er in Synapse mit einer anderen Verbindung feuert, vereinzelt,
äquivalent, wieder vereinzelt in der nervösen Metrik
der Verbesserung. Gegenüber allem UndercommonsMetrum ist diese Metrik sowohl neurologisch als auch
pathologisch. Und sie muss dieses flüchtige Metrum
unbedingt weiter verfolgen, im Zwang, diesen Rhythmus verfügbar zu machen und für ihn verfügbar zu werden, überall, die ganze Zeit, wo und wann dieser tödliche
Takt geschlagen wird.
Das ist die Logistik der algorithmischen Komposition und der Rhythmus des logistischen Kapitalismus,
der sich die Erde vorstellt und durch diese Vorstellung
die Erde in eine Welt einhüllt und einschließt, die bis
92
ans Ende der Erde läuft und das Ende der Erde ist. Die
Logistik regiert den Planeten, sie läuft der Erde und der
Logistikalität hinterher, die sich als Vermögen auf dieser Erde entwickelt hat. Die Logistik erweitert, expandiert, akkumuliert den Raum und die Zeit eines Kapitalismus, der im algorithmischen Null-Eins-Zwei-Beat
über die Erde getrieben wird. Und damit nötigt sie der
Erde die Welt auf. Wenn Logistikalität das ortsbezogene Vermögen ist, auf der Erde zu leben, dann ist die
Logistik die Regulierung dieses Vermögens im Dienst
der Herstellung der Welt, der Null-Eins-, Eins-ZweiWelt, die den allgemeinen Antagonismus des Lebens auf
der Erde verfolgt. Die Welt stellt sich als die Weise dar,
auf der Erde zu leben, wie sich das Individuum als die
Weise darstellt, in der Welt zu leben. Als Individuum
in der Welt zu leben, heißt also, logistisch zu sein, und
logistisch zu sein heißt, sich in einem Rhythmus anzusiedeln, der tötet, diesen Rhythmus auszuschlagen über
den Undercommons-Track, der sein eigenes Metrum
hält (und es immerzu weggibt). Zu sagen, dass synaptische Arbeit eine gewisse Verfügbarkeit verallgemeinert,
bedeutet auch zu sagen, dass sie, insofern sie Derivation, Reduktion, Residualität ist, inmitten ihres Drangs,
mehr zu sein und sich ständig zu verbessern, nicht anders kann, als weniger zu sein. Und das betrifft auch die
verzweifelten und gefährlichen Akte der Individuierung,
der globalen Analyse, der Police, der Besiedlung, einer
schließlich imperialen Antipathie gegen die Empathie
– eine Resonanz, die offen war, bevor sie geöffnet und
nachdem sie eingeschlossen wurde.
Das, was man das soziale Leben der Dinge nennen
könnte, ist nur insofern wichtig, als es uns erlaubt, uns
vorzustellen, dass das soziale Leben keine Beziehung
93
zwischen den Dingen ist, sondern vielmehr jenes Feld
des Reibens und Reißens, das arbeitet, während es die
Arbeit von niemandem ist, nichts, in seinem absoluten Reichtum. Eine solche (soziale) Arbeit ist überhaupt keine Arbeit, aber der Wahnsinn bleibt bestehen; Reiben und Reißen treten zwar in Erscheinung,
aber keinesfalls wie eine Erscheinung, als etwas, worüber Ungenauigkeit uns so zu sprechen zwingt, als
wäre es ein bestimmtes Ding, das nicht nur vereinzelt,
sondern rein wäre. Spezifischer, fast schon erlöserisch,
möchten wir es eine Linie nennen, oder einen Takt,
aber es wird nicht erscheinen. Animaterialer Riddim,
der den Rhythmus schneidet, die Methode schneidet,
– die Überbevölkerung des Metrums durch die Mikrotonalität, der Zaum*, der den Raum* mit einem extrarationalen, hyperganjischen, dancehall-sanskritischen,
anachorasmiatischen, al-Mash’schen, all-vermanschten
Summen erfüllt, der Ersatz-Groove, in dem wir uns befinden, der entwertete und unbewertbare lokale Aufstand – gehorcht unserer liebevollsten Anrufung nicht.
Dieses Geschenk des Geists gibt sich selbst weg, und
Null-Eins/Eins-Zwei bleibt verbittert zurück.
Die Undercommons sind keine Koalition. Sie sind
ein absolut offenes Geheimnis, ohne professionelle Ambitionen. Die Entwertung des lokalen Aufstands nimmt
die Form des Vergessens an, das sich dann manifestiert
als Trauer um die Massenbewegung, die es nie gab, eine
träumerische Zusammenballung von Unentehrten, eine
Auferstehung von dieser oder jenem, der oder die oder
das nicht mehr da ist, wie eine Art unternehmerisches
Nachleben. Michael Porter sagt, die grundlegende strategische Frage sei, wie man sein Unternehmen aus dem
Markt herausbringt. Dieser Exodus nimmt die Form des
94
Kommandos an, der willkürlichen Macht, Police zu machen, aber auch der Regulierung und Steuerung von Externalitäten. Die Police sagt: Ich habe mich festgelegt,
also kann ich euch helfen. Währenddessen besetzen
wir die Planung. Beweise nicht; verbessere nicht; zeige
nicht einmal. Das ist der romantische Traum vom mobilen Grill. Wir bereiten den Feuertisch aus dem Ölfass,
eine Immanenz ( jene Interinanimation von Grenze und
Überschreitung), die immer da ist als etwas, das mehr
und weniger ist als es selbst, weil der Linientakt so viel
mehr und weniger ist und sich auszubreiten und zu wandern scheint wie ein Überlauf, wie eine weder singuläre
noch plurale Aktivität der aggressiven Begrenzung oder
Abgrenzung in (der Verletzung von) jedem Ort, überall,
aber extraterritorial, in Berührung, aber weit draußen,
die schicken, aber entzauberten bons temps der Verschifften, die vage fühlen, wie ihr Nachleben fleischlich und
von unregelmäßigem Austausch geprägt ist.
Der Algorithmus ist die – regelmäßige, maßstäbliche
– Auferlegung der unmöglichen Aufgabe der geteilten
Abstraktion. Mary Pat Brady zeigt, wie das schlechte
Gefühl der Skalierung und die schlechten Gefühle, die
das Verlangen nach Skalierung erfordert und hervorruft,
Implikationen dieser geteilten Abstraktion, dieses abstrahierten Teilens, dieser vereinzelnden Metaphysik der
Individuierung sind, die in elektronischem Gleichschritt
und brutalem (Single-)Line Dance als vernetzte Komposition der Taktdisziplinierung gegeben ist. 27 Auf der
anderen Seite ist Algoriddim kontaktimprovisatorische
Gewalt gegen das Null-Eins/Eins-Zwei, eine Störung
27 Mary Pat Brady, Scales of Captivity. Racial Capitalism and the
Latinx Child, Durham: Duke University Press 2022.
95
seiner Protokolle, die den binären Rhythmus des eisernen Systems bilden, wie Adorno es treffend beschrieben
und ungenau zugeschrieben hat. Wenn die Sinne in ihrer
Praxis zu Theoretikern werden, findet eine Zersetzung
des Individuums statt; Fleisch/Schwarzsein als Ende/
Tod des Individuums ist die Zersetzung des Individuums. Der Übergang von der Logistik zur Logistikalität
– von der erzwungenen Verfügbarkeit („in the flesh“, wie
Hortense Spillers es ausdrückt) zu einer Mechanik der
Undercommons-Haptikalität – ist selbst gespenstische
Aktion auf Distanz, die äußeren Affekte und Effekte des
Intramuralen. Wir untersuchen die Beziehung zwischen
dem Intramuralen, wie Spillers es bearbeitet, und der
Verwicklung, wie Silva sie bearbeitet. Sie hauchen der
Empathie Agonie ein und der Ethik Empathie, und wir
fühlen das; sie weben Differenz ohne Trennung, und wir
kleiden uns damit. Mit dem Interesse, wirklich nützlich
zu sein, studieren wir den kleinen internen Kontakt und
die für beide Seiten vernichtende Strahlung verschiedener Quartette, die von den Einen ungehört bleiben, du
weißt schon, den Null-Einen/Eins-Zweien, die Anteile haben, die daran interessiert sind, sie selbst zu sein,
im Interesse einer Art von Besitz, als ob Besitzen ein
Modus der Verteidigung wäre. Die einzige Verteidigung
ist Offenheit. Das einzige Besitzen ist nicht zu besitzen.
Gib alles weg, bis du nichts hast. Gib es alles weg, bis du
nichts bist. Du musst es aufgeben. Du kannst es nicht
in die Hand nehmen; du musst hoffen, gegen alle Hoffnung, dass es dich in die Hand nimmt. Das ist es, was
die (Null-)Eins(-Zweien) als Stehlen bezeichnen, wenn
weder Selbst noch Welt zu fassen sind, d.h. je eher du
eines von beiden zu fassen bekommst, desto näher kommen wir dem Verschwinden. Aber du weißt schon, alles
96
war schon da, in verwaschenen Linien, im got to give it
up. Angesichts dieses Stehlens von Gestohlenem ist das,
was wir weiterhin in ihnen erhalten, ihr Wegstehlen,
in der Undercommons-Versammlung, in der Dichte, in
den unterschiedlichen Schärfen des Ziehens und Überziehens, des spekulativen, anarchitektonischen, antinationalen, profanationalen Zeichnens, der parabolischen
Wendungen und exzentrischen, zentrifugalen, extrazirkulären Erträge des Atemholens, das dem Atem entkommen ist, in und aus sich selbst, außerhalb des Maßstabs, über (und unter) der Herrschaft, (gegenüber und)
gegen die Herrschaft. Unser hoch-tiefes monastisches
Nichts ist unrechtwinkliges Verschwommmmm, außer
der Linie und außer der Runde und außer der Reihe,
vielfach vertagt, gequert, gedreht, getwerkt, gezüngelt,
unser unkorrallierter Choral.
Also machen wir einen Crossfade, Zo, wo die sozialen
Kompetenzen der Anti-Sozialen nicht mit der Sozialität
der mehr + weniger als Kompetenten mithalten können, deren einziges Problem ist, dass sie kein Problem
haben. Der Scheiß, den sie soziale Kompetenzen nennen, ist ein Algorithmus für das Management von AntiSozialität. Die Null-Einsen, die nur dort sein können,
wo die anderen sind, können sich nicht mit den mehr +
weniger als Einen vergleichen, die überall sind. Die Ordnung der sensorischen Integration ist die Emergenz und
Hierarchisierung der Dinge, was ein primitiver Scheiß
ist für die mehr + weniger als Einen, die im Nebel sind,
die in der Mitte sind, die die Unordnung abmischen.
Du der Mixer, kleiner Mixmaster in der Mine, der mit
Liebe gräbt. Wir lieben dich, sagt es nicht mal ansatzweise. Wir denken, wir haben uns gefunden, ist nicht
mal nah dran. Die Überbevölkerung des Metrums. Die
97
Überfüllung. Die Formung der Grube. Die Ausformung
des Fitness-Studios. Die nicht-invasive, unbewachsene
Lichtung. Die subatomaren Bäume. Das kosmologische
Festmahl. Die gekünstelte Jam. Die Null-Einsen wollen eine vorgegebene, nachvollziehbare, wohlüberlegte
Formel für etwas, das nur in einer provisorischen, revisorischen Praxis funktioniert, wo wir kein Problem
haben, wo das Problem in Genauigkeit und Unreinheit
verschwindet, wo wir uns im Takt bewegen müssen wie
im Tanz. Mann! Sogar bei Eliot, der sich von gewissen
Bankier-artigen Tendenzen wegstiehlt, als ob sie von
Olson gestohlen wären, sogar in seiner phallo-projektiven Umarmung des Offenseins und Geöffnet-Werdens,
ist ringsumher Savoir-faire! 28
28 Mehr zum Thema Savoir-faire, siehe Klondike Kat #1,
https://youtu.be/qAXZb7qLKp4.
98
EinE PARtiAlE ERziEHUnG
totale Erziehung
Ist es nicht so, dass wir es heute mit einer totalen Erziehung zu tun haben? Der Begriff stammt aus Foucaults
klassischen Passagen über das moderne Gefängnisregime. Bekanntlich verwendet ihn Foucault, um über
die Unterweisung von Gefangenen in jedem Aspekt des
Alltagslebens und der täglichen Routine zu sprechen.
Foucault schreibt über das Gefängnis: „Es hat die gewaltigste Maschine zu sein, um dem pervertierten Individuum eine neue Form einzuprägen. Sein Vorgehen ist
der Zwang einer totalen Erziehung.“ 29 Und so führt er
diese Unterweisung, die gegen die Perversion gerichtet
ist, weiter aus:
„Im Gefängnis kann die Regierung über die Freiheit der Person und über die Zeit des Häftlings
verfügen. Von daher begreift man die Macht der
Erziehung, die nicht nur an einem Tag, sondern
in der Abfolge der Tage und selbst der Jahre für
den Menschen die Zeit des Wachens und des
Schlafes, der Tätigkeit und der Ruhe, die Zahl
und die Dauer der Mahlzeiten, die Qualität und
die Menge der Speisen, die Natur und das Produkt der Arbeit, die Zeit des Gebetes, den Gebrauch der Sprache und sozusagen auch des Denkens regeln kann [...].“ 30
Foucault betonte nun, dass jede Forderung nach einer
Reform des modernen Gefängnisses eine Forderung
Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des
Gefängnisses, aus dem Französischen von Walter Seitter, Frankfurt/
Main: Suhrkamp 1994, 302. Übers. leicht angepasst.
30 Ebd. Foucault zitiert hier Charles Lucas’ De la réforme des prisons
von 1838.
29
99
nach mehr Unterweisung war, weil diese Unterweisung
die Reform „pervertierter“ Körper darstellte – Körper,
die zuvor keine solche Disziplin hatten. Reform produzierte mehr Unterweisung. Unterweisung erzeugte mehr
Zwang oder Disziplin. Die Disziplinierung bestätigte lediglich die zugrundeliegende Perversion dieser Körper
und rief zu mehr Reform auf, die wiederum zu mehr Unterweisung aufrief, um die durch die Disziplinierung bestätigte Perversion zu reformieren. Dieser Prozess spiegelt sich darin wider, wie Foucault das Oxymoron des
pervertierten Individuums gebraucht, ein Oxymoron, das
dennoch Quelle der totalen Erziehung ist: Perversion
verstößt gegen das Prinzip des Individuums, indem sie
dessen genaue Grenzen und Gebote nicht einhält, und so
ist das pervertierte Individuum ein fortwährender Übergriff, der die totale Erziehung ins Leben ruft.
In Foucaults Darstellung erscheint die Perversion als
Abkehr (von der Wahrheit), die in gewisser Weise vorgängig ist, bereits vorhanden. Eine vorgängige Wendung. Eine bereits gegebene Wendung, die eine Begradigung erfordert, die zur Reform aufruft. Unterweisung
ist die Weise, wie wir begradigt werden, insofern sie die
Weise ist, wie eine_r begradigt wird. Die Korrektur beginnt mit der Zuschreibung des Körpers selbst, damit,
dass der Körper dem Fleisch auferlegt wird; die Zuschreibung der Perversion an den spezifischen Körper,
die seine Korrektur rechtfertigt, folgt aus seiner Isolierung und manifestiert sich als Diebstahl des Körpers, der von jenen auferlegt wurde, die ein Recht auf
Unterweisung beanspruchen, insofern es ihre eigenen Körper sind, die sie angeblich sowohl beansprucht
als auch transzendiert haben. Die Zuschreibung des
Körpers, die Auferlegung eines begrenzten und
100
eingeschlossenen Selbstbesitzes, eines vereinzelten Selbst,
das dem Besitz unterworfen ist, einem Besitz, der entweder im Diebstahl oder im Handel aktiviert und bestätigt
wird, könnte man als die erste Reform, die erste Verbesserung bezeichnen, insofern sie die Möglichkeitsbedingung
einer Reform oder Verbesserung ist. Die Zuordnung des
Körpers zum Fleisch ist der erste Streifen der langen,
harten, quälend geraden, quälend begradigten Reihe. Unterweisung ist Einordnung, ist Begradigung. Unterweisung offenbart dabei das wesentliche Verhältnis zwischen
Verbesserung und Verarmung, zwischen dem Privaten
und der Privation im Herzen der totalen Erziehung. Der
Reichtum der Perversion wird zum Profit der Erziehung.
Heute scheint es nur mehr wenige Beispiele für
Foucaults totale Erziehung in Gefängnisregimen zu geben. Das Programm der Reform, das Programm der Gefangenenverbesserung wurde fast überall durch eines der
reinen Bestrafung ersetzt, oder durch das, was Foucault
einfach Freiheitsentzug nennt. Wenn abolitionistische
Wissenschafter_innen darauf hinweisen, dass das gegenwärtige Gefängnisprogramm des „Genozids in Zeitlupe“
seit langem die globale Norm in rassifizierten Regimen
ist, weigern sie sich zugleich, eine Reform der Ausnahme
zu billigen, und machen uns auf die Tatsache aufmerksam, dass die Reform des Gefängnisses und die Reform
der Gefangenen ebenso Modalitäten des Genozids sind
wie das Zusammenspiel von Privation und Privatisierung,
das die rassistische Einsperrung unerbittlich erneuert. 31
Aber was wäre, wenn? Was, wenn die Perversion gerade
31 Vgl. Ruth Wilson Gilmore, Golden Gulag. Prisons, Surplus, Crisis and
Opposition in Globalizing California, Berkeley: University of California Press
2007, und Jordan T. Camp, Incarcerating the Crisis. Freedom Struggles and
the Rise of the Neoliberal State, Berkeley: University of California Press 2016.
101
durch die Idee der Individuierung, die das Subjekt der
Verbesserung als Objekt der Verbesserung projiziert, erzwungen wird? Dann ist die Figur des pervertierten Individuums immer schon im System. Wenn umgekehrt
die Verortung der Perversion im individuellen Körper
eine Form des Gefängnisses und der Unterweisung ist,
dann ist die Perversion eine bereits gegebene Anti-/AnteIndividuierung. Wenn Gefängnis und Schule zwei Seiten
einer gemeinsamen institutionellen Struktur sind, die
durch Individuierung operiert, dann ist die Perversion ein
Vor-Gefängnis-Ausbruch aus dem Gefängnis, ein vorschulischer Ausstieg aus der Schule, der immer wieder
die Allgegenwart der totalen Erziehung offenbart, die sie
aufspürt und zum Einsatz bringt. Insofern es im Gefängnis und in der Schule darum geht, zu lernen, gerade zu
richten, zu begradigen, dann ist auch jede_r Bürger_in
und jede_r Nicht-Bürger_in, jede Person und jede NichtPerson, jede_r Arbeitende, die Arbeit hat oder nicht,
selbst die feindliche Kämpfer_in, die Gefangene und die
vermeintlich Arbeitsunfähige, einer totalen Erziehung
unterworfen. In der Tat bedingt die ungezügelte Spekulation auf Verbesserung, die heute durch die Finanzwelt ermöglicht wird, eine nahezu universelle Diagnose der Perversion, eine Diagnose, die Unterweisungsmethoden und
institutionelle Strukturen erfordert, die extrem eng und
zugleich hierarchisch unterteilt sind. Dieser Gedanke mag
in Bezug auf den heutigen Preisbildungsmarkt unserem
Alltagsverstand zuwiderlaufen. Dieser Markt scheint eine
atomisierte Landschaft zu schaffen, die jedes Individuum
sich selbst überlässt, frei in seiner Entscheidung und seiner Handlung. In der Tat hören wir viel über Staaten, die
hohl, und Institutionen, die dysfunktional sind. In einer
solchen Landschaft mag die Idee einer totalen Erziehung,
102
die zur Umsetzung eine totale Institution und eine totalisierende Methode der Umsetzung benötigt, unangebracht wirken. Sicherlich erscheint die Behauptung, dass
eine solche totale Erziehung diese Landschaft tatsächlich
beherrscht, kontraintuitiv.
Die Idee, dass wir auf uns selbst gestellt sind, oder
technischer formuliert, dass wir nun für unsere eigene
soziale Reproduktion verantwortlich sind, muss allerdings ergänzt werden. Wir sind eben nicht einfach auf
uns selbst gestellt. Wir bleiben ihnen ausgeliefert, sowohl
wegen als auch abgesehen von unseren Perversionen, die
ihren ständigen regulatorischen und (e)valuierenden Angriff in einem System hervorrufen, in dem sich Regulierung und Bewertung konstituieren und gegenseitig verstärken. Wir sind mit der Verbannung der Perversion in
das konfrontiert, was Silva „die Gleichungen des Werts“ 32
nennt, deren ursprüngliches Axiom und grundlegende
Operation die Individuierung ist. Der vorgängige Widerstand gegen die Individuierung ist sowohl der primäre
Modus unserer Perversion als auch die Struktur und Aktivität des Beharrens, die im Wesentlichen wertbildend
sind. In dieser Hinsicht ist die Perversion das primäre
Objekt und die Rechtfertigung der totalen Erziehung,
insofern alle unsere Bemühungen um soziale Reproduktion als falsch, unzureichend und schwach angesehen
werden müssen. Und gleichzeitig werden all diese Bemühungen kapitalisiert, sie werden zum Motor und zum
Treibstoff und zum Objekt der ständigen Verbesserung.
Gerade aufgrund des staatlichen und institutionellen
32 Denise Ferreira da Silva, „1 (life) ÷ 0 (blackness) = ∞ − ∞ or
∞ / ∞: On Matter Beyond the Equation of Value“, e-Flux Journal
79, Februar 2017, http://www.e-flux.com/journal/79/94686/1-life0-blackness-or-on-matter-beyond-the-equation-of-value.
103
Rückzugs aus der sozialen Reproduktion können wir als
pervertiert diagnostiziert werden. Staat und Institution
ziehen sich von ihr zurück, transzendieren sie, trennen
sich von ihr und machen so die soziale Reproduktion
zum Objekt ihres besitzergreifenden epistemologischen
und ökonomischen Zugriffs. Tatsächlich wird in vielen
Fällen der Rückzug selbst nun rückwirkend auf unsere
Perversionen zurückgeführt. Mit anderen Worten: Wie
sollen wir ohne den Staat und seine Institutionen hinreichend reguliert und abgesondert werden, um Eigentum zu erlangen und aufrechtzuerhalten und die damit
gefundene Freiheit zu sichern? Wir können es gar nicht.
Vielleicht wollen wir aber auch vor allem, wie Etta James
sagt, einfach nicht frei sein. 33
Wir werden dem Staat entzogen, damit das Objekt in
seiner Trennung genossen werden kann. Aber Rückzug
ist nicht wirklich Hingabe; was bei diesem Rückzug auf
dem Spiel steht, ist vielmehr eine Unterteilung des Genusses. Was entsteht, ist eine Art Homo-Sozialisierung
(oder Politisierung) des Genusses – regulierende Begradigung und monolithischer Konsum und Ent-(ver)wicklung des Genusses, als ob die Orgie ständig durch serielle
Monogamie ersetzt würde. Was die Trennung mit dem
Genuss tut, ist entscheidend und grausam. Der Rückzug
aus dem Objekt des Genusses ist ein Akt der Individuierung, der diesem Objekt aufgezwungen wird. Genauer
gesagt, wird dem Objekt Selbstbesitz als eine inaktive
oder ausgezehrte Fähigkeit auferlegt, deren Wirkungslosigkeit notwendig einem Regime unterworfen wird, in
dem es vollständig dem Genuss eines anderen unterworfen ist. Betrachten wir zum Beispiel die den Versklavten
33
Etta James, „I’d Rather Go Blind“, 1967.
104
auferlegten Körper, die rückwirkend und gleichzeitig zu
ihrem Eigentum und zu uneigentlichem und unwirksamem Selbstbesitz erklärt werden, und den damit einhergehenden Diebstahl dieser Körper durch den einen,
den Mann, der sie versklavt. Dies ist der Unterschied
zwischen zwei Arten des Genusses: Genuss in der Trennung und Genuss in der Verwicklung; der Genuss (der
Gebrauch) des (trennbaren) Körpers und der Genuss des
(verwickelten oder Undercommons-)Fleisches. Genau
aus diesem Grund ist die Unterweisung notwendig. Unterweisung ist die Regulierung (zum Zwecke des Diensts
und des individuellen Genusses) einer unursprünglichen
Perversion. Und weil dieses Scheitern 34 – die ständige
Bedrohung des totalen Systemversagens als unursprüngliche Perversion – alle Bereiche der sozialen Reproduktion des Lebens durchzieht, muss auch die Unterweisung
alle Bereiche umfassen. Sie muss das Scheitern überall
von einer Perversion in einen Punkt auf einer Linie verwandeln. Sie muss das Scheitern überall auf eine Gaußsche Glockenkurve reduzieren. Sie muss überall sein. Sie
muss eine totale Erziehung sein.
der Markt unterweist
Heute ist es natürlich in erster Linie der Markt (in seiner begradigten Version), der unterweist. Der Markt verfügt über unsere Freiheit und unsere Zeit, um sich in die
Lage zu versetzen, eine totale Erziehung anzubieten. 35
(Wenn der Staat über unsere Freiheit verfügt, können
Vgl. Jack Halberstam, The Queer Art of Failure, Durham: Duke
University Press 2011.
35 Zu den Anforderungen der Unterweisung für die Beschäftigung,
vgl. Franco „Bifo“ Berardi, The Soul at Work. From Alienation to
Autonomy, Cambridge: The MIT Press 2009.
34
105
wir sicher sein, dass es keine Unterweisung zur Reform
geben wird.) Die erste Lektion dieser totalen Erziehung
– nach der unvermeidlichen Diagnose der Perversion
(die vorsätzlich als Krankheit und nicht als Gesundheit
missverstanden wird), die sich aus unserer Deinstitutionalisierung ergibt – ist, dass wir uns verbessern müssen. Aber nicht nur, dass wir uns verbessern müssen, wir
müssen uns in jedem Bereich des Lebens verbessern, in
all den Bereichen, in denen wir aufgegeben worden sind.
Unsere Arbeit, ja, aber auch unsere Gesundheit, unsere Bürger_innenschaft, unser Eigentum, unsere Kinder,
unsere Beziehungen, unsere Vorlieben. Um uns zu verbessern, müssen wir unterwiesen werden. Die Unterweisung beginnt mit der Klarstellung, dass alles, was am
Staat, den Institutionen oder dem Markt nicht stimmt,
unsere Schuld ist. Die Unterweisung verlangt von uns,
die geraden Linien zu sehen, die sie sich (in einer zutiefst regulativen Form der Einbildung als Selbstbildnis,
als Bildnis des Selbst-als-Einem, Einbildungskraft*)
einbildet, um eine Art transzendentalen Wunsch nach
Verbesserung hervorzubringen.
Im Gegensatz zur Institution stimmt etwas nicht
mit uns, weil wir nie gerade genug sind, nie verbessert genug, im Sprechgesang unserer Perversionen.
Und aus der Perspektive der totalen Erziehung stimmt
das. Es stimmt etwas nicht mit uns – nämlich, dass
wir nicht stimmen wollen. Mit Luther Ingram gesagt,
bedeutet das, dass wir verliebt sind. 36 Sie wollen (was
nicht stimmt mit) uns besitzen, benutzen und ständig
verbessern. Sie wollen uns die immerwährende
36 Luther Ingram, „If Loving You Is Wrong“, Koko Records, 1972,
Komposition und Text von Homer Banks, Carl Hampton und Raymond
Jackson für Stax Records, https://youtu.be/rmiuAUnT_tQ.
106
Begradigung aufzwingen, der sie unterworfen sind.
Samuel Delany sagt, das normative, d.h. anormale psychologische Modell der Homosexualität der 1950er
Jahre besagte, dass es sich um eine „einsame Perversion“
handelte. 37 Aber das heißt auch, und vielleicht genauer, dass das institutionelle Urteil über das Normale und
das Anormale (oder, wie der Künstler Arthur Jafa sagt,
the abnormative 38) im Interesse einer allgemeinen Unterwerfung der Perversion unter das Einzelne lag, zum
Zweck ihres seriell einzelnen Besitzes, Gebrauchs, ihrer
Verbesserung und ihres Genusses. In der Tat kann jedes
Versagen des Markts, des Staats oder der Institutionen
auf uns zurückgeführt werden. Unsere verbesserte Beteiligung an diesen Einheiten wird sie verbessern. Aber
sie wird uns nicht verbessern, zumindest nicht genug,
denn schließlich sind wir Quelle und Lebensgrundlage
der Perversion, und damit notwendig für die totale Erziehung.
Wir sind es, nicht die Gesellschaft, die zu reformieren sind, und jede Kritik an der Gesellschaft wird zur
weiteren Unterweisung für uns. Unter der totalen Erziehung bedeutet die Reform jeder Institution immer,
uns zu reformieren. Alles stimmt nicht an uns, und unser Problem ist, dass sie das wollen, was an uns nicht
stimmt, um die ständige Verbesserung und Begradigung
dessen, was an uns nicht stimmt, in die Wege zu leiten;
das erleichtert ihnen die Einbildung, irgendwie schon
Samuel R. Delany, The Motion of Light in Water. Sex and Science
Fiction Writing in the East Village, Minneapolis: University of Minnesota Press 2004, Kap. 34.1.
38 Arthur Jafa, Dreams Are Colder Than Death, 2014, Film, 52 min.,
2014, http://arika.org.uk/events/episode-6-make-way-out-no-way/
programme/dreams-are-colder-death.
37
107
immer gerade, richtig, korrekt gewesen zu sein. Wir sind
die ungefügige Musik, gegen die sich eine bestimmte
Fantasie der Geradlinigkeit durchgesetzt haben wird,
die das Allgemeine zu einem bloßen Hintergrund umformt. Diese Fantasie ist eine von unendlich vielen, die
die allgemeine Krümmung und Biegung und Verwicklung ausmachen. Sie ist eine vereinzelte Version unserer
allgemeinen Perversion, eine Sache der Leichtigkeit, die
wir als die unsre eingestehen müssen. Die Fantasie der
Dominanz und Transzendenz ist dominant und transzendent, bis wir sie loslassen, sie wieder in die allgemeine Musik der Verlagerung verlegen, die Abtrennung und
Loslösung, die ihr Wesen ist, nicht mehr zulassen, die
Allgemeinheit und Gegenseitigkeit von Gebrauch, Genuss, Gefühl neu einstellen und feiern. Jeder Aspekt von
uns ist pervertiert. Jeder Aspekt der Individualität kann
verbessert werden, kann unterwiesen werden. Aber gerade weil jeder Aspekt von uns pervertiert ist, wird uns,
um Verbesserung und Unterweisung möglich und zugleich notwendig zu machen, Individuierung auferlegt.
Jeder Aspekt ist reform- und damit unterweisungsbedürftig. Der Markt ist nicht nur zuständig für „die Natur und das Produkt“ unserer Arbeit, sondern auch für
„die Zeit des Gebetes, den Gebrauch der Sprache und
sozusagen auch des Denkens“. 39 Der Markt trachtet
nicht nach Bestrafung. Er versucht, zu unterweisen.
Und da jeder Aspekt von uns pervertiert ist, muss die
Unterweisung Zugriff zu jedem unserer Aspekte haben.
Sie muss logistischen Zugriff haben. Sie muss darauf bestehen, unsere Körper zu reformieren, damit sie Kanäle
für die Interoperabilität von Arbeit, Geld, Energie und
39
Foucault, Überwachen und Strafen, 302.
108
Information sind. Eine logistische Erziehung bedeutet,
dass jeder Aspekt von uns ein Mittel ist und sein muss.
In diese Verbesserung in/als alle Mittel ist die zweite
Lektion dieser totalen Erziehung integriert. Wir werden
uns nicht genug verbessern können. Wir werden Verbesserung immer brauchen, und immer werden wir sie
brauchen. 40 Ein anderes Wort für diese zweite Lektion
ist Spekulation.
In dieser zweiten Lektion tut sich der Markt mit dem
Staat und seinen ideologischen und repressiven Apparaten zusammen. In der Tat ist es in vielen Fällen der Staat,
der die Diagnose der Perversion stellt, und in jedem Fall
ist es der Staat, der den Markt absichert. Der Staat kehrt
zu seinen Siedlerwurzeln zurück und sichert nicht nur
das Privateigentum, sondern das private Individuum, ja
er sichert die Individuierung selbst als ein für diese Art
von Spekulation notwendiges Prinzip. Maria Josefiña
Saldaña-Portillo lehrt uns, wie Eigentumsrechte den indigenen Völkern nicht nur aufgezwungen wurden, um
Land zu extrahieren, sondern auch, um die Individuierung als Grundlage für die Expansion und Legitimation des Siedlerstaats einzuführen. 41 Die unaufhörliche
Privatisierung der sozialen Produktion, die Polizeiarbeit, die Eigentumsrechte und die Propaganda bleiben in dieser Hinsicht Besonderheiten des Staats. Aber
der Staat beteiligt sich auch an der Unterweisung und
insbesondere am spekulativen Markt der Verbesserung.
Nehmen wir als kurzes Beispiel die Gentrifizierung.
Zu den unendlichen Ansprüchen der Arbeit vgl. Peter Fleming,
The Mythology of Work. How Capitalism Persists Despite Itself,
London: Pluto Press 2015.
41 Maria Josefina Saldaña-Portillo, Indian Given. Racial Geographies across
Mexico and the United States, Durham: Duke University Press 2016.
40
109
Gentrifizierung zu erleben heißt, in Spekulation unterwiesen zu werden. Man muss lernen, Geschichte, Parks,
Schulen, natürliche Umgebungen, kulturelle Unterschiede, Gesundheit und öffentliches Leben als monetarisierte Werte zu sehen, auf und gegen die man wetten
kann. Diese zeitgenössischen Pilger wollen „die Nachbarschaft aufwerten“. Sie begehren ihre Verbesserung,
was bedeutet, dass sie auch das begehren, was verbessert werden soll. Sie trennen sich von dem, was verbessert werden soll, oder vertreiben es, und diese Trennung
bleibt die wesentliche Struktur ihres Begehrens. Deshalb ist Gentrifizierung als Kraft immer auf der Suche
nach der nächsten Nachbarschaft, die es zu erobern gilt.
Gewissermaßen ein billiger Lacanscher Trick. Sie wollen nicht nur das, was verbessert werden soll, sie wollen auch von dem, was verbessert werden soll, begehrt
werden, begehrt von der Perversion. Kriminalität, scheiternde Schulen, ungenutzte oder schlecht genutzte Parks
und öffentliche Verkehrsmittel werden der Diagnose der
Perversion unterzogen. Und die Diagnose wird von Bürger_innen durchgeführt. Die Bürger_innen der Gentrifizierung übernehmen die Schulen, reinigen die Parks,
arbeiten mit der Polizei zusammen und identifizieren im
Allgemeinen diejenigen, mit denen etwas nicht stimmt.
Diese Selbstführung als Bürger_in der Gentrifizierung
hat den spekulativen Staat als Lehrmeister. In der Gentrifizierung unterwiesen zu werden bedeutet jedoch
nicht nur, andere der Evaluation zur Verbesserung zu
unterziehen, sondern auch sich selbst. Es bedeutet, sich
einer Selbstdiagnose zu unterziehen und die eigene Verbesserungsfähigkeit in Form von mehr Spekulation zu
testen, wie die Fähigkeit, mehr Schulden zu machen,
mehr lebenslanges Lernen, mehr Flexibilität, mehr
110
Dienstbarkeit gegenüber diesem spekulativen Markt der
Verbesserung. So entwürdigend diese Selbstdiagnose
auch sein mag, sie ist besser, als von denen diagnostiziert zu werden, die sich selbst diagnostizieren, besser
also, als diejenigen zu sein, denen von anderen gesagt
wird, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Es ist besser
zu sagen, mit mir stimmt etwas nicht, als gesagt zu bekommen, mit dir stimmt etwas nicht. Es ist besser, sich
selbst zu begradigen.
die Modernität des nießbrauchs
Man könnte sagen, dass dieses Regime der Verbesserung
seinen Ursprung im modernen Nießbrauch hat. Nießbrauch ist ein Begriff, der das Zusammentreffen zweier
Arten von Verbesserung zu Beginn des 19. Jahrhunderts
erkennen lässt. Einerseits setzte sich das Bürgertum im
Gegensatz zum statischen Status der Aristokratie für die
Möglichkeit und Notwendigkeit, sich zu verbessern, ein.
Auf der anderen Seite bedeutete der wachsende Investitionsimperativ des Kolonialismus und des Kapitalismus,
dass alles Land und alle Leute danach beurteilt wurden,
wie viel mehr sie sich verbessern konnten, wie viel mehr
sie durch Investition einbringen konnten und sollten.
Das wirklich Unheimliche an dieser sozialen Synthese
ist, dass sie die fiktive Idee des sich selbst verbessernden, sich selbst besitzenden, sich selbst autorisierenden
Individuums gerade dadurch verstärkt, dass sie das unproduktive und unterwillige Land und die Leute, die
diese Fiktion umgeben, voraussetzt, eine Fiktion, die
massiver Ressourcen für ihren Selbsterhalt bedarf und
die von ihr vorausgesetzte Verarmung mittels individuierter Enteignung im Dienst des Eigentums produziert. So ist der vermeintlich unabhängige Wille des
111
„Nießbrauchers“, desjenigen, der das Eigentum eines
anderen verbessert, nachdem er die relative Abwesenheit
des Willens im „nackten Eigentümer“ durchbrochen
hat, dazu bestimmt, den anderen zu beherrschen, zu
verbessern, zu unterweisen. Man könnte argumentieren,
dass dies auch das Grundmodell der formalen Bildungssysteme war, die sich in der Folge entwickelten. Ein anderes Wort dafür ist Ehe. 42
So könnten wir uns durchaus fragen, wo dieses düstere
Bild der Zwangsverbesserung – die heute in der totalen
Erziehung gipfelt – diejenigen belässt, die traditionell als
Unterweisende eingestuft wurden: Eltern, Lehrer_innen, Künstler_innen und Protagonist_innen sozialer
Bewegungen. Es belässt sie, wie wir sagen würden, beim
Studium. Studium pervertiert die Unterweisung. Studium entsteht als kollektive Praxis der Revision, in der
diejenigen, die studieren, sich nicht verbessern, sondern
improvisieren, sich nicht entwickeln, sondern regenerieren und degenerieren, keine Unterweisung erhalten,
sondern versuchen, Rezeption zu instanziieren. Studium
ist unsere bereits gegebene Gabe der allgemeinen Enteignung unserer selbst füreinander, und unser Dienst an
dieser Enteignung. Studium ist die (un)beständig ungeformte, insistierend informelle, unterperformende gegenseitige Verpflichtung, nicht zu graduieren, sondern
stattdessen auf unbestimmte Zeit eine unbewertbare gegenseitige Schuld anzuhäufen, anstatt uns der unendlich
austauschbaren Kreditlinie zu unterwerfen. Studium ist
eine partiale Erziehung.
Für eine ausgezeichnete Untersuchung über Paare und heteronormative Familien als Erweiterungen der Individuierung, vgl.
Melinda Cooper, Family Values. Between Neoliberalism and the New
Social Conservatism, Cambridge: Zone Books 2017.
42
112
Partiale Erziehung
Die partiale Erziehung beginnt mit einer offenen Perversion, einer offenen Verdrehung einer offen maoistischen Formulierung. Maos Formulierung ist, dass aus
Eins zwei werden; unsere ist, dass die Eins mehr und
weniger als das wird. Diese mittellose Verweigerung der
ganzen Zahl, diese Verletzung der Ganzheit der Zahl,
ist der erste Antagonismus einer partialen Erziehung,
ihr parteiischer Auftakt. Die erste Handlung in der Praxis einer partialen Erziehung ist zu sagen, dass die totale Erziehung, mit der wir konfrontiert sind, nicht total
ist, nicht eins, sondern mehr und weniger. Und wenn
sie mehr oder weniger mehr und weniger ist, dann bedeutet das, dass ein Teil von ihr nicht dazu gehört. Er
gehört uns, und damit niemandem und allen. Zu sagen,
dass totale Erziehung (nicht eins) ist, bedeutet, dass wir
nicht nur damit konfrontiert sind, ihre Unterweisung zu
kritisieren, sondern dass wir auch studieren, und dass
wir, insofern dies wahr ist, nicht sie studieren. Eine
partiale Erziehung beharrt zudem auf der Asymmetrie
dieser Formulierung. Unser Ding ist grundlegend anders als ihr Ding, denn unser Ding ist unbegründet,
ungegründet, Undercommons. Eine partiale Erziehung
ist nie fertig, nie begonnen oder beendet, unterfundamental und unsolide. Sie ist dazu bestimmt, unvollendet und unerledigt zu bleiben. Eine partiale Erziehung
ist eine unvollkommene Erziehung, unternommen von
uns, die wir unvollkommen sind, um Robinsons vorwegweisende, vor-predigthafte Formulierung aus The
Terms of Order zu übernehmen. Eine partiale Erziehung
wird von den Teilen praktiziert, die mehr und weniger
als sie selbst sind, so sehr, dass sie ständig viel Lärm erzeugen. Eine partiale Erziehung ist eine Perversion der
113
Unterweisung. Invaginativ erschöpft sie das irreduzible
Wechselspiel von Nießbrauch und Unterweisung.
Eine partiale Erziehung ist auch keine neutrale Erziehung, die darauf abzielt, in richtiger Weise ganz
und total zu sein und damit die schlechte totale Erziehung zu ersetzen, mit der wir jetzt konfrontiert sind.
Es geht ihr nicht um Ersetzung, sondern um Verlagerung. Eine partiale Erziehung ist der parteiische
Standpunkt eines Standpunkts ohne Standpunkt. Sie
beharrt darauf, wie das, was uns gehört, mehr und
weniger ist als unser. Eine partiale Erziehung ist eine
Partisan_innen-Brigade, die in ihrer Unterscheidung
zwischen dem, was sie nicht ist, und dem, was sie ist,
den allgemeinen Antagonismus hervorruft. Ist eine
partiale Erziehung mit anderen Worten eine antagonistische Erziehung, so ist sie auch mehr und weniger
als das, was mit Silva ihre untrennbaren Unterschiede genannt werden kann. Sie bewegt sich gegen den
Strich der Taxonomien, Kategorien und Identitäten
der totalen Erziehung, die durch den Nießbrauch der
europäischen Aufklärung angestoßen wurden. Eine
partiale Erziehung ist eine sinnliche Erziehung, eine
fühlende Erziehung. Sie ist eine synästhetische Theorie der Sinne 43, nachdem die Sinne in ihrer Praxis zu
Theoretikern geworden sind. Eine partiale Erziehung
verschüttet ihre eigenen Sinne – wie die Begrifflichkeit
von Alexis Pauline Gumbs es freisetzt. 44 Eine partiale
Erziehung schreitet durch ihre eigenen Verschüttungen voran und zurück.
Vgl. Fred Motens Diskussion der Synästhesie in „Amuse-Bouche“,
Jacket 02, 2. Februar 2015, https://jacket2.org/article/amuse-bouche.
44 Alexis Pauline Gumbs, Spill. Scenes of Black Feminist Fugitivity,
Durham: Duke University Press 2016.
43
114
Gumbs’ Arbeit ist von Spillers inspiriert, ebenso wie
der Begriff einer partialen Erziehung von der Art und
Weise inspiriert ist, wie Spillers die Einsheit sowohl des
Kapitalismus als auch seiner aufschlussreichsten Kritik, des Marxismus, in Frage stellt. 45 Diese Kritik verlangt, ungeachtet ihres Gegenstands, einen gewissen
Abstand zwischen der Ware und der Arbeiter_in, egal
wie klein oder vom Zusammenbruch bedroht er ist, damit „Politik“ existieren kann. Spillers lehrt uns in der
Tat, wie Robinson, dass selbst dieser eine, der Marxismus, mehr und weniger als das ist, weil die Ware, die
sprechen konnte, ein innerer Antagonismus zu jenem
unumstößlichen Antagonismus gegenüber dem Kapitalismus ist und aus diesem Grund etwas mehr und etwas
Partialeres als Politik mit sich bringen kann. 46 Implizit
ist also diese Kritik, die besonders in der Sklavin verkörpert ist und von ihr unter den brutalsten Bedingungen
dessen, was Hartman „belastete Individualität“ nennt 47,
immer wieder ausgefleischt wird, auch eine Kritik der
Politik selbst und damit der Idee des Staats, wie wir vielleicht an den unten besprochenen Künstler_innen sehen
können.
das Modell Singapur
Im Jahr 2015 sagte Singapurs Premierminister Lee
Hsien Loong in einem Interview mit CNN: „Die Leute
45 Hortense Spillers, Black and White and in Color. Essays on American
Literature and Culture, Chicago: University of Chicago Press 2003.
46 Vgl. Fred Moten, In the Break. Aesthetics of the Black Radical
Tradition, Minneapolis: University of Minnesota Press 2003.
47 Saidiya V. Hartman, „The Burdened Individuality of Freedom“,
in: dies., Scenes of Subjection. Terror, Slavery, and Self-Making in
Nineteenth-Century America, New York/Oxford: Oxford University
Press 1997, 115-124.
115
sagen, wir seien paranoid, was wir wohl auch sind, und
wir müssen es auch sein.“ 48 Er wurde weithin für diese Bemerkung verspottet, die wie ein Rückfall in das
Singapur der 1970er und 1980er Jahre klang, als sein Vater das Land mit einem noch autoritäreren Griff regierte. Aber fairerweise muss man dem jüngeren Mr. Lee
zugestehen, dass er über den Druck auf Singapur sprach,
in einer Welt wettbewerbsfähig zu bleiben, in der globalisierte Firmen und internationale Finanzen die traditionelle Rolle von Entwicklungsstaaten wie Singapur
einschränken. Dennoch war die Bemerkung symptomatisch, weil sie an eine frühere Ära der Unterweisung im Nationalstaat erinnerte. Singapur entstand
gerade als „Modell“ durch seinen Anspruch, Bürger_innen zu machen, die weniger pervers sind. Singapur tat dies,
indem es so ziemlich alles im Land als pervers einstufte,
außer Lohnarbeit und Zwangssparen, Ehrerbietung gegenüber der Staatsmacht und heteronormatives Familienleben. Aber es tat dies auch, indem es seine Bürger_innen darin unterwies, dass noch groteskere Perversität
überall um den Inselstaat herum lauerte, von Feind_innen im Innern, wie z.B. denjenigen mit chinesischer Abstammung, die mit den Kommunist_innen in Malaysia
oder China verbündet sein könnten, über die religiösen Fanatiker_innen, abgetaucht unter der Oberfläche
in einem Meer von Islam, das den säkularen Nationalstaat umgibt, bis hin zu gewöhnlichen Kriminellen,
die auf der Lauer liegen, wenn Singapurer_innen ins
Ausland reisten. Heute noch ist das erste, was man als
Besucher_in von einheimischen Taxifahrer_innen hört,
Dialog mit Lee Hsien Loong auf der Konferenz SG50+, 2. Juli
2015, http://www.pmo.gov.sg/newsroom/transcript-dialogueprime-minister-lee-hsien-loong-sg50-conference-2-july-2015.
48
116
wie sicher Singapur ist – als ob man einen Spaziergang durch Bangkok oder Jakarta oder Hanoi niemals
überleben würde, ohne auf Straßenräuber_innen zu
treffen.
Entgegen dem Klischee durchschauten selbst viele
Singapurer_innen oft diese sehr offensichtlichen Unterweisungsversuche, und aus diesem Grund war das
Singapur-Modell nicht wirklich ein Modell der totalen Erziehung. Es waren nicht die Körper und Seelen
der Singapurer_innen, die geschult wurden, sondern
nur ihre öffentlichen Umgangsformen – ihr Verhalten als Bürger_innen eher denn als Untertanen. Sogar
heute noch sind unbeholfene öffentliche Erziehungskampagnen wie Mr. Lees Kommentar ein anachronistisches Merkmal dieser Art der Begradigung der Singapurer_innen in die Staatsbürger_innenschaft. Aber
obwohl Mr. Lee die falsche Art von Unterweisungshandbuch in den Händen hielt, war er zu Recht besorgt um die kontinuierliche Verbesserung im heutigen
Singapur. Singapur unterliegt einem neuen Regime des
Nießbrauchs. Und damit entsteht eine neue Art von totaler Erziehung in Singapur, eine, die von der globalen Wirtschaft geleitet wird, wobei die Regierung sich,
um mitzuhalten, bemüht, ihren Lehrplan zu aktualisieren. In der Tat ist Singapur heute ein Paradebeispiel
für Körper, die von der globalen Wirtschaft logistisch
unterwiesen werden. Mit seinen dominanten Sektoren
Finanzwesen, Gastgewerbe und Reisen, mit Einzelhandel, Gesundheit und Erziehung an der Spitze, entsteht
eine neue Art der Unterweisung im Zugriff, die selbst
für Foucaults Gefangene übergriffig erschiene. Die totale
Erziehung nimmt nicht so sehr die Form einer spekulativen, sondern die einer logistischen Verbesserung an.
117
Da die meisten Leute in Singapur in Sozialwohnungen
leben und die Klassenmobilität stark eingeschränkt ist,
ist die Erziehung der Bevölkerung in diesem Finanzzentrum vor allem durch Logistik geprägt, nicht durch das
Finanzwesen. Das „Modell“ Singapur hilft uns zu verstehen, wie eine logistische Unterweisung als allgemeine Abwertung der Mittel funktioniert. Mit dieser Unterweisung soll der Körper ausschließlich ein Mittel für
den reibungslosen Ablauf von Transaktionen werden. Er
soll zu einem Mittel für die Interoperabilität aller Dinge werden. Unterweisung ist gegeben in der Öffnung
des Körpers durch Diskurse und Praktiken wie Kundenservice und Prosumer-Verhalten, und in der Tat in der
Finanzialisierung des Selbst, wie Randy Martin es formulierte 49, aber vor allem durch die endlose Verfügbarkeit, den 24-Stunden-Zugriff auf jeden Aspekt des Körpers. Selbst die Ermahnungen zu Kreativität, Kritikalität
und Unternehmertum schulen den Körper vor allem für
die Erweiterung des Zugriffs auf soziales Leben, Einbildungskraft und kulturelles Wissen. Der Körper wird
darin unterwiesen, ein Mittel für diese Ströme oberhalb
und unterhalb der Ebene seiner Integrität als Körper zu
werden, für diese Verbindungen, die neue Ebenen von
Intellekt und Affekt zugänglich machen. Aber immer
dient diese Schulung in/als Mittel zur Transaktion, zur
Akkumulation, zur Realisierung des privaten Profits aus
der gesellschaftlichen Produktion. Das Kapital sucht nur
die Abwertung der Mittel und kann nicht ertragen, was
Malcolm X als Zweck verstand, als er seine berühmte
Phrase „mit allen erforderlichen Mitteln“ äußerte. Nicht
49 Randy Martin, The Financialization of Everyday Life, Philadelphia:
Temple University Press 2002.
118
mit allen Mitteln also, sondern nur mit solchen, die der
begrenzten Vorstellungskraft des Kapitals dienen, das
heißt nur solchen Mitteln, die durch Individuierung,
dadurch, dass Freiheit über Notwendigkeit gestellt wird,
abgewertet werden können.
Logistische Unterweisung, die neue totale Erziehung
in Singapur, erlaubt es uns, die jüngsten paranoiden
Versuche der Regierung zu verstehen, ihren Lehrplan
zu ästhetisieren und über den kruden Ansatz des Auswendiglernens und die „Kein Fleiß, kein Preis“-Sprüche
ihrer staatlich gelenkten Industrialisierung hinauszugehen. 50 Dennoch kann diese totale Erziehung in der Logistik nicht umhin, die neuen Perversionen zu offenbaren, von denen sie lebt, Perversionen, die in der Region
gleichzeitig sehr alt sind. Diese totale Erziehung ist in
der Tat symptomatisch für die Perversion des SingapurModells, sie ist seine Basis und seine Niedertracht. Diese Perversionen bedrohen den Reichtum der Stadt, weil
dieser Reichtum von ihnen, von einer Abhängigkeit, abhängt. Wir werden darauf zurückkommen.
Marx sagte voraus, dass die Kapitalströme Teil des
Produktionsprozesses werden würden. In voller Wirksamkeit zeigt sich diese Prognose in der Arbeit von
Anna Tsing, die sogar die Dominanz solcher Ströme in
vielen Sektoren nachweist, einschließlich vieler Sektoren, die in Singapurs Ökonomie hervorstechen. 51 Die
Entwicklung der Fähigkeit, nicht nur für andere offen
Eng Beng Lim, „No Cane, No Gain. Harry, Queer Discipline, and Me“, Bully-Bloggers, https://bullybloggers.wordpress.
com/2015/03/29/no-cane-no-gain-harry-queer-discipline-and-meby-eng-beng-lim.
51 Anna Tsing, „Supply Chains and the Human Condition“,
Rethinking Marxism 21(2), 2007, 148-176.
50
119
zu sein, sondern von anderen geöffnet zu werden, geteilt, parzelliert, versendet, verschifft zu werden, bedeutet, das zu entwickeln, was wir an anderer Stelle Logistikalität genannt haben. 52 Logistikalität ist die Perversion
der Logistik, ihre formlose Quelle. Logistische Erziehung reagiert auf diese unterfließende UndercommonsLogistikalität. Sie versucht, diese durchdringende Perversität des Zugriffs, der vulgären Öffnungen, zu begradigen, d.h. zu degradieren. Sie muss auf eine Umkehrung der ersten Reform reagieren, durch die der Körper
der Perversion des Fleisches auferlegt wird. Die Logistik
behandelt den Körper partial, greift auf Teile zu, zerlegt
Teile, lässt Teile zurück. Es ist daher entscheidend, dass
die Logistik nicht zu der Art von partialer Erziehung
führt, in der eine solche Perversität – von Fleisch ohne
integrale Körper, von Körpern, die in das Fleisch verwickelt sind, anstatt es zu beherbergen – als eine Form
des Studiums unter denen wieder auftauchen könnte, die
wollen, dass auf sie zugegriffen wird, weil sie falsch liegen wollen.
logistische Perversionen
Die Kunst kann hier helfen. Oder vielmehr der Kunstmarkt, die Kunstszene, die Kunsterfahrung, wie Singapur
sie sowohl importiert als auch geschaffen hat. Die Eröffnung der Gillman Barracks signalisierte das Engagement der Regierung Singapurs, den Inselstaat zu einem
Zentrum für zeitgenössische Kunst zu machen. Die
Gillman Barracks, eine Militäranlage aus der Kolonialzeit, die sich über mehrere üppige Hektar im Westen
52 Stefano Harney und Fred Moten, Die Undercommons. Flüchtige Planung und schwarzes Studium, aus dem Englischen von Birgit
Mennel und Gerald Raunig, Wien u.a.: transversal texts 2016, 110-119.
120
der Insel erstrecken, wurden renoviert, um zahlreiche
kleine private Kunstgalerien, Restaurants und das Centre
for Contemporary Art zu beherbergen, jene öffentliche
Institution, die den Kern der Neugestaltung bildet. Kurz
darauf öffnete das Singapore Museum of Modern Art
im Gebäude des Obersten Gerichtshofs aus der Kolonialzeit seine Pforten, das nun moderne Kunst des 20.
Jahrhunderts aus der Region beherbergt und die Legitimation für den Vorstoß auf den Weltkunstmarkt bereitstellt. Die klare Marktstrategie der Investitionen in die
Kunst zeigt sich in der Art und Weise, wie die Singapore
Art Week, eine riesige kommerzielle Ausstellung, die in
den ikonischen Marina Bay Sands-Gebäuden am Hafen
abgehalten wird, die Singapur Biennale in den Schatten
gestellt hat, die in einem Waisenhaus aus der Kolonialzeit untergebracht ist (dieses ehemalige Waisenhaus, das
jetzt das Singapore Art Museum ist, wurde vor kurzem
wegen Renovierungsarbeiten geschlossen). Durch die
institutionellen Einrichtungen und durch Residenzen,
Publikationen, Stipendien, Universitätsprogramme und
kleinere Festivals wurden südostasiatische Künstler_innen, Kuratoren_innen, Kritiker_innen und Sammler_innen in großer Zahl an diesen goldenen Umschlagplatz
gelockt. Eine zeitgenössische Kunstszene wurde in das
Singapur-Modell integriert. Die Singapurer_innen sollen eine totale Erziehung in Kunst erhalten.
Aber worin sollen sie unterwiesen werden? In Kunsttheorie? In Investitionen in den Kunstmarkt? In den
Wert der Kunst als sozialer Praxis? Nun, in der Tat in all
dem. In einem so wohlhabenden Land wie Singapur, in
dem ein Viertel der Haushalte über ein Einkommen von
mehr als einer Million US-Dollar verfügen soll, wird ein
bisschen Kunsttheorie in Form von Unterweisung durch
121
Kurator_innen, Akademiker_innen, Kritiker_innen und
Galerist_innen das Rad der Kunstmarktinvestitionen
schmieren, und vielleicht wird die soziale Praxis einspringen, wenn das Rad jemanden überrollt. Die
Singapore Art Week legte ihrem Katalog einen Käuferleitfaden bei, der potenzielle Investor_innen unterwies,
keine unentdeckten Künstler_innen zu kaufen, die älter
als fünfzig Jahre sind, da es zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich ist, dass sie entdeckt und zu einer guten
Investition werden, oder anderenfalls zu warten, bis sie
sterben, um sie zu kaufen, da die posthume Entdeckung
auch eine Marktstrategie ist.
Vor allem aber wird in den privaten Galerien der
Gillman Barracks, auf der Singapur Biennale und während der Singapore Art Week eine ästhetische Lektion erteilt, die mit logistischer Erziehung verbunden ist.
Kunst wird die Integrität der Singapurer_innen in einer
Zeit stützen, in der die Logistik sich nicht um eine solche Individuierung kümmert. Sie wird das Fortbestehen
der Individuierung ermöglichen, so wie es die Spekulation in dem Moment tut, wenn die Dinge auseinanderfallen, in Teile, in eine partiale Erziehung. Dieser
Moment ist nicht nur für Unterweisung und Verbesserung notwendig, sondern für die Umsetzung selbst,
für die Sichel der Privatisierung der gesellschaftlichen
Produktion und den Hammer der Privation. In einer
Zeit, in der die Logistik uns einige Emotionen nimmt
und andere lässt, einige unsrer Geschmacksaspekte mit
denen anderer verbindet, unsere Wünsche mit anderen
in einer Reihe aufstellt, unsere Kritik mit anderen vermischt, kann Kunst uns lehren, dass wir immer noch
Grenzen haben, dass wir immer noch Körper haben,
die eingeschränkt werden müssen, dass wir immer noch
122
ein individuelles Urteil haben. Die ästhetische Lektion, selbst eine Vermählung von Fleisch und Körper,
vollzogen durch ein höheres Vermögen, ist der Teil des
Lehrplans, der dazu bestimmt ist, unsere Logistikalität
zu bremsen, der dazu bestimmt ist, unsere Logistikalität zu brechen. Mit anderen Worten, durch die ästhetische Lektion wird Singapur versuchen, die Individuierung inmitten einer breiteren logistischen Erziehung
zu sichern, die mit der Logistikalität flirten muss. Aber
werden wir die Lektion lernen? Oder werden wir weiterhin in/als unser Studium, in unserer perversen, partialen Erziehung in Teile zerfallen? Eine partiale Antwort
für diejenigen, die gerne versuchen, die Unterweisung
zu pervertieren, kann bei zwei der Künstler_innen der
Singapur Biennale gefunden werden.
Marta Atienza und Hemali Bhuta
Zwei Installationen, die integraler Bestandteil dieser
aufkommenden ästhetischen Erziehung in Singapur sein
sollten – eine von Marta Atienza, einer in Rotterdam
arbeitenden Künstlerin von den Philippinen 53, und eine
von Hemali Bhuta, einer Künstlerin aus Indien 54 – fielen
stattdessen aus dieser Totalität heraus. Beide waren außerordentlich kraftvolle und schöne Arbeiten. Inmitten
einer typischen zeitgenössischen Biennale, die Künstler_innen, Nationen, Kurator_innen und Zuschauer_innen ordentlich anordnet, ist etwas Perverses in den Arbeiten, in ihren Arbeiten. Die Biennale produziert eine
Reise, in denen Länder, Kunstwerke, Künstler_innen,
Meinungen, Urteile und Verkäufe unversehrt individuiert
53
54
Vgl. https://www.singaporebiennale.org/martha-atienza.php.
Vgl. https://www.singaporebiennale.org/hemali-bhuta.php.
123
bleiben. Am Ende einer Kunstweltversion eines LonelyPlanet-Trips sollen wir für eine weitere Unterweisung
in Logistik instandgesetzt werden. Aber Atienza und
Bhuta nehmen an dieser Reise nicht teil. Sie sondern
sich von ihr ab, entfernen sich von ihr und auch von sich
selbst. Die Reiseroute zerfällt in der Präsenz ihrer Arbeit
in Teile. Wir vergessen, wohin wir gingen, unsere Sinne
sind damit gefüllt, da zu sein, wo wir sind. Atienzas Arbeit füllt einen Raum, und wie die von Bhuta überspült
sie uns, bevor wir den Raum am Ende eines kleinen
Flurs erreichen. Wir hören das Meer. Ihre Installation
besteht aus einer Art Deck, auf das Wasser schwappt,
einem Bullauge, das sich am Horizont auf und ab bewegt, halb vom Meer überschwemmt, und einer Reihe
von wässrigen Projektionen. Wir erfahren, dass sie auf
einem Tanker mitgefahren ist, der in den Gewässern um
Singapur verkehrt. Wir erfahren, dass sie Verbindungen
zu philippinischen Seeleuten hat, die auf diesen Tankern arbeiten. In diesem Raum zu sein, bedeutet, dass
unser Sinn für das Meer entsammelt wird. Wir können
es hören und sehen, und wir haben das Gefühl, dass
wir in der Lage sein sollten, es zu riechen und es zu berühren. Wir können uns nicht zusammenfügen, können
uns nicht zusammenreißen in dieser Meereslandschaft.
Irgendetwas stimmt nicht, und das sind wir.
Auch zu Bhutas Installation gelangen wir, bevor wir
ankommen. Die Luft bildet einen duftenden Pfad. Die
Betrachter_in folgt dem Pfad und dreht sich um, um
ein Dickicht aus hängendem Rauchwerk zu sehen, das
zart, aber auch schwer von der Decke hängt, als wäre es
schwer beiseite zu schieben, als wäre es leicht, in es verwickelt zu werden. Der rote Wald ist durch den rauen
Wuchs jedes einzelnen Räucherstäbchens strukturiert,
124
und es ist schwer zu sagen, ob diese Oberfläche weich
ist oder scharf, sicher oder gefährlich. Vor allem aber
beschäftigt uns der Duft, ein stiller Duft, den wir nicht
zu berühren wagen. Wie bei Atienzas Arbeit sind wir
affiziert, um wieder einen Begriff von Silva zu verwenden. Die Sinne verlieren die Fassung, und wir verlieren
ein wenig Selbstbesitz. Wir werden partial. Ferreira da
Silva schreibt über die Verunglimpfung der Affektierbaren im Europa der frühen Aufklärung 55, derjenigen, die
sich nicht völlig selbst besitzen und bestimmen, sondern von anderen affiziert, auseinandergenommen, unvollkommen gemacht, partial gemacht werden. Beide
Arbeiten lassen uns die Enteignung der Partialität, des
bloßen Teils, fühlen. Es gibt in dieser Kunst ein mitreißendes Gefühl, mit und bei anderen sein zu wollen.
Die beiden Werke der Künstlerinnen von den
Philippinen und aus Indien hätten stattdessen Kritik üben können, wie es eine Reihe von Künstler_innen auf der Biennale und der Art Week zu tun schien.
Sie hätten die Ausbeutung von philippinischen Seeleuten unter singapurischer Flagge hinterfragen können, von
philippinischen Hausangestellten, die in den Häusern der
singapurischen Mittelschicht eingesperrt sind, von südasiatischen Bauarbeitern, die beim Bau von Singapurs
Megaprojekten verschuldet und verletzt wurden, von dem
Rassismus aufgrund der Hautfarbe, der südasiatischen
Kindern auf den Schulhöfen Singapurs immer noch
entgegenschlägt. In der Tat gab es mehrere andere Arbeiten, die sich auf die Wohnsituation von Migrant_innen aus Südasien bezogen, und Klänge der Stadt, die
55 Denise Ferreira da Silva, Toward a Global Idea of Race,
Minneapolis: University of Minnesota Press 2007.
125
von den Stimmen und Sprachen ihrer Migrant_innen erfüllt waren. Die beiden Künstlerinnen wären
wahrscheinlich auch mit solchen Gesten in die Biennale
aufgenommen worden. Schließlich erfordert die Reform,
dass Singapur sich mit internationalen Zeitungsschlagzeilen wie „Preiswerte Dienstmädchen in den Einkaufszentren von Singapur“ oder schlicht und ergreifend „Singapurs
Migrant_innen erleben Misshandlungen und Ressentiments“ auseinandersetzt. 56 Die Künste würden uns dann
eindeutig über eine Fehleinschätzung unterweisen. Und in
der Tat würden sie ein Plädoyer für Reformen, für mehr
Unterweisung und letztlich für mehr Kunst halten. Ihre
Kunst ist jedoch viel parteiischer als das.
nicht-Staat nicht-Sein
Eine partiale Erziehung produziert keine Bürger_innen,
die so denken, weil sie nichts so Vollkommenes wie eine
Bürger_in produziert, sondern etwas viel Perverseres. In
der Kunstfertigkeit dieser Künstlerinnen wird man stattdessen ermutigt, sich in Nicht-Bürgertum, in NichtStaat-Sein zu verwickeln. Man beginnt, die Wanderarbeiter_innen nicht als herabgewürdigte Bürger_innen
zu empfinden, sondern als Teil einer anderen Tradition
der Parteilichkeit, des kulturellen Experiments und der
Perversion gegenüber den Bürger_innen, Nationen und
Staaten, die sie für sich beanspruchen. Nicht zufällig
hat die Region in der Tat eine reiche Geschichte dieser
Michael Malay, „Buy a discount maid at Singapore’s
malls“, Al Jazeera, 27. Juni 2014, https://www.aljazeera.com/
indepth/features/2014/06/buy-discount-maidat-singapore-malls201462495012940207.html; Kirsten Han, „Singapore’s migrant workers face abuse and resentment“, Southeast Asia Globe, 27. April 2016,
https://southeastasiaglobe.com/singapore-migrant-workers.
56
126
perversen Nicht-Staatlichkeit, wie uns James C. Scott in
The Art of Not Being Governed lehrt. Bei der Beschreibung der riesigen Regionen dessen, was er Zomia nennt,
das Hochland und die abgelegenen Regionen, die sich
von Indien über das südostasiatische Festland bis nach
Südchina erstrecken, spricht Scott von Völkern, die
nicht nur ohne Staaten leben, sondern auch Strategien
dafür entwickeln, der Eingliederung, der „Einversammlung“ in diese Staaten zu entgehen. Scott stellt fest, dass
diese Völker oft in der Sprache derer, die sie jagten, derer, die in Staaten lebten, mit dem Wort für „Sklav_innen“ in diesen Staatssprachen bezeichnet wurden, noch
bevor sie versklavt wurden, was eine vorangehende Perversität anzeigt. Scotts Arbeit gibt uns einen historischen Kontext für die heutige diplomatische Staatsbürger_innenschaft und die partiale Erziehung, die sich ihr
entgegenstellt. Er schreibt über Südostasien:
Um eine Beobachtung von Karl Marx über Sklaverei und Zivilisation zu paraphrasieren: Es gab
keinen Staat ohne konzentrierte Arbeitskraft; es
gab keine Konzentration von Arbeitskraft ohne
Sklaverei, daher waren alle diese Staaten, insbesondere die Seestaaten, Sklavenhalterstaaten.
Sklav_innen, so kann man mit Fug und Recht sagen, waren die wichtigste „cash-crop“ des präkolonialen Südostasiens: die begehrteste Ware im
Handel der Region.
Und dies ist nicht nur ein Kontext für unsere heutige Diskussion, sondern zusammen mit der europäischen kolonialen Indentur der historische Kontext des
Singapur-Modells:
Eine andere Art, den Prozess zu beschreiben, ist
der systematische Abtransport von Gefangenen
aus nicht-staatlichen Räumen, vor allem aus den
127
Bergen, um sie in staatliche Räume oder in deren
Nähe zu verlegen. [...] Das Ausmaß der Sklaverei
und ihre Auswirkungen sind schwer vorstellbar
[...], ganze Regionen wurden ihrer Bevölkerung
beraubt. [...]
Wie so oft bei einem wichtigen Handelsgut waren Sklav_innen praktisch der Wertmaßstab, mit
dem andere Waren bezeichnet wurden. [...] Die
enge Verbindung zwischen Bergvölkern und die
soziale Herkunft der meisten Sklav_innen zeigt
sich auffällig darin, dass die Begriffe für Sklav_innen und Bergvölker oft austauschbar waren. 57
Und weil er so jung ist, mag dieser Seestaat, Singapur,
als das Produkt der jüngeren kolonialzeitlichen Indentur
erscheinen. In der Tat scheint dieser moderne Nationalstaat – von den chinesischen kongsi (große Brüder), die
Arbeiter_innen aus Fujian zur Indentur verdingten und
sie mit Opium süchtig machten, über die Brit_innen,
die die Tamil_innen auf den Kautschukplantagen zur
Indentur verdingten, bis hin zur Umsiedlung von Malai_innen auf die Insel – in der postkolonialen Ära nur
das Produkt der Bewegung vom Subjekt zur Bürger_in
zu sein. 58 Nach der Unabhängigkeit wurden Chines_innen, Tamil_innen und Malai_innen aus der Arbeiterklasse alle zu Singapurer_innen, auch wenn sie in eine
rassifizierende Hierarchie eingefügt waren. Mit der Hilfe von Atienza und Bhuta, mit der Unterstützung einer
partialen Erziehung, wird die einmalige postkoloniale
James C. Scott, The Art of Not Being Governed. An Anarchist
History of Upland South East Asia, New Haven: Yale University Press
2011, 86-88.
58 Vgl. Carl A. Trockis wichtiges Buch über die Kolonialgeschichte
Singapors und ihr Vermächtnis: Singapore. Wealth, Power and the
Culture of Control, New York: Routledge 2006.
57
128
Staatsbürger_innenschaft jedoch bald mehr als eine und
weniger als zwei, und es entsteht etwas Partiales, etwas
Nicht-Staatliches, etwas, das an das Erbe von Zomia erinnert. Denn Singapur benötigt genau die „Konzentration von Arbeitskräften“, die die Sklavenhalterstaaten
benötigten. Und das wirft weniger die Frage auf, wie
die Singapurer_innen diejenigen nennen, die „einversammelt“ werden müssen, als vielmehr, wie die Einversammelten sich selbst, wie sie auch ihre eigenen, unversammelten, gespaltenen Praktiken des Partialen nennen
könnten.
Zur Zeit leben etwa fünf Millionen Menschen in
Singapur. Drei Millionen sind Staatsbürger_innen, Vermächtnisse der Geschichte der Bewegung vom Subjekt
zur Bürger_in, zusammen mit einer Politik der Sinifizierung, die nach der Unabhängigkeit die Migration von
Leuten chinesischer Abstammung befördert hat. Der
Rest sind Migrant_innen, die meisten mit zweijährigen Arbeitsvisa, die als Hausangestellte, im Baugewerbe
und in allen Formen der Wartung, Reparatur und physischen Instandhaltung der Weltstadt arbeiten. Ein kleiner Teil von ihnen hat ein längeres Arbeitsvisum und
wird Expats genannt, und sie sind meist weiß. Mit anderen Worten: Die Einfuhr konzentrierter Arbeitskräfte
bleibt das Modell des Staats. Er ist jetzt kein Sklavenhalterstaat mehr, obwohl Singapur weiterhin eine regionale Drehscheibe für den Frauen- und Mädchenhandel ist. Der Staat reguliert jedoch eine Ökonomie, die
eine riesige Anzahl von verschuldeten bis zur Indentur
verdingten südasiatischen männlichen Arbeitern produziert, und eine, die jeden neuen Tag neue entlaufene Hausangestellte produziert. Das Ausmaß der Abhängigkeit von dieser konzentrierten Arbeitskraft, die weit
129
verbreitete Dehumanisierung dieser Einversammelten
und die völlige Abhängigkeit des Singapur-Modells von
dieser Arbeitskraft macht aus der einen totalen Erziehung zwei. Es ist nicht so sehr, dass diese migrantischen
Arbeiter_innen mit ihren Nationen und Staaten im Ungleichgewicht sind, sondern Singapur ist mit sich selbst
im Ungleichgewicht. Sein Modell ist pervers. Es präsentiert sich selbst als ein Modell für die Entwicklung
Südostasiens. Aber für sich selbst ist es präsent als eine
Perversion.
Gegebene verwirrung
Wo diese Arbeiter_innen nicht dazugehören und niemals
dazugehören können, ist ein Modell, das das Schlimmste der beiden miteinander verwobenen Geschichten
vereint – die Geschichte des präkolonialen Modells,
nicht-staatliche Völker durch Gewalt und heute durch
Schulden, Betrug und Entwicklung zusammenzufegen,
und die des kolonialen Modells des europäischen Rassismus. Das letztgenannte Modell bedeutet, dass diese
Arbeiter_innen niemals als potenzielle Bürger_innen
Singapurs angesehen werden, wie sie in den präkolonialen Sklavenhalterstaaten wahrscheinlich Subjekte des
Nassreis-Staats geworden wären. Was wir hier haben, ist
Einversammlung ohne die Aussicht auf Staatsbürger_innenschaft. Die kolonialen Regime überzogen die Region
mit einer Form von Rassismus, die es den postkolonialen Regimen erlaubt, das Schlimmste aus beiden Welten
auszusuchen. Dies ist das eigentliche Singapur-Modell.
Kein freier Markt, sondern massive Konzentrationen
unfreier Arbeit. Kein Wunder, dass es als Modell angepriesen und verkauft, aber nicht kopiert werden kann.
Welcher andere Nationalstaat könnte mit einer solchen
130
Grausamkeit einversammeln und ausgrenzen, ohne den
Zorn der eigenen, stark verarmten Bevölkerung auf sich
zu ziehen? Keiner. Nicht einmal Singapur.
Aber von unserem Standpunkt aus, der die Verweigerung eines Standpunkts ist, die durch partiale Erziehung besser funktionsfähig wird, ist diese letzte Frage
und Realität des Singapur-Modells insgesamt genau
ihre Sache, nicht unsere. Was aus der perversen Zweiteilung dieses Modells, dieser totalen Erziehung, ausströmt, sind die Teile, um die wir uns sorgen sollten.
Atienza und Bhuta unterweisen uns nicht in ästhetischer
Individuierung. Ihre Arbeiten können nicht reformiert
werden. Ihre Partialität steht mit uns im Antagonismus
zur Reform, zur Unterweisung. Das Meer, die Luft, die
Geister, die die von Singapur in sein Modell, aber nicht
aus ihm versammelten Wesen tragen, ergießen sich in
eine unversöhnliche Kritik des staatlichen Lebens, der
Staatsbürger_innenschaft, des individuellen Körpers.
Ihre Anwesenheit im Staat ist eine Entkräftung des
Staats als universelle Form, als totale Erziehung. Und
in der zwanglosen Neuordnung der Sinne – um mit
Spivaks Begriff auszuscheren 59 – erlauben uns diese Arbeiten zu fragen, welche Perversionen bereits hier und
jetzt sein können. Diejenigen, die verweilen, verwirren
ihre Sinne für andere, die sich anbieten, uns zu pervertieren. Und ohne den Staat, der sie zu Bürger_innen
anordnet, bilden diese enteigneten Sinne die grundlose,
gefundene Erziehung einer anderen Art: eine Hinwendung zu unseren partialen Varianten.
Spivak spricht von einem uncoercive rearrangement of desires,
Gayatri Chakravorty Spivak, „Righting Wrongs“, South Atlantic
Quarterly 103(2-3), 2004, 523-581, hier: 526.
59
131
indEnt
dER diEnSt An dEn ScHUldEn
Erste Schicht
Mit der graduellen Emanzipation, im endlosen Bogen der
Freilassung, den Patricia Ann Lott so brillant analysiert,
wirst du für deine Finanzialisierung verantwortlich. 60 Du
wirst zur Rechenschaft gezogen, abgewertet, entwertet, in
Wert gesetzt. Schwarze Geschichte ist die Theorie der Erschöpfung des Subjekts. Schwarze Geschichte ist die Erschöpfung des Subjekts. Aus der Nicht-Perspektive dieser
abgefuckten After-Party ist die graduelle Emanzipation
der unendliche Endzustand des Subjekts. Das Gegenteil
von Freiheit ist Freiheit. Der Braune Büffel 61 lehrt uns,
dass graduelle Emanzipation das ist, was es ist, an diesen
Kampf gekettet zu sein. Graduelle Emanzipation ist weder
als Vorkriegs-Ausnahme auf die nördlichen Staaten beschränkt, noch ist sie Bindung oder Band, das ausschließlich den Versklavten, ihrem Leben oder ihrem Nachleben
zu eigen ist. Wie Hartman uns lehrt, ist sie die allgemeine
Regel, die menschliche Freiheit als Unterwerfung strukturiert. Das hat mit dem zu tun, was Frederick Douglass
unter der Rubrik „Plantagenbesonderheit“ zu bezeichnen
beginnt: Sie ist nicht nur Restknechtschaft oder unterwürfiger Affekt; sie ist vielmehr ein bestimmtes (Selbst-)
Bewusstsein in Bezug auf diesen Affekt, das sich als das
Wesen der politischen Animalität erweist. Man könnte es
als Scham bezeichnen, die versucht, sich gegenüber dem
Wir hatten das Privileg, Professor Lott bei einem von ihr konzipierten und organisierten Round Table an der Brown University
am 22. April 2015 über graduelle Emanzipation sprechen zu hören.
61 Vgl. Oscar Zeta Acosta, Autobiography of a Brown Buffalo, New
York: Vintage Books 1972.
60
133
sie hervorrufenden Verhalten als überlegen zu behaupten. Scham ist das, was der Freilassung anhaftet. Sie ist
die Auferlegung eines Kredits, die Auferlegung der Forderung, der Antisozialität der Gesellschaft Schulden zu
bezahlen, eine Forderung, die als „Freiheit“ verinnerlicht
wird. Freilassung ist in jeder Hinsicht nie genug. Ihre
Rechnung verliert an Bedeutung und Genauigkeit. Wir
müssen wegschauen oder schief hinschauen.
Die allgemeine Abstraktion ist wie die El, die in den
Untergrund gefahrene Hochbahn. Poetische Losgelöstheit ist ein öffentliches Verkehrsmittel – eine soziale Kraft
oder eine populäre Kampagne oder eine stark bevölkerte Expedition. Kein Team, sondern eine Art Gewimmel,
ein nicht anzueignender Schwarm, der eine funkige und
unangemessen gute Zeit hat, zerstreut als eine unendliche Reihe von Unterbrechungen in einer unendlichen
Leidenschaft. Die Hingabe im Hingegebensein kann nur
so gelesen werden. Wenn du gestrandet bist und nicht
nach Hause gehen kannst oder nicht rauskommst, dann
musst du immer weiter weg und weiter raus gehen. Wenn
du gefallen bist und nicht mehr aufstehen kannst, dann
kannst du nur nach unten gehen, bis du den Boden der
kaputten Welt und ihrer unendlichen Krisen in und außerhalb der Regulierung durchstößt. Also läufst du auf
Grund, wissend, dass es notwendig, aber unzureichend
ist, bis du erschöpft bist; ohne ausreichend Welt noch
Zeit, möge die Erde anwesend sein, und schon ist sie
weg. Der Aufstieg kommt zu denen, die graben, ohne
globale Position, in gedrehtem, anapropriozeptivem Abstieg, ein gemeinsamer Aufstand, den du drehst und beschreist, als das, wie du bleibst, als das, wie du verweilst.
Dort zu bleiben, in einer ständigen Probe, von dort
ausgesandt zu sein in eine andere Ebene des Dort, ein
134
anderes Land des Dort, bedeutet nicht nur, diesen oder
jenen Begriff für diesen oder jenen Gegenstand in Frage
zu stellen; es bedeutet vielmehr, den Begriff als solchen
in eine intensive generative und degenerative Bedrängnis
zu bringen. Schwarzes Studium ist eben diese außerbegriffliche oder überbegriffliche Kraft, ein gegennegativer
Antrieb, in zweifacher Ausfertigung auf dasselbe Blatt
geschrieben, entlang einer gezackten Linie geschnitten,
geriffelt, gewunden, ein chirographischer Tanz bis zum
Instrument hinauf und durch es hindurch, ein Solo, das
so vielfältig ist, ein Instrument, das so tief und beständig
vorbereitet ist, ein Indentur-Vertrag, der so häufig ausbezahlt ist, eine Abstraktion, die so zerstreut gesät ist,
dass selbst die Finanzialisierung ins Wanken gerät. Es
kann weder versichert noch abgesichert werden. Es ist,
als wäre es so hart gespielt worden, dass die Stimmung
etwas anderes ist als das, was sie ist, als wäre die Stimmung erleuchtet, wie ein Vertrag über Zerstörung und
Wiederaufbau, der nur durch etwas erfüllt werden kann,
das zugleich mehr und weniger ist als Performance. Alles
auf einmal zusammengeschrieben, huch? Wir antizipieren
und überleben es, zerrissen zu werden.
Spillers’ „Mama’s Baby, Papa’s Maybe. An American
Grammar Book“ neben ihrem „The Crisis of the Negro
Intellectual. A Post-Date“ zu lesen 62, heißt, dies zu
wissen und zu lieben: Dass es bei schwarzem Studium
nur insofern um die Produktion von Begriffen geht, als
sie so etwas wie eine vor- oder nachbegriffliche, generative Differenzierung von Begriffen ist (eine Art exzessives Bewohnen der materiellen meta- oder anastatischen Teilung und Sammlung des Begriffs im Fleisch);
62
Spillers, Black, White and in Color, 203-229 und 428-470.
135
es ist ein Weg, aus keinem Weg heraus, durch das begriffliche Feld, nicht weil das Begriffliche originär ist,
sondern weil das Begriffliche die regulative Antwort auf
das überbegriffliche Ding etabliert, das keinen Namen
hat. Wenn Spillers sagt, die schwarze Frau hätte erfunden werden müssen, wenn es sie nicht schon gegeben
hätte (was sich auch in ihrem fortwährenden subtilen
Vorstoß gegen Fanon und durch ihn hindurch bewegt),
sagte sie dann, dass die schwarze Frau – als Ware, als Instrument, als Werkzeug, als Maschine – ein Stern ist?
Das ist die schrecklichste aller möglichen Zweischneidigkeiten: Gruft und Geheimschrift zu sein, Krypta und
Kryptographie, den Begriff als unterbegriffliches Fleisch
zu ent-/verkörpern. Also sagen wir, dass schwarzes Studium Gewalt im und gegenüber dem Begriff ist, dass
es gleichsam vor dem Begriff ist. Es ist das unterprivilegierte Leben dieser Gewalt, göttlich, weil es so gottverdammt niedrig ist, gegeben in einer Metaökonomie
von Gabe und unterbrochener Gegebenheit. Schwarzes
Studium ist ein Amt der Profanierung, ein öffentliches
Haus der irdischen Hingabe. Schwarzes Studium ist die
Frucht des Dienstbaums, des Speierlings. Schwarzes
Studium ist außerhalb meines Sterns. Schwarzes Studium ist da draußen, aus gefallenen Sternen.
Wenn J. Kameron Carter die Frage nach den „Gottesbegriffen“, die der Souveränität zugrunde liegen, aufgreift, verschiebt er sie und uns so, dass wir wirklich anfangen, auch über die „Menschbegriffe“ nachzudenken,
die der Souveränität zugrunde liegen. 63 Er arbeitet an
einer Art persistenter kosmologischer Inkonstanz, mit
J. Kameron Carter, „Paratheological Blackness“, The South
Atlantic Quarterly 112:4, Herbst 2013, 589-611, hier: 594.
63
136
einer dunklen Energie, die die Entfixierung der Sterne
vorwegnimmt, auf die sie folgt, und die es uns erlaubt,
fragen zu müssen, warum der Mensch Gott geworden
ist, als ob es vor der Frage wäre, warum Gott Mensch
geworden ist; jetzt müssen wir fragen, wie es kommt,
dass Gott zu werden gleichbedeutend ist mit dem, was
Gayle Salamon „einen Körper annehmen“ nennt. 64 Was
bedeutet es, einen Körper anzunehmen, zu konzeptualisieren, aufzunehmen und auf sich zu nehmen? Was
bedeutet es für den Körper und das Selbst, einander
aufzunehmen und auf sich zu nehmen, in einer seriellen Vorrede dazu, dass jeder, im anderen, ausgenommen wird? Was bleibt jenseits dieser Ansprache, dieses
Übergriffs, dieser aggressiven Verletzlichkeit, dieser brutal projektiven und schützenden Setzung, die Souveränität inmitten ihrer Diffusion ist? In der Zwischenzeit
kann die Meuterei, der Generalstreik, das unbarmherzige Wirken von Nicht-Dingen und Nicht-Körpern, die
romantische Komödie in den Commons, ihr antinomisches Ausbrechen und Streiten, die ausschweifende Ausbreitung des Lebens, seine zerstreuende Großzügigkeit,
seine konsubstanzielle Unschärfe, sein transsubstanzielles Ausblenden, nicht ausgeblendet werden, was erfordert, dass wir, vielleicht appositionell, zu einem substanzlosen Prunk des Anasubstanziellen sprechen. Sind
Substanz und Souveränität so sehr miteinander verbunden (wobei Substanz eine unwirkliche Angelegenheit
ist, die Masse hat und Raum in der Zeit, auf der Linie der Zeit, besetzt), dass wir uns eine unangemessenere surreale Körperlichkeit vorstellen müssen? Nicht
Gayle Salamon, Assuming a Body. Transgender and Rhetorics of
Materiality, New York: Columbia University Press 2010.
64
137
Gegen-Materie, sondern Vor- und Nach-Materie.
Vielleicht ist das Fleisch die Tante der Materie, die
Play-Mama der Materie, die das Haben und Besetzen
überlebt. Es geht also um die Notwendigkeit einer emphatischeren Analyse des Fleisches als etwas anderes
als der entzogene oder zurückgehaltene oder reduzierte
Körper, als das also, was neben den Körper gesetzt ist,
in Apposition. Man will (von) (durch) (als) Fleisch in
seinen eigenen Begriffen sprechen; aber das Fleisch hat
keine Begriffe, obwohl die ihm auferlegten Begriffe zu
seiner unendlichen Beschäftigung mit dem koinobitischen Aufstand führen.
zweite Schicht (teil 1 & teil 2)
Weil einige Leute uns zum Begriff der Undercommons
gefragt haben, haben wir beschlossen, uns ein wenig
über die Undercommons des Begriffs zu äußern. Schwarzes Studium richtet sich gegen die Herrschaft des Begriffs und über den Begriff, als ginge es um Leben und
Tod. Aber noch wichtiger ist, dass schwarzes Studium
bedeutet, dass man seinen Begriffen ohne Herrn und
Meister dient, ohne Meisterschaft, ohne Herrschaft.
Und das bedeutet, dass der Riss von Unterwerfung und
Objektivierung nie für die Plünderung und Enteignung
geschlossen, geheilt, gereinigt wird. Das ist der Grund,
warum diejenigen, die Begriffe beherrschen, das schwarze Studium so sehr hassen, in einer scheinbar unverhältnismäßig gewalttätigen Reaktion auf seinen Dienst. Sie
können es nicht ertragen, weil einer Sache ohne Herrn
zu dienen, eine völlig offene Form der Liebe ist.
Einmal sprach jemand, der gerade einen Roman von
Toni Morrison las, von seinem Erstaunen, wie sehr
die Lebensgeschichten, ja die bloßen Erfahrungen der
138
Figuren an Alfred North Whiteheads Begriff der
prehension erinnerten. Zu erkennen, dass Whitehead für
jede_n beliebige_n Theoretiker_in steht, ist der Einstieg in den Entwurf eines Drehbuchs. Da geht’s also
lang, im Vorraum des Begriffs, knapp außerhalb der
Reichweite, im Versuch, ihn in den Griff zu bekommen,
in der Erwartung, objektiviert zu werden, in der Hoffnung, einander für eine_n andere_n zu werden. Immer
wieder, in luxuriöser Einsperrung, in einer Galerie vielleicht oder im Faculty-Club oder in irgendeinem Atelier, wo die Authentifizierung immer nur auf der anderen Seite ist, wo die Objekte immer wieder gegen das
Undercommons-Ding zurückfallen, als ob die Kammer
sie weg von dem neigt, was immer hinter dem Vorhang
sein könnte, das sie fast gestreichelt haben, stemmen wir
uns dagegen, was es ist, unfähig zu sein, eine Erfahrung
zu machen. Angehende Andere wollen einen Körper,
brauchen einen Körper, damit sie Jemand sein können.
In einer Schleife, stellvertretend, zwischen Prekarität
und Sicherheit oszillierend, beschäftigen wir uns damit,
was es ist, sich mit der Bedeutung dessen zu beschäftigen, dass Jemand sagt, man sei nichts als bloße Erfahrung. Wer will in der Zwischenzeit die UndercommonsErfahrbarkeit umarmen, die sich aus der Verweigerung
dessen ergibt, was es ist, zu haben? Keiner will es, kein
Körper. Schwarzes Studium – die flüchtige Tätigkeit der
Mas/kerade als bloße, reine Erfahrung – ist der radikale
Empirismus von Keinem-Körper, gehalten in der Frage, was es bedeutet, hinter Leben zu leben, von denen
gilt, dass sie der Erklärung bedürfen, nach Begrifflichkeit streben und auf der Suche nach Selbstbesitz sind.
Bloße Erfahrung zu leben ist furchtbar im Reichtum
seines Werdens.
139
Deleuze sagt, wir wissen noch nicht, was ein Körper vermag. Können wir uns vorstellen, was wir nicht wissen,
dass das Fleisch vermag? Denn das Fleisch wird nicht
tun, es tut. Das Fleisch spürt mehr, während das Kapital mit dem transatlantischen Sklavenhandel eine Kollektivierung von gebrochenen, arbeitenden „Körpern“
„erfindet“. Eine solche Erfindung, ein solch schlechter soziologischer Befund kann nicht wissen, dass das
Fleisch schon gearbeitet, gefühlt hat, bevor das Kapital und seine Begriffe da waren. Das Kapital will dieses Mysterium beherrschen, aber das Unberechenbare
ist unbewertbar, egal wie sehr man es zählt, egal wie
oft man einen Preis dafür ansetzt, egal wie regelmäßig
und regulativ man es einsperrt oder abschießt. Zugleich
ist die uns auferlegte Verbindlichkeit, unsere Einverleibung in das Regime des Kredits in einer absoluten
und brutalen Zahlungsverfügung, unmessbar und unendlich zu bezahlen. Sie weisen dem Unbewertbaren einen Wert zu; sie geben ihm Bedingungen. Und weil die
Forderung nach Reparationen gegen uns erhoben wurde,
werden wir aufgefordert, zu diesen Bedingungen zu zahlen, die nicht unserem Wert entsprechen können, weil
wir unbewertbar sind, sondern mit einer Begrifflichkeit
des Unbewertbaren (was der einzige Wert ist, den es
gibt) übereinstimmen, die in und als Herrschaft gegeben ist, als ihr Versuch, das Mysterium zu fassen, die Indentur zu kapitalisieren, die Schulden zu stehlen, denen
wir dienen sollen.
Harriet Jacobs lehrt uns, dass wir, weil wir unbewertbar sind, niemals für uns selbst bezahlen können.
Dennoch müssen wir zahlen. Unaufhörlich zahlen wir,
was nicht bezahlt werden kann. Wir zahlen, und zahlen
und zahlen, aber nicht, um zu besitzen. Selbst unsere
140
Mütter, selbst unsere Kinder, sind nicht unsere. Wir
arrangieren uns nie mit den Bedingungen, und das ist
zu furchtbar schön für Worte. Unsere Verschuldung ist
alles, was wir haben, und alles, was wir haben, ist das,
was wir „einander“ schulden. Es ist das, was wir einhändigen und fühlen, als Gefühl, mit dem wir der Zahlung
und dem Kredit und der Herrschaft trotzen, bis das eine
und das andere keine Bedeutung mehr hat, bis sie absolut nichts mehr sind, bis das eine und das andere keine
Körper sind, Niemande. Diese Verschuldung ist das, was
wir leben, ist das Leben, das wir bestreiten, als die Unbewertbaren. Der unmögliche und unmöglich zu befriedigende Herr und Meister ist davon geblendet, würde
es öffnen, will den totalen Zugriff darauf, aber in Abwesenheit dieses Zugriffs, der als Einschließung erduldet
sein wird, wird es begrifflich gefasst, wird ihm ein Wert
beigemessen und Bedingungen auferlegt, die das Unbewertbare, das Unberechenbare angehen und erklären
und regulieren sollen, während sie es gleichzeitig der
Einöde des Kredits unterwerfen, den äußeren Tiefen des
Wuchers, der Wüste, dem Sumpf, der Plantage, dem
Gefängnis des ewig zu Zahlenden, dem Zusammenspiel
von Absonderung und Verfolgung im Genozid, den
Freilassung und Ausweitung verstohlen verstärken.
So sollen wir unsere Schulden gegenüber der Gesellschaft begleichen: Herr, das bist du; Herr, da bist du;
Herr, dann bist du. Er verlangt immer von uns, dass
wir ihm sagen, wer er ist; dieses Arschloch lässt dich
nicht in Ruhe. Wir zahlen ihm seine Identität, seinen
Platz, seine Zeit, und alles, was er tun kann, ist sich
zu wundern, bösartig. Gierig will er die Frage abschließen. Weil die endlose Akkumulation ein schlechter Ersatz ist, will er das Buch schließen, das nicht aufhören
141
will zu reden. Er kann nie denken, dass es durch uns
zu ihm spricht. Er will denken, dass es Gewissheit vermitteln wird. Wir müssen immer wieder üben, was das
Buch sagt; es wird nie das letzte Wort sprechen. Souveräner Muskelprotz. Räuberischer Kreditgeber. SchiffsUmrunder. Verrückter Wissenschaftler. Großer weißer Haifisch-Kapitän. Olaudah Equiano lebte es, bevor
Georg Wilhelm Friedrich Hegel es dachte, Folter und
Wunder, ohne Herrn im hässlichen Arschgesicht der
Herrschaft zu dienen.
Robinson lehrt uns, dass schwarzes Studium notwendigerweise den Begriffen, denen es dient, vorausgeht und zugleich auf sie warten muss, aber auch auf
die Begriffe, die versuchen, es zu beherrschen, und die
erst weit nach ihm kommen werden, und immer wieder
hinter ihm her sein werden, mit allem, was sie haben.
Nehmen wir als verhängnisvollstes Beispiel den Fehler Foucaults, den allerdings andere in einen derartigen
Scheiterhaufen verwandeln. Er schreibt – zu Beginn seines Interesses an der Biomacht und im weiteren Sinn
an der Gouvernementalität –, dass die „Abstimmung
der Menschenakkumulation mit der Kapitalakkumulation, die Anpassung des Bevölkerungswachstums an die
Expansion der Produktivkräfte und die Verteilung des
Profits [...] auch durch die Ausübung der Bio-Macht
in ihren vielfältigen Formen und Verfahren ermöglicht“
wurden. 65 Bekanntlich verlegt Foucault diese Beobachtung an die falsche Stelle und den falschen Zeitpunkt,
in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Europa. Er
tut dies zum Teil, weil der große kritische Archäologe
Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, aus dem Französischen von Ulrich Raulff und Walter Seitter,
Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983, 136f.
65
142
des Menschen, wie Wynter es uns lehrt, versäumt, die
notwendige Unterscheidung zwischen man und human
zu treffen, so dass er nur eine bestimmte „Menschenakkumulation“ sehen kann. Daher wird das Mysterium,
sofern es dem Verstehen nicht ordentlich unterworfen
ist, von so vielen zeitgenössischen Gelehrten fälschlich
als Figur interpretiert, die in Gruften aus den zerbrochenen Körpern gehortet wird, die der Herrschaft zufallen. Sie sagen, der tote Begriff, gefangen in seinen eigenen zerstreuten Überresten, strahlt eine Art Licht aus.
Aber schwarzes Studium ist schon so weit im Schwarzen, dass es nur noch als wertloses Ding gewertet und
damit (un)gelesen werden kann – aus der Zeit, aus den
Fugen, aus dem Hier. Sein Amt ist unmöglich und unverschämt, was die Bedingung alles UndercommonsStudiums heute ist, alles flüchtigen Fleisches im Dienst
der Gemeinde.
Der chronische Lebensunterhalt des schwarzen Studiums sind unbezahlbare Schulden, im Dienst ohne
Herrschaft abgedient. Dieses unfassbare und unberechenbare Geheimnis, das nicht durch Beherrschung
eingeschlossen werden kann, ist auf wundersame und
wunderbare Weise offen. Was im Buch steht, ist, was
wir für alle hörbar singen. Schwarzes Studium ist offener Zugriff auf das Unzugängliche, es sprengt die Erklärung, es kann nicht anders, als sich zu widersetzen
und überzufließen, immer den Mehrwert zu machen,
von dem sogar das Kapital leben muss. Das Kapital wird
in feiner Bataille’scher Manier dennoch versuchen, diesen Überfluss zu kalkulieren, zu enteignen und zu verbrennen. So geht die unentgeltliche Finanzialisierung,
ob sie nun den (toten) schwarzen Körpern oder den (gescheiterten) schwarzen Nationen auferlegt wird, immer
143
weiter, bis wir die Schulden einfordern, die nicht abreißen, und singen, dass es keine schwarzen Körper und
keine schwarzen Nationen gibt. Wenn es nichts zu regieren, nichts zu sichern gibt, dann gibt es Schwarzsein.
Mit diesen Bedingungen müssen wir klarkommen. Das
ist es, worauf wir warten müssen. Das ist es, wem wir
dienen müssen. Damit stehen wir in Flammen.
Er sprach aus dem Buch, und wir dachten, dass diese Wendung von der Versklavung zur Religion für uns
bestenfalls eine Art freiwilligen Dienst ergeben könnte,
und wären wir damit nicht im Bereich von Zivilgesellschaft und Religionsfreiheit? Aber er sprach aus dem
Buch, mit ihr, aus der Ferne, und die Wende erwies sich
als unfreiwillig, nicht mehr auf die Freiheit des Subjekts
vertrauend, an die das Subjekt gekettet ist. Was mit uns
geschieht, so dachten wir, die wir von Versklavung gezeichnet sind und die wir diese Enteignung beanspruchen, wo die unbezahlbaren Schulden unvergeblich und
vergeben sind, wo fällige Schulden, die nie abbezahlt
werden können, als Freiheit gekannt sind, wo die Schulden schwarz sind und die Verschuldung Schwarzsein,
was mit uns geschieht, ist vielleicht, dass wir im Dienst
herausfinden, dass es keine Freiwilligkeit geben kann.
Wenn das geschieht, so dachten wir, kann die Illusion des freiwilligen Diensts, der Bereitschaft, der Hilfe
oder des Messdiensts nicht nur nicht aufrechterhalten
werden, sondern sucht, wenn sie zerbricht, die Gläubigen mit dem schrecklichsten Zwang der Unfreiwilligkeit heim.
Dann fingen sie an, in Zungen zu singen. Die Schulden der Rassifizierung sind immer überall um uns herum und können doch als Rassifizierung nie in Eins (in
eine Zahl) zusammengefasst, gezählt oder angeglichen
144
werden. Griechischer Kredit ist nicht jamaikanischer Kredit oder puertoricanischer Kredit (man beachte allein die
Art und Weise, wie die beiden letzteren in Bezug auf ihre
linken Traditionen übergangen worden sind, obwohl das,
was der Internationale Währungsfonds Michael Manley
angetan hat, Angela Merkel wie eine Heilige aussehen
lässt). Aber der rassifizierte Kredit (einen anderen gibt es
seit dem Kapitalismus nicht mehr) ist eine Reaktion auf
eine besonders beunruhigende Art von Abolitionismus,
der alt-neue Schulden sucht, der wechselseitige Hilfe benötigt, der gegeben ist, um teilzunehmen, der nicht der
Gesellschaft dient, sondern lieber den Dienst vergesellschaftet. Die Schuldverschreibung, die bezahlt werden
kann und bezahlt werden muss, überschattet das Leben,
hält es in einem müden, gefräßig verpfändeten Duett,
falsch betiteltes Leben und Schulden, eine Phrase, deren
Rhythmus in die Irre führt, besonders zumal der Tod,
den die Schulden bedeuten, sich – durch Leben, im Weiterleben, als seine mysteriöse Abfolge – auf Herrschaft
beruht. Die Toten wollen gute Schulden für sich verbuchen, aber die schlechten Schulden, die wir lebenden
Mitteln, nicht toten Zwecken schulden, wachsen, indem
im Dienst um sie gesorgt wird. Baruch Spinoza würde
sagen, sie sind beglückend.
Sklave, vom lateinischen servus, kann nicht anders,
als dich innehalten zu lassen. Das ist freilich der Grund,
warum Dienst (service) nicht freiwillig sein kann, warum
er immer als Störung der Idee des Freiwilligen gegeben ist. Gibt es eine Möglichkeit, über Dienst nicht so
sehr in Bezug auf Sklaverei, sondern in Bezug auf Flüchtigkeit nachzudenken? Man muss sich daran erinnern:
Sklav_in heißt Flüchtende_r, das Wesentliche an der
Sklav_in, in und als Ensemble von Lebenspraktiken, ist
145
die Flüchtigkeit, was die Schule von Orlando Patterson
nicht verstehen kann. Dass die Bedingung der Sklav_in
die Freiwilligkeit ausschließt, erweist sich als vereinbar
mit der Tatsache, dass die Bedingung der Sklav_in, die
die Idee der ständigen Demontage der Sklav_in selbst
ist, darin besteht, dass die Sklav_in immer schon flüchtig ist. Die Sklav_in flieht ständig der ständigen Demontage. Was könnte es also bedeuten, dieser ständigen
Flucht, die für uns die Form des Gefühls annimmt oder
sich als ständige Formgebung des Gefühls im und aus
dem Informellen manifestiert, zu dienen oder ihr verschuldet zu sein? Wir dienen dem allgemeinen Gefühl,
das so unfreiwillig ist wie das Atmen, wie ein synkopiertes Feld von Herzschlägen, in und durch einen harten
und endlosen Aufruhr des Geschlagenwerdens.
Unablässige Sammlung, unaufhörliche Akkumulation. Immer noch unten auf der Farm, aber geangelt,
Angola’d, unter Tim McGraws grässlichem, unbewusstem, bewusst drohnenartigem, wahnhaftem, aber angemessenem Good-Time-Louisiana. Wir zahlen ständig.
Unsere Zeit ist hart, und wir wissen das. Wir fühlen
das. Irgendwie kommt immer etwas Gutes dabei heraus, wie ein_e Entlaufene_r, aus der Zeit, aus den Fugen, aus dem Hier. Die Scheiße ist schrecklich. Die guten Schulden, die ständig bezahlt werden, die bezahlt,
aber nie abbezahlt werden können, sammeln sich endlos an und vervielfältigen sich. Das ist die Hyperfinanzialisierung, als Schwarze in den schwarzen Zahlen zu
leben, die irrationale, illegitime, Jefferson’sche Reproduktion des Kapitals. Mit jeder neuen Hemings hat
er sein eigenes Argument gegen Alexander Hamilton
Lügen gestraft. Die Plantage ist die First Bank of the
United States. Die Plantage ist die Federal Reserve. Den
146
guten Schulden, die nie abbezahlt werden, stehen die
schlechten Schulden gegenüber, die nie bezahlt, immer
nur teilweise erlassen werden und nur zum Schein, gestisch, appositionell, tragikomisch, in der reichen, trockenen Austerität unserer Verweigerung der Austerität.
Wir grillen im Park und rösten diese schönen Kastanien
auf der ganzen Agora.
Was ist, wenn das, was es ist, Europäer_in zu sein,
einfach darin besteht, dass man die Position der Kreditgeber_in in Bezug auf das einnimmt, was dem Schwarzsein als begriffliche Verkörperung der Finanzialisierung,
der endlosen Kapitalisierung auferlegt wird? Bestimmte Griech_innen – die wahren, autoritären Erben des
Aristoteles – wollen vielleicht in Europa bleiben, als
die Überreste Europas, als sein Bodensatz. Immerhin
wird der Rest Europas noch die Ehre erfahren haben,
als die Essenz Europas bezeichnet zu werden, deren von
Sklav_innen gebaute Schätze großzügig auf die Museen
aller großen Städte verstreut sind. Europa kann nicht
einmal das in Ruhe lassen, was es hinterlassen hat und
zurücklässt. Währenddessen ist das neue metoikische
Feld, die unauslöschliche und undokumentierte Spur
der Unterbürger_innenschaft, die ganze Nacht auf den
Straßen unterwegs, um eine neue Dialektik von Reichtum und Armut zu studieren und zu praktizieren, um zu
sabotieren, dass die Kreditgeber_in die Fähigkeit monopolisiert, über die Mittel zum Leben hinaus zu leben.
Können wir das, was es ist, Schulden zu bedienen oder
verschuldet zu dienen, von der brutalen Forderung der
Kreditwirtschaft lösen, pünktlich zu zahlen, in stolzer
Zeit, in mittlerer (Greenwich-)Zeit, die ganze Zeit, in
der brutalen und vermeintlich endlosen „Progression“
dieser Vulgarität?
147
dritte Schicht
Und so kommen wir, wieder getragen von Carter, zur
politisch-ekklesiastischen Performativität der Ingestion.
Dies ist keine Betrachtung über die menschliche Erlösung.
Hey Jemand, einen Körper anzunehmen ist wie einen
Körper zu exhumieren, nur blutiger. Nehmet und esset.
Dies ist nicht mein Leib. Die surreale Gegenwart ist
eine Sache des verschuldeten Lebens.
Die beschissene Sache an all den beschissenen Sachen
an der Sklaverei, die schreckliche Besonderheit der Institution als solcher, ist, dass sie auch – und zwar nicht als
progressiver Bogen, sondern als aggressives und ständig
co-präsentes Ensemble – dieses ständige Wechselspiel
umfasst zwischen dem belebten Fleisch der Arbeiter_in,
der begrifflichen Abstraktion dieses Fleisches und aus
ihm heraus in einen Körper mit Arbeitskraft, und der
weiteren Abstraktion von diesem Körper zu einem Finanzinstrument. Die Sklaverei hatte all das bereits in
sich, die ganze Zeit über. Genauer und emphatischer,
ist sie, wie Spillers beschreibt, die Reduktion des Körpers auf das Fleisch, und, wie Spillers andeutet, die Auferlegung des Körpers und/in seiner Konzeptualisierung
auf das Fleisch, die – über ein furchtbares Wunder der
Verspätung – sowohl nach als auch vor dieser Reduktion geschieht. Die Auferlegung des Körpers als/in seiner
Konzeptualisierung kommt vor und nach dem Fleisch,
aber sie kommt nie zuerst. Die Konzeptualisierung des
Körpers ist eine regulative und regulierende Antwort
auf das Fleisch, auf eine erschöpfte und erschöpfende
mütterliche Ökologie, die einer Un/Möglichkeit der
Mutter unterworfen ist, der sie sich nie unterwirft. Die
schwarze Mutter ist die Form des schwarzen Studiums
selbst. Schwarze Mutterschaft ist schwarzes Studium,
148
als Fleisch, als Kraft, als Gefühl, aber nicht als Figur.
Sie wird gehasst, weil sie eine Form des Lebens gegen all
die beschissenen Widrigkeiten des Diensts ohne Herrn,
ohne Herrschaft lebt. Indem sie das schwarze Studium
lebt, als die Undercommons des Diensts selbst, ist sie
nicht sie, obwohl sie alles trägt, als eine Berührung zwischen Schwestern, die wissen, was es heißt, zu dienen,
zu Diensten zu sein, zu heilen.
Und die Kirche ist ein Projekt, kein Ort, wie Carter
Ruby Sales’ Gesang anklingen lässt. Sofort beginnen
wir, für ihre notwendige und gerechte Verlagerung zu
beten. Wir sollen offenbar bewegt werden, wie experimentelle Kollektivitäten im Interesse unserer irdischen
und inkonsistenten Totalität ausfransen. Wie wir nicht
aufzuhalten sind, hängt ganz mit dem Zweck von allem
zusammen, in dessen Richtung uns Police und Verbesserung mit kalter, logistischer Wut werfen. Unsere Unwahrnehmbarkeit in der Geworfenheit wiederholt sich
oft. Experimentelle Ensembles sind allgegenwärtig in
ihrem ständigen Verschwinden. Wie Robin Kelley sagt,
war die Bürgerrechtsbewegung keine Massenbewegung;
sie war ein ganzer Haufen kleiner spekulativer Gemeinden, die sich manchmal zu einer ungebauten, gespreizten Kathedrale zusammenschlossen oder, noch tiefer, in
der kontinuierlichen Erfindung bestimmter grundlegender anacharismatischer, anathematischer Hymnen. Es
ging immer viel mehr um den Mittwoch als um den
Sonntag, weshalb sie am Mittwoch die Drohnen schicken. Was, wenn diejenigen, die wir jetzt Intellektuelle
oder Künstler_innen nennen, in der Kuration ausfransen, Laiendienst zur Unverwaltung abhalten, im Dienst
in dienender Einkehr gewisser verlorener und gefundener zeremonieller Praktiken (wie Wynter in Maskarade
149
Jonkunnu anklingen lässt 66), die (in ständiger Verausgabung und Differenzierung) unser unsouveränes Reservoir an sozialer Materie und Energie konstituieren
und generieren und bewahren? Dann wäre dieses Eine
mehr + weniger als das und gründete anarchisch den
Unterschied zwischen Herrschaft durch Gehorsam und
Gehorsam gegenüber der Herrschaft in wechselseitiger, untermonastischer Instrumentalität, wo wir unser
Fleisch lieben, wie Baby Suggs uns kündet. Du läufst
also auf Grund mit dem, was laut Karl Marx die Ware
ist. Daran musst du dich reiben, um zu sehen, ob du
die Ware (den Vorteil, den Nutzen, unsere differenzielle
Versammlung, die Modalität unserer aktiven, differenziellen Verwicklung) vor den sie befleckenden Hierarchien des Tausches retten kannst. Diese Formen sind
abscheulich, weil sie sich innerhalb der Zuschreibung
von Wert bewegen. Gibt es eine unbewertbare Ware?
Jaah. Du kannst die Governance nicht vom Dienst trennen, wenn du nicht radikal neu definierst, was es ist, zu
dienen, zu sorgen, zu betreuen, zu versammeln.
Es ist, als ob ein Geist auf dir lastete, als ob du vom
Aufruhr in der nahen Ruhe geritten würdest, im langsamen Drag der Ekstase, entlang ständiger Linien des
Missverstehens – ein Verfehlen oder eine Vermeidung
des Verstehens in einer Art Schutzraum des Wartens
an und in einer Trauerweidenhütte, und du verstehst
es nicht. Langsamkeit in der Beschleunigung macht
dich schwummrig, tief durchblickend, vergesslich, als
wärst du eine Glocke, eine assoziative Geschwindigkeit
gehaltener Resonanz, das experimentelle, sentimentale
Vgl. Sylvia Wynter, „Maskarade. A ‘Jonkunnu’ Musical Play“,
in: Yvonne Brewster (Hg.), Mixed Company. Three Early Jamaican
Plays, London: Oberon Books 2012.
66
150
Sediment des Begriffs. Langsames Verstehen pariert den
Stoß des Verstehens. Die halsbrecherische Bedächtigkeit
des rekursiven Wassers träufelt ätzende Gewalt, um die
Nische dessen zu bilden, was sie uns hören lässt. Was in
den Spalt passt, bildet noch einen Rand. Eine Bescheidenheit, eine Enthaltsamkeit des gebrochenen Anglisch
des gebrochenen Buchs. Prä-parierende Postparty, mit
Raum noch für den Streit, in der aufgespulten Sprache
des Streits, ausgefranst wie der Advent und die Indentur
und die cäcilianische Indentierung des Sonetts, eine Sonate, mehr und weniger, zur Feier ihres Festtags, ihrer
Messe, ihres öffentlichen Diensts.
151
GEGEn MAnAGEMEnt
WASSERMElonEn-MännlicHkEit
Die kollektive Arbeitsmaschine ... wird umso
perfekter, je kontinuierlicher der Prozess als
Ganzes wird. (Karl Marx)
Wir hatten entschieden, es auf beide Arten zu
drehen. Ich habe es dann nur auf meine Art
gedreht. (Melvin Van Peebles)
krönender Abschluss
In der Singapore Management University (SMU) gab es
ein Seminar, das trug den Titel „The Capstone“. Es war
ein Seminar im vierten und abschließenden Jahr. Die
Teilnehmer_innen waren Studierende der Betriebswirtschaftslehre, des Rechnungswesens, der Wirtschaftswissenschaften und ein paar Studierende der Sozialwissenschaften. Als „krönender Abschluss“, capstone, führte
der Kurs die Studierenden in die Geisteswissenschaften
ein, paradoxerweise in ihrem letzten Studienjahr. Die
Prämisse war, dass das Denken mit diesen Texten den
Studierenden erlauben würde, über ihre vier Jahre
an der Universität zu reflektieren und über die Wege
nachzudenken, auf die sie sich begeben würden. Auf dem
Lehrplan standen Figuren wie Marx, Freud und Fanon,
gemischt mit eher zeitgenössischen Denker_innen und
Künstler_innen wie Kuo Pao Kun aus Singapur und
Arundhati Roy aus Indien. Das war alles neu für die
Studierenden, aber sie schienen es zu genießen.
Tatsächlich hatten wir im Verlauf des Seminars so viel
Spaß, dass es verlockend war, allen Teilnehmer_innen
153
Noten zu geben, die ihren Enthusiasmus und ihren Einsatz widerspiegelten. Aber das durften die Dozierenden
nicht tun. Sie waren eingeschränkt durch eine „vorgegebene“ Notenverteilung, und zwar in Form einer obligatorischen Gaußschen Glockenkurve. Alles, was sie also
tun konnten, war, diesen Studierenden, die ihr unterworfen werden sollten, die Geschichte der Glockenkurve
beizubringen. In Anwendung der berühmt-berüchtigten
Kurve konnten sie praktisch höchstens fünfunddreißig
Prozent der Studierenden Einsen geben. Sie hätten zu
argumentieren versuchen können, dass die Studierenden im vierten Jahr ein Kompetenzniveau erreicht haben
sollten, bei dem mehr von ihnen Einsen erhalten sollten,
und dass diese Noten die erfolgreichen Bemühungen ihrer Ausbildung über vier Jahre hinweg widerspiegeln
würden. Aber das wäre an der Sache vorbeigegangen.
Die Studierenden werden nie kompetent sein. Es wird
immer Raum für Verbesserung geben – in der Tat für
kontinuierliche Verbesserung. Aber auch das ist nicht
ganz richtig. Es gibt Fälle, in denen die Studierenden als
kompetent angesehen werden. In dem Moment, in dem
sie den Arbeitgeber_innen präsentiert werden, werden
sie als hochkompetent dargestellt. Und im Moment ihrer Aufnahme an die Universität werden sie als die Besten
und Klügsten angenommen. Diese Momente sind real.
Aber der Moment der Benotung ist ebenso real. In ihrer
Universitätslaufbahn erfahren die Studierenden einen
kontinuierlichen Wechsel zwischen Preisung und Auspreisung. Er ist die Mitte ihres Universitätsalltags. Um
sie herum hängen Poster von SMU-Studierenden, die
alles erreicht haben – Bilder von Studierenden, die gute
Jobs bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gefunden
haben und nebenbei ihre Karriere als Schlagzeuger_in
154
oder Rennradfahrer_in fortgesetzt haben – oder von
Studierenden, die in ihrer Freizeit während begehrter Praktika bei Finanzdienstleistern mit Delfinen geschwommen sind. Diese Überhöhung der Studierenden
ist ein Zustand, den sie selbst aufgreifen und verkörpern
sollen. Seminare zu Leadership, Verhandlungskompetenz und sogar das krönende Capstone-Seminar sollen
dieses überhöhte Selbst stärken.
Aber das ist nur die eine Hälfte dessen, was die SMU
ihr „Leistungsversprechen“ nennt. Die Studierenden
müssen sich auch einer ständigen Evaluation ihres Werts
unterziehen. Sie müssen sich im Wettbewerb untereinander und gegen ihre zukünftigen Selbste messen und
bewerten lassen. Und so sehr sie mit der Zuversicht in
diesen Wettbewerb gehen, als „das talentierte Zehntel“
Singapurs bezeichnet zu werden, hat die anschließende
Evaluierung, die Zuweisung von Werten an jede_n von
ihnen, die Bewertung, der sie unterzogen werden, unweigerlich etwas Entwürdigendes. Ihre Leistungen werden in Zahlen verwandelt, die Zahlen werden gesammelt
und in eine Rangfolge gebracht, und wie jeder weiß, der
schon einmal eine Bitte um Änderung der Note erhalten hat, ist deren charakteristischer Effekt eine neurotische Mischung aus Überheblichkeit und Scham. Aber
sie ist nicht wirklich Effekt. Sie ist in der Tat ein Leistungsversprechen. Sie ist ein Versprechen zukünftigen
Werts, und der Wert hat nur in der künstlichen Verknappung, die die Glockenkurve und ihre meritokratische Regel erzwingen, einen Wert. Darüber hinaus
bleibt dieses Leistungsversprechen immer unbewiesen,
immer unvollendet und daher immer ein unangemessenes und sogar unanständiges Versprechen. Im Angebot stehen Studierende, die sowohl überhöht als auch
155
abgewertet wurden und vor allem in der Lage sind, zwischen beidem zu oszillieren. Die Studierenden sind fähig, zu führen und sich unterzuordnen. Die Studierenden verkörpern das betriebswirtschaftliche Schlagwort
„USP“, unique selling position, ein Alleinstellungsmerkmal. Ein USP bietet der_m Käufer_in die Chance, etwas
Einzigartiges zu kaufen, genau wie jede_r andere auch.
Aber diesen schwerlich einzigartigen Kauf begleitet die
Möglichkeit, seinen Preis ständig zu revidieren.
Normalerweise haben Dozierende und Studierende im Capstone-Seminar das Gefühl, dass die Klasse
gut läuft und dass sie über die Lektüre und die Filme und ihre gemeinsame Situation neue Denkweisen
entwickeln können. Aber wenn die Zeit der Benotung
kommt, zwingt die Universität sie dazu, dieses Gefühl zu individuieren, oder besser gesagt, sie zwingt sie
dazu, dieses Gefühl in Gruppen von Studierenden erster, zweiter und dritter Klasse zu individuieren. Aber
es ist nicht nur so, dass sie dazu gezwungen werden.
Die Studierenden wollen die Noten – die guten Noten –,
weil diese Bewertung eher für eine Ebene des Zugriffs
auf ihre überhöhte Seite steht, wie sie vermeintlich im
Klassenzimmer zum Vorschein kam. Natürlich zeigt
sich diese überhöhte Seite nur in und als abgewertetes Gegenstück der Bewertung, die individuierte, reduzierte Version dessen, was sie gemeinsam hatten, auf
die durch den Wunsch nach Zugriff zugegriffen wird.
Und es ist nicht so, dass der Zugriff selbst eine bloße Dienstbarkeit oder Unterordnung unter logistische
Anforderungen wäre. Er betrifft genau diese ausgehandelte Oszillation, eine Bereitschaft, zum Zweck der
Entwertung bewertet, für das Versprechen einer Fülle
von Zugriffen verfügbar zu werden. Der Unterricht in
156
Kreativität und Kritikalität stand genau im Dienst dieser doppelten Einladung.
Die Dozierenden unterwerfen sich der Universität,
indem sie auf der Kurve auf- und abwerten, indem sie
ihrer Forderung nach Zugriff auf das, was unterhalb von
ihr vorgeht, nachgeben. Die Studierenden unterwerfen
sich dem Betrieb, sie begehren ihre Ab- und Aufwertung in guten Leistungsversprechen und erhalten Zugriff auf sie im ungleichen Tausch gegen den Zugriff des
Betriebs auf ihre neu erworbene Kreativität und Kritikalität, ihre neu gewonnene Kompetenz in Führung und
Dienstbarkeit. Was auch immer im Klassenzimmer geteilt worden war, macht all dies möglich. Und wenn es
in dieser Begradigung für den Zugriff notwendigerweise
deformiert wurde, bedeutet das nicht, dass die Studierenden – in der Erfahrung der Dozierenden alles, was sie
jemals waren und sein konnten – nicht versuchen sollten, es zurückzuholen.
der Algorithmus
Dozierenden, die versuchen, zu viele Einsen zu vergeben, schreibt das Dekanat mit dem „Anliegen“, dass die
Noten „angepasst“ werden. Doch es ist eigentlich nicht
einmal nötig, irgendetwas zu tun, um dem Anliegen zu
entsprechen. Die Dozierenden müssen lediglich online
auf einen Knopf mit der Bezeichnung „Noten anpassen“ drücken. Den Rest erledigt ein Algorithmus. Es ist
nicht das erste und sicher nicht das letzte Mal, dass diese Studierenden von einem Algorithmus benotet werden. Wenn sie Benotung und Note akzeptieren, stimmen die Dozierenden und die Studierenden zu, das in
Stücke zu teilen, was sie im Klassenzimmer gemeinsam
hatten. Sie stimmen zu, es zu zerteilen und auf all die
157
Ermahnungen zur Kreativität und Kritikalität zu reduzieren, auf all die Bemühungen um Einzigartigkeit und
Authentizität. Die Klasse wird individualisiert, gezählt,
entmaterialisiert und den Paradoxien der Datenstruktur unterworfen. Diejenigen mit einer Eins treten dann
mit erhobenem Haupt nach vorne, während die ohne
Eins ermahnt werden, nach vorne zu treten, zu reagieren, indem sie ihre Subjektivität geltend machen, um in
die nächste Stufe versetzt zu werden. Je mehr sie dazu
beitragen können, die Klasse zu individuieren, je mehr
sie individuell mit dem identifiziert werden können,
was kollektiv in dieser Klasse passiert ist, desto besser
werden sie benotet werden. Diese Subjektreaktion wird
durch ständige Messung provoziert. Diese Subjektreaktion ist eine Wendung, ein Rückschlag. Und sie ist Subjekt der Beschleunigung gewesen, die eintritt, wenn der
Algorithmus zum Einsatz kommt, wenn der logistische
Kapitalismus zu wirken beginnt, wenn kontinuierliche
Verbesserung und totales Qualitätsmanagement dieses
Oszillieren zwischen Preisung und Auspreisung, zwischen Überhöhung und Scham auslösen. Die ständige
Forderung nach Zugriff, der ständige Diebstahl unserer Mittel, der am nachdrücklichsten gegeben ist, wenn
sie in fantasmatische Zwecke verwandelt werden, erfordert die ständige Neubehauptung unserer Individualität,
nicht zuletzt, weil es diese Individualität ist, die wir in
ihren Teilen verkaufen. Das heißt, es ist unsere Persönlichkeit oder vermeintliche Subjektivität, die wir verkaufen, auf die auf so viele Arten wie möglich zugegriffen
werden soll. Die Subjektreaktion ist der einzige Weg,
bezahlt zu werden. Klassischerweise schwankt die Subjektreaktion zwischen Überhöhung und Scham, wenn
sie mit der Tatsache konfrontiert wird, dass die höheren
158
Wahrheiten, nach denen der Geist strebt, durch die
niedrigeren Sinnesfähigkeiten übermittelt werden müssen. Der Begriff des Körpers soll vermitteln, indem er
die sinnliche Erfahrung in Einheiten organisiert, die
gezählt, gemittelt und keimfrei gemacht werden können. Etwas von dieser klassischen bürgerlichen Subjektreaktion mag erkennbar in Dozierenden und Studierenden wirken, aber meistens versuchen sie nur,
sich zusammenzureißen, den vielfältigen Schwarm des
Wohlfühlens zu verbinden und zu differenzieren, im
Angesicht und hinter dem Rücken der logistischen
Anforderungen.
Diese Produktion der Subjektreaktion ist die durch
die Logistik bewirkte Entmaterialisierung und Individuierung der Logistikalität. Unsere kritischen und kreativen
Bemühungen im Klassenzimmer und unsere Benotung
sind Teil dieser Entmaterialisierung und unterwerfen sich ihren logistischen Anforderungen, nicht weil
sie nicht gut beginnen, sondern weil sie nicht gut enden. Sie enden mit der Abwertung der Mittel. Eine solche
Entmaterialisierung hat tiefe Wurzeln in der westlichen
Tradition, ein Subjekt und seinen Geist vorauszusetzen.
Heute jedoch ist sie am frenetischsten und (un)sichtbarsten im logistischen Kapitalismus am Werk, und in
dessen Antrieb durch den Algorithmus. Die Logistik
mobilisiert und vernetzt uns heute wie nie zuvor. Sie
behauptet uns als Mittel wie nie zuvor. Sie öffnet überall den Zugriff auf alles. Und gleichzeitig entwertet die
Logistik diese Mittel und verunglimpft diesen Zugriff,
indem sie sie durch die Bewertung immer auf einen einzigen Zweck hin treibt. Dieser Zweck ist der Mehrwert: gestohlener, akkumulierter, regulierter Mehrwert.
Indem sie unsere unbewertbaren Mittel, dies zu tun,
159
anzapft, tritt die Logistik auch dem entgegen, was wir
unsere Logistikalität genannt haben, unsere Fähigkeit,
ein Mittel für sich selbst zu sein, in selbstloser, ungekerbter, nicht-lokaler Unvollkommenheit. In der Tat
können wir den Aufstieg der Logistik und die Subjektreaktion, die sie ermutigt und unterweist, als Versuche
lesen, unsere Logistikalität zu regulieren. Logistikalität ist mehr als Gegenlogistik, mehr als eine Entgegnung auf die Logistik. Sie ist unser Bewegungsmittel,
und unsere Bewegung als Mittel. Die Logistik versucht,
unserer Bewegung, unserer Pedesis, unserem Random
Walk, unserer umherwandernden Irrung eine Position,
eine Richtung und einen Fluss aufzuzwingen, uns in
dieser Oszillation, diesem neurotischen Hin- und Herlaufen einzufangen. Die Logistik will uns positionieren,
uns dazu bringen, eine Position einzunehmen, uns zu
befestigen und sesshaft zu werden. Und doch muss die
Logistik auch selbst in Bewegung bleiben, selbst in ihrer entwerteten Form. Genau hier kommt der Algorithmus zum Einsatz.
operations Management
Das Capstone-Seminar war der geeignete Ort für die
Studierenden, diese Arbeit des Algorithmus zu studieren. Die Klasse las Marx über Entfremdung, und dann
las sie auch Marx über die Sinne – darüber, wie die Sinne in ihrer Praxis Theoretiker geworden sind. Sie lasen
Marx, der davon sprach, dass die Natur ihre bloße Nützlichkeit verloren hat, indem sie zum menschlichen Nutzen geworden ist oder ganz zum Mittel wird. Die Logistik aber verlangt von uns, dass wir unsere Mittel nutzen,
statt sie (sinnlich, gedanklich) zu praktizieren. Unsere Sinne werden seit langem als Mittel zur Erkenntnis
160
verstanden, aber nicht oft als soziale Mittel ohne Zweck,
was nicht dasselbe ist, wie wenn sie Selbstzweck wären,
sondern vielmehr, dass sie Mittel in Sichselbstlosigkeit
sind; nicht als Theoretiker eigenen Rechts, sondern in
einem Ritus, der nicht besessen, sondern geteilt wird
in einer Rechthervorbringung, deren Herstellung und
Auflösung auf der anderen Seite der Philosophie des
Rechts in einer allgemeinen Ausschüttung gegeben ist.
Einerseits intensiviert die Logistik die Möglichkeiten,
ein sinnlich-kollektives Leben zu führen, das in seinen
Mitteln und als seine Mittel unmittelbar materiell ist.
Andererseits will die Logistik aber unsere Mittel auch
entmaterialisieren, sie abstrahieren und dem Begriff unterwerfen – dem Begriff der Bewertung und dem Begriff
des Profits.
Und am unmittelbarsten will die Logistik unsere Mittel dem Begriff des Flusses unterwerfen. Auch für diese
Erkenntnis hätte die Klasse gut Marx studieren können.
Er sagte voraus, dass der „kontinuierliche Fluss“ in der
kapitalistischen Produktion immer mehr in den Mittelpunkt der Produktivitätsanstrengungen rücken und zunehmend zum Profit beitragen würde. Aber auch wenn
das Seminar seine Vorhersagen zum Fluss nicht studiert
hat, ist Marx in der Business School von der Disziplin
des Operations Management aufgegriffen und entmaterialisiert worden. Wenn man Operations Management
so betrachtet, wie es sich selbst nicht betrachten würde, könnte man sagen, dass es eine kapitalistische Wissenschaft ist, die das Verhältnis zwischen variablem und
konstantem Kapital in Bewegung untersucht. Operations
Management versteht sich als die Wissenschaft von der
Fabrik, insbesondere vom Fließband, und noch spezieller von dem, was wir in Anlehnung an Marx (und, in
161
anderer Weise, an Raymond Williams) „den Fluss der
Linie“ nennen könnten. Mit dem Fluss der Linie meinen wir die Aufmerksamkeit des Operations Management nicht für Arbeiter_innen oder Maschinen, nicht
einmal für die Beziehung zwischen beiden. Während
sich andere Management-Wissenschaften auf das variable Kapital konzentrieren, wie das Studium des Organisationsverhaltens, oder auf konstantes Kapital wie die
Buchhaltung, charakterisiert das Operations Management die Aufmerksamkeit für eine bestimmte Art von
Bewegung. Nicht das Fließband also, sondern die Bewegung des Fließbands, in seinem Fluss. Operations
Management konzentriert sich auf Arbeiter_innen und
Maschinen, wie sie entlang des Flusses der Linie erscheinen, um diese Flusslinie zum Fließen zu bringen.
Mit anderen Worten: Der Fluss der Linie vermittelt die
Beziehung zwischen Arbeiter_innen und Maschine und
bestimmt die Proportionen von variablem und konstantem Kapital eher, als dass er durch sie bestimmt wird.
Für Operations Management bedeutet das Verhältnis des Menschen zur Maschine an sich nichts. Es ist
den Manager_innen gleichgültig. Die Beziehungen von
Mensch und Maschine zum Fluss der Linie, und insbesondere zur Bewegung dieses Flusses, bedeuten jedoch
alles. Mit anderen Worten: Die Aufmerksamkeit für den
Prozess und neuerdings für die kontinuierliche Verbesserung dieses Prozesses ist der eigentliche Forschungsgegenstand des Operations Management. Operations Management organisiert die tote und die lebendige Arbeit
nicht nur nach dem Fluss der Linie, sondern richtet sie
auf die Qualität dieses Flusses aus und konzentriert sich
auf den Prozess und nicht auf das Produkt. Eine Maschine oder ein_e Arbeiter_in wird nicht eigenständig
162
beurteilt, sondern nur im Dienst dieses Flusses der Linie, in Unterwerfung unter den Prozess. Bei der Qualitätsverbesserung geht es im Operations Management
trotz der ihm eigenen Rhetorik nicht um das Produkt,
sondern um den Prozess. Das Produkt – vor allem das,
von dem Marx uns lehrt, dass es das erste Produkt ist,
nämlich die Arbeiter_innen, die sich unter den nachfolgenden Regimen des Operations Management in dieselbe Subjektreaktion gezwungen sehen werden, wie sie
das Capstone-Seminar überwältigt und überdeterminiert – ist wirklich nicht von Interesse. Mit der kontinuierlichen Verbesserung wird es deutlicher denn je, dass
die Arbeiter_in – wie jede andere Ware, wie jedes andere
Ding – um des Flusses willen entwürdigt und entsorgt
werden wird. Die Ware, das Ding, die Arbeiter_in ist
weder Mittel noch Zweck. Der Zweck ist der Profit und
das Mittel ist der kontinuierliche Fluss. Das Produkt,
das Ding, die sprechende Ware, sogar die Macht oder
der Wert oder die Bedeutung, die es in sich trägt, ist
nichts weiter als ein Anhängsel dieses Prozesses.
In seiner offenen Indifferenz gegenüber Arbeiter_innen, Maschinen und sogar Produkten hebt sich das
Operations Management von den Diskursen anderer
ökonomischer Praxen ab. Damit soll nicht behauptet
werden, dass Operations Management irgendwie ehrlicher gegenüber den kapitalistischen Arbeitsbeziehungen
sei, sondern nur, dass es ein Standpunkt ist, von dem aus
wir einen Blick auf eine größere Indifferenz werfen, die
die Fantasie einer Welt ohne Arbeit anheizen könnte,
reibungslos und frei. Im Gegensatz dazu müssen Human
Resource Management oder die Lehre vom Organisationsverhalten auf das setzen, was man heute gewöhnlich
als Humankapital bezeichnet, auch wenn die Investition
163
der Ermutigung ähnelt, die wir unseren Studierenden
im Klassenzimmer geben, sich selbst auszudrücken –
das heißt, sie ist fester Bestandteil einer Entmaterialisierung, die den Fluss zum Arbeiten und die Arbeit
ins Fließen bringt. Aber auch diese anderen ökonomischen Disziplinen tragen die Spuren dieses Flusses.
In der Disziplin der Strategie wird die Führungskraft
überhöht, während die andere Hälfte der Strategie – die
Entscheidungsfindung – Algorithmen einsetzt, die die
Führungskraft als eine Subjektreaktion auf den Fluss
entlarven. Operations Management ist nur insofern anders, als es ohne solche Vermittlungen begonnen hat.
Qualität
Das Auftauchen des Operations Management kann –
wie alle ökonomischen Disziplinen – auf den Klassenkampf zurückgeführt werden, obwohl die bekannteste
Geschichte seines Aufstiegs diese Grundlage ausspart.
Nach dieser weitverbreiteten Erzählung, die in den
Lehrbüchern und im Journalismus der Wirtschaftspresse heruntergebetet wird, lenkte die aufkommende Bedrohung durch die japanische „Wettbewerbsfähigkeit“
und das, was später als „Toyotismus“ bezeichnet wurde, in den USA die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung
von Qualität und Konsistenz langlebiger Güter. Dieser
Aufstieg der „Qualität“ in Asien wird dann recht unglaubwürdig US-amerikanischen Unternehmensberatungen zugeschrieben. Die beliebte Geschichte ist so
absurd, dass selbst Wirtschaftshistoriker_innen, die
nicht zu radikalem Dissens neigen, sie nicht gutheißen
können. Dennoch wird seit 1951 Jahr für Jahr der Deming-Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet des Totalen Qualitätsmanagements vergeben – mit
164
ebenso wenig Ironie wie der Friedensnobelpreis und mit
meist höheren Prämien. Mit dem Deming-Preis werden
Einzelpersonen oder Organisationen für herausragende
Leistungen auf dem Gebiet des heute so genannten Totalen Qualitätsmanagements ausgezeichnet, das in der
Entstehungszeit des Preises einfach „Qualität“ genannt
wurde. Tatsächlich war die Schaffung des Preises wesentlicher Bestandteil der Bemühungen US-amerikanischer Unternehmensberatungen, die, angeführt von
W. Edwards Deming selbst, nach dem Krieg zur Förderung der Qualitätskontrolle in japanische Unternehmen
geholt wurden. Die gängige Erzählung beginnt mit USamerikanischen Unternehmensberatungen wie Deming,
die die kollektivistische Kultur der japanischen Arbeiter_innen genau zu dem Zeitpunkt durchbrochen haben
sollen, als die Beziehungen zwischen Management und
Gewerkschaften der US-amerikanischen Nachkriegszeit in der Nachfolge der New-Deal-Kompromisse bei
Tarif verhandlungen und Produktivitätsvereinbarungen
angeblich durch einen ähnlichen Kollektivismus gekennzeichnet waren. In den frühen 1950er Jahren führten Deming und seine Kolleg_innen in Japan Techniken
des Qualitätsmanagements ein, die darauf abzielten, die
einzelnen Arbeiter_innen für das reibungslose Funktionieren ihres Teils des Fließbands – mit anderen Worten, für dessen Fluss – verantwortlich zu machen. Diese Verantwortung bestand aus zwei Komponenten. Die
eine war die Reduzierung von Fehlern, die sich auf die
Qualität des Produkts auswirkten. Dies sollte dadurch
erreicht werden, dass jede_r Arbeiter_in für diese Fehler verantwortlich gemacht wurde. Die andere war die
Verbesserung, also die Beschleunigung des Flusses. Das
Qualitätsmanagement war auf die Individualisierung der
165
Beschleunigung aus, die zur persönlichen Verantwortung der Arbeiter_in gemacht wurde. Ein großer Teil
davon war die Entkollektivierung des Widerstands gegen die Beschleunigung. Das Ergebnis war ein_e Arbeiter_in, die zwischen der Unterwerfung unter die Linie,
unter den Fluss, und der Behauptung ihrer Individuierung als Qualitätskontrolleur_in oszillierte. Der Fluss
war weiterhin eine Kraft, die sich der Kontrolle der Arbeiter_in entzog, aber anstatt mit einer anderen kollektiven Kraft darauf zu reagieren, war die Arbeiter_in nun
individuell für ihre Reaktion verantwortlich, was sowohl
Unterwerfung als auch Optimierung bewirken sollte.
Trotz des Drucks, den Deming und andere USamerikanische Aufseher auf die japanischen Arbeiter_innen in der Industrie ausübten, verbesserte sich die Produktivität in Japan entgegen der landläufigen Erzählung
in jenen Jahren überhaupt nicht. Aber wenn das Experiment als Produktivitätsinstrument scheiterte, hieß das
nicht, dass es als Managementinstrument gescheitert ist,
das inmitten heftiger Streiks und Arbeiter_innensolidarität eingesetzt wurde, die das Japan der 1950er Jahre
prägten. Währenddessen verlegten die US-Amerikaner,
die Japan immer noch managten, sich indirekt auf die
altbewährte US-amerikanische Industriestrategie: staatliche Intervention und Marktverzerrung. Zunächst verlangten sie von allen asiatischen Nachkriegs-Klientelstaaten, die sie vom britischen Empire, von Frankreich
und Holland geerbt hatten, dass sie japanische Importe
bevorzugt behandelten, sogar auf Kosten US-amerikanischer Produkte. Dann, mit dem Ausbruch des Kriegs
in Korea, setzten die USA die japanische Industrie zunehmend zurück auf Kriegsmodus, um ihre imperiale
Kriegsführung zu versorgen. Die Folge war, dass die
166
japanische Wirtschaft in Richtung ihres Nachkriegswunders abhob, und mit der gleichen Verzerrung wie
später beim US-amerikanischen Krieg gegen Vietnam
wurde Japans Wirtschaft zur Legende. Deming und Co.
hatten mit diesem Wunder nachweislich nichts zu tun.
Aber sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als
die US-amerikanische Wirtschaft ihre eigene „Produktivitätslösung“ brauchte.
Wenn die Steigerung der industriellen Produktivität in Japan im Wesentlichen fiktiv ist, so gilt das
auch für die Vorherrschaft der Qualität. Die Ölschocks
von 1973 und 1978 fallen – als Teil eines komplexen
Klassenkampfes in den ölproduzierenden Regionen –
wie uns das Midnight Notes Collective lehrt – nicht
mit den zuverlässigeren, hochwertigeren japanischen
Gebrauchsgütern zusammen, die angeblich die Produkte eines Management-Wunders sind, sondern mit billigeren Autos, die eine bessere Treibstoffeffizienz aufweisen. Diese billigeren Autos erscheinen inmitten eines
anderen Klassenkampfes, der nicht unabhängig von dem
auf den Ölfeldern ist. Hier können wir den Faden des
Operations Management, insbesondere der „Qualitätskontrolle“, und ihre latente Macht als Klassenwaffe wieder aufnehmen. Denn obwohl es keine Beweise dafür
gibt, dass das Totale Qualitätsmanagement in irgendeiner Weise für das japanische Wirtschaftswunder verantwortlich war, war es doch ein nützliches Instrument
zur Disziplinierung einer kollektivistischen Auflehnung der japanischen Arbeiter_innen. Darüber hinaus
suchte das US-amerikanische Management in den
1970er Jahren, als die Produktivitätsvereinbarungen in
den USA endgültig scheiterten, inmitten wilder Streiks
und dem Aufstieg von Organisationen wie der League of
167
Revolutionary Black Workers in der Autoindustrie von
Detroit nach einer neuen Form der Kontrolle. Hier hatte die gescheiterte Managementtheorie von Deming
und Co., die durch den aus ganz anderen Gründen aufkommenden Wettbewerb in der Auto-, Elektronik- und
Maschinenindustrie mit Japan aufpoliert wurde, endlich
ihre große Zeit.
kaizen in Amerika
Kaizen bedeutet auf Japanisch und Chinesisch „Verbesserung“. Im Operations Management japanischer Autofabriken bezeichnete der Begriff nicht einfach nur Verbesserung, sondern die kontinuierliche, unaufhörliche
Verbesserung in der Verantwortung jeder Arbeiter_in
an der Flusslinie. Mit dem Aufkommen der Kaizen„Philosophie“ wird der Begriff der Optimierung des
Flusses als eine Form der Arbeitsdisziplin eingeführt.
Die Disziplin der Arbeiter_innen wird gerade deshalb
optimiert worden sein, weil der Fluss nicht optimiert
werden kann – wenn der Fluss der Linie nie gut genug sein wird, können die Arbeiter_innen ständig diesem Defizit unterworfen werden, das sie in einer unaufhörlichen Mechanik der Evaluation und Bewertung
verkörpern und verinnerlichen. Masaaki Imai, der als
Japaner am meisten für die Popularisierung des Begriffs
in der englischsprachigen Welt steht, drückt es so aus:
„Kaizen bedeutet kontinuierliche Verbesserung durch
jeden und jede, immerzu und überall.“ Der Aufstieg
von Kaizen bedeutet, dass es das Streben nach „dem
einem besten Weg“ Frederick Taylors nicht mehr geben kann. Die Messung – die uns versichert hatte, dass
wir den besten Weg gefunden und die Aufgabe erledigt
hatten – wird durch eine Metrik ersetzt, die durch den
168
Algorithmus angetrieben wird. Mit Kaizen, könnten wir
sagen, hat sich der Wert vom Produkt zum Prozess verlagert. Ein Produkt hat einen Wert, der auf einem preisbildenden Markt gemessen werden kann. Ein Prozess
hat einen Wert, der nur vorübergehend abgelesen werden kann. Der Wert eines Prozesses ist kontingent und
macht damit den Wert zu einem Prozess an sich. Aus
diesem Grund könnte man ein Finanzprodukt eher als
Finanzprozess bezeichnen – sein Wert beruht auf einer
fortlaufenden Metrik, oder vielleicht sollten wir sagen,
sein Wert kommt aufgrund einer fortlaufenden Metrik
niemals zur Ruhe, aufgrund der fortlaufenden Verbesserung und Beschleunigung der Metrik. Die Metrik ist
hier eine Art postklassische Mechanik, deren Losgelöstheit von jeglichen fundamentalen Fragen zum Wesen
des Werts sie zu einem geistlos mächtigen Instrument
der klassischen politischen Ökonomie und der ihr zugrundeliegenden Metaphysik des Werts macht. Auch
diese Quantenmetrik basiert zum Teil auf einem Unschärfeprinzip, dessen Name Effizienz ist. Nichts kann
als effizient gelten, ohne dass sich die Frage nach seiner Effizienz stellt. Das Operations Management wendet
seine Aufmerksamkeit weg von der Effizienz, die am Gewinn der Ware gemessen wird, und hin zur Effizienz des
Prozesses, zur Effizienz als Prozess, die nur momentan
gemessen wird. Kontinuierliche Verbesserung bedeutet,
dass jede Effizienz in dem Moment ineffizient geworden
ist, in dem sie gemessen wird. Schritt für Schritt wird
die Messung selbst ineffizient und durch die Metrik ersetzt, das relative Maßnehmen, das den Fluss „benchmarkt“, um mit dem Algorithmus darauf zu spekulieren. Das Ziel ist, dass die Flusslinie sich selbst überholt;
oder mit anderen Worten: Mit Kaizen wird das Ziel
169
durch Spekulation auf den Fluss selbst und nicht auf
seine Produktivität vorgegeben, und es verschiebt sich
mit der Spekulation.
Natürlich gibt es in kapitalistischen Betrieben seit
langem ein Streben nach relativem Mehrwert, und
noch länger gibt es einen Effizienzdruck durch kapitalistischen Wettbewerb. Doch mit Kaizen wird die Aufmerksamkeit auf den Fluss der Linie um seiner selbst
willen in den Vordergrund gestellt und die Effizienz
von so etwas wie messbarem Wettbewerb oder Marktmechanismen losgelöst. Kontinuierliche Verbesserung
ermöglicht spekulative Finanzwirtschaft. Kaizen hat
nicht nur den Einzug der spekulativen Finanzwirtschaft
in die Fabriken vorweggenommen, sondern diente auch
entscheidend dazu, die spekulative Finanzwirtschaft mit
der (klassischen Mechanik der) Fließbandproduktivität
zu verbinden. Nun stellte der Fluss des Fließbands selbst
ein Potenzial dar. Das Fließband wurde spekulativ, oder
besser gesagt, der Fluss der Linie wurde es. Die Buchhaltung verschiebt sich, für diese spekulative Linie bezieht sie die Metrik ein, und die Finanzwirtschaft rückt
an, sie tritt in Kraft. Alles wird ausverkauft (und zurückgemietet), außer der Spekulation des Flusses. Betriebe
(und später sogar Banken) werden in diesem Prozess
ausgehöhlt, aber nicht entleert. Es geht nicht darum,
wie manchmal dargestellt, dass Betriebe Opfer der Finanzialisierung werden. Im Gegenteil: Kaizen macht
die Finanzspekulation erst möglich. Was nach der Finanzialisierung im Betrieb bleibt, ist die Spekulation
auf den Fluss. Die für diese Spekulation auf den Fluss
der Linie verwendeten Begriffe sind „Kernkompetenzen“, oder manchmal der berüchtigte „Wettbewerbsvorteil“, und heute das „Leistungsversprechen“. All diese
170
Managementkonzepte sind entstanden, um zu signalisieren, dass das Managementteam eines Betriebs eine
Methode hat, den Fluss des Fließbands zu verbessern, in
jeder Art von Band, um mehr Wert aus den Arbeiter_innen herauszuholen, indem der Zugriff auf sie intensiviert
wird. Der Grund, in sich neu entwickelnde „ressourcenbasierte“ Betriebe zu investieren, liegt nicht darin, dass
sie bestimmte Vermögenswerte besitzen oder bestimmte Waren herstellen, sondern weil sie und ihr Management die Fähigkeit demonstrieren, den Fluss einer Linie durch einen tieferen Zugriff auf die Arbeiter_innen
kontinuierlich zu verbessern, sei es durch Technologie
oder Arbeitsplatzkulturen, die ihren Einfluss auf jeden
Bereich des Lebens der Arbeiter_innen ausdehnen. Die
Produktionsmittel selbst treten so mit Kaizen in den
spekulativen Bereich ein. Heute gipfelt diese Logik in
Private-Equity-Firmen, die in völliger Indifferenz, wie
sie sagen, nicht Unternehmen, sondern Geschäftsprozesse
aufkaufen, entfügen und neu zusammenfügen.
Qualität und Brutalität
Das ist die eine Hälfte des Bilds. Denn natürlich war Verbesserung immer spekulativ, und bei Spekulation ging es
trotz der heutigen Rhetorik immer, wie heimlich auch
immer, um die Möglichkeiten, die Arbeit zu verbilligen
oder die Maschinen zu beschleunigen, ob es nun die Fähigkeit des Bauern war, das Land zu verbessern, oder
die der versklavten Frau, ihren Versicherungswert zu
überschreiten. Von Nießbrauch sprechen wir in diesem
Zusammenhang als dem Zusammentreffen von zwei Arten der Verbesserung – der Verbesserung des Selbst und
der Verbesserung des Eigentums im achtzehnten und
frühen neunzehnten Jahrhundert. Wenn Hegel in der
171
Philosophie des Rechts auf den Nießbrauch als die Setzung
zweier Willen in einem Eigentum zu sprechen kommt,
hat er gerade eine Diskussion der Sklaverei abgeschlossen: Er diskutiert zwar den Nießbrauch, ohne menschliches Eigentum zu erwähnen, aber es ist unmöglich, diese Passage nicht nur als wesentlich für sein Verständnis
der wesentlichen Beziehung des Rechts zum modernen
Staat zu lesen, sondern auch als Ausgangspunkt für eine
ebenso wesentliche Beziehung des Problems der Verbesserung zur Dialektik von Herr und Knecht/Sklave, die die
Phänomenologie des Geistes strukturiert und bedingt. Weder die moderne Philosophie noch das moderne Subjekt
noch der moderne Staat können von diesem Wechselspiel
von Versklavung und Verbesserung frei sein. Nießbrauch
ist nicht nur die Bearbeitung des Lands eines Anderen,
sondern die Bearbeitung eines Anderen, in und für ein
Selbst, das dadurch gearbeitet und bearbeitet wird; und
die zwei Willen, die in der Frage der Verbesserung aufeinanderprallen, werden durch rassifizierte und sexuelle
kapitalistische Akkumulation und Demonstrationen des
sich selbst hervorbringenden Willens vorangetrieben und
miteinander verbunden. Nießbrauch bringt also nicht
nur die Einfügung des sich selbst verbessernden Willens
in das Ding mit sich, sondern auch die gewaltsame Behauptung eines notwendig schwachen Willens als diesem
Ding immanent. In dieser Hinsicht kann ein Mensch nur
insofern zu einem Ding gemacht werden, als er zunächst
ein Mensch ist. Die Humanität der Sklav_in wird nicht
nur notwendigerweise verletzt, sie ist auch, wie Hartman
uns lehrt, ganz einfach notwendig. Die Dehumanisierung
folgt der Humanisierung und negiert nicht einfach die
Humanität im Strom der Brutalität, der den Menschen
in sein politisch-ökonomisches Schicksal treibt.
172
Nießbrauch selbst war nie endgültig abgeschlossen, und
es gab immer ein anderes Eigentum oder einen anderen
Körper, in den man einen vermeintlich unabhängigen
Selbstverbesserungswillen hineinlegen musste, um dieses Ding zu verbessern. Diese aus Kaizen resultierende Spekulation mit der Linie – die brutale Dekollektivierung und Individuierung der Linie, die zugleich eine
soziopathologische Forderung nach dem Zugriff auf die
individuierte Arbeiter_in ist – hat ihren Ursprung in
den Sklavenarbeitsfarmen, die Baumwolle in den USA
und Zucker auf den West Indies und in Südamerika
produzierten, wie die schwarze Geschichte der Sklaverei
deutlich zeigt. Sklavenarbeitskolonnen werden entlang
einer Linie von Baumwoll- oder Zuckerrohrpflanzen
verteilt und gezwungen, sich kontinuierlich zu verbessern; und jede Kooperation unter ihnen wird brutal
bestraft, sogar härter bestraft als das Versäumnis, sich
zu verbessern, eben weil es die einfache, individuierende Arithmetik stört, die selbst den mathematisch exotischsten und ausgefeiltesten Metriken zugrunde liegt.
Auf den Feldern war von einer Subjektreaktion nicht
zuletzt deshalb keine Rede, weil sie von den Versklavten
verweigert wurde, ohne dass sie jemals angeboten worden wäre. In der Tat werden gewöhnlich diejenigen, die
das Nichts für sich in Anspruch nehmen, im Gegensatz
zu denen, die viel Aufhebens um die Willenskraft machen, schließlich zur belasteten Individualität gezwungen. Aber die brutale Ironie bleibt, dass die Subjektreaktion, der hart erkämpfte Zugriff darauf, verfügbar zu
sein, wenn der Begriff liberation, Befreiung, eine liberale Wendung nimmt, von jener Offenheit abrückt, die
von Management und Verwaltung zu unserem Nachteil
gestohlen und aufgefüllt wird. Diese Offenheit, dieses
173
Nichts, diese Verletzlichkeit, diese Affizierbarkeit, diese
unverfügbare Verfügbarkeit, die wir teilen, ist alles, was
wir haben.
logistik
Das Imperium von Baumwolle und Zucker beherbergte nicht nur diese teuflischen frühen Experimente, mit denen die Kollektivität auf der Linie zerschlagen
und Willen eingesetzt und durchgesetzt wurden, sondern gab uns auch einen frühen Einblick in eine integrierte globale Lieferkette. Aufzucht und Marsch oder
Verschiffung der Versklavten nach Süden und Westen
von den Plantagen in Tidewater und Piedmont oder
ins Landesinnere von den karibischen und pazifischen
Küsten Kolumbiens, um damit Ernten zu erzielen, die
durch die Spekulation auf ihre durch Folter erzwungene, durch Metrik auferlegte Arbeit finanziert wurden,
und die Baumwollballen oder Melassefässer, die in New
Orleans oder Bridgetown auf Schiffe verladen wurden,
die in London versichert waren und zu den Großhandelsverrechnungsstellen in Liverpool oder den Fabriken
in Massachusetts fuhren, sind Glieder einer globalen
Wertschöpfungskette, die von Bankern, Pflantagenbesitzern und Sklavenhaltern geschaffen wurde. Aber erst in
unserer Zeit wird diese Lieferkette vollkommen in den
Fluss der Linie innerhalb der Fabriktore integriert. Etwa
zur gleichen Zeit, als das Operations Management Kaizen und die Bewertung des Flusses der Linie selbst zu
verstehen begann, überdachte es auch die Linearität und
Endlichkeit der Linie. An diesem Punkt etablierte sich
eine neue Teildisziplin des Operations Management als
strenge akademische Disziplin an den Business Schools:
die Logistik. Natürlich gab es die Logistik als Praxis
174
in militärischen Belangen schon, seit es Belagerungen,
Invasionen und Festungen gab. Essen, Wasser, Waffen und Menschen mussten transportiert und verwaltet
werden, um alle Kriegsstrategien zu unterstützen. Der
afrikanische und transatlantische Sklavenhandel stellte
die große, widerliche Einführung der Massenlogistik für
kommerzielle und nicht für militärische oder staatliche
Zwecke dar. Er wurde zum schaurigen Versuchslabor für
den Zugriff auf singuläre Mittel von Arbeit und Sex, von
Welterzeugung und Subjektivierung. Vieles würde folgen, darunter Infrastrukturprojekte für die Zirkulation
von Menschen, Gütern und Informationen und natürlich weitere Massenvertreibungen, Indenturen und Migrationen in der brutalen Durchsetzung des Gesetzes des
Genozids und Geozids gegen indigene Völker und gegen
die Idee und Praxis der Indigenität selbst. All diese Logistik würde nicht nur im Sklavenhandel das Markenzeichen des „Herkunftskontinents“ tragen, sondern mit
dem Nießbrauch würde die Verbesserung des Flusses
und die Rassifizierung ununterscheidbar werden. Weißsein ist als Ursprung und Bodensatz der Rassifizierung,
wo Zugriff eher Auferlegung und Unterwerfung durch
Selbstschutz und Selbstbestimmung ist, statt Unvollkommenheit zu praktizieren, die Selbstverbesserung des
Flusses. Schwarzsein wird zu dem, was es schon war: die
vorausgehende Unterbrechung, die kommende Sabotage, die Unfähigkeit, in den Fluss hineinzuatmen als die
Fähigkeit zum Atem als Mittel, für die Breite der Mittel.
So ist es kaum verwunderlich, dass das Auftauchen der modernen Idee von Ökonomie als Disziplin,
wie Timothy Mitchell uns lehrt, an die Wissenschaft
der „Rasse“ gekettet ist. Mitchell erinnert uns daran,
dass der Gründer der US-amerikanischen Ökonomie,
175
derjenige, der die Disziplin einweiht, indem er das erste Arbeitsmodell dieser unabhängigen „Ökonomie“ erstellt, nicht zufällig, sondern notwendigerweise ein Rassist und Eugeniker war. In Irving Fishers Theorie war
die Ökonomie die Lehre vom Geld und dem, was man
heute Humankapital nennen würde. Beides, so Fisher,
könne man verbessern (und damit spekulieren). Aber
„rassische Entartung“ bedeutete, dass einige kein Verständnis für die Zukunft hatten. Die „entarteten, degenerierten Rassen“ hatten also weder den Wunsch noch
die Fähigkeit, sich zu verbessern. Sie würden ihre Nützlichkeit für sie maximieren müssen, und zwar durch
Nießbrauch.
logistischer kapitalismus
Wenn Operations Management als Wissenschaft der
Verbesserung und Spekulation Teil der Ökonomie wird,
verwandeln Containerisierung und ausgedehnte Wertschöpfungsketten in der globalen Produktion und den
globalen Märkten die Untersuchung dieses Flusses in
eine grundlegende Obsession mit der Frage, was und wer
wirtschaftlich produktiv oder unproduktiv war. In der
Folge versteht Betriebsmanagement das, was sich in die
Fabrik und aus ihr heraus bewegte, als Erweiterungen
des Flusses innerhalb der Fabrik. Wenn man auf diese
Erweiterungen achtet, kann man den Fluss innerhalb
der Fabrik verbessern. Logistik, Umkehrlogistik, Nutzer_innengemeinschaften und Beziehungsmarketing
werden nun als Teil eines kontinuierlichen Prozesses gesehen, der kontinuierlich verbessert werden kann, bevor die Inputs in die Fabrik gelangen, während sie in
der Fabrik umgewandelt werden und nachdem die Outputs die Fabrik verlassen. Diese Erweiterungen dienen
176
der Verbesserung des Prozesses, indem sie die Art und
Weise berücksichtigen, wie die Bewegung und der Zustand von Rohstoffen oder Kundennutzung, von Neuerfindung und Rückkopplung zu einer weiteren kontinuierlichen Verbesserung der Linie führen können. Mit
anderen Worten: Operations Management sieht sich für
alle Kreisläufe des Kapitals verantwortlich und nicht nur
für die Produktion. Der Fluss strömt aus dem Fabrikstor und überflutet die Welt, überschwemmt ihre politischen Körper.
Diese Vorwärts- und Rückwärtsintegration und
Steuerung der Wertschöpfungskette wurde durch die
Metrik und den Algorithmus auf den Weg gebracht.
Logistik ist seit langem ein Feld für algorithmische Experimente, in deren Mittelpunkt sowohl das „Problem
des Handlungsreisenden“ steht, bei dem es darum
geht, die effizienteste Route zu ermitteln, als auch das
„Canadian-Traveler-Problem“, bei dem es darum geht,
die effizientesten Anpassungen auf der Route zu finden. Was die Logistiktheoretiker_innen vom Algorithmus erwarteten, war eine kontinuierliche Neuberechnung – Metrik, nicht Messung. Die Evolution
des Algorithmus in der Logistik tendiert dazu, das
„Kontrollmittel“ – lebendige Arbeit – zu eliminieren,
und damit die „humane Zeit“, wie sie die Logistikliteratur gerne nennt. In den Fantasien der Logistiktheorie, angedeutet im Diskurs über das „Internet der
Dinge“, in dem eine allgemeine Dehumanisierung –
der die Humanisierung vorausgeht – imaginiert wird,
werden die Dinge als Reaktion auf Umweltveränderungen eine Art Plastizität entwickelt haben und sich ohne
den Eingriff lebendiger Arbeit transformieren. Sowohl
die materiellen Entwicklungen der Logistik als auch
177
die immateriellen Interventionen der Logistiktheorie
haben Konsequenzen für mehr oder weniger bewusste
Entwicklungen in Philosophie und Wissenschaft, deren Möglichkeitsbedingungen sowohl durch den methodischen Algorithmus bei der Arbeit als auch durch
die methodische Arbeit des Algorithmus im Denken
gerahmt werden.
In den 1980er Jahren – als die Logistik und die
Performance-Metrik die Interessen der Fabrik erweiterten und zerstreuten, indem sie den Fluss ihrer Produktionslinie über die unscharfen Grenzen von Input
und Output hinaus verbanden – hatte das Operations
Management „die Fabrik verlassen“ und Kaizen mitgenommen. Wichtiger noch: Operations Management
und Logistik halfen dem Unternehmen zu erkennen,
wie die Linie überfließen und überall fließen konnte. Trotz der Regulierung und Eingrenzung, die seine strikte Linearität impliziert, ist das Fließband nicht
verschwunden, sondern allgegenwärtig geworden. Heute ist es eine Flussebene, ein Überschwemmungsgebiet,
eine unkartierte Zerstreuung souveräner Zumutungen
mit den sie begleitenden, ereignishaften Subjektreaktionen. Allgemeine und unkalkulierbare Kommunikabilität wird als totale Kommunikation, totale Konnektivität virtualisiert. Dies ist der algorithmische Versuch des
Kapitals, einen wesentlichen und wesentlich sinnlichen
Kommunismus zu entmaterialisieren, zu konzeptualisieren und zu regulieren; dies ist die Entschlossenheit
des Kapitals, totalen Zugriff auf die Mittel zu erlangen,
um über die Mittel hinaus, über seine Verhältnisse hinaus zu leben. Auf dem Spiel steht jene doppelte Operation der Abwertung der Mittel, die der Algorithmus
sucht und zu regulieren sucht.
178
Synaptische Arbeit
Als zeitgenössische Phänomene und in ihren langen,
verschlungenen historischen Verläufen führen uns diese beiden Verschiebungen im Operations Management
– Kaizen und Logistik – zu einem anderen Verständnis dessen, was heute aus der Arbeit herausgeholt wird.
Anstatt individuelle Arbeitskräfte darzustellen, müssen
die Arbeiter_innen synaptische Arbeit leisten, eine Fähigkeit zur Komposition, die darin gegeben ist, dass sie
gleichsam auf Befehl in den Fluss der Montage eingebucht worden ist. Und mit jeder E-Mail, jeder TextMessage, jedem Post wird der Befehl gegeben. Man
wird gleichzeitig als Daten und als syntaktische Einheit
instanziiert und aufgerufen. Das ist logistischer Kapitalismus: Hier wird jene Arbeit wertgeschätzt, die auf
die Verbesserung des Flusses gerichtet ist, der überall
und über jede_n fließt. Die Arbeiter_innen – sofern
das der richtige Begriff für diejenigen ist, die aufgerufen sind, diese nicht-linearen, unendlichen Montagelinien zu montieren oder zu operationalisieren – müssen
den Fluss verbinden und ihn gleichzeitig verbessern, die
Daten weitergeben und sie gleichzeitig verbessern und
erweitern und verkörpern, in eine gegebene affektive
Zone eintreten und gleichzeitig den Durchgang zu einer
neuen Zone ermöglichen, lesen, was gesendet wird,
und gleichzeitig das kommentieren, was sie senden. Die
Sprache des Operations Management ist die Sprache
der synaptischen Arbeit am Werk. Die Begriffe des
Operations Management sind zu Begriffen unseres
Alltagsverstands geworden: Vorlaufzeit, Flexibilität,
Verfügbarkeit, Ressourcen, Terminplanung und
Ressourcenverteilung. Synaptische Arbeit setzt überall
an, übersetzt alles, und man muss sich seine eigenen
179
Formen der „Warteschlangentheorie“ für den Fluss der
Linien ausdenken, die in alle Richtungen laufen, wie
ein Meer. Die Arbeiter_innen sind selbst für die Formen
der Aufbereitung verantwortlich, die ihre Rechenschaft
herstellen und aufrechterhalten. Die Rolle der Ware verblasst im Vergleich zu jener der Qualität des Flusses, in
dem sie sich bewegt, der die Infrastruktur ist, die die
Arbeiter_innen machen und besser, belastbarer machen.
Eine Linie wird produziert, deren Ausbreitung als
Fluss sie auch verengt und einschließt, während metrische Fantasien von der kontinuierlichen Verbesserung
des Flusses in einer allgemeinen Forderung auferlegt
werden, die die Spekulation erstickt, einschränkt und
individuiert. In Momenten einer solchen kontrollierten Erstickung riskieren die Arbeiter_innen, zu dem zu
werden, was Arbeit nie zuvor war: unterwürfig und unbeseelt. In der Tat sind individuelle Subjektbildung und
Identitätskonstruktion diese spekulative Unterwerfung,
in der das individuelle Subjekt zu seinem eigenen Verschwinden in einem Heroismus tendiert, der nur dem
Netzwerk dienen kann. Eine solche Spekulation führt
unweigerlich zur ultimativen Fantasie: Was wäre, wenn
die Arbeiter_innen den (Über-)Fluss einer Linie schaffen könnten, die sie nicht braucht? Was wäre, wenn wir
einen sich selbst verbessernden Fluss schaffen könnten?
Dies wäre gleichbedeutend mit einem sich selbst valorisierenden Kapitalismus, einem Kapitalismus, der erfolgreich ist in seinem selbstmörderischen und mörderischen
Trieb, frei von Arbeit zu sein. Der spekulative Fluss, der
sich entwirrt und immer mehr von uns in seinen Rhythmus der kontinuierlichen Verbesserung einbindet, treibt
uns in diese Fantasie, die wir performen, oder genauer:
die wir performend überbieten, im sozialen Tod.
180
Disruptive Innovation ist der Begriff, mit dem in der
Managementlehre – insbesondere im Bereich der Strategie – ein Kaizen-Ereignis im sozialen Bereich bezeichnet wird. Ein Kaizen-Ereignis ist eine unerwartete
Wendung im Fluss der Linie oder eine überraschende
Erkenntnis über diesen Fluss, die dann als Verbesserung
des Flusses integriert wird. Wie Marina Vishmidt im
Kontext der zeitgenössischen Kunst scharfsinnig aufzeigt, macht diese Unterbrechung der Flusslinien der
Montage keinen Unterschied zwischen dem Fluss und
denen, die ihn reproduzieren. 67 Wir werden Dinge genannt und sind dann dazu aufgerufen, flinke kanadische
Handlungsreisende voller Innovationswillen in einem
global gewordenen Großen Weißen Norden zu sein.
Überall werden wir in gemeinsamer Einsamkeit degradiert und jeden Tag wird uns geschmeichelt, dass wir
geradezu dafür gemacht sind, neue Konnexionstheorien
zu erstellen. Das soziale Leben ist einer Metrik unterworfen, die Störung als Verbesserung und Verbesserung
als einzige Metrik sucht und aufwertet, sodass jede Ruhe
im sozialen Leben – was wir mit Valentina Desideri unsere militante Bewahrung, die Gärung unserer Wünsche
nennen würden – als antisozial angegriffen wird. Und
so müssen wir uns verstellen und entfugen, um unsere
Versammlungsgewohnheiten zu erneuern, damit wir in
der Weite unserer Mittel atmen können. Gemeinschaftliches sinnliches Leben entsteht in der Haptikalität derer, die aufgerufen sind, diesen Fluss zu versammeln,
die diesen Fluss in ihrer erneuerten Versammlung simulieren und entfugen, der unterirdisch und überirdisch
67 Marina Vishmidt, Speculation as a Mode of Production. Forms of
Value Subjectivity in Art and Capital, London: Haymarket Books 2019.
181
und als Undercommons verläuft. Dies ist der unkontrollierbare improvisatorische Effekt einer allgemeinen und
materiellen Kommunikabilität, die sich der Virtualisierung verweigert, die ihre beschatteten, zufälligen Mitreisenden formt. Diese lebendige, poetische Kommunikabilität zieht andere Linien, die sie übersteigt, wenn sie
ohne Fahrkarte fährt, als Jaywalker auf der Straße läuft
oder in unterhäuslicher, ante-logistischer Transmutation zu Hause bleibt.
Schwarzsein und das Ungeziefer
Der subjektreaktive Rückschlag kann niemals die vollständige Verweigerung, Sabotage oder Unausgerichtetheit hervorbringen, die der logistische Kapitalismus
(und sein Niedergang) erfordert. Obwohl er eine Reaktion auf die Entwertung der Mittel ist, ist er in seiner
Individuierung selbst eine entwertete Reaktion. Die synaptische Arbeit beginnt gerade zu verdeutlichen, dass
jede Art von Subjektbildung oder individueller Identität, die sich aus der generellen und generativen Ökologie der Arbeitsgesellschaft im logistischen Kapitalismus
dematerialisiert, bereits mit einer Wertkette von Gehirn,
Geist, Identität und Subjekt verbunden ist. Bedenken
wir als Verkörperung der Idee der Individuierung zum
Beispiel Gregor Samsa, einen Handlungssreisenden, der
eines Morgens aufwacht und feststellt, dass er – sein
Körper ist so vollkommen vom Fluss ergriffen, dass er
sich weder in ihm bewegen, noch als seine Verkörperung
durchgehen, noch seinen Durchgang durch ihn annehmen oder seine Verbesserung befördern kann – ein Ungeziefer ist. Er ist in dieser Hinsicht die Apotheose des
individuellen Widerstands in der individuellen Niederlage. Er kann nicht in die Monstrosität des Verlusts
182
seines Körpers einwilligen, obwohl dies die einzige Möglichkeit für ihn wäre, diesen Zugriff zu blockieren, einen
Ausweg oder einen abwegigen Zeitplan dafür zu finden,
nicht von einem Anderen im Fluss begradigt zu werden.
Seine Härte bedeutet, dass er sich für seine Familie nur
falsch bewegen kann, huschend, die Monstrosität mit
sich schleppend, die seine ist, die er aber nicht besitzen
oder kontrollieren kann. Und anstatt durch diese Härte, diese ungerichtete Bewegung geschützt zu werden,
ist seine einzige Idee und die seiner Familie, dass die
Monstrosität, die weder er noch die seine ist, entmaterialisiert werden muss. Gregor, das Subjekt, muss zurückkehren, um zu reisen und zu handeln, oder zu sterben.
Betrachten wir nun den alles andere als unscheinbaren
Jeff Gerber, einen Versicherungsvertreter, der in einem
selbstgesteuerten Akt der Optimierung seines Wegs zur
Arbeit durch seine weiße Vorstadtsiedlung mit dem Bus
um die Wette läuft. Eines Tages wacht dieser rassistische weiße junge Mann als Schwarzer auf. Er wacht
schwarz auf und verliert alles und bleibt am Leben und
erhebt eine Forderung (auf den Blues und die Panther).
Er entfugt sich, löst sich auf, und indem er weder mit
dem Strom schwimmt noch sich ihm allein in einer Performance von spröder, individueller Würde widersetzt,
sucht er seine Leute, erneuert die Versammlung und
schließt sich dem schwarzen sozialen Leben an. Es ist
nicht so, dass er durchging, oder dass er mehr durchging als jeder andere weiße Versicherungsvertreter, es
ist nur so, dass eine Ewigkeit des Durchgangs – deren
Overdub-Dröhnen sich irgendwie wie ¡No pasarán! anhört – durch seine falschen Entscheidungen und brutalen Vorurteile hervorbrach und die Einspurigkeit seines
einfachen, einförmigen Verstands überrollte.
183
Wenn wir mit unseren Studierenden Franz Kafka lesen,
fragen wir immer nach Melvin Van Peebles. Anstatt auf
Kritikalität und Kreativität zu drängen, um ein kenntnisreiches Selbst im Gefolge der Katastrophe zu formen,
versuchen wir zu erkennen, dass das, was Gregor tötet,
der brutale Zugriff und seine Einfügungen und Behauptungen sind, nicht seine Verweigerung, die in weichem
Fleisch, harter Schale und unregelmäßiger Bewegung
gegeben ist, die allesamt das instanziieren, was Spillers
eine schreckliche, beanspruchte, empathische Verfügbarkeit nennt. Was Jeff am Leben hält, ist, dass er nicht
umkehrt, sondern davonhuscht, in Richtung einer Partei für absolut notwendige Selbstverteidigung, wobei
sein Schwarzsein – das nicht das seine ist, das er aber
beansprucht – genau die ante-ontische, unterontologische Opazität ist, durch die der logistische Kapitalismus
nicht durchgehen kann und die er nicht durchgehen lassen kann.
Unsere Studierenden müssen durchkommen, und sie
müssen herumgehen. Und dabei müssen wir daran denken, dass es etwas mehr geben muss als durchzukommen, durchzugehen. Die Logistik, der logistische Kapitalismus, so erkennen wir im Nachdenken über das
Durchgehen, versuchen ständig, uns zu begradigen, damit wir durchkommen und damit sie durchgehen können, was auf dasselbe hinauslaufen mag. Die ganze Zeit
müssen wir etwas für den logistischen Kapitalismus tun.
Wir müssen für ihn handeln und durch ihn hindurch;
wir müssen immer wieder durchkommen, gerade weil
die Monstrosität vorgängig ist, und die Logistik immer
versucht, uns in dieser Oszillation von Begradigung und
Umkehrung zu halten, in reaktiver Gegen-Subjektivität,
den Subjekten gegenüber, die wir sein sollen, und in sie
184
hinein, anstatt uns weiter zu bewegen, in diesem allgemeinen Schlingern der sinnlichen Inkohärenz, dem
Modus des Studiums, in dem Selbsterkenntnis enteignet wird. Die Logistik weiß, dass die Begradigung einer
Wendung nicht bedeutet, sie zu eliminieren, sondern sie
in einer Metrik zu halten, sie auf einen Zeitplan endloser Optimierung zu setzen, als nervöse Hin-und-HerBewegung in einem skalaren Segment, so dass sie die
Anarchie des Wendens anwirft oder sich gegen sie wendet, indem sie sich selbst in Wert setzt. Die Logistik
ist auf diese metrisch abwertende Weise gerade, straight.
Das ist ihre Mordlust, ihre Verweigerung, Konturen anzunehmen, ihre überwachende Vernachlässigung und
auch ihre Verschwendungssucht, ihr ständiges Verpassen von allem in ihrem unverbesserlichen Greifen nach
allem.
Wie können wir eine monströse Verzerrung erzeugen, eine sich ausbreitende Aufpeitschung durch den
Fluss? Wie kann die Haptikalität die Kritikalität betrügen, diesen brutalen, delphisch-orakelhaften Imperativ
„Erkenne dich selbst“? Wie können wir uns einem Generalstreik gegen die Berechnung, gegen die Bewertung
anschließen und ihn intensivieren? Ein solcher Streik
wäre nicht so sehr ein Ereignis als vielmehr die Entstehung eines generellen Zustands der Erschöpfung und
der radikal unreinen Generativität. Er wäre ein krummer Schlag, mit einem gekrümmten und kräuselnden
Stock, der auf der Flucht in afformativer, ablagernder
schwarzer Ruhe aufgegabelt wird. Wie kann unser Studium als geistlose Verweigerung des Geists im Fleisch leben, in der Unterbrechung des Flusses? Lasst uns Kafka
durch eine Passage bei Spillers umleiten und sehen, ob
wir uns der Anpassung verweigern können.
185
die unbeanspruchte Monstrosität des
Handlungsreisenden
Diese Passage ist uns Weg, Leitfaden und Triebkraft:
Deshalb bricht in dieser Ordnung der Dinge das
Weibliche mit einer Eindringlichkeit in die Vorstellungskraft ein, die sowohl eine Verleugnung als
auch eine „Illegitimität“ markiert. Aufgrund dieser eigentümlichen amerikanischen Verleugnung
verkörpert der schwarze amerikanische Mann die
einzige amerikanische Gemeinschaft von Männern, die die spezifische Gelegenheit hatte zu lernen, wer das Weibliche in ihr selbst ist, das Kleinkind, das das Leben gegen das möglicherweise
schicksalhafte Glücksspiel hervorbringt, gegen die
Wahrscheinlichkeit der Pulverisierung und Ermordung, einschließlich seiner eigenen. Es ist das
Erbe der Mutter, das der afroamerikanische Mann
als einen Aspekt seiner eigenen Persönlichkeit
zurückgewinnen muss – die Macht des „Ja“ zum
„Weiblichen“ in seinem Inneren.
Dieser unterschiedliche kulturelle Text rekonfiguriert im historisch verordneten Diskurs tatsächlich
bestimmte Repräsentationsmöglichkeiten für Afroamerikaner_innen: 1) Mutterschaft als weibliches
Blutritual wird skandalisiert, wird abgewiesen,
während sie gleichzeitig zum Gründungsbegriff einer humanen und sozialen Verkörperung wird; 2)
eine doppelte Vaterschaft wird in Gang gesetzt, die
aus dem verbannten Namen und Körper des afrikanischen Vaters und der spottenden Anwesenheit des
versklavenden Vaters besteht. In diesem paradoxen
Spiel steht nur die Frau leibhaftig da, in the flesh,
sowohl als Mutter als auch als Mutter-Enteignete.
Diese Problematisierung des Geschlechts stellt
sie meines Erachtens aus der traditionellen Symbolik weiblichen Geschlechts heraus, und es
ist unsere Aufgabe, diesem unterschiedlichen
186
sozialen Subjekt einen Platz zu verschaffen. Dabei geht es uns weniger darum, uns in die Reihen
der vergeschlechtlichten Weiblichkeit einzureihen,
als vielmehr darum, den aufständischen Boden als
weibliches soziales Subjekt zu erobern. Indem sie
tatsächlich die Monstrosität (einer Frau mit dem
Potenzial der „Benennung“) beansprucht, die ihre
Kultur in Blindheit auferlegt, könnte „Sapphire“
letzten Endes einen radikal anderen Text für eine
weibliche Ermächtigung schreiben. 68
Und diese Notiz von unserem Anwalt, Oscar Zeta Acosta,
ist unsere (Kreuzwegs-)Station:
Jemand muss immer noch für all die erstickten
Leben all der Kämpfer_innen geradestehen, die
gezwungen wurden, weiterzumachen, angekettet
an einen Krieg für die Freiheit, so wie ein Sklave an seinen Herrn angekettet ist. Jemand muss
immer noch dafür büßen, dass ich Freund_innen
verlassen muss, um ein ganzer Mensch zu bleiben, um unversehrt zu überleben, um die Spezies
und meinen eigenen Buffalo Run weiterzuführen,
solange ich kann. 69
Nun können wir einige Auszüge aus Kafkas Briefen an
seine Verlobte Felice Bauer (mit)lesen:
Ich werde Dir übrigens heute wohl noch schreiben, wenn ich auch noch heute viel herumlaufen
muss und eine kleine Geschichte niederschreiben
werde, die mir in dem Jammer im Bett eingefallen ist und mich innerlichst bedrängt. 70
Spillers, „Mama’s Baby, Papa’s Maybe. An American Grammar
Book“, in: dies., Black, White and in Color, 203-229, hier: 228f.
69 Oscar Zeta Acosta, The Revolt of the Cockroach People, New York:
Vintage Books 1989, 258.
70 Franz Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, hg. von Erich Heller und Jürgen Born, mit einer Einleitung von
Erich Heller, Frankfurt/Main: Fischer 1970, 102 (Brief vom 17.11.1912).
68
187
Dem Helden meiner kleinen Geschichte ist es
aber auch heute gar zu schlecht gegangen und dabei ist es nur die letzte Staffel seines jetzt dauernd
werdenden Unglücks. 71
Sei darüber nicht traurig, denn, wer weiß, je mehr
ich schreibe und je mehr ich mich befreie, desto
reiner und würdiger werde ich vielleicht für Dich,
aber sicher ist noch vieles aus mir hinauszuwerfen
und die Nächte können gar nicht lang genug sein
für dieses übrigens äußerst wollüstige Geschäft. 72
Meine kleine Geschichte wäre morgen gewiss fertig geworden und nun muss ich morgen abend um
6 wegfahren, komme um 10 nach Reichenberg,
fahre früh um 7 nach Kratzau zu Gericht [...]. 73
Die Briefe wurden im November 1912 geschrieben, als
Kafka Die Verwandlung schrieb, ein Prozess / ein Produkt (ein Verfahren / eine Verurteilung), die er ein Jahrzehnt später als Indiskretion bezeichnen wird. Kafka
beschäftigt sich intensiv mit der Logistik des Schreibens, mit der richtigen Art der Übermittlung, aber auch
mit dem angemessenen Zeitplan der Konstruktion und
Komposition. Die Verwandlung wäre besser geschrieben worden, sagt er, ohne die Unterbrechungen, die
Stockungen und Schübe. Wenn nur die Linie direkter
gewesen wäre. Alles ist gefiltert durch die Ängste, die
mit dem Imperativ der Verbesserung, der Optimierung
einhergehen. Die Geschichte von den Problemen eines
Handlungsreisenden entsteht aus und als eine Variation des Problems des Handlungsreisenden, über das in
genau einer Minute mehr zu erfahren sein wird.
71
72
73
Ebd., 116 (Brief vom 23.11.1912).
Ebd., 117 (Brief vom 24.11.1912).
Ebd., 122 (Brief vom 24.11.1912).
188
Ineffizienz hinterlässt einen permanenten Rückstand,
einen Makel, eine Wollust, die gleichzeitig Verfall und
Unvollkommenheit und eine radikale Außervollkommenheit markiert, eine metastatische oder ante-statische
Monstrosität, einen Octavia Butlerschen Makel, der
auch eine unbeschreibliche Süße ist, eine Judith Butlersche Verletzlichkeit, die auch eine unermessliche Kraft
ist. Wir fühlen uns gezwungen zu sagen, dass Kafka diese Monstrosität nicht beanspruchen kann, aber wir wollen auch sagen, dass sein Werk es der Monstrosität ermöglicht, ihren Anspruch an uns zu erheben.
Am Schnittpunkt von Forschungsrichtungen wie
der theoretischen Informatik, der computergestützten
Komplexitätstheorie und der kombinatorischen Optimierung liegt das so genannte Problem des Handlungsreisenden. Das Problem lautet: Gegeben seien eine Liste von Städten und die Entfernungen zwischen jedem
Städtepaar: Was ist die kürzest mögliche Route, auf der
jede Stadt genau einmal besucht wird, um dann zur
Ausgangsstadt zurückzukehren? Dieses Problem wurde
Mitte des 19. Jahrhunderts vom irischen Mathematiker W.R. Hamilton erstmals mathematisch formuliert,
in den 1930er Jahren verfeinert und in den 1950er und
1960er Jahren in den eben genannten Bereichen popularisiert. Es ist auch heute noch ein heißes Thema in der
Mathematik und den Naturwissenschaften, aber vor seiner mathematischen Formulierung und Formalisierung
war es ein Problem für Geschäftsleute, das für und von
Geschäftsleuten im Kontext einer bestimmten Reihe
von Erzählungen über Bildung* formuliert wurde – von
evaluativer Selbstdarstellung und Verbesserung, gegeben
in und als eine Art von Fähigkeit zur Rahmung, an der
Schnittstelle von Gestaltung und Einbildung. An dieser
189
Stelle konvergieren, wie sich herausstellt, Optimierung
und Speziation, Management und Rassialisierung, und
diese Konvergenz wird uns bereits 1832 in einem Buch
vorgestellt, das den Titel trägt Der Handlungsreisende –
wie er sein soll und was er zu tun hat, um Aufträge zu
erhalten und eines glücklichen Erfolgs in seinen Geschäften
gewiß zu sein – von einem alten Commis-Voyageur.
Selbstverbesserung, Selbstoptimierung impliziert eine
Geschichte, in der die Erfolgsleiter immer auch Misserfolgsleiter ist. Gregors Aufstieg und Abstieg sind
untrennbar miteinander und mit Kafkas Aufstieg und
Abstieg verbunden, in der Bewegung innerhalb seines
Schreibens von seinen Geschichten zu ihrer Geschichte.
In jedem Fall wollen wir in einer bescheidenen Ergänzung zu Jorge Luis Borges’ Liste von Kafkas Vorläufern
argumentieren, dass Die Verwandlung Kafkas Formalisierung des Problems des Handlungsreisenden ist, das
sich in einer Untersuchung tiefgreifender, existenzieller Heimatlosigkeit zeitigt. Denn man kann nicht mehr
nach Hause kommen, wenn man sich auf die Geschäftsreise begibt, deren Zweck es ist, das Zuhause zu sichern.
Es gibt keine richtige Rückkehr, weil kein Zuhause da
ist und weil diejenige, die geht, ohnehin nie diejenige
ist, die zurückkehrt, und weil, noch tiefer, diejenige, die
geht, vor allem nie eins war. Man kehrt nicht zurück,
man kann sich nur seiner Monstrosität zuwenden, sich
in sie wenden, inmitten ihrer ständigen Abwendung,
wobei diese ständige Abwendung von der Monstrosität die technische Definition dessen ist, was es ist, was
das Wort „zuhause“ bezeichnet. Das Problem des Handlungsreisenden ist, dass er es nicht nach Hause schafft.
Eine Möglichkeit, Die Verwandlung zu beschreiben, ist,
dass sie uns die Notwendigkeit und Unmöglichkeit vor
190
Augen führt, Heimatlosigkeit zu beanspruchen, diese
Monstrosität. Es ist eine Unvereinzelung, die die generelle Unvereinzelung offenbart, an der die Verbesserung
gewaltsam, brutal scheitert.
Man kann es auch so ausdrücken, dass die Monstrosität eine schiefgelaufene Verbesserung ist, und zwar nicht
von Anfang an, sondern schon davor. Was ist, wenn die
Idee des Besitzes über den eigenen Körper zusammen
mit der Idee des eigenen Körpers verhängt wird und
dann sofort von demjenigen weggenommen, der ihn
verbessern wird, ihn einem besseren Gebrauch zuführen
und damit einen unbestreitbaren Eigentumsanspruch
begründen wird? Eigentum kann nur in einem solchen
Transfer bewiesen werden, demonstriert werden, in dem
das Besessene als Monster, als (gescheiterte) Verkörperung monströser Trennung etabliert wird. Indem sie in
der Entwertung verbessert wurden, ist ihr untergeordnetes Sein, gegeben in und als Speziation, Beweis für
die Idee des Eigentums selbst. Eine Monstrosität, die
als mehr oder weniger unkontrollierbare Generativität
gegeben ist, als tiefgreifende Gefahr, als Problem der
Verwandlung, immer unvollendet, immer im Verfall, nie
vollkommen, immer gleichzeitig mehr und weniger als
eins, kann immer nur ent-/ange-eignet sein. Aber ist
diese Bedingung – die zunächst als gemacht und zugleich ungeschehen gemacht zu entstehen scheint, etwas, das wir gerade insofern anstreben können, als es
bereits in uns ist – unpräzise an dem Ort festgehalten,
an dem die Reinigung von der Abwertung berührt wird?
Kafka will rein sein, und er will frei sein, aber um zu diesem Zustand zu gelangen, muss er die Stockungen des
Schreibens aushalten – genauer gesagt, eines Schreibens,
das mit Schüben und Stößen, mit Umwegen und
191
Verzögerungen zu tun hat, eines Schreibens, das nicht
so sehr ohne Endpunkt ist, sondern vielmehr brutal
in einer unendlichen, unendlich unterteilten, aber begrenzten Endstation gehalten wird. Gibt es eine Möglichkeit, dass ein endloses Schreiben – das zugleich ein
geschlossenes Schreiben ist – eine Öffnung finden und
beanspruchen kann, die notwendigerweise eine Verwundung wäre? Wir denken, dass dies die Frage ist, die
Gilles Deleuze und Félix Guattari mit dem Begriff des
Kleinen, mineur, stellen, oder, genauer gesagt, mit der
Aktivität oder Kraft (Kafka nannte sie ambivalent wolllüstiges Geschäft) der Minorisierung, die in ihrer Kontinuität mit der Monstration und der Speziation betrachtet werden sollte. Man kann sich das so vorstellen, als
hätte man einen Apfel im Rücken stecken. Es ist, als ob
man nicht nur mehr und weniger als eine_r geworden ist,
sondern auch, dass man hier, wo sich Verfall und Erzeugung verbinden, zu Erde geworden ist. Innerhalb dieser
Unvereinzelung haben wir ein Zeichen, das die generelle
Unvereinzelung andeutet. Wie kann Optimierung durch
Repräsentationen des Nicht-Optimalen erreicht werden,
die selbst unter zutiefst nicht-optimalen Bedingungen
mit zutiefst nicht-optimalen Methoden produziert werden? Und es gibt eine Kehrseite: Wie kann radikaler
Widerstand gegen die Optimierung gleichsam modelliert werden von denjenigen, deren Monstrosität darin
gegeben ist, dass sie am nachdrücklichsten und tiefsten
der Optimierung unterworfen wurden? Genauer gesagt
kommt hier Monstrosität ihr zu, deren Verweigerung
der Optimierung, der sie unterworfen wurde, die eigentliche Bedingung ihrer Existenz ist. Eine solche Monstrosität wäre die beste aller möglichen Weltlosigkeiten.
Was kann also passieren, wenn wir Gregors Monstrosität
192
denken, die Monstrosität, die im Problem des Handlungsreisenden gegeben ist, die spezifische Heimatlosigkeit als die besondere unmögliche Häuslichkeit,
die in und als schwarzes weibliches Fleisch gegeben
ist? Spillers diskutiert die Notwendigkeit, deren Gewalt
mehr + weniger als göttlich ist, die Notwendigkeit, die
Monstrosität zu beanspruchen, die mit dem einhergeht,
was sie den Diebstahl oder Verlust des Körpers nennt,
der Fähigkeit oder des Rechts, sich, wie Salamon es ausdrückt, einen Körper anzueignen, während Acosta sich
dem aufständischen sozialen Leben widmet, das in so
etwas wie einer gemeinsamen Verweigerung gegeben ist,
diese Bedingung (versuchsweise) zu kompensieren, die
durch diese Verweigerung als Verlust und Fund und Revolte begriffen werden muss. Die Hauptfrage, die uns
umtreibt, lautet: Was wäre, wenn Gregor nicht eins (der
einzige) wäre, weil er es als Funktion seiner Monstrosität
nicht sein kann? Was, wenn er sich nicht weigerte, eine
Kakerlake zu sein, sondern eine Kakerlake ohne Volk zu
sein? Dies ist keine Frage der Identifikation mittels einer
Metapher, wie etwa: Was wäre, wenn es andere gäbe,
die durch Speziation die Fähigkeit verloren haben, einen
Körper zu haben? Die Frage ist vielmehr, was, wenn es
ein gemeinsames soziales Leben gibt, das in einer vielfältigen Modalität von Ansprüchen an die Monstrosität
gegeben ist, in und als geteilte Beschwerde, in und als
Remonstranz, in einer praktischen Demonstration dessen, „was über allen Schein hinausgeht“, und, was das
angeht, auch über die individuelle Innerlichkeit? Dies
würde ein neues Verständnis der Ursprünge und der sie
herbeiführenden Bedingungen der Monstrosität erfordern. Was wäre, wenn Gregors Perversion oder Perversität
nicht nur nicht einsam, sondern auch nicht seine eigene
193
wäre? Was wäre, wenn sie aus dem geschlossenen System, das in der Beziehung zwischen Optimierung und
Eigentum gegeben ist, irgendwie herausragen würde,
oder, genauer gesagt, was wäre, wenn sie eine Art Rascheln unter einem Laken wäre, das ein Sofa bedeckt,
eine Andeutung einer armen Art von Indigenität, eine
anindigene Monstrosität, die ihrer Produktion-inVerbesserung vorausgeht, ein unaufhörlich demonstratives Schwarzsein, das ebenso wenig verbessert wie bewiesen werden kann. Es geht hier um die Frage nach der
allgemeinen Unvollkommenheit des Prozesses, die sich
von einem als vollkommen konzipierten Begriff des Prozesses unterscheidet, der irgendwie für die Unvollkommenheit einstehen und sie verdrängen soll, indem er sie
lediglich dem Produkt entgegensetzt. Es dreht sich um
eine Radikalisierung des Prozesses, eine Aktivierung der
Fähigkeit, Management zu vermeiden. Vielleicht können wir uns Verwandlung hier in ihrer Differenz zum
Prozess oder als diese Radikalisierung des Prozesses vorstellen; wir können, mit anderen Worten, den Widerstand der Verwandlung* gegen die Verwaltung* denken.
Das betrifft nicht nur die aggressive Aufdringlichkeit von
Gregors Prokuristen, sondern auch die Allgegenwart des
Managements in seinem Leben, die es unbehaust und
schließlich unlebbar macht. Innerhalb dieses Regimes
ist die hoffnungsvoll-befreiende Inwertsetzung, in der
der Prozess gegen und über das Produkt gestellt wird,
nicht verfügbar. Noch einmal: Ein Produkt hat einen
Wert, der gemessen werden kann. Ein Prozess hat einen
Wert, der nur vorübergehend abgelesen werden kann. Es
braucht eine Metrik, um ihn zu erfassen, das heißt, um
ihn in einer tödlichen Kopplung mit dem Produkt innerhalb einer kommerziellen Metaphysik der Produktivität
194
zu halten. Operations Management, an dessen frühester Ausprägung Gregor leidet, richtet sein Augenmerk
nicht auf die Effizienz, die durch den in der Ware realisierten Profit gemessen wird, sondern vielmehr auf die
Effizienz des Prozesses, die im Moment, und doch andauernd, in der Vorwärts- und Rückwärts-Integration
und im Management der Wertketten, gemessen wird,
die durch die Metrik algorithmisch realisiert werden.
Noch einmal: Was die Logistiktheoretiker_innen vom
Algorithmus wollten, war beständige Neuberechnung,
Metrik, nicht Messung; und noch einmal: In der genetischen und evolutionären Erzeugung von Algorithmen
glauben sie, endlich das eliminiert zu haben, was sie „das
Kontrollmittel“ nennen – die lebendige Arbeit – und
darüber hinaus auch den „menschlichen Fehler“. Diese
Eliminierung des Irrens hat eine lange Geschichte, so
lange wie die Setzung des Menschen in seiner Vollkommenheit und die Verbesserung derer, die nichts anderes
sind als der Mensch in seiner Entwertung, die sowohl
unterstellt als auch auferlegt wird.
Es ist diese Fähigkeit, die Unfähigkeit zu denken
und darzustellen, das Irren im Menschlichen abzuwehren, den schwarzen und unmenschlichen Makel zu regulieren und zu verwalten, die uns dazu bringt, Van
Peebles und seinen Ante-Helden Jeff Gerber als Vorläufer Kafkas, wie wir ihn sehen, zu denken, der uns ein Bild
von Gregors anti-heroischem Zustand bietet, teilweise
als Unfähigkeit, eine bestimmte Monstrosität zu beanspruchen, als einen Beitritt eher als einen Widerstand
oder eine Verweigerung des totalen Zugriffs. Gibt es einen
Unterschied zwischen Gregor und jener frechen, alles
andere als sapphirenen Wassermelonenmännlichkeit
– in der einer aufwacht und erkennt, dass er nicht ist,
195
insofern er schwarz ist, ein Schwarzsein, das er in einem anstrengenden Regime beständiger Verbesserung
zu bannen versuchte, sodass Gerber sich als jemand offenbart, der die ganze Zeit durchgegangen ist? Der
Watermelon Man, dessen Selbstverbesserung scheinbar unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht, als
hätte er sein eigenes Makeup, seine eigene Fähigkeit,
(sich) ständig etwas vorzumachen, buchstäblich weggeschwitzt, gegeben in und als Whiteface, das uns mit
seinem kühnen visuellen Scheitern neckt, stirbt nicht
allein in dem Raum, der nicht mehr der seine ist, aber
auch nie der seine war; vielmehr tritt er in die schwarze Sozialität ein und geht mit einem Drink in der Hand
in den Blues hinein. In der Verwandlung, so schlagen
wir vor, wird Gregor erkannt haben, dass er die ganze
Zeit ein Monster war, und dass er damit den Status der
Verschifften, der Verkauften in einer generellen Verweigerung und Aussetzung, einem Generalstreik gegen die
Kalkulation für sich beanspruchte, das heißt radikalisierte. Das Gehirn, in/und seine(n) Synapsen, ist nur
ein weiterer schlechter Begriff, eine brutale Verbegrifflichung des gehaltenen Fleisches – über den Körper, seine
raumzeitliche Konstitution und die damit einhergehende Metaphysik des besitzindividualistischen Selbst in
vernetzter Relationalität. Was bewertet wird, ist Arbeit,
die auf die Verbesserung des Flusses ausgerichtet ist, und
in der sozialen Fabrik kann der Fluss der Linie überall
verlaufen, und wir müssen in seine Ströme eintreten.
Aber was ist die historische Ökonomie, durch die
das Schwarzsein zum Schwarzen wird und das Schwarze zum Zeichen (ein Monster, eine Demonstration, ein
Zeigen) des Schwarzseins, wo das Schwarzsein seinen
Namen von seinem Zeichen ableitet, von dem, wodurch
196
es angezeigt wird? Das Zeichen bewirkt seinen schrecklichen Zauber gerade aus einer radikalen Nicht-Isolation
heraus. Nicht nur, dass es eine widerspenstige Sozialität bezeichnet; es instanziiert und materialisiert diese
Sozialität tatsächlich. Die Unregierbarkeit von Gregors
Gliedmaßen, als sei er mit den stigmatischen Charismata eines multilinearen, polyrhythmischen Funky
Drummers und seiner Unabhängigkeit begabt, zeigt,
wie das Fleisch die Nicht-Annahme des Körpers demonstriert, seine haptische Wachsamkeit in der Verankerung, auch wenn sie auch den Aufruhr anzeigt, der
damit einhergeht, dass man zum Knoten oder Knopf des
atmosphärischen Flusses reduziert wurde, im ständigen
Versuch, die affektive Reibung zu regulieren und zu diffamieren. In dem Raum, der weder jetzt noch jemals sein
eigener war, zeigt dieses Wechselspiel von Zugriff und
Unregierbarkeit, dass Gregor nicht in der Welt ist. Und
die Weise, wie dieses metoikische Draußenbleiben und
Unbehaustsein zu Hause geschieht, lässt fragen, ob er
jemals in der Welt war, und lässt fragen, wie es ist oder
was es bedeutet, in der Welt zu sein, in die Weltlichkeit
als Optimierung, als diese ständige Notwendigkeit der
Verbesserung verwickelt zu sein. Wird Gregor zu dem,
wozu ihn die Verbesserung zwingt, oder kehrt er zu dem
zurück, wozu die Verbesserung ausgesandt wurde, es zu
verbessern? Dieses Verhältnis – zwischen Verwaltung
und Verwandlung, in dem die Verbesserung mobilisiert
wird, um Veränderung sowohl anzuregen als auch zu unterdrücken – müssen wir wollen, um nicht außerstande zu sein, es abzulehnen. Können wir eine solche Unvollkommenheit umarmen und jeden alten und neuen
logistischen Kollaps aufs Neue verunvollkommnen?
Können wir die radikal generative und degenerative
197
Ineffizienz von Kafkas Schreiben ausdehnen und improvisieren? Van Peebles lehrt uns, dass ein solches Scheitern, eine solche kontinuierliche Sprengung des krönenden Abschlusses immer einen Versuch wert ist.
198
BASiS-GlAUBE
Die Erde bewegt sich gegen die Welt. Und heute ist die
Reaktion der Welt klar. Die Welt antwortet mit Feuer
und Flut. Je mehr die Erde aufwallt, desto bösartiger die
Reaktion der Welt. Aber die Erde bewegt sich immer
noch: Tonika Sealy Thompson mag es eine Prozession
nennen. Die Prozession der Erde ist nicht auf der Agenda der Welt. Sie ist keine Parade auf einem Paradeplatz.
Sie ist nicht in der Teleologie der Welt enthalten. Die
Prozession ist auch kein Karneval, der aufgeführt wird,
um diese Parade zu verhöhnen oder zu verwerfen, ihren
Platz einzunehmen. Eine Prozession bewegt sich unbewegt von der Welt. Die Prozession der Erde, um die sich
alle Prozessionen bewegen, schreitet im Schwarzsein
der Zeit. Und die Irdenen, die herumziehen und sich
in der Prozession der Erde bewegen, bewegen sich, wie
Thompson sagt, wie die Schwestern vom Guten Tod in
Bahia sich bewegen, in ihrer eigenen Zeit außerhalb der
Zeit. Gott ist in dieser Prozession so mächtig, dass er
nicht existieren kann. Nicht weil er überall in der Prozession ist, sondern weil wir es sind. Wir sind die bewegende, geschwärzte, schwärzende Erde. Wir drehen einander herum, graben uns gegenseitig um, schwemmen
uns gegenseitig ab, sinken mit uns zusammen und verfallen einander. Wir bewegen uns in einer irdenen Prozession, die sich zum Bass der Basis wiegt, selbst wenn
ihr Beat die Notfallreaktion der Welt aktiviert. Deren
Ersthelfer_innen werden Strateg_innen genannt. Die
Strategie reagiert auf den ständigen Ausbruch der Erde
in und aus der Welt. Die Reaktion nimmt die Form eines Begriffs an, dem die Form auferlegt wurde, die dann
der irdenen Informalität des Lebens auferlegt wird.
199
Manche sagen, es war Alfred Sohn-Rethel, der als erster herausfand, wie der Begriff in diesem Wechselspiel
von Bildung und Zwang in den Besitz gestohlen wurde, entführt und entwendet, in der Strategie zu einer
Waffe gemacht. Er sagte, dass die Abstraktion des Tausches, später die Abstraktion des Gelds uns dazu führte, in der Aufhebung von Zeit und Raum die Aufhebung der Materialität zu denken, und dies führte zum
Eigentum-Werden des Begriffs. Sohn-Rethel nimmt
die Spur dieses Diebstahls aber erst mit dem Dieb auf,
dem Individuum, das schon für den strategisierten und
immateriellen Begriff geformt und bereit ist, bereits von
ihm geformt und vorbereitet. Er will diesen Dieb überführen. Wir wollen ihn nach Hause bringen.
Wir wollen ihn nach draußen nehmen, denn draußen ist zuhause. Wir sind zuhause in der prophetischen
Aufwallung der Erde in Bewegung, dem Kreis-Lauf des
Flüchtigen, Heimsuchung in unseren Augen, Zuflucht
auf unseren Zungen. Unsere unheilige Kommune mit
denen, die sich weiter bewegen und dort bleiben, die
draußen bleiben, bevor sie draußen gehalten werden
können. Deshalb sind uns die Höllenhunde der Strategie
auf der Spur. Sie glauben, sie haben die Fährte unserer
Anführer_in aufgenommen. Aber unsere Anführer_in
ist nicht eine_r. Nennen wir sie Ali, nach Pasolinis
„Profezia“. Ali Blues Eyes. Pasolini dachte, sie käme in
der Prozession aus Afrika, um Paris zu lehren, wie man
liebt, um London die Brüderlichkeit zu lehren, um nach
Osten zu marschieren mit den roten Bannern Trotzkis
im Wind. Aber sie kam nie an, denn wir gingen zum
Singen nach Palermo, zum Fasten nach Alabama, zum
Meditieren nach Oaxaca. So wurde Ali zu Tan Malaka,
und wir gingen zur Fête, zur Jam, zur Studiengruppe.
200
Seit das Kapital erlebte, wie Lenin es besser gemacht hat,
bewegt sich das Kapital weg von der Strategie. Wenn
das Kapital heute einen Begriff einsetzt, soll ihn jeder
kaufen, aber keiner soll ihn glauben. Das Kapital mag
es strategische Universalität nennen. Oder es benennt
es gar nicht, weil es dem Kapital nicht um die Würde oder die Souveränität des Begriffs geht. Der Begriff
hat seinen Zweck erfüllt. Und sein Hauptzweck besteht
nun darin, der Logistik nicht im Weg zu stehen oder
Leitungsrohr der Logistik zu werden. Seine Qualität als
Eigentum und seine Eigentumsverpflichtungen bereiten ihn darauf vor, in eine aufgeraute, luftige Dünnheit
gekauft und verkauft zu werden. Die heute zirkulierenden Begriffe sind keine Abstraktion (von) der Ware; sie
sind Waren und können in ihrem Besitz und in ihrer
Eigentumsform nicht gegen die Warenform verwendet
werden. Ihre Form ist die Luft, die die Ware ausstößt,
containerisiert, alles andere als ungreifbare Einheiten
von Abgas und Erschöpfung. Sie sind nur eine weitere
Strategie. Und obwohl Strategie nicht abstrakt ist, ist
sie auch nicht wirklich wichtig. Was zählt, ist Logistik. Logistik, nicht Strategie, liefert das entscheidende
Kriterium. Strategie sorgt nur für die Reibung. Die Logistik bewegt den Begriff in den Kreisläufen des Kapitals herum. Das einzige Argument der Welt gegen die
Erde ist logistisch. Es muss getan werden. Die Bewegung der Erde muss gestoppt, eingegrenzt, geschwächt
oder verfügbar gemacht werden. Das Irdene muss klar
und transparent werden, verantwortlich und produktiv, vereint in der Trennung. Dabei geht es nicht um
den Einsatz des Begriffs, weder strategisch noch anderweitig, sondern um Zwang, um erzwungene Nachgiebigkeit, erzwungene Kommunikation, erzwungene
201
Konvertierbarkeit, erzwungene Übersetzung, erzwungenen Zugriff. Das Kapital argumentiert nicht, obwohl
viele mit ihm argumentieren.
Das Kapital mag die Unterbrechung. Das Kapital bewegt sich weg von der Strategie, es läuft hin zur Logistik, läuft als Logistik, läuft in die Arme des Algorithmus, seines falschen Liebhabers, der ihm treu ist. Von
der Strategie ist nur noch die Führung übrig, das Kommando, in dem man sich wiederfindet, wenn die Logistik übernommen hat, wenn die Einheit zu ihrem Recht
kommt. Für das Kapital ist die Strategie nur eine Form
der Nostalgie, oder der Beweis, dass es von seinen Feinden, die es umarmen, nichts zu befürchten hat, der Beweis, dass sie keine Feinde sind. Sie sind Befehlsausführende, die Befehle wiederholen. Sie nennen es Police.
Ali hatte nie das Kommando. Sie ist nur aus den Hungrigen gemacht. Sie ist nur aus Plänen gemacht.
In seinem Wunsch, das Kapital seine Materialität beanspruchen zu lassen, nahm Marx die von Ali. Versuchte, sie zu einer Führer_in zu machen. Aber Alis Prophezeiung war zu vermengt, zu schwarz, zu spät, zu laut.
Überschwemmt vom Kapital, haben die Irdenen die
Strategie begraben und gesprengt. Die Ersthelfer_innen
sagten uns, wir müssten lernen, strategischer zu sein.
Wir werden lernen, dass wir eine Strategie brauchen, sagen sie. Aber wir wissen, dass Strategie das Liefersystem
für einen Begriff ist, kollateral und angewandt. In der
Tat ist Strategie selbst nur ein Begriff in der Welt, der
universelle Ansatz. Das Kapital aber kümmert sich nicht
einmal darum. Das Kapital will nur, dass die Dinge reibungslos laufen, also universell. Dafür ist die Unterbrechung da, und die Führung, und die offene Innovation.
Das Kapital fürchtet die Strategie nicht. Es kann sich
202
kaum noch an sie erinnern aus den Tagen der weltlichen
Begriffe. Marx machte das Kapital zu einem Begriff.
Lenin sah seine Chance. So lernte das Kapital, wieder
materiell zu sein. Nein, das Kapital fürchtet die Strategie
nicht. Das Kapital fürchtet die Prozession der Erde. Alis
bluesige, schwarze Heiligen-Augen.
Gott hat alles, nur keinen Glauben; deshalb fordert
Er so brutal den unseren ein. Er sah sich um und war so
einsam, dass Er sich eine Welt schuf. Zu Recht glaubte Er nicht an sich selbst und zu Unrecht glaubte Er
nicht an uns. Wir waren weder ewig noch väterlich, nur
generativ und präsent, wie eine Welle. In Seinem Fall
war (Über-)Sehen nicht Glauben. Eine Ungläubigkeit
wie die Seine verlangt eine gewisse strategische Initiative. Jemals das Gefühl gehabt, dass wir beobachtet werden? Nun, das ist nur Gottes Eigentum, die Polizei, die,
die Seinen strategischen Essenzialismus verkündet und
ausführt. Sie haben ein paar Waffen, die wie Mikrofone aussehen. Manchmal schreiben sie Bücher. Sie sagen
uns, was wir brauchen. Oft sind sie wir. Wir sind gerade
alle außer ihnen, aber wir werden versuchen, so schnell
wie möglich wieder ein- und auszublenden. Mattafack,
lasst uns das ausloten, lasst uns das ausreden. Wenn ihr
jetzt anfangen könntet, über uns hinwegzureden, wüssten wir das zu würdigen.
Nathaniel Mackey spricht von unablässiger Prädikation – was, wenn dies unsere Existenz ist, gegeben in
und als Praxis des Gesangs, einer unaufhörlichen und
unaufhörlich erfinderischen Liturgie? Man könnte es
die Historisierung eines wahrheitsgetreuen Protokolls
nennen, in dem die Unterscheidung zwischen Falschheit und Verwandlung, Unwahrheit und ungeprüfter
Differenzierung in Ehren gehalten wird. Und es ist
203
nicht einmal vulgär temporal in der Weise, dass Aspekte zu sehen, wie Ludwig Wittgenstein es beschreibt,
eine Zeitlinie impliziert – erst war es eine Ente und
dann war es ein Hase. In der Gleichzeitigkeit von „es
ist eine Ente“ und „es ist ein Hase“ gibt es eine Art von
Musik. Ornette Coleman nennt es „harmonisches Unisono“, und wir können ihm folgen und gleichzeitig von
ihm abweichen, aber in ihm und durch ihn, indem wir
es anharmonisches Unisono nennen, eine differenzielle Untrennbarkeit. Wenn die Essenz die Existenz am
Wegesrand liegen lässt, folgt für die Essenz existenzielle
Einsamkeit. Was, wenn das Problem des Begriffs das
Problem der Trennung ist? Und was ist die Beziehung
zwischen begrifflicher Trennung und Individuierung?
Es geht um die Konvergenz von Körper und Begriff,
die in der transzendentalen Ästhetik gegeben ist.
Individuierung und Vollkommenheit sind eine Folge
davon. Auf der anderen Seite die bezaubert-gesungene,
bezaubernd-singende Materie, das gekippte Schwarzsein (wo Fleisch und Erde jenseits des Planetarischen
konvergieren, in und als nicht-partikuläre Differenzierung). Es geht nicht so sehr um eine Rückkehr zu
irgendeiner vorbegrifflichen Authentizität, sondern um
die ständige Durchlüftung der Materie, ihr ständiges
Umkippen, ihre Erschöpfung und ihr erschöpfendes
Ausloten, ihr aufsteigendes und wesentlich und existenziell sinnliches Absteigen. Das Problem ist die Abtrennung des Begriffs und unsere anschließende Einhüllung
in ihn – diese entsetzliche Souveränität des Begriffs und
seiner unterschiedlich hegemonialen Repräsentationen.
Erforderte die Erfindung der Souveränität den Begriff
oder trug der Begriff bereits die Gefahr der brutalen
Repräsentation(en) der Souveränität in sich?
204
Vielleicht liegt das Problem in der Trennbarkeit, in der
selbst auferlegten Einsamkeit-in-Souveränität des Begriffs und seiner Repräsentationen (als Verkörperung
oder Individuierung oder Subjekt oder Selbst oder Nation oder Staat). Wie stellen wir sicher, dass der Begriff
immer noch von Bedeutung ist? Wie verweigern wir seine Entmaterialisierung, selbst wenn diese Entmaterialisierung die Produktion von neuem Wissen, von neuen
kritischen Ressourcen ermöglicht zu haben scheint? Das
ist explizit eine Frage an Marx. Wenn die Sinne in ihrer Praxis – im Kommunismus, der hier ist, lebendig
begraben – zu Theoretikern werden, stellen sie Fragen
an denjenigen, der die Entmaterialisierung brillant für
uns kartographiert wie auch re-instantiiert, die das Kapital in der Trennung der Arbeitskraft vom Fleisch der
Arbeiter_in bzw. des Profits von diesem Fleisch in seiner irreduziblen Verwicklung mit der (Materie der) Erde
verfolgt. War das ein Beispiel für „strategisches Denken“?
Wenn ja, verlangt es, dass wir Strategie neu denken. Gibt
es einen Weg, die Beziehung zwischen Strategie und Improvisation zu denken, der es erschwert, eine Differenz
zwischen Unmittelbarkeit und Spontaneität aufrecht
zu erhalten? Es gibt eine vorsätzliche Geschwindigkeit
der Improvisation, die nicht einfach ein Rückgriff auf
das Vorbegriffliche ist. Vielleicht geht es um den Unterschied zwischen Bewegung und einer Bewegung oder
der Bewegung.
Oder vielleicht geht es um die Spur des Parfüms, das
freigesetzt wurde. Sie verändert sich im Sinnlich-Sein,
entreinigt sich im Geatmet-Werden. Es gibt eine Sozialisierung der Essenz, die in und als Sozialität selbst
gegeben ist, und vielleicht ist es das, wovon Marx unter dem Stichwort der sinnlichen Tätigkeit sprach, aber
205
gegen den Strich seines Festhaltens an einer Logik und
Metaphysik der (Individuierung in) Beziehung. All dies
lässt uns fragen, was der Unterschied zwischen Strategie und Glaube ist. Wenn wir hier Unterschied sagen,
meinen wir eigentlich Umarmung – wie Strategie und
Glaube sich aneinander reiben in einer Art haptischer
Eklipse, oder akustischen Eintauchens, oder olfaktorischer Störung, oder geschmacksmäßigen Schwindens
der Übersicht. In dieser Hinsicht ist der strategische
Essenzialismus so etwas wie der homiletische Anteil des
Seelenmahls oder, genauer gesagt, das ana- und anicharismatische Teilen der homiletischen Funktion in
der Gemeinde und durch sie. Wenn wir „Predige!“ rufen,
wenn wir die Predigt hören, predigen wir selbst. Es ist
wie eine Konferenz der Vögel – eine ständige Re-Materialisierung und Ausbreitung des Begriffs; eine ständige
Sozialisierung des Begriffs eher als eine Art zweckdienliche Verfügung von irgendeinem selbsternannten Berater, der sich mit der überblickenden und überwachenden
Macht der Übersicht begabt sieht. Vereinnahmung und
Umwidmung des strategischen Essenzialismus durch
den Berater sind ungläubig und einsam. Er strahlt die
souveräne Religiosität des Ungläubigen aus. Lass mich
dir sagen, was wir brauchen oder nicht, sagt er und verdoppelt den Einsatz auf dich immer dann, wenn er „wir“
sagt, mit einer schwerwiegenden Auferlegung von Ich
und Du, einem charismatischen Aufschwung, der seine
Traurigkeit in der seriellen Entseelung seiner persönlichen Beziehungen irgendwie verleugnet und zugleich
bestätigt, was von uns als toxischer Trost empfunden
wird, von demjenigen angesprochen und thematisiert
zu werden, der es wissen sollte. Vielleicht ist die Frage also nur, woher der strategische Essenzialismus, der
206
strategische Universalismus oder der Begriff im Allgemeinen kommt. Die unablässige Prädikation birgt einen
Boogie-Woogie-Rumble, wo der aufgeschobene Traum
zum siegreichen Rendezvous wird. Hier unten im Untergrund, wo das Reich Gottes umgestürzt wird und das
Handgemenge überhandnimmt, ist ein genereller Griot
im Gange. Seine Strategie (und die seiner Vertreter_innen, die uns vertreten müssen, aber nicht können) sieht
sich erschöpft und von unseren Plänen umgeben.
Es gibt eine Bewegung der Erde gegen die Welt. Es
ist nicht die Bewegung. Es ist nicht einmal eine Bewegung. Es ist eher wie das, was Tonika eine Prozession
nennt, eine Prozession, die den heiligen Fluss herunterkommt, eine Prozession in Schwarz, drapiert in Weiß.
Die Prozession der Erde schwingt mit uns. Sie bewegt
sich in Form eines Gesangs. Sie kommt der Basis in die
Quere, kommt dem tanzenden Tao in die Quere, und
bewegt sich mit ihm. Sie verbeugt sich vor den Schwestern vom guten Fuß, die Blumen aus Calibans unzärtlichen Gärten tragen. Die Erde ist in Bewegung. Du
kannst nicht von außen dazukommen. Du kommst von
unten herauf und fällst zurück in ihre Gischt. Das ist die
Basis ohne Grund, ihre staubige, wässrige Disorchestrierung auf dem Vormarsch, gebogen, auf der Flucht.
Unten, wo es grün ist, wo es salzig ist, bewegt sich die
Erde gegen die Welt unter der Decke des Schwarzseins,
seiner postkognitiven, inkognitiven Arbeiter_innenUntersuchung und des letzten Radios, das noch spielt.
Die Erde ist lokale Bewegung in der Desegregation
des Universellen. Hier ist die Tür zur Erde ohne Rückkehr nach Hause, und wer durch sie gehen wird, ist bereits zurück, zurück von jenseits, hinübergetragen, karibisch. Pasolini sagte, Alí dagli Occhi Azzurri wird durch
207
die Tür über das Meer gehen und die Verdammten der
Erde führen. Ali Blues Eyes. Aber wir werden Paris
nicht lehren, wie man liebt. Wir können London nicht
die Brüderlichkeit zeigen. Ali nahm Trotzkis rote Fahnen und machte etwas für uns – ein Taschentuch, eine
Bandage, einen Kuss.
208
PlAntokRAtiE Und koMMUniSMUS
1.
Wenn Foucault seine Hinweise für ein nicht-faschistisches
Leben vorbringt 74, tut er das im Vorgriff auf eine Kultivierung des Selbst, die er als Gegenstrategie zur Produktion des Individuums verstanden haben mag. Doch
er sendet seinen Selbsthilfetext hinaus in eine Welt der
interpersonalen Beziehungen, wie er sie auch in seiner
Darstellung des intimen Aufstiegs des Neoliberalismus
dokumentiert. Man könnte sagen, er legt seinen Text in
den Mund des demokratischen Despotismus. Der Neoliberalismus war nichts anderes als die Vervollkommnung der Südstaatenstrategie, wie sie Nixon und seine
Helfer_innen verfeinert haben. Bei der Südstaatenstrategie ging es natürlich nie nur um den Süden der Vereinigten Staaten. Es ging um die globale Hegemonie
der Plantagenbesitzer_innen. Eine globale Plantokratie,
eine Plantagenherrschaft, auf der Basis des demokratischen Despotismus. In dieser Hinsicht ist Nixons politische Strategie für die Vereinigten Staaten eine Erweiterung der Außenpolitik der Brüder Dulles, die ihrerseits
Vgl. Michel Foucault, „Vorwort“, in: ders., Schriften in vier Bänden.
Dits et Ecrits. Schriften , Band III: (1976-1979), 176-180 (im Original auf Englisch als Vorwort zu Gilles Deleuze / Félix Guattari, AntiOedipus: Capitalism and Schizophrenia, New York: Viking Press 1977,
XI-XIV). Dieses Kapitel begann als Call and Response mit unseren
Freund_innen bei BAK, Wietske Mass und Maria Hlavajova. Zum
nicht aus dem Individuum abgeleiteten Dividuellen vgl. Gerald Raunig, Dividuum. Maschinischer Kapitalismus und molekulare Revolution,
Band 1, Wien et al.: transversal texts 2015.
74
209
ein transnationales Echo der Unterdrückung der Black
Reconstruction in America war.
Der Neoliberalismus besiegelte den Global Deal des
demokratischen Despotismus. Wie Du Bois erklärt, war
der demokratische Despotismus eine innovative Form
der globalen Color Line. Arbeiter_innen würden als
Weiße bezeichnet, und ihnen würden Stellvertreterpositionen in der Herrschaft eines jeden Landes angeboten, im Austausch dafür, dass sie sich mit den
herrschenden Klassen gegen People of Color innerhalb und außerhalb der Grenzen dieser Nation verbündeten. Bei der Lektüre von Du Bois erkennen wir jedoch eine zweite Dimension dieser Stellvertreterschaft,
die Absicherung des Deals durch ein – wenn auch
stets vereiteltes – Individuierungsversprechen für diese
Arbeiter_innen. Oder, heute: für diese Hausbesitzer_innen. Das heißt, es ging beim demokratischen Despotismus auch um die Demokratisierung der Despotie. Wir
haben diese Demokratisierung als policy, als „Police“
bezeichnet. Aber ein derart gehacktes Wort sollte die
Brutalität der Vereinbarung nicht verbergen. Jeder dieser Personen wurde die Möglichkeit geboten, sich durch
despotische Gewalt gegen das Schwarzsein zu individuieren (was hier am besten als die Verweigerung des
verweigerten Zugriffs auf die Einheit von Weißsein und
Personsein zu verstehen ist). In dieser despotischen Gewalt bestand tatsächlich der zentrale Herstellungsprozess des vereitelten Individuums. Die Produktion weißer
Leute im industriellen Maßstab erforderte diese Demokratisierung der Despotie. Die Zustimmung zu einer
Welt des Despotismus, in der man sein „Selbst“ durch
fortwährende räuberische Gewalt gegen diejenigen beweist, die die von ihnen dargestellten Unterschiede
210
beanspruchen, erforderte es natürlich, dass man die Demokratisierung des Despotismus als allgemeines Prinzip
akzeptierte. Das bedeutete, ihn im Militär, im Staat und
vor allem am Arbeitsplatz zu akzeptieren, mit anderen
Worten als Fordismus und später als logistischen Kapitalismus, die jeweils auf ihre Weise einen brutalen kleinen Diktator an jedem Arbeitsplatz erforderlich machen
und fabrizieren. Und sobald der Despotismus von den
weißen Leuten akzeptiert wird, in und als jedes kleine
Ritual ihrer eigenen Selbstakzeptanz, die alle auf eine
endlose Verzögerung, einen ewigen Aufschub hinauslaufen, wird das Interpersonale zur einzigen Möglichkeit,
ihn zu beschwichtigen. Wenn interpersonale Beziehungen das Reservoir des Weißseins bilden, das die Leute
für tote Energie und unnachhaltigen Unterhalt anzapfen, dann wird das Intersektionale zum einzigen Weg
für die, die auf das Warten warten, deren doppelt unendliches Warten die Form der Kritik annimmt, die den
ständig verdoppelten Despotismus, den sie erfahren, beschwichtigt. So oder so warten alle (Körper) vergeblich.
Aber das Interpersonale ist nicht nur der Aufgabe der
Beschwichtigung nicht gewachsen, es reproduziert und
verfeinert sogar die vereitelte Individuierung und den
demokratischen Despotismus. Das sind die Bedingungen, unter denen die Südstaaten-Strategie aufgeblüht
ist; das ist die verstreute Erde der Plantokratie. Und nun
beweist der Abriss der Konföderierten-Statue, dass die
Strategie triumphiert hat. Die globale Plantokratie regiert, wenn die Denkmäler gehen lernen und in Menschengestalt wüten können, wie Patrouillen zur Gefangennahme entlaufener Sklav_innen. Aber wie können wir
Foxconn oder Goldman Sachs als Plantagenbesitzer_innen bezeichnen? Weil sie daran arbeiten, die Bedingung
211
aller Plantokratien zu erfüllen. Plantagenbesitzer_innen versuchen, das ganze Land, das ganze Wasser, die
ganze Luft, alle Nahrungsmittel, Tiere und Pflanzen zu
kontrollieren und zu konzentrieren. Die Leute in Fabriken zu drängen, war nur eine vorübergehende Taktik in
dieser Kontrolle und Konzentration, nicht das Endspiel.
Der Marxismus hat das nicht verstanden. Das Endspiel
besteht darin, dass niemand außerhalb ihrer Herrschaft
überleben kann, dass jeder und alles in den Rachen der
Plantagenbesitzer_in wandern muss oder, anders ausgedrückt, dass die Erde selbst konsumiert werden muss.
Das Finanzwesen ist ganz eindeutig in der Lage, seine
bedrohlichen Mittel einzusetzen, um dies zu erreichen.
Ebenso die Logistik. Das sind die Wissenschaften der
Plantagenbesitzer_in. Dieses Regime als eine Plantokratie
zu verstehen, die in der individuierenden Gewalt des demokratischen Despotismus gedeiht, führt jedoch nicht
zur Vorstellung, dass es kein Außen der Welt gäbe.
Es führt dazu, ein Land zu finden, das und mit dem
man teilen kann. Denn angesichts dieses Despotismus
brauchen wir einen Ort, an dem wir wirklich Sorge tragen können, und das bedeutet die kollektive Zerstörung
des Interpersonalen und mit ihr und durch sie die Zerstörung des Trugbilds vom Individuum, in offenen Praktiken des Willkommenheißens und des Besuchens. Das
kann nicht im Konflikt mit der Plantokratie geschehen,
wo das Interpersonale oder die Freiheit oder das nichtfaschistische Leben zu unserer unzulänglichen Waffe
wird. Es ist eine Schlacht, die nur im militanten, selbstverteidigenden, selbstvernichtenden Rückzug der neuen Angreifer_innen gewonnen werden kann. Und angesichts des Wesens der Herrschaft in der Plantokratie
bedeutet Rückzug, Land zu finden, das flüchtig ist, das
212
die Herrschaft über Land, Wasser, Luft usw. flieht, und
dann dieses Land anautonom genug einzurichten, um
die Behandlung zu beginnen. Das Land kann eine besetzte Garage in der Stadt oder eine verlassene Mühle auf
dem Lande sein. Die Behandlung kann darin bestehen,
eine Band zu gründen, ein Barbecue zu veranstalten, zu
tanzen und zu trinken. Es kann ein Bauernhof und eine
Kindertagesstätte sein, ein experimentelles Schreibkollektiv oder eine feinmechanische Werkstatt. Jede Form
der Entgiftung aus dem Interpersonalen. Es wird keine Verbündete geben, keine Vorladungen, keine Gegendarstellungen. Jede Aggression wird massiv sein. Und
wenn wir gewinnen, wird es Schwarzsein in Sonnenschauern regnen, und die Zeit wird verschwinden.
2.
Für diejenigen unter uns, die aus der schwarzen radikalen Tradition kommen, ist es schwierig, uns die
derzeit populäre Zeitlinie in Bezug auf den Faschismus zu eigen zu machen. Wenn der Faschismus zurück ist, worauf der Common Sense in Europa und
den USA zu dringen scheint: Wann ist er dann verschwunden? In den 1950er Jahren mit Apartheid und
Jim Crow? In den 1960er und 70er Jahren? – Nicht für
Lateinamerikaner_innen. In den 1980er Jahren? – Nicht
für Indonesier_innen oder Kongoles_innen. In den 1990er
Jahren, dem Jahrzehnt der intensivierten staatlichen Gefängnisgewalt gegen schwarze Leute in den Vereinigten
Staaten? Wir wollen die besondere Mischung aus Fortbestehen und Wiederaufleben des Faschismus in Europa
nicht leugnen, die zur vermeintlich antifaschistischen
213
Haltung wurde, sobald Immigrant_innen damit begannen, Europa nach seiner letzten rassistischkapitalistischen Selbstzerstörung wieder aufzubauen;
aber wir wollen sehr wohl etwas sagen über den grundlegenden Unterschied zwischen einem Leben mit den
Commons und dem Undercommons-Leben, denn wir
folgen der schwarzen radikalen Tradition und ihrem
erweiterten Verständnis von historischem Verlauf und
geografischer Reichweite des Faschismus.
Die Idee der Commons als eine Reihe von Ressourcen und Beziehungen, die wir, als ansonsten Ausgebeutete und Enteignete, aufbauen oder schützen, verwalten
oder ausbeuten, bedingt mehrere Annahmen und folgt
zugleich aus ihnen. An erster Stelle steht die Annahme, dass wir niemals etwas anderes als schon geteilt und
schon teilend sein können. In der Tat ist die Bedingung
unserer Fähigkeit zu teilen, dass wir geteilt sind. Mit
anderen Worten sind wir keine Individuen, die sich entschieden haben, mit oder durch die Commons in Beziehung zu treten. Die Commons können uns nicht versammeln. Wir sind bereits versammelt, da wir bereits
verstreut und eingestreut sind. Die Idee der Commons
führt zur Vorannahme interpersonaler Beziehungen und
damit der Person als einer unabhängigen, strategischen
Akteur_in. In diesem Weltbild machen solche Personen
nicht nur Commons, sie machen Staaten und Nationen.
Die Undercommons sind die Verweigerung des Interpersonalen und damit auch des Internationalen, auf dem
Politik aufbaut. Undercommons zu sein bedeutet, unvollkommen und im Dienste einer geteilten Unvollkommenheit zu leben, die die Funktionsuntüchigkeit des Individuums und der Nation einräumt und auf ihr beharrt,
während diese brutalen und unhaltbaren Fantasien
214
und alle materiellen Effekte, die sie hervorbringen, im
immer kürzer werdenden Intervall zwischen Liberalismus und Faschismus oszillieren. Diese funktionsuntüchtigen Formen versuchen immer noch, durch uns zu
funktionieren.
Wenn die Undercommons nicht die Commons sind,
wenn das neue Wort etwas am alten Wort Unangemessenes aussagt, dann wäre es dies: dass die Undercommons
keine Ansammlung von Individuen-in-Beziehung sind,
was genau die Form ist, wie die Commons traditionell
theoretisiert worden sind. Wir haben versucht, etwas
unterhalb die Individuierung zu sehen, die die Commons
tragen und verstecken und zu regulieren versuchen. Es
ist das, was in der Unmöglichkeit des Einen und der Erschöpfung der Idee des Einen selbst gegeben ist. Was,
wenn es bei der Praxis des gemeinsamen Lebens nicht
um neue Definitionen von Macht geht, nicht um neue
Beziehungen über die Differenz hinweg? Was ist, wenn
die Idee neuer Definitionen von Macht und neuer Beziehungen über die Differenz hinweg selbst nichts anderes wäre als eine Entfremdungsmaschine?
3.
Was würde geschehen, wenn das Wort „Universität“ jedes Mal, wenn es benutzt wird, so klänge wie „Fabrik“?
Warum glauben die Leute, dass die Arbeit an der Universität etwas Besonderes ist? Die Universität ist eine
Ansammlung von Chancen und Ressourcen; ein Lager von Waffen und Vorräten; eine Konzentration von
Gefahren und Fallstricken. Sie ist kein Ort, den man
besetzt oder bewohnt, sondern ein Ort, an dem man
215
arbeitet, an dem man so schnell und raubgierig ein- und
ausgeht, dass seine Grenzen verschwinden. All diese Arbeit sollte darin bestehen, die Fähigkeit zu sichern, diese Ressourcen zu nutzen und diese Chancen zu ergreifen
und sie in dem Maße weiterzugeben, wie sie nützlich
sind. Sie ist nicht ein Punkt auf einer Linie. Sie ist kein
ambitionierter Anfang, kein ambitioniertes Ende; sie
ist ein Atmungsorgan, das ganz sicher mit Bösartigkeit
durchsetzt ist. Als ob sie tatsächlich etwas mit uns zu
tun hätte, verlangt sie von uns, dass wir uns Gedanken darüber machen, was Bauern über die Arbeit auf
einem Bauernhof denken, bevor diese Tätigkeit in der
Identität „Bauer“ geronnen ist. In diesem Sinne geht
es bei den Undercommons, wenn überhaupt, nur am
Rande um die Universität; und es geht bei den Undercommons entscheidend um eine Sozialität, die nicht auf
dem Individuum basiert. Wir würden sie auch nicht als
eine beschreiben, die aus dem Individuum abgeleitet ist
– bei den Undercommons geht es weder um das Dividuelle noch um das Prä-Individuelle oder das SupraIndividuelle. Undercommons sind eine Verbundenheit,
eine Gemeinsamkeit, eine Diffunität, eine Geteiltheit.
Wenn wir die Universität überhaupt hervorgehoben haben, dann deshalb, weil sie die Fabrik war, in der wir
zum Zeitpunkt unserer Analyse arbeiteten.
Das alles bedeutet, dass die Undercommons keine besondere Beziehung, keinen relativen Antagonismus zu
einem durch die kapitalistische Arbeitsteilung geschaffenen Sektor namens Hochschulbildung haben. Wie
Marx sagte, schafft der Kriminelle das Strafrechtssystem.
Wir finden „informelles und situiertes Wissen“ unter
den Gefangenen, den Familien der Gefangenen, den
Gerichtsschreiber_innen und –reporter_innen u.s.w. Es
216
ist diese Undercommons-Arbeit, die der Rechtssektor
ausbeutet. Anwält_innen und Richter_innen sind in
erster Linie Aufsichtspersonal. Und so ist es auch bei
der heilenden Arbeit von Patient_innen und Familien,
die den Gesundheitssektor ausmacht. Ärzt_innen und
Pfleger_innen sind in erster Linie Aufsichtspersonal.
Jenseits aller Ideologie von der besonderen Aufgabe des
Hochschulsektors lohnt es sich, an zwei Dinge zu erinnern. Erstens: Die Studierenden machen das Hochschulsystem aus. Professor_innen sind in erster Linie
Aufsichtspersonal. Zweitens: Studierende, die darauf
hinarbeiten, Lehrer_innen zu werden, egal in welchem
Bereich, werden – alle – für das Management aufgebaut.
Die Studierenden spüren diesen Widerspruch, und es
tut weh, weil sie von der Fertigung ins Management
wechseln. Aber Tatsache ist, dass, wenn man in unserem
System für Geld unterrichten will, von einem_r erwartet
wird, dass sie Aufsicht hält. Das alles müsste nicht gesagt
werden, wenn wir über die Automobilbranche sprechen
würden. Diejenigen, die in einem Automobilwerk arbeiten, kennen ihre Rolle. Wenn sie löten, sind sie Arbeiter_innen. Wenn sie die Qualität und Geschwindigkeit
des Lötens evaluieren, sind sie Management. Natürlich
werden auch Manager_innen bewertet, und manchmal
scheint so etwas aufzutauchen, wie ein Appetit darauf,
benotet (und damit degradiert) zu werden, der mit dem
Appetit auf das Benoten/Degradieren einhergeht. Aber
das ist ein kleiner Maßstab, verglichen mit der Mechanik der „Lehrenden-Studierenden-Beziehung“, der sich
das Studium verweigert.
Die Erkenntnis, dass man in unserem System Aufsichtspersonal werden muss, um für Geld zu lehren,
selbst für lausiges Geld, kann dann zu zwei Formen der
217
kollektiven Organisation führen. Wir können unser
Geld aus dem Job holen und gemeinsam etwas anderes
machen, oder wir können daran arbeiten, ein System zu
stürzen, das Studium an Aufsicht kettet, denn nur dieser Umsturz wird jene Linie durchbrechen. Und da jeder Exodus sowohl nirgendwo hingeht als auch das untergräbt, was er hinter sich lässt, kommen diese beiden
Formen des Organisierens an einem bestimmten Punkt
zusammen. Jeder andere Ansatz wartet nur darauf, als
„Aufseher_in des Monats“ oder mit einem „Preis für
hervorragende Lehre“ ausgezeichnet zu werden.
Natürlich gehört es zur Ideologie des universitären
Exzeptionalismus, dass es der Universität unter dieser
kapitalistischen Arbeitsteilung erlaubt ist, Wissen zu
sammeln, also nicht nur ihren eigenen Sektor und ihre
Studierenden zu betreuen, sondern auch andere Sektoren zu beaufsichtigen. Sie schafft durch Forschung agrarwissenschaftliche Abteilungen, um an der Aufsicht des
Agrarsektors teilzuhaben, oder eine Kunstabteilung, um
an der Aufsicht des Kunstmarkts teilzuhaben. Aber das
sollte uns nicht täuschen. Es ist gleich wie im Bankensektor, wo Aufsicht und Überwachung anderer Sektoren
Papiere und Berichte produzieren.
4.
In Gesprächen über die Praxis des Studiums thematisieren wir oft, dass das System, sobald wir die Praxis des
Studiums beginnen, auf uns zukommen wird, egal wie
unbedeutend uns unser Studium erscheint. Und so gibt
es wirklich keine Möglichkeit, uns aus dieser Bindung
zu lösen, angesichts des ständigen Potenzials, das wir in
218
uns tragen, Engagement hervorzurufen. Das Leben verlangt, dass wir dieses Potenzial immer wieder hervorbringen, trotz der Konsequenzen.
Engagement selbst richtet uns jedoch auch immer
wieder auf eine Art und Weise aus, die uns in einer Vorstellung von uns selbst als strategischen Akteur_innen gefangenhält, mit antagonistischen Beziehungen
zu Machtsystemen. Der allgemeine Antagonismus lässt
weder Strategie noch strategische Beziehungen noch
strategische Akteur_innen zu. Vielmehr verweist er auf
den fundamentalen Antagonismus von allem als Differenz: Aufeinanderprallen, Gegeneinanderstehen, Entstehen und Vergehen ohne Akteur_innen oder Strategien. Akteur_innen mit Strategien, d.h. Individuen,
missverstehen diese Differenz als etwas, aus dem heraus sie Wahlmöglichkeiten, Entscheidungen oder Beziehungen gestalten können, d.h. auch, aus dem heraus
sie sich selbst gestalten können. Aber der allgemeine
Antagonismus wird dich, egal wie sehr es dich treibt,
nicht loslassen, denn er ist wir. Deine Bemühungen, dich
selbst zu erkennen und erkannt zu werden, werden an dir
Amok laufen.
Aus diesem Grund finden wir Komplizität nützlich.
Wenn die Leute angesichts von Komplizität besorgt
sind, dann ist das genau die Angst vor dem allgemeinen Antagonismus. Wenn jemand typischerweise darüber besorgt ist, wie seine künstlerische oder kuratorische Praxis durch die Komplizität mit dem Museum
kompromittiert wird, oder darüber besorgt ist, wie ihre
Forschung und Lehre durch die Komplizität mit der
Universität kompromittiert wird, dann liegt dieser Sorge die Angst zugrunde, sich inmitten dieser Komplizität nicht selbst sortieren zu können. Die Person kann
219
nicht sagen: Das bin „ich“, das ist meine Strategie und
mein Verhältnis zur Institution. Komplizität bedeutet
eine Weise, in etwas hineinzufallen, sodass man das, was
man als sich selbst sieht, nicht mehr von der Institution und ihrer (Anti-)Sozialität trennen kann. Die Person
fürchtet, nicht sagen zu können, dass dies die Schwelle ist, fürchtet, dass die Grenze sie überschreitet. Aber
keine noch so gute Strategie, keine noch so gute Entscheidung oder Beziehung kann uns entwirren. Die Institution scheint so viel erfolgreicher als wir darin zu
sein, den allgemeinen Antagonismus in den Grund der
Individuierung zu verwandeln. Aber warum fühlen wir
uns so, wenn das eigentliche Gefühl, das wir von der Institution bekommen, das genaue Gegenteil ist, nämlich
das der Verwicklung?
Vielleicht sollte, um mit diesem Widerstand gegen
den allgemeinen Antagonismus umzugehen, der durch
die Angst vor Komplizität mit einer Institution bewirkt
wird, die andere Bedeutung von Komplizität aufgerufen
werden. Mit anderen mitschuldig zu sein, ein_e Kompliz_in zu sein, auf eine Art und Weise zu leben, die
immer eine Verschwörung auslöst, eine Verschwörung
ohne Plan, bei der die Verschwörung der Plan ist – dieser
Gebrauch von Komplizität kann uns helfen. Diese zweite
Bedeutung von Komplizität betont unsere Unvollkommenheit – wenn man uns sieht, sieht man, dass etwas
fehlt, unsere Kompliz_innen, oder etwas mehr, unsere Verschwörung. Es ist alles gut, es ist nur nicht alles
da. Allein machen wir keinen Sinn. Es muss mehr von
uns geben, wir müssen mehr zu bieten haben. Für uns
allein passen wir nicht zusammen. Und das ist es, was
wir sind, und das ist es, was wir in der Institution sind,
und wie wir in der Institution sind, komplizenhaft mit
220
anderen, die nicht in der Institution sind, verschwörerisch mit ihnen, während wir drinnen sind, verwickelt in
die Institution mit dem Gedanken oder dem Klang oder
dem Gefühl des Außen, das in uns ist, das wir teilen in
diesem Teilen mit, diesem fortwährenden Falten mit,
diesem unerfüllbaren com + pli. Diese Art von Komplizität kann sogar vertieft werden, wenn wir unseren
Platz in der Institution vertiefen, wenn wir uns durch
sie hindurchgraben. Nicht eine Strategie des Drinnen
und Dagegen wollen wir hier forcieren, sondern eine
Lebensweise, die innerhalb und gegen die Strategie ist,
nicht als Position, Beziehung oder Politik, sondern als
Widerspruch, eine Umarmung des allgemeinen Antagonismus, von dem sich die Institutionen nähren, und
den sie zugleich verleugnen im Namen von Strategie,
Vision und Zweck. Unsere Komplizität verweigert das
Zweckbestimmte als Lohn für sich selbst, und je mehr
sie wächst, desto mehr überwältigt die grundlegende
Verwicklung der Institution ihre Strategie. Wir werden
der Institution gegenüber gewalttätig oder in ihr bösartig gewesen sein, indem wir sie ins Nichts zusammen
auseinandergeschnitten haben, wie Karen Barad sagen
würde.
Ein anderes Wort dafür ist Kommunismus. Wir
können nicht in einem Atemzug mit der League of
Revolutionary Black Workers genannt werden, aber wir
können versuchen, ihrem Beispiel insoweit zu folgen,
als es nicht der Fall zu sein scheint, dass sie sich bezüglich ihrer Komplizität mit der Autoindustrie viel Händeringen und Nabelschau hingegeben hätten. Sie haben
sich nicht schuldig oder widersprüchlich gefühlt, weil
sie für General Motors gearbeitet haben. Weder haben
sie sich mit GM identifiziert noch ihre Identität aus ihrer
221
Feindseligkeit gegenüber GM abgeleitet. Manchmal werden wir von Studierenden gefragt, ob wir uns
scheinheilig fühlen, weil wir „Karriere-Akademiker_innen“ wären. Fühlte sich General Baker – nach dem, so
könnten wir sagen, und das wäre nur ein halber Scherz,
der allgemeine Antagonismus, general antagonism,
benannt ist – scheinheilig, weil er ein KarriereAutomechaniker war? Wir beantworten solche Fragen
lieber, indem wir sagen, warum wir sie nicht beantworten können. Wir studieren mit Baker und Robinson, auch heute noch, und ihnen ist gemeinsam, wie sie
die metaphysischen Grundlagen von Politik und politischer Theorie ablehnen. Wir studieren auch mit Audre
Lorde und Foucault, aber wenn wir uns auf ihre Vorwegnahme seiner Anerkennung des „Faschismus in uns
allen“ stützen, befreit uns das nicht von der Aufgabe,
– durch die beiden hindurch, in ihrem Gefolge, unter
ihrem Einfluss und Schutz – gegen den Strich ihrer
metaphysisch-politischen Verpflichtungen zur Individuierung zu lesen, die beide in einer gewissen „Sorge
um das Selbst“ artikulieren. Was wäre, wenn das, worum immer Sorge getragen wurde, nicht dieses oder jenes Selbst wäre, sondern die Idee des Selbst selbst, die
den Kern anti-sozial reproduktiver Sorglosigkeit bildet?
Wir sagten, nicht-faschistisches Leben ist Verweigerung des Kommunismus. Ist es auch. Es ist Verweigerung der Komplizität. Es ist eine unmögliche Ethik der
Individuierung-in-Beziehung. Individuen müssen, können aber gleichzeitig nicht in Beziehung sein. In zunehmendem Maße leben und erleiden wir den Widerspruch als den Genozid und Geozid, den wir studieren,
um zu überleben. Nella complicità!
222
5.
Stellen wir uns vor, dass Foucault ein Problem mit uns
gemein hatte, und dieses Problem sind die metaphysischen Grundlagen der Politik. Diese Metaphysik besagt,
dass es Individuen gibt, die Rechte und Moral besitzen,
die vom Staat geschützt werden müssen. Politik ist dann
die Art und Weise, wie sich diese Individuen zueinander, zu ihrem eigenen Selbst und zur Regierung verhalten, einer Regierung, die aus dem Inneren dieser Politik
heraus entsteht, aber auch sozusagen außerhalb dieser
Politik durch und als Ausdruck einer Autorität, deren
Grund nicht nur, wie Derrida sagt, mystisch ist, sondern
auch in und aus einer harten, brutalen, real(istisch)en
Präsenz. Foucault glaubte freilich nicht an diese Metaphysik. Er dachte, das Individuum, das vom Staat geschützt worden sein soll, aber in Wirklichkeit vom Staat
geschaffen wurde, wäre ein Gefängnis – aber ein so subtil und verführerisch beschaffenes, dass wir die Tür in
es hinein selbst öffnen und es uns selbst verschließen
würden. Seine Taktik bestand darin, dieses Individuum
zugunsten eines Selbst zurückzuweisen, das direkt von
dem betreffenden beseelten Körper gepflegt wird. Wir
wollen nun Foucaults Zurückweisung der metaphysischen Grundlagen der Politik, in denen wir uns gefangen sehen, teilen. Wir teilen diese Verweigerung in der
Tat, ob wir wollen oder nicht. Das ist der erste Sinn
unserer Komplizität, dieses Teilen, das ein Teilen von
und im Begehren ist. Nur ist dies ein Teilen, das weder in der ersten noch in der letzten Instanz verkörpert ist, weil es weder eine erste noch eine letzte Instanz gibt. Wie Spillers uns aus dem Feld schwarzer
feministischer Theorie und Praxis lehrt, das auch Lorde
223
kultiviert, ist Teilen eine fleischliche Beseelung, die sich
störend in der metaphysisch-politischen Individuierung
oder, wenn man so will, im Staatskörper bewegt, während sie diesen auch umgibt. In Komplizität teilen wir
diese Bewegung im Inneren, die zugleich auch umgibt.
Es geht nicht darum, dass das, was wir wollen, mit der
Politik verbunden ist. Es geht darum, dass wir uns durch
die Politik reduziert oder aufgehalten fühlen und uns
zu dem „zurück“ kämpfen müssen, was nicht von der
Politik begrenzt wird. Jenes Anderswo, wo Karte und
Territorium verschwimmen, wo Rückkehr jenseits von
Zugehörigkeit verblasst, so dass zurück vor wird, in
Schrecken und Schönheit, wie Dionne Brand im versunkenen, kartographischen Gehen, jenes Anderswo
kann nicht auf dem Weg gefunden werden, den Foucault
sich bahnt, denn dieser Weg, der der Weg des beseelten
Körpers ist, wurde dem Fleisch, und daher ganz besonders schwarzen Leuten immer verweigert, die aus historischen Gründen gewaltsam mit der Bewahrung dessen
betraut sind, was im Teilen zu dem wird, was es immer
war, Schwarzsein, jener unursprüngliche Kommunismus, von dem Morrison als Liebe des Fleisches spricht,
bevor sie von der Sorge für die Quellen des Selbst und
seiner Achtung spricht. 75 Indem sie die ihnen verweigerten „Selbste“ und „Körper“ verweigern, leben schwarze
Leute unter dem Zwang des totalen Zugriffs (des Staats
bzw. des politischen Körpers des rassistischen Kapitals)
– Spillers nennt es eine furchtbare Verfügbarkeit – auf
das, was sie schützen, aber nicht haben, was die absolute
Verwundbarkeit gegenüber Bewertung, Erfassung und
Vgl. Dionne Brand, A Map to the Door of No Return. Notes to
Belonging, Toronto: Vintage Books 2002, und Toni Morrison,
Beloved, New York: Knopf 1987, 2004.
75
224
Inbesitznahme des absolut Unbewertbaren, Unfassbaren
und enteignend Enteigneten ist und bleiben muss. Folgt
man also dem abschweifenden Pfad dieses Zugriffs, der
um den Preis des Offengelassenwerdens offengehalten
werden muss, muss man, und man tut es, einen anderen
Weg finden.
Die Verweigerung der Metaphysik, die wir mit
Foucault teilen, die Foucaults Brillanz in uns zum
Leuchten bringt, muss dennoch von seinem Weg abweichen, so wie sie ständig in flüchtiger Flucht vor der
Freiheit von ihrem eigenen Weg abweicht, als Vorbereiterin, Begleiterin und verfolgte Überlebende der Sklaverei. Deshalb müssen wir sowohl die Metaphysik des Individuums als auch die der Beziehungen, ja des (Inter-)
Personalen in Frage stellen. Marx will, dass wir unsere
Mächte als soziale Mächte organisieren, und er warnt
uns, dass wir uns nicht emanzipieren, solange wir unsere
sozialen Mächte in Form von politischen Mächten von
uns selbst trennen. Aber das Problem geht noch weiter, wenn wir begreifen, dass die einzige Vorstellung von
Emanzipation, die wir haben können, eine politische ist.
Und so müssen wir an und für einen Kommunismus
arbeiten, der sich nicht in Freiheit oder Emanzipation
auflöst, nachdem wir all diese Arbeit gegen das Politische geleistet haben. Und der Weg dazu ist, die Marxsche Formulierung unter der Führung derer zu verschieben, deren Emanzipation hinter ihnen liegt, hart auf
den Fersen, wie Hartman zeigt und beweist. Andernfalls
würden wir uns durch die Individuen-in-Beziehung der
Emanzipation gegenseitig unterwerfen, jene allzu freien Subjekte, die nichts anderes tun können als zu privatisieren, zu externalisieren und zu brutalisieren, wie
es freie Subjekte tatsächlich schon immer getan haben.
225
Stattdessen können wir uns eine Verwicklung des Lebens, ein ständiges Aufblühen inmitten erdigen Verfalls
vorstellen, über die die fortgeschrittene Eurokritikalität nur in steriler und abstrakter Abscheu spotten kann.
Wir können sie uns vorstellen, weil sie sich überall dort
abspielt, wo das soziale Leben das politische Leben umgibt, das uns von unseren Kräften zu trennen sucht, indem es uns Macht anbietet, oder schlimmer noch, das
Recht, einen Anteil an dem zu fordern, was wir gezwungen sind, herzustellen und zu beschneiden, um die Bedingungen der Nachfrage zu erfüllen. Wir können ihn
uns vorstellen, den unursprünglichen Kommunismus,
weil er überall dort gelebt wird, wo Schwarzsein gegen
sich selbst kämpft – immer dann, wenn, wie Sly Stone
sagt, ein Aufruhr im Gange ist, there’s a riot going on.
Und wir können ihn uns leider auch vorstellen, weil die
regulierende Kraft der Politik, der Individuen und der
Beziehungen zwischen vermeintlich vereinzelten und
souveränen Menschen, wie Robert Johnson sagt, ein
Höllenhund auf unserer Spur ist.
6.
Der Akt, sich selbst in Zeit und Raum zu kerben, ist –
vielleicht zunächst paradoxerweise – auch der Akt, ganz
und gar nirgendwo zu sein. Der Punkt, den du gekerbt
hast, ist dimensionslos. Er kann nicht gefunden werden,
gerade weil dein Akt behauptet, dass der Punkt, den du
besetzt haben wirst, universell ist, der abstrakte Punkt,
den jedes Individuum machen kann und muss und von
dem aus Humanität möglich wird, mit und durch und
an dem sich der Mensch selbst findet. Und weil er
226
nirgendwo ist, ist seine Beziehung zum Ort in der Tat
eine der Straflosigkeit. Es ist diese Straflosigkeit, die die
moderne Moral und die Idee der Verantwortung oder
Nachhaltigkeit begründet, die dieser Akt der Straflosigkeit dann als seinen Sicherheitsdienst anheuert. Kann
es eine bessere Beschreibung des Menschen geben: das
Wesen, das straflos auf der Erde lebt und sich dafür entschuldigt? So lässt sich die Frage danach, was geschehen
ist, mit der Frage danach, was geschehen wird, in einer
Weise zusammenbringen, der normativ-ethische Fragestellungen Raum verschaffen. Gegen diese abstrakte
Vorbereitung auf den Sieg der Vernunft über ihre Rivalen, dieses Kippen des Spielbretts auf einen Punkt hin,
gibt es eine Art, Geschichte und Ort zu leben, die nicht
Teil der Humanisierung, das heißt der Rassifizierung
unserer Erde und ihrer Reduktion auf Welt ist, der Degradierung ihrer Mittel zu bloßen logistischen Zwecken
und ihres Verlusts des Teilens an den bloßen Besitz, die
alle die Kerbung und ihre Herrschaft erfordern und von
ihnen instanziiert sind. Amiri Baraka nennt diese Verwicklung von Geschichte und Ort place/meant, und wir
hören ihn jetzt durch M. NourbeSe Philips Verstärkung
von dis place, als ob mit diesem irrenden und ergänzenden „a“ eine Bewegung von und an einem Ort bezeichnet
werden sollte, eine radikale und unumstößliche Bewegung, die unsere Undercommons-Indigenität konstituiert, unsere geteilte, eingeborene, vor-geborene Umkehr
aus der (Wieder-)Kehr heraus. 76 Wenn die Kerbung die
76 Amiri Baraka (LeRoi Jones), „Return of the Native“, in: William
J. Harris (Hg.), The LeRoi Jones/Amiri Baraka Reader, New York:
Basic Books 1999, 217, und M. NourbeSe Philip, „Dis Place – The
Space Between“, in: dies., A Genealogy of Resistance and Other Essays,
Toronto: The Mercury Press 1997, 74-112.
227
Art und Weise ist, wie wir die Undercommons für ein
gemeinsames Grab aufgeben, dann ist dis place/meant die
Art und Weise, wie wir den surrealistischen Fleck finden und markieren.
Die schwarze Imagination im Angesicht des Faschismus ist sicherlich ein Beispiel dafür, die Geschichte und
den Ort zu leben, ohne sich völlig dieser Kerbung zu
unterwerfen; aber das heißt nicht, in einer Form des Lebens zu leben, die „realer“ ist. Das ist nicht der Punkt.
Es geht nicht einmal um den Punkt und es geht nicht
um das auf den Punkt bringen. Einige der frühesten
Beispiele spekulativer Fiktion sind schwarze spekulative
Fiktion, als Antwort auf den amerikanischen Faschismus geschrieben, und sie sind Teil dessen, was heute
die am längsten andauernde und vielleicht erfolgreichste, das heißt, nicht dem „Erfolg“ erlegene, antikoloniale Bewegung der Erde ist – der Kampf schwarzer Leute auf der ganzen Welt gegen die faschistische koloniale
Ordnung, die sich die Vereinigten Staaten von Amerika nennt. Von Martin Delany bis Octavia Butler, von
Mary Prince bis Frankétienne wird die Kerbung in den
Namen der Bewegungen beständig unterbrochen. Und
wir könnten, um uns mit Spivak weiterzuwenden, auch
auf die ständigen zwanglosen Verlagerungen des Begehrens hinweisen, die die schwarze Musik konstituieren,
die weder Metapher noch Allegorie ist, die nichts anderes ist als das generell ante-generische schwarze soziale
Leben, wie es seine Geschichte mit sich herumträgt und
seinen Platz immer wieder und wieder aufmischt.
Dies ist es, was uns sagt: Die Antwort auf die Frage
„Was tun?“ ist, was wir tun – C.L.R.s und Ettas Zukunft in der Gegenwart, dieser Zug, von dem Schwester Rosetta Tharpe immer spricht, der saubere, auf dem
228
Woody Guthrie schläft, als Kissen, mit all den außerplanmäßigen Calypso-Sänger_innen in geteilter Logistikalität; Gladys Knights Midnight Train, der Love Train
der O’Jays, Bob Marleys and the Wailers’ Zion Train,
Tranes Sonnenschiff, Sun Ras Funkadelic Spaceship, die
allgemeinen Gefährte von uns blinden Passagieren. Die
Kerbung von Zeit und Raum ist grundlegend für jeden
kapitalistischen Produktionsprozess, für alle Kreisläufe
und Metriken der Produktion, angefangen bei der Produktion der menschlichen Arbeiter_in. Zeit und Raum
unserem schrägtaktigen Takt und unserem deplatzierten Platz zu beugen, wird das alles versauen, weil es das
schon tut. Wenn du also was brauchst, komm, hols dir,
bevor es zu spät ist. Solang du nicht stiehlst, teilen wir.
229
WER EntScHEidEt, oB EtWAS BEWoHnBAR iSt?
1.
In bestimmten funkigen Praktiken des Einen ist Komplizität implizit als die gemeinsame und schmerzhafterotisch präzise Verweigerung der politischen Geometrie des dimensionslosen Punkts. Wenn es eine Lektion
zu lernen gibt, die Funk offensichtlich predigt und zugleich lehrt, dann ist es die, dass das Eigene das ist, was
der vorgängigen Unangemessenheit angetan wird, die
wir teilen. Komplizität ist das bereits gegebene Geben
und Nehmen der Unvollkommenheit; schwarze Rede
und schwarzer Gesang versuchen ständig, dir zu zeigen,
dass sie dir etwas nicht ganz sagen können, ein Zustand,
der unendlich schlecht ist, aber nur ein kleines bisschen
besser. 77 Hip-Hop ist Subsistenzmusik, die Spoken
Word beharrlich behauptet, als radikal sentimentale Bildung. Sie sollte immer schon wie spielende Kinder klingen, mit spielenden Kindern, in Bewegung in und mit
ihrer Flotte, selbststilisierbar selbstzerstörerisches Gemurmel. Leute, die versuchen, herauszufinden, wie sie
ihren Lebensunterhalt verdienen können. Leute, die sehen, ob sie irgendwo leben können.
77 Auf eine andere, ausführlichere und erhellendere Weise erörtert Kaiama L. Glover in einer generativen Begegnung zwischen
Frankétienne und Édouard Glissant, die ihre Beziehung vertieft
und über sie hinausgeht, diese Unterscheidung zwischen Zeigen
und Erzählen (vgl. „Showing vs. Telling. ‘Spiralisme’ in the Light
of ‘Antillanité’“, in: Journal of Haitian Studies 14(1), Frühjahr 2008,
91-117, und Haiti Unbound. A Spiralist Challenge to the Postcolonial
Canon, Liverpool: Liverpool University Press 2010, 179-237).
231
2.
Der Weg zur gelebten Erfahrung der unmöglichen Individuierung führt über die starre Konformität, deren
abgetrennte, abgesonderte Leistungen streng abgerechnet werden. Die Schule ist der Ort, an dem der Gesellschaftsvertrag an den Kindern ausgetragen wird. In guten Schulen wird die Kontaktfinsternis des Netzwerks
mit großer Effizienz inszeniert; in schlechten Schulen
kann ein Experiment stattfinden, entweder zufällig, wo
Netzwerke und die Vernetzten nicht passen, oder unter
dem Schutz einer Idee von Alternative. Der Empathieverlust in der Unterwerfung des Sozialen unter das Vertragliche sollte uns immer nur dazu bringen zu fragen:
Kann es einen kybernetischen Bluterguss geben? Eine
kybernetische Zärtlichkeit? Ein kybernetisches Gefühl?
Dies fragen wir in Erinnerung an den allgemeinen Antagonismus und den Generalstreik, den wir immer wieder
aufführen, indem wir erkennen, dass diese Fragen nicht
aus der Verfügbarkeit neuer Computer-Hardware erwachsen, sondern aus den Werten, die die alte ComputerSoftware beseelen – eine geistlose Theorie der Koordination von Geist und Hand, die sich am deutlichsten
in der Reduktion von achtsamer Berührung auf instrumentellen Zugriff manifestiert. Es geht nicht darum,
dass Berührung gewaltlos wäre. Es geht darum, dass wir
diese Gewalt liebevoll von der Ressourcenoptimierung
zurück zu ihren multiplen Quellen führen müssen. Wir
wollen unser nachdenkliches Gefühl schlechter Komplizität im Interesse ihrer Bürstung gegen das Gute so intensivieren, dass niemand mehr sagen kann: „Schau mir
zu, wie ich meinen Weg durch diesen Mist finde.“ Die
Erfahrung zeigt, dass niemand die Schläge einstecken
232
kann und intakt bleibt in dem Bemühen, intakt zu bleiben, das nur im Einstecken der Schläge gegeben ist.
Wenn wir für das Gute kämpfen wollen, müssen wir
das Schlechte umstürzen, statt es mitten in der Menge einsam selbst zu navigieren. Es ist alles windelweich
und aus allen Fugen – Dread, Null, knotig, ungezogen,
Dred, wie abgenutzte Hülle und gespaltenes Schiff. Das
Altsein, die Altklugheit der Leute ist gegeben in ihrer Anerkennung und Verweigerung dieser Turbulenz,
die wir durchmachen. Dort studieren sie, was auch dort
nicht sein kann. Wie eine Band, die sich gegen die Entwicklung stemmt, die versucht, eine Musik zu machen,
die sie studiert und gleichzeitig vermeidet. Gibt es einen
Punkt, an dem man nicht mehr unendlich weitermachen kann? Ist dieser Raum begrenzt oder unbegrenzt?
Die gebrochene Dokumentation eines Workshops, der
durch den Ausbruch aus dem Basteln von Gedichten in
die Poesie ausbricht, ist ein Konzertfilm. Die Aufnahme
eines fürsorglichen Spiels wird zum Theaterstück.
3.
„Es muss das Verständnis geben, dass es nichts, nichts,
nichts, absolut nichts gibt, was du tun kannst, um dich
selbst zu verbessern, zu transformieren oder zu vervollkommnen“, sagte Krishnamurti. 78 Es gibt in der Tat
nichts, was du mit dem falschen und blutigen Instrument deiner selbst tun kannst. Du kannst nichts (von)
selbst hacken. Du kannst nichts (von) selbst besetzen.
Zit. nach Alan Watts, In My Own Way. An Autobiography,
Novato: New World Library 1972, 106.
78
233
Du kannst nichts (von) selbst stehlen. Du kannst dich
nicht (von) selbst wegstehlen. Du kannst dich nicht
selbst stehlen. Du kannst dich nicht selbst fühlen. Du
kannst dich nicht von selbst schlecht fühlen. Und doch
fühlen wir uns mitschuldig an „meiner“ Individuierung,
als „meine“ Individuierung! Wir fühlen das Bedürfnis
nach Strategie! Die Künstler_in, die Akademiker_in,
die Kurator_in, die Kreative. Die Müllabfuhrarbeiter_in,
die Krankenpfleger_in, die Lehrer_in, die Bäuer_in.
Dort, wo wir arbeiten, wird jeder Zentimeter unseres
institutionellen Lebens nach Produktivität, Effizienz,
Verbesserung und Profit durchforstet und durchstöbert.
Das gilt auch für jedes unserer Worte und jede unserer
Handlungen, jeden Gedanken und jedes Gefühl. Dieser navigierte Ort ohne Wellen, ohne Salz, ist „begierig
darauf, unsere Lebensstromlogistik zu unterstützen, zu
organisieren und zu strukturieren.“ 79 Wir fühlen, wie
er uns begradigt, uns glättet, diese Finger auf unserer
Kopfhaut. Und wir sagen: Aber das ist nicht meine Verbesserung, meine Transformation, meine Praxis. Also
versuchen wir, die Arbeit auszutricksen, die Organisation auszumanövrieren, gegen den Strom zu schwimmen. Dabei fallen wir direkt in die Fänge des Produktivitätstools. Denn die Arbeit auszutricksen, Strategien
zu entwickeln, wie man in der Institution sein kann,
während man versucht, keine Kompromisse einzugehen, während man versucht, sich nicht mitschuldig zu
fühlen, ist das Produktivitätswerkzeug. Wir müssen uns
nur daran erinnern, was wir nie vergessen wollten: Die
Arbeiter_in produziert zuerst sich selbst, aber dabei
79
Carolin Wiedemann und Soenke Zehle, „Depletion Design“, in:
dies. (Hg.), Depletion Design. A Glossary of Network Ecologies,
Amsterdam: Institute of Network Cultures 2012, 5.
234
produziert sie nicht nur sich selbst, sondern auch die
Beziehungen des Kapitals selbst. Ob informelle oder
formelle Arbeit, alle Arbeit ist heute Arbeit des Austricksens. Das ist der Job. Alle Arbeit zielt heute auf
die Schaffung des Individuums ab, das spielt, das hebelt,
das mit Aktien handelt, das einsam mitten in der Menge arbeitet. Zeig uns jemanden mit einer schamhaften
Karrierestrategie, und wir werden dir ein Rädchen mit
Gefühlen zeigen.
4.
Aber das Gefühl, d.h. die Umarmung der Unvollkommenheit, unbestimmt von der Ökonomie der Un/freiwilligkeit, kann nicht in ein ganzes Bündel von anästhesierten Gefühlen unterteilt werden, die irgendwie
mit unserer Unvollkommenheit zu tun haben. Zu sagen, dass wir uns in und als unsere Individuierung mitschuldig fühlen, bedeutet, dass wir uns durch unsere
Individuierung mitschuldig fühlen. Sich mitschuldig
zu fühlen an der Arbeit einer Organisation, eines Berufs, eines Unternehmens, ist keine Form des Bewusstseins (von denen das Unbewusste nicht nur eines unter
vielen ist). Es kann geistige Arbeit nicht von Handarbeit, gute nicht von schlechten Jobs unterscheiden. Sich
ganz allein mitschuldig zu fühlen, heißt, ein_e gute_r
Angestellte_r zu sein. Es heißt auch, ein_e gute_r Bürger_in zu sein, strategisch zu wählen, Police zu machen, sich schlecht zu fühlen, wenn man seine Stadt
liebt. Sich in all unserer Unvollkommenheit dagegen
komplizitär zu fühlen, heißt revolutionär zu sein – so
sehr, dass man es sogar etwas anders nennen könnte als
235
„zu sein“. Sich mit Kompliz_innen zu verdingen, mit
unsichtbaren Freund_innen zu arbeiten, jeden Tag mit
jemandem zu planen, mit jemandem zu sein, ist so viel
mehr als jemand zu sein, wenn man zugleich weniger als
jemand ist. Die gefühlte Komplizität eines Individuums
mit einer Organisation ist (un)vergleichlich mit einer
wirklichen Komplizität im Gefühl, die unallein ist. Über
den Punkt des bloßen Seins hinaus mit-sein zu wollen, die Zuflucht all der Übrigen außer Sicht zu fühlen,
Kompliz_innen in allem zu haben, was man tut – das
ist wirkliche Komplizität, immer noch gefaltet, immer
noch nautisch, allseits Null.
5.
Sich mitschuldig fühlen und komplizitäres Nichtsein
im Fühlen – die beiden können nicht zusammenleben,
auch wenn sie in unserer Komplizität zusammenleben.
Kompliz_innen stören die Individuierung der Komplizität, die wir in der Organisation fühlen. Aber die Organisation – das Museum, das Krankenhaus, die Schule
– unterbricht und verletzt auch ständig die Komplizität,
die wir aufbauen. Und dennoch funktionieren, je mehr
wir unsere komplizitären, kollektiven, unkorrigierten
Freundschaften vertiefen, die Individuierungsmaschine
und ihre „strategische Karriere innerhalb und außerhalb der Institution“ immer schlechter. Wie Robinson
gern sagte, „vertiefen wir den Widerspruch“. Mahalia
Jackson vorverstärkt diese Formulierung, indem sie davon singt, jemandem auf dem Weg zur Abschaffung der
effizienten Instituierung von jemandem weiterzuhelfen;
in ihrem Dub spricht Silva davon, dass Nicht-Körper
236
Nicht-Körpern helfen, die Wertgleichungen aufzulösen.
Wenn wir an unseren Komplizitäten festhalten, können
die zwei nicht gelten. Und du kannst es auch nicht. Und
ich auch nicht. Irgendetwas muss geben, und was gibt,
gibt. Du und ich sind nicht mitschuldig. Wir fühlen –
wir teilen – Komplizität.
6.
Was ist dann das Verhältnis zwischen Absolution und
Insolvenz? Zwischen Unsouveränität und der Verweigerung des Absoluten? Ein wenig Loslassen. Das Losewerden der Umarmung. Wie wenn die Erlösung jene gegenwärtige und absolute Taktilität des Felds ist, die nur
einheitlich ist, insofern sie unerreichbar und ungreifbar
ist. Lösen Führer_innen etwas oder lösen sie sich auf
oder beides? Sind sie aufgelöst? Sind sie zügellos? Dient
Lösung der Reduktion? Ist Lysis der Weg zur Unvollkommenheit? Hätte die Tragödie vermieden werden
können, wenn er früher gesagt hätte: „Hey Fragment,
geh nicht nach Hause“? Dann ist es nicht so, dass wir
verzeihen, sondern dass wir schulden, was in der Verlagerung verziehen wird. Jede Lösung, zu der die Kinder
kommen, löst sich auf – sie wird aufgelöst und löst den
vorherigen Zustand auf. Wären wir eine Glocke, würden wir sagen, die Schwerkraft des Spiels ist untrennbar von seiner Anarchie. In der Tat kommen wir vom
Prinzip zur Anarchie, wie Martin Heideggers besserer
Engel, Reiner Schürmann. 80 Nur zu sprechen heißt, die
Reiner Schürmann, Heidegger on Being and Acting. From Principles
to Anarchy, Bloomington: Indiana University Press 1987.
80
237
Zersetzung zu verfügen. Wenn wir sagen: „Zuerst war
hier eine Wüste, dann haben wir eine Stadt gebaut“,
verleumden wir. Das halbgesprochene Wort, nach dem
Spoken Word fragt, hat mit Verunsicherung, mit Entsiedlung zu tun. Und interessanterweise klingt roi genauso wie loi, wenn es von den abolitionistischen Kids
von Paris gerufen wird, unseren entschlossen zügellosen Ante-Republikaner_innen, die Faden und Fransen
und Stopps und Verzierungen einer Idee von Gesellschaft spielen. In der Werkstatt und in der Spielgruppe gibt es einen Lehrplan, ein Projekt, das irgendwann
losgelassen wird. Was das fertige Produkt erreicht haben
wird, wenn es überhaupt je erreicht wird, wenn es überhaupt je etwas erreicht, sind die Bedingungen seiner
Zerstörung und seines Wiederaufbaus, was das Gesetz
ist, das LeRoi Jones sanft für William Carlos Williams
in Paterson über Paterson festlegte, indem er das offene Werk wieder eröffnete, um das Ende des Workshops
einzufordern, noch bevor er begonnen hatte, denn wir
spielen weit über den Punkt des Spielens hinaus, und
unsere Praxis ist das Spiel. 81
7.
Adelita Husni-Bey macht Filme über die Schule, Kunst
über Leute, die versuchen, Welten zu machen, wo man
sehen kann, wie Welten gemacht werden. Ihr Genre ist
Vgl. LeRoi Jones, „A contract. (for the destruction and rebuilding
of Paterson)“, in: ders., The Dead Lecturer, New York: Grove Press
1964, 10f.; William Carlos Williams, Paterson, New York: New Directions 1995, und Allen Iversons Entwurf einer Theorie der Praxis und
des Spiels, online zugänglich unter https://youtu.be/eGDBR2L5kzI.
81
238
die Metatragödie (der Aktualisierung) der Commons. Sie
zeigt Leute, die zeigen, wie die Fantasie der einsamen Insel und die Fantasie des vitruvianischen Menschen zusammenpassen, um jeweils den Untergang des anderen einzuleiten. „Zu welchem Preis?“, fragt sie sie, während sie
nach den Kosten fragen. Der vitruvianische Mensch ist The
Martian, der, indem er martialisch ist, in seiner praktischen und sinnlichen Aktivität die Problematik der Kosten
und ihrer Verteilung fast unmittelbar aufwirft.82 Verliebt in
die Fruchtbarkeit seiner eigenen Scheiße, inszeniert er unkritisch die Dialektik von Wachstum und Verschwendung
und sagt: „Seht, wie ich die Wüste zum Blühen gebracht
habe.“ Worauf werden indessen die Kosten auferlegt? Wir
sagen „worauf“, aber nicht „wem“, denn die Inhumanität,
die das „was“ impliziert, untermauert die Erniedrigung,
die dem „wem“ auferlegt wird, der in der unerschrockenen
Selbstachtung des Entdeckers zur Dinghaftigkeit verblasst
oder, einfacher gesagt, zur Erde fällt. „Lasst uns über Imperialismus und Entwicklung reden“, oder über das manifest
destiny, die „offensichtliche Bestimmung“ – sie, die die Verbesserung von allem war – während wir das workshoppen,
was wir workshoppen, bis es weg ist. Wir brauchen Techniken des Willkommenheißens und des Ausschlusses, des
Unterhalts und der Zerstörung, der Arbeitsteilung und der
Verteilung von Ressourcen, der Intimität und der Öffentlichkeit. Die Fantasie von der einsamen Insel setzt einen
dreiwöchigen Entwicklungsbogen in Gang. In rascher Folge gehen wir von „Freundschaft. Freundschaft ist essenziell“ zu „Das ist sie, aber nicht um ein Tipi zu bauen. Schau
mal. Wir brauchen Seile, Stangen und ein Laken“, weiter
82 The Martian, Regie: Ridley Scott, Los Angeles: Twentieth
Century Fox 2015.
239
zu „Jemand muss das Essen verteilen“, zu „Wer wählt gegen
Geld?“, zu „Es ist keine schöne Sache, aber wir müssen
Leute bestrafen“, und zu „Kein König, kein Gesetz“. Es ist,
als ob die Anarchie unser Ziel ist, zumindest in der École
Vitruve, der Schule der Mikrokosmografie, wo der Mensch
das Maß aller Dinge ist. Dort lernen wir, dass die Symmetrie im Spiel zusammenbricht und alles aus allen Fugen ist.
Vielleicht hat die Produktion des Renaissance-Menschen,
die Gegenstand einer gewissen anarchistischen Schulung
ist, die Widerlegung der Renaissance-Idee des Menschen
zum Ziel, der in einen Kreis und ein Quadrat, einen Globus und eine Karte, eine Welt und eine Zelle passt, als das
(leere) Zentrum der (unnachhaltigen) Schwerkraft, eine
Singularität, die nach den Scherben ihrer Unmöglichkeit
greift, die dieses Arschloch Information nennt, die dieses
Arschloch als Repräsentation beansprucht, die dieses verrückte Arschloch für uns hält. Die rigorose und kritische
Vereinigung von Kunst und (frisch abgeworfener) Wissenschaft ist auf anderen Planeten und einsamen Inseln chaotisch. Sie erfordert die anarchitektonische Abschaffung
des Rathauses und die Absetzung der Performance, damit
wir lernen können, dass „wir hier unsere Lektion lernen
müssen“, denn „niemand sucht nach uns“. Also suchen wir
uns mit Husni-Bey und fragen uns, wie wir uns von der
unendlichen Probe abgewandt haben und uns ihr wieder
zuwenden werden, die das Studium verrückt macht, oder
schwarz, indem wir mit denen zusammenstehen, die kein
Standing haben, bis wir ihnen zugestimmt haben. Mit uns.
Den Komplizitären. Den Verdammten. Wer entscheidet
dann?83
Vgl. Adelita Husni-Bey et al., Emotional Depletion. An Immigration Lawyer’s Handbook, New York: Adelita Husni-Bey 2018.
83
240
ScHWARzER (AntE)HERoiSMUS
Respekt
Vor dem Hintergrund und unter dem fortwährenden Schutz (und selbst noch im Verschwinden) ihrer
1967 konzipierten, gemalten und eingeweihten Wall of
Respect erlaubt und verlangt die Organization of Black
American Culture von uns, dass wir über Heroismus
nachdenken. Dies erlaubt sie uns mit einer sanften,
kämpferischen Forderung, die in ihrer Arbeitsweise und
in ihren Arbeitsbedingungen gegeben ist. Und so sind
wir veranlasst zu sagen, dass sie auf heldenhafte Weise
eine Wall of Heroes hervorgebracht haben, im endlosen Klimawandel des rassistischen Kapitalismus, der unsere Held_innen ebenso allgegenwärtig wie unmöglich
macht. Sie geben ihre Leidenschaft an uns weiter, sie
haben uns nie übergangen, und wir können das nicht
ohne Andenken vorübergehen lassen. Aber auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden, vor allem missverstanden in unserem tiefen Respekt für die OBA-C und
in unserer eigenen „schwarze-Held_innen“-Verehrung
ihrer Mitglieder, flüstert uns die OBA-C eine Frage ins
Ohr: Ist die schwarze Held_in ein Oxymoron? Wenn
wir die schwarze Held_in nicht als eine Version eines
weißen Helden verstehen wollen – das heißt, als ein
Monument für ein Volk, das er instanziiert und exemplifiziert –, dann müssen wir darauf hinweisen, dass die
schwarze Held_in irgendwie und gegen unsere eigenen
Empfindungen als unheroisch verstanden werden muss,
oder genauer gesagt, als anti-heroisch oder sogar (ante)
heroisch. Insofern das schwarze Heroische in Beziehung
zum Heroischen steht, muss es in der Tat anti-heroisch
sein, und insofern es sich außerhalb des Heroischen
241
formiert, muss es (ante)heroisch sein. Sein Unvermögen, die Beziehung zwischen Held_in und Volk zu formen, macht es anti-heroisch, doch seine Bewahrung
(in) der Deformierung von etwas so Regulativem wie
dem Einsatz und dem Einstehen eines individuierten
und monumentalisierten Helden für sein Volk kennzeichnet es als (ante)heroisch.
Es scheint klar zu sein, dass das Verständnis der
schwarzen Held_in als eine Derivation des weißen Helden nur die derivierteste Klasse befriedigt, die am meisten regulierende und selbstregulierte Klasse. Tatsächlich
ist der weiße Held selbst Derivat eines Derivats, Derivat eines Volks, das selbst Derivat des Menschen ist,
eine Kategorie, die ein Spektrum von Differenzen durch
eine Rassifizierungsmechanik reguliert, die die Idee des
Spezies-Seins selbst immer schon in sich trägt. Das ist das
Phänomen, von dem ein Volk eine (Di-)Version ist. Der
weiße Held wird zur Monumentalisierung eines Volks
aufgerichtet, um einen Teil der sogenannten Menschheit in einem konflikthaften, regulativen Verhältnis zu
anderen Völkern mit eigenen Helden und Denkmälern
zu fixieren. Ist der Held das individuierte Monument
eines Konfliktprotokolls, das nicht als Konflikt eingedämmt werden kann, dann kann Rassifizierung – wenn
Theorien des Afropessimismus zu Recht die Gewalt ihrer allgemeinen Anwendung behaupten – als Relais zwischen Antagonismus und Konflikt verstanden werden.
Dieses Relais entspricht der Unterscheidung zwischen
der Feind_in, die durch den Konflikt innerhalb einer
angenommenen Gleichheit zur Freund_in werden kann,
und der rassifizierten Antagonist_in, die als Feind_in
(und damit als Möglichkeitsbedingung) der gesamten Menschheit gegeben ist. In dem so abgesteckten
242
politischen Schlachtfeld ist das Monument notwendigerweise ein rassistisches Artefakt, ein regulativer Fetisch eines Volks in der Gestalt des Individuums, Eines
und Viele, die nun in trügerischer Beziehung gegeben
sind. Auf diese Weise rastert sich, in dieser abgeleiteten
Kette illegitimer Gegebenheiten gegeben, in Einkaufszentren und Boulevards und Gärten aus kaltem, weißem
Stein, die Staatsformation eines Volks in Monumenten.
Wenn alles, was die Wall of Respect jemals getan hat
oder tun sollte, darin bestand, reflexiv und reflektierend
genau dagegen zu stehen, wer könnte gegen einen solchen gerechten Einwand etwas einwenden? Glücklicherweise kappt die Wall of Respect diese (metaphysischen
und politischen, rassistischen und psychischen Grundlagen der) Respektabilität bis auf die Knochen.
Es gibt einen vielsagenden Moment in einer berüchtigten Rede Martin Heideggers von 1933, den Noam
Chomsky in seinem berühmten Essay „Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen“ aus dem Jahr 1967 in brillanter Weise kommentiert. Heidegger spricht – und
Chomsky kritisiert es hämisch und richtigerweise – von
„Wahrheit [als] Offenbarkeit dessen, was ein Volk in seinem Handeln und Wissen sicher, hell und stark macht.“
Man könnte sagen, dass der Held diese Wahrheit verkörpert, und genau in dieser Hinsicht ist der Held ein
Monument für ein Volk. Aber eine solche Monumentalität
kann nicht die unsere sein, eine Bedingung, die uns dazu
zwingt, darüber nachzudenken, was es bedeutet, ein
Volk zu sein. Sind schwarze Leute „ein Volk“? Wie nennen wir den alltäglichen Verzicht auf die Fantasie, ein
Volk zu sein, auf den sich schwarze Völker eingelassen
haben? Wie nennen wir diese intensive Verwicklung
von Solidarität und Differenzierung, die ständig und
243
radikal Sicherheit, Helle und jede Modalität von Stärke
unterbricht, die sie begleitet? Wir sagen, die Schönheit
schwarzer Leute liegt in ihrer beständigen Weigerung,
ein Volk zu konstituieren. Wir gehen gegen Heroismus
und Monumentalität an, und wir brauchen ein Wort,
oder etwas, das der Schönheit und Intensität dieser Bewegung entspricht. Wenn wir uns auf irgendein solches
Wort oder Etwas berufen haben, hat zugleich keines jemals wirklich gepasst, keines hat jemals wirklich überdauert oder überlebt, wie es einem erfolgreichen Monument entspricht. Und so wollen wir, unter Verzicht auf
jede Geste der Absolution, die den Kräften der Erosion
unserer Monumente erteilt werden könnte, auch sagen,
dass die Wall of Respect selbst in ihrem Verschwinden
wunderbarerweise über jede Anrufung der Monumentalität hinausgeht.
Sicherlich hat dies mit einer hemisphärischen Tradition des Muralismus zu tun, die die OBA-C (und ihre
Kolleg_innen von AfriCOBRA – der African Commune
of Bad Relevant Artists) mit dem Sindicato de Obreros
Tecnicos Pintores y Escultores in Mexiko verbindet; und
ebenso sicher hat es mit dem allgemeinen Beziehungsfeld zwischen Weißsein, Subjektivität und Heroismus
zu tun, einer fantasmatischen Konvergenz, von der die
Subjektivität in den Vereinigten Staaten auf spezifische
Weisen modelliert wird. Wo gemeinsame Traditionen
unter ständigem Druck in der gemeinsamen Produktion und Rezeption eines unregulierbar differenziellen
Stils hervorbrechen, ist die schwarze Anti-Held_in oder
das schwarze (Ante)Heroische nicht so sehr in einer Figur als vielmehr im Zuschnitt einer Figur gegeben, um
Richard Powells erhellende Formulierung zu verwenden
und auch ein wenig zu missbrauchen. Die Solist_in ist
244
das niedrige Vorzimmer einer sozialen Praxis; ein andauerndes Vorwort, eine Schwingtür, eine blutbefleckte
Schrankenlosigkeit, ein Vestibül, wie Spillers sagt, das
zum Bruch, zur Bewahrung in der Deformierung des
schwarzen sozialen Lebens führt, und zwar nur ohne
Einladung. Das Individuum ist in dieser Hinsicht und
auf diesem Porträt weder eins noch alle; in solcher Konstellation gegeben, zerteilt oder teilt oder rekonfiguriert
es die Figur. Gibt es eine Präfiguration von und durch
das Individuum auf der Wall of Respect, die der Kraft
des Prä-Hispanischen in Diego Riveras Fiesta de la Flor
entspricht? Dann ist dies das schwarze (Ante)Heroische,
dessen eingeklammerte Vorsilbe darauf verweist, dass
Heroismus nicht das richtige Wort ist, bis was Schwarzes davor gesetzt wird, das nicht kaputt zu kriegen ist.
Un-ehre
Kann es sein, dass der weiße Held fallen und die schwarze Held_in scheitern muss? In diesem Sinn sollten diejenigen, die wir lieben und die Teil der Wall of Respect
sind, mit etwas mehr und weniger als Heroismus geehrt
werden. Sie sollten stattdessen mit einem geschwärzten
Heroismus geehrt werden, mit einer Ehre, die nicht aus
der Geschichte der Unehre, sondern aus der Geschichte
der Enteignung der Ehre geboren ist, die nicht die Kollektivierung der Ehre ist, sondern die sozialisierte Verweigerung ihres individuierenden Spiels. Diese Verweigerung dessen, was nach Patterson und seinen Vorfahren
die (eigentlich politische) Subjektivität als Machteffekt und Degradierung der Sozialität konstituiert, findet statt, bevor sie sich zeigt. Hier könnten wir dieses
Unvermögen, die Ehre zu ehren, mit Huey P. Newton
erschließen. H. Rap Brown und Stokely Carmichael
245
waren Teil der Wall of Respect, während Newton gerade
seinen Aufstieg begann, als die Wall fiel. Er sollte sich
in einem doppelten Sinne durch den Heroismus durchkämpfen. Geehrt als schwarzer Held, war er ein Verfechter des revolutionären Selbstmords. War das mehr
als für das Volk zu sterben? Kann es sein, dass Newton
mit der Idee des revolutionären Selbstmords, wo der Tod
Teil des gemeinsamen Lebens ist, und nicht seine singuläre Monumentalisierung, andeutet, dass die schwarze
Held_in nicht ein Opfer für das Volk darbringt, sondern
für das Volk geopfert wird? Eine solche schwarze heroische Passion trägt eine irreduzible Sozialität in sich.
Was aber, wenn darüber hinaus das, was für das Volk
sterben muss, nicht nur die Held_in ist, sondern auch
die Idee eines Volks selbst? Die schwarze (Ante)Held_in
wird geopfert, um die antizipatorische und antiregulatorische Deformierung des Volks gegen den Strich der
Monumentalisierung und der Formierung eines Volks zu
bewahren.
Nähern wir uns dieser Frage wieder über die besondere Stringenz des Afropessimismus. Ohne Sklav_in keine Welt, wie Frank Wilderson sagt; und da diese Mauer wie ihre schwarzen Held_innen in der Welt errichtet
wird und wieder fällt, sind diese Held_innen (an der
Abschaffung) gescheitert; und so bleibt auch die Welt
bestehen, in all ihrem geozidal-genozidal extraktivistischen Verhältnis zur Erde und den Differenzen, die
die Erde in sich trägt. Eine solche Analyse konzentriert
sich auf das unleugbar Anheroische, die Heldin, die
scheitert, die sich nicht zum Monumentalen kohärieren
kann, die keine Kohärenz eines Volks als Statue, Statut, Status oder Staat instanziiert. Sie würde auf verheerendste Weise erscheinen, als wäre sie nie aufgerichtet,
246
nie abgerissen worden, als wäre sie unfähig zu fallen, da
sie immer schon gefallen ist, hingegeben und enteignet.
Diese Analyse wäscht die Mauer für eine weitere Revision des schwarzen (Ante)Heroischen, für die
Bewahrung und Priorität dieses Wegwaschens, dieses
Über- und Unterwaschens. Robinson schreibt über die
Bewahrung der ontologischen Totalität. Das ist seine
Antwort auf die Frage, wie etwas, das angesichts der
Gesetze des Helden und seines Volks unmöglich sein
sollte, dennoch existiert. Die ontologische Totalität ist
eine Beschwörung des kollektiven afrikanischen Seins
im Moment des Kampfes, auf dem Höhepunkt des Aufstands und sogar im Moment des Tods in der Schlacht.
Aber in entscheidender und erschütternder Weise formt
die Unmöglichkeit ihre Bedingung als unbedingte Deformierung. Die Afrikanität der ontologischen Totalität
ist daher mehr und weniger als afrikanisch und anders
als ein Sein. Ihre Bewahrung erfordert ihre Öffnung,
Inkohärenz, Weigerung, zu so etwas wie einem Volk zu
verschmelzen. Sie ist, mit anderen Worten, nicht afrikanisch, sondern panafrikanisch. Schrecklich, schön,
schrecklich, schön, ist sie für uns und in uns vorausgegeben, um weggegeben zu werden – eine solche Zerstreuung ist selbst das Gegenteil des Heroischen und
geht eher in Richtung des profanen, pandämonischen
Opfers. Was ständig geopfert wird, ist die Solist_in im
ständigen Erscheinen der Solist_in, ihr ständiges Auftauchen, um geopfert und zerstreut zu werden, damit
das Experiment im Scheitern seiner Monumentalisierung bewahrt bleibt. Das ist die unerträgliche Brutalität
der schwarzen Kunst. Albert Murray kann in The Hero
and the Blues nicht richtig begreifen, wie abgefuckt das
ist. Kein geschwärzter Existenzialismus, kein schattiertes
247
tragisches Bewusstsein genügt hier. Dennoch halten
Nanny Grigg oder Nat Turner, so lehrt uns Robinson,
durch ihren sicheren Tod hindurch etwas in Gang, etwas, das unter der Herrschaft des Helden und seines
Volks nicht gewinnen kann, sondern in etwas Erschöpfenderem überlebt. Darin liegt etwas Unheroisches, das
Unvermögen zu siegen, und auch etwas anderes als das
Heroische. Unter dem Gesetz des Helden werden sogar tragische Helden trotz ihres eigenen Falls oder Tods
durch den Sieg eines Volks in Erinnerung behalten. Sie
werden monumentalisiert, weil sie auf dem Weg zum
Erfolg gefallen sind. Oder zumindest ist dies die Art und
Weise, wie ein weißer Held konzipiert wird. Aber das
schwarze Anti- und (Ante)Heroische wird im Opfer für
den Sieg des Volks durch die ontologische Totalität in ihrer antagonistischen Beziehung mit einem Volk verdichtet und zerstreut. Mit Hilfe von OBA-C, AfriCOBRA
und AACM (Association for the Advancement of
Creative Musicians) können wir uns eine andere Art
vorstellen, über die Solist_innen nachzudenken, über
die Frauen und Männer, die wir schwarze Held_innen
nennen, über bestimmte Schwarze, die in Liebe grooven. Was haben sie getan, was haben sie geleistet, jenseits des Heroischen und Unheroischen, wie es uns in
dieser Welt begegnet? Diese Fragen zu stellen, die zu der
Frage zurückführen, die sie uns stellen, bedeutet, genau
genug hinzuschauen, um in ihrer Arbeit mehr zu hören,
und in ihrer Art (durch die Arbeit) zu arbeiten, und an
dem Ort, wo ihre Arbeit weiterging.
Alltag
Wenn wir uns bemühen, darauf zu achten, bemerken wir wieder, dass die OBA-C, die Straßengangs, der
248
Kneipenbetreiber, die Nachbar_innen unter alltäglichen
Bedingungen überlebten, von denen wir sonst vielleicht
sagen würden – aber nicht zu leichtfertig sagen sollten –,
dass sie das Heroische hervorbringen. Der Ort, an dem
die Arbeit weiterging, und die Leute, die diese Arbeit
verrichteten, entstanden aus dem schwarzen sozialen Leben, aus dem unmöglichen, täglich gelebten Alltag. Alltägliche Leute leben (ante)heroisch in der Welt des verleugneten und verweigerten Volkseins. Der strapazierte
Superlativ, das gebrochene Perfekt, das Unmögliche unter den verallgemeinerten Bedingungen der Unmöglichkeit, sie alle bewegen sich im Raum um die Mauer herum
vom Nicht-Sehen-Können zum Nicht-Sehen-Können.
In der belasteten, burlesken Zersetzung des Heroismus
sehen wir die Qualität der alltäglichen Tat, ihre ständige Revision, ihre gemeinsame Bedingung, ihre Störung,
ihre unmonumentale Apposition. Wir müssen uns jedoch dagegen wehren, diese unmonumentale Apposition
von der Vorstellung zu trennen, dass alltägliche schwarze
Leute heroisch sind, und uns, ohne diese Vorstellung zu
leugnen, stattdessen auf ihre Umgebung konzentrieren:
darauf, dass das schwarze (ante)Heroische (eine ständige
Variation der) Routine ist. Es geht nicht so sehr darum,
dass das tägliche Leben von Heldentaten durchdrungen
ist, sondern vielmehr darum, dass Heroismus als tägliches kollektives soziales Leben, das heißt, als prosaisches, wiederholtes, revidiertes, variiertes, experimentelles, diskontinuierlich neu begonnenes Leben überarbeitet
oder unbearbeitet ist. All das Gedränge und Geschiebe,
das sich an der Mauer abspielt, ist immer wieder in all
dem gegeben, was mit der Mauer geschah. Es gab vor
allem das, was Romi Crawford „ein gegenwärtig- und
um-die-Mauer-herum-sein“ nennt. Vor ihr wurde
249
Theater veranstaltet und Musik gespielt. Teile wurden
übermalt, es regnete auf sie, sie begleitete unermessliche Dramen; eine Leiche wurde an ihr abgestellt, das
FBI machte Fotos von ihr, sie wurde abgebrannt. Der
Ereignisreichtum der Mauer wird manchmal als das dargestellt, was sie durchgemacht hat – ein Zeichen der
Zeit und Symbol des Orts. Aber in Wirklichkeit war das
die Mauer, nicht das, was sie durchmachte; das war die
OBA-C, und ihr Anti-Heroismus existierte im Dienst
des schwarzen (Ante)Heroischen, als alltägliches Bekenntnis zur nichtenden Vorläufigkeit des Seins, das zugleich total war. Wenn wir uns Fotos ansehen, die wir
von der Malerei haben, und die Poesie um die Wand
herum und die Musik hören, begegnen wir immer wieder dem Antagonismus, dem Übermalen, Fassadenfarbe
und Weißwäsche, Pappe und Schnur, sowie einem totalen Bekenntnis zur Unbeständigkeit der Form, denn die
Form ist zum Benutzen da, wie ein Alltagsding. Man
benutzt sie, das heißt, man verformt sie; man benutzt
sie, ohne sie zu besitzen, ohne Nutzungsgenehmigung;
man bewahrt sie nicht für einen monumentalen Anlass
auf, sondern bewahrt sie, indem man sie loslässt, indem
man ihre Verwandlung zulässt und aufführt, im und für
den Alltag.
Es ging nie darum, dass diese oder jene Person gesehen wird; es ging immer darum, dass durch diese oder jene Person hindurchgeschaut wird. Es ging
auch nie darum, durch die spezielle Held_in hindurch
aus der Nähe auf ihre oder seine Version zu sehen.
Kein Hindurchsehen durch das Undurchsichtige, sondern ein Spiegeln, das in der Transparenz gegeben ist.
Aber die Transbluesendenz der Mauer, der verstärkte
Delta-Dunst, den sie immer noch verströmt, lässt uns
250
verkennen, zieht uns den Mantel darüber, wie die Bestätigung der Alltagsheld_in das Bewahren dieser ontologischen Totalität bedroht. Sie wehrt es ab und lenkt
es um, unter die Reaktion unterworfen zu sein, gerade
weil die Verleihung des Heldentums im Interesse der
Wahrheit eines Volks falsch klingt in der Unmöglichkeit
seiner Beziehung zur schwarzen und offenen Allgemeinheit der Leute.
Mit anderen Worten: Ziel der Mauer war nicht ihre
Bewahrung, die nie verhindert haben wird, was wir ihr
Verschwinden nennen würden, sondern gerade ihre
Transformation im Interesse der Bewahrung der ontologischen Totalität. Darin unterscheidet sie sich vom Monumentalen. Streng genommen war ihr Ziel auch nicht
die Bewahrung der Held_innen gegen den allgemeinen
Anti- und (Ante)Heroismus, der sie aussandte. Und
ebenso, und das ist letztlich das Wichtigste, war das Ziel
nicht die Bewahrung eines Volks, seine Monumentalisierung. Was die OBA-C uns gibt, ist die Deformierung
eines Volks im Namen von etwas anderem, etwas Seltsamerem und Schönerem – ein allgemeiner Antagonismus
zum Spezies-Sein.
Die Mauer und ihre Geschichten helfen uns zu sehen,
dass ein Volk nur eine regulative Reduktion der Leute
ist; und eine Person ist einfach das Zeichen eines Volks
oder, besser noch, die Werteinheit eines Volks, die in
wechselseitiger Unmöglichkeit an den Helden geheftet
ist. Diese reduktive Formel trägt die national(istisch)
e Unterwerfung der Verrücktheit der Leute in sich,
deren ständige Ausdifferenzierung – in und als
Undercommons-Praxis, in und als irreduzibel haptische
und topographische soziale Poiesis, in und als Studium –
durch arithmetische Trennung kohärent gemacht worden
251
sein wird. So passen Nationalismus und Individuierung
zusammen, so kann es diese scheinbar paradoxe Kombination von Nationalcharakter und absoluter Singularität von Personen geben, denn die Verrücktheit muss
individuiert und dann gesammelt werden, um entschärft
zu werden. Das Monument, Erweiterung und Intensivierung der Logik des Porträts, ist die Kristallisierung,
Auflösung und/oder Verkörperung dieses Paradoxes: das
nationale Individuum im Glanz einer allgemeinen Äquivalenz, für die es steht, gleichzeitig abstrakt und einzigartig – der repräsentative Mensch als eine Art Währung,
die Landeswährung. Aber die Differenzierung ist weder
Individuierung noch Pluralisierung. Sie verweigert sich
dem Gesetz der Ganzzahl. Wenn ihr sehen wollt, wie
diese Verrücktheit unter Zwang zur Schau gestellt wird,
geht in eine beliebige Bar, und ihr werdet sehen, wie sie
versucht, ihre Sichselbstlosigkeit zu verteidigen. Geht in
einen schwarzen Club oder in eine schwarze Kirche, und
ihr werdet sehen, wie dies mit der größten und zartesten
Gewalttechnik geschieht und die Bewahrung in einem
unermesslichen Spektrum von Zerstreuung und Ausschüttung gegeben ist, als unsere romantische Disposition, unsere mantische Deposition, unsere groteske Apposition. Wir waren so verrückt, dass wir unser eigenes
Monument zerrissen haben – es immer wieder mit den
wütenden Fragen, die es uns zu stellen lehrte, abrieben,
es immer wieder dem schrecklichen Genuss unserer Bedingung unterwarfen, bis es verschwand. Mackey würde
sagen, dass die Wall of Respect eine weitere Instanziierung unserer „erodierenden Zeugenschaft“ ist. In dieser
Hinsicht ist schwarzer Nationalismus Anti- und (Ante)
Nationalismus, so wie schwarzer Heroismus Anti- und
(Ante)Heroismus ist. Das ist das afrikanische Pan.
252
Unsere Arbeit Waschen
Was könnte das nun für diejenigen von uns bedeuten, die heute in den Fußstapfen der OBA-C wandeln
wollen, d.h. in den Fußstapfen der schwarzen radikalen Tradition und in den Fußstapfen des alltäglichen
schwarzen sozialen Lebens als der kollektiven Ehre, die
Ehre zu verweigern, des schwarzen (Ante)Heroischen?
Nun, wir hatten schon immer schwarze Held_innen.
Was bedeutet es also, sie mit diesem Verständnis des
(Ante)Heroischen in unsere Arbeit, in unser Schreiben zu
übersetzen? Wie machen wir das? Bedeutet es, dass wir
mit OBA-C Wege finden müssen, unsere Arbeit und die
Arbeit, über die wir schreiben oder malen oder singen,
zu demonumentalisieren? Ist es unfair zu sagen, dass die
gegenwärtige kulturelle Form, insofern sie im schwarzen
künstlerischen und intellektuellen Leben adaptiert wurde, das schwarze Studium der Gefahr der Monumentalisierung aussetzt, das Heroische sucht, sich vom schwarzen
(Ante)Heroischen entfernt?
Eine Version dieser Monumentalisierung ist das Maß
an Ehre, das einer individualisierten Position zuteil wird.
Spillers nennt das die List oder den Köder der Persönlichkeit. Die bloße Anwesenheit der schwarzen Gelehrten, der schwarzen Künstler_in, der Figur, die die Figur
zuschneidet, wird als ein zu bewahrender Sieg verstanden,
anstatt als Effekt eines Kompromisses, der den Kulturinstitutionen von der Bewegung der schwarzen Leute
aufgezwungen wurde und der Bewegung der schwarzen
Leute wiederum von den Kräften, die die Kulturinstitutionen operationalisieren. Wenn wir das zulassen, ist es
nicht nur so, dass diese bloße Anwesenheit in der Institution ein Modell der heroischen Repräsentation eines Volks annimmt, sondern auch, dass diese Haltung
253
versucht, das zu regulieren, was jene Bewegung inmitten
der Derivationen von Ernennung und Position vielleicht
wirklich verschwinden lassen oder überwaschen möchte. Es gibt keine Krönung des Volks in individualisierten
Einheiten.
Wenn wir andererseits OBA-C, AfriCOBRA, AACM
und andere nicht nur dafür schätzen, wie sie uns inspirieren, sondern auch dafür, wie sie uns demontieren, wie ihre
(ante-)heroischen Taten die Chance bewahren, die Versuchungen des Monumentalen und die Lügen des Helden
und seines Volks zu untergraben, können wir vielleicht anfangen, einander zu helfen, zu verschwinden, uns gegenseitig zu übermalen, uns zu überspielen, unsere Soli in
unser Rauschen übergehen zu lassen. Die Wall of Respect
stand im Dienst einer Undercommons-Flucht aus dem
Sein, und des Kämpfens durch das Sein. Sie war nicht das
Objekt. Sie setzte sich nicht bloß zur Wehr. Ihr Widerspruch gedieh unter und um ihre Objekthaftigkeit herum.
Und solange Jobs und Shows und Bücher das Objekt sind
(und als Notwendigkeit gesehen werden, anstatt dass ihre
Notwendigkeit gesehen und durchlebt würde), werden wir
heroisch sein. Wir müssen neue Arbeitsweisen finden, die
auf der Unbeständigkeit der Monumente in erschöpfter,
inkonsistenter Totalität bestehen. Wie können wir auf diesem Weg unseren Lebensunterhalt verdienen? Wie kann
dieser Weg unser Leben sein? Er wird mehr gewesen sein
als eine Umkehrung von allem, was wir tun, obwohl er das
ist; er ist ein Opfer, das niemand von uns auch nur freiwillig bringen kann. Opfern – das Teilen der Opfergabe, des
Genusses, der Trauer, des Erinnerns – wird heute oft als
obszön angesehen, während der Einzelanspruch auf soziale
Stellung als Tugend gepriesen wird. Schwarze Virtuosität,
schwarzer Heroismus sollten dagegen so richtig übel sein!
254
SElBStMoRd AlS klASSE
In „Die Theorie als Waffe“ sagt Amílcar Cabral, dass das
Kleinbürgertum am besten in der Lage sei, nach dem
Kolonialismus an die Macht zu kommen, auch weil diese
Klasse in der Tat über ein Verständnis des Imperialismus
verfügt. Denn wer würde die Verweigerung des Personseins, die der Imperialismus als politisch-ökonomisches
Instrument und als Effekt einsetzt, heftiger fühlen als
diejenigen, die sich ihm am nächsten fühlen? Wer ist
sich der unüberbrückbaren Distanz zwischen sich und
dem Personsein mehr bewusst als diejenigen, die die
ständige und brutal offensichtliche Nähe dieses unmöglichen Subjekts und Objekts des Begehrens ertragen, die der Imperialismus mit solch teuflischer Strenge
auferlegt? Auf komplizierte Weise haben wir uns sowohl mit als auch gegen Cabral (und Septima Clark und
Frantz Fanon und Elma Francois und Fred Hampton
und Claudia Jones und Paule Marshall und George
Padmore und Funmilayo Ransome-Kuti und Walter
Rodney und Barbara Smith) an die unausgesprochene
Vorstellung gewöhnt, dass diejenigen, die dermaßen im
Gleichgewicht sind, am natürlichsten und effektivsten
über und für den antikolonialen Antrieb und Anspruch
sprechen. Aber wenn Cabral so klar sagt, dass es keinen
Widerspruch zwischen einer Analyse des Imperialismus
und der Zugehörigkeit zum Kleinbürgertum gibt, und
wenn er so nachdrücklich sagt, dass eine solche Analyse
ein wesentliches Merkmal des Kleinbürgertums im und
nach dem Kolonialismus ist, und wenn wir uns der Arbeit bewusst bleiben, die das Kleinbürgertum beim Aufbau und bei der Aufrechterhaltung von Kolonialismus
und Imperialismus im und nach dem Kolonialismus und
255
Imperialismus leistet, in den Ländern und Völkern, die
ihnen weiterhin unterworfen sind, wo Nachwirkungen
und Immersion konsubstanziell sind, dann können wir
vielleicht die Chance ergreifen – die Cabral uns bietet
–, unsere Gewohnheiten zu überdenken. Dies ist eine
Chance für das schwarze Studium, sich mit einem für
das schwarze Studium grundlegenden Problem zu befassen, das am Beginn und in der fortwährenden Evolution
der Black Studies auftaucht, wo Revolution und Devolution viel zu nahe beieinander liegen, in Behaglichkeit.
Wenn wir jetzt, hoffentlich unter dem Schutz
Cabrals, von der Neokolonisierung des schwarzen Studiums durch den akademisch-künstlerischen Komplex
sprechen, dann nicht, um mit dem Finger auf andere oder auf uns selbst zu zeigen, sondern um zu versuchen zu denken, in unserer Tradition, anindexikalisch,
in liebevoller Unbehaglichkeit, im gemeinsamen Reiben. Betrachten wir also, im Interesse einer manchmal
notwendigen Aktualität, das gegenwärtige Aufflammen
des andauernden Kampfes zwischen Einheimischer_m
und Immigrant_in im afrodiasporischen Teil der USAkademie, weniger Game of Thrones als Gangs of New
York, insofern am Ende eines jeden Tages das traurige Phänomen einer kleinbürgerlichen Elite übrigbleibt, die sich gegenseitig bekämpft, während schwarze
Arbeiter_innen versuchen, etwas Luft zum Atmen zu
bekommen. Diese Luft genossen und genießen ihre
kleinbürgerlichen Pendants mehr als die schwarzen Arbeiter_innen in der unterdrückerischen, genozidalen Atmosphäre der andauernden und sich ständig verschärfenden faschistischen Aufstandsbekämpfung des Weißseins.
Bedenken wir auch, dass es keine altgedienteren
und nützlicheren Kategorien für die Produktion, die
256
Reproduktion und den Schutz der imperialen Macht und
ihrer Operationen gibt – und für die Unterdrückung des
Vermögens, dass Völker und Leute sich bewegen und
zur Ruhe kommen, in Ablehnung der Heimat, völlig
ungeachtet nationaler Grenzen oder Identitäten – als
einheimisch und migrantisch. Das gilt besonders für die
Vereinigten Staaten, deren Variante des nordamerikanischen Weißseins schon immer eine giftige Mischung
aus dieser falschen Alternative war. Die Überreste dieser blutigen Industrie, die den nicht-weißen kleinbürgerlichen Subjektbürger_innen bleiben, ob sie nun
das Amerikanisch-Werden beanspruchen oder verleugnen wollen, bestehen aus Fragmenten des einen oder des
anderen, aber niemals aus der Fülle von beidem, und
diese Wunde löst sich in eine schwarze Narbe auf einer weißen Maske auf, liquidiert die UndercommonsDifferenzen im Namen einer kalten imperialen Trennung (innerhalb) des schwarzen sozialen Lebens, sowohl
in den Vereinigten Staaten als auch überall dort auf der
Welt, wo die Vereinigten Staaten mit immer mörderischerer Slapstick-Bestechlichkeit herrschen. Währenddessen arbeitet das Kleinbürgertum hart, wenn auch oft
ungewollt daran, die metaphysischen Grundlagen eben
jenes Imperialismus zu schützen, den es auf kritische
Weise versteht. Seine performativen intellektuellen Reflexe gehen als eine Fantasie von Subjektivität durch, die
auf ihrer Unfähigkeit, sie zu haben, beruht. Das Kleinbürgertum behauptet, – von einer Position aus, die es
übernimmt, aber nicht eingestehen kann – für diejenigen zu sprechen, die den Sauerstoff aufspüren, den es
kaum produzieren kann; es behauptet, für diejenigen zu
atmen, die nicht mehr atmen können; es behauptet, hier
und jetzt zu sein für diejenigen, deren Anwesenheit nie
257
so leicht aufzuzeichnen war. Es verrichtet diese unbeabsichtigte, immaterielle Arbeit mit den besten Absichten, während die postkoloniale Malaise nicht die reale
imperiale Macht heimsucht, sondern die kleinbürgerlichen Intellektuellen selbst – unwissentliche und sogar
unwillige Zwischenhändler_innen, die jene moralistische Entrüstung und Rage rhetorischer Reinheit, zu der
„Dekolonisierung“ geworden ist, dem endlosen, flüchtigen, antikolonialen Kampf um das Überleben des antekolonialen Lebens „vorziehen“, dem die Zeit davonläuft,
wie immer.
Die Heftigkeit des Problems liegt darin, dass so ein
Scheiß unter uns passiert, den guten Leuten eines jeden verrotteten, brutalen, wahnhaften Nationalstaats.
Jede einzelne Person, die nicht wirklich eine ist und
weiß, warum sie keine ist und keine sein kann, meint es
gut, wenn sie für diejenigen spricht, für die ein solches
Personsein weniger Objekt des Begehrens als gespenstische Angelegenheit war, die man meiden und unterlaufen und zerstören sollte. Verdammt, wir meinen es
gut, wenn wir hoffen, dass etwas in dem, was wir sagen, das durchdringt, was wir als gegeben annehmen,
wenn wir es sagen. Nur ist eine solche Hoffnung nichts
ohne Praxis, ein solcher Glaube nichts ohne Arbeit,
ohne Mühe, ohne jene ständige, aktive, untergründende
Arbeit, deren Nebenprodukt unser Verschwinden gewesen sein wird. Dies ist der Inhalt von Cabrals prophetischer Darstellung. Er schärft die Waffe der Theorie
für uns, damit wir die Theorie und uns selbst durchschneiden können. Er gibt uns die Chance, klarer zu sehen, dass die konkurrierenden Chauvinismen von Einheimischer und Immigrant_in, wenn die Color Line das
Verbot ihrer gegenseitigen Annäherung begründet, den
258
intra-diasporischen, intra- und internationalen Klassenkampf in jedem Vorposten und Zufluchtsort des afrodiasporischen Lebens verdecken. Das Leben und die
Kämpfe, The Life and Struggles of Negro Toilers müssen
noch weiter gedacht und bewohnt werden als unbeirrbare Apposition des Ungedachten, flüchtige Dekonstruktion der Welt und Rekonstruktion der Erde durch die
Unwohnenden. Die Waffe der Theorie lässt uns bis hin
zur sozialen Linse durchsehen, durch die wir sehen wollen, wenn auch wir Negro Toilers sind. 84
In diesem Licht können wir beginnen, die seltsame
Unfähigkeit des dekolonialen Kleinbürgertums zu verstehen, sich selbst als Klasse oder als revolutionär zu
auszuweisen, während es eine nahezu konstante Kritik
des Imperialismus vorbringt. Es stellt sich heraus, dass
es gar nicht so rätselhaft ist, wenn wir uns quer zur analytischen Beschreibung bewegen und die Opposition
von Beschreibung und Analyse verweigern, während wir
uns zugleich auch weit wegarbeiten, seitlich von Selbstbeschreibung und Selbstanalyse. Vielleicht beginnt die
analytische Beschreibung mit dem Bewusstsein, dass
es mehr geben muss als die analytische Beschreibung,
die nicht an und für sich eine para-zeremonielle Praxis ist. Schwarze kritische Reflexivität kann nicht einfach erklären, dem Spiegelkabinett entkommen zu sein,
das den (selbst)repräsentativen Geist und seine politische Kunst ausmacht. Was sie öffentlich gemacht haben
muss, hat sich eher einer Art hingebungsvoller Unvollkommenheit zu öffnen als der Verleugnung der Unvollkommenheit. Mit welchen Schwestern wird Cabral die
84 George Padmore, The Life and Struggles of Negro Toilers, London:
Red International of Labour of Unions 1931.
259
Grundlagen geschaffen haben, als er die Waffe der Theorie schärfte, rund um einen Küchentisch in Abwesenheit einer Küche?
Was, wenn die Abwesenheit der Küche eine Funktion
von etwas ist, das da gewesen sein wird? Beachten wir
den Titel der berühmten Rede von Cabral: Er verwendet
die Formulierung „Waffe der Theorie“, weil er ein Argument für die Theorie vorbringt. Er kommt so weit von
der anderen Seite, dass er meint, diesen Punkt machen
zu müssen. Er kommt so weit von der Praktik, oder besser gesagt, von der Praxis, von so weit außerhalb des
Hauses, wo die Abwesenheit der Küche den Küchentisch möglich macht, dass er das Gefühl hat, sein Publikum daran erinnern zu müssen, dass die Theorie eine
Waffe ist und dass sie unsere Waffe ist. Er kommt vom
Land, wo er Bodenanalysen gemacht hat, und aus dem
Zelt, wo er einen Angriff zur gemeinsamen Verteidigung
plant, in und auch aus und auch abseits dieser Grundlagen, und sagt, Theorie ist nicht nur Theorie, sondern
auch eine Waffe. Nun bedenken wir, wie völlig überflüssig dieser Satz heute im akademisch-künstlerischen
Komplex und in ihn hinein klingt. Natürlich ist Theorie eine Waffe, wir hören es oft. Sie ist unsere Waffe der
Wahl (aber auch der aufgeschobenen Notwendigkeit,
des notwendigen Aufschubs). Aber dieser Schlachtruf
der Theorie als Waffe, der fast überall auf den biennalen und triennalen Nebenstraßen und bei jeder Versammlung der institutionalisierten Gläubigen zu hören ist, hat den Inhalt der Worte verloren, die Cabral
im Januar 1966 auf der ersten Trikontinentalen Konferenz der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in
Havanna sprach. Er sagte uns, dass die Theorie zum Arsenal der Revolution gehört; er sagte nicht, dass sie die
260
Repräsentation der Revolution oder ein Besitz derjenigen ist, die repräsentieren.
Aber was bedeutet dieser Schlachtruf „Theorie ist
meine Waffe“ heute? Und welcher Praxis entspringt
die Theorie innerhalb des akademisch-künstlerischen
Komplexes? Sie entspringt einer Praxis, in der Theorie
von einem realistischen Punkt des gemeinsamen Sehens
auf einen abstrakten, unbesetzbaren Punkt des individuellen Ausdrucks reduziert wird. Es ist keine Frage, dass
dieser Komplex ebenso tautologisch ist wie der militärisch-industrielle, der unsere Sicherheit gewährleistet,
indem er die Welt gefährlicher macht, und im Namen
der Sicherheit Prekarität durchsetzt. Cabral sagt, dass
wir hier nicht versammelt sind, um den Imperialismus
anzuschreien. Das ist nicht die Art, wie diese Waffe
funktioniert. Und der Hauptgrund, warum sie nicht so
funktioniert, ist funktional, nicht theoretisch. Theorie
kann nicht von einer Theoretiker_in betrieben werden.
Sie kann nicht von einer einzelnen Stimme, und auch
nicht von einem Chor einzelner Stimmen, die den Feind
anschreien, erhoben oder in Anschlag gebracht werden.
So wird unsere Waffe aus unseren eigenen toten, individuierten Händen gerissen und gegen uns eingesetzt
– auf den körperlichen Überresten, die wir unser Eigen nennen und in denen wir vorgeblich herumlaufen
– als ein Instrument der Folter und Beschämung. Das
ist keine revolutionäre Waffe. Wenn wir nun darüber
nachdenken, was eine solche Waffe wäre, nachdem die
Praxis der Revolution durch die Vernichtung jeglicher
Illusionen von Reparatur (die schließlich nicht denjenigen galt, die gebrochen wurden, sondern immer dem
System, das sie brach) klarer zur Geltung gekommen
ist, haben wir den richtigen Grund und die richtigen
261
Werkzeuge, um ein Gefühl für die Bedeutung dessen
zu bekommen, was das Kleinbürgertum, von dem man
heute sagen kann, dass es die Filialleiter_innen, Ladenbesitzer_innen und unabhängigen Unternehmer_innen
des akademisch-künstlerischen Komplexes umfasst, tun
kann und nicht tun kann, tun darf und nicht tun darf.
Berühmt ist Cabrals Aussage, dass, sobald es die
Macht übernommen hat, „das revolutionäre Kleinbürgertum dazu fähig sein [muss], als Klasse Selbstmord zu
begehen, um im revolutionären Arbeiter, der sich voll
und ganz mit den tiefsten Bestrebungen seines Volkes
identifiziert, wieder aufzuerstehen.“ Außerdem sagt er,
dass „die Bedingungen, unter denen sich die nationale Befreiung entwickelt, wenn sie auch im wesentlichen
ein politisches Problem ist, ihr einige Merkmale aus
dem Bereich der Moral aufprägen.“ 85 Cabral sagt hier
nicht, „Begeht Klassenselbstmord!“ Er sagt, „Begeht
Selbstmord als Klasse!“ Denn was wäre, wenn gerade die Idee des Klassenselbstmords den Aufschub des
Selbstmords als Klasse bedeutete? Was wäre, wenn dieser letzte Akt des Klassenwillens, unternommen von einem anderen Subjekt der Geschichte, das an die Stelle
des einen – des Proletariats – tritt, das durch all seine unübersehbaren Lumpen und seine Restlumpenheit
hindurch einfach nie agieren wird, nichts anderes ist als
ein letzter, endlos verschlimmernder Akt der Politik, in
und auf ihren Ordnungsbedingungen und ihrer metaphysischen Vervollkommnung, wo Staat und Subjekt
in der abtötenden und antidifferenziellen Verschmelzung von Individuum und Kollektiv ihre verfallende
Amílcar Cabral, „Die Theorie als Waffe“, in: ders., Die Theorie als
Waffe. Schriften zur Befreiung in Afrika, übers. v. Kathrein Tallowitz,
Bremen: Edition CON 1983, 245-265, hier: 264.
85
262
gegenseitige Umlaufbahn tanzen? Nein, sagt Cabral, begehen wir Selbstmord als Klasse, was sich seiner Meinung nach als moralisches Problem herausstellen wird,
wenn wir die politische Szene analytisch korrekt beschreiben. Was aber, wenn die korrekte analytische Beschreibung eine ist, in der die Klassenanerkennung, die
in der Verleugnung eines ständig aufgeführten Klassenstatus gegeben ist, durch eine ständige, experimentelle
Übung in Antagonismus ersetzt wird, in der die Ökonomie der Ver-/Aner-kennung aufgegeben wird? Hier
steht weniger die Beauftragung von gesammelten individualisierten Akten auf dem Spiel als vielmehr der Verzicht auf die Metaphysik, die die Untercommons-Praxis
auf Politik reduziert, die nichts anderes ist als der Akt
des Individuums. Was, wenn das moralische Problem
aus seiner Subsumtion unter das politische Problem
hervorgeht, wenn die Macht weder ergriffen noch demokratisiert, sondern vielmehr verweigert wird? Klassenselbstmord ist ein politischer Akt, eine Reihe von
politischen Akten; Selbstmord als Klasse ist anti- und
ante-politische Praxis. Dieses Reich der Moral ist also
nicht der Raum/die Arbeit zwischen relationalen Subjekten, entgegen der landläufigen und wissenschaftlichen Meinung, seit der Westen damit begonnen hat,
sich selbst zu gebären, und seit er dann damit begonnen
hat, sich selbst zu sichern, indem er all das einschloss,
von dem er – in verschiedenen Prozessen hyperrationaler Verblendung – bestimmte, dass es nicht er selbst war.
Dadurch ist das alte Problem der Vorstellung, um nicht
zu sagen der (Un-)Möglichkeit einer politischen Moral oder einer moralischen Politik (auf-)gelöst. Moral
und/oder Ethik und/oder Ästhetik operieren nicht im
imaginären Raum zwischen Subjekten (und Objekten).
263
Praktische, antipolitische Verweigerung der Metaphysik der Klassen-„Moral“ ist eine Sache des Rauschens.
Die Aspirationen der Leute, zu denen man gehört, voll
zu spüren, bringt eine schreckliche und schöne Differenzierung im Rauschen mit sich, eine harmonische
Unschlüssigkeit von und mit und in dem Chor, in Erwartung einer Verschiebung in der Schar, wo die Zugehörigkeit auf der Flucht vor der Zugehörigkeit im Teilen
ist, in einer Unruhe ständiger topographischer Bewegung ruhend. Die Waffe der Theorie ist eine Konferenz
der Vögel. Der Küchentisch ist ihre Öffentlichkeit und
ihr Verlag.
Versuchen wir, genauer zu erläutern, wie Selbstmord als Klasse – die Verweigerung der Klasse und
ihrer Strukturen und Rituale der Zugehörigkeit, die
die gleichzeitige Inszenierung und Verleugnung der
Klassenidentität umfassen – funktioniert, und zwar jenseits der Unterscheidung zwischen (Akten der) Beauftragung und Unterlassung. Erinnern Sie sich an William
Munny in Unforgiven? Er sagt: „Es ist eine höllische Sache, einen Mann zu töten – man nimmt ihm alles, was
er hat und was er jemals haben wird.“ Was für eine Sache aber ist der Selbstmord? In welchem Verhältnis steht
der Selbstmord zum nicht-einzigartigen Nicht-Sein des
Einverständnisses? Die massive Arbeit der Selbstauflösung impliziert eine noch massivere Praxis der gegenseitigen Hilfe, wo sich analytische Beschreibung in gemeinschaftliche Praxis umfaltet oder sich an ihr reibt.
Vielleicht muss man durch jene Hölle gehen, als Reaktion auf die brutale Störung der Xenogenerosität zum
Mord berechtigt zu sein, eine enteignende Verfügbarkeit, wobei Mord oder Selbstmord die Subjektreaktion
ist, die Teil des selbstherrlichen, selbstbestimmenden,
264
selbstbetrügerischen, nationalistischen, etatistischen,
neokolonial dekolonialen Programms des Kleinbürgertums ist, das immer entweder aus der Position der_s
selbststilisierten Immigrant_in oder jener der_s selbsternannten Einheimischen geltend gemacht werden
kann. Wenn nationale Befreiung – so wie sie sich durch
den Diskurs der Selbstbestimmung bewegt – ein politisches Problem ist, dann sollte sie in gleichem Maße
nicht unser Problem sein, so sehr sie uns auch Probleme bereitet, uns, die wir das Leben und die Kämpfe der
Negro Toilers leben und/oder leben wollen, die in ihrem Profil, in ihrer Üppigkeit, in ihrer ungleichmäßigen
Grundlage, in ihrer Töne beugenden, Schreie twistenden Lumpenheit keine Klasse haben (wie Marx mit unfehlbarer, aber unverständiger Einsicht bekräftigt haben
wird, wie die Panthers wussten). Ihre Nicht-Mitgliedschaft ist eine Praxis der Nicht-Zugehörigkeit.
Nunmehr können wir die (politischen Probleme der)
Leute betrachten, die sich selbst für das „revolutionäre
Kleinbürgertum“ halten. Das erste Problem ist natürlich, dass sich niemand für so etwas hält. Diese Marxsche Klassenkategorie wird jetzt vor allem im Dienst eines seltsamen Antikommunismus verwendet, während
alte bürgerliche Kategorien wie „Mittelschicht“ oder
„Fachpersonal“ oder neue wie das „Prekariat“ oder die
„Kreativen“ beiläufig eingesetzt werden und – im Namen der „Analyse“ – als nicht-analytische Schlagwörter
für Komponenten in einem statischen System funktionieren. Es ist ebenso unklar, ob diese „Klasse, die sich
nicht als Klasse bezeichnen wird“, sich selbst für revolutionär hält, oder zumindest Mitglieder dieser sich selbst
verleugnenden Klasse dieses Wort in der Öffentlichkeit
benutzen würden, um ihre Anschauung zu beschreiben,
265
geschweige denn ihre täglichen Aktivitäten, mit ein paar
exilierten Ausnahmen. Dennoch gibt es eine Klasse, die
sich selbst nicht Klasse nennt und sich selbst nicht öffentlich als revolutionär bezeichnen wird, die aber sehr
wohl ein „Verständnis“ des Imperialismus hat, das man
als revolutionär bezeichnen könnte, und die sich darüber hinaus in diesem Verständnis, als Trägerin dieses
Verständnisses und, was noch wichtiger und verlogener
ist, als das ständig erneuerbare Ziel dieser Revolution
erkennt. Was sollen wir von diesem gezielten Aufklaffen halten? Erstens: Aufschub ist vielleicht ein besseres
Wort. Die Aufschübe, keine „Klasse zu sein“ und sich
nicht „für oder von der Revolution“ zu erklären, verhindern, dass Analysen oder Beschreibungen des Imperialismus insbesondere eine grundlegende Konsequenz
hätten: Selbstmord. Andererseits werfen sie auch eine
tiefere Frage auf: Warum sollten wir überhaupt wollen,
dass dieses Kleinbürgertum Selbstmord begeht? Oder,
noch deutlicher, warum sollten wir es überhaupt wollen? Verlangen wir das, was wir begehren? Das, was
nicht vom, sondern eher für das Kleinbürgertum ist,
das als Komplize wenigstens im Antiimperialismus/
-kolonialismus, wenn nicht gar in der Revolution auftritt, ein Widerspruch, in dem es sich selbst (zurück-)
hält? Schließlich stellt sich die Frage, was wir von und
für uns selbst wollen. Leiden wir am Scheitern oder an
einem Überfluss an Selbstbewusstsein als Klasse? Wie
weisen wir dieses seltsame selbstbewusste Ausagieren
des Klassenunbewussten des revolutionären Kleinbürgertums zurück?
Der Punkt, um den es hier geht, ist sehr quälend.
Vielleicht war es falsch, vorzuschlagen, dass das Kleinbürgertum die Entscheidung treffen könnte, als Klasse
266
Selbstmord zu begehen. Newton arbeitet an diesem Problem mit seiner Idee des revolutionären Selbstmords. Er
scheint nicht die Gesamtheit der Klasse einzubeziehen,
aber gleichzeitig einen Weg zu suchen, damit diese Partialität nicht in Individualismus verfällt. Es handelt sich
nicht einfach um eine avantgardistische Askese – dass
die Führung „für das Volk sterben“ muss –, sondern um
ein Verständnis dafür, wie das Kleinbürgertum beides
haben konnte, oder anders gesagt, wie das Kleinbürgertum eine wahre Klasse war/ist, die zwischen der Bourgeoisie und den Arbeiter_innen agierte. Dies war die
Klasse, der Newton in Oakland begegnete, als sein Vater
ihn mitnahm, wenn es für die Leute Zeit war, die monatliche Rechnung für die gekaufte Wohnungseinrichtung pünktlich zu bezahlen. Er sah die Beständigkeit
einer Klasse lokaler Eintreiber, die den bösartig destillierten Reichtum der Nachbarschaft einsammelten und
dabei die unverzichtbare Rolle spielten, Arbeiter_innen und Lumpen durch die Funktion von Management
und Finanzen zu unterscheiden; er sah auch durch die
bloße Analyse hindurch, die an sich so bequem in der
Hand der Police liegt wie eine Keule oder ein Spieß; er
sah durch das hindurch, was Cabral die Struktur des
„Eigentums in der Gesellschaft“ nannte, die sich nie direkt mit dem Eigentum der Gesellschaft überschneidet,
auf das Möbelhändler_innen, Möbelhersteller_innen
und Professor_innen Anspruch erheben.
Natürlich sagt Cabral das dem Kleinbürgertum beständig und unmissverständlich: Ihr solltet euch besser
entscheiden. Aber Newton sah, dass dieser Aufschub
der Revolution – der auch und mit der sanftesten, aber
sichersten Verwüstung im Wesen einer revolutionären
Klasse für sich und für andere gegeben ist, deren Ethik
267
ständig in antiimperialen oder antirassistischen oder
antitrans-/homophoben Handlungen oder Haltungen
oder Stimmungen oder Absichten geprobt wird – die
grundlegende materielle Bedingung des revolutionären
Kleinbürgertums ist. Wenn ein Mitglied dieser Klasse etwas sagt wie: Wenn ich eine Festanstellung bekomme, oder wenn ich mein Buch veröffentlicht habe,
oder wenn ich befördert werde, oder wenn die Kinder
ihren Abschluss gemacht haben, oder in meiner zweiten Amtszeit, oder wenn ich meinen News-Blog gestartet haben werde, deutet das nicht auf strategische
Fehlkalkulation oder persönlichen Makel oder Feigheit
oder Unmoral hin – unabhängig davon, wer sagt, solche Gedankenverbrechen sollten mit Canceln bestraft
werden können, ein Satz, der oft von den etymologisch
Herausgeforderten geäußert und ausgeführt wird, die
behaupten, gegen Einkerkerung zu sein? Aber solche
Dinge zu sagen und diejenigen zu canceln, die solche
Dinge sagen, macht die grundlegende Bedingung aus,
in dieser Klasse zu sein, selbst wenn diejenigen, die aufschieben, sich selbst vormachen, dass sie angekommen
sind, und selbst wenn diejenigen, die aufschieben, eine
Analyse ihres ständigen Nicht-Ankommens haben,
wobei das Angekommen-Sein im Nie-AngekommenSein die ultimative Aufschiebung des Selbstmords als
Klasse ist.
Dankenswerterweise erinnert uns Cabral daran, dass
das antiimperiale Kleinbürgertum eine reale, wenn auch
keine ewige Klasse ist. Sie ist real, weil sie in der sich
entwickelnden Produktionsweise produziert wird. Logistische Produktion teilt das Management auf. Sie reduziert es nicht und löst es nicht auf. Es wird jetzt zum
Beispiel auf dem Kunstmarkt rauf und runter gespielt.
268
Selbstmanagement oder Autor_innenschaft sind der
Irrglaube, auf dem die kleinbürgerliche Klassenmacht
basiert. Auf jeden Fall lebt ein Teil dieses Kleinbürgertums heute, fünfzig Jahre nach Cabral, in einem Schwebezustand des Aufschubs und der Trennung, während er
jeden Tag seine Analyse macht. Aber vielleicht war das
immer ihr wirklicher Zustand, der immer auch ihr falscher Zustand war. Denn wenn sie als Klasse irgendwie
Selbstmord begehen würden, wenn das jemals ihre gemeinsame Praxis wäre, würden sie nicht erkennen, dass
die Revolution bereits da ist, vielmehr würden sie als
nichts anderes als die Revolution „existieren“, als und in
ihrer militanten Bewahrung, wie die Negro Toilers.
Wie aber sortiert unterdessen die Analyse, wie sortiert die Police als Police das revolutionäre Kleinbürgertum, die Arbeiter_innen und die Lumpen, und wie
und warum wird diese Sortierung in den Händen der
Bourgeoisie belassen, nicht als Funktion, sondern als ein
Vorrecht? Wie steht dieses Vermächtnis dem entgegen,
was nach Ansicht von Martin Luther Kilson Jr. in einigen Fällen angewandt wurde und in allen angewandt
werden sollte – eine vorrangige Option für die Armen 86
(im Gegensatz zu dem begabten Zehntel, das dafür vorgesehen ist, sie innezuhaben und auszuüben)? Wie kam
es dazu, dass das Gegenteil des Imperialismus als antikommunistisch gerahmt wurde? Als Freiheit? Als individuierter Gedanke: „Was hat es für einen Sinn, mir
selbst zu verweigern, was sie (ihr wisst schon, sie, die
weiße Bourgeoisie, die wirkliche Bourgeoisie) sich gegenseitig gegeben haben?“
86 Martin L. Kilson, The Transformation of the African American
Intelligentsia, 1880-2012, Cambridge: Harvard University Press 2014.
269
In einer weiteren Rede wendet sich Cabral an die
Regierungsangestellten, die noch unter der portugiesischen
Verwaltung der Kolonie arbeiten. Er fordert sie auf, in
ihren Kampf einzutreten, und sagt: „Jeder Arbeitsplatz
sollte ein Gefechtsposten werden.“ Wenn jeder Job ein
Gefechtsposten ist, dann wird, wie die Dinge liegen, jeder Posten parteiisch. Was, wenn die bevorzugte Option nichts anderes ist als die gemeinsame Verteidigung
gegen die gegenwärtige Option, gegen jede Beschäftigung, die gegen uns geschaffen wird – einschließlich
der Selbstbeschäftigung, einschließlich der Verweigerung der Selbstverleugnung durch die Selbstsorge, die
die Essenz so ziemlich jedes Jobs ist, gegeben in einer
riesigen Bandbreite von Mischungen aus Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung, so dass jeder verdammte
Job der schlimmste verdammte Job ist, den man haben kann, ein Zustand, den man allein weder innerhalb
noch außerhalb der Arbeitszeit bekämpfen kann. Sorry,
Godfather, aber unsere Aufgabe ist es nicht, den Job zu
besitzen. Wir müssen den Job bekämpfen. Wir müssen die Bedingungen bekämpfen, die Ausschlüsse und
Trennungen, die unsere Arbeit ihrem Job unterordnen. Die Theorie muss unsere Waffe in diesem Kampf
sein, und sie muss in unserer Praxis gegeben sein, in
der Art und Weise, wie wir uns versammeln, auf unserem Weg. Denn es geht nicht wirklich darum, was wir
sagen, wenn dieses Sagen nicht aus der Arbeit, die wir
tun, hervorgeht und in sie zurückfällt. Kein individueller Akt, keine Ansammlung individueller Akte des Ausdrucks, auf die selbst der bewaffnete Widerstand in der
Institutionalisierung des Gedächtnisses reduziert wird,
kann die Waffe der Theorie repräsentieren, geschweige denn in Anschlag bringen. Solche Waffen zu tragen,
270
wird in der Praxis, die wir teilen und verteidigen, gegeben sein, indem wir unsere Differenzen gemeinsam tragen und uns militant um sie sorgen, was außerhalb jeder Struktur oder Ökonomie der politischen Moral der
Klassenindividuierung liegt. Im Namen einer ethischen
Sozioökologie, in der Hoffnung auf eine allgemeine Verweigerung der Kleinbürgerlichkeit, hier spricht die revolutionäre Bourgeoisie, Ende der Durchsage.
271
diE GABE dER koRRUPtion
Dies ist das Schachtelnest der Natur: Der
Himmel enthält die Erde, die Erde Städte, Städte
Menschen. Und sie alle sind konzentrisch; die allen
gemeinsame Mitte ist Verfall, ist Ruin; nur das
ist exzentrisch, was nie gemacht wurde; nur der
Ort, oder das Gewand eher, das wir uns vorstellen,
aber nicht darstellen können, dieses Licht, das
ebendie Emanation des Lichts Gottes ist, in der
die Heiligen wohnen werden, mit der die Heiligen
gewand’t sein werden, nur das neigt sich nicht zu
dieser Mitte, zum Ruin; nicht aus Nichts Gemachtes ist nicht von dieser Vernichtigung bedroht.
Alle anderen Dinge sind es, auch die Engel, und
sogar unsere Seelen; sie bewegen sich auf denselben Polen, sie neigen sich zur selben Mitte; und
wären sie nicht durch Bewahrung unsterblich gemacht, könnte ihre Natur sie nicht davor bewahren, in diese Mitte zu sinken, die Vernichtigung.
(John Donne)
1.
Schwarze Völker bewahren und verteidigen das Unbewertbare für alle, während sie selbst keinen vollen Zugriff darauf haben. Dieses Paradox wird durch die Tatsache verschärft, dass dieser nicht vollständige, nicht
einfache Zugriff in Praktiken schwarzer Völker gegeben und verschlossen ist. Darüber hinaus und als Folge
bewirkt ihr partialer Zugriff den unbegrenzten Zwang
und den brutalen Widerstand, der sie aus und in der
Welt heimsucht, die entweder totalen Zugriff voraussetzt und zu erzwingen sucht oder überhaupt keinen. So
dass das, worauf zugegriffen wird – was zurückgehalten
273
und bewacht wird, was, wie Humberto Maturana sagt,
konserviert wird –, das ist, was Chandler und Andrew
Benjamin die unursprüngliche Verlagerung einer tief
verwurzelten, verstreuten Indigenität nennen würden,
die eine einzige Art in unbegrenzter Variation ist. Es ist,
als ob, wenn die Welt nicht hinschaut, oder vielleicht
sollten wir sagen, wenn sie nicht hinsieht oder hinhört,
was immer und alles andere als nie ist, als ob schwarze Völker dieses unbewertbare kleine Alles-was-wirbrauchen hervorziehen und daran arbeiten, damit spielen, es lieben und hassen, es in die Hand nehmen und
niemals loslassen. Aber diese ästhetische Sozialität, wie
Laura Harris es nennt, wird beschnitten, und zwar nicht
nur von weißen suprematistischen, kapitalistischen Teufeln; irgendwie können schwarze Völker sie auch berühren, auch wenn sie außer Reichweite ist, sie hören,
auch wenn sie außer Hörweite ist, und sie sehen, auch
wenn sie weg ist. Dieses unsinnige Gefühl – Okiji hat
es unsinnlich genannt – ist der Fluch der Aufseher_in,
die Chance der Geber_in, der Übergang, der nicht übergangen werden kann.
Der Fokus auf Begriff und Thema der Korruption
war schon immer daneben. Es ist, als wären wir von
Anfang an von der Korruption der Korruption korrumpiert. Mackey spricht von Baraka, der von John Tchicais
Spiel sagt, dass es immer „vom Vorgeschlagenen wegschlittert“, und dieses Schlittern, dieses Glissando, dieses Auf- und Abgleiten, oder vielleicht von einer Seite
zur anderen Gleiten, entlang der Skala, dieses Ungleichgewicht, dieses Unmaß ist im Wort Korruption schon
da. Es ist da in der Art und Weise, wie „Korruption“ sich
nicht vor dem schützen kann, was in einer Art semantischem Schwarm auf sie zustürmt: Verfall, Unreinheit,
274
Gefallensein, Sünde. Die Korruption kann sich nicht vor
dem Außen schützen, das schon in ihr ist, als ihre innerste Essenz, der wir insofern zum Opfer gefallen sind,
als wir schon die Emanation dieser Essenz waren. Wer
sind wir, dass wir von Korruption sprechen können,
wenn wir selbst ihre Gabe sind? Da wir gefallen sind
und uns nicht mehr erheben können, können wir nur
versuchen, mit der Korruption abzuhängen; aber sehr
bald erscheint uns das als Diebstahl, und nicht nur als
Wegstehlen. Korruption besteht in der Weise, wie die
Dinge innerhalb der allgemeinen Problematik auseinanderfallen, darin, dass Dinge nie ganz zusammenkommen, und dieses Ding, das wir tun, dieses Ereignis, ist
genau in dieser Mischung, Mitte, mist, Mysterium, alles
alles oder nichts hier drin oben, alles da draußen als allgemeine Tendenz.
Die Gabe der Korruption ist eine afformative Fantasie; ein ante-statischer, metamorphologischer Übergang. Die erste Art und Weise, wie wir versuchen, an
dieses Ding heranzukommen, in dem wir schon sind,
das schon ganz in uns drinnen ist als unser eigenes Wesen und Verderben, geht über John Donne oder, wie wir
ihn gerne in falscher Übersetzung nennen, John Gift,
oder John Give. Ein großer Teil von dem, was Donne
gibt, von dem, was in Donne gibt, von der allgemeinen
Gabe, die in Donnes Nähe gegeben wird, von dem, was
dort, vor allem im Spätwerk des als Donne bekannten
Göttlichen, abfällt, ist eine massive Meditation über den
Tod, diesen immer wiederkehrenden Anlass. Die Problematik des Tods ist für Donne und in seiner Eschatologie untrennbar mit der der Geburt und, allgemeiner, der
Schöpfung verbunden. Alles, was wir jetzt dazu anbieten können, sind Reste. Wir hatten etwas aufgegeben,
275
was wir für Stephen Booth über die zehnte Meditation
aus Donnes Devotions Upon Emergent Occasions schreiben wollten. Von Donne lernen und verlernen wir immer wieder einige Dinge über das Bewahren – Booth
nennt es Konservierung. Das Buch, für das diese Fetzen
vorgesehen waren, ist schon lange erschienen, wir haben
sie aber bewahrt, auch wenn sie schon veraltet, abgelaufen oder teilweise abgenutzt sind. Wir wollen immer
noch eine Lesart der kalypsonischen Faszination d(ies)er
Meditation vorschlagen, ihrer grüblerischen Gewalt, der
Art, in der die Unmöglichkeit sie überwinden oder hinter sich lassen zu können dazu veranlasst, gegen ihren
Strich zu gehen. Vielleicht ist die Aufmerksamkeit für
den Strich gerade gegen ihn, widersteht ihm, oder erregt seinen Widerstand. Wünschen wir uns eine Poetik
der Auferstehung? Vielleicht ist die allgemeine Praxis
eine textuelle Ökologie, und was wir zu sehen und zu
hören versuchen, ist das, was keinen Wert hat, was nicht
verbessert, sondern nur gebraucht werden kann, immer
und immer wieder, in einer Art Verfall, einer Art Fall,
in der seltsam bewahrenden Spirale der verfallenen Umlaufbahn. Immer wieder gibt es nichts zu gewinnen, also
könnte man es Bewahrung und Nutzlosigkeit nennen,
wie Booth es täte, aber mit einem gewissen welkenden
Withers’schen Wohlgefühl angesichts der Ausgaben.
Vielleicht ist Auferstehung, wenn sie ganz in eine Revolution verwickelt ist, wie sie Fanon prophezeit, nur
diese völlig nackte, konsubstanzielle Abschüssigkeit.
Vielleicht erlaubt es die Vorstellung derart unterhalb und
jenseits der Darstellung, die Natur der Personalität zu
untersuchen, ihre innere Verfasstheit, Syntax und brutale
Grammatik. Vielleicht wird es möglich sein, zu so etwas
wie der Göttlichkeit – gegeben in ihrer Nutzlosigkeit,
276
gegeben in der Verweigerung ihrer Nützlichkeit und
gleichzeitig in der Umarmung ihrer Instrumentalität
– der von Menschen gemachten Dinge oder des nichtgemachten Menschen zu kommen. Aber wir sollten
präziser sein und sagen, dass wir nicht so sehr daran interessiert sind, eine Lesart von Donne anzubieten oder
Booth als Leser von Donne zu verstehen. (Mag Booth
Donne überhaupt? Es gibt ein vestibuläres Gefühl, das
Booth wertschätzt, eine Erfahrung, an der Schwelle zur
Entdeckung dessen zu stehen, was noch nicht ganz da
ist, ein Potenzial an Potenzialität in „einem Geist, kurz
bevor er die geistreiche Verbindung von disparaten Dingen erfasst“ 87, das Donne, so würde Booth vermutlich
sagen, in der Grandiosität seiner Gabe zu oft nimmt, bevor es gegeben wurde. Vielleicht gibt es zu viel auffällige Selbstbeweihräucherung, zu viel Heraldik in Donnes
Scharfsinn. Vielleicht wird nicht genug in Reserve gehalten, damit sein flottes Nicht-Erscheinen entdeckt
werden kann. Vielleicht lässt Donne nicht genug ungemacht, zu ungestüm und scharfsinnig macht er uns auf
das aufmerksam, was wir ohne Absicht erfahren sollten;
vielleicht lässt er nichts zu bewahren übrig in dem einfachen, unkalkulierbar komplizierten Akt, auf das hinzuweisen, was nie ganz geschehen sein wird). Aber vielleicht gibt Donne in seiner ostentativen Großzügigkeit
eine Einsicht in die Art von Ding, die Booth in seiner
Kritik leistet, alles in dem Interesse, die Verkündigung
zu verbreiten.
Die Bewahrung der potenza, dessen, was noch
nicht geschehen ist; die Bewahrung der Tendenz; die
87 Stephen Booth, Precious Nonsense. The Gettysburg Address, Ben
Jonson’s Epitaphs on His Children, and Twelfth Night, Berkeley:
University of California Press 1998, 72.
277
Konservierung der Konjunktivität, die in der Figur des
Quarks gegeben ist, der Einheit von Materie/Energie,
die in Distanz zu dem steht, was Booth „aktive, wesentlich informative Mehrdeutigkeit“ 88 nennt, und
die dadurch die spezifische Art der (Inter-)Artikulation ermöglicht, die laut Booth poetische Größe ausmacht („die Interaktion von ausgebeuteten und latenten
Energien“) 89: Dieser serielle Verweis auf den Punkt und
den Moment der Entdeckung ist die Art und Weise,
wie sich Booths Arbeit entfaltet; das ist die irritierende Sanftheit seines „close reading without readings“, die
Beharrlichkeit, mit der er Texte auf falsche Weise abreibt und ihre eucharistische Präsenz in einem gewissen
radikalen Missverständnis der Hostie abschmeckt. Hier
gibt es eine anaphänomenologische Verweigerung des
etatistischen Impulses, und man ist daran erinnert, dass
es sogar in dieser Welt Dinge gibt, die Subjekte nicht
machen, als ob das Weltmachen selbst auf der Annahme beruhte, mit einer Art irdischer Freude sogar darauf
verzichten zu können.
2.
Was ist das Verhältnis zwischen Sinn und Tod oder zwischen Sinn und Staat oder zwischen Erklärung und Verhör, zwischen all dem und Folter? Ist das unaufhörliche
Reiben der Kritik das, was Samuel Delany ein „Spiel von
Zeit und Schmerz“ 90 genannt hat? Ist das die Kehrseite,
Ebd., 69.
Ebd., 72.
90 Samuel Delany, „The Game of Time and Pain“, in: ders., The
Bridge of Lost Desire, New York: Arbor House 1987, 1-136.
88
89
278
das schreckliche Abseits der Aussetzung, einer bestimmten textuellen Ökologie des Irrtums, des irdischen Lebens in/als Unterseite und Apposition der Welt? Was,
wenn der Zweck der Kritik die Aussetzung ist – buchstäblich in der Luft zu bleiben, die Scheiße in der Luft
zu halten oder zu lassen, sie hochzuhalten, wie Ali schon
Floyd Patterson oder Ernie Terrell hochhielt – jeder
Schlag, ergänzt durch die verbale Begleitung eines endlosen Quiz, das aus einer Frage bestand, die nicht zu beantworten war („Was ist mein Name?“), wurde zu einer
strukturellen Stütze, die das aufrecht hielt, was durch
die vorgetragene Serien-Belehrung schon umgehauen
wurde, wie ein Riemen an es angelegt. Dies war eine
Aktion ähnlich der Erfahrung des Mondathleten, zu
dem wir laut Booth alle werden, wenn wir Shakespeares
Sonette lesen – der Unterschied ist allerdings, dass nicht
nur der Text, sondern auch wir selbst in diese spiralförmige Levitation versetzt werden, wo Fallen sich immer
wie Fliegen anfühlt, wo Verstärkung nominative Gewalt
ist. Dies ist die Aggressivität von Booths Konservatismus – in der Bewahrung als Akt der irruptiven, korrumpierenden In(ter)vention –, eine qualvolle Tätigkeit und
Aneignung von Erkenntnis(sen), bei denen Magie nur
insoweit magisch bleibt, als sie erklärt wird. Über Ben
Jonson schreibt Booth:
Das Einbeziehen von Erinnerungen an unbequeme Denkweisen über den Tod des Kinds in das
Couplet gibt einer noch immer banalen und allzu
simplen Geste die Anmutung einer Philosophie,
die getestet und für ausreichend befunden wurde.
Lassen Sie mich das erklären. 91
91
Booth, Precious Nonsense, 73.
279
Unsinn facht erneut ein Problem der philosophischen Übersetzung wie auch der Angemessenheit an:
Sinn*/sense/meaning wird gerade ins Spiel gebracht, insofern Vieles von dem, was Booth tut, wenn er Unsinn
bewahrt – wenn er ihn enthüllt, erklärt, aufwertet –, darin besteht, die referenzielle Spannung in ihrem unendlich exzentrischen Fall offen zu halten oder ihre
Öffnung weiterzubetreiben. So reiben sich Sinn* und
Sünde, Sünde und Korruption auf richtige Weise aneinander. So geht es auch um den Abstieg der Transsubstanziation in die Konsubstanzialität. Was ist es,
das ein Text für uns wird, durch ein Ritual, in der
Verkündigung, wie die reale Präsenz Christi in der
Eucharistie? Man möchte weglaufen: vor der Andacht, der Dreifaltigkeit und der dreiteiligen Form,
hin zum Unsinn eines durchbrochenen Kreises. Wenn
Donne gepaart wird mit Henry Dumas, erhält man
eine Art Trane, dessen Meditationen, wie auch die
von Mingus, alle die Intra-Aktion von Unsinn und
spiritueller Nahrung streifen. Was bedeutet es, vom
Substanzlosen genährt zu werden? Gibt es eine Materialität des Substanzlosen? Vielleicht ist es das, was
Literatur ist. Aber wenn sie es ist, wenn sie das Tun
dieser Arbeit ist, dann ist sie es in und als das Geschenk der Korruption. Es ist, als ob, wenn die Worte
„nehmet hin und esset; das ist mein Leib“ ausgesprochen werden, das Problem des Aufstands in gefährlicher und überwältigender Nähe zum Versprechen der
Auferstehung steht. In Donnes Meditation zeigt sich
dies als ein Welt- und Körperproblem, ein Problem
der Körperlichkeit und der Institutionalität, das Jan
Potoçka in Body, Community, Language, World zu beleuchten hilft. Er schreibt dort:
280
Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Welt
im Sinne der vorangehenden Totalität, die das Erfassen von Existentem ermöglicht, auf zwei Arten verstanden werden kann: (a) als das, was uns
Wahrheit ermöglicht, und (b) als das, was es den
einzelnen Dingen innerhalb des Universums und
dem Universum als Summe der Dinge ermöglicht, zu sein. Auch hier dürfte das Phänomen der
menschlichen Körperlichkeit zentral sein, denn
unsere Erhebung aus der Welt, unsere Individuierung in der Welt, ist eine Individuierung unserer
subjektiven Körperlichkeit; wir sind Individuen im
Vollzug der Bewegungen unserer lebendigen, unserer körperlichen Bewegungen. Individuierung –
das bedeutet Bewegungen in einer Welt, die nicht
eine bloße Summe von Individuen ist, einer Welt,
die einen nicht-individuellen Aspekt hat, der dem
Individuum vorgeordnet ist. So wie Kant es in seiner Vorstellung von Raum und Zeit als Formen erahnt hat, die zuerst verstanden werden müssen, um
zu erkennen, dass es Partikularien gibt, die zu einer
vereinheitlichten Wirklichkeit gehören. Als körperlich sind wir individuell. In ihrer Körperlichkeit
stehen die Menschen an der Grenze zwischen dem
sich selbst und allem anderen gegenüber indifferenten Sein und der Existenz im Sinne eines reinen
Verhältnisses zur Totalität von allem, was ist. Auf
der Basis ihrer Körperlichkeit sind die Menschen
nicht nur Wesen der Distanz, sondern auch Wesen
der Nähe, verwurzelte Wesen, nicht nur innerweltliche Wesen, sondern auch Wesen in der Welt. 92
Wer ist nun dieses „Wir“, von dem Patoçka spricht?
Das „Wir“, das zu diesem Schluss gekommen ist? Na ja,
we are the world, in gewissem Sinn. Wir sind die Welt,
92 Jan Patočka, Body, Community, Language, World, Chicago: Open
Court 1998, 178.
281
insofern wir zu Schlüssen über die Welt kommen können – genauer gesagt, zu dem Schluss, dass die Welt
das ist, was uns Wahrheit und Individuierung ermöglicht. Die Welt ist unsere gemeinsame Körperlichkeit,
sozusagen ihre Institution, innerhalb derer unsere Individuierung in und als Körper gegeben ist, worin diese
Individuierung in und auf und als sie selbst zurückrollt
als Möglichkeitsbedingung der Erkenntnis von und in
der Welt. Wir sind das Wir, das die Welt ist, insofern
wir (einige) Körper sind und haben. Aber dieses stetige
staatliche System, in dem Körper und Welt als Bedingung der Möglichkeit und Bewahrung des jeweils anderen gegeben sind, ist durch die anti/biotische Dynamik
belastet, die es eingrenzen soll.
Wenn die Begriffe des Körpers und der Welt in und
als eine Art gegenseitiger Einbalsamierung entstehen,
in der die Philosophie das übersieht, was die Theologie wiederkäuen muss, dann ist Donnes Wiederkäuen als ein ständiges, rückständiges Ausrasten über die
Fleischlichkeit gegeben, die weder der Körper noch
sein Diebstahl, weder der Begriff des Körpers noch seine juridisch-philosophische Einbehaltung eingrenzen
kann. Innerweltliche Wesen ertragen Kafkas innerlichste Bedrängung, aber sie können sie nicht ertragen; unterweltliche Nichtwesen ertragen Fragen aus einer Entkörperlichung, die Fanon für unerträglich hält. Wenn
der Begriff des Körpers und der der Welt als eine Art
kollektiver epistemischer Staatskörper auf eine Art mumifizierte Institutionalität hinausläuft, so geschieht dies
im Kontext eines ständigen Sprechens über Korruption,
einer ständigen, selbstgesteuerten Korruptionsanklage,
die tatsächlich eine Art Einbalsamierung darstellt. In
dieser Hinsicht bewahrt die Angst vor Korruption den
282
Körper und den Körper in der Welt. Wir sprechen über
unsere korrupten Institutionen, damit sie reformiert
werden können; über unsere korrupten Institutionen zu
sprechen, bedeutet in der Tat, sie zu reformieren. So
wird das Zusammenspiel von so genannter Öffentlichkeitsarbeit und so genannter investigativer Berichterstattung zur pseudodemokratischen Selbstbeweihräucherung, in der sich die betreffende Institution weigert,
zu verfallen, zu zerfallen, sich zu deformieren. Genauer
gesagt: Es geht nicht um die Reform von Institutionen,
sondern um die Deformierung der Institution als solcher. Wie wird dies vollzogen worden sein? Durch so
etwas wie militante Bewahrung. Aber genau hier wird
es heikel – in der erneuten Verdoppelung der unzähligen
kleinen Kanten der Korruption.
Korruption ist die Beeinträchtigung der Reinheit.
Ihre Wurzeln liegen in einem Verb, das „brechen“ bedeutet. Die Wege dieser Wurzeln sind unverankert,
mangrovisch und unermesslich. Man folgt ihnen bis
zur Verwicklung von Generativität und Verfall, und verschwindet dann. Was, wenn die Begriffe von Körper
und Welt selbst die Einbalsamierung des jeweils anderen sind? Was, wenn das kämpferische Bewahren untrennbar mit einer Art von Verfall verbunden ist? Dann
müssten wir uns nicht nur damit beschäftigen, was die
Korruption mit der Institutionalität, die uns tötet, tut,
sondern auch damit, was sie im Namen der Bewahrung
für uns tut. Das Paradox der politischen Korruption ist,
dass sie die Modalität ist, durch die brutale Institutionalität aufrechterhalten wird. Das Paradox der biosozialen Korruption ist, dass sie die militante Bewahrung
einer allgemeinen, generativen Fähigkeit zur Differenz
und Diffusion konstituiert. Diese Paradoxien verbinden
283
sich, um die Kante der Korruption zu vergolden, sie in
eine Gabe zu verwandeln, die bereits doppelkantig war,
die wir tragen oder anlegen können, als wäre sie der
Stoff unserer Haut.
Anziehen, ankleiden, anlegen wie in „Legte sie sein
Wissen an, gemeinsam mit seiner Macht?“ soll an eines
der Wörter erinnern, die Donne am liebsten anlegt:
apparel’d, gewand’t. Er spricht, als weiteres Beispiel, in
„A Lent-Sermon, Preached at Whitehall, 2/20/1628“
davon, was es bedeutet, unsere Meditationen in Worte
zu gewanden, davon, wie solches Kleiden des Gedankens in Worte, das untrennbar ist von jenem Kleiden
des Worts in Fleisch, das unser Erlöser ist, und jenes
Durchdringen des Fleisches, jenes Bedecken des Fleisches im Fühlen, das unsere Erlösung ist, eine notwendige Kette des Verfalls bilden, die als wunderbarer
Protest gestaltet ist. Sich zu kleiden, zu schmücken, zu
schminken oder zu überarbeiten, ist die Art und Weise, wie die Erlösung sich uns zeigt, sich für uns gibt,
und es ist die Art und Weise, wie und dass wir uns
der Erlösung in Dankbarkeit und Anerkennung zeigen. Aber das Zeigen, dieses Zusammenspiel von Erscheinen und dem, was zu gewanden ist, ist auch in
und als unser Gefallensein, unsere Sündhaftigkeit, unsere unbesessene Partialität, von Anfang an gegeben.
Donne spricht davon, dass wir, trotz unserer angeborenen Nacktheit, in Sünde gewand’t sind. Die Sünde
als Kleid, als Kostüm, ist unser ureigenster Geburtstagsanzug, so dass das, was für uns am authentischsten ist, dieses Gefallensein, unser Innerstes, zu unserer
äußeren Kleidung wird. Wir kommen nackt zur Welt,
unbekleidet, tragen nichts als unsere Sünde; aber, wie
Donne sagt: „Die Sünde ist so weit davon entfernt,
284
nichts zu sein, da es nichts anderes als Sünde in uns
gibt.“ So bedeutungsvoll sind wir.
Ist nun der Krach, der, wie Glissant sagt, unser Diskurs ist, die Summe von Sünde + Anziehen, din die
Summe von sin + don? Ist unsere verdammte Vergebung
– diese schreckliche Praxis, schon einmal da gewesen
zu sein, im Wegsein, im Losgehen – das revolutionäre
Geschenk, das durch uns hindurchgeht oder dem wir als
Blätter an oder in einem gemeinsamen Wind angehängt
sind, so dass wir von dem getragen werden, was uns antreibt und durchdringt, so dass wir den Atem begleiten,
den wir in unserer Zerstreuung tragen, in der Art, wie
wir das Nichtsein teilen in einem Übergang, einer Franse oder einem Soufflé aus Asche? Ist Gefallensein – unsere Fleischlichkeit, unsere Monstrosität als Geschenk
– nur diese Verwicklung von Verwicklung und Verfall
und Überleben, die damit einhergeht, dass wir in dieser
Tendenz des Hängig-Seins gehalten und berührt und
weitergereicht werden, als ob alles, was wir sind, untrennbar nur dieses fortwährende Zerbrochen- und Abgebrochenwerden wäre? Ist dieses Prinzip der Unvollkommenheit in Gemeinsamkeit, des mit nackter Haut
Bekleidet-Seins, des in Sünde Gewand’t-Seins, des Angezogenhabens unseres Fleisches in einer allgemeinen,
atmosphärischen Intra-Vulnerabilität, nur zu beanspruchen, wenn es verloren geht, wenn es gestohlen wird,
wenn es geteilt wird in einer unendlichen Verzögerung
des hautnahen dis place/meant? Wir waren schon immer
darauf eingestimmt, dass wir hier sterben, dass wir ständig sterben, in diesem Überleben, das wir teilen. Wir
wurden schon immer verachtet für diese Gestimmtheit,
im Überleben, auf das Überleben bei der Weitergabe,
verachtet von diesem (geistesgestörten) Mann, der für
285
immer (getrennt) leben will. Die Überwachung wird uns
erwartet haben, damit er bleiben und versuchen kann,
alles abzuwehren, indem er alles stiehlt. Aber irgendwie entkommt das Gehaltenwerden dem epistemologischen und politisch-ökonomischen Zugriff des Halts
und bewirkt die bruchartige Verweigerung des normativen polit-ökonomischen Diskurses über Korruption.
Dieser Diskurs distanziert sich von der Korruption, projiziert sie auf eine neue Welt oder eine dritte Welt, während sie auf die fixierte Operationalisierung einer eingefleischten und brutalen Stabilität reduziert wird, die die
Globalisierung der normativen politischen Ökonomie
ausmacht. Die Beziehung des Neoliberalismus zur Korruption ist in dieser Hinsicht wie die Beziehung von Pat
Boone zu Fats Domino. Was sie Korruption nennen, ist
in Wirklichkeit eine Form der politisch-ökonomischen
Einbalsamierung. Eine Mumifizierung des toten Staatskörpers gegen die degenerative und regenerative Kraft
der sozialen Existenz.
Was wir suchen, ist der Unterschied zwischen unterwürfiger und militanter Bewahrung und zwischen reformierender und deformierender Korruption, wenn sich
die göttlich gewaltsame Bosheit in den Dienst der Sichselbstlosigkeit stellt. Ist Sünde nichts anderes als dieses
gnostische Knäuel von Bewahrung und Korruption?
Sünde, so wird gesagt, sei der Akt des Verstoßes gegen das göttliche Gesetz. Wenn wir aber innerhalb einer
christlichen Eschatologie immer schon gefallen sind,
unsere Umlaufbahn sozusagen schon im Verfall gegeben ist, dann ist unsere Illegalität ein natürlicher Zustand. Hier kommt das ins Spiel, was Robert M. Cover
das rechthervorbringende Prinzip nennt, in all seiner
Fruchtbarkeit, als eine unverbesserliche Paralegalität,
286
die nicht nur gegen die souveräne Legalität gerichtet, sondern auch generativ für sie ist, als so etwas wie
das, was Derrida den mystischen Grund der Autorität
nennt. Nun, es ist so etwas wie mehr oder weniger +
mehr + weniger als das; etwas Anafundamentales, etwas Anarchisches, etwas wie überhaupt nichts. Sünde
ist auch Irren; es bedeutet daneben zu sein, neben der
Spur zu sein, schief zu liegen, nicht zur Sache zu gehören. Kann es den Sinn des Unentschiedenen, des Verlagerten tragen; und ist Gefallensein daher hier, in dieser
Hinsicht gegeben? Heidegger unterscheidet Gefallensein und Verfallenheit vom Sündenfall, aber sie stoßen
hier aneinander. Im Diskurs der Hamartiologie kann
unser Irren entweder von Adams Auflehnung losgelöst
oder unwiederbringlich und irreduzibel in ihr gegeben
sein; aber so oder so bleibt in seiner Tendenz immer
noch das unerklärt und unerklärbar, was bereits auf uns
wartete, hängig, angehängt, gewand’t, gegeben in der
gefalteten Unvollkommenheit, der buchstäblichen Invagination seines Körpers, der nicht der seine ist, indem er das ist, von dem er getragen wird, jener irrende
Dienst, den jede Ursprungsgeschichte zu vergessen versucht. Es ist nicht so, dass Eva Adams Korruption ist;
sie ist nicht seine Mama, auch nicht seine Baby-Mama.
Vielmehr ist sie so etwas wie eine Resonanz, die davor
und verkehrt herum liegt, als Prinzip eines untrennbaren Unterschieds, von dem man sagen kann, dass er
dazugehört, als Zerstreuung der Zugehörigkeit. Sie ist
wie ein homöomorpher Becher, der dorthin überläuft,
wo Halt und Ganzes in ihrer gegenseitigen Erschöpfung gegeben sind.
Es ist, als ob der erste Moment des Rap, der die Korruption der Musik ist, der erste Moment der Musik
287
wäre, der erste Moment, in dem jemand „Corrupshion!
Ruckshion!“ rief, auf dass die Leute tanzen können.
3.
Der Staat ist die Regulierung und Oligarchisierung der
Korruption, des Reichtums, das zu halten, was gegeben
ist, und das Gegebene loszulassen. Die fortwährende
Korruption des Körpers, seiner Grenzen, die fortwährende Aufführung des Lebens als dieses Teilen der Materie
mit der Umwelt, ist das, was der Staat zu stehlen veranlasst und gekauft wurde. Der Staat reguliert das Teilen
zum Zwecke der Privatisierung; im Namen des Werts
verübt und engagiert er sich für Verarmung. So dass das,
was in der politischen Welt oder in der Welt der Entwicklungshilfe Korruption genannt wird, gewöhnlich
die Metastase des Staats als eines Regulators der Korruption ist. Folglich sind Anti-Korruptions-Antriebe
Re-Regulierungs-Antriebe, die darauf abzielen, die
Regulierung der Korruption wiederherzustellen, oder
daran zu scheitern; in beiden Fällen ist es unsere Korruption, die unter dem vergeblichen Versuch leidet, ein
Stück von ihr zu privatisieren oder einen Moment davon in unserer fortwährenden Verwicklung zu isolieren.
Die Regulierung unserer Korruption und die Extraktion
aus ihr (auch durch vorbeugende Logistik oder Überwachung) muss unser kinky-geknicktes, gekrümmtes und
mattiertes, massenhaftes, unverschlossenes Fleisch begradigen. Sie schneidet einen einzigen Weg durch unser geknäueltes Rendezvous, um uns auszuschauen. Und
was, wenn Überwachung keine rechtliche und außerrechtliche Kategorie ist, sondern eine ökonomische?
288
Und was, wenn Korruption ein Weg ist, nicht nur die
Einheit der politischen Ökonomie zu denken, sondern
auch ihren Mangel? Was, wenn die Entblößung der
Erde/des Fleisches, die wir an uns angelegt haben, darin
besteht, die Sinne für die verarmten, nicht erneuerbaren Vergnügungen des Kapitalismus auszuschauen und
zu trennen, wo Genuss selbst durch leere Zeit bereitgestellt werden muss? Aber das könnte einfach bedeuten, dass Schwarzsein und normalerweise auch schwarze
Leute diese Art von kapitalistischem Wert durch Korruption erbringen – ob in einer erkennbaren ökonomischen Kategorie, einschließlich sozialer Reproduktion,
oder auch nicht. Überwachung wird dann zu einer Form
der Wertextraktion. Und was ist diese Form? Das Aussaugen eines Sinns, das Schaben eines Anteils, das Kräuseln einer Locke, das Aufteilen eines Lärms, ermöglicht
durch temporäre, instabile Isolation in der Regulierung
der Korruption. Die Mumifizierung der Lust, die aus
der Regulierung der Korruption gewonnen wird, die sie
immer verlieren, die immer verloren geht, in unseren
Augen und Armen. Die Police-Frage nach dem Ausmaß
der Korruption deines Staats ist also in Wirklichkeit die
grundlegende Frage nach der Fähigkeit dieses Staats, sie
zu regulieren.
Wenn der Staat die Korruption reguliert und versucht, sie von denen fernzuhalten, die aus ihr kommen,
was wenn es Leistung ist, Meriten, die er uns in den
Weg stellt, und wenn er unsere Wege mit seinem eigenen Gänsemarsch blockiert? Es wird uns gesagt, dass
Meritokratie und Korruption Gegensätze seien, aber
vielleicht ist staatlich sanktionierte, staatlich regulierte,
staatlich konzipierte Korruption nur ein Werkzeug der
Meritokratie. Wie können wir das also korrumpieren?
289
Nun, wir müssen damit beginnen, dass alle sagen werden, sie wüssten, dass die Gesellschaft keine Meritokratie ist. Es ist nur so, dass wir nicht aufhören können, so zu tun, als ob sie eine wäre. Wir wissen das
aus unserem Job (aber nicht von unserer Arbeit). Wenn
man Hochschullehrer_in ist, weiß man, dass der Arbeitsplatz keine Meritokratie ist. Niemand ist aufgrund
von Leistungen dort. Das Klassenzimmer ist nicht wie
eine Dose Narragansett-Bier, sold on merit und made
with honor. Dennoch wird Leistung ständig beschworen, wenn nicht direkt, dann durch die Regeln, die darauf ausgelegt sind, sie durchzusetzen. Die Studierenden
wollen Noten. Die Fakultätsmitglieder wollen eine Festanstellung. Sie verdienen sie, oder sie wollen sie verdienen, weil sie sie brauchen. Die Sprache der Leistung
ist überall um uns herum, was eine andere Art ist zu
sagen, dass die Auferlegung von Knappheit überall ist,
zum Teil weil wir sie in unserer wehrlosen Abwehr ständig beschwören. Aber Leistung entscheidet nicht darüber, wer von uns die begrenzten Ressourcen bekommt,
die uns zur Verfügung stehen. Sie begründet die Begrenzung selbst, indem sie Knappheit für jedes einzelne
Individuum schafft. Warum ist nicht genug für alle da?
Weil jeder sein Eigenes haben muss. Aber wer hat sein
Eigenes? Niemand, was bedeutet, dass die Meritokratie
sich selbst Lügen straft. Sie erzwingt individuelle Bewertung zum Zwecke der individuierten Verteilung, aber
sie nimmt die Form der Schaffung von Leistungsbanden
und Leistungsklassen an. Einsen und Zweien.
Wenn Kinder darüber streiten, wer der Greatest Of
All Times ist, wissen sie wenigstens, dass es lächerlich
ist: Die einzige Möglichkeit es zu entscheiden wäre, alles, was anders ist, aus jedem GOAT herauszuprügeln,
290
um die Rangliste einzuhalten, so dass die erste Differenz, die wegfällt, die Differenz jedes GOAT zu dem
Individuum ist, das als GOAT bezeichnet wird. Aber
genau das tun wir in der Bildung. Wenn wir also sagen, dass die Meritokratie die Auferlegung von Knappheit ist, dann meinen wir, dass sie die Auferlegung der
Knappheit der Differenz ist, wobei in diesem Albtraum
des Gleichgewichts alle Dinge gleich sind.
Es stimmt, wie Paolo Do anmerkt, dass die Universität nicht mehr nur eine Festung ist. Sie ist auch eine
Beraterin, was aber nicht bedeutet, dass die Universität
die Produktionsmittel einfach an alle verteilt. Es gibt einen Trick, die Mittel des Studiums knapp erscheinen zu
lassen. Die ganze Arbeit, die damit verbunden ist, eine
Unterscheidung durchzusetzen – wer zugelassen wird, um
zu „lehren“ oder zu „lernen“, wer in der Klasse sitzen darf,
wer publizieren darf, wer Punkte bekommt, qualifiziert
ist, einen Abschluss machen darf, hochtrabend reden darf
–, fördert, operationalisiert und verstärkt die Fantasie,
dass die Mittel des Studiums als Anteil der Generativität
nicht allgemein und degeneriert sind – korrumpiert, korrosiv, transformativ. Und Studierende, Dozierende und
Dekan_in-nen sind – wie die Dekan_innen sagen würden
– hier auf Linie gebracht, alle Dinge sind gleich in der
Knappheit. In dieser käuflichen Un/Gleichheit glauben
alle an Qualität, an Exzellenz, an die Messung dessen, wer
gut und wer besser ist. Alle glauben an die Schaffung individueller Einheiten zum Zweck des Vergleichs, der Verteilung von Ressourcen und der Beschränkung der Mittel zur Wissensproduktion. Die Dozierenden überwachen
und bewerten sich unter dem Deckmantel der Leistung
andauernd gegenseitig und entscheiden, wie die angeblich
begrenzten Ressourcen an die angeblich unterschiedlich
291
verdienstvollen Individuen aufgeteilt werden. Alle stimmen den Regeln zum Schutz der Leistung zu und berufen sich auf diese Regeln, vor allem diejenigen wie wir,
die kritischerweise schlau genug sind, zu sagen, dass es
natürlich keine Meritokratie gibt. Weil die Regeln verhindern, dass die Dinge allzu korrupt werden. So ist Leistung nicht das Gegenteil von regulierter Korruption. Sie
arbeiten beide zusammen gegen uns, besonders wenn wir
versuchen, sie zu unseren Gunsten zu bearbeiten. So dass
wir sie nur allzu oft gegen uns selbst zusammenbringen.
Jeder Ruf nach transparenter oder großzügiger Führung
in der Universität – oder irgendeiner Institution, irgendeinem Museum, irgendeiner Stadtregierung – ist eine
Anrufung der Regeln der Meritokratie, eine Anrufung,
die Dinge knapper zu machen, angefangen bei den Dingen, die wir benutzen, um Dinge zu machen – den Mitteln. In Singapur gibt es einen ähnlichen Trick. Singapurs
saubere Regierung ist keine Funktion ihrer Meritokratie (reiche Familien regieren den Ort wie die meisten
Orte); sie ist stattdessen ein wirklich hoch entwickelter
Mechanismus zur Auferlegung von Knappheit – hoch
entwickelt, weil er so viel Zustimmung erreicht. Viele
Singapurer_innen glauben, dass harte Arbeit belohnt werden wird. Die Belohnung ist ein abgestufter und kalibrierter Zugriff auf Singapurs Reichtum unter der Bedingung,
dass man, genau wie viele Fakultätsmitglieder und Universitätsstudierende, starke Einschränkungen der Produktionsmittel akzeptiert und befürwortet. Man kann es auch
so ausdrücken, dass starke Institutionen die Korruption
als Produktionsmittel regulieren und einschränken und
uns zur Entwicklung zwingen, wenn wir wirklich ruhiggestellt werden wollen, oder mit einem Narragansett-Bier
auf einen netten netten netten Menschen anstoßen.
292
Wenden wir uns also wieder Duncan und Schrödinger
zu:
Unser Bewusstsein, und das Gedicht als höchste
Anstrengung des Bewusstseins, erscheint in einer
tanzenden Organisation zwischen persönlicher
und kosmischer Identität. Welche Gnosis der Alten transzendiert geheimnisvoll die Vorstellung,
die Schrödinger uns in Was ist Leben? von einer
periodischen Struktur näherbringt: „... das immer kompliziertere organische Molekül, in dem
jedes Atom und jede Gruppe von Atomen eine individuelle Rolle spielt, die nicht völlig gleichwertig ist mit der vieler anderer.“ „Lebendige Materie
entzieht sich dem Verfall ins Gleichgewicht“, betitelt Schrödinger einen Abschnitt seines Aufsatzes von 1944. „Wann gilt ein Stück Materie
als lebendig?“, fragt er und antwortet: „Wenn
es fortfährt, ‘etwas zu tun’, sich zu bewegen,
Material mit seiner Umgebung auszutauschen.“
Was mich hier interessiert, ist, dass dieses Bild
einer kompliziert gegliederten Struktur, einer
Form, die ein Ungleichgewicht oder ein Leben
aufrechterhält – was immer es für den Biophysiker bedeutet – für den Dichter bedeutet, dass
Leben von Natur aus geordnet ist ... 93
Und dann wenden wir uns Gary Zukav und Werner
Heisenberg zu:
Wahrscheinlichkeitswellen, wie Bohr, Kramers
und Slater sie sich vorstellten, waren eine völlig
neue Idee. Wahrscheinlichkeit selbst war nicht
neu, aber diese Art der Wahrscheinlichkeit. Es
Robert Duncan, „Towards an Open Universe“, in: James Maynard (Hg.),
Robert Duncan. Collected Essays and Other Prose, Berkeley: University of
California Press 2014, 129. Duncan zitiert Erwin Schrödinger, What is
Life?, Cambridge: Cambridge University Press 2012, 69.
93
293
bezog sich darauf, was irgendwie bereits geschah,
aber noch nicht aktualisiert worden war. Es bezog sich auf eine Tendenz, die geschehen würde,
eine Tendenz, die auf unbestimmte Weise für sich
existierte, selbst wenn sie nie zu einem Ereignis
wurde ...
Das war etwas ganz anderes als die klassische
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wenn wir in einem Kasino einen Würfel werfen, wissen wir,
dass die Wahrscheinlichkeit, die gewünschte
Zahl zu erhalten, wenn wir die klassische Wahrscheinlichkeit verwenden, eins zu sechs ist. Die
Wahrscheinlichkeitswelle von Bohr, Kramers und
Slater bedeutete viel mehr als das.
Nach Heisenberg bedeutete sie eine Tendenz für
etwas. Sie war eine quantitative Version des alten Begriffs der potentia in der aristotelischen
Philosophie. Sie führte etwas ein, das in der Mitte zwischen der Idee eines Ereignisses und dem
tatsächlichen Ereignis stand, eine seltsame Art
von physischer Realität genau in der Mitte zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. 94
Wir wenden uns ihnen zu, um uns durch sie hindurch
zu wenden in der Spekulation und im Spiel des Informellen; für die sich formende, subsistierende Existenz des Lebens; als materiell-umweltlicher Austausch
über den Punkt hinaus, wo Austausch, Umwelt und
das Umweltete ihren trennbaren Sinn auf Kosten der
materiellen Seele aufrechterhalten; gegen die Auftrennung von Idealität und Aktualität, wo und wenn das
Ereignis eine Pause einlegt; mit der Entfugung der
94 Gary Zukav, The Dancing Wu-Li Masters. An Overview of the
New Physics, New York: HarperOne 2001, 72. Zukav zitiert Werner
Heisenberg, Physics and Philosophy. The Revolution in Modern Science,
New York: Harper & Row 1962, 41.
294
begrifflichen Umgebung durch die Konsensualität; hin
zu einem Nachdenken im Maß, das sich weigert, auszuschließen oder durch Messung erfasst zu werden, das
auf sich selbst irreduzibel bleibt, insofern das Maß das
ist, was es weder ausschließen noch erfassen kann; wie
man so schön sagt, under song, unter dem Song, oder
dem Gedicht, die in Musik aufgehen und in Dichtung,
die in Sound aufgeht, und Sound, der der Bindebogen
und Ante-Ursprung der Sprache ist. All das ist nur unser weiterlaufender Reiseplan, hier draußen, wo Tendenz
auf Berührung, Gefühl und schreckliche Verfügbarkeit
trifft, in einem sense, einem Sinn* oder einer Sünde, die
Eve Sedgwick + Hortense Spillers sich erklären können.
Gestern, das ist jetzt viele Tage und viele Jahre her,
wollte Zo sich Bilder von dem alten Haus in Los Angeles
ansehen, von sich selbst als Baby und als kleiner Junge.
Er lächelte und sagte: „Er ist so süß“, und fing an zu
weinen, schon im Bewusstsein von etwas, das gegangen oder vergangen ist, und fühlte es tiefer, immer, als
diejenigen, die erwachsen werden wollen. Es gibt keine Absicht, zur Form aufzusteigen, sondern durch die
Form, andererseits, in einer unvorhersehbaren Tendenz
zum Tun, deren Ausführung in der Nachbarschaft der
Nachbarschaft konstant verweigert wird. Das ist nur die
Spitze einer Intuition, durch Praxis, durch Studium, die
Gelehrsamkeit und Wissenschaftlichkeit trotz ihrer Meriten wie eine Wasserbombe am Herzen halten. Es ist
nur, um es noch einmal zu sagen, dass Entzug aus dem
Verfall ins Gleichgewicht, von dem Schrödinger spricht,
nicht Entzug aus dem Verfall im Allgemeinen ist. Vielmehr ist es die Bewahrung jenes Verfalls, die die Antwort auf die Frage „Was ist Leben?“ bei Geburts- und
Todesanlässen hervorbringt, die nie ganz zu ihrem Recht
295
kommen, die selbst immer dem Entzug unterliegen, wo
sich, was zu spalten und was im Kommen ist, einfach
reibt und reibt und reibt als eine allgemeine, generative
Tendenz, die wir nichts anderes nennen können als Poesie, solange man sie so nennt, wo immer man sie sieht,
was überall ist. Was ist, wenn Poesie nur die Korruption
der Sprache ist, und was ist, wenn diese Korruption mit
der Korruption der Gemeinschaft durch die Sozialität,
mit der Korruption des Körpers durch das Fleisch und
mit der Korruption der Welt durch die Erde korreliert?
Dann ist der Sinn des Lebens seine Sündhaftigkeit. Ihre
Korruption sind nicht wir. Unsere Korruption ist nicht
die ihre. Schwarzsein ist der Sinn des Lebens. Partial,
geheimgehalten, allen bereitgehalten, aber nicht allseits
da für die, die halten, nicht unser, und alles, was wir
haben, und los geht’s, allseits unvollkommen.
296
transversal texts
transversal.at
Aus dem Programm 2016
Stefano Harney
Fred Moten
Stefano Harney
Fred Moten
Flüchtige
Planung und schwarzes
Studium
Die Undercommons
Flüchtige Planung und schwarzes
Studium
Herausgegeben von Isabell Lorey
Zwischen Black Radical Tradition und ökonomischer Theorie, zwischen
Poesie und Philosophie, zwischen Ethiko-Ästhetik und politischer Theorie - die Undercommons entfalten ihre soziopoetische Kraft in einem
weiten Feld: Unter der neoliberalen Verwaltung der Universität, vor der
Zwischen Black Radical Tradition und ökonomischer Theorie, zwischen
ökonomischen Police neuester Logistik, um die schuldengetriebenen
Poesie und Philosophie, zwischen Ethiko-Ästhetik und politischer TheGovernance herum suchen und finden Stefano Harney und Fred Moten
orie - die Undercommons entfalten ihre soziopoetische Kraft in einem
den Reichtum sozialen Lebens gerade in den scheinbar unmöglichsten
weiten Feld: Unter der neoliberalen Verwaltung der Universität, vor der
Lagen: als „Umgebung“, „flüchtige Planung“ oder „schwarzes Studium“.
ökonomischen Police neuester Logistik, um die schuldengetriebenen
Der Sound, der Rhythmus, die Grooves und die Hook-Lines von UnGovernance herum suchen und finden Stefano Harney und Fred Moten
dercommons treiben den antikolonialen Aufstand an, fort und weiter, die
den Reichtum sozialen Lebens gerade in den scheinbar unmöglichsten
Marronage, die queeren Schulden, die Fluchtlinien, das Schwarz-Sein,
Lagen: als „Umgebung“, „flüchtige Planung“ oder „schwarzes Studium“.
die Haptikalität und die Logistikalität, die Liebe.
Der Sound, der Rhythmus, die Grooves und die Hook-Lines von Undercommons treiben den antikolonialen Aufstand an, fort und weiter, die
Marronage, die queeren Schulden, die Fluchtlinien, das Schwarz-Sein,
die Haptikalität und die Logistikalität, die Liebe.
ISBN: 978-3-903046-07-8
Januar 2016
124 Seiten, broschiert, € 10,00
transversal texts
transversal.at
Aus dem Programm 2018
esellschaftlichen Kräfte angesichts des 8. März Anstoß nahmen,
r neuen feministischen Bewegung, ist ihre Lesart von machistischer
Tatsächlich geht die Behauptung, dass Gewalt als strukturelles
es Lebens der Frauen durchzieht, damit einher, die gesamte soziale,
he Ordnung zur Diskussion zu stellen.
Mit Texten von
Verónica Gago, Raquel Gutiérrez
Aguilar, Susana Draper, Mariana
Menéndez Díaz, Marina Montanelli
8M - Der große feministische Streik
Konstellationen des 8. März
und Suely Rolnik.
8M
Der große feministische Streik.
Konstellationen des 8. März
#VivasNosQueremos, #NosMueveElDeseo, #NosotrasParamos – Wir
wollen uns lebend(ig). Uns bewegt der Wunsch. Wir Frauen streiken.
So gelangen die Slogans neuer feministischer Bewegungen aus Lateinamerika seit 2016 als Hashtags zu uns. Die hier versammelten Texte untersuchen die Genealogien dieser vielfältigen Bewegungen, die aus einem lauten Aufschrei gegen blutige, regelmäßig ungestrafte Feminizide
entstanden und schließlich als internationaler feministischer Streik 2017
und 2018 massive Dimensionen erreichten. Die Mitte dieses Streiks bildet allerorts die entscheidende Frage, wie Sorgearbeit bestreikt werden
kann. Ausgehend von einem tiefen Überdruss gegenüber allen Formen
machistischer Gewalt tritt der Streik hier als sorgfältiges Flechten eines
gemeinsamen Gewebes, als gemeinsames Organisieren und Lernen auf,
aber auch als unmissverständliche Warnung: Mujeres en huelga, se cae el
mundo – Wenn die Frauen streiken, verfällt die Welt.
ISBN: 978-3-903046-18-4
November 2018
130 Seiten, broschiert, 10,- €
transversal texts
Mitte des Stengels her wachsen. Eine dividuelle Maschine,
transversal.at
in der reißenden Mitte des Dividuellen, braucht es
zel, keinen Boden, keine Wände, die Leitern halten, keine
gen. Dort trennen und treffen sich die molekular-revolutionären
Aus dem Programm 2015
aschinen, die sozialen Maschinen mit den Textmaschinen,
altiger Geisterhand die dividuell-abstrakte Linie.
Mitte des Stengels her wachsen. Eine dividuelle Maschine,
in der reißenden Mitte des Dividuellen, braucht es
zel, keinen Boden, keine Wände, die Leitern halten, keine
gen. Dort trennen und treffen sich die molekular-revolutionären
Gerald Raunig
aschinen, die sozialen Maschinen mit den Textmaschinen,
altiger Geisterhand die dividuell-abstrakte Linie.
Maschinischer Kapitalismus und
DIVIDUUM
molekulare Revolution, Band 1
Gerald Raunig
Gerald Raunig
DIVIDUUM
Maschinischer Kapitalismus und
molekulare Revolution, Band 1
Die jahrhundertelange Konjunktur des Individuums gerät ins Wanken.
Es beginnt das Zeitalter des Dividuellen. Die schlechte Nachricht von
Gerald Raunigs Philosophie der Dividualität ist, dass sich das Dividuelle
im maschinischen Kapitalismus vor allem als Verschärfung von Ausbeutung und Indienstnahme zeigt: In Algorithmen, Derivaten, Big Data und
Social
Media wirkt Dividualität
alsdes
ausufernde
Erweiterung
herrDie
jahrhundertelange
Konjunktur
Individuums
gerät insvon
Wanken.
schaftlicher
Teilung
und
Selbstzerteilung.
Die
gute
Nachricht:
Genau
auf
Es beginnt das Zeitalter des Dividuellen. Die schlechte Nachricht von
dem Terrain
desPhilosophie
Dividuellender
wird
auch eine ist,
neue
Qualität
WiderGerald
Raunigs
Dividualität
dass
sich dasvon
Dividuelle
stand
möglich, als kritische
Mannigfaltigkeit,
Revolution
und
im
maschinischen
Kapitalismus
vor allem als molekulare
Verschärfung
von AusbeuCon-division.
tung und Indienstnahme zeigt: In Algorithmen, Derivaten, Big Data und
Social Media wirkt Dividualität als ausufernde Erweiterung von herrschaftlicher Teilung und Selbstzerteilung. Die gute Nachricht: Genau auf
dem Terrain des Dividuellen wird auch eine neue Qualität von Widerstand möglich, als kritische Mannigfaltigkeit, molekulare Revolution und
Con-division.
ISBN: 978-3-9501762-8-5
Januar 2015
256 Seiten, broschiert, 15,- €
transversal texts
transversal.at
Aus dem Programm 2021
altige Vielheit fallen, allseits verfügbares Ungefüge.
altige Vielheit fallen, allseits verfügbares Ungefüge.
altige
Vielheit
fallen, allseits
Ungefüge.
chinische
Entfugung,
immerverfügbares
neue Varianten
chinische Entfugung, immer neue Varianten
chinische Entfugung,
immer neueIhr
Varianten
blingsliedern,
Lieblingsstimmen.
Flüstern ergibt
blingsliedern, Lieblingsstimmen. Ihr Flüstern ergibt
blingsliedern,
Lieblingsstimmen.
Ihr Flüstern
ergibt
genau wir hinhören.
Verwandte Seelen
sprechen
keine eine
genau wir hinhören. Verwandte Seelen sprechen keine eine
genau
wir hinhören.
Verwandte
Seelen sprechen keine eine
öre,
asignifikante
Musiken.
Alle Muttersprache
öre, asignifikante Musiken. Alle Muttersprache
öre,viele
asignifikante
Muttersprache
en,
Zungen, Musiken.
ungefügigeAlle
Winde.
en, viele Zungen, ungefügige Winde.
en, viele Zungen, ungefügige Winde.
Gerald
Raunig
Gerald
Gerald Raunig
Raunig
Ungefüge
Ungefüge
Gerald Raunig
Gerald Raunig
Ungefüge
Ungefüge
Maschinischer
Kapitalismus
Maschinischer
Maschinischer Kapitalismus
Kapitalismus
und
molekulare Revolution,
und
und molekulare
molekulare Revolution,
Revolution,
Band
2
Band
2
Band 2
Nach DIVIDUUM
DIVIDUUM (2015)
(2015) legt Gerald
Gerald Raunig
Raunig den
den zweiten Band
Band von
von
Nach
Nach
DIVIDUUM
(2015) legt
legtund
Gerald
Raunig Revolution“
den zweiten
zweiten Band
von
„Maschinischer
Kapitalismus
molekulare
vor:
Un„Maschinischer
Kapitalismus
und
Revolution“
Un„Maschinischer
Kapitalismus
und molekulare
molekulare
Revolution“ vor:
vor:
gefüge entfaltet
entfaltet eine
eine
wilde Materialfülle
Materialfülle
der Ungefügigkeit,
Ungefügigkeit,
von Unden
gefüge
wilde
der
von
den
gefüge
entfaltetÜbersetzungsmaschinen
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vielsprachigen
al-Andalus
über
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queere
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in
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in al-Andalus
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Mystik des
des Hochmittelalters
Hochmittelalters
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die kleinen
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in
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Jazz
und
Soul
des
20.
Jahrhunderts
bis
zu
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und
UmJazz
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Jahrhunderts
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gegen
Stadt der
der Ziffer
Ziffer
Kapitalismus.
fugen
gegen
die
glatte
Stadt
im
maschinischen
Kapitalismus.
fugen gegen die glatte Stadt der Ziffer im maschinischen Kapitalismus.
Ungefüge entwickelt
entwickelt nicht
nicht nur
nur eine
eine konzeptuelle Ökologie
Ökologie von
von Begriffen
Ungefüge
Ungefüge
entwickelt
nichtder
nurVerfügbarkeit
eine konzeptuelle
konzeptuelle
Ökologie
von Begriffen
Begriffen
des
Fugens
und
Fügens,
und
der
Unfügsamkeit,
sondes
Fugens
und
Fügens,
der
Verfügbarkeit
und
der
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sondes
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und
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der
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sondern
unternimmt
auch
ein
Experiment
der
theoretischen
Form.
Halbdern
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Form.
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Experiment
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theoretischen
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Halbfiktives
verwebt sich
sich
miteinakribisch
akribisch
untersuchten
historischen
Quellen,
fiktives
verwebt
mit
untersuchten
historischen
Quellen,
fiktives
verwebt
sich
mit
akribisch
untersuchten
historischen
Quellen,
mystische Schriften
Schriften mit
mit Freundesbriefen, philosophische
philosophische Fragmente
Fragmente
mystische
mystische
Schriften
mit Freundesbriefen,
Freundesbriefen,
philosophische
Fragmente
mit
poetischen
Ritornellen.
Mehr
als
eine
Erzählung
über
Ungefümit
poetischen
Ritornellen.
als
eine
Erzählung
Ungefümit
poetischen
Ritornellen. Mehr
Mehr
alsund
eineGeisterwelten,
Erzählung über
über
Ungefüge
aus
sozialen
Umgebungen,
Dingist
das
Buch
ge
aus
sozialen
Umgebungen,
Dingund
ist
Buch
ge
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sozialenund
Umgebungen,
Dingund Geisterwelten,
Geisterwelten,
ist das
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Buch
selbst
inhaltlich
eine
dividuelle
Mannigfaltigkeit,
aus
den
selbst
formal
und
inhaltlich
eine
selbst
formal
und
inhaltlich
eine dividuelle
dividuelle Mannigfaltigkeit,
Mannigfaltigkeit, aus
aus den
den
Fugen,
in
den
Fugen,
Ungefüge.
Fugen, in
in den
den Fugen,
Fugen, Ungefüge.
Ungefüge.
Fugen,
ISBN: 978-3-903046-27-6
Februar 2021
340 Seiten, broschiert, 15,- €
transversal texts
transversal.at/books
Precarias a la deriva
Stefan Nowotny, Gerald Raunig
Was ist dein Streik?
Instituierende Praxen
10,- € / ISBN: 978-3-9501762-6-1
15,- € / ISBN: 978-3-903046-04-7
Birgit Mennel, Stefan Nowotny (Hg.)
Lina Dokuzović
Die Sprachen der Banlieues
Struggles for Living Learning
10,- € / ISBN: 978-3-9501762-7-8
15,- € / ISBN: 978-3-903046-09-2
Gerald Raunig
Brigitta Kuster
DIVIDUUM
Choix d‘un passé
15,- € / ISBN: 978-3-9501762-8-5
12,- € / ISBN: 978-3-903046-05-4
Gin Müller
Isabell Lorey, Gundula Ludwig,
Possen des Performativen
Ruth Sonderegger
15,- € / ISBN: 978-3-9501762-5-4
Foucaults Gegenwart
10,- € / ISBN: 978-3-903046-08-5
Félix Guattari, Antonio Negri
Neue Räume der Freiheit
Maurizio Lazzarato
10,- € / ISBN: 978-3-9501762-9-2
Marcel Duchamp und
die Verweigerung der Arbeit
Antonio Negri, Raúl Sánchez Cedillo
10,- € / ISBN: 978-3-903046-11-5
Für einen konstituierenden
Prozess in Europa
Isabell Lorey
10,- € / ISBN: 978-3-903046-06-1
Immer Ärger mit dem Subjekt
15,- € / ISBN: 978-3-903046-10-8
Birgit Mennel, Monika Mokre (Hg.)
Das große Gefängnis
Gerald Raunig
15,- € / ISBN: 978-3-903046-00-9
Kunst und Revolution
20,- € / ISBN: 978-3-903046-15-3
Rubia Salgado / maiz
Aus der Praxis im Dissens
Christoph Brunner, Niki Kubaczek,
15,- € / ISBN: 978-3-903046-02-3
Kelly Mulvaney, Gerald Raunig (Hg.)
Die neuen Munizipalismen
Monika Mokre
10,- € / ISBN: 978-3-903046-12-2
Solidarität als Übersetzung
vergriffen
Tobias Bärtsch, Daniel Drognitz,
Sarah Eschenmoser, Michael Grieder,
Gerald Raunig, Ulf Wuggenig (Hg.)
Adrian Hanselmann, Alexander
Kritik der Kreativität
Kamber, Anna-Pia Rauch, Gerald
20,- € / ISBN: 978-3-903046-01-6
Raunig, Pascale Schreibmüller,
Nadine Schrick, Marilyn Umurungi,
Stefano Harney, Fred Moten
Jana Vanecek (Hg.)
Die Undercommons
Ökologien der Sorge
10,- € / ISBN: 978-3-903046-07-8
15,- € / ISBN: 978-3-903046-13-9
Lucie Kolb
Studium, nicht Kritik
15,- € / ISBN: 978-3-903046-14-6
Sofia Bempeza, Christoph Brunner,
Katharina Hausladen, Ines Kleesattel,
Ruth Sonderegger
Polyphone Ästhetik
Lucie Kolb
12,- € / ISBN: 978-3-903046-24-5
Study, not critique
15,- € / ISBN: 978-3-903046-19-1
Gerald Raunig
Ungefüge
Raimund Minichbauer
15,- € / ISBN: 978-3-903046-27-6
Facebook entkommen
12,- € / 978-3-903046-17-7
Cornelia Sollfrank (Hg.)
Die schönen Kriegerinnen
15,- € / 978-3-903046-16-0
Gerald Raunig
Maschinischer Kapitalismus
und molekulare Revolution
(Doppelband)
Band 1: DIVIDUUM
Band 2: Ungefüge
Christoph Brunner, Raimund
Minichbauer, Kelly Mulvaney
und Gerald Raunig (Hg.)
25,- € / ISBN: 978-3-903046-28-3
Technökologien
Die Stadt als Stätte der Solidarität
12,- € / ISBN: 978-3-903046-21-4
15,- € / ISBN: 978-3-903046-26-9
Boris Buden, Lina Dokuzović (eds.)
Raúl Sánchez Cedillo
They‘ll never walk alone
Das Absolute der Demokratie
15,- € / ISBN: 978-3-903046-20-7
15,- € / ISBN: 978-3-903046-29-0
Verónica Gago, Raquel Gutiérrez
Aguilar, Susana Draper, Mariana
Menéndez Díaz, Marina Montanelli,
Marie Bardet / Suely Rolnik
Manuela Zechner
8M - Der große feministische Streik
10,- € / ISBN 978-3-903046-18-4
Gerald Raunig
Maschinen Fabriken Industrien
20,- € / ISBN: 978-3-903046-23-8
Sofia Bempeza
Geschichte(n) des Kunststreiks
12,- € / ISBN: 978-3-903046-22-1
edu-factory
Niki Kubaczek, Monika Mokre (Hg.)
Commoning Care & Collective Power
15,- € / ISBN: 978-3-903046-31-3
Kike España
Die sanfte Stadt
15,- € / ISBN: 978-3-903046-30-6
Jana Vanecek
ID9606/2a-c
12,- € / ISBN: 978-3-903046-33-7
Stefano Harney, Fred Moten
Allseits unvollkommen
15,- € / ISBN: 978-3-903046-34-4
Alle Macht der selbstorganisierten
Wissensproduktion
10,- € / ISBN: 978-3-903046-25-2
Auslieferung: GVA
Barsortimente: Libri, Umbreit, Zeitfracht