Historisches Forum ist eine Reihe von Themenheften des von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft geförderten historischen Fachportals Clio-online
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Die Veröffentlichung erfolgt über den Dokumenten- und Publikationsserver
der HUB: http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/.
[Historisches Forum]
Historisches Forum. - Berlin: Berlin: Clio-online und Humboldt-Universität
zu Berlin
Gesamttitel: Veröffentlichungen von Clio-online, Nr. 2
ISSN: 1612-5940
Erscheinungsweise: ca. 3-4 Hefte pro Jahr.
Bd. 2: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Eine Debatte /
hrsg. für H-Soz-u-Kult von Astrid M. Eckert und Vera Ziegeldorf / (Historisches Forum: Bd. 2) - Berlin: Clio-online und Humboldt-Universität zu Berlin,
2004
ISBN: 3-86004-177-0
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Datum, (Photo freigegeben im April 1948) – National Archives, Still Picture
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(rechts) Vorsortierte deutsche Beuteakten in der Captured Records Section
der Departmental Records Branch in Alexandria, Virginia. Kein Datum, ca.
1950 – National Archives, Still Picture Branch, Bestand 64D, Bild 64-D-3-14.
© 2004 Clio-online
Historisches Forum
Historisches Forum 2 · 2004
Veröffentlichungen von Clio-online, Nr. 2
ISSN: 1612-5940
Der Holocaust und die westdeutschen
Historiker
Eine Debatte
Herausgegeben für H-Soz-u-Kult
von Astrid M. Eckert und Vera Ziegeldorf
H|Soz|u|Kult
c
Humanities. Sozial- und Kulturgeschichte
http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/
ISBN: 3-86004-177-0
Astrid M. Eckert
Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Peter Longerich
Schwierigkeiten mit dem Holocaust . . . . . . . . . . .
Stefan Berger
Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien
der Historiografiegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . .
Ian Kershaw
Beware the moral high ground . . . . . . . . . . . . . .
Claudia Koonz
Revisionist or Denkmalstürzer? . . . . . . . . . . . . . . .
Gerhard L. Weinberg
Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen
Historiker. Comments . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Alan Steinweis
West German Zeitgeschichte and the Holocaust. The Importance of an International Context . . . . . . . . . . .
Hanno Loewy
Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus. Zu Nicolas Bergs fulminanter Historisierung der Historisierer . . . . . . . . . . . . . . . . .
Habbo Knoch
Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe. Zur Debatte um die
Täternähe der „kritischen Zeitgeschichte“ . . . . . . . .
Robert P. Ericksen
Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nicolas Berg
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte. Zur Kritik
an ’Der Holocaust und die westdeutschen Historiker.
Erforschung und Erinnerung’ . . . . . . . . . . . . . . .
1
9
15
25
33
41
47
53
65
79
87
Editorial
Editorial
Die Erforschung der westdeutschen Zeitgeschichtsforschung und ihrer wichtigsten Protagonisten schreitet voran und bewahrheitet dabei unbeabsichtigterweise die Fels gewordene Definition von Hans
Rothfels von der Zeitgeschichte als „Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung“. Denn einige der Träger der bundesdeutschen Zeitgeschichtsforschung vor allem der Sechziger und
Siebziger-Jahre erleben noch mit, wie sie und ihre vormaligen Kollegen in den historisierenden Blick geraten. Man kann durchaus Verständnis dafür aufbringen, dass bei denen, die es bisher gewohnt waren, geschichtliche Fragestellungen zu entwickeln, Forschungsprojekte zu entwerfen und Quellen auszuwerten, ein gewisses Unwohlsein
dabei aufkommt, plötzlich selbst zum Objekt wissenschaftlicher, konkret: historiografischer Fragestellungen zu werden. Ihre öffentliche
Reaktion auf neue Studien zur Zeitgeschichtsforschung, vielleicht sogar ein Schlagabtausch, sind damit eigentlich schon programmiert.
Denn auch das ist ein Signum der Zeitgeschichte: die „Einspruchsmöglichkeit der Zeitgenossen“.1 Allerdings ist es nicht sehr tiefsinnig,
die beginnende Historisierung der Zeitgeschichte als die Versuche
„aufstrebender Nachwuchshistoriker“ abzutun, möglichst viel „Aufsehen“ zu erregen und sich als „zornige Denkmalstürzer“ zu präsentieren.2 Es sei denn, man betrachtet Denkmäler als heilig und unantastbar; oder hält es noch mit Gerhard Ritter und bedauert „die Neigung der jüngsten Generation, sich vorzugsweise mit der Geschichte
1 Zitat bei Frei, Norbert, Abschied von den Zeitgenossen. Erbantritt – Nationalsozialismus und Holocaust im Generationenwechsel, in: Süddeutsche Zeitung, 09.09.2000, S.
18; ausführlicher , in: Ders., Abschied von der Zeitgenossenschaft. Der Nationalsozialismus und seine Erforschung auf dem Weg in die Geschichte, in: WerkstattGeschichte
20 (1998), S. 69-83.
2 Blasius, Rainer, Keiner wäscht weißer. Ja, nein, weiß nicht: Der Disput um den
Historiker Martin Broszat, in: FAZ Nr. 219, 20.09.2003, S.35: „Wie erregt ein aufstrebender Nachwuchshistoriker heutzutage das meiste Aufsehen? Indem er sich als zorniger
Denkmalstürzer präsentiert.“
1
der Geschichtsschreibung statt mit der Geschichte selbst zu beschäftigen“.3
Spätestens der viel zitierte Frankfurter Historikertag von 1998 hat
allerdings verdeutlicht, dass der Geschichtswissenschaft nicht viel
anderes übrig bleibt, als sich auch mit sich selbst zu beschäftigen,
wenn sie ihre Glaubwürdigkeit erhalten will. Besonders die „Historiker der Bundesrepublik“, wie Paul Nolte die „lange Generation“
der um 1930 Geborenen bezeichnete, haben immer wieder die Rolle
von „public intellectuals“ übernommen und sich mit fachlicher und
moralischer Autorität in die Kontroversen um die deutsche Vergangenheit eingemischt bzw. diese mit getragen.4 Aus dieser „langen Generation“ stammten während der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik auch die Hauptinterpreten der Geschichte des Nationalsozialismus. Angesichts der zentralen Rolle, die die Deutung und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und dem Holocaust für die
Legitimierung der Bundesrepublik und die Ausformung ihrer politischen Kultur spiel(t)en, ist es nur nahe liegend, dass diese „public
intellectuals“ im Gegenzug irgendwann einmal nach den Quellen sowohl der fachlichen als auch der moralischen Autorität gefragt werden würden. Auf den generationellen Impetus dieser Fragen und den
sich in ihnen manifestierenden fachlichen Generationswechsel ist bereits mehrfach hingewiesen worden.5
3 Gerhard Ritter an Hermann Heimpel, 20.11.1951, zit. nach Schumann, Peter, Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, in:
Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit.
Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 399-415, hier S. 415.
4 Nolte, Paul, Die Historiker der Bundesrepublik. Rückblick auf eine „lange Generation“, in: Merkur 53:5 (1999), S. 413-432. Vgl. auch Jessen, Ralph, Zeithistoriker im
Konfliktfeld der Vergangenheitspolitik, in: Jarausch, Konrad; Sabrow, Martin (Hgg.),
Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt
am Main 2002, S. 153-175, hier S. 168f. Jessen weist auch darauf hin, dass die westdeutschen Historiker in der öffentlichen Auseinandersetzung zu keinem Zeitpunkt ein
Deutungsmonopol zu zeithistorischen Themen für sich beanspruchen konnten.
5 Frei, Zeitgenossenschaft (wie Anm. 1); Nolte (wie Anm. 4); Leggewie, Claus, Mitleid mit Doktorvätern oder: Wissenschaftsgeschichte in Biographien, in: Merkur 53:5
(1999), S. 433-444. Seine Reaktion auf das Buch von Nicolas Berg eröffnet Hans Mommsen mit einem Hinweis auf die sich derzeit vollziehende generationelle „Wachablö-
2
Astrid M. Eckert
Editorial
Es kann also wenig überraschen, dass ein Buch, das diese Aspekte verbindet – historiografische Fragen zur Zeitgeschichte nach 1945
und ihren Trägern, und zwar konkret zur Holocaustforschung – sich
merklich auf den unmittelbaren Bekanntheitsgrad des Verfassers und
günstig für den, naturgemäß, an Auflagen und Verkauf interessierten Verlag auswirken würde. Im vergangenen Jahr erschien die Studie von Nicolas Berg (Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003), die genau diesen
Schritt vollzog. Eine öffentliche Reaktion auf das Buch war schon allein aufgrund des sensiblen Themas zu erwarten. Allerdings muss
man die publizistische Reaktion nicht als einen „objektiven Vorgang“
betrachten, der einem solchen Buch einfach „passiert“. Berg hat sich
nicht nur in ein „emotionales und intellektuelles Minenfeld“6 begeben, er hat die kontroverse Rezeption seines Buches auch mit angelegt. Denn mitverantwortlich für die zum Teil gereizte Aufnahme der
Studie war ein Artikel Bergs in der Süddeutschen Zeitung vom Juli
2002.7 Der Artikel fasst die Auseinandersetzung zwischen dem Mitarbeiter und späteren Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, und dem jüdischen Historiker und AuschwitzÜberlebenden, Joseph Wulf, über dessen mehrbändige Dokumentation zum Holocaust von 1960 zusammen. Dabei teilte Berg unter anderem die bis dahin nicht bekannte Tatsache mit, dass Broszat am
20. April 1944 im Alter von 18 Jahren der NSDAP beigetreten war.
Nach allen Regeln der Marketing-Kunst war damit dem Lesepublikum ein „teaser“ präsentiert worden, der vom Buch Skandalöses erwarten ließ. Das Skandalon – die Parteimitgliedschaft Broszats – erscheint in Bergs Buch dann auf Seite 420 auf anderthalb Zeilen und
eine Fußnote reduziert. Trotzdem hat dieses Faktum der Rezeption
des Buches zumindest in der Presse die Richtung vorgegeben, die
streckenweise den Eindruck vermittelte, als sei eine Studie zur Geschichte des Instituts für Zeitgeschichte erschienen.
Der Historiker Norbert Frei reagierte als erster auf das Buch und
beschäftigte sich näher mit der Parteimitgliedschaft Martin Broszats.8
Dabei ging er auf die von Berg nicht weiter recherchierten Umstände des Parteieintritts ein, zum Beispiel die Auffälligkeit des Eintrittsdatums und die Hintergründe des Aufnahmeverfahrens für HJMitglieder. Im Zentrum stand die Frage, ob Broszat je von seiner
Mitgliedschaft erfuhr und sie entsprechend absichtlich verschweigen
konnte, wie Berg schon in seinem Zeitungsartikel behauptet hatte.
Die Fragen zur Biografie Broszats amalgamierten sich mit der kurz
darauf einsetzenden Diskussion um die Parteimitgliedschaft führender Germanisten, die seitdem einige Blüten treibt.9 Bei der Gelegenheit sprang noch einmal ins Auge, dass selbst eine angeblich „durchforschte“ Epoche wie der Nationalsozialismus – und hier ein so zentraler Aspekt wie die historische Entwicklung des Aufnahmeverfahrens der NSDAP – eben nicht vollständig wissenschaftlich erschlossen ist und in ihren empirischen Details problemlos abrufbar wäre.10
sung“: Täter und Opfer – ein Streit um die Historiker, in: Die Welt, 13.09.2003.
6 Aschheim, Steven E., Archetypen und der deutsch-jüdische Dialog. Erwägungen
zur Goldhagen-Kontroverse, in: Heil, Johannes; Erb, Rainer (Hgg.), Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt am Main 1998,
S. 184-201, hier S. 185.
7 Berg, Nicolas, Die Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit. Subjektive jüdische
Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung in den sechziger Jahren,
in: Süddeutsche Zeitung, 17.07.2002.
3
8 Frei, Norbert, Mitläufergeschichten? Heute erscheint Nicolas Bergs Studie über
die NS-Deutungen deutscher Zeithistoriker, in: Süddeutsche Zeitung, 08.05.2003, S. 16;
Ders., Hitler-Junge, Jahrgang 1926. Hat der Historiker Martin Broszat seine NSDAPMitgliedschaft verschwiegen - oder hat er nichts davon gewußt?, in: DIE ZEIT Nr. 38,
11.09.2003. Ein erster Einwurf zum Thema von Longerich, Peter, Der Fall Martin Broszat, in: DIE ZEIT Nr. 34, 14.08.2003, S. 38.
9 In Auswahl: Saltzwedel, Johannes, Von Goethe zu Hitler, in: Der Spiegel Nr. 48
24.11.2003, S. 174-177; Spiegel, Hubert, Sprachlos: Germanisten als Hitlers Parteigenossen, in: FAZ Nr. 274, 25.11.2003, S. 35; Wapnewski, Peter, Die Kartei hat immer Recht.
Wie ich Mitglied der NSDAP wurde, in: DIE ZEIT Nr. 49, 03.12.2003; Aly, Götz, Was
wusste Walter Jens?, in: DIE ZEIT Nr. 4, 15.01.2004; Kellerhoff, Sven Felix, Von unschätzbarem Wert. Im Streit um Walter Jens wird die Bedeutung der NSDAP-Kartei
angezweifelt - zu Unrecht, in: Die Welt, 27.01.2004
10 Tatsächlichen Mehr-Wert in der Germanisten-Debatte lieferte Nolzen, Armin,
Es gab viele Wege und Motive, Parteimitglied zu werden, in: Frankfurter Rundschau, 26.11.2003, S. 17; Ders., Nur zu illustrativen Zwecken, in: Frankfurter Rundschau, 04.02.2004, S. 17. Der Aufsatz von Jürgen W. Falter, Die „Märzgefallenen“
von 1933. Neue Forschungsergebnisse zum sozialen Wandel innerhalb der NSDAP-
4
Astrid M. Eckert
Editorial
An dieser Stelle hat die zum Teil polemisch geführte Diskussion eine
Chance, konstruktiv gewendet zu werden. Eine genaue Studie des
Parteiaufnahmeverfahrens und, sinnvollerweise, des Umgangs mit
dem biografischen Makel der Mitgliedschaft in der öffentlichen Diskussion der frühen Bundesrepublik, ist hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit. Oder feuilletonistisch gesprochen: „Wo Erregung ist, sollte Erkenntnis werden.“11
Mittlerweile erscheinen die ersten Auseinandersetzungen mit der
Studie Bergs, die sich nicht auf das Zeilenkontingent einer Tageszeitung beschränken müssen und entsprechend auch auf andere Aspekte des Buches eingehen können.12 Denn die Fokussierung auf die
Parteimitgliedschaft Martin Broszats hat die Diskussion unnötig verengt und dabei aus den Augen verloren, dass Nicolas Berg zentrale Fragen für die Historisierung der bundesdeutschen Zeitgeschichte aufwirft. Bisherige Rezensenten sind zwar sehr unterschiedlicher
Meinung darüber, ob er diese Fragen methodisch und inhaltlich be-
friedigend beantwortet. Allerdings wird zukünftige Forschung sich
abermals den (nicht erst von Berg aufgezeigten) Blindstellen der frühen Zeitgeschichtsforschung widmen müssen und den epistemologischen Implikationen der Verzahnung von Biografie und Forschungsgegenstand nachzugehen haben. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang ein erneutes Reflektieren über die „gestörte
Kommunikation“13 zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Wissenschaftlern, die in dem Briefwechsel zwischen Martin Broszat und Saul
Friedländer von 1987 ihren Höhepunkt fand14 , aber über einige Zwischenstopps verlief, wie eben die von Berg herausgearbeitete Auseinandersetzung zwischen Broszat und Joseph Wulf. Auch die verschiedenen methodischen Ansätze zur Erforschung des Nationalsozialismus und des Holocaust stehen durch die Studie Bergs noch einmal zur Diskussion. Bei einer Re-Evaluierung ihrer forschungshistorischen Entwicklung müssten sie in Relation zu vorangegangenen und
parallelen Ansätzen betrachtet und auf ihren tatsächlichen Erkenntnisertrag hin abgeklopft werden. Anders ausgedrückt: Welche methodische Herangehensweise wurde durch den vielgescholtenen strukturalistischen Ansatz abgelöst und wie leistungsstark oder - schwach
erwies er sich im Hinblick auf Erkenntnisgewinn zur Geschichte der
Judenvernichtung? Dies könnte die Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte in ein alternatives Licht rücken, besonders dann, wenn auch
das zeitgenössische geschichts- und wissenschaftspolitische Konfliktfeld mit ausgeleuchtet wird.
Irgendwann einmal, in ein oder zwei Historikergenerationen,
wenn die historiografische Forschung zur Zeitgeschichte der Bundesrepublik auch die Neunziger-Jahre und die Gegenwart mit in den
Blick nimmt, wird wahrscheinlich auch Nicolas Bergs Studie der For-
Mitgliedschaft während der Machtergreifungsphase, in: Geschichte und Gesellschaft
24 (1998), S. 595-616, beleuchtet die verschiedenen Phasen des Parteieintritts und die
Entwicklung der Mitgliederstruktur, geht beim Aufnahmeverfahren allerdings nicht
ins Detail. Erste Abhilfe verschafft Heusterberg, Babett, Personenbezogene Unterlagen
aus der Zeit des National-Sozialismus. Das Bundesarchiv in Berlin und seine Bestände,
insbesondere des ehemaligen Berlin Document Center (BDC), in: Herold-Jahrbuch NF5
(200), S. 149-186; sowie das Gutachten von Buddrus, Michael, „War es möglich, ohne
eigenes Zutun Mitglieder der NSDAP zu werden?“ Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin für das ‚Internationale Germanistenlexikon 1800-1950’, in:
Geschichte der Germanistik 23/24 (2003), S. 21-26. In Ermangelung einschlägiger Literatur kann man aber immer noch eine Broschüre der amerikanischen Besatzungsbehörde zu Rate ziehen, die im Berlin Document Center erstellt wurde: Who was a Nazi?
Facts About the Membership Procedure of the Nazi Party. Compiled by the 7771 Document Center OMGUS, o. D. (1947).
11 Bisky, Jens, Die Aktenlage. Das „Germanistenlexikon“ und die Parteibücher, in:
Süddeutsche Zeitung, 26.11.2003.
12 Habbo Knoch: Rezension zu: Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen 2003. In: H-Soz-u-Kult,
04.02.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-065>.; Wojak, Irmtrud, Nicolas Berg and the West German Historians. A response to his ‚handbook’ on the historiography of the Holocaust, in: German History 22.1 (2004), S. 101118; Loewy, Hanno, Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus. Zu Nicolas Bergs fulminanter Historisieriung der Historiker in: Tel Aviver
Jahrbuch für deutsche Geschichte 32 (2004).
5
13 Zitat von Ulrich Herbert auf der Konferenz „Hans Rothfels und die Zeitgeschichte“, Juli 2003, München, zitiert nach dem Konferenzbericht von Kirchhoff, Jochen,
Tagung des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, 16./17.7.2003, München. In:
H-Soz-u-Kult, 13. 08. 2003 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte
/id=278>.
14 Broszat, Martin; Friedländer, Saul, Um die „Historisierung des Nationalsozialismus“. Ein Briefwechsel, in: VfZ 36.2 (1988), S. 339-372.
6
Astrid M. Eckert
Editorial
schung zur Quelle. Eventuell geht diese zukünftige Forschung dann
davon aus, „daß sich die Erinnerung auch ohne willentliche Zustimmung in die Geschichtswissenschaft hinein verlängert, sei es in ihren
Ausgangsfragen oder allgemein in ihrem Erkenntnisinteresse, sei es
in den Begriffen, die sie benutzt, oder in den Themen, die sie zu bearbeiten wichtig findet“ (Berg, S. 565). Vielleicht erfahren wir bei der
Gelegenheit dann mehr über die eigene Zeitgebundenheit und den
Impetus hinter den Erkenntnisinteressen auch dieses Buches.
von Zeitgeschichte als Wissenschaft und öffentlicher Erinnerung in
den Blick. Hanno Loewy geht in seinem Artikel auf die bisherige Rezeption des Buches ein und konzentriert sich des Weiteren auf den
Gegensatz zwischen jüdischem und nicht-jüdischem Gedächtnis. Robert P. Ericksen diskutiert die frühen Reaktionen der konservativen
Historik, vor allem der Göttinger Historiker um Hermann Heimpel.
Das Forum schließt mit einem Beitrag von Nicolas Berg. Die Autoren
haben mit der ersten und durchgesehenen zweiten Auflage des Buches gearbeitet. Bis auf den Artikel von Robert Ericksen haben Nicolas Berg für seinen Beitrag die Texte der übrigen Autoren vorgelegen.
Das heute beginnende Forum möchte die Diskussion um die von Nicolas Berg aufgeworfenen Fragen weiterführen. Dabei haben wir uns
bemüht, auch BeiträgerInnen zu gewinnen, die nicht unmittelbar im
deutschen akademischen Betrieb tätig sind, sondern sowohl die bisherige Debatte als auch das Buch mit einem gewissen Abstand betrachten konnten. Der „Abstand“ ist angesichts einer international
vernetzten Geschichtswissenschaft natürlich nur relativ.
Das Forum eröffnet mit einer Rezension von Peter Longerich, die
das Buch in seiner Gesamtheit betrachtet und den LeserInnen des Forums dadurch einen Einstieg verschafft. Dem schließt sich ein Beitrag von Claudia Koonz an, der neben den Thesen der Studie auch
die Reaktionen darauf in den Blick nimmt. Darauf folgt ein Beitrag
von Ian Kershaw, der bereits im Times Literary Supplement erschien,
in Deutschland aber nur wenig zur Kenntnis genommen worden
ist. Stefan Berger widmet sich anschließend den methodischen Prämissen von Bergs Studie. Einen Perspektivwechsel stellt der Artikel von Gerhard L. Weinberg dar: Weinberg, als Jugendlicher in die
USA emigriert, von Hans Rothfels in Chicago promoviert und in den
Fünfziger-Jahren immer wieder im Kontakt mit dem Institut für Zeitgeschichte, kommentiert Bergs Thesen aus der Perspektive des „Mitlebenden“. Alan E. Steinweis weist dann in seinem nachfolgenden
Beitrag darauf hin, dass sowohl die Entwicklung der bundesdeutschen Zeitgeschichte als auch der Holocaustforschung historiografisch in einen internationalen Forschungskontext eingebunden werden müssen. Habbo Knoch nimmt in seinem Aufsatz die Schnittstelle
7
Astrid M. Eckert, German Historical Institute, Washington, D. C.
Vera Ziegeldorf, Redaktion H-Soz-u-Kult, Berlin
Astrid M. Eckert ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen
Historischen Institut in Washington, D. C. Aktuelle Veröffentlichung:
„Der Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe beschlagnahmten deutschen Archivguts nach dem Zweiten Weltkrieg“,
Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004.
8
Schwierigkeiten mit dem Holocaust
Schwierigkeiten mit dem Holocaust
von Peter Longerich
Nachdem die Debatten über die Rolle deutscher Historiker im „Dritten Reich“ höchst fragwürdige Kontinuitätslinien in der Entwicklung des Faches nach 1945 ins Bewusstsein gerückt haben, hat sich
Nicolas Berg vorgenommen, die Haltung der westdeutschen Geschichtsschreibung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung einer
fundamental-kritischen Inspektion zu unterziehen. Berg thematisiert
die Praxis der Historiker im Spannungsverhältnis von „Erforschung“
und „Erinnerung“, wobei es ihm nicht nur um die individuelle Erinnerung der Geschichtsschreiber, sondern auch um das „kollektive
Gedächtnis“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft geht. Analysiert
werden in dieser Buchfassung einer Freiburger Dissertation zwischen
1945 und 1990 verfasste Texte von Historikern. Neben den wissenschaftlichen Beiträgen zieht Berg Briefe, autobiografische Aufzeichnungen und publizistische Beiträge heran und versucht so „lebensgeschichtliche“ Perspektiven zu eröffnen.
Berg arbeitet sich durch die verschiedenen Phasen der historiografischen Behandlung bzw. Nichtbehandlung des Mordes an den Juden hindurch: Er sieht die „Paradoxien nationalgeschichtlicher Deutung“ bei führenden Vertretern der älteren Historikergeneration und
befasst sich mit dem „Schuld und Schamdiskurs“ der 50er-Jahre. Sodann arbeitet er überzeugend heraus, dass die verschiedenen Bemühungen, die Ermordung der Juden innerhalb theoretischer Modelle (Totalitarismus, Faschismus, Antisemitismus) einzuordnen, keine überzeugende Erklärung für das Jahrhundertverbrechen lieferten. Im Zentrum der Arbeit steht jedoch die Auseinandersetzung mit
der Frühgeschichte des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und
der hier entwickelten „strukturellen“ oder „funktionalistischen“ Deutung der NS-Diktatur. Die weitere Entwicklung dieser Forschungsrichtung verfolgt Berg bis in die 60er-Jahre hinein, während er die
übrige Forschung zu Nationalsozialismus und Holocaust nach dem
Beginn der 60er-Jahre weitgehend aus den Augen verliert.
9
Berg vertritt die These, dass diese Strukturgeschichte mit ihrer
Tendenz zur Anonymisierung der handelnden Personen auf eine – in
der Lebensgeschichte der Nachkriegshistoriker begründete – Scheu
zurückzuführen sei, sich mit den Tätern und ihren (ideologischen)
Motiven zu beschäftigen, habe doch die „Angst“ eine Rolle gespielt,
„dass hier die Rede von den eigenen Vätern, Brüdern oder Freunden
war“. Berg attestiert den Vertretern dieser Forschungsrichtung stattdessen „Vermeidungsdiskurs“ und „Mitläufer-Erzählung“; sie hätten
sich hinter Sachlichkeitsrhetorik und Nüchternheitspathos versteckt.
In der Tat liest sich das Buch über weite Strecken wie eine Skandalchronik, speziell des Instituts für Zeitgeschichte. Berg zeigt anhand
einer Reihe von Fällen, dass das Institut in den 50er und 60er-Jahren
im Umgang mit ausländischen, emigrierten und insbesondere mit jüdischen Forschern erhebliche Probleme hatte, die in einigen Fällen in
tief greifende Zerwürfnisse mündeten. Hier trafen, das macht Berg
deutlich, unvereinbare Positionen aufeinander.
Exemplarisch deutlich macht er dies anhand der Auseinandersetzungen zwischen Martin Broszat (dem späteren Direktor des Instituts) und Joseph Wulf, Holocaust-Überlebender und weitgehend auf
sich selbst gestellter Dokumentarist des Mordes an den Juden. Inhaltlich ging es in diesem Streit insbesondere um die Verantwortlichkeit
von Funktionsträgern, ausgetragen am Beispiel des ehemaligen Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, Hagen, während des Krieges
Leiter des Gesundheitsamtes in Warschau, dem Broszat „sachbezogenes“ Handeln, Wulf hingegen Mittäterschaft attestiert hatte. Berg
bemüht sich, Broszats Argumentation, die stets auf Strukturen, und
nicht primär auf persönliche Verantwortung gerichtet war, auf eine
in der eigenen Biografie wurzelnde Sichtweise zurückzuführen, die
er bis in den berühmten Briefwechsel zwischen Broszat und dem israelischen Historiker Saul Friedländer aus dem Jahre 1987 hinein verfolgt.
Während Friedländer hier das besondere Spannungsverhältnis
von Erinnerung und Geschichte in Bezug auf den Holocaust beton-
10
Peter Longerich
Schwierigkeiten mit dem Holocaust
te, grenzte Broszat unter dem Stichwort „Historisierung“ die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Völkermord gegen eine mythische „geschichtsvergröbernde“ jüdische Erinnerung ab. Keineswegs
jedoch wollte Broszat seinen eigenen biografischen Hintergrund etwa als Hindernis für das vom ihm geforderte „rationale Begreifen“
dieser Zeit sehen. Im Gegenteil, der 1926 geborene Broszat betonte als
Angehöriger der „HJ-Generation“ das „Glück, in politisches Handeln
und in Verantwortung noch nicht oder nur marginal hineingezogen
zu werden, aber man war alt genug, um emotional und geistig hochgradig betroffen zu werden von der moral- und gefühlsverwirrenden
Suggestivität“ des NS-Regimes. Wäre dieser Standpunkt einer unschuldigen Betroffenheit aufrechtzuerhalten gewesen, wenn damals
bekannt gewesen wäre, das Broszat – wie von Berg aufgedeckt – tatsächlich noch 1944 Mitglied der NSDAP wurde?
Berg macht einen eklatanten Widerspruch deutlich: Während die
„Erfinder“ der Zeitgeschichte versuchten, eine neue Teildisziplin auf
der Grundlage von Zeitgenossenschaft und Miterleben zu begründen, blendeten sie die eigene Erinnerung, wenn das Thema auf die
Verbrechen des Dritten Reiches kam, systematisch aus – im Gegensatz
etwa zur parallel geschriebenen Geschichte des Widerstands oder der
Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, bei denen im großen Umfang auf die Auswertung persönlicher Erfahrungen zurückgegriffen
wurden. Ist damit aber wirklich die strukturelle Methode als bloße
„Mitläufer-Erzählung“ entlarvt? Das Buch hinterlässt einen äußerst
zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite erfährt man eine Fülle interessanter Details und die von Berg versuchte gedächtnisgeschichtliche Nachfrage ist prinzipiell sicher legitim.
Andererseits: Der Aufbau ist unübersichtlich, die Darstellungsweise verschlungen und ausufernd, bestimmt durch die Vorliebe des Autors, ausführlich vorgestellte Texte mit einem Non-StopKommentar zu versehen; die Zuschreibung von „lebensgeschichtlichen“ Motiven bleibt zum Teil spekulativ und ein klarstellendes Fazit hätte dem Buch außerordentlich gut getan. Der wichtigste Punkt
scheint mir aber zu sein, dass Berg seinen hohen Anspruch nicht einlöst: Die deutsche Geschichtsschreibung über den Holocaust wirklich
als „Teilsystem“ darzustellen und dieses innerhalb des kollektiven
Gedächtnisses der deutschen Nachkriegsgesellschaft angemessen zu
verorten.
Denn Berg ist einfach nicht bereit, sich auf das „Teilsystem“ Historiografie mit seinen eigenen Regeln, Mechanismen und professionellen Standards einzulassen. Allzu schnell urteilt er die Strukturgeschichte des Regimes ab als einen in die Wissenschaft verlängerten
Verdrängungsprozess, anstatt sich zumindest auch mit den Leistungen und der Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes innerhalb der Forschung zu beschäftigen. Berg entwickelt in seiner durchweg bewertungsfreudigen Vorgehensweise keinen sicheren Maßstab, um den
Stellenwert einzelner Forschungen innerhalb des „Teilsystems“ Geschichtswissenschaft anzugeben. Vor allem aber geht Berg nur völlig unzureichend auf die Entstehung einer frühen deutschen Holocaustgeschichtsschreibung seit Beginn der 60er-Jahre ein und wird so
seinem Thema nicht gerecht: Man vermisst eine angemessene Diskussion wichtiger Pionierstudien zur Judenverfolgung wie etwa die
Arbeiten von Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm zu den
Einsatzgruppen oder zum Beispiel die frühen Gesamtdarstellungen
von Wolfgang Scheffler und Uwe Adam.
Tatsächlich fehlt aber auch eine gedächtnisgeschichtliche Verankerung der Befunde in der kollektiven Erinnerung (bzw. der kollektiven
Verdrängung) der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Wäre dies in einem stärkeren Maße erfolgt, so wäre klar geworden, wie sehr die Historiker Teil des intellektuellen Klimas ihrer Zeit waren. Die Skandalchronik wäre damit nicht vom Tisch, aber wesentlich stärker als dem
Zeitgeist geschuldet erschienen. Es ist zu hoffen, dass diese erheblichen Mängel nicht gerade das verhindern, was Berg erreichen will:
den Beginn einer Diskussion um die frühe „Zeitgeschichte“ als einer durchaus fragwürdigen deutschen Sonderentwicklung der Nachkriegszeit.
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Peter Longerich
(Dieser Text wurde ursprünglich als Rezension für eine Tageszeitung geschrieben und sollte unmittelbar nach der Publikation des Buches im Mai 2003 erscheinen. Er blieb unveröffentlicht, da sich Rezensent und Redakteur nicht auf die Endfassung einigen konnten.)
Peter Longerich lehrt am Royal Holloway College der Universität
London.
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Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der
Historiografiegeschichte
Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der
Historiografiegeschichte
von Stefan Berger
Erinnerung (oder auch ’memory’ und ’mémoire’) hat Konjunktur. Die
Literatur zu diesem Thema ist seit dem Erscheinen von Eric Hobsbawms und Terence Rangers ’Invention of Tradition’ (1983) und Pierre Noras ’Lieux de Mémoire’ (1984-93) kaum mehr zu überblicken. Inzwischen liegen in deutscher Sprache bereits die von Etienne François und Hagen Schulze herausgegebenen ’Erinnerungsorte’ vor. An Nora orientierte Großprojekte laufen zudem in Italien und Österreich. Auch gab es in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche theoretische Anstrengungen um den Begriff der Erinnerung.
Maurice Halbwachs’ Arbeiten zum kollektiven Gedächtnis wurden
wieder entdeckt, und Jan Assmanns Idee einer ’Gedächtnisgeschichte’ hat auf die Geschichtsschreibung insgesamt sehr befruchtend gewirkt. Nicolas Bergs Buch sollte man im Kontext dieser methodischtheoretischen Entwicklungen lesen, um es hinreichend würdigen zu
können. Die Mitarbeiterinnen von H-Soz-u-Kult, die dieses Diskussionsforum dankenswerter Weise ermöglichen und editorisch betreuen, baten mich darum, in meinen Ausführungen gerade auf diese methodischen Prämissen des Buches einzugehen. Und so will ich, nach
einer kurzen Zusammenfassung selbiger, einige, aus meiner Sicht,
Fehlurteile über Bergs Publikation thematisieren, um abschließend zu
fragen, ob seine Methode seinem Anliegen gerecht wird.
Berg geht es um den Einfluss der Erinnerung auf die Forschungen zum Holocaust seit 1945. Insbesondere thematisiert er die Erinnerungskonflikte zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Wissenschaftlern. Dabei fragt er gerade nach der Bedeutsamkeit solcher
Konflikte für die historische Forschung und die Entwicklung historischer Kontroversen. Welche Diskurse über den Holocaust konnten
sich etablieren und welche nicht? Wer durfte autoritativ sprechen und
wem wurde diese Autorität aberkannt? Welche Selektionsmechanismen bedingt die jeweils andere Erinnerung? Wie verbinden sich spe15
zifische Interessen und der Kampf um die Erinnerung? Solche Fragen stehen im Zentrum von Bergs diskursgeschichtlich fundierter Gedächtnisgeschichte, der es vor allem um die Interaktion von Erinnerung und Gegenerinnerung geht.
Berg argumentiert dabei – wie ich finde überzeugend –, dass Erinnerung für die Historiografiegeschichte von zentraler Bedeutung ist.
Immerhin ist die Geschichtswissenschaft in der Tat ein (zunehmend
kleiner werdender?) Teil der kollektiven Erinnerung, auch wenn sie
sich, wie Berg konstatiert, zum Teil geradezu als deren Gegenteil geriert und über die ’bloße’, subjektive Erinnerung hinauszugehen bestrebt ist. Gerade im selbst gemachten Konflikt zwischen Erinnerung
und Wissenschaft ergeben sich dann häufig persönliche Aporien sowie Tendenzen, die spezifische Perspektivität jeder Wissenschaft mit
Verweis auf ein immer noch weit verbreitetes historisches und positivistisches Objektivitätspostulat zu leugnen. Wissenschaft und Erfahrung, so die Grundannahme Bergs, lassen sich nicht auseinander dividieren. Er führt hier konsequent einen Gedanken von Saul
Friedländer aus dessen berühmt gewordenem Briefwechsel mit Martin Broszat aus den 1980er-Jahren weiter. Friedländer hatte schon damals gegen Broszats strikte Trennung von Erinnerung und wissenschaftlicher Erkenntnis darauf verwiesen, dass seine eigenen Bemühungen eher darauf abzielten, wissenschaftliche Erklärung und historische Erinnerung zusammenzubringen. Berg will diese beiden Kategorien ebenfalls zusammen denken. Dabei wird individuelles und
kollektives Gedächtnis vom Autor als ’Aufbewahrungsort’ verstanden, der allerdings permanenter ’Konstruktionsarbeit’ unterliegt. Insgesamt wird auf beinahe jeder Seite dieses Buches deutlich, wie sehr
Historiker zeitlich eingebunden sind und wie groß der Einfluss von
erlebter Lebensgeschichte auf das ist, was man in den 1970er-Jahren
häufig Erkenntnisinteresse genannt hat.
Lässt man nun die zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenrezensionen zu Bergs Buch Revue passieren, so fällt auf, dass man diese
theoretisch-methodischen Prämissen des Bandes zwar zum Teil er-
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Stefan Berger
Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der
Historiografiegeschichte
wähnt, dass man aber insgesamt viel zu wenig erkannt hat, dass es
gerade diese Methode ist, die das eigentliche Zentrum des Buches
ausmacht. So hat man etwa Berg vorgeworfen, mit Zorn und Leidenschaft zu schreiben und dabei oftmals nicht ausreichend hermeneutisches Verständnis für seine nicht-jüdischen Protagonisten aufzubringen. Aber nach meiner Lesart des Buches kann man Berg nicht
einfach moralischen Rigorismus vorwerfen. Man verfehlt das methodische Anliegen des Autors, liest man sein Buch als eine Philippika gegen die unbestritten großen Verdienste der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft um die Erforschung des Nationalsozialismus. Den konservativen Gründungsvätern der westdeutschen
Zeitgeschichte, etwa Hans Rothfels oder Gerhard Ritter, bescheinigt
er durchaus große Leistungen. Auch geht es seinem Text meiner Meinung nach nicht darum, die ’Lichtgestalten’ einer kritischeren Geschichtswissenschaft einer späteren Epoche ’schlecht zu machen’. In
dieser Hinsicht ist es besonders zu bedauern, dass sich die öffentlichen Diskussionen über Bergs Buch oftmals ganz einseitig auf den
’Fall Broszat’ verkürzt haben. Wusste Broszat von seiner Parteimitgliedschaft oder nicht? Wie bedeutsam war die Tatsache seiner Parteimitgliedschaft für seine wissenschaftliche Arbeit nach 1945? Gerade weil Bergs Forschungen hier in der Lage waren, Neues zu einer zentralen Figur der bundesrepublikanischen Historikerschaft zu
Tage zu fördern, haben sie verständlicherweise viel Aufmerksamkeit
erregt. Ins Zentrum seines Anliegens führen diese Fragen allerdings
mitnichten.
Im Gegenteil, mir scheinen die mehr oder weniger vordergründigen Vorwürfe, Berg habe den großen Namen der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft nicht genügend Respekt und Verständnis entgegengebracht, eher aufschlussreich, was den Habitus
heutiger Geschichtsprofessoren in Deutschland anbetrifft. So scheinen doch immer noch viele ehemalige ’Schüler’ geradezu pietätsvolle Gefühle ’ihren Lehrern’ gegenüber zu hegen. Die Kritik an Berg ist
somit auch eine Frage um die Deutungsmacht: Wem steht es zu, die
großen Vorbilder zu kritisieren? Die autoritären Grundmuster in der
ausgeprägten Hierarchie bundesdeutscher Geschichtsforschung haben über die letzten dreißig Jahre sicher abgenommen; zugleich hat
die Konfliktfähigkeit vieler ihrer Vertreter stark zugenommen. Aber
ausgestorben sind die alten Denkmuster, so scheint es mir (zugegeben
von außen betrachtet), noch lange nicht. Rein menschlich betrachtet
kommen in der Tat viele deutsche Historiker, ungeachtet ihrer Provenienz, in Bergs Buch nicht gerade gut weg. Das liegt kaum an politischer oder ideologischer Orientierung, hat aber ebenfalls viel mit
Ausbildung, Habitus und eben Erinnerung zu tun.
Der häufig zu vernehmende Vorwurf hermeneutischer Unzulänglichkeit verweist außerdem auf einen in der deutschen Geschichtswissenschaft, trotz ’linguistic turn’ und Postmoderne, immer noch
weit verbreiteten (wenn auch inzwischen stark angekratzten) ’common sense’. Wald- und Wiesenhistoriker bestehen nach wie vor eben
darauf, sine ira et studio zu schreiben bzw. Objektivität zumindest
anzustreben und klare Werturteile möglichst zu vermeiden. Der allein selig machende hermeneutische Zugang zur Vergangenheit gehört leider auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch zur
Grundausstattung eines jeden angehenden Historikers. Gerade hier
allerdings bedeutet Bergs methodisches Vorgehen eine fundamentale
Herausforderung.
Erschwert auch die ausgeprägte Lagerbildung in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft die Sicht auf das Innovative an Bergs methodischem Ansatz, so bleibt festzuhalten, dass die
von Bergs Kritikern immer wieder vorgetragene Verteidigung einzelner Historiker oder ganzer Schulen (besonders der strukturalistischen
Ansätze) ins Leere läuft. Denn Bergs Text geht es nicht primär um
Verurteilung, sondern darum, herauszufinden, warum einige nichtjüdische Historiker in Deutschland nach 1945 mit manchmal geradezu unglaublicher Insensibilität ihren jüdischen Kollegen gegenübertraten und ihnen gerade ihre Erfahrungen in den Konzentrationsund Vernichtungslagern zum Vorwurf machten. Von wichtigen aka-
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Stefan Berger
Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der
Historiografiegeschichte
demischen Positionen wurden Historiker wie H. G. Adler oder Joseph
Wulf erfolgreich ferngehalten. Immer spielte dabei das Argument eine Rolle, dass ihnen ihre Erinnerung eine objektive Wissenschaft unmöglich mache. Das in der Nachkriegsgeschichtswissenschaft vorherrschende historistische Wissenschaftsverständnis und sein beständiges Beharren auf Objektivität konnte sich ja gerade deshalb erneut
so schnell und durchgreifend etablieren, weil ihre Vertreter mit dem
Verweis auf die schlimme ideologische Vereinnahmung der Geschichte durch den Nationalsozialismus (und den Kommunismus im anderen Teil Deutschlands) aufwarten konnten. Ein an Objektivität orientiertes Wissenschaftsverständnis half den maßgeblichen bundesdeutschen Historikern dabei, die absolute Deutungshoheit über die nationalsozialistische Zeit für sich zu beanspruchen.
Dabei, und das belegt Berg an unzähligen Beispielen sehr eindrucksvoll, waren es gerade die Erfahrungen und die Erinnerungen
aller Historiker, nicht allein der jüdischen, die ihre jeweiligen Arbeiten zu Nationalsozialismus und Holocaust beeinflussten und strukturierten. Die Erinnerung spielte bei den Versuchen von Ritter und
Rothfels eine große Rolle, die Mitverantwortung einer großen Anzahl
von Personen am Holocaust zu verdrängen und stattdessen für einen
stark eingeengten Täterbegriff zu plädieren. Die ungeheuren kriminellen Energien, die das Regime in seinen rassenpolitischen Zielvorstellungen freisetzte, wurden von der bundesrepublikanischen Forschung ja gerade im ersten Nachkriegsjahrzehnt eher unter ferner liefen behandelt. Bei anderen, etwa Hermann Heimpel und Reinhard
Wittram, führten spezifische Erfahrungen und Erinnerungen dazu,
dass sie zwar durchaus nicht zu den nationalsozialistischen Verbrechen schwiegen. Aber sie neigten dazu, diese im Rahmen religiös motivierter Annahmen über das Böse in der menschlichen Natur an sich
zu thematisieren. Dies ließ oftmals die konkreten historischen Strukturen und Personen in den Hintergrund treten oder gar unsichtbar
werden.
Wie Berg zeigen kann, setzte eine jüngere Generation von Histo-
rikern, die im Umfeld des Instituts für Zeitgeschichte in München tätig wurde, ihre ’nüchterne Quellenforschung’ eben gegen einen solchen abstrakten und unspezifischen Täterbegriff und suchte Erklärungen nicht im transzendenten „Bösen“. Stattdessen setzten sie sich
das Ziel, gerade die Herrschaftsmechanismen der NS-Diktatur zu Tage zu fördern. Unter ihnen befanden sich auch die späteren Wortführer der strukturalistischen Richtung, denen es ja, darauf hat auch
schon Ian Kerhaw im Times Literary Supplement verwiesen, gerade darauf ankam, den Nationalsozialismus nicht nur auf einige fanatische Nazis einzuschränken, sondern die Mitverantwortung weiter Teile der deutschen Gesellschaft an der ’deutschen Katastrophe’
(Friedrich Meinecke) zu verdeutlichen. Dieser moralische Impetus ihrer Forschungen hielt sie allerdings nicht davon ab, gerade mit Verweis auf Nüchternheit und Objektivität zahlreiche jüdische Holocaustüberlebende aus dem Forschungsbetrieb auszugrenzen.
Denn auch sie gingen, wie ihre intentionalistischen Gegenspieler,
von der methodischen Prämisse aus, dass den Stimmen der überlebenden jüdischen Historiker nicht zu trauen war, da sich bei ihnen angeblich die Erfahrung vor die Wissenschaft schob und den
nüchtern-klaren Blick trübte. So wurden in der Bundesrepublik, und
darin liegt nun in der Tat das eigentliche Skandalon, das dieses Buch
zum Thema macht, jüdische Historiker von führenden Repräsentanten der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft marginalisiert und
diskreditiert. Dabei spielten ideologische oder konkret politische Differenzen kaum eine Rolle. Zentral war dagegen der immer wieder
vorgebrachte Verweis auf Erfahrung und Erinnerung.
An dieser Stelle seien mir zwei kleine Einwürfe erlaubt: Zum
einen spricht Berg an mehreren Stellen seines Buches vom Austausch zwischen deutschen und jüdischen Wissenschaftlern. Nun waren aber doch auch einige seiner jüdischen Protagonisten Deutsche.
Wäre es da nicht sinnvoller, durchgängig von jüdischen und nichtjüdischen Erinnerungen an den Holocaust zu sprechen und jüdische
von nicht-jüdischen Wissenschaftlern zu unterscheiden? Wobei es si-
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Stefan Berger
Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der
Historiografiegeschichte
cherlich, wie der Fall Hans Rothfels zeigt, noch einmal von entscheidender Bedeutung war, ob man dem Holocaust im Ausland entkam
oder selber in den Lagern saß.
Wenn man zum anderen, wie Berg, zu Recht der Meinung ist, dass
Erfahrung und Erinnerung das Schreiben von Geschichte maßgeblich
beeinflussen, sollte man dann nicht auch sich selbst als Autor stärker
verorten? Welche Erinnerungen und welche Erfahrungen strukturieren seinen Text? In welche generationellen, individuellen oder auch
methodischen Zusammenhänge sieht er sich eingebunden? Hierzu
hätte zumindest ich gerne mehr erfahren.
Insgesamt, und das arbeitet Berg überzeugend heraus, kann die
Geschichtsschreibung als akademische Disziplin nicht unabhängig
von den Erfahrungen und Erinnerungen derer, die sie betreiben, untersucht werden. Jenseits einer Reihe von lang etablierten und kaum
zu hinterfragenden wissenschaftlichen Praktiken (Quellenkritik, Logik, die Möglichkeit zur Überprüfung wissenschaftlicher Argumentation) gibt es keine Objektivität. Man einigt sich bestenfalls auf ein
Handwerkszeug, um dieselbe Sprache zu sprechen. Aber letztendlich bleibt jeder kollektive Gedächtnisrahmen, innerhalb dessen Wissen produziert wird, perspektivisch. Auch rationale wissenschaftliche Diskurse können bestenfalls bestimmte Aussagen falsifizieren (im
Popperschen Sinne), aber die Geschichtsschreibung insgesamt wird
sich immer mit einer Vielzahl von revidierbaren Wahrheiten abfinden
müssen. Jede faktische Aussage wird immer bereits innerhalb eines
normativen Rahmens getroffen, der vor bestimmten Erwartungshorizonten von Historikern existiert. Und solche Erwartungshorizonte
haben nun in der Tat viel mit Erinnerung und Erfahrung zu tun.
Berg sieht bei den diversen normativen Rahmen der bundesrepublikanischen Holocaustforschung eine Vielzahl von apologetischen
Tendenzen – nicht nur bei den der alten Nationalgeschichte verpflichteten Historikern der 1950er-Jahre und bei späteren Strukturalisten,
sondern er hat auch wenig Geduld mit den diversen ’meist von der
politischen Linken kommenden’ Faschismustheorien der 1960er und
1970er-Jahre. Eine oftmals inflationäre Verwendung des Faschismusbegriffs führte auch hier eher zu einer Verschleierung denn zu einer Aufhellung der spezifischen Verbrechen des Nationalsozialismus.
Aber insgesamt bemüht sich der Autor durchaus, nicht alle Historiker über einen Kamm zu scheren: Differenzierungen, Paradoxien
und Mehrdeutigkeiten werden vorgenommen, herausgearbeitet und
zugelassen. Die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft wird
nicht pauschal verunglimpft: Ritter, Rothfels, Meinecke, Wittram,
Broszat und viele andere mehr erscheinen sehr plastisch als handelnde Personen, und der Autor bemüht sich, gerade für die 1950er-Jahre,
durchaus zu betonen, dass es sich nicht um ein Jahrzehnt des Schweigens, sondern um ein ’Erinnerungsjahrzehnt’ gehandelt habe. Diese
Erinnerung war allerdings sehr selektiv und lückenhaft. Insgesamt
war die Lektüre für mich als Nichtexperte ein großer Gewinn.
Wer Bergs Buch ’unhistorisch’ nennt, der versteht die konzeptionellen Grundlagen der Studie nicht. Der Autor fragt mitnichten
danach, warum die deutsche Forschung nicht schon früher die Fragestellungen der 1990er-Jahre aufgegriffen habe. Und ich lese seinen Text auch nicht primär als einen Versuch, die unterschiedlichen Perspektiven jüdischer und nicht-jüdischer Historiker im postnationalsozialistischen Deutschland säuberlich nach gut und böse zu
trennen. Vielmehr sucht und findet Berg intelligente Antworten auf
die komplexe Frage, warum bestimmte Fragestellungen auf eine bestimmte Art und Weise aufgegriffen wurden, während andere Fragen
eher nicht zum Zuge kamen. Dabei spielte der Faktor der Erinnerung
in der Tat eine zentrale Rolle.
Abschließend bleibt festzuhalten: Nicolas Berg hat ein wichtiges
Buch geschrieben. Er hat nicht ’nur’ eine Unmenge an Quellen verarbeitet, die wirklich Neues über prominente bundesdeutsche Historiker zu Tage gefördert haben, und er hat auch nicht ’nur’ in einer
großen Syntheseleistung eine breite Sekundärliteratur zum Thema
wirkungsvoll gebändigt und zu ebenso interessanten wie intellektuell herausfordernden Thesen verdichtet. Er hat vor allem mit seinem
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Stefan Berger
methodisch-theoretischen Rüstzeug neue Schneisen in das Verständnis von Historiografiegeschichte gelegt. Erinnerung und Erfahrung
sind zentrale Bestandteile einer jeden Beschäftigung mit Geschichte
und eben auch mit Historiografiegeschichte. Das im Hinblick auf die
deutsche Holocaustforschung auf den Punkt gebracht zu haben, ist
das Verdienst des Autors.
Stefan Berger ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte und
Co-Direktor des Centre for Border Studies an der Universität Glarmogan, Wales. (http://www.glam.ac.uk/hass/research/border) Er
hat über vergleichende Arbeitergeschichte, Historiografiegeschichte
und Fragen nationaler Identität veröffentlicht. (http://www.glam.
ac.uk/hass/staff/personal_pages/historical/berger_stefan.php)
Zurzeit leitet er ein auf fünf Jahre angelegtes Projekt der European
Science Foundation über ’Representations of the Past: The Writing
of National Histories in Europe’. (http://www.uni-leipzig.de/zhs
/esf-nhist)
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Beware the moral high ground
Beware the moral high ground
von Ian Kershaw
Until the 1980s, German historians undertook relatively little research
on the Holocaust, plainly so central to the history of Nazism. Nicolas Berg in Der Holocaust und die westdeutschen Historiker is keen
to demonstrate that because memory and personal experience were
inseparable from the way German historians viewed the Third Reich,
even when they claimed to be writing detached and objective history,
their attempts to explain „the German catastrophe“ were exculpatory
and apologetic, the perspective of the perpetrators was given precedence over that of the victims, and German accounts were accorded
objectivity while analysis undertaken by Jewish historians was ignored or criticized as un-scholarly and subjective. „Auschwitz“ (as
the symbol of the Holocaust) was, indeed, Berg suggests, subliminally omnipresent in German historiography. But it was not centrally
addressed. Defence of national values, a sense of national shame, the
use of theoretical models of totalitarianism and Fascism, or conceptual devices („intentionalism“ and „functionalism“) to interpret the
disaster of National Socialism all skirted round the issue itself.
The heart of this issue amounted, in Berg’s perception, to acceptance of the personal culpability of countless Germans – through will,
desire, intention and ideological motivation, not as involuntary cogs
in the wheel of impersonal structures and processes – for the murder of the Jews. The question at stake is that of guilt – meaning direct blame of a wide range of perpetrators at all levels of society, not
generalized „national guilt“ and impersonalized responsibility. Jewish historians had been concerned with this from the beginning. But
in Berg’s view it took a new generation of German historians (the
present one), liberated from memory of the Nazi era, to shift the emphasis from anonymous „processes“ and „structures“ to those who
actually perpetrated the Holocaust. Only recently, therefore, Berg
claims, has it been possible to incorporate the perspective of the victims - to begin to approach the Holocaust in the way enlightened Jew25
ish historians, long neglected, ignored or even disparaged by their
German counterparts, had done from the beginning.
Why the Holocaust remained for so long marginal to German historiography is the subject of Berg’s voluminous study. A bibliography
of ninety-eight pages indicates the breadth of the investigation. Berg
deploys not just the published works but also the private papers of
most of the historians under review to offer new insights into their
thinking and writing. Complex in style, structure and content, often
unwieldy in its prose, and - a serious drawback - lacking an index,
the book is an intriguing, but flawed, piece of intellectual history. In
Germany it has already stirred far more controversy than is usual for
a doctoral thesis on account of its claim that an intrinsic apologia was
embedded in the ways leading exponents of German „contemporary
history“ approached the Nazi past.
The book’s elaborate dissection of much early post-war historical
writing would in itself have attracted little attention. The apologetic
implications of Friedrich Meinecke (Nazism as German tragedy) and
Gerhard Ritter (Nazism as Germany’s misfortune) are well known.
And the space devoted to the religiously imbued musings of Fritz
Ernst, Reinhard Wittram and Hermann Heimpel is over-generous.
But the assessment of Hans Rothfels, one of the great early figures
of German contemporary history, stands out. Rothfels, staunch upholder of Prussian-German conservative values but Jewish (though
converted to Protestantism), had returned after the war from exile
in the United States to a chair at Tübingen. As Berg emphasizes, he
served, most evidently through his emphasis on „the other Germany“
in his widely read book on conservative opposition to Hitler, as a useful legitimating figure for apologists.
But Berg does not do justice to Rothfels as the driving force on
the editorial board of the newly founded Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, which rapidly established itself as the key journal on contemporary history. The very first issue of the journal in 1953 included
Kurt Gerstein’s sensational eyewitness account of the mass gassing of
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Ian Kershaw
Beware the moral high ground
Jews. Other crucial records on the fate of the Jews were also published
in the journal during Rothfels’s editorship.
The home of the Vierteljahrshefte is the Institut für Zeitgeschichte
(Institute of Contemporary History) in Munich, founded in 1950 to
undertake research into National Socialism. And it is in its attack
on the Institut, and some of its most distinguished historians – notably Martin Broszat, Hans Buchheim, Helmut Krausnick and Hans
Mommsen (who later left for the chair of Contemporary History at
Bochum) – that Berg’s book is both surprising and highly contentious.
The Institut began its existence with the self-professed aim of breaking with the German historicist tradition and analysing the most recent, disastrous, past unemotionally and objectively. Much of its early
work concentrated on bringing to light documentary evidence of the
Nazi era. It soon also became involved in historical evaluations of
institutions or individuals for use in legal cases. Most specialists, inside and outside Germany, have regarded the work of the Institut as
the pinnacle of scholarship on the Third Reich. Its leading historians
have gained a worldwide reputation for their expertise.
Based on his research into the early records of the Institut –
minutes of meetings of its directorate, assessments of manuscripts,
correspondence with authors or would-be authors in its publication
series – Berg now fires a sheath of arrows at the heart of the Institut’s
research achievement and high standing. He suggests that, under
the veneer of „objectivity“, the approach to the Nazi past of historians at the Institut was directly shaped by their subjective experiences
(or „memory“). This in turn, he claims, led to an inbuilt, if unspoken, prejudice in favour of German accounts and documentary evidence and against historical accounts by Jews (presumed to be less
objective). Not least, what later became known as the structuralist
approach, which had been programmatically introduced at the beginning of the Institut’s work in the 1950s, was implicitly apologetic in
deflecting research from the personal (often ideological) motivation of
perpetrators into anonymous and amorphous general responsibility
rooted in the structures of the Nazi system of rule.
Buchheim, untainted with membership of a Nazi organization
and one the Institut’s foremost researchers in the 1960s, who composed a chilling analysis of the SS as an instrument of rule for use
in the Auschwitz trial of 1963, is seen as apologetic in his emphasis
upon the ways in which, as the Nazi system corrupted and perverted
social values, individuals could slide in moral confusion into complicity in a criminal totalitarian regime. Mommsen, internationally
acclaimed as one of the greatest authorities on Nazism over the past
decades (who in 1983 published a path-breaking essay on the emergence of the „Final Solution“), stands similarly accused of apologetics
in a text written in 1962 portraying Wilhelm Kritzinger, State Secretary in the Reich Chancellery, and present at the notorious Wannsee
Conference in January 1942, as a functionary who had taken no personal initiative to support the criminal policies of the regime but had
been sucked into its murderous actions by becoming inextricably tied
up in its structures of rule.
But the most concerted attack is reserved for Broszat, who joined
the Institut in the mid-1950s, was its Director from 1972 until his death
in 1989, and was regarded in Germany and abroad as among the preeminent scholars of Nazism in the world.
Almost a year before the publication of his book, Berg had
launched his attack in striking fashion with a full-page article in a
leading German newspaper, the Süddeutsche Zeitung, highlighting
what he called Broszat’s „lifetime lie“ in concealing the fact that he
had actually joined the Nazi Party in 1944. This startling information,
which astonished Broszat’s family, friends and colleagues, is limited
in the book to a single sentence and a footnote. But the damage had
already been done. The implication that Broszat had been a sympathizer, even an enthusiast, is present when Berg deals at length
with his exchanges in the early 1960s with the Jewish historian Joseph
Wulf, based on the archives of the Institut. Certainly, Broszat does not
come out well from these exchanges concerning a prominent health
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Ian Kershaw
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official of the Nazi regime in Poland, Dr Wilhelm Hagen, who later
went on to enjoy a good career in the Federal Republic. Broszat accepted Hagen’s claims that he had defended Poles against the SS and
supported him against Wulf’s findings that he had taken quite a different stance on Jews in the Warsaw ghetto (where Wulf had himself been confined, before deportation to Auschwitz). Even when
Wulf found evidence that Hagen had advocated shooting Jews found
„wandering around“, Broszat only retracted partially and, it seems,
reluctantly. This exchange, in which Broszat was plainly at fault, is
used to undermine his claim to objectivity, and widened to an assault
on the „structuralist“ approach, of which Broszat was a prime exponent.
Here I need to disclose a personal interest. I worked closely with
Broszat in the 1970s, and have had association with the Institut für
Zeitgeschichte ever since. Hans Mommsen is a good personal friend.
Broszat was my early inspirational mentor, Mommsen later an important further vital stimulus to my own work on Nazism. From close
personal connection, the notion that there was a trace of apologetics,
even unwitting, in their writing or their historical approach strikes
me as absurd. Far from an apologia, an open and stringent criticism
of the German social and political structures which produced the disaster of Nazism was fundamental to their thinking. Buchheim I did
not know, and Krausnick only fleetingly, but my sense, based on their
writing, is the same. Of course, mistakes were made. Broszat’s handling of Wulf was one. But the sweeping conclusions Berg draws
from the exchange are not convincing.
Broszat’s presumed party membership is a red herring. Possibly,
indeed, he was never formally admitted to the Party. The reverse
of his membership card (which Berg did not consult) in the Berlin
Document Centre implies that the entry ceremony never took place.
Conceivably, Broszat never mentioned he was a party member because, though requesting entry, he had never actually joined. But his
concealment even of the application to join is certainly a puzzle. He
never hid the fact that he had been an enthusiastic member of the
Hitler Youth. To have admitted his membership of the party itself
would have not damaged him in the Institut. After all, his predecessor as Director, Helmut Krausnick, openly acknowledged that he had
joined the Party as early as 1932 (though he left it in 1934). This had
not detracted from his later standing either in the Institut or among
the community of historians. Nor did it affect his outstanding research on the Holocaust. Krausnick went on - a point which does not
feature in Berg’s book - to write a groundbreaking study on the murderous assault on Jews by the Nazi Einsatzgruppen in the wake of the
invasion of the Soviet Union in 1941.
Broszat’s driving incentive was to help an understanding of how
Germany could sink into barbarity. That he himself had succumbed
to the elan of the Nazi Movement was central to his motivation to
elucidate for later generations how it could have happened. And that
the later murder of the Jews arose from Nazism’s anti Jewish policies,
but that these played so little part in the idealism of millions who
had been drawn into support for the Nazi Movement (or in his own
enthusiasm for the Hitler Youth), posed questions he always sought
to answer. It amounted to a search for the pathological causes of the
collapse of civilization in German society. But the attempt to find general causes in individual ideological intention and personal culpability seemed misplaced. This perspective pushed him, like Buchheim
and others at the Institut, into looking to the structures of Nazi rule
that implicated countless functionaries (and ordinary citizens) in the
regime’s inhumanity and criminality, even though they were far from
sharing the ideological obsessions of the regime’s leadership. And in
his seminal essay on the „genesis of the Final Solution“, published in
1977, Broszat specifically deployed a structuralist approach to widen
responsibility beyond Hitler and the narrow Nazi leadership.
Overall, Berg’s analysis, though a work of history, has something
ahistorical about it. It is as if he is asking why the historical questions of the 1990s were not those of the 1960s and 1970s, and why
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Ian Kershaw
Beware the moral high ground
the legitimately differing perspectives of German and Jewish historians were not identical. In judging the work of earlier generations
solely from the perspective of the 1990s and after, Berg underrates
their achievements by narrowing the focus to what seems central to
historical research now. And for all its centrality and pivotal significance, the Holocaust does not exhaust all the issues that needed (and
still need) to be addressed about Nazism. The overriding concern of
research in Germany on how the Nazi system had been possible, then
into how it functioned, was not simply in itself legitimate; it was crucial. The early consciously self-critical „contemporary history“ saw
itself as engaged in vital work of clarification for a new, uncertain
democracy still feeling its way. It was natural enough that the concentration on the Holocaust, which has only come to be the preoccupation of international scholarship in the past twenty years or so, would
not manifest itself in early writing on Nazism. But only through the
structural analysis of the Nazi system, leading into evaluation of the
mentality and behaviour of varied social groups in Germany (which
Broszat pioneered), was the later detailed understanding of how the
Holocaust emerged from within that system of rule at all possible.
It took time. But the rewards in looking at the Nazi system as a
whole, rather than narrowing the focus exclusively to the Holocaust,
have been great. Within that broad spectrum, and made possible
in good measure by the opening up of Russian and East European
archives since 1990, the focus in recent research by German historians
on the Holocaust, and biographical concern with those who planned
and implemented it, is both justified and welcome. It takes the work
of Broszat, Mommsen and other „structuralists“ further, and on to
new levels of understanding through adopting different approaches.
But it builds directly on their foundations. In fact, for all its merits, the new emphasis on the biography and ideological motivation
of the perpetrators cannot answer the big questions on the Holocaust
unless it is rooted in structural analysis. Research never stands still;
perspectives change. Much of the recent German historical writing
on the Holocaust has been outstanding (even if it continues to deal
hardly at all with the victims’ perspective, something which Berg so
criticizes in earlier German historiography). But less attractive is the
apparent urge to disparage earlier work and even to impugn, directly
or indirectly, the motives of those historians who produced it.
The arrows which Nicolas Berg fires at Broszat, Mommsen and
the structuralist approaches adopted by the Institut für Zeitgeschichte
are misdirected. And his sustained attack on German historians generally for their failings in research on the darkest stain on their country’s history is too one-sided, as the merest glance at the omissions of
historiography in most other countries in addressing sensitive issues
from their past would indicate. Present-day historical perspectives,
particularly when viewed from a moral high ground, are not always
the best of guides by which to judge an earlier historiography - its
merits, as well as its failings.
(This article first appeared in the Times Literary Supplement, 10
October 2003. Reprinted with permission.)
31
Ian Kershaw studied at Liverpool and Oxford Universities. From
1987 to 1989 he was Professor of Modern History at the University
of Nottingham, and since 1989 has been Professor of Modern History
at Sheffield.
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Revisionist or Denkmalstürzer?
Revisionist or Denkmalstürzer?
von Claudia Koonz
When scholars descend from the „ivory tower“ and address nonspecialist audiences, they realize that journalists and talk show hosts
may well engage in what U.S. intelligence jargon calls „cherry picking,“ i.e. minimizing the overall intent of a work and emphasizing its
minor points. The controversies that have erupted in the aftermath of
Nicolas Berg’s account of how the „founding fathers“ of West German
contemporary history interpreted the Holocaust suggest that selective
reading can be an occupational hazard of historians as well as journalists – at least when a book concerns their own guild. It must be said
that Berg set himself up for controversy by publishing „Lebenslüge
vom Pathos der Nüchternheit,“ in the Süddeutsche Zeitung in July
2003, in which he revealed a very ripe „cherry“ indeed – that the
esteemed historian Martin Broszat had joined the National Socialist
Party in 1944.1
The immense significance of Der Holocaust und die westdeutschen Historiker has been drowned out by reviewers’ attention
to the possibility that distinguished historians may have harbored an
allegiance to National Socialist values. Berg, the unwelcome messenger, has become the iconoclast, „Denkmalstürzer“2 , and ensuing
questions center on predictable issues. Which historians joined the
NSDAP? Could someone have joined the party without knowing
it? Was affiliation with the Deutsche Christen evidence of Nazi allegiance? Did lingering prejudice affect harsh treatment of Jewish historians (pp. 343-352)? Could conscientious historians affiliated with the
Institut für Zeitgeschichte (IfZ) have relied on former Nazis to „fact
1 Berg, Nicolas, Die Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit. Subjektive jüdische
Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung in den sechziger Jahren,
in: Süddeutsche Zeitung, 17.07.2002.
2 Blasius, Rainer, Keiner wäscht weißer. Ja, nein, weiß nicht: Der Disput um den
Historiker Martin Broszat, in: FAZ Nr. 219, 20.09.2003, S. 35: „Wie erregt ein aufstrebender Nachwuchshistoriker heutzutage das meiste Aufsehen? Indem er sich als
zorniger Denkmalstürzer präsentiert.“
33
check“ particular details in their manuscripts while debunking victims’ testimony as unreliable? While these are important questions,
they are also conventional. The great strength of Berg’s book lies in
the new questions he asks about the context within which post-war
research was conducted.
Berg approaches the historiography of the Holocaust in the early
decades of the Federal Republic using both powerful facts from previously neglected primary sources and an interpretative lens centered
on the discursive milieu and institutional context of West Germany.
Departing from the analytic frameworks that have guided most historiographical accounts of denial and discovery of the Holocaust in
West German history, Berg inquires into what philosopher of science
Ludwik Fleck called the Denkkollektiv within which that history was
written.3 Although he attends to popular historical works about National Socialism, Berg did not set out to write an account of the Holocaust in German public memory.4 He is interested less in conflicts
of opinions than in the concepts underlying the „Battle for Memory“,
den Kampf um die Erinnerung between, on one hand, scholars raised
in Nazi Germany and, on the other, victims of Nazi racial and political
persecution (e.g. p. 329).
By delving into archives, scouring libraries for books long out of
print, and tracking down book reviews, Berg assembled the raw material he uses to explore the unacknowledged values that shaped a
consensus across the political spectrum (and I would add, far be3 Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache,
Frankfurt am Main 1980, S. 129-146. Major studies of the historiography of Nazi genocide include: Marrus, Michael R., The Holocaust in History, Hanover 1987, Maier,
Charles S., The Unmasterable Past. History, Holocaust, and German National Identity, Cambridge 1988, as well as anthologies such as: Koch, Gertrud (ed.), Bruchlinien.
Tendenzen der Holocaustforschung, Köln 1999, Hohls, Rüdiger; Jarausch, Konrad H.
(eds). Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus,
Stuttgart 2000, (currently out of print), and several articles in Knigge, Volkhard; Frei,
Norbert (eds.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002.
4 Novick, Peter, The Holocaust in American Life, Boston 1999; Segev, Tom, The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust, New York 1993.
34
Claudia Koonz
Revisionist or Denkmalstürzer?
yond the borders of Germany). This is not, as some suggest, an
„a-historical“ project, but on the contrary, a sophisticated history of
knowledge about National Socialist Germany. In his 46-page introduction, Berg lays out his research agenda in terms that will be familiar to readers of journals like History and Memory and History and
Theory. His integration of theory, public culture, and scholarship fits
comfortably into the models established by historians of, for example, the memory of the U.S. Civil War or the French Revolution. But
those histories lie far behind anyone living today. Esteemed historians in Institut für Zeitgeschichte circles and their students, however,
are still very present.
Brushing aside the standard debates normally covered in historiographical analyses of the Nazi past, Berg examines the tropes
of public discourse in order to gain what he calls a „mentalitätsgeschichtliche Einsicht“ (p. 8) into the thinking of mainstream historians. Possibly because he anticipated that some of his archival findings would incite controversy, Berg treads carefully across the minefield he calls the „Spannungsverhältnis“ between research and memory. His interpretative summaries remind readers that no monolithic
public memory exists, but rather an „unterschiedliches kollektives
Gedächtnis.“ He cautions against misunderstandings by reminding
readers that, for example, „die Bilanz der Frühgeschichte des IfZ
ist zwiespältig“ (p. 318). Acknowledging the near impossibility of
weighing too much against too little memory of Nazi genocide, he
adds qualifiers to his generalizations. To an unusual degree, Berg
includes extended passages from key documents that allow readers
to judge the context that produced particular views – even when the
quotations may contain material that goes against the grain of Berg’s
commentary.
In constructing what he calls the Konflikterinnerung that has
shaped West German mainstream academic history, Berg articulates
his goals clearly: “Wer Erinnerung von wem einfordert, mit welchen
Gründen dieser Appell versehen wird, was an Erinnerungen warum
bedeutungsvoll eingeschätzt und für gedachtniswürdig erachtet wird
und – nicht zuletzt – wessen ‘Vergangenheitsversion’ auf Kosten
welcher konkurrierenden aufgezeichnet wird“ (p. 13, emphasis by
the author). Berg traces the work of historians who insisted on their
commitment to objectivity and yet shared many assumptions of the
public culture within which they lived (p. 524). By now the allegation that mainstream West German historians ignored the Holocaust is hardly news. After all, Marxists also dismissed Nazi racism
as epiphenomenal, as did many West European and North American historians. Moreover, historians in other nations with criminal histories have not been quick to investigate the wages of slavery, territorial expansion, and „asymmetrical“ warfare. Against this
standard, the IfZ has done rather well. Besides publishing many
journal articles, the IfZ sponsored monographs like the Anatomie
des SS-Staates (published in relationship to the 1963 trials), Michael
Kater’s Das „Ahnenerbe“ der SS (1974), Hans-Heinrich Wilhelm and
Helmut Krausnick’s Die Truppen des Weltanschauungskrieges (1981)
and Lothar Gruchmann’s Justiz im Dritten Reich (1988).5 The central
issue for Berg is not a failure to investigate the National Socialist state
and society, but historians’ habit of falling into discursive structures
that muted the inhumanity of individual perpetrators and the suffering of victims. By concentrating on Herrschaftsstruktur, historians in
IfZ circles avoided the horror (p. 645). Insisting on their objective approach (pp. 326, 274) they developed a tendency that Berg calls the
Entkonkretisierung of atrocity (p. 58).
In short, the giants of post-1945 West German historical scholarship participated in a consensus that attended to „the Final Solution“
35
5 Buchheim, Hans, Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Olten 1965; Kater, Michael H., Das „Ahnenerbe“ der SS, 1935-1945. Ein
Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974; Krausnick, Helmut; Wilhelm, Hans-Heinrich, Die Truppen des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen
der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 22), Stuttgart 1981; Gruchmann, Lothar, Justiz im Dritten Reich 1933-1940.
Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner (Quellen und Darstellungen zur
Zeitgeschichte 28), München 1988.
36
Claudia Koonz
Revisionist or Denkmalstürzer?
but deflected attention away from its Schande – by thinking within
systemic explanatory frameworks. Although international comparisons lie beyond the scope of this book, it seems clear to me that this
approach resonated the social science paradigms that prevailed (and
attracted funding) in Western Europe and North America. Hannah
Arendt’s paradigmatic Eichmann established the trope of the „hollow man,“ the „shallow bureaucrat,“ the „cog“ caught up in a vast
social structure. Systemic explanations emphasized either the racially
obsessed elite around Hitler (intentionalists) or a machine-like bureaucracy gone awry (functional-structuralists). These totalitarian explanatory approaches but dissolved individuals’ agency.
Berg documents West German historians’ participation in the Zeitgeist of the postwar years in their resentment of the International
Military Tribunal and their repudiation of the images of inhuman
„monster“ perpetrators produced in early Allied propaganda. A key
document is Hermann Mau’s (unpublished) speech from the founding days of the IfZ that established the outlines of what became the
hegemonic view of historical agency and periodization. In the 1990s,
thanks to the availability of new archives and an abundance of fresh
empirical research, a series of stunning micro-histories have made it
clear that Judenhass had indeed played a role in mass murder operations on the Eastern Front. The mindless functionary epitomized
by Eichmann’s trial testimony (pp. 648-652) yielded to the picture
of committed, opportunistic true believers. Portraits of Werner Best
and SS bureaucrats revealed men who had internalized the longterm objectives of racial Flurbereinigung and displayed considerable
initiative in meeting and exceeding formal expectations. Berg reintroduces us to earlier outsider historians’ path-breaking historical
studies that anticipated these findings, even as he documents established historians’ efforts to keep them marginal. What made them
unerwünscht ? Joseph Wulf asked himself the same question. „Here
I stand in front of the 18 books I have written. What does it take to
make a dent?“ What was it about his work that historians did not
wish to see? Not only the victims’ perspective, Berg suggests, but the
totalitarian Täterbild (p. 345-362) that implicitly guided their vision.
In the Täterbild of Joseph Wulf, Leon Poliakov and other marginalized historians, not systems, but committed individuals engineered expropriation, deportation and mass murder. These two
scholars made a major effort to document the sources of the beliefs
that animated the killers. They anthologized documents concerning
the radio and press, theatre and film, racial expertise, bureaucrats, visual arts, music, and thinkers. The sources they anthologize do not fit
within either structuralists’ or intentionalists’ interpretative schemes.
But in these pages we discover ample evidence of a massive betrayal
intellectual integrity by the well-educated professionals who devoted
their skills to the service of a monstrous racial scheme. When I read
their anthologies, as well as Max Weinreich’s Hitler’s Professors, I
am astonished at these historians’ restraint, not at their anger.6 In
a typical passage, Poliakov and Wulf explained why they saw it as
their historical duty to expose intellectuals’ and functionaries’ complicity with genocide, even if after 1945 these men insisted that deep
in their hearts they had opposed Nazi rule all along. “’Den von
uns ausgewählten unfreiwilligen Denkern mögen mildernde Umstände zugebilligt werden, aber verdienen sie den Freispruch des
Schweigens?’“ (p. 351).
Until the 1990s, scholars of genocide virtually ignored the intellectual planners, the Vordenker of Nazi racial operations. Nazi ideology was commonly written off as crack-pot and amateurish – as if
those qualities by definition rendered it irrelevant. Although H.G.
Adler, Joseph Wulf, Hermann Langbein, Helmut Eschwege and others thought generally within the same systemic frameworks as mainstream historians, their works included searing portraits of perpetrators’ hypocrisy, cruelty, and opportunism. Langbein’s Menschen
in Auschwitz (1972), H.G. Adler’s Theresienstadt 1941-1945 (1955),
37
6 Weinreich, Max, Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany’s Crimes
Against the Jewish People, New York 1946.
38
Claudia Koonz
and Joseph Wulf’s Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau
(1958) and Lodz (1962) integrate sources that depict perpetrators and
victims. Since the appearance of Saul Friedländer’s Nazi Germany
and the Jews (1997), this breadth of vision has returned to historical
writing.7
Der Holocaust und die westdeutschen Historiker has restored the
works of underappreciated survivor historians to the historiographical heritage within which the wealth of recent studies of perpetrators
and victims belongs.
Claudia Koonz teaches history at Duke University in Durham, North
Carolina. Her research interests lie in 20th Century German History,
Women’s History, and genocide. Her most recent book „The Nazi
Conscience“ was published by Harvard University Press in 2003.
7 Langbein, Hermann, Menschen in Auschwitz, Wien 1972; Adler, H. G., Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Geschichte, Soziologie, Psychologie, Tübingen 1955; Wulf, Josef, Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau,
Bonn 1958; Friedländer, Saul, Nazi Germany and the Jews, New York 1997.
39
Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker
Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker
Comments
von Gerhard L. Weinberg
It is only appropriate to mention at the beginning of these comments
some personal factors of relevance. First, I am a Jewish émigré from
Germany who was the last student to take his doctorate under Professor Hans Rothfels at the University of Chicago. Second, numerous pieces by me appeared in the early issues of the Vierteljahrshefte
für Zeitgeschichte even though Berg claims that the Institut für Zeitgeschichte did not care to publish such works by people like myself.
Third, the Institute in 1961 published my edition of Hitlers Zweites
Buch, at the suggestion of Martin Broszat included a reprint of this
with a revised introduction and additional notes in 1995 in its series
Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen, and authorized the publication of an English language edition that appeared in 2003.1
While it is interesting to read an account of one aspect of West
German historical writing in the years since 1945, Berg is too fixated
on certain interpretations to examine either the context of the time or
substantial evidence that runs counter to his interpretation. On the
context of the time, two issues deserve mention: In the first place, the
general disregard of the Holocaust as a central element in the history
of National Socialism and of World War II was not a peculiarity of
Germany. It is surely significant, and worthy of an examination that
is not limited to one country that for the fifteen years after the end of
the war this was a topic that attracted very little attention in any coun1 Weinberg, Gerhard L., Die geheimen Abkommen zum Antikominternpakt, in: VfZ
2.2 (1954), S. 193-201; Ders., Deutsch-Japanische Verhandlungen über das Südseemandat 1937-1938, in: VfZ 4.4 (1956), 390-398; Ders., Schachts Besuch in den USA im
Jahre 1933, in: VfZ 11 (1963), 166-180; Ders., Adolf Hitler und der NS-Führungsoffizier
(NSFO), in: VfZ 12 (1964), 443-456; Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr
1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg. Mit einem Geleitwort
von Hans Rothfels (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 7), Stuttgart 1961;
Weinberg, Gerhard L. (Ed.), Hitler’s Second Book. The unpublished sequel to Mein
Kampf. Translated by Krista Smith. New York 2003. See also note 3.
41
try. Until a serious study of this issue is published, one should not
forget that Raul Hilberg had a very difficult time getting his seminal
book published. If as Berg complains it was not utilized by German
scholars in the 1950s, as he does on page 218, that may be related to
its having been published in 1961.
In this context, it should be noted that while Berg mentions that
Rothfels published the Gerstein report on the mass murder of Jews in
extermination centers, this item is not included in the lengthy listing
of Rothfels’ work in the bibliography. The other contribution by Rothfels on the subject of the Holocaust, a piece on the murder of Jews in
occupied Poland that appeared in the Vierteljahrshefte in 1959, is simply omitted altogether.2 Perhaps this interest of Rothfels in the subject
would undermine Berg’s thesis.
A second aspect of Rothfels’ interest at the time is reviewed at
great length, but one of its most important purposes is only mentioned incidentally. Having himself lived through the period when
the stab-in-the-back legend had undermined the Weimar Republic, he
was very much concerned about the possibility of a revival of such a
concept in the Federal Republic, this time focusing on the opponents
to Hitler’s regime as responsible for Germany’s defeat. A nationalist himself, he was very interested in showing that those who turned
against the dictator and his government were motivated by patriotic,
ethical, and religious concerns. This was very much an issue at the
time and has by no means entirely disappeared in the interim.
The danger created by the spreading of one particular myth was
very much a subject of Rothfels’ interest then and is certainly still the
subject of attempted myth-making today. This is the notion that the
German invasion of the Soviet Union – which opened the door to
the Holocaust and innumerable other crimes – was some sort of preventive move in anticipation of an imminent Soviet attack on Germany. Since he knew that the German decision to attack the Soviet
2 Rothfels, Hans, Zur „Umsiedlung“ der Juden im Generalgouvernment, in: VfZ 7
(1959), S. 333-336.
42
Gerhard L. Weinberg
Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker
Union had been included in my doctoral dissertation, he invited me
to write an article on the topic; it appeared with an introduction by
him in the first year of the Vierteljahrshefte. Hans-Günther Seraphim
and Andreas Hillgruber wrote a reply to which I responded. Rothfels
again wrote an introduction in which he referred to Seraphim’s prior
advocacy of the preventive war thesis; Hillgruber in his subsequent
publications completely reversed himself on the subject of the controversy.3 On a related issue, it would surely have been appropriate
for Berg to point out that the breakthrough on the treatment of Soviet
prisoners of war by Christian Streit that he mentions was published
by the Institute. (Berg, p. 354, n. 135).4
Closely related to the myth of a preventive war against the Soviet
Union was that of the supposed British responsibility for the whole
war, a piece of nonsense in the early 1960s identified with David Hoggan, an American whom Berg has transmuted into a British historian.5 The interest of the Institute and of Rothfels in countering such
distortions must also be seen in the context of genuine concern for
the future of democratic institutions. The review of Hoggan’s book
by Rothfels in the American Historical Review of July 1964 (Berg, p.
295, n. 95) is an invention of Berg’s; what Rothfels did write was
an explanation of the Nazi background of the organization that had
awarded Hoggan a prize.6
While there is much of interest in Berg’s account of the disap-
pearance of anti-Semitism and the Holocaust in the leftist gibberish
about fascism in the 1960s and 1970s, the discussion of the arguments
between intentionalists and structuralists leaves much to be desired.
The supposed allocation of Jewish historians to the former and German historians to the latter category simply does not work. Both Andreas Hillgruber and Eberhard Jäckel fail to conform to Berg’s analysis, as do numerous others. As one who as an intentionalist who is
Jewish might be said to fit, I simply find his description of the functionalist position not only inadequate but also unfair. Just as there
is the danger of overlooking the roles, motives, and responsibilities
of specific individuals in any extreme functionalist position, so there
is the risk of overlooking the factors of contingency and bureaucratic
inertia in the intentionalist position.
A final point that needs to be made because it appears to be missing from the book in spite of its excessive length and non-existent index is the critical problem of establishing a new legal and functioning
democratic order on the ruins of a system gone mad. This is a terribly
difficult task – as the people of the former Soviet satellites have been
finding out in recent years. Yes, the historians of the early years of
the Federal Republic found this excrutiatingly difficult, and their own
preconceptions at times led them astray, as best – or worst – shown
by the role of Rothfels in the disgraceful handling of the Riezler diary. (Berg, p. 147, n. l6). But, on the other hand, it would appear
proper to allow some substantial credit to historians affiliated with
and/or published by the Institute for a significant part in the reorientation of German society in a new direction after 1945. If one looks at
the broader picture with this problem in mind, there is surely some
credit to be allowed to men like Werner Präg and Wolfgang Jacobmeyer whose edition of the diary of Hans Frank published in 1975 as
well as Helmut Krausnick and Hans-Heinrich Wilhelm whose study
of the Einsatzgruppen published in 1981 were both issued by the Munich Institute.7 I have my own criticisms of the Institute, but a fair
3 Weinberg, Gerhard L., Der deutsche Entschluß zum Angriff auf die Sowjetunion,
in: VfZ 1.4 (1953), S. 301-318; Seraphim, Hans-Günther; Hillgruber, Andreas, Hitlers
Entschluß zum Angriff auf Rußland. Eine Entgegnung (mit einem Schlußwort von G.
Weinberg), in: VfZ 2.3 (1954), S. 240-254.
4 Streit, Christian, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945 (Studien zur Zeitgeschichte 13), Stuttgart 1978.
5 Hoggan, David L., Der erzwungene Krieg.
Die Ursachen und Urheber des
2. Weltkriegs (Veröffentlichungen des Instituts für Nachkriegsgeschichte), Tübingen
1961. An English version was published as recently as 1989 by the revisionist Institute
for Historical Review in California that plays as much with names of reputable research
institutions as Hoggan’s German publication did.
6 Rothfels, Hans, Letter to the Editor, American Historical Review 69 (1963/64), p.
1222.
43
7 Präg,
Werner; Jacobmeyer, Wolfgang (Hgg.), Das Diensttagebuch des deutschen
44
Gerhard L. Weinberg
appraisal ought to include an appreciation of its role in the development of a historical consciousness in the Federal Republic that is an
enormous improvement over that of the post-World War I era and
that is so recognized in much of the world. The belief that it was not
only legitimate but necessary for German historians to try to examine the recent past that history and its study and teaching should not
end with 1871 or 1890 or 1918 was of major significance in the way in
which Germans reoriented themselves after 1945. Not all participated
in this process, not all who did so were entirely successful, and some
were probably insincere; but a contribution to the world of historical
consciousness of which Berg is a part certainly owes something to the
efforts made by many of the very historians subjected to his harsh
judgment.
Gerhard L. Weinberg is William Rand Kenan Jr. Professor Emeritus of
History at the University of North Carolina, Chapel Hill.
Generalgouverneurs in Polen 1939-1945 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 20), Stuttgart 1975; Krausnick, Helmut; Wilhelm, Hans-Heinrich, Die Truppen des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des
SD 1938-1942, (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 22), Stuttgart 1981.
45
West German Zeitgeschichte and the Holocaust
West German Zeitgeschichte and the Holocaust
The Importance of an International Context
von Alan Steinweis
Nicolas Berg has written a stimulating, controversial, and important
book. It raises important questions that merit contemplation, discussion, debate, and further research. These questions concern the
lives, careers, and scholarship of the founders of West German Zeitgeschichte, the scholarly agenda and accomplishments of the Institut
für Zeitgeschichte, and the frustrations experienced by Jewish scholars such as Joseph Wulf. Underlying all of these specific issues are
more fundamental questions about the possibilities of scholarly objectivity, the reciprocal relationship between politics and scholarship,
and the impact of personal biography on historical writing. The book
has elicited strong reactions, both favorable and unfavorable, in Germany. Media outlets such as Die Zeit have pronounced it as essential
reading. On the other hand, in certain academic circles the book, as
well as its author, has been received with considerably less enthusiasm. I would hope that this initial polarized reception will eventually
give way to a more differentiated appreciation. Intellectual fairness
should dictate that Berg’s critics acknowledge the validity of certain
arguments, but also that his champions will acknowledge weaknesses
and flaws in the book.
The three core elements of Berg’s argument are, first, that West
German historiography long neglected intensive investigation of the
persecution of the Jews and the Final Solution; second, that this neglect was the result of the fact that the scholars who founded and
institutionalized Zeitgeschichte were either German nationalists, or
persons who had been compromised by their own involvement with
National Socialism; and, third, that when the Holocaust finally became a theme in West German scholarship, it was addressed in a
manner that downplayed the personal guilt and moral responsibility
of Germans and displayed insensitivity to the perspective of Jewish
survivors. The second and third elements of this argument ought to
47
be at the heart of the controversy over Berg’s book. That West German
scholarship long devoted little attention and energy to the Holocaust
can hardly be a matter of dispute.
The place of the Holocaust in West German Zeitgeschichte should
be examined on at least two levels: first, in the peculiar features of the
political and academic landscape of the Federal Republic in its early
phase, and, second, in broader, international developments in scholarship about and memory of the Nazi era and the Second World War.
Berg’s study addresses itself overwhelmingly to the West German
scene, providing relatively little in the way of international context.
This weakness does not necessarily negate Berg’s assertion that West
German historians were influenced by nationalism, personal involvement with National Socialism, and sympathy for a German rather
than Jewish perspective. But it does suggest the possibility that Berg
gives excessive weight to such factors while underestimating other
factors that were not peculiar to West German scholarship.
During the Cold War, historical and social scientific understanding of Nazism was often filtered through totalitarianism theory, on
the one hand, and the idea of a generic fascism, on the other. Both of
these ideological constructs were, at least in part, designed to underscore continuities between National Socialism and post-war regimes.
Such political motivations were further reinforced by the pronounced
trend in favor of a social-scientific, structuralist approach to historical
explanation. The racial antisemitism that was central to National Socialism did not fit well into the dominant schema, and was therefore
relegated to contingency status, when not omitted altogether.
It was, therefore, not only in West Germany that the Holocaust
was largely absent from the scholarly agenda. For decades after 1945,
the subject received only meager attention from scholars in the United
States. It is now well known that Raul Hilberg encountered immense
difficulties in finding a publisher for Destruction of the European
Jews.1 Hilberg and other early Holocaust researchers operated in rel1 Hilberg,
Raul, The Politics of Memory. The Journey of a Holocaust Historian,
48
Alan Steinweis
West German Zeitgeschichte and the Holocaust
ative academic obscurity well into the 1970s. Not only were Cold War
scholarly paradigms at work, but American Jewry for a long time remained reluctant to make too much of a fuss about the subject, as
Peter Novick has demonstrated.2
Even in the state of Israel relatively little serious scholarship on the
Holocaust appeared in the early decades.3 A small state preoccupied
with building a new society from the ground up while absorbing immigrants of diverse backgrounds could not devote vast resources to
historical scholarship. Moreover, as Tom Segev has argued (probably
to an exaggerated degree), the Zionist mentality focused interest primarily on heroic resistance fighters while otherwise treating Jewish
victims of the Holocaust with a certain disdain.4
When this international context is considered, it would be unfair
to single West German scholarship out for its decades-long neglect of
the Holocaust. On the other hand, every national scholarly community in which this neglect existed was influenced by a unique constellation of assumptions and forces, be they determined by Cold War
totalitarianism theory, Marxism-Leninism, Zionism, French national
shame, or Catholic-Polish nationalism. Berg’s critics must, therefore, ask themselves whether Berg has in fact helped to elucidate the
uniquely West German constellation of factors that resulted in scholarly neglect of the Holocaust in that particular country. The story
that he tells is all the more compelling because of the book’s implicit
assumption (as I see it) that, among all national scholarly communities, it was the West Germans who should have been motivated by
a unique moral and intellectual responsibility to conduct scholarship
on this subject. When the paucity of research on the persecution and
murder of the Jews is compared, for example, to the effort devoted to
documenting German resistance to Nazism, or to the experiences of
German expellees, it is hard to avoid the conclusion that a psychology
of German apologetics was at work.
According to Berg, when West German Zeitgeschichte finally undertook to address Holocaust scholarship seriously, its embrace of
structuralist paradigms amounted to an avoidance of personal and
collective responsibility for National Socialism and its crimes. The
accusation against Broszat is especially serious, as it can not be separated from Berg’s revelation that Broszat had been a member of the
Nazi party, an affiliation to which Broszat had never admitted during his lifetime (although Broszat had acknowledged having admired
Hitler as a youth). In light of this fact, Broszat’s position in the wellknown dialogue with Saul Friedlaender – in which Broszat defended
the objectivity of German Zeitgeschichte against the ostensible inherent subjectivity of Jewish scholarship on the Holocaust – might seem
all the more ridiculous. Nonetheless, one wonders whether empirical self-delusion, rather than personal motives, might have been behind Broszat’s actions. Broszat would be neither the first nor the last
scholar convinced of the persuasiveness of his method and the imperfections of others, and Berg perhaps fails to appreciate the degree to
which the structuralism exemplified by Broszat and Mommsen was
a dominant fashion in international scholarship. Functionalist interpretations of National Socialism and Holocaust were also embraced
by many scholars who had no personal or political reason for doing
so. Intellectual convictions need not always be interpreted as reflections of politics or biography. It is also worth noting that functionalist
interpretations of the Holocaust were not necessarily tantamount to
moral exculpations of German leaders or of the German people, as
some critics claimed they were.
Academic debates over Zeitgeschichte in Germany sometimes become polarized to the point that constructive discussion is rendered
extremely difficult. Nicolas Berg’s book has the potential to produce
precisely this effect, as it levels serious charges against the founding
fathers of German Zeitgeschichte and some of the venerable institu-
Chicago 1996.
2 Novick, Peter, The Holocaust in American Life, Boston 1999.
3 Michman, Dan, Holocaust Historiography. A Jewish Perspective, London 2003.
4 Segev, Tom, The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust, New York 1993.
49
50
Alan Steinweis
tions they established. My hope is that the kind of acrimony that has
characterized the recent debate over the role of historians during the
Nazi era can be avoided this time around. German historical scholarship will benefit from a civil dialogue between older and younger
scholars, between the custodians of Zeitgeschichte and specialists in
Jewish Studies, between insiders and outsiders.
Alan E. Steinweis is an associate professor of History and Judaic
Studies at the University of Nebraska-Lincoln. He is the author of
„Art, Ideology, and Economics in Nazi Germnay“, and the forthcoming „The Antisemitism of Reason: Nazi Scholarship on Jews and Judaism“.
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Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen
Heroismus
Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen
Heroismus
Zu Nicolas Bergs fulminanter Historisierung der Historisierer
von Hanno Loewy
Hinter Nicolas Bergs Buch steht eine legendäre Kontroverse. 1988
setzten sich Martin Broszat und Saul Friedländer über das Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft, Erinnerung und ihrem Gegenstand, dem beinahe gelungenen Versuch der Vernichtung der europäischen Juden durch eine nationalsozialistisch formierte deutsche
Gesellschaft, auseinander. Das „Zauberwort“ des Streits war „Historisierung“. Das Wort mag seitdem an polarisierender Aufladung
verloren haben. Doch worum es in dieser Debatte tatsächlich ging,
scheint erst heute und mit einem Blick erschließbar, der mit „Historisierung“ nicht positivistische Wissenschaftsgläubigkeit meint, sondern wissenschaftliche Kritik an der Historizität geschichtswissenschaftlicher Deutungen.
Berg stellt in seinem Buch das Vorhaben der „Historisierung“ auf
die Füße, nicht mehr und nicht weniger. Bergs Material ist dabei so
präzise gewählt wie ungewöhnlich. Statt sich vor allem mit den historiografischen Hauptwerken seiner Protagonisten auseinanderzusetzen, erschließt er insbesondere jene Metatexte und Quellen, in denen
sich Intentionen, Selbstbilder und Posituren westdeutscher Historiker offener, aber auch diskursiver Art ihren Ausdruck verschafften:
Korrespondenz und Reden, entlegene Entwürfe für nie geschriebene
Gesamtdarstellungen und Einleitungen, Forschungsprogramme und
innerinstitutionelle Vermerke, eben all das, was vielleicht noch nicht
zu Ende gedacht, vielleicht aber auch dem Lebensprozess der Wissenschaft noch mehr angehört, als manches andere schließlich Veröffentlichte. Insofern ist sein Buch auch alles andere als eine „voluminöse
Sammelrezension“, wie Christian Geulen in der Frankfurter Rundschau es nannte – immerhin einer der wenigen Rezensenten, der den
Versuch machte, sich auf Bergs Methodologie einzulassen.1
Wenn etwas Bergs Zweifel daran nährt, dass es sich bei Martin
Broszat tatsächlich um „eine der wenigen Lichtgestalten unter den
deutschen Zeithistorikern“ (Ullrich) handelt, dann sicherlich nicht
seine tabuisierte Parteimitgliedschaft. Vielmehr ist es eine kritische
Re-Lektüre des Funktionalismus im Kontext seiner tatsächlichen und
bislang nie ernsthaft diskutierten Entstehung in den späten 40erJahren – eine Entstehung, die eben gerade nicht (jedenfalls nicht nur)
aus der berechtigten Kritik des späteren Intentionalismus hervorging,
wie Ullrich schreibt, sondern aus jenem Geist der Sachlichkeit, der
auch einen Ernst Jünger unmittelbar nach 1945 mit Alfred Andersch
und dem Gründungsgeist der Gruppe 47 verband. Die daraus sprechende „Nüchternheit“ lohnt es sich wohl noch einmal genauer anzusehen, genauer auch, als es Berg in seinem Buch vermag, das sich
geistesgeschichtliche Exkurse zu Recht verbietet. Und sie freilich umso nachdrücklicher einklagt.
Nicht nur in Bergs Buch, sondern auch in dessen Kritik erweist
sich indes die Folge von geschichtswissenschaftlichen Perspektiven
und Diskursen nicht nur als Chronologie, sondern als Generationenfrage, und damit nicht nur als Geschichte von „Erkenntnisgewinnen“
und Brüchen, sondern als Geflecht von Loyalitäten und Konflikten,
Identifikationen und Versöhnungen, Tradierungen und Wiederkehr
von Verdrängtem sowie Erbschaften, die manchmal auch erst von Enkeln angetreten oder ausgeschlagen werden.
In der Re-Lektüre der „heiligen Nüchternheit“ eines sachlichen
Funktionalismus erweist sich dieser nicht so sehr als Rationalität, sondern als Rationalisierung einer Erfahrung, die nicht in der Erinnerung
von „Tätern“, sondern deren „Mitläufern“ geronnen ist, die ihrer eigenen inneren Beteiligung einen zugleich verstehenden und entlastenden Rahmen zu verschaffen geeignet sein mag.
Wer das Buch nicht (aus welchen Interessen auch immer) als moralische Skandalisierungsgeschichte missverstehen will, der kann es
1 „Zwischen
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Erinnerung und Erforschung“, in: Frankfurter Rundschau, 5.9.2003.
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Hanno Loewy
Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen
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immer noch sehr unterschiedlich lesen: als eine kritische Rekonstruktion der „Erfolgsgeschichte“ des Funktionalismus in der Deutung des
Holocaust – und seine Entzauberung. Als ernüchternde Betrachtung
über die fehlgeschlagene „Begegnung“ zwischen deutschen und jüdischen Historikern nach 1945, und die Illusionen, die man sich heute
noch über diesen Austausch macht. Ja, man mag es auch als Positionsbestimmung für den Versuch lesen, jenseits der überlebten Kontroversen das Terrain für die Annäherung an die Geschichte des Holocaust in Deutschland neu zu arrondieren. Immer aber geht es darum,
wie im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs unterschiedliche Erinnerungen artikuliert oder unterdrückt, befragt oder vorausgesetzt,
thematisiert oder instrumentalisiert werden. Wie also jene Spannung
wirksam wird, um die es zwischen Broszat und Friedländer doch im
Kern ging. Eine Spannung, die Friedländer, souverän (oder verzweifelnd?) um Rationalität (oder um so etwas wie Versöhnung?) bemüht,
bis zu Broszats frühem Tod nicht zum Bruch eskalieren ließ.
Welche Selbstdeutungen und Rollenzuweisungen in diesem Spannungsfeld ermöglichen es, wissenschaftliche Fragen an eigene Erfahrungen und Erinnerungen anzuschließen, bzw. Erfahrungen und Erinnerungen in den wissenschaftlichen Diskurs einzuschließen, auszuschließen oder an ihn zu assimilieren – in der ganzen abgründigen
Doppeldeutigkeit dieses Begriffs? Wie verhalten sich Vergangenheit
und Gegenwart zueinander? Wie verhält sich eine mögliche Historisierung des Holocaust zu einer Perspektive der „Sieger“, also einer
nur ex-post gegenüber einem vergangenen Leiden (kategorisch: einem Leiden anderer) abzugewinnenden Distanz, die die fortdauernde Gegenwart des Traumas notwendigerweise ausgrenzen muss? Ist
die Erinnerung der Opfer mit einer historiografischen Rekonstruktion der Ereignisse unvereinbar? Und ist die Historiografie der früheren Täter und Mitläufer, bzw. ihrer Nachkommen von perspektivischer Aufladung (Subjektivität) etwa leichter zu befreien? Ist die Perspektive der Täter der Zugang zur Erklärung der Tat, und damit die
„Mitläufererzählung“ so etwas wie ein notwendiger Schlüssel, eine
historiografisch privilegierende Erfahrung? Oder erschließt sich die
Tat erst aus einer kritischen „Dekonstruktion“ dieser Täterperspektive, ihren Mythen und Selbstbildern? Und aus welcher Perspektive
kann eine solche Dekonstruktion des Täterbilds erfolgen? Aus der
Perspektive der Opfer, oder gleichsam aus einem diskursiven Zwischenraum? Oder womöglich aus der Perspektive einer schon in einem Zwischenreich zwischen Tätern und Opfer gemachten Erfahrung (wie Dan Diner es seinerzeit am Beispiel der Judenräte vorgeschlagen hatte)? Was sind die Folgen eines geschichtswissenschaftlichen Selbstbildes, das sich einer Selbstthematisierung im Zeichen
reflektierter Erinnerung entschlägt?
Berg nähert sich den durch Broszat und Friedländer seinerzeit aufgeworfenen Fragen in vier konzentrischen Kreisen, deren jeweiliger
Gegenstand einerseits durch die reale Chronologie der wissenschaftlichen Diskurse vorgegeben, andererseits von ihm im Blick auf ihre
Vor- und Nachgeschichte neu kontextuiert und historisch verankert
wird.
Der Höhepunkt von Wulfs Kontroverse mit dem Institut für Zeitgeschichte und insbesondere mit Martin Broszat und Helmut Krausnick nimmt dabei keineswegs nur darum einen breiten Raum in Bergs
Darstellung ein, um dem Historiker Joseph Wulf, der sich schließlich
1974 in Berlin aus dem Fenster seiner Wohnung in den Tod stürzte, späte Gerechtigkeit und „Anerkennung“ widerfahren zu lassen,
sondern weil in ihr der Preis evident wird, den die funktionalistische Identifikation mit dem tragisch-sachlichen Selbstbild der Täter
am Ende fordert: den Verlust einer kommunikativen Perspektive auf
die widersprüchlichen, ideologischen und pragmatischen Dimensionen der Tat, jenseits der selbstgerechten Positur der Täter und den
retrospektiven Identitätsbedürfnissen nationaler Kollektive. „In seiner [Broszats] Auseinandersetzung mit jüdischen Historikern standen sich eben nicht subjektive jüdische Erinnerung und objektive
deutsche Zeitgeschichtsforschung gegenüber, sondern hier stießen
zwei in die Wissenschaft verlängerte Gedächtnisse aufeinander.” (S.
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Hanno Loewy
Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen
Heroismus
615)
Bergs Konzentration auf den Gedächtnisbegriff erweist sich in seiner Polarisierung zwischen jüdischem und deutschem zuweilen als
zu eng geführt, ja ihm selbst verdächtig. Mit Autoren wie Martin Broszat, Hans Buchheim oder Hans Mommsen führt er in seine Darstellung schließlich die dritte, durchaus distinkte Generation mit eigenen verbindenden (vielleicht manchmal aber auch trennenden) Erfahrungen ein. Und er demonstriert das Problem künstlich homogenisierter Gedächtnisse gleichsam selbstbewusst nicht nur spezifisch in
seiner differenzierten Analyse der Arendt-Rezeption, sondern durchweg, wenn er in den beiden abschließenden Kapiteln zunächst die
beiden Großdeutungen der 60er-Jahre, im Zeichen von Totalitarismustheorie und Faschismustheorie, in ihren jeweiligen programmatischen Defiziten vorführt. Der Kontext der Politisierung der 60erJahre und die jeweiligen politischen Funktionen der beiden Erklärungsmodelle bleiben dabei eher im Hintergrund, auch wenn deutlich wird, wie sehr Karl Dietrich Brachers Ausformulierung des Totalitarismusbegriffs einem Versuch der Westintegration verbunden
bleibt, und im Gegenteil dazu, sich das Hantieren mit Faschismustheorie der kategorischen, aber durch die Teilung Europas und die
Erbschaft des Stalinismus korrumpierten Alternative eines sozialistischen Weges verpflichtet bleibt. Berg zeigt, wie freilich in beiden
Deutungsparadigmen die Vernichtung der europäischen Juden systematisch keinen Ort finden kann. Wulfs Selbstmord stand, wie Berg
aufweist, neben dessen ganz privaten Dimensionen mindestens ebenso im Zeichen seiner immer spürbareren Heimatlosigkeit auch innerhalb der kritischen (linken) Öffentlichkeit in Deutschland und dem
Scheitern seines Projekts, in der so genannten Wannseevilla in Berlin ein Dokumentations- und Forschungszentrum zum Holocaust zu
etablieren, wie auch in der Folge seiner Ausgrenzung aus dem etablierten, vom Institut für Zeitgeschichte dominierten geschichtswissenschaftlichen Diskurs.
Berg stellt die Diskurse um Totalitarismus und Faschismus, sys-
tematisch nicht ganz stimmig, für den Gang seiner Argumentation
aber dennoch fruchtbar, jenen selbstquälerischen, vielfach gebrochenen, vor allem aber instrumentalisierend missverstandenen Versuchen Hannah Arendts gegenüber, das radikal neue historische Ereignis des gesellschaftlich und arbeitsteilig begangenen Massenmords in
Beziehung zur Tradition des Antisemitismus zu setzen, Kontinuitäten
und Brüche dieser Beziehung zu erkunden. Wenn uns mit Berg auffällt, wie sehr doch Arendts Positionen in den 50er-Jahren und der im
Eichmann-Buch formulierte Strukturalismus sich aneinander reiben,
so hätte es gut getan, an dieser Stelle die Widersprüche innerhalb der
polarisierten kommunikativen Gedächtnisse auf deutscher oder jüdischer Seite noch deutlicher werden zu lassen. Es war, wie Berg zurecht andeutet, schließlich Arendts eigene kritische, ja dissidente Position gegenüber jüdischen Versuchen, den Holocaust zu einem Gründungsereignis und Stiftungsmythos eigener Staatlichkeit zu interpretieren, die ihre Eichmann-Interpretation mit einem Begehren auflud,
in dieser Figur einen Schlüssel zur Universalisierung zu erkennen.
Keineswegs ging es ihr in diesem Buch freilich um universalistische,
zivilisations- bzw. modernitätskritische Sinnstiftung, wohl aber um
universalisierende Kritik an den Versuchen, Auschwitz zur Begründung einer kollektiven Identität partikularistisch zu okkupieren, wie
sie es im Kontext des Eichmann-Prozesses schmerzlich empfand.
Eher en passant erwähnt Berg Arendts wenige Jahre später aufgebrochene Kontroverse mit Hans Magnus Enzensberger, dessen vermeintlicher Anschluss an ihr Buch in einer Gleichsetzung von Auschwitz mit „moderner Politik“ und den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki gipfelte. Arendt muss spätestens hier erkannt haben, wie sehr
ihr Buch missverstanden werden konnte und bis heute wird. Gekennzeichnet von solcher Vereinnahmung (zum Beispiel von Seiten Hans
Mommsens) erscheint schließlich auch der vermeintliche Siegeszug
des Funktionalismus, der gegenüber intentionalistischen Deutungen
(nicht zuletzt auch unter Bezugnahme auf Arendt, die sich dagegen
nicht mehr wehren kann) sich als die komplexere (also „wissenschaft-
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Hanno Loewy
lichere“) Interpretation Geltung verschaffen konnte.
So bleibt Bergs Interpretation des FunktionalismusIntentionalismus-Streits und seines Höhepunkts in den 80er-Jahren
letztlich nicht ganz konsistent. Denkt man seine eigene Rekonstruktion dieser Forschungsauseinandersetzung konsequent zu
Ende, und insbesondere seine Entdeckung ihrer Frühgeschichte um
1950, so erweist sich die Polarisierung selbst in ihren Extremen als
ausgesprochen deutsches Paradigma. Wenn Berg hingegen diese
Polarisierung im Gang seiner Argumentation schließlich auch als
Gegensatz zwischen jüdischem und deutschem Gedächtnis interpretiert, werden unterschiedliche Ebenen des Konflikts, vor allem aber
unterschiedliche Bedeutungen verwandter Ideen und ähnlich klingender Signalbegriffe in verschiedenen Kontexten ununterscheidbar,
während die Konflikte, vor allem aber die Differenz der Erfahrungen
innerhalb der jeweiligen vorausgesetzten „Kollektive“, verwischt
werden. Was so unterschiedliche Autoren wie Wulf und Hilberg,
Arendt und Reitlinger, Adler und Friedländer vor dem Hintergrund
ihrer konträren Erfahrungen in der Emigration, im Versteck oder
im Lager (erst recht aber auch Autoren wie Eugen Kogon und
Hermann Langbein, die als Nichtjuden Zeugen der Vernichtung in
den Lagern wurden), wie auch ihrer unterschiedlichen Beziehung
zur deutsch-jüdischen Tradition trotz aller Kontroversen gemeinsam
blieb, war zunächst einmal, dass es so etwas wie eine Tat und viele
Täter überhaupt gab, dass sie von der Verantwortlichkeit von Tätern
für ihr Handeln und von der Komplementarität von Ideologien
und pragmatischen Interessen im Grundsatz ausgingen. Auf beiden
Seiten der deutschen Intentionalismus-Funktionalismus-Kontroverse
verflüchtigte sich das Gros der Täter hingegen in einen Kreis Verführter, Getriebener, Verstrickter oder ihren eigenen Sachzwängen
Ausgelieferter, und die Tat löste sich entweder in der Dämonie eines
wahnsinnigen Führers auf, oder in der Struktur einer „kumulativen
Radikalisierung“, deren Ergebnis nur retrospektiv, das heißt jenseits der Verantwortung der Beteiligten auszumachen war. Von Hans
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Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen
Heroismus
Buchheim bis Hans Mommsen bleibt das Ergebnis ihrer „komplexen“
Sicht auf die Geschichte ein tragischer Epos, eine Geschichte von
„tragischer Verstrickung“2 und schicksalhafter „Selbstläufigkeit“, die
„sich allen Beteiligten von selbst auf[drängte]”.3
Wenn man nun zugleich über den Binnenzusammenhang wissenschaftlicher Diskurse hinausblickt, dann erweist sich die von
Berg konstatierte Erfolgsgeschichte des Funktionalismus als durchaus weniger eindeutig. Der Hitlerismus eines extremen deutschen
„Intentionalismus“ erwies sich im gedenkpolitischen und massenmedialen öffentlichen Raum durchaus als nachhaltig und wirksam,
ja durchaus dominant. Man denke nur an die Geschichte des Berliner Holocaust-Denkmals neben den mittlerweile wieder unsichtbaren Ruinen des Führerbunkers, oder an die populäre Resonanz eines ZDF-Geschichtsfernsehens, das von „Hitlers Frauen“ bis zu „Hitler’s Holocaust“ (so der englische Titel der in Deutschland unter dem
Namen „Holokaust“ ausgestrahlten Serie) die Geschichte des Nationalsozialimus zu „Hitlers Welt“ zurichtet. Zu zeigen wäre freilich
auch, dass der Erfolg des Strukturalismus als „wissenschaftliche“
und des Hitlerismus/Intentionalismus als „populistische“ Strategie
keineswegs gegenläufig sind, sondern sich in ihrer Wirkung gegenseitig bedingen und bestärken. Einfacher ausgedrückt: Während der
Hitlerismus sich im Endeffekt als Entlastungsstrategie für die Massen
erweist, enthält der Funktionalismus zumindest einmal einen bunten
Strauß von theoretisch begründeten Entlastungsangeboten für diejenigen, die sich für etwas Besseres halten. Im Grunde aber läuft beides
auf dasselbe hinaus.
2 So z.B. in Buchheim, Hans, Das Dritte Reich. Grundlagen und politische Entwicklung, München 1958, S. 43.
3 So Hans Mommsen zuletzt in: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen
‚Endlösung der Judenfrage’, München 2002, S. 168f. Vgl. die ausführliche Rezension
zu diesem Buch von Christian Gerlach in: Quinkert, Babette; Dieckmann, Christoph;
Tönsmeyer, Tatjana (Hgg.), Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kollaboration“
im östlichen Europa 1939-1945 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 19),
Göttingen 2003, S. 274ff. Gerlach weist Mommsen hier nicht nur ideologische Kurzschlüsse und Sprachkonstruktionen, sondern auch groteske sachliche Fehlleistungen
nach.
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Hanno Loewy
Bergs frappierende Schilderung der widersprüchlichen Dynamik
der legendären Stuttgarter Konferenz über „Entschlussbildung zum
Völkermord“ von 1984 lässt den Schluss zu, dass jener Schulenstreit
nicht nur eine erkenntnistheoretische Sackgasse formierte, sondern
innerhalb einer weltweit sich entwickelnden Holocaustforschung so
etwas wie eine deutsche Hegemonie nicht nur einforderte, sondern in
mancher Hinsicht vielleicht auch durchsetzte.
Dies steht nur scheinbar in einem Widerspruch zur verblüffend
gegenläufigen Wirkung, die das funktionalistische Paradigma außerhalb Deutschlands als kritisches Potential entfaltet hat, um den Blick
auf Strukturen, Mechanismen und Funktionen zu öffnen, die jenseits
des Ereignisrahmens des Nationalsozialismus als bedrohlich empfunden werden. Hannah Arendt und Raul Hilberg, so gegensätzlich
sie sich einander auch erschienen sind, haben den Funktionalismus
durchaus fruchtbar rezipiert und gegen jüdische Mythenbildungen
und nationale Identitätskonstruktionen ins Feld geführt. Dass ihnen
solche Kritik dabei zur Produktion gleichsam von Gegenmythen geriet, sei es der „Banalität des Bösen“ oder auch der Leugnung jüdischen Widerstandes, sollte auch hier Anlass zur kritischen Betrachtung der Karrieren politischer und wissenschaftlicher Ideen, zur Reflexion über die in ihrem Gepäck verborgenen Probleme sein, und
nicht zur identifikatorischen Traditionsbildung. Deutlich aber wird
hier, wie unterschiedlich sich scheinbar identische Begriffe von Struktur und Funktion mit Bedeutung aufladen, je nachdem, ob aus einer
Perspektive der Opfer der radikale Verlust von Subjekthaftigkeit und
Identität, geschichtlichem Sinn und moralischer Eindeutigkeit thematisiert wird (wie es in unterschiedlichster Form nicht nur jüdische
Wissenschaftler wie Arendt, Hilberg oder Adler versuchten, sondern
auch Autoren wie Imre Kertész, Primo Levi oder Jean Améry) – oder
ob aus einer „Mitläuferperspektive“ (um nicht von Tätern zu sprechen, sondern von denen, die sich mit ihnen wie auch immer als
Mitläufer oder Nachkommen identifizieren wollen) jede Verantwortung jenseits tragischer Selbstbilder von „Verstrickung“ und „Schick-
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Heroismus
sal“ zum Verschwinden gebracht werden. Niemand anderes als Imre Kertész hat diesen Zwiespalt offener artikuliert, als in seinem Galeerentagebuch, in dem er in verschiedenen Einträgen zwischen 1963
und 1968, sein eigenes Projekt eines Porträts des „funktionalen Menschen“4 in der „STRUKTUR“5 der Lager als Absage an den „Helden
der Tragödie“ formuliert. Und zugleich darauf hinweist, das die Rede
vom „Schicksal“ nichts anderes war, als Hitlers Versuch, „Dinge als
‚unumgängliches Schicksal’ erscheinen zu lassen, die durchaus nicht
unumgänglich waren, die auch ganz anders hätten geschehen können, oder sogar überhaupt nicht hätten geschehen müssen“.6
Der Verführung, am Ende von soviel Kritik doch noch ein paar
Spuren positiven Ausblicks zu formulieren, erliegt leider auch Bergs
Rekonstruktion der Geschichte der Anziehung und Abstoßung, die
das Verhältnis westdeutscher Historiker zum Holocaust geschrieben
hat. Sein Versuch zu zeigen, wie es der schließlich vierten von ihm ins
Spiel gebrachten Generation von Historikern gelingt, die Polarisierung der vergangenen Diskurse zu unterlaufen, zwingt so gegensätzliche Perspektiven wie die Ulrich Herberts, Michael Zimmermanns
oder Götz Alys zusammen. Dabei verliert Berg seine eigene methodische Perspektive auf die Historiografie ein wenig aus dem Blick. Eine
Perspektive, die diese nach 1945 geborene Generation in ihrem ganz
eigenen Generationenkonflikt positionieren und ihre wissenschaftlichen Texte einer ähnlich kritischen Rekonstruktion ihrer Blindstellen
und Schlagseiten öffnen müsste. (Götz Alys zivilisationskritisches Paradigma beispielsweise würde sich einem solchen Blick womöglich
nicht als radikal Neues, sondern als Wiederkehr von allzu Bekanntem erweisen.)
So ist manches an diesem an überraschenden Einsichten so reichen Buch methodisch noch nicht bis ans Ende realisiert. Der Gene4 Kertész,
Imre, Galeerentagebuch. Reinbek 1997, S. 8.
S. 26.
6 Ebd., S. 23. Vgl. dazu den Aufsatz von Meyer, Thomas, Die Logik der STRUKTUR.
Imre Kertész’ „Roman eines Schicksallosen“ und Theodor W. Adornos SchönbergInterpretation, in: Peter Weiss Jahrbuch 12 (2003), S. 145-163.
5 Ebd.,
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Hanno Loewy
rationenbegriff, von Berg selbst ein-, aber kaum durchgeführt, wäre,
systematischer ins Spiel gebracht, noch für manche Einsicht gut, ohne
dass man gleich mit den üblichen soziologischen Monstren wie „Alterskohorten“ operieren müsste. (In diesem Zusammenhang vermisst
man besonders einen biografischen Anhang der über das beeindruckend ausgebreitete Spektrum von Beteiligten und die Struktur ihrer
Konflikte einen klareren Überblick verschaffen könnte.)
Christian Geulens Hinweis darauf, dass zwischen den von Berg
dynamisch gegen- und ineinander gesetzten Paradigmen der Erforschung und Erinnerung auch die Dimension der die Diskurse jeweils
prägenden zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen (und Interessen) zu ihrem Recht kommen sollten, weist in eine ähnliche Richtung. Freilich auch darauf, dass Bergs Buch in vieler
Hinsicht Neuland betreten hat, und dass von einer kritischen Selbstreflexion der Geschichtswissenschaften in Deutschland noch überhaupt keine Rede sein kann.
Bergs Studie ist demnach nicht nur eine mutige Pionierleistung,
sondern bleibt hochgradig voraussetzungsvoll, nicht nur weil er darauf verzichtet hat, die Broszat-Friedländer-Kontroverse am Ende seines Buches noch einmal im Lichte der nun gewonnenen Erkenntnisse
zu rekonstruieren und neu zu lesen. Dies, wie manches andere, worauf er verweist, überlässt er souverän, vielleicht zu souverän, seinen
Leserinnen und Lesern, ohne selbst explizit Synthesen herzustellen.
Zuweilen hätte ein entschiedeneres Lektorat hier im Reichtum der
überraschenden und weitgehend neu erschlossenen, hin und wieder
aber in extenso zitierten wissenschaftsgeschichtlichen Quellen durchaus Raum schaffen können, um die Schneisen, die Berg durch sein
Material legt, noch weiter verfolgen zu können.
Manches besonders starke Detail der Arbeit hat sich so zuweilen
in den Fußnoten versteckt. So auch der Zusammenhang zwischen
Helmut Schelskys Biografie und der Genese seines Paradigmas von
der „skeptischen Generation“, indem die enge Verbindung von tragischem Selbstbild, Heroismus und Sachlichkeit vor und nach 1945
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einem geradezu ins Auge springt. So bleibt Nicolas Berg am Ende
bei der differenzierten Beschreibung beider Selbstbilder stehen, des
„tragischen“ und des „sachlichen“, und überlässt es dem Leser zu erkennen, wie sehr diese beiden scheinbar so gegensätzlichen Paradigmen einander nicht nur bedingen, sondern im Grunde zur gemeinsamen Grundausstattung eines deutschen Grundkonsenses über die
eigene Rolle im Nationalsozialismus wurden. Nicht nur am Beispiel
Schelskys wäre es möglich, dieses Selbstbild von der „Bewältigung“
der Vergangenheit, durchaus in den Nationalsozialismus zurück zu
verlängern.
(Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung der gleichnamigen Rezension im Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte, Göttingen
2004.)
Hanno Loewy, Literatur- und Filmwissenschaftler, 1995-2000 Gründungsdirektor des Fritz Bauer Instituts, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems in Österreich und Lehrbeauftragter für Medienwissenschaften an der Universität Konstanz.
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Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
Zur Debatte um die Täternähe der „kritischen Zeitgeschichte“
von Habbo Knoch
Auch wenn das Buch von Nicolas Berg nun zum Anlass eines seltenen eigenen H-Soz-u-Kult-Forums wird, bewegt sich die Debatte
doch vor allem im engeren fachwissenschaftlichen Diskurs. Gleichwohl ziehen Bergs Vorwürfe die Protagonisten der „kritischen Zeitgeschichte“ in einen Sog, in dem das „Goldhagen-Phänomen“ noch
nachwirkt: die mediale Verstärkung des tief in das Gemüt der deutschen Gesellschaft reichenden Vorwurfs einer kollektiven Täterdisposition. Gewiss geht es auch bei den Zeithistorikern um mehr als
um eine innerfachliche Generationsdebatte. Aber der Stigmatisierung
durch eine vermeintliche „Täternähe“ sollte die wissenschaftshistorisch relevantere und erinnerungskulturell zentralere Frage nach der
Entwicklung der öffentlichen Aufgabe der Zeitgeschichte in Deutschland sowie nach ihren Absichten, Möglichkeiten und Versäumnissen
nicht vorschnell untergeordnet werden. Im Folgenden wird deshalb
zunächst die Genese der Zeitgeschichte aus dieser Perspektive heraus
skizziert (I.), vor deren Hintergrund dann die Dynamiken der Debatte
um den Vorwurf der „Täternähe“ (II.) betrachtet und Thesen zur zukünftigen Positionierung der NS-Zeitgeschichte (III.) entwickelt werden.
I. Die Genese der Zeitgeschichte
Erst seit den 80er-Jahren ist der Holocaust als eigenständiger Deutungsrahmen dominant gegenüber jenem ursprünglichen Bezugsfeld
der deutschen Zeitgeschichte geworden, aus dem der Stil der Sachlichkeit der „kritischen Zeitgeschichte“ erwuchs: dem Versuch, die
NS-Zeit als Ganzes in den Blick zu nehmen. Die Perspektiven, Themensetzungen und Ausblendungen der „Generation Broszat“ jedoch,
wie Berg es praktiziert, an einem erinnerungsmoralischen Maßstab
zu messen, der sich selbst erst in einem mühseligen transnationalen
Erinnern als demokratische „civil religion“ Bahn gebrochen hat, wird
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dem Deutungsraum seiner historischen Akteure nicht gerecht. Bergs
zu Recht gestellte Frage, warum der Holocaust im engeren Sinne von
so geringer Bedeutung auch in den NS-Studien der kritischen Zeithistoriker war – und nur dies ist eigentlich kontrovers an seinem Buch
–, lässt sich allein aus der besonderen Positionierung der deutschen
Zeitgeschichte im multiplen Spannungsfeld von politischer Camouflage, medialer Vergangenheitsmythisierung und wissenschaftlicher
Abstandnahme zur „Zeitgeschichte“ beantworten. Statt sich zuwenig
mit „Erinnerung“ befasst zu haben, wie Berg es ihr vorwirft, war die
zweite Generation der Zeithistoriker womöglich gerade zu sehr auf
eine Kontrolle und Steuerung der Vergangenheitsverwandlungen der
deutschen Gesellschaft bedacht und dadurch an sie gebunden.
Als Hans Rothfels 1953 Zeitgeschichte programmatisch „als Aufgabe“ definierte, schrieb er den Historikern nicht nur eine auch zuvor
durchaus wahrgenommene öffentliche Rolle zu. Er sah als ihre „Aufgabe“ vielmehr an, wissenschaftliches Korrektiv der zeitgenössischen
Meinungsbildung über die NS-Zeit zu sein. Allein ihr aus historischer
Perspektive gewonnener Interpretationsrahmen und eine um Kenntnisse der „Mitlebenden“ zu erweiternde Quellenanalyse galten ihm
als Garanten für in seinen Augen unverfälschte Erkenntnisse. Beides diente auch dazu, Zeitgeschichte überhaupt als Wissenschaft gegenüber anderen Epochen und Stilen der Geschichte zu legitimieren.
Dem Zeithistoriker räumte Rothfels damit einen Anteil an der Wiederherstellung der Bürgerlichkeit über intellektuelle Trägergruppen
ein, die ihre Zunftregeln als Reaktion auf das Versagen des Bürgertums angesichts der „kollektivistischen“ Herausforderungen kräftigen sollten. So galt der Historiker-Ordinarius nicht allein als Experte,
sondern als Bürge einer deutschen Rezivilisierung und (nationalkonservativen) Demokratisierung.
Damit war der Zeitgeschichte eine Scharnierfunktion zwischen
Geschichtswissenschaft, Politik und Öffentlichkeit zugewiesen. Sie
forderte von Beginn an zum Überschreiten und Auflösen, aber auch
zum Bestätigen und Verankern der systemspezifischen Codes von
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Habbo Knoch
Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
Wissenschaft und politischer Meinungsbildung heraus. In ihrer ersten Phase zielte die Zeitgeschichte jedoch kaum darauf ab, die öffentliche Meinung direkt zu gestalten. Vornehmliche Adressaten waren neben bürgerlichen Intellektuellen juristische und politische „Entscheider“. Dies entsprach der habituellen Nähe der ersten Zeithistoriker, die von ihrer Ausbildung her keine waren, zum Nationsund Staatsdenken der deutschen historiografischen Tradition. In ihrer politikhistorischen Ausrichtung sah sich die Zeitgeschichte als
Reflexionsinstanz für die nahzeitliche Tiefendimension der bundesdeutschen Rückgewinnung staatlicher Souveränität. Aus der Aktennähe resultierte ein Selbstverständnis zwischen Geheimdiplomatie
und Skandalisierungspotential. Gegenüber einer auf Sensationelles
aus dem Leben von NS-Prominenten wartenden Öffentlichkeit, die
in der Absetzung von den „Bonzen“ ihre private Vergangenheitsbewältigung betrieb, wurde ein durch Ausbildung und Staatsnähe der
Zeitgeschichte angelegter methodischer Konservatismus des „Informationsmanagements“ verankert. Solange an Identität und Stabilität
dieses Staatswesens noch Zweifel bestanden, blieb die Zeitgeschichte
dem eng verhaftet – auch in jenen thematischen Modifikationen und
Schwerpunktsetzungen, mit denen sich die „kritische Zeitgeschichte“
der politischen Binnenstruktur des NS-Systems zuwandte.
Mit der Zeit wurde das Bewusstsein, als Nationalhistoriker Wächter und Korrektiv für die historische Sinnstiftung einer bürgerlichen
Elite zu sein, von einer Ausdifferenzierung und breiten Verflechtung
von Zeithistorikern in die Schnittstellen der verschiedenen Deutungssysteme überformt. Ein wesentlicher Anschub dazu waren die wiederkehrenden Täterdebatten ab Mitte der 50er-Jahre. Die mit ihnen
verbundenen Entlarvungen von Tätern und Mittätern waren mit einer Politisierung der zeithistorischen Information verbunden. In ihrer
juristischen Sensibilität waren diesbezügliche Aussagen oder gar Belege zunehmend in eine außerwissenschaftliche Informationssteuerung verflochten: Ausstellungsmacher fanden oder nutzten Belege,
um Täter zu individualisieren, in den Medien kam es, teilweise auch
nach eigenen Recherchen, zu Skandalisierungen, Strafverfolgungsbehörden schritten gegen Veröffentlichungen ein. Der selbsterklärte Expertenstatus der (Zeit-)Historikerzunft stand zur Disposition, zumal
mit der konkurrierenden zeithistorischen Beschäftigung in Politikwissenschaft, Pädagogik und Psychologie auch auf Aufklärungsinteressen und frühe mediale Thematisierungslogiken reagiert wurde,
in die sich der „lange Blick“ des Historikers nur bedingt fügte. So
war die nachgeholte Vergangenheitspolitik der Jahre zwischen 1955
und 1965 auch Inkubationsphase für einen „public turn“ von solchen
Zeithistorikern wie Martin Broszat oder Hans Mommsen. Gerade diese trugen dazu bei, das traditionelle Wächteramt des Historikers von
einem auf Identitätsstiftung und Sinngebung angelegten Konsensmodell zu einer kritischen öffentlichen Distanzierung von einem Wissenschaft gewordenen Alltagsbild des Nationalsozialismus umzuformen.
Denn nach der ersten Generation vor allem nationaler Sinnsuche
prägte die Zeitgeschichte seit den 60er-Jahren eine Streit- und Deutungskultur, für die Polarisierungsdynamiken kennzeichnend waren.
In ihnen wurden Interpretationen „mittlerer Reichweite“ wie in der
Intentionalismus-Funktionalismus-Kontroverse gegeneinander paradigmatisch akzentuiert. Trotz ihrer Rezeption in der bürgerlichen Öffentlichkeit blieben es im Kern fachinterne Auseinandersetzungen,
die nach Mustern der wissenschaftlichen Schulbildung Inklusionen
und Exklusionen erzeugten sowie Historikergenerationen voneinander abgrenzten. Diese Kontroversen waren auf das NS-System im
Ganzen bezogen, können ohne den medialen „Hitlerismus“ der Zeit
nicht verstanden werden und atmeten nicht unbeträchtlich den Geist
der 60er und 70er-Jahre: das Vertrauen auf umfassend erklärende
„Metanarrative“, die (partielle) Erweiterung politikhistorischer Ansätze um die Kategorie „Gesellschaft“ als Makrocontainer für alles
Soziale und die politische Erweiterung der Historikerzunft, in der
sich ein wissenschaftlicher Stellvertreterkonflikt um die Reformbedürftigkeit der Bundesrepublik niederschlug. Aber sie blieb dem na-
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Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
tionalen und politischen Rahmen des öffentlichen und politischen
Deutungsbedarfs eng verhaftet: Als erklärungsnotwendig galt immer noch der Nationalsozialismus als gesamtes System – und damit wurde, verstärkt durch Studentenbewegung, Terrorismus und
Rechtsstaatsfrage der 70er-Jahre, die spannungsreiche Pluralisierung
der Bundesrepublik indirekt mitverhandelt.
Die erst danach einsetzende gesellschaftliche Etablierung des Holocaust als zentralem Bezugsfeld der Erinnerung ging der entsprechenden historischen Forschung in Deutschland nicht nur begrifflich
(„Zivilisationsbruch“) um Jahre vorher. Erst die in den 80er-Jahren
sich ausbreitende Selbstversicherung, nach den Krisen von „1968“
und „RAF“ über eine krisenresistente und streitfähige demokratische
Kultur zu verfügen, und die gleichzeitige Betonung der Zentralität
des Holocaust gegen den konservativen Versuch einer nationaldeutschen Identitätsstiftung ließen die Ermordung der Juden als „Zivilisationsbruch“ aus dem Deutungsgeflecht des NS-Systems heraustreten. Zeitgeschichte als Wissenschaft wurde zunehmend mit der öffentlichen Thematisierung verkoppelt und durch sie gesteuert. Hier
bahnte sich jene Umkehrung an, die heute den Generationskonflikt
ausmacht – jener Paradigmenwechsel, den Holocaust nicht als Fall
zu verstehen, der Aufschluss über die Funktionsweise des Nationalsozialismus geben kann und nur aus den Strukturen des gesamten
NS-Systems zu erklären ist (wie exemplarisch bei Hans Mommsen),
sondern ihn (oder die NS-Verbrechen insgesamt) als genuines Feld zu
betrachten, das aus sich selbst eine Fülle eigener Fragen produziert,
die nur in Teilen oder bedingt eine Rückkopplung an das NS-System
verlangen.
disziplinären, massenmedialen und politischen Informationsformen
über den Mord an den Juden. Der Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung ist im Wesentlichen ein Produkt der Erinnerungskultur selbst – nicht umgekehrt. Gleichzeitig tragen besondere „deutsche“ Formen der Forschung und Erinnerung zu den NS-Verbrechen
den Blick immer über den „Holocaust“ hinaus: Zahlreiche Studien
zu Konzentrationslagern und anderen Verfolgtengruppen sowie verschiedene Ansätze, den Mord an den Juden in breitere Kontexte der
Besatzungsgewalt des „Vernichtungskriegs“ oder der modernen Gewaltgeschichte zu rücken, differenzieren das (selbst uneinheitliche)
mediale Feld der Holocaust-Erinnerung erheblich. Auch in der gegenwärtigen Erinnerungskultur ist somit nicht ausgemacht, ob der
Holocaust als ein von anderen NS-Verbrechen abgrenzbares oder als
ein in sie integriertes Geschehen zu interpretieren ist – und damit
bleibt auch die Frage der Einbettung in das NS-System und dessen
Strukturen nach wie vor von großer Relevanz. Indem Berg jedoch
einen medialen, kommemorativen und transnationalen Prozess, der
die menschheitsgeschichtliche Dimension des Holocaust hervorgehoben hat, auf eine Zeit zurückprojiziert, in der man sich dieser Bedeutung auch international gesehen nur in wenigen Ausnahmen bewusst
war, operiert er mit dieser Engführung der NS-Verbrechen auf den
Holocaust, als ob deren Angemessenheit wissenschaftlich bereits entschieden wäre.
Bergs Vorwurf einer mangelnden Distanz der „kritischen Zeitgeschichte“ zu den Selbstauskünften der Mitläufer und Täter findet Resonanz in einer Öffentlichkeit, die seit einem Jahrzehnt in einem Maße für Fragen der NS-Täterschaft sensibilisiert ist, wie dies
nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit und um 1960 vergleichbar
der Fall war. Indem Berg als Nachwuchshistoriker ausschließlich solche Gründungszeithistoriker angreift, die nicht nur für eine linksliberale Generation prägend waren und als untadelig galten, macht
er den schon mit Goldhagen verbundenen, massenmedial verstärkten Generationskonflikt in der Historikerzunft explizit. Bergs Bekun-
II. Die Dynamiken der Debatte um den Vorwurf der „Täternähe“
Historiografiegeschichtlich ist noch herauszuarbeiten, warum sich
seit den späten 80er-Jahren der Holocaust zögerlich als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand in Deutschland etablierte. Offensichtlich ist aber, dass die Zeitgeschichte als Wissenschaft hier vor allem
reagiert hat. Sie konkurriert in einem vielschichtigen Feld aus inter69
70
Habbo Knoch
Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
dung, es bedürfe nicht des „Pathos der Skandalisierung“, um etwa
das Geschichtskonzept der frühen Gesamtdarstellungen von Hans
Buchheim und Martin Broszat als „Mitläufer-Erzählungen“ zu deuten, weil beide „in abstrakter Form ausschließlich die gedächtnisgeschichtliche Perspektive derer [explizieren], die mitgemacht haben“
(S. 424), kann denn auch nur rhetorisch gemeint sein: Angesichts des
notorischen Skandalisierungspotentials der Zeitgeschichte und einer
gewollten Verletzung von Professionstabus war in den eher versteckten und doch scharf formulierten Thesen zur mangelnden Entbindung von den Tätersichten ein fach- und wissenschaftsübergreifender Sensationsüberschuss enthalten, den man nur bei großer Naivität
oder Unkenntnis der öffentlichen Sensibilisierungsschwellen übersehen konnte.
Jeder Versuch nun wie im Falle Goldhagens unterhalb der medialen Sensation den Blick vom Buch auf den Streit und vom Anklagegestus auf die Sache zu lenken, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt,
die Angegriffenen gegen die Kritik abschotten zu wollen. Bergs Argumentation ist tendenziell selbstimmunisierend: War nicht gerade
„Versachlichung“ die diskursive Lösung der Gründungszeithistoriker, um weitergehende (Selbstan-)Fragen an eine ihnen nun vorgeworfene mentale Verstrickung zu vermeiden? Indem Berg die Sachlichkeit der „kritischen Zeitgeschichte“ zu einem biografisch begründeten Distanzierungsmodus erklärt, desavouiert er ein unabhängig
von diesen Protagonisten geltendes Wissenschaftsprimat. Das ist an
sich nicht zu kritisieren, bedarf aber einer übergreifenden Thematisierung von Objektivitätsstandards. Bergs Kritik dient hingegen sowohl der im Buch eher vage bleibenden Rechtfertigung einer anderen (nicht mehr „sachlichen“?) Holocaust-Forschung, als auch implizit seiner eigenen Art der Kritik, deren unübersehbare Unausgewogenheit Volker Ullrich als früher Rezensent auf das begrüßenswerte Moment persönlichen Zorns und Eifers des Verfassers zurückgeführt hat.1 Doch warum ist es zu begrüßen, wenn durch den Verzicht
auf Differenzierung als wissenschaftlichem Distinktionscode die ohnehin richtigerweise permeable Grenze zwischen Zeitgeschichte und
öffentlicher Meinungsbildung appellativ aufgelöst wird? Das spricht
keineswegs für eine Trennung von Zeitgeschichte und Öffentlichkeit,
wohl aber für die Beachtung der systemauflösenden Dynamik von
Codes, wie es für die Zeitgeschichte immer schon der Fall war – trotz
und gerade wegen ihrer zunehmend dialektischeren Beziehung angesichts der dauernden medialen zeithistorischen Selbstproblematisierung der deutschen Gesellschaft in den vergangenen zwanzig Jahren.
Im Verzicht auf Differenzierung liegt ein zirkuläres Potential von
Kritik, das sich auch bei Goldhagen beobachten ließ. Welchen Spielraum gibt es für Zugeständnisse, wenn die Skandalisierung des Biografischen keine nichtbiografischen Sachargumente mehr erlaubt, ohne dass sie als Bestätigung der kritisierten Festungsmentalität gelesen
werden können? So entstehen auf Polarisierung angelegte Bekenntnisschleifen, denen sich Historiker wie Hans Mommsen öffentlich
kaum selbst mehr entziehen können: Die mit der Kritik an der Person
gleichgesetzte Wissenschaftshistorisierung trägt mit zum Dogmatismus bei, den die Kritik erst unterstellt. In den Bekenntnisschleifen
werden akademische Zugehörigkeiten unter den Augen einer Öffentlichkeit verhandelt, die kaum über die Hintergründe der „Wachablösung“ (Hans Mommsen) in der deutschen Zeitgeschichte informiert
ist.2
In der Nachfolge Goldhagens setzt hierbei die Öffentlichkeit vielleicht mehr noch als Berg selbst auf ein moralisches Argument, indem
die auf den Suizid hin interpretierte Ausgrenzung Joseph Wulfs aus
dem wissenschaftlichen Establishment als Folge des Sachlichkeitspathos dargestellt wird. Gegenüber der hier ersichtlich mitschwingenden Schlagzeile des aufgedeckten Skandals muss in der seit Goldhagen verstärkten Diskurslogik der Anschaulichkeit und der Nähe zum
1 Ullrich,
71
Volker, Forschung ohne Erinnerung. Nicolas Bergs Buch über den Holo-
caust und die deutschen Historiker sorgt für Streit, in: DIE ZEIT Nr. 29, 10.07.2003, S.
39.
2 Mommsen, Hans, Täter und Opfer – ein Streit um die Historiker, in: Die Welt, 13.
09. 2003.
72
Habbo Knoch
Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
Geschehen jede Kontextualisierung, die Strukturen der seinerzeitigen
Zeitgeschichte analysiert, als Ausflucht erscheinen. Es ist eben nicht
gelungen, Strukturanalysen und ihre Begrifflichkeit in der massenmedialen Historisierung der jüngsten Vergangenheit nachhaltig zu verankern. Dort unterliegt die zunehmende Thematisierung des Eventfernsehens, aber auch des populären Buchmarkts einer Logik, die neben der Skandalisierung vor allem Formen der Personalisierung und
Dramatisierung einfordert: Geschichte wird immer noch greifbar gemacht durch Ereignisse, Biografien und Erfahrungen.
Die mediale Präsenz des Holocaust, die ihn überhaupt erst zu einem so dominierenden Bezugsobjekt historischer Gegenwartserfahrung gemacht hat, verdankt sich in wesentlichen Teilen genau diesen
Mustern. Nachdem die politisch motivierten Vermeidungshaltungen
erodiert waren, hat sich der Holocaust, getragen von Zeitzeugen, in
den 90er-Jahren als Prozess lebensgeschichtlicher Erfahrungen und
Verarbeitungen in der Erinnerungskultur verankert. Auch die Vergangenheitsbewältigungsforschung tendiert in diese Richtung: Hohe
Aufmerksamkeit finden psychosoziale Dynamiken der individuellexemplarischen oder familiären Vergangenheitsverwandlung. Was in
abstrakterer Form mit dem „Zivilisationsbruch“ angedacht war, hat
in der Orientierung am „Trauma“ seine individualisierbare Seite gefunden.
Inwieweit folgen neuere Ansätze der Holocaust-Forschung womöglich auch in Teilen diesen Codes? Welcher Komplexitätsgrad,
welche Art der Begriffssprache werden noch zugelassen, wenn sie
nicht mehr in ein diskursives Feld vermittelbar sind, das sich von
einer Struktur- und Systemanalyse immer weiter entfernt? Werden
andererseits solche Perspektiven durch die zunehmende Verschränkung von Medialisierung und historischem Arbeiten desavouiert?
Zeitgeschichte würde ihre öffentliche Aufgabe verfehlen und verlieren, wenn sie auf ihr Potential der öffentlichen Skandalisierung verzichten würde, auch und gerade, wenn es um die Binnenstrukturen
der „Zunft“ selbst geht. Inwieweit darf und sollte aber die Kalkulati-
on medialer Wirkung Teil der wissenschaftlichen Arbeit sein? Inwieweit müsste die Reflexion über die Ingangsetzung medialer Schleifen
selbst zur wissenschaftlichen Kompetenz von Zeithistorikern gehören? Oder gilt gerade deren Inszenierung, wie im Falle Goldhagens,
trotz aller „professionellen“ Skepsis zukünftig selbst als Qualitätsausweis? Zeitgeschichte im Spannungsfeld von Öffentlichkeit und wissenschaftlichen Standards muss augenscheinlich Praktiken und Techniken der Besetzung und Positionierung dieses Feldes selbst mehr als
bisher zum wissenschaftsrelevanten Standard erklären.
73
III. Die zukünftige Positionierung der NS-Zeitgeschichte
Viel gewichtiger als die Frage der Medialisierung scheint im Falle des
Ansatzes von Berg aber diejenige nach methodischen Standards einer Wissenschaftsgeschichte und, mehr noch, nach der Beurteilung
des Verhaltens historischer Akteure zu sein. Dabei kann für Historiker kein besonderer Maßstab gelten. Doch indem Berg das Postulat der „synchronen“ Betrachtung eines eigentlich „diachronen“ Prozesses unter der Maßgabe des „Gedächtnisses“ aufstellt, weist er die
Forderung ab, Urteilsmaßstäbe nicht allein aus gegenwartsbezogenen Deutungen zu gewinnen, sondern diese mit den Sagbarkeitsbedingungen und Handlungsräumen der Zeit der Zeitgenossen rückzukoppeln. Berg verzichtet auf eine historische Kontextualisierung
des wissenschaftlichen Handelns einiger seiner Protagonisten, weil
er eine – gleichzeitig nicht ausdifferenzierte – Interpretation des Holocaust und damit verbundene, aktuelle Forschungsansätze als Leitideal setzt und diese zum alleinigen Maßstab auch für die Bewertung
früherer Forschungen heranzieht. Um einen solchen Zugang hinreichend zu rechtfertigen, wäre die zeitunabhängige Tauglichkeit eines
solchen Ansatzes aufzuweisen – was wiederum das Ende einer Geschichtsschreibung bedeutete, die sich der „Falsifizierbarkeit“ ihrer
Erkenntnisse zu unterwerfen bereit ist. Zu Ende gedacht, bedeutet
Bergs Ansatz die Aufgabe der Zeitgeschichte als kritischer Wissenschaft überhaupt.
Doch wegen des Ausgleitens der „Epoche der Mitlebenden“ der
74
Habbo Knoch
Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe
NS-Zeit steht der Umgang mit nationalsozialistischer Zeit und den
NS-Verbrechen an der Schwelle zu einer neuen Stufe der Historisierung. Wehrmachtsausstellung, Luftkrieg und Parteimitgliedschaften
sind biografisch letztmalig angebundene Themen. Entweder wird das
Verständnis der Zeitgeschichte selbst über die spezifisch deutsche
Konnotation des Nationalen und des Miterlebens hinaus erweitert
oder die NS-Zeit und mit ihr die NS-Verbrechen wandern generationell aus der Zeitgeschichte aus, da sich die Verschränkung der Wissenschaft mit der lebensgeschichtlichen Relevanz ihrer Themen unweigerlich lösen wird. Auf die bevorstehenden runden Gedenktage
reagieren die öffentlichen Sender mit einer „Nazi-Olympiade“: In Dokudramen und Fernsehfilmen werden NS-Größen, nationalkonservativer Widerstand und Kriegsende groß herausgebracht. Die Regisseure sehen sich dank einer neuen Schauspielergeneration und anderem
Publikum nun dazu in der Lage, nicht mehr „didaktisch, spröde, introvertiert, angstbesetzt“ zu filmen, sondern „epischer“ und „emotionaler“ Geschichten zu „erzählen“.3
Zeitgeschichte des Nationalsozialismus hat hier weiterhin die
Aufgabe, der medialen Sehnsucht nach Einzelpersonen, die Geschichte greifbar machen sollen, alternative Interpretationen an die
Seite oder, wo nötig, pointiert gegenüberzustellen. Andernfalls läuft
die Zeitgeschichte des Nationalsozialismus ähnlich wie in den 50erJahren Gefahr, die öffentlichen Deutungen der NS-Zeit gar nicht
mehr gegen ihre Medialisierung beeinflussen zu können. Gerade weil
hier aber tendenziell ein NS- und Widerstands„kult“ zurückzukehren
drohen, kann sich die Zeitgeschichte als der Öffentlichkeit zugewandte Wissenschaft nicht auf den Holocaust im engeren Sinn beschränken.
Martin Broszat wollte mit der „Historisierung“ des Nationalsozialismus die Zeitgeschichte aus ihrer öffentlichen und politischen
Verklammerung gelöst sehen. Wie so viele in den 80er-Jahren ging
er dabei von einem absehbaren Ende einer durch lebensgeschichtliche Bindungen motivierten Medialisierung und Erinnerung der NSZeit aus. Das hat sich als falsch erwiesen. Insbesondere die Privatisierung des öffentlichen Erinnerns durch Selbstzeugnisse und Lebensgeschichten hat zu einer zyklischen Revitalisierung des kommunikativen Gedächtnisses geführt. Zukünftig ist jedoch zu fragen,
welchen Stellenwert „der Nationalsozialismus“ im Verhältnis zum
Holocaust als menschheitsgeschichtlichem Ereignis, zu den Kriegsund Nachkriegserfahrungen als deutscher „Opfergeschichte“ und zu
den anderen deutschen „Zeitgeschichten“, insbesondere der SBZ/DDR-Geschichte, haben wird. Gegen eine Versäulung dieser Felder im zukünftigen Erinnern, wie sie sich in den gegenwärtigen öffentlichen Debatten um Luftkrieg, Vertriebenenzentrum oder SEDGedenkstätten abzeichnet, ist der Nationalsozialismus – als implodierendes System und als Erfahrungszusammenhang – für die weiteren dieser Bezugsfelder als zeitliche und funktionale Gelenkstelle
der Gewaltgeschichte der Moderne zu interpretieren. Darin ist er sowohl als Kulminations- und Ausgangspunkt deutscher Krisen und
Gewalt als auch als Bezugsgröße der europäischen Gewaltgeschichte
des „langen“ 20. Jahrhunderts zu perspektivieren. Hier zeigt sich die
ungebrochene und eher noch wachsende Aktualität der Forschungsperspektiven der „kritischen Zeitgeschichte“ auch und gerade gegen
manche Trends der gegenwärtigen Erinnerung.
Wie in einem Brennglas offenbaren die Überforderungen von Historikern durch den Holocaust zudem Grenzen einer solchen Geschichtsschreibung der „Moderne“, insbesondere hinsichtlich der Generierung von öffentlichem Wissen, der Medialisierung und der diskursiven Prägung von Handlungsräumen. Dies verweist auf den Bedarf differenzierterer Konzepte von „Gesellschaft“ als sie in den 60er
und 70er-Jahren Anwendung fanden oder bereit standen. Ein Weg
dorthin kann über die bislang erst in Ansätzen durchdrungene innere Medialität massenmoderner Gesellschaften führen. Bei den unterschiedlichen Perspektiven auf die NS-Verbrechen, die sich mehr dem
3 Der tiefe Blick der wasserblauen Augen. Startschuß zur Nazi-Olympiade: Das Dritte Reich ist das große Thema dieses Fernsehjahres – und auch des nächsten, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 01. 02. 2004, S. 27.
75
76
Habbo Knoch
Systemverhältnis von Politik und Gesellschaft oder den Handlungsräumen von Tätergruppen zuwenden, handelt es sich nicht um einen
unvereinbaren Unterschied. In einer auf die Folgen der Medialisierung von Volksgemeinschaftsutopie und Massengewalt reflektierenden Verbindung von „Gesellschaft“, „Handlungsraum“ und „Individuum“ eröffnet sich die Möglichkeit, die NS-Verbrechen aus einer
Verflechtung von Handeln, Imagination und Medialisierung zu erklären. Dabei würde deutlich werden, dass die nach 1945 lang gehegten Trennungskategorien zwischen „Tätern“ und „Gesellschaft“ aufgrund einer diskursiven Kollektivierung im massenmedialen Raum
und ihren Auswirkungen auf Habitus, Selbstentwurf und Handlungsdisposition in der Zeit der Tat gar nicht bestanden haben. Das
schließt die wissenschaftshistorische Arbeit an dieser Aversion als einer Erblast der traditionellen Geschichtswissenschaft ein, deren Auswirkungen auf die Verkürzungen und Ausblendungen – auch der
„kritischen“ – Zeitgeschichte noch der Untersuchung harren.
Habbo Knoch ist Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen. Dissertation:
„Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur“ (Hamburg: Hamburger Editionen 2001). Habilitationsprojekt zu „Großstadthotels und die Erfindung der transitorischen
Privatheit im europäischen Bürgertum 1870-1930“.
77
Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and
Hermann Heimpel
Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and
Hermann Heimpel
von Robert P. Ericksen
This work represents a recent, ambitious, lengthy and perhaps courageous effort by Nicolas Berg to explore the response of West German
historians to the horrors of the Nazi regime, especially in terms of the
single greatest horror, the persecution and murder of European Jews.
It is an ambitious project, since it covers numerous historians and half
a century. It is lengthy at nearly 800 pages, and it may be courageous
in that German doctoral students in history have been very slow to
look behind the closed doors of their forebears in the profession. The
famous Historikertag at Frankfurt in 1998 pushed open those doors,
and Berg’s work is now one of several dealing with the behavior and
ideas of German historians and their relationship to the Nazi state.
Berg brings to this effort three important qualities. First, he
is conversant with the complex of issues that distinguish history
from memory, but which also leave the two deeply intertwined. He
rightly stresses the significance of his subtitle, „Erforschung und Erinnerung,“ for the two concepts cannot be easily separated. Research
was conducted by the first two generations of historians writing
about the Nazi past, but they were also remembering that past. Not
only that, they were sharing in the nationwide tensions that grew out
of defeat, deprivation, danger, personal guilt, national guilt, horror
at the atrocities now widely exposed, and anxiety over questions of
career and economic wellbeing represented by the Allied policy of denazification. Finally, they were emerging from the twelve-year experience of the thousand-year Reich, a time which had been intoxicating
for some and frightening or oppressive for others. We should not be
surprised if this complex of tensions produced complicated and even
dysfunctional results. Any attempt to assume that historians were
simply writing history — a questionable assumption at any time or
place — must be especially suspect in the complex circumstances of
post-war Germany.
79
Berg also brings to this study a useful exposure to Jewish points
of view, having worked in the Simon-Dubnow-Institut für jüdische
Geschichte und Kultur in Leipzig and having published on questions
dealing with the Shoah. As he illustrates in this book, German historians were hardly eager to listen to Jewish memories or analyses in the
early aftermath of 1945. Yet, it seems a most obvious truism that the
memories and analyses of German historians could not be entirely
trusted, that they would be tempted to hide, distort and downplay
the reality of the Shoah, both to protect their nation and to protect
themselves. And it seems equally obvious that no one could describe
the horrors with as much vigor and attention to detail as the victims. Berg quotes Gerhard Ritter in a letter of 1948 which bristles
at the idea that foreigners should be allowed to enter the conversation. Ritter called it a scandal, „wenn die Deutschen von Fremden
über ihre eigene Geschichte belehrt werden“ (p. 134). The real scandal occurred, of course, when German historians refused to listen to
outsiders, whether Jewish or otherwise.
Berg also has the benefit of youth. The first two generations of
postwar historians lived through the Nazi period, either as professors of history or as students and members of the Hitler Youth. The
‘60s generation studied under doctor fathers who had experienced
Hitler, frequently with enthusiasm and with the result that skeletons
remained in their closets. Berg’s generation now studies with professors who could not have been Nazis. In that sense it is the first generation which can pursue questions without fear of drawing blood, and
thus the freest generation to do the work represented by this book.
Now I will turn to Siegfried Kaehler, a student of Friedrich Meinecke who came to Göttingen University from Halle in 1936 at the age
of fifty-one. Berg makes excellent use of Kaehler, both because his
extensive Nachlass is available in the Universitätsbibliothek in Göttingen and because his correspondence with other major historians
has recently been published.1 Kaehler illustrates several important
1 Kaehler,
Siegfried A., Briefe 1900-1963. Herausgegeben von Walter Bußmann und
80
Robert P. Ericksen
characteristics for Berg. For example, when Friedrich Meinecke published Die deutsche Katastrophe in 1946, Kaehler was among those
who pushed the ambiguity of the title in one particular direction, the
catastrophe which happened to Germany, rather than the catastrophe
unleashed by Germans (p. 90-97). Kaehler did not want to use the
concept of Irrweg to understand the Nazi state, as if Germans had
made a wrong turn. He did not want to accept any analysis which assumed continuity within German history. As he wrote to Meinecke,
he thought the concept of Weg and Irrweg was „selbst ein grosser Irrweg“ (p. 107ff., especially n. 7). Rather than blame Germans for the
crimes of the Nazi regime, he placed those crimes outside German
history, crimes for which he and other Germans should not be held
responsible.
Berg also describes Kaehler in his relationship to the „Jewish question“ and, in that context, his relationship to Hans Rothfels. They
were students together, and then colleagues in the discipline; but
their relationship collapsed when Rothfels left Germany. Though a
Protestant from the age of nineteen and a conservative, patriotic German, Rothfels lost his position at Koenigsberg because of his Jewish
parents. After being arrested during the pogrom of „Kristallnacht“,
and then being allowed to slip through a back door out of respect for
an injury from the Great War and his continuing use of crutches (p.
151), Rothfels fled Germany for England and America. He taught at
Brown University and at the University of Chicago, before returning
to teaching posts in Germany. He took up a guest position at Göttingen in 1949 and then moved to Tübingen, where he held a chair from
1951 until his retirement. Correspondence between Kaehler and Meinecke shows that they viewed Rothfels as just the right person to give
credibility to their defense of Germany against its critics and enemies.
For whatever reasons, he shared their desire to give German history a
benign treatment, stressing the suffering of Germans rather than the
Günther Grünthal, (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 58),
Boppard 1993.
81
Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and
Hermann Heimpel
suffering of Germany’s victims, and claiming that the crimes must be
attributed to a small number of criminals rather than a large number
of the German people.
Although Kaehler welcomed Rothfels back to Germany and the
two of them gradually rekindled their friendship, Berg also shows
that Kaehler did not easily leave behind the antisemitic stereotyping
of the Nazi era. In May 1945, for example, Kaehler spoke of the need
to defend Germany itself „gegen die bereits im Gang befindliche Verleumdung durch demokratisch jüdische Propaganda [. . . ]“. In February 1946 he wrote to Gerhard Ritter about the problem of too many
Jews teaching at German universities before 1933. When he arrived at
Halle in 1932, he writes, “ [daß] von den 17 Lehrstühlen nicht weniger
als 5 [. . . ] mit Volljuden besetzt waren; [. . . ]“. He then describes a Jewish dean at Marburg who told authorities in Berlin that further Jewish appointments were „nicht tragbar.“ And Kaehler adds, „so kluge
Juden hat es leider aber nicht immer gegeben, sonst würden die peinlichen Vorgänge von 1933 sich nicht ereignet haben“ [apparently in
reference to the Aryan paragraph introduced in April that year]. (p.
183)
I quite agree with Berg’s description of Kaehler. He was a patriotic, conservative historian who saw his role as defending German
values, German pride, and the German nation against its critics. In
the process, he and his colleagues did not want to look too closely at
the crimes committed against Jews and others by the Nazi state. The
crimes had to be acknowledged in general, of course, so that an argument of historical discontinuity had to be developed to remove the
Nazi era from the normal historical threads of cause and effect.
It is interesting to compare Berg’s picture of Kaehler after the collapse of Nazism with his earlier role at Göttingen. When he arrived
in 1936, the university had been politicized. He had been appointed
specifically with the belief that he would combine academic renown
with political enthusiasm for the Nazi state. Already in 1937 he gave
the Festrede on January 30, celebrating the fourth anniversary of
82
Robert P. Ericksen
Hitler’s rise to power. Speaking on the topic of „Wehrverfassung und
Volk,“ he praised Hitler for his overturning of the Versailles Treaty:
„Der unbeirrbaren Tatkraft des Führers und Reichskanzlers dankt das
deutsche Volk die Wiederherstellung seiner Wehrhoheit ebenso wie
die friedlich Ausserkraftsetzung des Versailler Diktats.“2
„Der unbeirrbaren Tatkraft des Führers“ certainly seems a phrase
designed by Kaehler to show his allegiance to Hitler. However, he
later claimed to have stood up against the Nazis and their politicization of the university. The one identifiable instance involves Kaehler’s
response to the intervention of Walter Frank, head of the Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands. The latter tried for
several years to get his colleague, Erich Botzenhart, an appointment
at Göttingen. Such an appointment would have to be based almost
entirely upon Botzenhart’s political enthusiasm for the regime, for, although he had finished a doctoral dissertation on Freiherr vom Stein,
he was not habilitiert and did not appear on the list of finalists selected by the faculty. Kaehler protested this appointment, both in a
faculty meeting and in a letter to the Rektor, but to no avail. He rarely
had to work with Botzenhart, for the latter spent the war years in
an eager search for activities which would keep him out of the military. When Botzenhart suffered removal from his chair by the British
in July 1945, Kaehler vowed never to allow him back, and he succeeded.3
2 Kaehler, Siegfried A., Wehrverfassung und Volk in Deutschland von den Freiheitskriegen bis zum Weltkriege. Rede zur Reichsfeier am 30. Januar 1937, gehalten in der
Aula der Georgia Augusta, in: Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen, 18.2
(1937), p. 2.
3 Kaehler to the Dekan, 28.05.45, Personalakte Botzenhart, Universitätsarchiv Göttingen. It is in this letter that Kaehler describes the contested circumstances of Botzenhart’s arrival in Göttingen. See also Ericksen, Robert P., Kontinuitäten konservativer Geschichtsschreibung am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte. Von der
Weimarer Zeit über die nationalsozialistische Ära bis in die Bundesrepublik, in: Becker,
Heinrich; Dahms, Hans-Joachim; Wegeler, Cornelia (Eds.), Die Universität Göttingen
unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte,
zweite, erweiterte Ausgabe, München 1998, p. 427-53. One hesitates to criticize a 100page bibliography for incompleteness, but this volume by Becker, Dahms and Wegeler
and the chapter on historians might have been noted.
83
Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and
Hermann Heimpel
The Botzenhart episode almost certainly represented for Kaehler
proof that he stood outside the Nazi enthusiasm. He considered himself a representative of that older, purer Germany, before the Nazi
ruffians took over. Without doubt he valued academic standards and
both resented and opposed the machinations of enthusiastic Nazis at
Göttingen to fill vacancies with purely political appointees. He also
spent time after the collapse of the Nazi state giving public lectures,
despite ill health (stomach cancer) and the fact that he had carried
much of the load of the history seminar practically by himself in the
latter years of the war. He gave these lectures, on one occasion to an
audience of 800, in order to establish for his German listeners the guilt
of the Nazi state for the outbreak of the war and to avoid the development of any future stab-in-the-back legend. What Kaehler failed
to do, however, despite his mostly quiet opposition to some of the
more egregious manifestations of the Nazi state, was to confront his
own past enthusiasm for important elements in the Nazi ideology. He
and his colleagues had created an environment in which the „unbeirrbaren Tatkraft des Führers“ received too much praise and too little
critique. Then, as Berg shows, this general stance of public enthusiasm, coupled – in some instances – with private doubt, gave way
to a defensive stance on the right of Germans to be patriotic. This
lingering patriotism might be understandable. However, it actively
inhibited the wider historical analysis of the Nazi state which had to
be left to subsequent generations. Kaehler’s approach also incorporated an unwillingness to look closely at the experience of Jews. He
seemed unable to accept the story of victims as anything more than
an attack upon Germany by its enemies.
Hermann Heimpel arrived in Göttingen only after the war, but he
then pursued an extraordinarily successful career as professor of history, Rektor of his university, head of the West German Rektorenkonferenz and the Historikerverband, Vice President of the Deutsche
Forschungsgemeinschaft, and director of the Max-Planck-Institut für
Geschichte in Göttingen from 1957. Heimpel’s complicity in the Nazi
state seems greater than Kaehler’s. At Freiburg in 1933 he joined in
84
Robert P. Ericksen
Heidegger’s enthusiasm for the „rebirth“ of Germany. After an interim period of several years in Leipzig, his political avidity earned
him a call to the new Reichsuniversität created under high Nazi expectations in Straßburg, a city only recently reclaimed by military success in France.
Berg shows that Heimpel wrestled with his past in an effort to
combine personal and group memory with historical Wissenschaft.
In the 1950s he became the first to develop the concept of Vergangenheitsbewältigung (p. 248ff.). Speaking at a Volkstrauertag in 1955, he
mentioned not only the death of German soldiers, but the suffering of
Jewish and other victims, using words like „Vernichtung,“ „Liquidation,“ „Konzentrationslagern“ and „Todeskammern“ (p. 251). Four
years later he told his audience: „Der Mensch hat die Neigung und
die Fähigkeit, im Sinne seiner Lebenserhaltung, zu vergessen. Und
besonders die Schuldigen — wir Schuldigen — denken nicht gern
zurück.“ (p. 262, my emphasis added). Heimpel wrestled in particular with the fact that his mentor, Siegmund Hellmann, suffered
removal as a Jew from his post in Leipzig, a position Heimpel then
received, almost as his personal booty! Looking back nearly half a
century later, on the occasion of his own eightieth birthday in 1981,
Heimpel remembered that Hellmann „musste in Theresienstadt in
einer Masse von Gequälten einsam sterben. In München war er mein
Lehrer gewesen, und oft hatte ich ihm meine Verehrung gezeigt —
solange das kein Risiko war“ (p. 246), the last phrase representing
ironic awareness, unusual honesty, or both.
Berg describes Heimpel as an example of Protestant Bußfertigkeit,
a characteristic he also ascribes to Reinhard Wittram, a postwar Göttingen colleague. Wittram’s case indicates even more need for personal repentance, since he had joined the Nazi party, helped develop a völkisch rationale for German-occupied eastern Europe, and
gave wartime lectures praising the Führer and damning „artfremden
Bolschewismus“ (p. 233ff.). Both Wittram and Heimpel incorporated
in their postwar reflections the Protestant idea that all are sinful and
that honest reflection and repentance are necessary. The latter is said
85
Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and
Hermann Heimpel
to have spent his last years making notes in the margins of his Bible
and heavily underlining „forgive us our sins“ in his copy of Luther’s
catechism (p. 246f.).
Heimpel represents both intelligence and honesty in his attempt
to combine memory of the recent past with his work as a German
historian. Berg does not simplify the process, noting, for example:
„Ein Blick auf verstreute Briefäusserungen Heimpels in der unmittelbaren Nachkriegszeit macht aber deutlich, dass die Versuche der
intellektuellen Aufrichtigkeit in den 50er Jahren in der Deutung der
eigenen Vergangenheit, die seine Nachkriegsberühmtheit begründeten, einen Lernprozess benötigten“ (p. 243). I would add one other
comment, primarily as a suggestion for future research. The reliance
of Heimpel and Wittram upon Protestant motifs, as stressed by Berg,
might take into consideration recent critiques of the Protestant stance.
Berg already describes the Protestant theologian, Helmut Thielecke,
„als geradezu fanatische[n] Gegner der ‘Entnazifizierung,’“ (p. 267)
and the work of Clemens Vollnhals among others has raised questions about the willingness of Protestants to face the past honestly.4
In fact, the generally positive view of Protestants which emerged in
the early postwar years has been increasingly exposed as a myth, a
myth actively developed by postwar Protestants for self-serving purposes.5 Whether this should be taken into account in the analysis of
Heimpel’s Protestant Bußfertigkeit remains to be seen.
Robert P. Ericksen is Professor of History at Pacific Lutheran University, Tacoma, Washington. He has written about theologians within
Nazi Germany and churches in relation to the Holocaust, with a recent edited volume in Kirchliche Zeitgeschichte, on Christian teachings about Jews and a research project dealing with the Nazi period
at Göttingen University.
4 Vollnhals, Clemens, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. Die Last
der nationalsozialistischen Vergangenheit, München 1989; Vollnhals, Clemens, Die Hypothek des Nationalprotestantismus. Entnazifizierung und Strafverfolgung von NSVerbrechern nach 1945, in: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), p. 51ff.
5 See, for example Ericksen, Robert P.; Heschel, Susannah, „German Churches and
the Holocaust,“ in: Stone, Dan (Ed.), Historiography of the Holocaust, London 2004.
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Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
Zur Kritik an ’Der Holocaust und die westdeutschen Historiker.
Erforschung und Erinnerung’
von Nicolas Berg
I. Rhetorischer Basalt und diskursive Inschriftentafel: Die Frage nach dem Kontext einer Darstellung der historiografischen
Holocaust-Deutungen in Westdeutschland
Bis Anfang der 50er-Jahre erinnerten allein die Brandspuren und
Steinreste der 1938 zerstörten Synagoge auf dem Wiesbadener Michelsberg an den auch dort durchgeführten Novemberpogrom. Dann
verwandelte die Stadt die Überreste in Tradition und stellte zum Gedenken eine Basalt-Stele des Künstlers Egon Altdorf mit der Aufschrift „Der Welt Gewissen ist die Liebe“ auf die Fundamente. Dies
war eine Entscheidung, die zugunsten einer zeit- und geschichtsenthobenen Abstraktheit ausfiel, mit der aber auch wirklich alles verdeckt war, was es hier zu erinnern galt. Erst als die Wiesbadener Jüdische Gemeinde Einspruch erhob und anmerkte, dass das Denkmal
nun weder Hinweise auf die Synagoge erhielt noch auf den Grund ihrer Zerstörung, geschweige denn die Namen derer, die seinerzeit für
die Brandstiftung verantwortlich waren, änderte man die Beschriftung. Die neue, zusätzlich angebrachte Tafel lautete nun: „Zum Gedenken an die Synagoge, die hier bis 1938 stand.“ – Nun fand zwar
der eigentliche Grund für das Gedenken Ausdruck, aber es gab erneut keinen Hinweis auf die Ursache ihrer Zerstörung.
An diesem Beispiel ist deutlich zu erkennen, wie zäh man
im Nachkriegsdeutschland einem allgemein verbreiteten VergessenWollen die Klarheit der Äußerungen zur eben erst vergangenen Zeit
Stück für Stück, Zeile für Zeile abringen musste. Konkretheit und
Deutlichkeit waren gerade das zu Vermeidende; es wurden Interpretationskontexte geschaffen („die Welt“, „das Gewissen“ und „die Liebe“) oder weggelassen (der deutschlandweite Pogrom im November
1938), bis Formulierungen und Begriffe gefunden waren, in denen
87
man sprechend schweigen konnte.1
Welchen Kontext wählt man nun aber aus heutiger Sicht, um
diese enthistorisierenden Vorgänge historisch zu verstehen, zu interpretieren und darzustellen? Die Stadtgeschichte Wiesbadens erscheint wenig adäquat, stellt die dortige Mahnmalsdebatte in den
50er-Jahren doch nur ein Beispiel unter vielen dar, dem aus Celle,
Hamburg, Flensburg, Freiburg, Hildesheim, München, Minden und
Aachen ganz ähnliche Episoden an die Seite gestellt werden könnten.2 Auch eine Biografie über den Künstler, der den ausgewählten
Entwurf gestaltet hatte, wird uns die Fragen, die wir mit dem Wiesbadener Gedenk-Beispiel verbinden, kaum beantworten können, so
viel persönlicher Kontext auch immer in ihr enthalten sein möge. Eine denkbare Annäherung wäre vielleicht in einer Untersuchung der
Kunst- und Formvorstellungen der 50er-Jahre gegeben, also der Analyse jener semantischen Chiffren, die eben der Zeit entstammten, die
sie in Ausschreibungen ausrief, dann auswählte und bauen ließ. Damit wäre zwar die Erkenntnis der Formensprache solcher Pathosgesten vorangetrieben – also ein Kontext eröffnet, der im Thema angelegt ist, aber die Frage selbst, warum es nämlich Einsprüche der jüdischen Gemeinde benötigte, um ein Gedenkprojekt daran zu erinnern, für welche Erinnerung es gebaut wurde – diese Frage würde
auch durch den kunsthistorischen oder kunsttheoretischen Kontext
der 50er-Jahre nicht beantwortbar gemacht. So scheint es nicht weit
hergeholt, den damaligen Konflikt selbst als den besten Kontext zu
nehmen, der sich für die Rekonstruktion der damaligen Wirklichkeit
anbietet, in der er so und nicht anders stattfand und entschieden wurde. Auf diese Weise erhält ein gegenwärtiges Interesse an einer vergangenen Zeit seine „historischen Fragen“, mit denen sich zwei Zei1 Das Wiesbadener Beispiel ist folgendem Beitrag entnommen: Klaus Naumann,
Mahnmale, in: François, Etienne; Schulze, Hagen (Hgg.), Deutsche Erinnerungsorte.
Bd. 1, München 2001, S. 622-637; vgl. auch: Ders. (Hg.), Nachkrieg in Deutschland,
Hamburg 2001; Berg, Nicolas, Formen der Verdrängung. Zur intellektuellen Marginalisierung des Holocaust in Deutschland nach 1945, in: Transversal. Zeitschrift des
Centrums für Jüdische Studien 4.2 (2003), S. 79-103.
2 So zurecht: Naumann, Mahnmale (s. Anm. 1), S. 624.
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Nicolas Berg
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
ten ins Gespräch bringen lassen. Diese gegebene „Zwei-Zeitigkeit“
der eigenen historischen Arbeit zuzulassen, ist eine Aufgabe, die man
als Historikerin und als Historiker gar nicht wählen oder zurückweisen kann, ganz gleich, welcher Vergangenheit man sich zuwendet. Der dem Konflikt um das Mahnmal an die Synagogenzerstörung
auf dem Wiesbadener Michelsberg zugrunde liegende Problemkontext lautet: Welche gesellschaftlichen Erinnerungs- und Vergessensregeln waren seinerzeit gültig? Welche Erfahrungshorizonte werden in
der Differenz zwischen dem Denkmalsprojekt auf der einen und dem
Einspruch von jüdischer Seite auf der anderen Seite greifbar? Welche
Formen der Erinnerung bot die Zeit an – und mit welchen „Kosten“
war die Wahl der sich hierbei anbietenden Optionen verbunden?
Die in meinem Buch „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker – Erforschung und Erinnerung“ gewählten Fragen und Leitlinien der Interpretation zielen auf solche Differenzen unterschiedlicher Erfahrungshorizonte und Vergangenheitsinterpretationen, wie
sie in dem Beispiel der Wiesbadener Basaltstele zum Ausdruck kommen. Ist es hier jedoch die öffentliche Gedächtnispraxis im Gewand
von Erinnerungsstätten und Gedenktafeln, so dort der veröffentlichte Wissens- und Deutungshorizont einer Fachwissenschaft, wie er in
Büchern, Zeitschriften, Rezensionen oder Zeitungsartikeln dokumentiert ist. Es sind „Denkmäler“ und „Inschriften“ anderer, rhetorischer
Art, die im wissenschaftlichen Diskurs aufgerichtet und angebracht
werden, nicht aus Stein und Messing, sondern aus Papier und Büchern, Ideen und Begrifflichkeiten. Die zu untersuchende „rhetorische Basaltstele“ in diesem Zusammenhang wäre, metaphorisch gesprochen, z.B. Hermann Heimpels Vorlesung über die „Deutsche Geschichte“, mit der er die Sehnsucht nach metanoia im Modus jener
spezifischen protestantischen Bußfertigkeit verband, von der ein ganzes Kapitel handelt.3 Die „diskursive Inschriftentafel“ von Heimpels
Anrufung des Gewissens könnte man – in Analogie zu jenen frühen
Wiesbadener Gedenkversuchen – in seinen recht vage gebliebenen
Schuld- und Schambekenntnissen sehen, die zwar öffentlich geäußert
wurden, nichtsdestotrotz aber jeden konkreten Bezug auf die eigenen
opportunistischen Schriften der 30er und 40er-Jahre zu vermeiden
wussten. Der Wunsch nach genauer Benennung von Zeitpunkt und
Grund der Synagogen-Entweihung und Brandstiftung, wie ihn die
jüdische Gemeinde in Wiesbaden einforderte, entspräche in der Arbeit der Lakonik jener Dokumentations-Bände, die zur gleichen Zeit
Joseph Wulf erarbeitete, in den 50er-Jahren noch gemeinsam mit seinem Kollegen Léon Poliakov, später dann – über ein Jahrzehnt lang –
allein.4
Neben Fragen, die auf das Problem berücksichtigter oder nicht
beachteter Kontexte zielen, in denen eine historiografiegeschichtliche Arbeit zu situieren ist, die die Entstehungsbedingungen, Verbreitungsformen, Verteidigungen und Wirkungen von historischen Texten und Deutungen zum Thema hat, hat die Suche nach einer mehrdimensionalen Geschichtsschreibung auch noch einen zweiten Aspekt.
Dieser hat mehr mit der Themenwahl zu tun, als mit dem Verfahren der Quelleninterpretation und der Perspektivierung der Darstellung. Denn der rezeptionsgeschichtliche Ansatz des Buches macht ein
Nachdenken über die Aufnahme gerade dieser Studie in der fachlichen Öffentlichkeit schon a priori nicht leicht, wenn Diskussionsbeiträger sowohl die Frage stellen, wie man in einer solchen Arbeit stärker „als Autor erkennbar“ bleiben könne (Berger, Eckert im Editorial),
zugleich aber auch die „überzogene Kommentierung“ der Texte als
zu „bewertungsfreudig“ kritisieren (Longerich). Es scheint, als werde
bereits die historiografiehistorische Themenwahl, nämlich die Arbeit
3 Vgl. Schulin, Ernst, Hermann Heimpel und die deutsche Nationalgeschichtsschreibung. Vorgetragen am 14. Februar 1997 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 9), Heidelberg 1997; Berg, Nicolas,
Hermann Heimpel, Reinhard Wittram und Fritz Ernst oder die „Demonstration protes-
89
tantischer Bußfertigkeit“ im Deutschland der 50er Jahre, in: Ders., Der Holocaust und
die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003, S. 220-269.
4 Berg, Nicolas, „Prähistorische Ausgrabungen“ und „absolute Objektivität“ (Joseph
Wulf): Zur „Verschobenen Historiographie von Quelleneditionen und Dokumentensammlungen, in: ebd., S. 323-370; weitergeführt in: Ders., Ein Außenseiter der Holocaustforschung: Joseph Wulf (1912-1974) im Historikerdiskus der Bundesrepublik, in:
Leipziger Beiträge für jüdische Geschichte und Kultur 1 (2003), S. 311-346.
90
Nicolas Berg
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
der Historiker selbst in Augenschein zu nehmen, mit der Forderung
konfrontiert, dass man in diesem Fall nicht nur die Zeitgebundenheit
der analysierten Vorgänge und der kritisierten Kollegen, sondern sogleich auch die eigene mitbearbeiten möge. Dies ist indes eine Forderung, die Historikern, die die diplomatischen Verhandlungen auf
dem Wiener Kongreß untersuchen oder eine Biografie von Friedrich
Ebert schreiben, nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit abverlangt
wird. Schon die Vorstellung trägt humoreske Züge – als wäre zuerst
der Nachweis zu erbringen, dass man selbst keine Fehler auf dem
Parkett der Diplomatie machte, ehe man solche in einer vergangenen
Zeit analysiert und kritisiert.
Die direkte Interpretation einer selbstverfassten Arbeit durch den
Autor ist aber auch deshalb prekär, da diese Interpretation ja im Buch
selbst enthalten ist – und somit nicht einfach nur wiederholt werden
sollte. Wie man es dreht und wendet: Auch nach den Beiträgen in diesem Forum, den vorangegangenen vielen Besprechungen und den im
Einzelnen instruktiven Diskussionen der letzten Wochen und Monate
wird deutlich, dass das Interesse, das dem Buch bisher insgesamt zugekommen ist, neben vielen sehr bedenkenswerten Einwürfen5 auch
einen irritierenden Ton mit sich gebracht hat. Der hierbei immer wieder geäußerte Vorwurf, es fehle der Arbeit an „Kontext“, ließe sich so
verstehen, als gäbe es für die Thematik und Fragestellung des Buches
einen ganz bestimmten Kontext, den zu beachten ich mich indes aus
undurchsichtigen Gründen geweigert hätte. Oder aber – und auch
das ist nur eine deutende Vermutung – der eingeklagte „Kontext“ ist
hier möglicherweise eine Chiffre für die Artikulation eines diffusen
Unbehagens an der Arbeit, das sich wiederum an ihren Kernthesen
entzündet und nicht an den Rändern des Textes, ein Unbehagen also, das die Arbeit nicht missversteht, aber ihre Ausführungen nicht
akzeptiert. Dies hieße denn aber, dass sehr wohl ein oder mehrere
Kontexte in dem Buch vorhanden sind, nur eben nicht diejenigen, die
man als Leser und Kritiker erwartet hat oder die man als Historikerin
oder Historiker selbst gewählt hätte.
Da offenkundig der Grad der Aufmerksamkeit, die Deutlichkeit
der Kritik und die Genauigkeit der Debatte in diesem Punkt nicht
kongruent sind und der Eindruck, dass teilweise am Buch und dem
von ihm selbst aufgestellten Bedingungen vorbei argumentiert zu
werden scheint, sich zunehmend verstärkt, möchte ich mich einer
Stellungnahme nicht entziehen. Denn es ist noch nicht ausgemacht,
ob das Material der vier Kapitel, die zentrale Grundthese des gesamten Buches oder auch die bei der Lektüre, Analyse und Darstellung
verwendeten methodischen Leitlinien, ebenso wahrgenommen werden, wie einzelne Seiten, marginalere Passagen oder Fußnoten des
Textes, die z.T. im Fokus der bisherigen Diskussion stehen. Die Möglichkeit, dass aber gerade dies angesichts jener akzidentiellen Verschiebungen ausbleiben könnte, die notorisch in den Epitheta des
„jungen, zornigen“ Historikers aufscheinen, und die die polemische
„Abrechnung“ mit der Zunft, das Skandalon der „Provokation“, der
„Skandalchronik“ oder gar den „fehlenden Respekt“ ins Zentrum der
Aufmerksamkeit rücken – diese Möglichkeit ist gegeben, und mit ihr
der Anlass zur Stellungnahme.
Es geht in dem Buch „Der Holocaust und die westdeutschen
Historiker – Erforschung und Erinnerung“ weder um eine Anklage
noch um die Verteidigung einzelner Personen, ihrer vergangenen forschungsleitenden Positionen oder einzelner ihrer Bücher. Dies wären im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses zwar völlig legitime Vorhaben, immer vorausgesetzt, es werden dabei gute Argumente vorgebracht. Und somit wäre es auch durchaus denkbar gewesen,
wenn die Studie ihren Fokus auf eines der vielen Interpretationsmo-
5 Vgl. zum Beispiel die erste Besprechung des Buches überhaupt, vgl.: Rupnow,
Dirk, Professionelle Geschichtsschreiber, der nationalsozialistische Massenmord und
die vergessene Erinnerung, in: Fritz Bauer Institut, Newsletter Nr. 25 (2003), S. 41-43
(der Text war bereits Anfang Mai online): „Die Forschung entwickelt sich nicht linear
zu immer größerer Aufklärung hin, sondern ist von Gegenläufigkeiten und Ungleichzeitigkeiten geprägt. Wir müssen im Blick behalten, was wir bei unserer erinnernden
Tätigkeit vergessen und inwieweit wir mit unseren Begriffen und Bildern Gefahr laufen, eine Tradition der Täter fortzuschreiben. Bergs Buch sollte dementsprechend immer neben den Arbeiten der Holocaust-Forschung gelesen werden.“ (S. 43)
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Nicolas Berg
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
delle gerichtet hätte, die im Untersuchungszeitraum entwickelt worden sind. Dann wäre – wahrscheinlich unter einem anderen Titel –
dieses stark gemacht und gegen Kritik verteidigt worden, das noch
unausgeschöpfte Potential hätte aufgezeigt und seine nicht ausreichend gewürdigten Seiten beleuchtet werden können. Dies wäre ohne Zweifel ein interessantes Arbeitsprojekt geworden – nur eben ein
ganz anderes. Der Ansatz des Buches situiert sich aber in einer anderen Weise – und folglich ändern sich auch die Voraussetzungen
der Kritik. Hier ging es nicht um die Stärkung einer Position, sondern um eine kritische Analyse der Dauerdebatte um „Auschwitz“
selbst – und dies speziell am Beispiel des Nachdenkens und entlang
der Geschichtsinterpretationen von Historikern. Man darf hier dem
Titel und dem Untertitel der Arbeit sehr wörtlich folgen und sollte beide nicht willkürlich erweitern oder verengen –, um daraufhin
dann Kritik an den dann „fehlenden“ Aspekten zu schärfen, die jedoch im Buch selbst gar nicht angekündigt werden. Das Buch heißt
nicht „Der Nationalsozialismus im Urteil der westdeutschen Historiographie“, sondern „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“ – und dieser Unterschied ist erkenntnistheoretisch von grundlegender Bedeutung; es heißt aber auch nicht: „Der Holocaust im
Gedächtnisraum der Bundesrepublik“, sondern „und die westdeutschen Historiker“ – also seine Rezeption, aber nicht im allgemeinen
öffentlichen Diskurs der Medien, im Gebrauch der Bilder oder der
Sicht mehr oder weniger bekannter literarischer Beschreibungsversuche und auch nicht im Gerangel der parlamentarischen Debatte im
Rahmen der Politik.6 Und es wird an zwei Stellen der Einleitung auf
die grundlegende Bedeutung des Untertitels hingewiesen – bis hin
zu einer kurzen Reflexion über das Bindewort „und“ in „Erforschung
und Erinnerung“.
Was aus meiner Perspektive notwendig erschien, auf den ersten
40 Seiten als Vorhaben entwickelt wird und folglich der Organisation des Buches zugrunde liegt, war die Hoffnung, eine Geschichte
der Wahrnehmungen und Wahrnehmungsweisen des Völkermords
an den Juden zu schreiben, wie sie durch die deutschen Historiker
zwischen 1945 und 1989/90 vorgebracht wurden. Das Buch versucht,
diese Erklärungen und Deutungen selbst historisch begreifbar zu machen. Zu diesem sehr allgemein formulierten Vorhaben gehörte in
ganz besonderer Weise die methodisch umzusetzende Anerkennung
jener fundamentalen Ausgangskonstellation, dass nämlich alle im
Buch untersuchten Wortmeldungen, die ganz frühen Interpretationen
der späten 40er und 50er-Jahre ebenso wie die der 70er und 80er, in
jeweils bestimmter Hinsicht und natürlich mit sehr unterschiedlichen
Auswirkungen, Deutungen der Zeitgenossen waren. Dieses „Doppelverhältnis“ zur Vergangenheit – als seinerzeit mitwirkende Akteure
und/oder Augenzeugen der NS-Zeit und als rückblickende Analytiker und Deuter – genau dies war Ausgangspunkt und Leitlinie der
Fragestellung und wurde deshalb auch zu einem roten Faden des Buches insgesamt. Es ist eine exemplarisch am Beispiel der Historiker argumentierende, problemorientierte Untersuchung von wichtigen historiografischen Holocaust-Diskurse in Westdeutschland zur Diskussion gestellt worden, sicher nicht vollständig, aber sicher auch keine
„Abrechung mit den Vätern“, kein „800seitiger polemischer Essay“,
kein „Handbuch“ der westdeutschen Holocaust-Historiografie und
auch keine riesige „Sammelrezension“ von Büchern und Aufsätzen
zum Thema aus heutiger Sicht. Stellungnahmen solcher Art verkennen den methodischen Zugriff auf das Material, die durchgängig gedoppelte Fragestellung und das explizit gemachte Erkenntnisinteresse.
6 Vgl. die Schwerpunkte folgender Untersuchungen zu Bildern und Fotografien, zur
Nachkriegsliteratur und zu Bundestagsdebatten: Brink, Cornelia, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998; Knoch, Habbo, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001; Braese, Stephan, Die andere
Erinnerung. Jüdische Autoren in der westdeutschen Nachkriegsliteratur, Berlin 2001;
Briegleb, Klaus, Missachtung und Tabu. Eine Streitschrift zur Frage: Wie antisemitisch
war die Gruppe 47? Berlin 2002; Dubiel, Helmut, Niemand ist frei von Geschichte. Die
nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, Mün-
93
chen 1999.
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Nicolas Berg
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
Zu diesen drei Punkten, der Auswahl von Quellen und Material,
der zentralen These, wie sie sich in der Fragestellung einerseits und
im Aufbau der Arbeit andererseits niederschlägt, sowie zum erkenntnisleitenden Interesse und der Methode einer gedächtnisgeschichtlichen Herangehensweise, sollen deshalb im Folgenden noch einmal
Anmerkungen folgen (II), ehe ich abschließend eine Zusammenfassung mit dem Blick auf die problematischen Seiten der bisherigen
Debatte aus meiner Sicht zu ziehen versuche (III).
und nur im Rahmen seiner Spielregeln zu argumentieren? Oder ist es
das Solitäre des einzelnen gelehrten Geistes? Ist es die jeweilige Zeit
und die Diagonale des in ihr möglichen Denkens? Oder die Sprache und ihre Begriffsbildung? Sind es die Probleme, um die gestritten wurde und die Konflikte, die ungelöst und unbeantwortet bleiben, bis eine andere Zeit sie wieder aufgreift? Konrad Schilling hat
in seiner sehr grundsätzlich angelegten, umfangreichen Gesamtdarstellung zum historischen Selbstverständnis der Bundesrepublik zwischen Entnazifizierung und Wiedervereinigung vorgeschlagen, drei
Ebenen der Analyse zu unterscheiden: Erstens die „empirische Ebene“ der handelnden Personen, zweitens eine „sprachlich-kulturelle
Ebene“, in der man sein Selbstverständnis formuliert, sowie drittens
eine (ebenfalls sprachliche) „reflexiv-gebrochene, diskursive Ebene“,
in der die Auseinandersetzung eben über dieses Selbstverständnis
stattfindet.8 Diese Ebenen, so Schilling, hätten natürlich Zonen der
Überschneidung, gleichwohl könnte man doch „hinreichend exakt“
entlang ihrer Grenzen differenzieren und „relativ genau“ bestimmen,
wie sie zusammenhängen und welche Befunde zu welcher Ebene gehörten. Ohne diesen Vorschlag nun im Einzelnen zu diskutieren – die
Anlage des Buches von Schilling unterscheidet sich von meinem in
vielen Punkten –, sei hier nur auf einen Aspekt verwiesen, der den
Unterschied in den Argumentationen aufzeigen kann: Auch die erste Ebene, also der Bereich, der bei Schilling als „empirisch“ bezeichnet wird und in dem Personen „handeln“ –, auch diese Ebene ist im
Falle der westdeutschen Historiker ja, analog zu den beiden anderen
von ihm genannten, „sprachlich-kulturelles“ Handeln, also Produktion von Texten, Sinnstiftungsprozesse über Worte und Begrifflichkeiten. Anders ausgedrückt: Die drei Ebenen Schillings fließen mit Blick
auf das kulturelle und diskursive Handeln von Historikern stärker
zusammen, sie lassen sich nicht leicht voneinander trennen und mein
Vorschlag ging dahin, einen Kontext gerade an der Stelle zu öffnen,
II. Geschichtszeit und Gedächtniszeit: Zur Auswahl der Quellen,
zur Fragestellung und zur Methode der Interpretation
Die Frage nach dem Kontext von Historiografiegeschichte ist wieder einmal aufgeworfen7 , hier am Beispiel des im Forum diskutierten Buches über die Deutungen und Interpretationen des Holocaust
durch deutsche Historiker. Erstens werde, so der Vorwurf, Historiografie als System verkannt, zweitens sei kein „sicherer Maßstab“
entwickelt worden, um den Stellenwert einzelner Forschungen des
Themas innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft zu situieren und drittens sei auch die Verankerung der deutschen Historiografie als „Teilsystem“ eines weiter zu denkenden kollektiven Gedächtnisses gescheitert – dies in etwa die Summe der Einwände, die
im Grundsätzlichen argumentieren (Longerich, Knoch). Da umgekehrt im Rahmen des Forums zugleich auch erkannt und anerkannt
wurde, dass der Versuch, die Kategorien „Erforschung“ und „Erinnerung“ zusammenzudenken, einen Kontextualisierungsversuch auf
der methodisch-theoretischen Ebene darstellt (Berger, Koonz), scheint
die Breite der Meinungen darüber, was Kontext sei und was Dekontextualisierung, weit auseinander zu gehen. Ist das Fach der Kontext
7 Vgl.
z.B. exemplarisch die Debatte neueren Datums zwischen Thomas Brechenmacher und Daniel Fulda in der Zeitschrift „Historisches Jahrbuch“: Brechenmacher, Thomas, Postmoderner Geschichtsdiskurs und Historiographiegeschichte. Kritische Bemerkungen mit Blick auf eine narrativistische Darstellung, in: HJb 119 (1999), S. 295306; Fulda, Daniel, Erschrieben oder aufgeschrieben? Zu einigen Problemen der aktuellen Historiographieforschung, in: HJb 120 (2000), S. 301-316. Die Auseinandersetzung
bezog sich auf Fulda, Daniel, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen
deutschen Geschichtsschreibung 1760-1860, Berlin 1996.
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8 Schilling, Konrad, Scheitern an der Vergangenheit. Das deutsche Selbstverständnis
zwischen Re-Education und Berliner Republik, Berlin 2002, S. 67ff.
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Nicolas Berg
Historiografiegeschichte und ihre Kontexte
wo nicht die Grenze zwischen ihnen betont wird, sondern die osmotischen Zonen des Überganges.
Deshalb basiert das Buch „Der Holocaust und die westdeutschen
Historiker – Erforschung und Erinnerung“ in dieser Perspektiven
sozusagen dreifach auf Sprache: „Lebenswelt“, „Kommunikation“
und „Reflexion“ sind am Beispiel der Geschichtswissenschaft Sprache hoch drei. Deshalb berücksichtigt es auch Bücher und Vorträge
über das Thema „Goethe und die Geschichte“, einen Band Erinnerungen über eine Kindheit in München vor 1914, eine Vorlesung über die
„Erlebnisgeschichte“ des deutschen Volkes seit 1911 und ein religionsphilosophische Reflexion über das Achte Gebot („Du sollst nicht
falsch Zeugnis ablegen“). Es wird eine Radioansprache zu Neujahr
1956 ebenso analysiert wie eine Gerichtsreportage über die Verhandlungen im Prozess gegen Adolf Eichmann, eine Gesamtdarstellung
„Deutsche Geschichte“, in welcher der Name Hitlers mit „H.“ abgekürzt wird ebenso wie Beiratsprotokolle, in denen die Arbeitsvorhaben eines zeithistorischen Forschungsinstituts diskutiert werden. Das
„close reading“ wird an Forschungsberichten über den deutschen Widerstand praktiziert, aber auch anhand von Briefen über Chancen von
Remigration und Neuanfang, Dokumentationsbände mit Exzerpten
aus Dissertationen deutscher Universitäten zwischen 1933-1945 werden ebenso berücksichtigt wie die Fachrezension, in der dieses Vorhaben als „Telefonbuch zur Fortführung der Entnazifizerung“ verhöhnt
wird. Interviews von Studenten zur Studienzeit der Lehrer ihrer Lehrer in der frühen Bundesrepublik bergen eine Fülle von Hinweisen
auf ideen-, mentalitäts- und historiografiegeschichtliche Details aus
der Zeit, wie Akademie-, Grab- und Gedenkreden – kurz: Die Quellen des Buches „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“
sind programmatisch weit gefasst. Einerseits galt es für die Arbeit
in historiografiegeschichtlicher Perspektive auch historische Bücher
als „normale“ Quellen zu lesen, als Texte demnach, die eine genaue
Analyse ihrer Argumentation, ihrer Struktur, ihrer Lücken und – vor
allem – ihrer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte benötigen. An-
dererseits aber waren die Informationen und Kenntnisse zum Nachdenken über den „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner), den die Durchführung des Völkermordes an den europäischen Juden bedeutet hat,
nicht nur aus den publizierten Forschungstextsorten, den Fachaufsätzen und zeitgeschichtlichen Monografien zu ziehen. Neben den
unpublizierten Archivalien weist das Literaturverzeichnis der Studie zehn Seiten mit Briefen, Briefwechseln, Memoiren, Erinnerungsinterviews und Tagebüchern aus – ein bisher eher als mindergültig
oder bestenfalls zweitrangig behandeltes Arsenal an partikularen Erinnerungen und allgemeinen Reflexionen, das zuvor noch kaum je
ernsthaft in die Holocaust-Debatten einbezogen worden war. Es mag
erstaunen, aber offensichtlich musste erst eine Studie mit dem Untertitel „Erforschung und Erinnerung“ konzipiert werden, um diesen
zumeist publizierten, aber brachliegenden Fundus auf die gesammelten wissenschaftlichen Untersuchungen zu beziehen, die zum Teil auf
den Schreibtischen derselben Akademiker und Intellektuellen entstanden sind.
Obwohl die Studie mit Artefakten individueller Erinnerung arbeitet und zugleich versucht, den sich wandelnden, kollektiven Rahmen
zu erkennen, in denen sie zu verschiedenen Zeiten Ausdruck des
Allgemeinen waren oder aber eben dieses Allgemeine veränderten,
kann ihr nicht entnommen werden, dass das Argumentieren mit der
Kategorie der Generation gleichbedeutend mit einer Erklärung sei.
Mit dem Geburtsjahrgang ist der lebensgeschichtliche Hintergrund
der jeweiligen Forschungsleistungen natürlich nicht einmal zur Hälfte erklärt. Aber es gibt eben sehr viele „historische“ Daten, die erst
im Rückblick und erst einer jüngeren Generation überhaupt ins Auge
fallen. In einem Radiofeature über Eberhard Jäckel sagte dieser, dass
es für ihn nach dem Krieg einen großen Impuls gab, aus Deutschland
wegzugehen – ganz und für immer. Dies ist wohl nicht verschriftlicht worden und damit dem Vergessen anheim gegeben, aber so etwas haben außer ihm auch gleichaltrige Kollegen geäußert, z.B. Gerhard A. Ritter an anderer Stelle. Die „Nach-45er-Dichotomie“ dieser
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Generation – entweder auswandern oder aber Historiker werden –
das erscheint mir z.B. als ein eminent „historisches“ Faktum, schwer
greifbar und interpretierbar, aber in solchen autobiografischen Äußerungen eben doch in den Blick zu bekommen und als Kontext für ein
solches Thema bedeutsam.9 Solche Art von Quellen wurden im Buch
„Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“ verwandt, wenn
natürlich nicht ausschließlich und deshalb entsprechend behutsam.
Doch in den vielen wenig beachteten Memoiren, in den spektakulären Interviews, die Rüdiger Hohls und Konrad H. Jarausch unter
dem sprechenden Titel „Versäumte Fragen“ gesammelt haben, auch
in dem eher unbemerkt gebliebenen Band von Hartmut Lehmann
und Gerhard Oexle mit dem Titel „Erinnerungsstücke – Wege in die
Vergangenheit“ von 1997, sind eine Menge Hinweise zum Selbstbild
und Selbstverständnis der Historiker enthalten, zur Auffassung über
die eigene Person und die gewählte Rolle als wissenschaftlicher Fachmann, sowie zum Verhältnis von „bedrängender“ Vergangenheit und
einer Gegenwart, die diesem Drängen gerecht zu werden hofft.10
Diese Auswahl der Quellenbasis hat bereits viel mit der These,
der Fragestellung und dem Erkenntnisinteresse zu tun. Diese liegen
vornehmlich im Schnittpunkt von Historiografie und Wissenschaftstheorie – zwei Bereiche, die in der Geschichtswissenschaft methodisch nicht so entfernt voneinander sind, wie manchmal behauptet
wird.11 Interesse und Fragestellung hatten ihren Schwerpunkt nicht
ausschließlich auf den einzelnen historiografischen Leistungen zum
Thema, denen sodann nur die Aura zu nehmen war, indem man auf
schlichte Weise das wissenschaftliche Werk und die private Person
konfrontiert – mit einer beide Bereiche verrechnenden Bilanz. Ein solches Verfahren wird man im Buch aber nicht finden. Das Interesse
bezog sich auch nicht auf ein privat verstandenes individuelles Gedächtnis, zu welchem der Zugang ja vielfältig verstellt ist. Schwerpunkt des Interesses war vielmehr das Spannungsverhältnis beider –
das epistemologische Problem, dass das Gedächtnis und seine Zeitlogik des Rückblicks und die wissenschaftliche Erforschung, die der
genealogischen Ordnung der Geschichtszeit verpflichtet bleibt, nicht
willentlich voneinander zu separieren sind. Das Buch hat deshalb
bis in die Gliederung der Kapitel hinein systematisch den synchronen und den diachronen Ansatz stets gleichgewichtig verhandelt, Geschichtszeit und den Aspekt der Chronologie dabei ebenso beachtend
wie Gedächtniszeit, mit ihrem Eigensinn. Es interessierte die Selbstwahrnehmung der Historikerakteure und Geschichtsinterpreten und
das, was der einzelne hierbei und auf wissenschaftlichem Wege für
Erkenntnisse gewonnen hat – und wie er beides aufeinander bezogen
hat. Es interessierte die Definition von Themen – und die Abgrenzungen zu von anderen formulierten Interessen an der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Selbstwahrnehmung in Deutschland nach
1945 und das reale Verhalten zuvor differierten so stark voneinander,
dass dies in die historischen Interpretationen der Historiker insgesamt eingegangen ist. „Ich weiß“, so schrieb Peter de Mendelssohn
1949 in seinen „Gegenstrahlungen“, einem „Tagebuch zu Ernst Jüngers Tagebuch“ – „ich weiß. Es ‚gehört sich nicht’, einen Autor gegen
sich selbst zu zitieren. Man darf sich irren, darf sich täuschen. Man
darf sogar die eigenen Gedankenspuren verwischen, wenn es gilt, einem intellektuellen Inferno zu entkommen. Auch das darf man. Aber
darf man stillschweigend unterstellen, die Fußtapfen stammten von
einem anderen, der zufällig den nämlichen Weg gegangen?“12 Diese
9 Vgl. die Überlegungen zu den von ihm so genannten „45ern“ bei Moses, Dirk,
The Forty-Fivers. A Generation Between Fascism and Democracy, in: German Politics
and Society 50 (1999), S. 95-127; aufschlussreich auch: Bude, Heinz, Generationen im
20. Jahrhundert. Historische Einschnitte, ideologische Kehrtwendungen, innere Widersprüche, in: Merkur 54 (2000), S. 567-579.
10 Berg, Nicolas, Zwischen individuellem und historiographischem Gedächtnis: Der
Nationalsozialismus in Autobiographien deutscher Historiker nach 1945, in: BIOS.
Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 13.2 (2000), S. 181-207; Lehmann,
Hartmut; Oexle, Otto Gerhard (Hgg.), Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit,
Rudolf Vierhaus zum 75. Geburtstag, Köln 1997; Hohls, Rüdiger; Jarausch, Konrad H.
(Hgg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus,
Stuttgart 2000.
11 Im Anschluss an: Kiesewetter, Hubert, Geschichtswissenschaft und Erkenntnistheorie, in: ZfG 43 (1995), S. 581-613, bes. S. 612.
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Mendelssohn, Peter, Gegenstrahlungen. Ein Tagebuch zu Ernst Jüngers Tage-
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provokante Frage brachte die deutschen Verhältnisse nach dem Krieg
auf den Punkt. Hier lautete die Frage aber umgekehrt: „Haben wir
etwas getan, oder ist etwas mit uns geschehen?“ – das war es, was
man im Jahrzehnt nach dem Kriegsende zu beantworten hatte.13 Dabei antwortete man allerdings zumeist nicht auf den ersten, sondern
auf den zweiten Teil der Frage. Während Max Weinreich in Amerika bereits 1946 ein Buch über „Hitler´s Professors“ vorgelegt hatte,
welches den intellektuellen Anteil der akademischen Elite an der Vernichtung der europäischen Juden thematisierte und das in Deutschland bis heute nicht übersetzt wurde, sollte es bei den deutschen Historikern noch Jahre und Jahrzehnte dauern, bis sie sich zur unvoreingenommenen Erforschung der eigenen Rolle im „Dritten Reich“
bereit fanden.14
Ich bin davon überzeugt, dass die vielkommentierte Kontroverse zwischen Joseph Wulf und Martin Broszat in den 60er-Jahren weniger auf dem Gebiet des Streitgegenstandes als vielmehr auf dem
Feld der Historiografiegeschichte spektakulär ist, und eben hier verdient die Auseinandersetzung auch eine besondere Aufmerksamkeit.
Wir erfahren in diesem Streitfall nicht nur etwas über die beteiligten
Kontrahenten, sondern durch den Streit wird auch ein Fenster auf die
Geschichtswissenschaft im Deutschland der 60er-Jahre und auf die
Mentalität der in ihr tätigen Akteure geöffnet. Noch einmal anders
formuliert: Die Historisierung der Erforschung des Nationalsozialismus kann nicht anders, als auf die Historizität der an ihr beteiligten
Personen einzugehen; also auf das, was man gemeinhin den „lebensgeschichtlichen Hintergrund“ bezeichnet. Die Zeitgebundenheit, die
den Forschungen vorausliegenden Fragen, Grundimpulsen und Annahmen, der Rahmen, innerhalb dessen das Interesse sich entwickelt,
die Horizonte der Gesellschaft und der Wissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt – all das ist Kontext einer solchen Fragestellung.
Will man das Lebenswerk von Joseph Wulf in die Fachdiskussion
zurückholen, kann das nicht anders als „historisch“ geschehen, denn
erst aus dem Zeitabstand wird deutlich, dass große Teile der modernen Holocaustforschung hier eine Instanz haben, die sie zuvor nur
nicht kannten. Wulf ist insofern nicht einfach nachträglich „recht“
zu geben, aber er sollte auch nicht erneut und vorschnell aus dem
Fachkontext vertrieben werden, indem man ihn heute auf eine Weise erinnert, die schon seinerzeit seiner Marginalisierung durch Helmut Krausnick und Martin Broszat Vorschub geleistet haben, nämlich als bloß „Betroffenen“, allein als Überlebenden des „Dritten Reiches“, also als Opfer. In die Fachdiskussion hineinholen – das hieße zu zeigen, dass er als Zeitzeuge, Überlebender oder Opfer nicht
notwendig unschärfer argumentierte als seine nichtjüdischen Historikerkollegen, die nicht in Auschwitz inhaftiert waren. Wenn meine
Interpretation nicht fehl geht, ist hier der Grund dafür zu suchen,
dass er es wo immer möglich vermieden hat, im Namen der Erinnerung gegen die fachwissenschaftliche Forschung eines nichtjüdischen
deutschen Historikers zu reklamieren. Joseph Wulf „historisch“ zu
verstehen, heißt aufzeigen, dass er seine Argumente aus der Faktizität der Vorgänge im Warschauer Ghetto selbst ableitete und dies mit
Dokumenten, mit historischen Argumenten und mit dem erforsch-
buch, in: Der Monat 2 (1949), S. 149-174.
13 Mohr, Heinrich, Die Schuldfrage im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg, in:
GWU 5 (1954), S. 282-297, Zitat S. 292.
14 Weinreich, Max, Hitler´s Professors. The Part of Scholarship in Germany´s Crimes
against the Jewish People, New York 1946 (Neuauflage in engl. 1999); vgl. zum Stand
der jüngeren Diskussion v.a.: Schöttler, Peter (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt am Main 1997; Schulze, Winfried; Oexle, Otto G. (Hgg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1998.
Anhand dieser beiden Sammelbände lohnt sich vielleicht eine kurze Bemerkung zu
den mitunter rätselhaften Konjunkturen des öffentlichen Interesses. Während die Sektion zur deutschen Geschichtswissenschaft auf dem Leipziger Historikertag von 1994,
in welcher vier der Beiträge aus dem Band von Schöttler vorgetragen wurden, wenig
wahrgenommen wurde und ohne nennenswerte publizistische Resonanz blieb, entwickelte sich die entsprechende Sektion auf dem Historikertag in Frankfurt am Main, die
zur Grundlage des Bandes von Schulze und Oexle wurde, vier Jahre später zu einer
wochenlangen Dauerdebatte in den bundesdeutschen Feuilletons. Ein paar Nachweise
dieses Echos verzeichnet Lerchenmueller, Joachim, Die Geschichtswissenschaft in den
Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“, Bonn 2001, S. 8f.
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ten Kenntnisstand des Faches „Geschichte“ belegte. Deswegen und
vor dem Hintergrund einer sich gegenwärtig polarisierenden Diskussion ist es eben nicht allein der moralischen Fairness, sondern
primär der historischen Genauigkeit geschuldet, wenn man betont,
dass Joseph Wulf nicht mit „Erinnerung“ gegen „Erforschung“ plädiert hat, sondern mit „Erforschung“ gegen „Erforschung“ argumentierte. Wenn also der Streitfall zwischen Wulf und Broszat etwas Exemplarisches aufweist – dann hier und nicht durch die Tatsache der
NSDAP-Mitgliedschaft von Broszat oder durch den später erfolgten
Suizid von Wulf, auch wenn dies beides historische Fakten sind, die
unsere Erklärungsbemühungen weiter auf sich ziehen müssen.
Eine gedächtnisgeschichtliche Methode vermag solche wichtigen Distinktionen leichter zu analysieren als „reine“ Historiografiegeschichte. Geschichtswissenschaft steht in einem gesellschaftlichen
und erinnerungspolitischen Kontext – die Arbeit vernachlässigt parallele Entwicklungen in Politik, Kultur oder Öffentlichkeit, betont
aber den Aspekt der Rezeption eines Ereignisses aus dem Grunde,
da sie an der Funktionalisierung von bestimmten Ansichten zu Gunsten und Ungunsten anderer interessiert ist. Eine gedächtnisgeschichtlich angeleitete Re-Lektüre von historiografischen (aber auch literarischen, publizistischen und politischen) Texten verspricht Erkenntnis,
weil damit auch in den kreisförmigen Vermeidungsbewegungen des
Nicht-Aussprechens, des Andeutens oder des Verallgemeinerns und
Relativierens der „Kern“ des Umgangs mit den Massenverbrechen
des Nationalsozialismus, nämlich die Vernichtung der Juden, „sichtbar“ gemacht werden kann. Die Gedächtnistheorie der letzten Jahre
hat diesen direkten Zusammenhang von „Erinnerung“ und „Vergessen“ stark betont, aber man kann dies nicht nur theoretisch argumentieren, sondern eben auch an den Texten selbst zeigen. Ein solcher
historischer Blick (von heute aus) auf den historischen Blick von Gestern, also auf die Forschung und ihr „Vergessenes“, ist an die Perspektive ex post gebunden. Das ist jedoch nicht anders zu haben, und wie
jedes andere Ereignis in der Vergangenheit ist auch die Geschichte
der Geschichtswissenschaft eine bestimmte Art von Ereignis und somit der Erforschung wert. Aber der Blick darf, hier gebe ich vorsichtigen Einwänden wie denen von Norbert Frei völlig recht, keinerlei
Häme in sich tragen, so er sich nicht selbst dementieren möchte15 , da
man sich nicht herausnehmen kann aus der Tatsache, dass es blinde
Flecken der eigenen Sichtweise gibt, die andere bemerken und korrigieren oder ergänzen. Das aber gleichsam in einem Buch leisten zu
müssen, kann nicht ernsthaft die zentrale Forderung der Kritik sein.
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III. Zusammenfassung: Von moralischen und anderen Argumenten
– die problematische Seiten der bisherigen Rezeption
Die Rezeption des Buches „Der Holocaust und die westdeutschen
Historiker – Erforschung und Erinnerung“ seit Mai 2003 hat aus meiner Sicht bisher drei markante Tendenzen offenbart, die im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden sollen. Zum einen ist das
überaus große Interesse an Buch und Thema selbst eine Art von „Datum“, das jede Erwartung übertrifft und nicht zu selbstverständlich
genommen werden sollte. Die vielen ausführlichen Rezensionen, die
engagierten Widersprüche und kritischen Einwürfe gegen einzelne
Thesen, die vielen Einladungen zu Vorträgen und Diskussionen und
nicht zuletzt auch der Dank, der den Verfasser in persönlichen Briefen
erreicht hat – all das verweist auf eine besondere gegenwärtige Atmosphäre, die sich in der Diskussion um das Buch, vielleicht auch bereits
im Buch selbst verdichtet hat. Eine solche breit gestreute Aufmerksamkeit von Beginn an kann dabei natürlich auf sehr verschiedene
Art und Weise gedeutet werden, z.B. mit der besonders „geschickten“
Vorabveröffentlichung der Broszat-Wulf-Kontroverse in der „Süddeutschen Zeitung“16 im Speziellen (Eckert) oder mit dem Nachwirken des Goldhagen-Phänomens und den Dynamiken der Medialisie15 Frei, Norbert, Diskussionsbemerkung, in: Beschweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Göttingen 2001, S. 150.
16 Berg, Nicolas, Die Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit. Subjektive jüdische
Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung? Joseph Wulf, Martin Broszat und das Institut für Zeitgeschichte in den sechziger Jahren, in: Süddeutsche Zeitung (München), Nr. 163, 17. Juli 2002.
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rung im zeithistorischen Diskurs im Allgemeinen (Knoch). Solche Interpretationen erscheinen aber den diversen, oben geschilderten Phänomenen kaum angemessen und sie sind auch deshalb nicht realistisch, weil es keine Sache der Intention allein ist, die schmale Ressource Aufmerksamkeit auf ein Buch zu lenken; ein solcher Ansatz
überschätzt zumal die Möglichkeiten, die einem hierfür zur Verfügung stehen. Meines Erachtens verhält es sich genau umgekehrt. Anstatt eine Rezeptions-„Lenkung“ zu unterstellen und damit das gesamte Projekt zu diskreditieren, ist das reale und weit verbreitete Unbehagen an den diversen Holocaustdebatten, die nur noch in dritter
Ableitung und als „Meta-Metadiskurse“ fortgesetzt zu werden scheinen, eine viel bessere Erklärung. Das Interesse rührt offensichtlich
eher daher, dass aus diesen miteinander verschraubten und zunehmend essentialisierten Interpretations-Modellen, verhärteten Standpunkten und Deutungshegemonien, ein genuin historischer Ausweg
gefunden werden musste, der die Debatten selbst historisch zu verstehen sucht.
Eine zweite Tendenz, eng mit dem ersten Punkt zusammenhängend, scheint darin zu liegen, dass die Aufmerksamkeit selbst ein Argument in der Kritik am Buch wird, und dass darüber hinaus die formulierten Einwände mitunter fundamentalistische Argumente enthalten haben, die vor allem deshalb irritieren, weil auf den Zuruf,
man möge ein ganz und gar anderes Buch geschrieben haben, natürlich gar nicht adäquat reagieren werden kann. So wird auch der
immer wieder vorgebrachte Vorwurf, es fehle der Arbeit an „Kontext“, sie sei in ihrer Fragestellung „retrospektiv“, mithin also „unhistorisch“, „meinungsfreudig“ und apodiktisch angelegt, dem Anliegen des Projekts nicht gerecht. Dieser Habitus des Grundsätzlichen in
den Entgegnungen, sehr oft gemischt mit Spekulationen über die Motive des Verfassers, münden zumeist wie von selbst in dem Fazit, der
Autor sei „moralisch“, bzw. urteile mit der moralischen Elle des Spätgeborenen. Damit setzt ein Teil der Rezeption unbewusst in bemerkenswerter Weise eine Konstellation fort, die Teil der Thematik des
Buches ist und wo dies bemerkt wurde, wird es als „zirkulärer“ Trick
des Verfassers gedeutet, der hiermit schon im Text einer zukünftigen
Kritik vorgebaut habe. Die These aber, dass nämlich die deutsche Holocaustforschung über Jahrzehnte einen Diskurs ausgebildet hat, in
welchem jüdische Historiker in einen speziellen SelbstlegitimierungsZwang genötigt wurden, wurde im Ganzen noch nicht ebenso intensiv wahrgenommen – und dies trotz der im Buch umfangreich dokumentierten Materialbasis. Vielmehr ist zu bemerken, dass weite Teile
der Kritik sich an einzelnen Detailbefunden aufgehalten hat, z.B. der
Frage der Parteimitgliedschaft von Martin Broszat oder an der Frage, wie gerecht die Kritik der Balance von „intentionalistischem“ und
„strukturalistischem“ Deutungsmodell geworden sei17 und dabei zugleich im Ganzen den guten Willen der jeweiligen Historiker nach
1945 als ausschlaggebendes Argument vorbrachte, ganz so, als wäre
es das Ziel oder der Gegenstand des Buches, diesen in Abrede stellen
zu wollen. Hier ging es aber nicht um das wie immer zu gewichtende aufrichtige Bemühen der einzelnen Personen, die durch die Studie ja überhaupt nicht unterschlagen wird (sei dies am Beispiel von
Friedrich Meinecke, von Hermann Heimpel oder von Martin Broszat), Institutionen (das „Institut für Zeitgeschichte“ in München) oder
gar ganzen Generationen, sondern es ging um deren jeweilige epistemologische Perspektive auf das Ereignis selbst, so, wie es sich in
den Büchern und Arbeiten niedergeschlagen hat. Der entscheidende
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17 Vgl. zur Frage der Parteimitgliedschaft im Allgemeinen die folgende, selten zitierte Textsammlung: War ich ein Nazi? Politik – Anfechtung des Gewissens. Mit Beiträgen von Joachim Günther, Hans Egon Holthusen, Hans Hellmut Kirst, Rudolf KrämerBadoni, Alexander Lernet-Holenia, Jens Rehn, Heinz Winfried Sabais, Hermann Stahl,
Wolfgang Weyrauch und mit einer Anleitung für den Leser von Ludwig Marcuse,
München 1968; was diese Diskussion auch immer für „Blüten“ treiben wird – bisher
stehen sie noch mehrheitlich in der Tradition dieser Textsammlung. Dass das „Internationale Germanistenlexikon“ fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt dieser Angaben in die Diskussion gerückt wurde, ist ihm nicht anzulasten. Was man ihm noch
entnehmen kann, zeigt Hans-Harald Müller „Veranschaulichung“, die er am Beispiel
des Emigranten Bernhard Blume exemplifiziert, vgl.: Müller, Hans-Harald, Ein Magazin voller Geschichten zur deutschen Philologie. Das „Internationale Germanistenlexikon“ und das Leben. Eine Veranschaulichung, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 50, 1. März
2004, S. 14.
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Punkt liegt aber dort, wo die Methode der „Gedächtnisgeschichte“
nicht nur zu der ein oder anderen Revision einzelner Ansichten, sondern auch zu theoretischen Implikationen insgesamt nötigen würde
– aber eben dies ist bisher ausgeblieben. Der Standort dessen, der als
Zeithistoriker die Rolle derer, die das Sprechen über den Holocaust
steuern, einnimmt, ist mehr als bisher geschehen, in die Historiografie zum Thema einzubeziehen. Die deutsche Zeitgeschichtsforschung
hat – unabhängig von ihren jeweiligen Akteuren – beim Thema Holocaust die eigenen (nichtjüdischen, deutschen) Erinnerungen an die
NS-Zeit ebenso unterschlagen wie das Gedächtnis jüdischer Überlebender. Die Tendenz, die Gleichung zu hypostasieren, dass Juden
subjektiv und lediglich moralisch urteilten, da sie „nahe“ der Thematik ständen und ihr Blick von (generös zugestandener „berechtigter“)
Trauer begrenzt werde, während die deutsche zeithistorische Fachwissenschaft objektiv verfahre und deshalb „harte“ Erkenntnisse produziere, also nicht „Gedächtnis“, sondern „Geschichte“ repräsentiere
– diese erkenntnistheoretisch fatale Diskursdichotomie, die noch weit
hinein bis in die 80er-Jahre als Regel bezeichnet werden kann, wurde
im Buch erstmals umfassend historisch dargestellt, kontextualisiert
und – als Diskursfalle – kritisiert.
Wenn nun, und dies ist der abschließende, dritte Punkt, auf den
zu kommen nicht ausbleiben kann, die Rezeption eines Buches, das
die Differenz zwischen jüdischen und nichtjüdischen Erfahrungskontexten in historiografischen Texten aufzusuchen sich bemüht hat, sich
nun im Jahre 2003 und 2004 selbst in eine jüdische und eine nichtjüdische aufzuspalten droht, dann wäre im Grunde genommen die
Grundthese der Arbeit bestätigt, das Buch selbst indes widerlegt worden. Ich bin hingegen der Auffassung, dass wir auf intellektuellem
Wege zu Erkenntnis- und Reflexionsfortschritten gelangen können,
also nicht in vergangenen Rahmen kollektiver Gedächtnisse verbleiben müssen, wenn wir uns das Nachdenken über eben jene Rahmungen, von den Maurice Halbwachs gesprochen hat, als Thema gewählt
haben. Da nichtjüdische Zeithistoriker bisher sehr stark „das Morali-
sche“ des Ansatzes betonen, die These als „übers Ziel hinausgeschossen“ wahrnehmen, „Übertreibungen“ und „Einseitigkeiten“ vermuten, ist allerdings die Sorge nicht gering, dass eine solche Rezeption das historisch kontextualisiert präsentierte Material nicht in die
Diskussion hineinzuholen gewillt ist. Die Diskussion selbst ist dann
zwar üppig gewesen – und somit gäbe es auch keinen Grund, sich
zu beklagen – aber die Belege aus den Quellen wären dann auf der
Strecke geblieben, und das Profil, mit welchem erkennbar zwischen
der Grundthese und den Nebenaspekten unterschieden würde, verwischt. Vielleicht bräuchte es hierfür weniger die Spezialisten für das
„Dritte Reich“, den Nationalsozialismus oder den Holocaust, sondern
eher Historiografie-Historiker mit Interesse an Methodenwahl und
theoretischen Prämissen oder auch Kommentare aus den Literaturund Kulturwissenschaften?
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Nicolas Berg studierte Geschichte, Germanistik und Slavistik in Freiburg im Breisgau und arbeitet seit 2001 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur
in Leipzig. Er ist Mitherausgeber des Bandes »Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst« (München 1996).
Schwerpunkte seiner Arbeit sind allgemeine Historiografie- und Wissenschaftsgeschichte, deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20.
Jahrhundert und Probleme der Geschichtskultur und Gedächtnisgeschichte. Derzeit arbeitet er an einer Untersuchung zu Herkunft, Semantik und Wandel der Metapher vom jüdischen „Luftmenschen“.
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