Academia.eduAcademia.edu
Historisches Forum ist eine Reihe von Themenheften des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten historischen Fachportals Clio-online (http://www.clio-online.de) und seiner Kooperationspartner. Die Reihe bündelt ausgesuchte Beiträge geschichtswissenschaftlicher Online-Foren und herausragende Artikel, Debattenbeiträge, Kontroversen und Berichte zu ausgewählten historischen Fragestellungen. Sie erscheint in Kooperation mit den Verbundpartnern von Clio-online und der Humboldt-Universität zu Berlin. Jedes Heft wird von einem oder mehreren Herausgebern redaktionell betreut und enthält außer einer Einführung in das Thema auch ergänzende Verweise auf die Forschungsliteratur und andere Informationsquellen zum Thema. Die Veröffentlichung erfolgt über den Dokumenten- und Publikationsserver der HUB: http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/. [Historisches Forum] Historisches Forum. - Berlin: Berlin: Clio-online und Humboldt-Universität zu Berlin Gesamttitel: Veröffentlichungen von Clio-online, Nr. 2 ISSN: 1612-5940 Erscheinungsweise: ca. 3-4 Hefte pro Jahr. Bd. 2: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Eine Debatte / hrsg. für H-Soz-u-Kult von Astrid M. Eckert und Vera Ziegeldorf / (Historisches Forum: Bd. 2) - Berlin: Clio-online und Humboldt-Universität zu Berlin, 2004 ISBN: 3-86004-177-0 Dieses Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Es unterliegt den Nutzungsbedingungen des Dokumenten- und Publikationsservers der Humboldt-Universität Berlin (http://edoc.hu-berlin.de). Es darf und soll zu wissenschaftlichen Zwecken und zum Eigengebrauch kopiert und ausgedruckt werden. Die weiteren Rechte an den einzelnen Texten verbleiben bei den Autoren. Jede kommerzielle Nutzung der Dokumente, auch von Teilen und Auszügen, ist ohne vorherige Zustimmung und Absprache mit den Serverbetreibern und den redaktionell verantwortlichen Herausgebern ausdrücklich verboten. Redaktionsschluss und letzte Überprüfung der Internet-Adressen: 15.08.2004 Geschäftsführende Herausgeber: Rüdiger Hohls – Wilfried Nippel in Verbindung mit Clio-online (Max Vögler), H-Soz-u-Kult (Karsten Borgmann – Vera Ziegeldorf) und Zeitgeschichte-online (Jürgen Danyel – JanHolger Kirsch). Technische Leitung: Daniel Burckhardt Verantwortliche Redakteure und Herausgeber für dieses Heft: Astrid M. Eckert Research Fellow German Historical Institute 1607 New Hampshire Avenue NW Washington, D. C., 20009-2562 Telefon: ++1-(202) 387 3355, ext. 150 E-Mail: eckert@ghi-dc.org Vera Ziegeldorf H-Soz-u-Kult Redaktion Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften Unter den Linden 6 D-10099 Berlin Telefon: ++49-(0)30/2093-2541 E-Mail: hsk.redaktion@geschichte.hu-berlin.de Umschlaggestaltung: Christina Dicke Bildnachweis: Kollage bestehend aus: (links) Aktenregale im Berlin Document Center. Kein Datum, (Photo freigegeben im April 1948) – National Archives, Still Picture Branch, Army Signal Corps (SC), 111-SC 299469. (rechts) Vorsortierte deutsche Beuteakten in der Captured Records Section der Departmental Records Branch in Alexandria, Virginia. Kein Datum, ca. 1950 – National Archives, Still Picture Branch, Bestand 64D, Bild 64-D-3-14. © 2004 Clio-online Historisches Forum Historisches Forum 2 · 2004 Veröffentlichungen von Clio-online, Nr. 2 ISSN: 1612-5940 Der Holocaust und die westdeutschen Historiker Eine Debatte Herausgegeben für H-Soz-u-Kult von Astrid M. Eckert und Vera Ziegeldorf H|Soz|u|Kult c Humanities. Sozial- und Kulturgeschichte http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/ ISBN: 3-86004-177-0 Astrid M. Eckert Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Longerich Schwierigkeiten mit dem Holocaust . . . . . . . . . . . Stefan Berger Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der Historiografiegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Ian Kershaw Beware the moral high ground . . . . . . . . . . . . . . Claudia Koonz Revisionist or Denkmalstürzer? . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard L. Weinberg Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Comments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alan Steinweis West German Zeitgeschichte and the Holocaust. The Importance of an International Context . . . . . . . . . . . Hanno Loewy Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus. Zu Nicolas Bergs fulminanter Historisierung der Historisierer . . . . . . . . . . . . . . . . . Habbo Knoch Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe. Zur Debatte um die Täternähe der „kritischen Zeitgeschichte“ . . . . . . . . Robert P. Ericksen Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte. Zur Kritik an ’Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung’ . . . . . . . . . . . . . . . 1 9 15 25 33 41 47 53 65 79 87 Editorial Editorial Die Erforschung der westdeutschen Zeitgeschichtsforschung und ihrer wichtigsten Protagonisten schreitet voran und bewahrheitet dabei unbeabsichtigterweise die Fels gewordene Definition von Hans Rothfels von der Zeitgeschichte als „Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung“. Denn einige der Träger der bundesdeutschen Zeitgeschichtsforschung vor allem der Sechziger und Siebziger-Jahre erleben noch mit, wie sie und ihre vormaligen Kollegen in den historisierenden Blick geraten. Man kann durchaus Verständnis dafür aufbringen, dass bei denen, die es bisher gewohnt waren, geschichtliche Fragestellungen zu entwickeln, Forschungsprojekte zu entwerfen und Quellen auszuwerten, ein gewisses Unwohlsein dabei aufkommt, plötzlich selbst zum Objekt wissenschaftlicher, konkret: historiografischer Fragestellungen zu werden. Ihre öffentliche Reaktion auf neue Studien zur Zeitgeschichtsforschung, vielleicht sogar ein Schlagabtausch, sind damit eigentlich schon programmiert. Denn auch das ist ein Signum der Zeitgeschichte: die „Einspruchsmöglichkeit der Zeitgenossen“.1 Allerdings ist es nicht sehr tiefsinnig, die beginnende Historisierung der Zeitgeschichte als die Versuche „aufstrebender Nachwuchshistoriker“ abzutun, möglichst viel „Aufsehen“ zu erregen und sich als „zornige Denkmalstürzer“ zu präsentieren.2 Es sei denn, man betrachtet Denkmäler als heilig und unantastbar; oder hält es noch mit Gerhard Ritter und bedauert „die Neigung der jüngsten Generation, sich vorzugsweise mit der Geschichte 1 Zitat bei Frei, Norbert, Abschied von den Zeitgenossen. Erbantritt – Nationalsozialismus und Holocaust im Generationenwechsel, in: Süddeutsche Zeitung, 09.09.2000, S. 18; ausführlicher , in: Ders., Abschied von der Zeitgenossenschaft. Der Nationalsozialismus und seine Erforschung auf dem Weg in die Geschichte, in: WerkstattGeschichte 20 (1998), S. 69-83. 2 Blasius, Rainer, Keiner wäscht weißer. Ja, nein, weiß nicht: Der Disput um den Historiker Martin Broszat, in: FAZ Nr. 219, 20.09.2003, S.35: „Wie erregt ein aufstrebender Nachwuchshistoriker heutzutage das meiste Aufsehen? Indem er sich als zorniger Denkmalstürzer präsentiert.“ 1 der Geschichtsschreibung statt mit der Geschichte selbst zu beschäftigen“.3 Spätestens der viel zitierte Frankfurter Historikertag von 1998 hat allerdings verdeutlicht, dass der Geschichtswissenschaft nicht viel anderes übrig bleibt, als sich auch mit sich selbst zu beschäftigen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit erhalten will. Besonders die „Historiker der Bundesrepublik“, wie Paul Nolte die „lange Generation“ der um 1930 Geborenen bezeichnete, haben immer wieder die Rolle von „public intellectuals“ übernommen und sich mit fachlicher und moralischer Autorität in die Kontroversen um die deutsche Vergangenheit eingemischt bzw. diese mit getragen.4 Aus dieser „langen Generation“ stammten während der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik auch die Hauptinterpreten der Geschichte des Nationalsozialismus. Angesichts der zentralen Rolle, die die Deutung und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und dem Holocaust für die Legitimierung der Bundesrepublik und die Ausformung ihrer politischen Kultur spiel(t)en, ist es nur nahe liegend, dass diese „public intellectuals“ im Gegenzug irgendwann einmal nach den Quellen sowohl der fachlichen als auch der moralischen Autorität gefragt werden würden. Auf den generationellen Impetus dieser Fragen und den sich in ihnen manifestierenden fachlichen Generationswechsel ist bereits mehrfach hingewiesen worden.5 3 Gerhard Ritter an Hermann Heimpel, 20.11.1951, zit. nach Schumann, Peter, Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 399-415, hier S. 415. 4 Nolte, Paul, Die Historiker der Bundesrepublik. Rückblick auf eine „lange Generation“, in: Merkur 53:5 (1999), S. 413-432. Vgl. auch Jessen, Ralph, Zeithistoriker im Konfliktfeld der Vergangenheitspolitik, in: Jarausch, Konrad; Sabrow, Martin (Hgg.), Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt am Main 2002, S. 153-175, hier S. 168f. Jessen weist auch darauf hin, dass die westdeutschen Historiker in der öffentlichen Auseinandersetzung zu keinem Zeitpunkt ein Deutungsmonopol zu zeithistorischen Themen für sich beanspruchen konnten. 5 Frei, Zeitgenossenschaft (wie Anm. 1); Nolte (wie Anm. 4); Leggewie, Claus, Mitleid mit Doktorvätern oder: Wissenschaftsgeschichte in Biographien, in: Merkur 53:5 (1999), S. 433-444. Seine Reaktion auf das Buch von Nicolas Berg eröffnet Hans Mommsen mit einem Hinweis auf die sich derzeit vollziehende generationelle „Wachablö- 2 Astrid M. Eckert Editorial Es kann also wenig überraschen, dass ein Buch, das diese Aspekte verbindet – historiografische Fragen zur Zeitgeschichte nach 1945 und ihren Trägern, und zwar konkret zur Holocaustforschung – sich merklich auf den unmittelbaren Bekanntheitsgrad des Verfassers und günstig für den, naturgemäß, an Auflagen und Verkauf interessierten Verlag auswirken würde. Im vergangenen Jahr erschien die Studie von Nicolas Berg (Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003), die genau diesen Schritt vollzog. Eine öffentliche Reaktion auf das Buch war schon allein aufgrund des sensiblen Themas zu erwarten. Allerdings muss man die publizistische Reaktion nicht als einen „objektiven Vorgang“ betrachten, der einem solchen Buch einfach „passiert“. Berg hat sich nicht nur in ein „emotionales und intellektuelles Minenfeld“6 begeben, er hat die kontroverse Rezeption seines Buches auch mit angelegt. Denn mitverantwortlich für die zum Teil gereizte Aufnahme der Studie war ein Artikel Bergs in der Süddeutschen Zeitung vom Juli 2002.7 Der Artikel fasst die Auseinandersetzung zwischen dem Mitarbeiter und späteren Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, und dem jüdischen Historiker und AuschwitzÜberlebenden, Joseph Wulf, über dessen mehrbändige Dokumentation zum Holocaust von 1960 zusammen. Dabei teilte Berg unter anderem die bis dahin nicht bekannte Tatsache mit, dass Broszat am 20. April 1944 im Alter von 18 Jahren der NSDAP beigetreten war. Nach allen Regeln der Marketing-Kunst war damit dem Lesepublikum ein „teaser“ präsentiert worden, der vom Buch Skandalöses erwarten ließ. Das Skandalon – die Parteimitgliedschaft Broszats – erscheint in Bergs Buch dann auf Seite 420 auf anderthalb Zeilen und eine Fußnote reduziert. Trotzdem hat dieses Faktum der Rezeption des Buches zumindest in der Presse die Richtung vorgegeben, die streckenweise den Eindruck vermittelte, als sei eine Studie zur Geschichte des Instituts für Zeitgeschichte erschienen. Der Historiker Norbert Frei reagierte als erster auf das Buch und beschäftigte sich näher mit der Parteimitgliedschaft Martin Broszats.8 Dabei ging er auf die von Berg nicht weiter recherchierten Umstände des Parteieintritts ein, zum Beispiel die Auffälligkeit des Eintrittsdatums und die Hintergründe des Aufnahmeverfahrens für HJMitglieder. Im Zentrum stand die Frage, ob Broszat je von seiner Mitgliedschaft erfuhr und sie entsprechend absichtlich verschweigen konnte, wie Berg schon in seinem Zeitungsartikel behauptet hatte. Die Fragen zur Biografie Broszats amalgamierten sich mit der kurz darauf einsetzenden Diskussion um die Parteimitgliedschaft führender Germanisten, die seitdem einige Blüten treibt.9 Bei der Gelegenheit sprang noch einmal ins Auge, dass selbst eine angeblich „durchforschte“ Epoche wie der Nationalsozialismus – und hier ein so zentraler Aspekt wie die historische Entwicklung des Aufnahmeverfahrens der NSDAP – eben nicht vollständig wissenschaftlich erschlossen ist und in ihren empirischen Details problemlos abrufbar wäre.10 sung“: Täter und Opfer – ein Streit um die Historiker, in: Die Welt, 13.09.2003. 6 Aschheim, Steven E., Archetypen und der deutsch-jüdische Dialog. Erwägungen zur Goldhagen-Kontroverse, in: Heil, Johannes; Erb, Rainer (Hgg.), Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt am Main 1998, S. 184-201, hier S. 185. 7 Berg, Nicolas, Die Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit. Subjektive jüdische Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung in den sechziger Jahren, in: Süddeutsche Zeitung, 17.07.2002. 3 8 Frei, Norbert, Mitläufergeschichten? Heute erscheint Nicolas Bergs Studie über die NS-Deutungen deutscher Zeithistoriker, in: Süddeutsche Zeitung, 08.05.2003, S. 16; Ders., Hitler-Junge, Jahrgang 1926. Hat der Historiker Martin Broszat seine NSDAPMitgliedschaft verschwiegen - oder hat er nichts davon gewußt?, in: DIE ZEIT Nr. 38, 11.09.2003. Ein erster Einwurf zum Thema von Longerich, Peter, Der Fall Martin Broszat, in: DIE ZEIT Nr. 34, 14.08.2003, S. 38. 9 In Auswahl: Saltzwedel, Johannes, Von Goethe zu Hitler, in: Der Spiegel Nr. 48 24.11.2003, S. 174-177; Spiegel, Hubert, Sprachlos: Germanisten als Hitlers Parteigenossen, in: FAZ Nr. 274, 25.11.2003, S. 35; Wapnewski, Peter, Die Kartei hat immer Recht. Wie ich Mitglied der NSDAP wurde, in: DIE ZEIT Nr. 49, 03.12.2003; Aly, Götz, Was wusste Walter Jens?, in: DIE ZEIT Nr. 4, 15.01.2004; Kellerhoff, Sven Felix, Von unschätzbarem Wert. Im Streit um Walter Jens wird die Bedeutung der NSDAP-Kartei angezweifelt - zu Unrecht, in: Die Welt, 27.01.2004 10 Tatsächlichen Mehr-Wert in der Germanisten-Debatte lieferte Nolzen, Armin, Es gab viele Wege und Motive, Parteimitglied zu werden, in: Frankfurter Rundschau, 26.11.2003, S. 17; Ders., Nur zu illustrativen Zwecken, in: Frankfurter Rundschau, 04.02.2004, S. 17. Der Aufsatz von Jürgen W. Falter, Die „Märzgefallenen“ von 1933. Neue Forschungsergebnisse zum sozialen Wandel innerhalb der NSDAP- 4 Astrid M. Eckert Editorial An dieser Stelle hat die zum Teil polemisch geführte Diskussion eine Chance, konstruktiv gewendet zu werden. Eine genaue Studie des Parteiaufnahmeverfahrens und, sinnvollerweise, des Umgangs mit dem biografischen Makel der Mitgliedschaft in der öffentlichen Diskussion der frühen Bundesrepublik, ist hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit. Oder feuilletonistisch gesprochen: „Wo Erregung ist, sollte Erkenntnis werden.“11 Mittlerweile erscheinen die ersten Auseinandersetzungen mit der Studie Bergs, die sich nicht auf das Zeilenkontingent einer Tageszeitung beschränken müssen und entsprechend auch auf andere Aspekte des Buches eingehen können.12 Denn die Fokussierung auf die Parteimitgliedschaft Martin Broszats hat die Diskussion unnötig verengt und dabei aus den Augen verloren, dass Nicolas Berg zentrale Fragen für die Historisierung der bundesdeutschen Zeitgeschichte aufwirft. Bisherige Rezensenten sind zwar sehr unterschiedlicher Meinung darüber, ob er diese Fragen methodisch und inhaltlich be- friedigend beantwortet. Allerdings wird zukünftige Forschung sich abermals den (nicht erst von Berg aufgezeigten) Blindstellen der frühen Zeitgeschichtsforschung widmen müssen und den epistemologischen Implikationen der Verzahnung von Biografie und Forschungsgegenstand nachzugehen haben. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang ein erneutes Reflektieren über die „gestörte Kommunikation“13 zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Wissenschaftlern, die in dem Briefwechsel zwischen Martin Broszat und Saul Friedländer von 1987 ihren Höhepunkt fand14 , aber über einige Zwischenstopps verlief, wie eben die von Berg herausgearbeitete Auseinandersetzung zwischen Broszat und Joseph Wulf. Auch die verschiedenen methodischen Ansätze zur Erforschung des Nationalsozialismus und des Holocaust stehen durch die Studie Bergs noch einmal zur Diskussion. Bei einer Re-Evaluierung ihrer forschungshistorischen Entwicklung müssten sie in Relation zu vorangegangenen und parallelen Ansätzen betrachtet und auf ihren tatsächlichen Erkenntnisertrag hin abgeklopft werden. Anders ausgedrückt: Welche methodische Herangehensweise wurde durch den vielgescholtenen strukturalistischen Ansatz abgelöst und wie leistungsstark oder - schwach erwies er sich im Hinblick auf Erkenntnisgewinn zur Geschichte der Judenvernichtung? Dies könnte die Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte in ein alternatives Licht rücken, besonders dann, wenn auch das zeitgenössische geschichts- und wissenschaftspolitische Konfliktfeld mit ausgeleuchtet wird. Irgendwann einmal, in ein oder zwei Historikergenerationen, wenn die historiografische Forschung zur Zeitgeschichte der Bundesrepublik auch die Neunziger-Jahre und die Gegenwart mit in den Blick nimmt, wird wahrscheinlich auch Nicolas Bergs Studie der For- Mitgliedschaft während der Machtergreifungsphase, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), S. 595-616, beleuchtet die verschiedenen Phasen des Parteieintritts und die Entwicklung der Mitgliederstruktur, geht beim Aufnahmeverfahren allerdings nicht ins Detail. Erste Abhilfe verschafft Heusterberg, Babett, Personenbezogene Unterlagen aus der Zeit des National-Sozialismus. Das Bundesarchiv in Berlin und seine Bestände, insbesondere des ehemaligen Berlin Document Center (BDC), in: Herold-Jahrbuch NF5 (200), S. 149-186; sowie das Gutachten von Buddrus, Michael, „War es möglich, ohne eigenes Zutun Mitglieder der NSDAP zu werden?“ Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin für das ‚Internationale Germanistenlexikon 1800-1950’, in: Geschichte der Germanistik 23/24 (2003), S. 21-26. In Ermangelung einschlägiger Literatur kann man aber immer noch eine Broschüre der amerikanischen Besatzungsbehörde zu Rate ziehen, die im Berlin Document Center erstellt wurde: Who was a Nazi? Facts About the Membership Procedure of the Nazi Party. Compiled by the 7771 Document Center OMGUS, o. D. (1947). 11 Bisky, Jens, Die Aktenlage. Das „Germanistenlexikon“ und die Parteibücher, in: Süddeutsche Zeitung, 26.11.2003. 12 Habbo Knoch: Rezension zu: Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen 2003. In: H-Soz-u-Kult, 04.02.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-065>.; Wojak, Irmtrud, Nicolas Berg and the West German Historians. A response to his ‚handbook’ on the historiography of the Holocaust, in: German History 22.1 (2004), S. 101118; Loewy, Hanno, Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus. Zu Nicolas Bergs fulminanter Historisieriung der Historiker in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 32 (2004). 5 13 Zitat von Ulrich Herbert auf der Konferenz „Hans Rothfels und die Zeitgeschichte“, Juli 2003, München, zitiert nach dem Konferenzbericht von Kirchhoff, Jochen, Tagung des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, 16./17.7.2003, München. In: H-Soz-u-Kult, 13. 08. 2003 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte /id=278>. 14 Broszat, Martin; Friedländer, Saul, Um die „Historisierung des Nationalsozialismus“. Ein Briefwechsel, in: VfZ 36.2 (1988), S. 339-372. 6 Astrid M. Eckert Editorial schung zur Quelle. Eventuell geht diese zukünftige Forschung dann davon aus, „daß sich die Erinnerung auch ohne willentliche Zustimmung in die Geschichtswissenschaft hinein verlängert, sei es in ihren Ausgangsfragen oder allgemein in ihrem Erkenntnisinteresse, sei es in den Begriffen, die sie benutzt, oder in den Themen, die sie zu bearbeiten wichtig findet“ (Berg, S. 565). Vielleicht erfahren wir bei der Gelegenheit dann mehr über die eigene Zeitgebundenheit und den Impetus hinter den Erkenntnisinteressen auch dieses Buches. von Zeitgeschichte als Wissenschaft und öffentlicher Erinnerung in den Blick. Hanno Loewy geht in seinem Artikel auf die bisherige Rezeption des Buches ein und konzentriert sich des Weiteren auf den Gegensatz zwischen jüdischem und nicht-jüdischem Gedächtnis. Robert P. Ericksen diskutiert die frühen Reaktionen der konservativen Historik, vor allem der Göttinger Historiker um Hermann Heimpel. Das Forum schließt mit einem Beitrag von Nicolas Berg. Die Autoren haben mit der ersten und durchgesehenen zweiten Auflage des Buches gearbeitet. Bis auf den Artikel von Robert Ericksen haben Nicolas Berg für seinen Beitrag die Texte der übrigen Autoren vorgelegen. Das heute beginnende Forum möchte die Diskussion um die von Nicolas Berg aufgeworfenen Fragen weiterführen. Dabei haben wir uns bemüht, auch BeiträgerInnen zu gewinnen, die nicht unmittelbar im deutschen akademischen Betrieb tätig sind, sondern sowohl die bisherige Debatte als auch das Buch mit einem gewissen Abstand betrachten konnten. Der „Abstand“ ist angesichts einer international vernetzten Geschichtswissenschaft natürlich nur relativ. Das Forum eröffnet mit einer Rezension von Peter Longerich, die das Buch in seiner Gesamtheit betrachtet und den LeserInnen des Forums dadurch einen Einstieg verschafft. Dem schließt sich ein Beitrag von Claudia Koonz an, der neben den Thesen der Studie auch die Reaktionen darauf in den Blick nimmt. Darauf folgt ein Beitrag von Ian Kershaw, der bereits im Times Literary Supplement erschien, in Deutschland aber nur wenig zur Kenntnis genommen worden ist. Stefan Berger widmet sich anschließend den methodischen Prämissen von Bergs Studie. Einen Perspektivwechsel stellt der Artikel von Gerhard L. Weinberg dar: Weinberg, als Jugendlicher in die USA emigriert, von Hans Rothfels in Chicago promoviert und in den Fünfziger-Jahren immer wieder im Kontakt mit dem Institut für Zeitgeschichte, kommentiert Bergs Thesen aus der Perspektive des „Mitlebenden“. Alan E. Steinweis weist dann in seinem nachfolgenden Beitrag darauf hin, dass sowohl die Entwicklung der bundesdeutschen Zeitgeschichte als auch der Holocaustforschung historiografisch in einen internationalen Forschungskontext eingebunden werden müssen. Habbo Knoch nimmt in seinem Aufsatz die Schnittstelle 7 Astrid M. Eckert, German Historical Institute, Washington, D. C. Vera Ziegeldorf, Redaktion H-Soz-u-Kult, Berlin Astrid M. Eckert ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut in Washington, D. C. Aktuelle Veröffentlichung: „Der Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe beschlagnahmten deutschen Archivguts nach dem Zweiten Weltkrieg“, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004. 8 Schwierigkeiten mit dem Holocaust Schwierigkeiten mit dem Holocaust von Peter Longerich Nachdem die Debatten über die Rolle deutscher Historiker im „Dritten Reich“ höchst fragwürdige Kontinuitätslinien in der Entwicklung des Faches nach 1945 ins Bewusstsein gerückt haben, hat sich Nicolas Berg vorgenommen, die Haltung der westdeutschen Geschichtsschreibung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung einer fundamental-kritischen Inspektion zu unterziehen. Berg thematisiert die Praxis der Historiker im Spannungsverhältnis von „Erforschung“ und „Erinnerung“, wobei es ihm nicht nur um die individuelle Erinnerung der Geschichtsschreiber, sondern auch um das „kollektive Gedächtnis“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft geht. Analysiert werden in dieser Buchfassung einer Freiburger Dissertation zwischen 1945 und 1990 verfasste Texte von Historikern. Neben den wissenschaftlichen Beiträgen zieht Berg Briefe, autobiografische Aufzeichnungen und publizistische Beiträge heran und versucht so „lebensgeschichtliche“ Perspektiven zu eröffnen. Berg arbeitet sich durch die verschiedenen Phasen der historiografischen Behandlung bzw. Nichtbehandlung des Mordes an den Juden hindurch: Er sieht die „Paradoxien nationalgeschichtlicher Deutung“ bei führenden Vertretern der älteren Historikergeneration und befasst sich mit dem „Schuld und Schamdiskurs“ der 50er-Jahre. Sodann arbeitet er überzeugend heraus, dass die verschiedenen Bemühungen, die Ermordung der Juden innerhalb theoretischer Modelle (Totalitarismus, Faschismus, Antisemitismus) einzuordnen, keine überzeugende Erklärung für das Jahrhundertverbrechen lieferten. Im Zentrum der Arbeit steht jedoch die Auseinandersetzung mit der Frühgeschichte des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und der hier entwickelten „strukturellen“ oder „funktionalistischen“ Deutung der NS-Diktatur. Die weitere Entwicklung dieser Forschungsrichtung verfolgt Berg bis in die 60er-Jahre hinein, während er die übrige Forschung zu Nationalsozialismus und Holocaust nach dem Beginn der 60er-Jahre weitgehend aus den Augen verliert. 9 Berg vertritt die These, dass diese Strukturgeschichte mit ihrer Tendenz zur Anonymisierung der handelnden Personen auf eine – in der Lebensgeschichte der Nachkriegshistoriker begründete – Scheu zurückzuführen sei, sich mit den Tätern und ihren (ideologischen) Motiven zu beschäftigen, habe doch die „Angst“ eine Rolle gespielt, „dass hier die Rede von den eigenen Vätern, Brüdern oder Freunden war“. Berg attestiert den Vertretern dieser Forschungsrichtung stattdessen „Vermeidungsdiskurs“ und „Mitläufer-Erzählung“; sie hätten sich hinter Sachlichkeitsrhetorik und Nüchternheitspathos versteckt. In der Tat liest sich das Buch über weite Strecken wie eine Skandalchronik, speziell des Instituts für Zeitgeschichte. Berg zeigt anhand einer Reihe von Fällen, dass das Institut in den 50er und 60er-Jahren im Umgang mit ausländischen, emigrierten und insbesondere mit jüdischen Forschern erhebliche Probleme hatte, die in einigen Fällen in tief greifende Zerwürfnisse mündeten. Hier trafen, das macht Berg deutlich, unvereinbare Positionen aufeinander. Exemplarisch deutlich macht er dies anhand der Auseinandersetzungen zwischen Martin Broszat (dem späteren Direktor des Instituts) und Joseph Wulf, Holocaust-Überlebender und weitgehend auf sich selbst gestellter Dokumentarist des Mordes an den Juden. Inhaltlich ging es in diesem Streit insbesondere um die Verantwortlichkeit von Funktionsträgern, ausgetragen am Beispiel des ehemaligen Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, Hagen, während des Krieges Leiter des Gesundheitsamtes in Warschau, dem Broszat „sachbezogenes“ Handeln, Wulf hingegen Mittäterschaft attestiert hatte. Berg bemüht sich, Broszats Argumentation, die stets auf Strukturen, und nicht primär auf persönliche Verantwortung gerichtet war, auf eine in der eigenen Biografie wurzelnde Sichtweise zurückzuführen, die er bis in den berühmten Briefwechsel zwischen Broszat und dem israelischen Historiker Saul Friedländer aus dem Jahre 1987 hinein verfolgt. Während Friedländer hier das besondere Spannungsverhältnis von Erinnerung und Geschichte in Bezug auf den Holocaust beton- 10 Peter Longerich Schwierigkeiten mit dem Holocaust te, grenzte Broszat unter dem Stichwort „Historisierung“ die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Völkermord gegen eine mythische „geschichtsvergröbernde“ jüdische Erinnerung ab. Keineswegs jedoch wollte Broszat seinen eigenen biografischen Hintergrund etwa als Hindernis für das vom ihm geforderte „rationale Begreifen“ dieser Zeit sehen. Im Gegenteil, der 1926 geborene Broszat betonte als Angehöriger der „HJ-Generation“ das „Glück, in politisches Handeln und in Verantwortung noch nicht oder nur marginal hineingezogen zu werden, aber man war alt genug, um emotional und geistig hochgradig betroffen zu werden von der moral- und gefühlsverwirrenden Suggestivität“ des NS-Regimes. Wäre dieser Standpunkt einer unschuldigen Betroffenheit aufrechtzuerhalten gewesen, wenn damals bekannt gewesen wäre, das Broszat – wie von Berg aufgedeckt – tatsächlich noch 1944 Mitglied der NSDAP wurde? Berg macht einen eklatanten Widerspruch deutlich: Während die „Erfinder“ der Zeitgeschichte versuchten, eine neue Teildisziplin auf der Grundlage von Zeitgenossenschaft und Miterleben zu begründen, blendeten sie die eigene Erinnerung, wenn das Thema auf die Verbrechen des Dritten Reiches kam, systematisch aus – im Gegensatz etwa zur parallel geschriebenen Geschichte des Widerstands oder der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, bei denen im großen Umfang auf die Auswertung persönlicher Erfahrungen zurückgegriffen wurden. Ist damit aber wirklich die strukturelle Methode als bloße „Mitläufer-Erzählung“ entlarvt? Das Buch hinterlässt einen äußerst zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite erfährt man eine Fülle interessanter Details und die von Berg versuchte gedächtnisgeschichtliche Nachfrage ist prinzipiell sicher legitim. Andererseits: Der Aufbau ist unübersichtlich, die Darstellungsweise verschlungen und ausufernd, bestimmt durch die Vorliebe des Autors, ausführlich vorgestellte Texte mit einem Non-StopKommentar zu versehen; die Zuschreibung von „lebensgeschichtlichen“ Motiven bleibt zum Teil spekulativ und ein klarstellendes Fazit hätte dem Buch außerordentlich gut getan. Der wichtigste Punkt scheint mir aber zu sein, dass Berg seinen hohen Anspruch nicht einlöst: Die deutsche Geschichtsschreibung über den Holocaust wirklich als „Teilsystem“ darzustellen und dieses innerhalb des kollektiven Gedächtnisses der deutschen Nachkriegsgesellschaft angemessen zu verorten. Denn Berg ist einfach nicht bereit, sich auf das „Teilsystem“ Historiografie mit seinen eigenen Regeln, Mechanismen und professionellen Standards einzulassen. Allzu schnell urteilt er die Strukturgeschichte des Regimes ab als einen in die Wissenschaft verlängerten Verdrängungsprozess, anstatt sich zumindest auch mit den Leistungen und der Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes innerhalb der Forschung zu beschäftigen. Berg entwickelt in seiner durchweg bewertungsfreudigen Vorgehensweise keinen sicheren Maßstab, um den Stellenwert einzelner Forschungen innerhalb des „Teilsystems“ Geschichtswissenschaft anzugeben. Vor allem aber geht Berg nur völlig unzureichend auf die Entstehung einer frühen deutschen Holocaustgeschichtsschreibung seit Beginn der 60er-Jahre ein und wird so seinem Thema nicht gerecht: Man vermisst eine angemessene Diskussion wichtiger Pionierstudien zur Judenverfolgung wie etwa die Arbeiten von Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm zu den Einsatzgruppen oder zum Beispiel die frühen Gesamtdarstellungen von Wolfgang Scheffler und Uwe Adam. Tatsächlich fehlt aber auch eine gedächtnisgeschichtliche Verankerung der Befunde in der kollektiven Erinnerung (bzw. der kollektiven Verdrängung) der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Wäre dies in einem stärkeren Maße erfolgt, so wäre klar geworden, wie sehr die Historiker Teil des intellektuellen Klimas ihrer Zeit waren. Die Skandalchronik wäre damit nicht vom Tisch, aber wesentlich stärker als dem Zeitgeist geschuldet erschienen. Es ist zu hoffen, dass diese erheblichen Mängel nicht gerade das verhindern, was Berg erreichen will: den Beginn einer Diskussion um die frühe „Zeitgeschichte“ als einer durchaus fragwürdigen deutschen Sonderentwicklung der Nachkriegszeit. 11 12 Peter Longerich (Dieser Text wurde ursprünglich als Rezension für eine Tageszeitung geschrieben und sollte unmittelbar nach der Publikation des Buches im Mai 2003 erscheinen. Er blieb unveröffentlicht, da sich Rezensent und Redakteur nicht auf die Endfassung einigen konnten.) Peter Longerich lehrt am Royal Holloway College der Universität London. 13 Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der Historiografiegeschichte Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der Historiografiegeschichte von Stefan Berger Erinnerung (oder auch ’memory’ und ’mémoire’) hat Konjunktur. Die Literatur zu diesem Thema ist seit dem Erscheinen von Eric Hobsbawms und Terence Rangers ’Invention of Tradition’ (1983) und Pierre Noras ’Lieux de Mémoire’ (1984-93) kaum mehr zu überblicken. Inzwischen liegen in deutscher Sprache bereits die von Etienne François und Hagen Schulze herausgegebenen ’Erinnerungsorte’ vor. An Nora orientierte Großprojekte laufen zudem in Italien und Österreich. Auch gab es in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche theoretische Anstrengungen um den Begriff der Erinnerung. Maurice Halbwachs’ Arbeiten zum kollektiven Gedächtnis wurden wieder entdeckt, und Jan Assmanns Idee einer ’Gedächtnisgeschichte’ hat auf die Geschichtsschreibung insgesamt sehr befruchtend gewirkt. Nicolas Bergs Buch sollte man im Kontext dieser methodischtheoretischen Entwicklungen lesen, um es hinreichend würdigen zu können. Die Mitarbeiterinnen von H-Soz-u-Kult, die dieses Diskussionsforum dankenswerter Weise ermöglichen und editorisch betreuen, baten mich darum, in meinen Ausführungen gerade auf diese methodischen Prämissen des Buches einzugehen. Und so will ich, nach einer kurzen Zusammenfassung selbiger, einige, aus meiner Sicht, Fehlurteile über Bergs Publikation thematisieren, um abschließend zu fragen, ob seine Methode seinem Anliegen gerecht wird. Berg geht es um den Einfluss der Erinnerung auf die Forschungen zum Holocaust seit 1945. Insbesondere thematisiert er die Erinnerungskonflikte zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Wissenschaftlern. Dabei fragt er gerade nach der Bedeutsamkeit solcher Konflikte für die historische Forschung und die Entwicklung historischer Kontroversen. Welche Diskurse über den Holocaust konnten sich etablieren und welche nicht? Wer durfte autoritativ sprechen und wem wurde diese Autorität aberkannt? Welche Selektionsmechanismen bedingt die jeweils andere Erinnerung? Wie verbinden sich spe15 zifische Interessen und der Kampf um die Erinnerung? Solche Fragen stehen im Zentrum von Bergs diskursgeschichtlich fundierter Gedächtnisgeschichte, der es vor allem um die Interaktion von Erinnerung und Gegenerinnerung geht. Berg argumentiert dabei – wie ich finde überzeugend –, dass Erinnerung für die Historiografiegeschichte von zentraler Bedeutung ist. Immerhin ist die Geschichtswissenschaft in der Tat ein (zunehmend kleiner werdender?) Teil der kollektiven Erinnerung, auch wenn sie sich, wie Berg konstatiert, zum Teil geradezu als deren Gegenteil geriert und über die ’bloße’, subjektive Erinnerung hinauszugehen bestrebt ist. Gerade im selbst gemachten Konflikt zwischen Erinnerung und Wissenschaft ergeben sich dann häufig persönliche Aporien sowie Tendenzen, die spezifische Perspektivität jeder Wissenschaft mit Verweis auf ein immer noch weit verbreitetes historisches und positivistisches Objektivitätspostulat zu leugnen. Wissenschaft und Erfahrung, so die Grundannahme Bergs, lassen sich nicht auseinander dividieren. Er führt hier konsequent einen Gedanken von Saul Friedländer aus dessen berühmt gewordenem Briefwechsel mit Martin Broszat aus den 1980er-Jahren weiter. Friedländer hatte schon damals gegen Broszats strikte Trennung von Erinnerung und wissenschaftlicher Erkenntnis darauf verwiesen, dass seine eigenen Bemühungen eher darauf abzielten, wissenschaftliche Erklärung und historische Erinnerung zusammenzubringen. Berg will diese beiden Kategorien ebenfalls zusammen denken. Dabei wird individuelles und kollektives Gedächtnis vom Autor als ’Aufbewahrungsort’ verstanden, der allerdings permanenter ’Konstruktionsarbeit’ unterliegt. Insgesamt wird auf beinahe jeder Seite dieses Buches deutlich, wie sehr Historiker zeitlich eingebunden sind und wie groß der Einfluss von erlebter Lebensgeschichte auf das ist, was man in den 1970er-Jahren häufig Erkenntnisinteresse genannt hat. Lässt man nun die zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenrezensionen zu Bergs Buch Revue passieren, so fällt auf, dass man diese theoretisch-methodischen Prämissen des Bandes zwar zum Teil er- 16 Stefan Berger Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der Historiografiegeschichte wähnt, dass man aber insgesamt viel zu wenig erkannt hat, dass es gerade diese Methode ist, die das eigentliche Zentrum des Buches ausmacht. So hat man etwa Berg vorgeworfen, mit Zorn und Leidenschaft zu schreiben und dabei oftmals nicht ausreichend hermeneutisches Verständnis für seine nicht-jüdischen Protagonisten aufzubringen. Aber nach meiner Lesart des Buches kann man Berg nicht einfach moralischen Rigorismus vorwerfen. Man verfehlt das methodische Anliegen des Autors, liest man sein Buch als eine Philippika gegen die unbestritten großen Verdienste der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft um die Erforschung des Nationalsozialismus. Den konservativen Gründungsvätern der westdeutschen Zeitgeschichte, etwa Hans Rothfels oder Gerhard Ritter, bescheinigt er durchaus große Leistungen. Auch geht es seinem Text meiner Meinung nach nicht darum, die ’Lichtgestalten’ einer kritischeren Geschichtswissenschaft einer späteren Epoche ’schlecht zu machen’. In dieser Hinsicht ist es besonders zu bedauern, dass sich die öffentlichen Diskussionen über Bergs Buch oftmals ganz einseitig auf den ’Fall Broszat’ verkürzt haben. Wusste Broszat von seiner Parteimitgliedschaft oder nicht? Wie bedeutsam war die Tatsache seiner Parteimitgliedschaft für seine wissenschaftliche Arbeit nach 1945? Gerade weil Bergs Forschungen hier in der Lage waren, Neues zu einer zentralen Figur der bundesrepublikanischen Historikerschaft zu Tage zu fördern, haben sie verständlicherweise viel Aufmerksamkeit erregt. Ins Zentrum seines Anliegens führen diese Fragen allerdings mitnichten. Im Gegenteil, mir scheinen die mehr oder weniger vordergründigen Vorwürfe, Berg habe den großen Namen der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft nicht genügend Respekt und Verständnis entgegengebracht, eher aufschlussreich, was den Habitus heutiger Geschichtsprofessoren in Deutschland anbetrifft. So scheinen doch immer noch viele ehemalige ’Schüler’ geradezu pietätsvolle Gefühle ’ihren Lehrern’ gegenüber zu hegen. Die Kritik an Berg ist somit auch eine Frage um die Deutungsmacht: Wem steht es zu, die großen Vorbilder zu kritisieren? Die autoritären Grundmuster in der ausgeprägten Hierarchie bundesdeutscher Geschichtsforschung haben über die letzten dreißig Jahre sicher abgenommen; zugleich hat die Konfliktfähigkeit vieler ihrer Vertreter stark zugenommen. Aber ausgestorben sind die alten Denkmuster, so scheint es mir (zugegeben von außen betrachtet), noch lange nicht. Rein menschlich betrachtet kommen in der Tat viele deutsche Historiker, ungeachtet ihrer Provenienz, in Bergs Buch nicht gerade gut weg. Das liegt kaum an politischer oder ideologischer Orientierung, hat aber ebenfalls viel mit Ausbildung, Habitus und eben Erinnerung zu tun. Der häufig zu vernehmende Vorwurf hermeneutischer Unzulänglichkeit verweist außerdem auf einen in der deutschen Geschichtswissenschaft, trotz ’linguistic turn’ und Postmoderne, immer noch weit verbreiteten (wenn auch inzwischen stark angekratzten) ’common sense’. Wald- und Wiesenhistoriker bestehen nach wie vor eben darauf, sine ira et studio zu schreiben bzw. Objektivität zumindest anzustreben und klare Werturteile möglichst zu vermeiden. Der allein selig machende hermeneutische Zugang zur Vergangenheit gehört leider auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch zur Grundausstattung eines jeden angehenden Historikers. Gerade hier allerdings bedeutet Bergs methodisches Vorgehen eine fundamentale Herausforderung. Erschwert auch die ausgeprägte Lagerbildung in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft die Sicht auf das Innovative an Bergs methodischem Ansatz, so bleibt festzuhalten, dass die von Bergs Kritikern immer wieder vorgetragene Verteidigung einzelner Historiker oder ganzer Schulen (besonders der strukturalistischen Ansätze) ins Leere läuft. Denn Bergs Text geht es nicht primär um Verurteilung, sondern darum, herauszufinden, warum einige nichtjüdische Historiker in Deutschland nach 1945 mit manchmal geradezu unglaublicher Insensibilität ihren jüdischen Kollegen gegenübertraten und ihnen gerade ihre Erfahrungen in den Konzentrationsund Vernichtungslagern zum Vorwurf machten. Von wichtigen aka- 17 18 Stefan Berger Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der Historiografiegeschichte demischen Positionen wurden Historiker wie H. G. Adler oder Joseph Wulf erfolgreich ferngehalten. Immer spielte dabei das Argument eine Rolle, dass ihnen ihre Erinnerung eine objektive Wissenschaft unmöglich mache. Das in der Nachkriegsgeschichtswissenschaft vorherrschende historistische Wissenschaftsverständnis und sein beständiges Beharren auf Objektivität konnte sich ja gerade deshalb erneut so schnell und durchgreifend etablieren, weil ihre Vertreter mit dem Verweis auf die schlimme ideologische Vereinnahmung der Geschichte durch den Nationalsozialismus (und den Kommunismus im anderen Teil Deutschlands) aufwarten konnten. Ein an Objektivität orientiertes Wissenschaftsverständnis half den maßgeblichen bundesdeutschen Historikern dabei, die absolute Deutungshoheit über die nationalsozialistische Zeit für sich zu beanspruchen. Dabei, und das belegt Berg an unzähligen Beispielen sehr eindrucksvoll, waren es gerade die Erfahrungen und die Erinnerungen aller Historiker, nicht allein der jüdischen, die ihre jeweiligen Arbeiten zu Nationalsozialismus und Holocaust beeinflussten und strukturierten. Die Erinnerung spielte bei den Versuchen von Ritter und Rothfels eine große Rolle, die Mitverantwortung einer großen Anzahl von Personen am Holocaust zu verdrängen und stattdessen für einen stark eingeengten Täterbegriff zu plädieren. Die ungeheuren kriminellen Energien, die das Regime in seinen rassenpolitischen Zielvorstellungen freisetzte, wurden von der bundesrepublikanischen Forschung ja gerade im ersten Nachkriegsjahrzehnt eher unter ferner liefen behandelt. Bei anderen, etwa Hermann Heimpel und Reinhard Wittram, führten spezifische Erfahrungen und Erinnerungen dazu, dass sie zwar durchaus nicht zu den nationalsozialistischen Verbrechen schwiegen. Aber sie neigten dazu, diese im Rahmen religiös motivierter Annahmen über das Böse in der menschlichen Natur an sich zu thematisieren. Dies ließ oftmals die konkreten historischen Strukturen und Personen in den Hintergrund treten oder gar unsichtbar werden. Wie Berg zeigen kann, setzte eine jüngere Generation von Histo- rikern, die im Umfeld des Instituts für Zeitgeschichte in München tätig wurde, ihre ’nüchterne Quellenforschung’ eben gegen einen solchen abstrakten und unspezifischen Täterbegriff und suchte Erklärungen nicht im transzendenten „Bösen“. Stattdessen setzten sie sich das Ziel, gerade die Herrschaftsmechanismen der NS-Diktatur zu Tage zu fördern. Unter ihnen befanden sich auch die späteren Wortführer der strukturalistischen Richtung, denen es ja, darauf hat auch schon Ian Kerhaw im Times Literary Supplement verwiesen, gerade darauf ankam, den Nationalsozialismus nicht nur auf einige fanatische Nazis einzuschränken, sondern die Mitverantwortung weiter Teile der deutschen Gesellschaft an der ’deutschen Katastrophe’ (Friedrich Meinecke) zu verdeutlichen. Dieser moralische Impetus ihrer Forschungen hielt sie allerdings nicht davon ab, gerade mit Verweis auf Nüchternheit und Objektivität zahlreiche jüdische Holocaustüberlebende aus dem Forschungsbetrieb auszugrenzen. Denn auch sie gingen, wie ihre intentionalistischen Gegenspieler, von der methodischen Prämisse aus, dass den Stimmen der überlebenden jüdischen Historiker nicht zu trauen war, da sich bei ihnen angeblich die Erfahrung vor die Wissenschaft schob und den nüchtern-klaren Blick trübte. So wurden in der Bundesrepublik, und darin liegt nun in der Tat das eigentliche Skandalon, das dieses Buch zum Thema macht, jüdische Historiker von führenden Repräsentanten der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft marginalisiert und diskreditiert. Dabei spielten ideologische oder konkret politische Differenzen kaum eine Rolle. Zentral war dagegen der immer wieder vorgebrachte Verweis auf Erfahrung und Erinnerung. An dieser Stelle seien mir zwei kleine Einwürfe erlaubt: Zum einen spricht Berg an mehreren Stellen seines Buches vom Austausch zwischen deutschen und jüdischen Wissenschaftlern. Nun waren aber doch auch einige seiner jüdischen Protagonisten Deutsche. Wäre es da nicht sinnvoller, durchgängig von jüdischen und nichtjüdischen Erinnerungen an den Holocaust zu sprechen und jüdische von nicht-jüdischen Wissenschaftlern zu unterscheiden? Wobei es si- 19 20 Stefan Berger Erfahrung und Erinnerung als analytische Kategorien der Historiografiegeschichte cherlich, wie der Fall Hans Rothfels zeigt, noch einmal von entscheidender Bedeutung war, ob man dem Holocaust im Ausland entkam oder selber in den Lagern saß. Wenn man zum anderen, wie Berg, zu Recht der Meinung ist, dass Erfahrung und Erinnerung das Schreiben von Geschichte maßgeblich beeinflussen, sollte man dann nicht auch sich selbst als Autor stärker verorten? Welche Erinnerungen und welche Erfahrungen strukturieren seinen Text? In welche generationellen, individuellen oder auch methodischen Zusammenhänge sieht er sich eingebunden? Hierzu hätte zumindest ich gerne mehr erfahren. Insgesamt, und das arbeitet Berg überzeugend heraus, kann die Geschichtsschreibung als akademische Disziplin nicht unabhängig von den Erfahrungen und Erinnerungen derer, die sie betreiben, untersucht werden. Jenseits einer Reihe von lang etablierten und kaum zu hinterfragenden wissenschaftlichen Praktiken (Quellenkritik, Logik, die Möglichkeit zur Überprüfung wissenschaftlicher Argumentation) gibt es keine Objektivität. Man einigt sich bestenfalls auf ein Handwerkszeug, um dieselbe Sprache zu sprechen. Aber letztendlich bleibt jeder kollektive Gedächtnisrahmen, innerhalb dessen Wissen produziert wird, perspektivisch. Auch rationale wissenschaftliche Diskurse können bestenfalls bestimmte Aussagen falsifizieren (im Popperschen Sinne), aber die Geschichtsschreibung insgesamt wird sich immer mit einer Vielzahl von revidierbaren Wahrheiten abfinden müssen. Jede faktische Aussage wird immer bereits innerhalb eines normativen Rahmens getroffen, der vor bestimmten Erwartungshorizonten von Historikern existiert. Und solche Erwartungshorizonte haben nun in der Tat viel mit Erinnerung und Erfahrung zu tun. Berg sieht bei den diversen normativen Rahmen der bundesrepublikanischen Holocaustforschung eine Vielzahl von apologetischen Tendenzen – nicht nur bei den der alten Nationalgeschichte verpflichteten Historikern der 1950er-Jahre und bei späteren Strukturalisten, sondern er hat auch wenig Geduld mit den diversen ’meist von der politischen Linken kommenden’ Faschismustheorien der 1960er und 1970er-Jahre. Eine oftmals inflationäre Verwendung des Faschismusbegriffs führte auch hier eher zu einer Verschleierung denn zu einer Aufhellung der spezifischen Verbrechen des Nationalsozialismus. Aber insgesamt bemüht sich der Autor durchaus, nicht alle Historiker über einen Kamm zu scheren: Differenzierungen, Paradoxien und Mehrdeutigkeiten werden vorgenommen, herausgearbeitet und zugelassen. Die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft wird nicht pauschal verunglimpft: Ritter, Rothfels, Meinecke, Wittram, Broszat und viele andere mehr erscheinen sehr plastisch als handelnde Personen, und der Autor bemüht sich, gerade für die 1950er-Jahre, durchaus zu betonen, dass es sich nicht um ein Jahrzehnt des Schweigens, sondern um ein ’Erinnerungsjahrzehnt’ gehandelt habe. Diese Erinnerung war allerdings sehr selektiv und lückenhaft. Insgesamt war die Lektüre für mich als Nichtexperte ein großer Gewinn. Wer Bergs Buch ’unhistorisch’ nennt, der versteht die konzeptionellen Grundlagen der Studie nicht. Der Autor fragt mitnichten danach, warum die deutsche Forschung nicht schon früher die Fragestellungen der 1990er-Jahre aufgegriffen habe. Und ich lese seinen Text auch nicht primär als einen Versuch, die unterschiedlichen Perspektiven jüdischer und nicht-jüdischer Historiker im postnationalsozialistischen Deutschland säuberlich nach gut und böse zu trennen. Vielmehr sucht und findet Berg intelligente Antworten auf die komplexe Frage, warum bestimmte Fragestellungen auf eine bestimmte Art und Weise aufgegriffen wurden, während andere Fragen eher nicht zum Zuge kamen. Dabei spielte der Faktor der Erinnerung in der Tat eine zentrale Rolle. Abschließend bleibt festzuhalten: Nicolas Berg hat ein wichtiges Buch geschrieben. Er hat nicht ’nur’ eine Unmenge an Quellen verarbeitet, die wirklich Neues über prominente bundesdeutsche Historiker zu Tage gefördert haben, und er hat auch nicht ’nur’ in einer großen Syntheseleistung eine breite Sekundärliteratur zum Thema wirkungsvoll gebändigt und zu ebenso interessanten wie intellektuell herausfordernden Thesen verdichtet. Er hat vor allem mit seinem 21 22 Stefan Berger methodisch-theoretischen Rüstzeug neue Schneisen in das Verständnis von Historiografiegeschichte gelegt. Erinnerung und Erfahrung sind zentrale Bestandteile einer jeden Beschäftigung mit Geschichte und eben auch mit Historiografiegeschichte. Das im Hinblick auf die deutsche Holocaustforschung auf den Punkt gebracht zu haben, ist das Verdienst des Autors. Stefan Berger ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte und Co-Direktor des Centre for Border Studies an der Universität Glarmogan, Wales. (http://www.glam.ac.uk/hass/research/border) Er hat über vergleichende Arbeitergeschichte, Historiografiegeschichte und Fragen nationaler Identität veröffentlicht. (http://www.glam. ac.uk/hass/staff/personal_pages/historical/berger_stefan.php) Zurzeit leitet er ein auf fünf Jahre angelegtes Projekt der European Science Foundation über ’Representations of the Past: The Writing of National Histories in Europe’. (http://www.uni-leipzig.de/zhs /esf-nhist) 23 Beware the moral high ground Beware the moral high ground von Ian Kershaw Until the 1980s, German historians undertook relatively little research on the Holocaust, plainly so central to the history of Nazism. Nicolas Berg in Der Holocaust und die westdeutschen Historiker is keen to demonstrate that because memory and personal experience were inseparable from the way German historians viewed the Third Reich, even when they claimed to be writing detached and objective history, their attempts to explain „the German catastrophe“ were exculpatory and apologetic, the perspective of the perpetrators was given precedence over that of the victims, and German accounts were accorded objectivity while analysis undertaken by Jewish historians was ignored or criticized as un-scholarly and subjective. „Auschwitz“ (as the symbol of the Holocaust) was, indeed, Berg suggests, subliminally omnipresent in German historiography. But it was not centrally addressed. Defence of national values, a sense of national shame, the use of theoretical models of totalitarianism and Fascism, or conceptual devices („intentionalism“ and „functionalism“) to interpret the disaster of National Socialism all skirted round the issue itself. The heart of this issue amounted, in Berg’s perception, to acceptance of the personal culpability of countless Germans – through will, desire, intention and ideological motivation, not as involuntary cogs in the wheel of impersonal structures and processes – for the murder of the Jews. The question at stake is that of guilt – meaning direct blame of a wide range of perpetrators at all levels of society, not generalized „national guilt“ and impersonalized responsibility. Jewish historians had been concerned with this from the beginning. But in Berg’s view it took a new generation of German historians (the present one), liberated from memory of the Nazi era, to shift the emphasis from anonymous „processes“ and „structures“ to those who actually perpetrated the Holocaust. Only recently, therefore, Berg claims, has it been possible to incorporate the perspective of the victims - to begin to approach the Holocaust in the way enlightened Jew25 ish historians, long neglected, ignored or even disparaged by their German counterparts, had done from the beginning. Why the Holocaust remained for so long marginal to German historiography is the subject of Berg’s voluminous study. A bibliography of ninety-eight pages indicates the breadth of the investigation. Berg deploys not just the published works but also the private papers of most of the historians under review to offer new insights into their thinking and writing. Complex in style, structure and content, often unwieldy in its prose, and - a serious drawback - lacking an index, the book is an intriguing, but flawed, piece of intellectual history. In Germany it has already stirred far more controversy than is usual for a doctoral thesis on account of its claim that an intrinsic apologia was embedded in the ways leading exponents of German „contemporary history“ approached the Nazi past. The book’s elaborate dissection of much early post-war historical writing would in itself have attracted little attention. The apologetic implications of Friedrich Meinecke (Nazism as German tragedy) and Gerhard Ritter (Nazism as Germany’s misfortune) are well known. And the space devoted to the religiously imbued musings of Fritz Ernst, Reinhard Wittram and Hermann Heimpel is over-generous. But the assessment of Hans Rothfels, one of the great early figures of German contemporary history, stands out. Rothfels, staunch upholder of Prussian-German conservative values but Jewish (though converted to Protestantism), had returned after the war from exile in the United States to a chair at Tübingen. As Berg emphasizes, he served, most evidently through his emphasis on „the other Germany“ in his widely read book on conservative opposition to Hitler, as a useful legitimating figure for apologists. But Berg does not do justice to Rothfels as the driving force on the editorial board of the newly founded Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, which rapidly established itself as the key journal on contemporary history. The very first issue of the journal in 1953 included Kurt Gerstein’s sensational eyewitness account of the mass gassing of 26 Ian Kershaw Beware the moral high ground Jews. Other crucial records on the fate of the Jews were also published in the journal during Rothfels’s editorship. The home of the Vierteljahrshefte is the Institut für Zeitgeschichte (Institute of Contemporary History) in Munich, founded in 1950 to undertake research into National Socialism. And it is in its attack on the Institut, and some of its most distinguished historians – notably Martin Broszat, Hans Buchheim, Helmut Krausnick and Hans Mommsen (who later left for the chair of Contemporary History at Bochum) – that Berg’s book is both surprising and highly contentious. The Institut began its existence with the self-professed aim of breaking with the German historicist tradition and analysing the most recent, disastrous, past unemotionally and objectively. Much of its early work concentrated on bringing to light documentary evidence of the Nazi era. It soon also became involved in historical evaluations of institutions or individuals for use in legal cases. Most specialists, inside and outside Germany, have regarded the work of the Institut as the pinnacle of scholarship on the Third Reich. Its leading historians have gained a worldwide reputation for their expertise. Based on his research into the early records of the Institut – minutes of meetings of its directorate, assessments of manuscripts, correspondence with authors or would-be authors in its publication series – Berg now fires a sheath of arrows at the heart of the Institut’s research achievement and high standing. He suggests that, under the veneer of „objectivity“, the approach to the Nazi past of historians at the Institut was directly shaped by their subjective experiences (or „memory“). This in turn, he claims, led to an inbuilt, if unspoken, prejudice in favour of German accounts and documentary evidence and against historical accounts by Jews (presumed to be less objective). Not least, what later became known as the structuralist approach, which had been programmatically introduced at the beginning of the Institut’s work in the 1950s, was implicitly apologetic in deflecting research from the personal (often ideological) motivation of perpetrators into anonymous and amorphous general responsibility rooted in the structures of the Nazi system of rule. Buchheim, untainted with membership of a Nazi organization and one the Institut’s foremost researchers in the 1960s, who composed a chilling analysis of the SS as an instrument of rule for use in the Auschwitz trial of 1963, is seen as apologetic in his emphasis upon the ways in which, as the Nazi system corrupted and perverted social values, individuals could slide in moral confusion into complicity in a criminal totalitarian regime. Mommsen, internationally acclaimed as one of the greatest authorities on Nazism over the past decades (who in 1983 published a path-breaking essay on the emergence of the „Final Solution“), stands similarly accused of apologetics in a text written in 1962 portraying Wilhelm Kritzinger, State Secretary in the Reich Chancellery, and present at the notorious Wannsee Conference in January 1942, as a functionary who had taken no personal initiative to support the criminal policies of the regime but had been sucked into its murderous actions by becoming inextricably tied up in its structures of rule. But the most concerted attack is reserved for Broszat, who joined the Institut in the mid-1950s, was its Director from 1972 until his death in 1989, and was regarded in Germany and abroad as among the preeminent scholars of Nazism in the world. Almost a year before the publication of his book, Berg had launched his attack in striking fashion with a full-page article in a leading German newspaper, the Süddeutsche Zeitung, highlighting what he called Broszat’s „lifetime lie“ in concealing the fact that he had actually joined the Nazi Party in 1944. This startling information, which astonished Broszat’s family, friends and colleagues, is limited in the book to a single sentence and a footnote. But the damage had already been done. The implication that Broszat had been a sympathizer, even an enthusiast, is present when Berg deals at length with his exchanges in the early 1960s with the Jewish historian Joseph Wulf, based on the archives of the Institut. Certainly, Broszat does not come out well from these exchanges concerning a prominent health 27 28 Ian Kershaw Beware the moral high ground official of the Nazi regime in Poland, Dr Wilhelm Hagen, who later went on to enjoy a good career in the Federal Republic. Broszat accepted Hagen’s claims that he had defended Poles against the SS and supported him against Wulf’s findings that he had taken quite a different stance on Jews in the Warsaw ghetto (where Wulf had himself been confined, before deportation to Auschwitz). Even when Wulf found evidence that Hagen had advocated shooting Jews found „wandering around“, Broszat only retracted partially and, it seems, reluctantly. This exchange, in which Broszat was plainly at fault, is used to undermine his claim to objectivity, and widened to an assault on the „structuralist“ approach, of which Broszat was a prime exponent. Here I need to disclose a personal interest. I worked closely with Broszat in the 1970s, and have had association with the Institut für Zeitgeschichte ever since. Hans Mommsen is a good personal friend. Broszat was my early inspirational mentor, Mommsen later an important further vital stimulus to my own work on Nazism. From close personal connection, the notion that there was a trace of apologetics, even unwitting, in their writing or their historical approach strikes me as absurd. Far from an apologia, an open and stringent criticism of the German social and political structures which produced the disaster of Nazism was fundamental to their thinking. Buchheim I did not know, and Krausnick only fleetingly, but my sense, based on their writing, is the same. Of course, mistakes were made. Broszat’s handling of Wulf was one. But the sweeping conclusions Berg draws from the exchange are not convincing. Broszat’s presumed party membership is a red herring. Possibly, indeed, he was never formally admitted to the Party. The reverse of his membership card (which Berg did not consult) in the Berlin Document Centre implies that the entry ceremony never took place. Conceivably, Broszat never mentioned he was a party member because, though requesting entry, he had never actually joined. But his concealment even of the application to join is certainly a puzzle. He never hid the fact that he had been an enthusiastic member of the Hitler Youth. To have admitted his membership of the party itself would have not damaged him in the Institut. After all, his predecessor as Director, Helmut Krausnick, openly acknowledged that he had joined the Party as early as 1932 (though he left it in 1934). This had not detracted from his later standing either in the Institut or among the community of historians. Nor did it affect his outstanding research on the Holocaust. Krausnick went on - a point which does not feature in Berg’s book - to write a groundbreaking study on the murderous assault on Jews by the Nazi Einsatzgruppen in the wake of the invasion of the Soviet Union in 1941. Broszat’s driving incentive was to help an understanding of how Germany could sink into barbarity. That he himself had succumbed to the elan of the Nazi Movement was central to his motivation to elucidate for later generations how it could have happened. And that the later murder of the Jews arose from Nazism’s anti Jewish policies, but that these played so little part in the idealism of millions who had been drawn into support for the Nazi Movement (or in his own enthusiasm for the Hitler Youth), posed questions he always sought to answer. It amounted to a search for the pathological causes of the collapse of civilization in German society. But the attempt to find general causes in individual ideological intention and personal culpability seemed misplaced. This perspective pushed him, like Buchheim and others at the Institut, into looking to the structures of Nazi rule that implicated countless functionaries (and ordinary citizens) in the regime’s inhumanity and criminality, even though they were far from sharing the ideological obsessions of the regime’s leadership. And in his seminal essay on the „genesis of the Final Solution“, published in 1977, Broszat specifically deployed a structuralist approach to widen responsibility beyond Hitler and the narrow Nazi leadership. Overall, Berg’s analysis, though a work of history, has something ahistorical about it. It is as if he is asking why the historical questions of the 1990s were not those of the 1960s and 1970s, and why 29 30 Ian Kershaw Beware the moral high ground the legitimately differing perspectives of German and Jewish historians were not identical. In judging the work of earlier generations solely from the perspective of the 1990s and after, Berg underrates their achievements by narrowing the focus to what seems central to historical research now. And for all its centrality and pivotal significance, the Holocaust does not exhaust all the issues that needed (and still need) to be addressed about Nazism. The overriding concern of research in Germany on how the Nazi system had been possible, then into how it functioned, was not simply in itself legitimate; it was crucial. The early consciously self-critical „contemporary history“ saw itself as engaged in vital work of clarification for a new, uncertain democracy still feeling its way. It was natural enough that the concentration on the Holocaust, which has only come to be the preoccupation of international scholarship in the past twenty years or so, would not manifest itself in early writing on Nazism. But only through the structural analysis of the Nazi system, leading into evaluation of the mentality and behaviour of varied social groups in Germany (which Broszat pioneered), was the later detailed understanding of how the Holocaust emerged from within that system of rule at all possible. It took time. But the rewards in looking at the Nazi system as a whole, rather than narrowing the focus exclusively to the Holocaust, have been great. Within that broad spectrum, and made possible in good measure by the opening up of Russian and East European archives since 1990, the focus in recent research by German historians on the Holocaust, and biographical concern with those who planned and implemented it, is both justified and welcome. It takes the work of Broszat, Mommsen and other „structuralists“ further, and on to new levels of understanding through adopting different approaches. But it builds directly on their foundations. In fact, for all its merits, the new emphasis on the biography and ideological motivation of the perpetrators cannot answer the big questions on the Holocaust unless it is rooted in structural analysis. Research never stands still; perspectives change. Much of the recent German historical writing on the Holocaust has been outstanding (even if it continues to deal hardly at all with the victims’ perspective, something which Berg so criticizes in earlier German historiography). But less attractive is the apparent urge to disparage earlier work and even to impugn, directly or indirectly, the motives of those historians who produced it. The arrows which Nicolas Berg fires at Broszat, Mommsen and the structuralist approaches adopted by the Institut für Zeitgeschichte are misdirected. And his sustained attack on German historians generally for their failings in research on the darkest stain on their country’s history is too one-sided, as the merest glance at the omissions of historiography in most other countries in addressing sensitive issues from their past would indicate. Present-day historical perspectives, particularly when viewed from a moral high ground, are not always the best of guides by which to judge an earlier historiography - its merits, as well as its failings. (This article first appeared in the Times Literary Supplement, 10 October 2003. Reprinted with permission.) 31 Ian Kershaw studied at Liverpool and Oxford Universities. From 1987 to 1989 he was Professor of Modern History at the University of Nottingham, and since 1989 has been Professor of Modern History at Sheffield. 32 Revisionist or Denkmalstürzer? Revisionist or Denkmalstürzer? von Claudia Koonz When scholars descend from the „ivory tower“ and address nonspecialist audiences, they realize that journalists and talk show hosts may well engage in what U.S. intelligence jargon calls „cherry picking,“ i.e. minimizing the overall intent of a work and emphasizing its minor points. The controversies that have erupted in the aftermath of Nicolas Berg’s account of how the „founding fathers“ of West German contemporary history interpreted the Holocaust suggest that selective reading can be an occupational hazard of historians as well as journalists – at least when a book concerns their own guild. It must be said that Berg set himself up for controversy by publishing „Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit,“ in the Süddeutsche Zeitung in July 2003, in which he revealed a very ripe „cherry“ indeed – that the esteemed historian Martin Broszat had joined the National Socialist Party in 1944.1 The immense significance of Der Holocaust und die westdeutschen Historiker has been drowned out by reviewers’ attention to the possibility that distinguished historians may have harbored an allegiance to National Socialist values. Berg, the unwelcome messenger, has become the iconoclast, „Denkmalstürzer“2 , and ensuing questions center on predictable issues. Which historians joined the NSDAP? Could someone have joined the party without knowing it? Was affiliation with the Deutsche Christen evidence of Nazi allegiance? Did lingering prejudice affect harsh treatment of Jewish historians (pp. 343-352)? Could conscientious historians affiliated with the Institut für Zeitgeschichte (IfZ) have relied on former Nazis to „fact 1 Berg, Nicolas, Die Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit. Subjektive jüdische Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung in den sechziger Jahren, in: Süddeutsche Zeitung, 17.07.2002. 2 Blasius, Rainer, Keiner wäscht weißer. Ja, nein, weiß nicht: Der Disput um den Historiker Martin Broszat, in: FAZ Nr. 219, 20.09.2003, S. 35: „Wie erregt ein aufstrebender Nachwuchshistoriker heutzutage das meiste Aufsehen? Indem er sich als zorniger Denkmalstürzer präsentiert.“ 33 check“ particular details in their manuscripts while debunking victims’ testimony as unreliable? While these are important questions, they are also conventional. The great strength of Berg’s book lies in the new questions he asks about the context within which post-war research was conducted. Berg approaches the historiography of the Holocaust in the early decades of the Federal Republic using both powerful facts from previously neglected primary sources and an interpretative lens centered on the discursive milieu and institutional context of West Germany. Departing from the analytic frameworks that have guided most historiographical accounts of denial and discovery of the Holocaust in West German history, Berg inquires into what philosopher of science Ludwik Fleck called the Denkkollektiv within which that history was written.3 Although he attends to popular historical works about National Socialism, Berg did not set out to write an account of the Holocaust in German public memory.4 He is interested less in conflicts of opinions than in the concepts underlying the „Battle for Memory“, den Kampf um die Erinnerung between, on one hand, scholars raised in Nazi Germany and, on the other, victims of Nazi racial and political persecution (e.g. p. 329). By delving into archives, scouring libraries for books long out of print, and tracking down book reviews, Berg assembled the raw material he uses to explore the unacknowledged values that shaped a consensus across the political spectrum (and I would add, far be3 Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt am Main 1980, S. 129-146. Major studies of the historiography of Nazi genocide include: Marrus, Michael R., The Holocaust in History, Hanover 1987, Maier, Charles S., The Unmasterable Past. History, Holocaust, and German National Identity, Cambridge 1988, as well as anthologies such as: Koch, Gertrud (ed.), Bruchlinien. Tendenzen der Holocaustforschung, Köln 1999, Hohls, Rüdiger; Jarausch, Konrad H. (eds). Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, (currently out of print), and several articles in Knigge, Volkhard; Frei, Norbert (eds.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002. 4 Novick, Peter, The Holocaust in American Life, Boston 1999; Segev, Tom, The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust, New York 1993. 34 Claudia Koonz Revisionist or Denkmalstürzer? yond the borders of Germany). This is not, as some suggest, an „a-historical“ project, but on the contrary, a sophisticated history of knowledge about National Socialist Germany. In his 46-page introduction, Berg lays out his research agenda in terms that will be familiar to readers of journals like History and Memory and History and Theory. His integration of theory, public culture, and scholarship fits comfortably into the models established by historians of, for example, the memory of the U.S. Civil War or the French Revolution. But those histories lie far behind anyone living today. Esteemed historians in Institut für Zeitgeschichte circles and their students, however, are still very present. Brushing aside the standard debates normally covered in historiographical analyses of the Nazi past, Berg examines the tropes of public discourse in order to gain what he calls a „mentalitätsgeschichtliche Einsicht“ (p. 8) into the thinking of mainstream historians. Possibly because he anticipated that some of his archival findings would incite controversy, Berg treads carefully across the minefield he calls the „Spannungsverhältnis“ between research and memory. His interpretative summaries remind readers that no monolithic public memory exists, but rather an „unterschiedliches kollektives Gedächtnis.“ He cautions against misunderstandings by reminding readers that, for example, „die Bilanz der Frühgeschichte des IfZ ist zwiespältig“ (p. 318). Acknowledging the near impossibility of weighing too much against too little memory of Nazi genocide, he adds qualifiers to his generalizations. To an unusual degree, Berg includes extended passages from key documents that allow readers to judge the context that produced particular views – even when the quotations may contain material that goes against the grain of Berg’s commentary. In constructing what he calls the Konflikterinnerung that has shaped West German mainstream academic history, Berg articulates his goals clearly: “Wer Erinnerung von wem einfordert, mit welchen Gründen dieser Appell versehen wird, was an Erinnerungen warum bedeutungsvoll eingeschätzt und für gedachtniswürdig erachtet wird und – nicht zuletzt – wessen ‘Vergangenheitsversion’ auf Kosten welcher konkurrierenden aufgezeichnet wird“ (p. 13, emphasis by the author). Berg traces the work of historians who insisted on their commitment to objectivity and yet shared many assumptions of the public culture within which they lived (p. 524). By now the allegation that mainstream West German historians ignored the Holocaust is hardly news. After all, Marxists also dismissed Nazi racism as epiphenomenal, as did many West European and North American historians. Moreover, historians in other nations with criminal histories have not been quick to investigate the wages of slavery, territorial expansion, and „asymmetrical“ warfare. Against this standard, the IfZ has done rather well. Besides publishing many journal articles, the IfZ sponsored monographs like the Anatomie des SS-Staates (published in relationship to the 1963 trials), Michael Kater’s Das „Ahnenerbe“ der SS (1974), Hans-Heinrich Wilhelm and Helmut Krausnick’s Die Truppen des Weltanschauungskrieges (1981) and Lothar Gruchmann’s Justiz im Dritten Reich (1988).5 The central issue for Berg is not a failure to investigate the National Socialist state and society, but historians’ habit of falling into discursive structures that muted the inhumanity of individual perpetrators and the suffering of victims. By concentrating on Herrschaftsstruktur, historians in IfZ circles avoided the horror (p. 645). Insisting on their objective approach (pp. 326, 274) they developed a tendency that Berg calls the Entkonkretisierung of atrocity (p. 58). In short, the giants of post-1945 West German historical scholarship participated in a consensus that attended to „the Final Solution“ 35 5 Buchheim, Hans, Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Olten 1965; Kater, Michael H., Das „Ahnenerbe“ der SS, 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974; Krausnick, Helmut; Wilhelm, Hans-Heinrich, Die Truppen des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 22), Stuttgart 1981; Gruchmann, Lothar, Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 28), München 1988. 36 Claudia Koonz Revisionist or Denkmalstürzer? but deflected attention away from its Schande – by thinking within systemic explanatory frameworks. Although international comparisons lie beyond the scope of this book, it seems clear to me that this approach resonated the social science paradigms that prevailed (and attracted funding) in Western Europe and North America. Hannah Arendt’s paradigmatic Eichmann established the trope of the „hollow man,“ the „shallow bureaucrat,“ the „cog“ caught up in a vast social structure. Systemic explanations emphasized either the racially obsessed elite around Hitler (intentionalists) or a machine-like bureaucracy gone awry (functional-structuralists). These totalitarian explanatory approaches but dissolved individuals’ agency. Berg documents West German historians’ participation in the Zeitgeist of the postwar years in their resentment of the International Military Tribunal and their repudiation of the images of inhuman „monster“ perpetrators produced in early Allied propaganda. A key document is Hermann Mau’s (unpublished) speech from the founding days of the IfZ that established the outlines of what became the hegemonic view of historical agency and periodization. In the 1990s, thanks to the availability of new archives and an abundance of fresh empirical research, a series of stunning micro-histories have made it clear that Judenhass had indeed played a role in mass murder operations on the Eastern Front. The mindless functionary epitomized by Eichmann’s trial testimony (pp. 648-652) yielded to the picture of committed, opportunistic true believers. Portraits of Werner Best and SS bureaucrats revealed men who had internalized the longterm objectives of racial Flurbereinigung and displayed considerable initiative in meeting and exceeding formal expectations. Berg reintroduces us to earlier outsider historians’ path-breaking historical studies that anticipated these findings, even as he documents established historians’ efforts to keep them marginal. What made them unerwünscht ? Joseph Wulf asked himself the same question. „Here I stand in front of the 18 books I have written. What does it take to make a dent?“ What was it about his work that historians did not wish to see? Not only the victims’ perspective, Berg suggests, but the totalitarian Täterbild (p. 345-362) that implicitly guided their vision. In the Täterbild of Joseph Wulf, Leon Poliakov and other marginalized historians, not systems, but committed individuals engineered expropriation, deportation and mass murder. These two scholars made a major effort to document the sources of the beliefs that animated the killers. They anthologized documents concerning the radio and press, theatre and film, racial expertise, bureaucrats, visual arts, music, and thinkers. The sources they anthologize do not fit within either structuralists’ or intentionalists’ interpretative schemes. But in these pages we discover ample evidence of a massive betrayal intellectual integrity by the well-educated professionals who devoted their skills to the service of a monstrous racial scheme. When I read their anthologies, as well as Max Weinreich’s Hitler’s Professors, I am astonished at these historians’ restraint, not at their anger.6 In a typical passage, Poliakov and Wulf explained why they saw it as their historical duty to expose intellectuals’ and functionaries’ complicity with genocide, even if after 1945 these men insisted that deep in their hearts they had opposed Nazi rule all along. “’Den von uns ausgewählten unfreiwilligen Denkern mögen mildernde Umstände zugebilligt werden, aber verdienen sie den Freispruch des Schweigens?’“ (p. 351). Until the 1990s, scholars of genocide virtually ignored the intellectual planners, the Vordenker of Nazi racial operations. Nazi ideology was commonly written off as crack-pot and amateurish – as if those qualities by definition rendered it irrelevant. Although H.G. Adler, Joseph Wulf, Hermann Langbein, Helmut Eschwege and others thought generally within the same systemic frameworks as mainstream historians, their works included searing portraits of perpetrators’ hypocrisy, cruelty, and opportunism. Langbein’s Menschen in Auschwitz (1972), H.G. Adler’s Theresienstadt 1941-1945 (1955), 37 6 Weinreich, Max, Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany’s Crimes Against the Jewish People, New York 1946. 38 Claudia Koonz and Joseph Wulf’s Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau (1958) and Lodz (1962) integrate sources that depict perpetrators and victims. Since the appearance of Saul Friedländer’s Nazi Germany and the Jews (1997), this breadth of vision has returned to historical writing.7 Der Holocaust und die westdeutschen Historiker has restored the works of underappreciated survivor historians to the historiographical heritage within which the wealth of recent studies of perpetrators and victims belongs. Claudia Koonz teaches history at Duke University in Durham, North Carolina. Her research interests lie in 20th Century German History, Women’s History, and genocide. Her most recent book „The Nazi Conscience“ was published by Harvard University Press in 2003. 7 Langbein, Hermann, Menschen in Auschwitz, Wien 1972; Adler, H. G., Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Geschichte, Soziologie, Psychologie, Tübingen 1955; Wulf, Josef, Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau, Bonn 1958; Friedländer, Saul, Nazi Germany and the Jews, New York 1997. 39 Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker Comments von Gerhard L. Weinberg It is only appropriate to mention at the beginning of these comments some personal factors of relevance. First, I am a Jewish émigré from Germany who was the last student to take his doctorate under Professor Hans Rothfels at the University of Chicago. Second, numerous pieces by me appeared in the early issues of the Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte even though Berg claims that the Institut für Zeitgeschichte did not care to publish such works by people like myself. Third, the Institute in 1961 published my edition of Hitlers Zweites Buch, at the suggestion of Martin Broszat included a reprint of this with a revised introduction and additional notes in 1995 in its series Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen, and authorized the publication of an English language edition that appeared in 2003.1 While it is interesting to read an account of one aspect of West German historical writing in the years since 1945, Berg is too fixated on certain interpretations to examine either the context of the time or substantial evidence that runs counter to his interpretation. On the context of the time, two issues deserve mention: In the first place, the general disregard of the Holocaust as a central element in the history of National Socialism and of World War II was not a peculiarity of Germany. It is surely significant, and worthy of an examination that is not limited to one country that for the fifteen years after the end of the war this was a topic that attracted very little attention in any coun1 Weinberg, Gerhard L., Die geheimen Abkommen zum Antikominternpakt, in: VfZ 2.2 (1954), S. 193-201; Ders., Deutsch-Japanische Verhandlungen über das Südseemandat 1937-1938, in: VfZ 4.4 (1956), 390-398; Ders., Schachts Besuch in den USA im Jahre 1933, in: VfZ 11 (1963), 166-180; Ders., Adolf Hitler und der NS-Führungsoffizier (NSFO), in: VfZ 12 (1964), 443-456; Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg. Mit einem Geleitwort von Hans Rothfels (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 7), Stuttgart 1961; Weinberg, Gerhard L. (Ed.), Hitler’s Second Book. The unpublished sequel to Mein Kampf. Translated by Krista Smith. New York 2003. See also note 3. 41 try. Until a serious study of this issue is published, one should not forget that Raul Hilberg had a very difficult time getting his seminal book published. If as Berg complains it was not utilized by German scholars in the 1950s, as he does on page 218, that may be related to its having been published in 1961. In this context, it should be noted that while Berg mentions that Rothfels published the Gerstein report on the mass murder of Jews in extermination centers, this item is not included in the lengthy listing of Rothfels’ work in the bibliography. The other contribution by Rothfels on the subject of the Holocaust, a piece on the murder of Jews in occupied Poland that appeared in the Vierteljahrshefte in 1959, is simply omitted altogether.2 Perhaps this interest of Rothfels in the subject would undermine Berg’s thesis. A second aspect of Rothfels’ interest at the time is reviewed at great length, but one of its most important purposes is only mentioned incidentally. Having himself lived through the period when the stab-in-the-back legend had undermined the Weimar Republic, he was very much concerned about the possibility of a revival of such a concept in the Federal Republic, this time focusing on the opponents to Hitler’s regime as responsible for Germany’s defeat. A nationalist himself, he was very interested in showing that those who turned against the dictator and his government were motivated by patriotic, ethical, and religious concerns. This was very much an issue at the time and has by no means entirely disappeared in the interim. The danger created by the spreading of one particular myth was very much a subject of Rothfels’ interest then and is certainly still the subject of attempted myth-making today. This is the notion that the German invasion of the Soviet Union – which opened the door to the Holocaust and innumerable other crimes – was some sort of preventive move in anticipation of an imminent Soviet attack on Germany. Since he knew that the German decision to attack the Soviet 2 Rothfels, Hans, Zur „Umsiedlung“ der Juden im Generalgouvernment, in: VfZ 7 (1959), S. 333-336. 42 Gerhard L. Weinberg Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker Union had been included in my doctoral dissertation, he invited me to write an article on the topic; it appeared with an introduction by him in the first year of the Vierteljahrshefte. Hans-Günther Seraphim and Andreas Hillgruber wrote a reply to which I responded. Rothfels again wrote an introduction in which he referred to Seraphim’s prior advocacy of the preventive war thesis; Hillgruber in his subsequent publications completely reversed himself on the subject of the controversy.3 On a related issue, it would surely have been appropriate for Berg to point out that the breakthrough on the treatment of Soviet prisoners of war by Christian Streit that he mentions was published by the Institute. (Berg, p. 354, n. 135).4 Closely related to the myth of a preventive war against the Soviet Union was that of the supposed British responsibility for the whole war, a piece of nonsense in the early 1960s identified with David Hoggan, an American whom Berg has transmuted into a British historian.5 The interest of the Institute and of Rothfels in countering such distortions must also be seen in the context of genuine concern for the future of democratic institutions. The review of Hoggan’s book by Rothfels in the American Historical Review of July 1964 (Berg, p. 295, n. 95) is an invention of Berg’s; what Rothfels did write was an explanation of the Nazi background of the organization that had awarded Hoggan a prize.6 While there is much of interest in Berg’s account of the disap- pearance of anti-Semitism and the Holocaust in the leftist gibberish about fascism in the 1960s and 1970s, the discussion of the arguments between intentionalists and structuralists leaves much to be desired. The supposed allocation of Jewish historians to the former and German historians to the latter category simply does not work. Both Andreas Hillgruber and Eberhard Jäckel fail to conform to Berg’s analysis, as do numerous others. As one who as an intentionalist who is Jewish might be said to fit, I simply find his description of the functionalist position not only inadequate but also unfair. Just as there is the danger of overlooking the roles, motives, and responsibilities of specific individuals in any extreme functionalist position, so there is the risk of overlooking the factors of contingency and bureaucratic inertia in the intentionalist position. A final point that needs to be made because it appears to be missing from the book in spite of its excessive length and non-existent index is the critical problem of establishing a new legal and functioning democratic order on the ruins of a system gone mad. This is a terribly difficult task – as the people of the former Soviet satellites have been finding out in recent years. Yes, the historians of the early years of the Federal Republic found this excrutiatingly difficult, and their own preconceptions at times led them astray, as best – or worst – shown by the role of Rothfels in the disgraceful handling of the Riezler diary. (Berg, p. 147, n. l6). But, on the other hand, it would appear proper to allow some substantial credit to historians affiliated with and/or published by the Institute for a significant part in the reorientation of German society in a new direction after 1945. If one looks at the broader picture with this problem in mind, there is surely some credit to be allowed to men like Werner Präg and Wolfgang Jacobmeyer whose edition of the diary of Hans Frank published in 1975 as well as Helmut Krausnick and Hans-Heinrich Wilhelm whose study of the Einsatzgruppen published in 1981 were both issued by the Munich Institute.7 I have my own criticisms of the Institute, but a fair 3 Weinberg, Gerhard L., Der deutsche Entschluß zum Angriff auf die Sowjetunion, in: VfZ 1.4 (1953), S. 301-318; Seraphim, Hans-Günther; Hillgruber, Andreas, Hitlers Entschluß zum Angriff auf Rußland. Eine Entgegnung (mit einem Schlußwort von G. Weinberg), in: VfZ 2.3 (1954), S. 240-254. 4 Streit, Christian, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945 (Studien zur Zeitgeschichte 13), Stuttgart 1978. 5 Hoggan, David L., Der erzwungene Krieg. Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs (Veröffentlichungen des Instituts für Nachkriegsgeschichte), Tübingen 1961. An English version was published as recently as 1989 by the revisionist Institute for Historical Review in California that plays as much with names of reputable research institutions as Hoggan’s German publication did. 6 Rothfels, Hans, Letter to the Editor, American Historical Review 69 (1963/64), p. 1222. 43 7 Präg, Werner; Jacobmeyer, Wolfgang (Hgg.), Das Diensttagebuch des deutschen 44 Gerhard L. Weinberg appraisal ought to include an appreciation of its role in the development of a historical consciousness in the Federal Republic that is an enormous improvement over that of the post-World War I era and that is so recognized in much of the world. The belief that it was not only legitimate but necessary for German historians to try to examine the recent past that history and its study and teaching should not end with 1871 or 1890 or 1918 was of major significance in the way in which Germans reoriented themselves after 1945. Not all participated in this process, not all who did so were entirely successful, and some were probably insincere; but a contribution to the world of historical consciousness of which Berg is a part certainly owes something to the efforts made by many of the very historians subjected to his harsh judgment. Gerhard L. Weinberg is William Rand Kenan Jr. Professor Emeritus of History at the University of North Carolina, Chapel Hill. Generalgouverneurs in Polen 1939-1945 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 20), Stuttgart 1975; Krausnick, Helmut; Wilhelm, Hans-Heinrich, Die Truppen des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942, (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 22), Stuttgart 1981. 45 West German Zeitgeschichte and the Holocaust West German Zeitgeschichte and the Holocaust The Importance of an International Context von Alan Steinweis Nicolas Berg has written a stimulating, controversial, and important book. It raises important questions that merit contemplation, discussion, debate, and further research. These questions concern the lives, careers, and scholarship of the founders of West German Zeitgeschichte, the scholarly agenda and accomplishments of the Institut für Zeitgeschichte, and the frustrations experienced by Jewish scholars such as Joseph Wulf. Underlying all of these specific issues are more fundamental questions about the possibilities of scholarly objectivity, the reciprocal relationship between politics and scholarship, and the impact of personal biography on historical writing. The book has elicited strong reactions, both favorable and unfavorable, in Germany. Media outlets such as Die Zeit have pronounced it as essential reading. On the other hand, in certain academic circles the book, as well as its author, has been received with considerably less enthusiasm. I would hope that this initial polarized reception will eventually give way to a more differentiated appreciation. Intellectual fairness should dictate that Berg’s critics acknowledge the validity of certain arguments, but also that his champions will acknowledge weaknesses and flaws in the book. The three core elements of Berg’s argument are, first, that West German historiography long neglected intensive investigation of the persecution of the Jews and the Final Solution; second, that this neglect was the result of the fact that the scholars who founded and institutionalized Zeitgeschichte were either German nationalists, or persons who had been compromised by their own involvement with National Socialism; and, third, that when the Holocaust finally became a theme in West German scholarship, it was addressed in a manner that downplayed the personal guilt and moral responsibility of Germans and displayed insensitivity to the perspective of Jewish survivors. The second and third elements of this argument ought to 47 be at the heart of the controversy over Berg’s book. That West German scholarship long devoted little attention and energy to the Holocaust can hardly be a matter of dispute. The place of the Holocaust in West German Zeitgeschichte should be examined on at least two levels: first, in the peculiar features of the political and academic landscape of the Federal Republic in its early phase, and, second, in broader, international developments in scholarship about and memory of the Nazi era and the Second World War. Berg’s study addresses itself overwhelmingly to the West German scene, providing relatively little in the way of international context. This weakness does not necessarily negate Berg’s assertion that West German historians were influenced by nationalism, personal involvement with National Socialism, and sympathy for a German rather than Jewish perspective. But it does suggest the possibility that Berg gives excessive weight to such factors while underestimating other factors that were not peculiar to West German scholarship. During the Cold War, historical and social scientific understanding of Nazism was often filtered through totalitarianism theory, on the one hand, and the idea of a generic fascism, on the other. Both of these ideological constructs were, at least in part, designed to underscore continuities between National Socialism and post-war regimes. Such political motivations were further reinforced by the pronounced trend in favor of a social-scientific, structuralist approach to historical explanation. The racial antisemitism that was central to National Socialism did not fit well into the dominant schema, and was therefore relegated to contingency status, when not omitted altogether. It was, therefore, not only in West Germany that the Holocaust was largely absent from the scholarly agenda. For decades after 1945, the subject received only meager attention from scholars in the United States. It is now well known that Raul Hilberg encountered immense difficulties in finding a publisher for Destruction of the European Jews.1 Hilberg and other early Holocaust researchers operated in rel1 Hilberg, Raul, The Politics of Memory. The Journey of a Holocaust Historian, 48 Alan Steinweis West German Zeitgeschichte and the Holocaust ative academic obscurity well into the 1970s. Not only were Cold War scholarly paradigms at work, but American Jewry for a long time remained reluctant to make too much of a fuss about the subject, as Peter Novick has demonstrated.2 Even in the state of Israel relatively little serious scholarship on the Holocaust appeared in the early decades.3 A small state preoccupied with building a new society from the ground up while absorbing immigrants of diverse backgrounds could not devote vast resources to historical scholarship. Moreover, as Tom Segev has argued (probably to an exaggerated degree), the Zionist mentality focused interest primarily on heroic resistance fighters while otherwise treating Jewish victims of the Holocaust with a certain disdain.4 When this international context is considered, it would be unfair to single West German scholarship out for its decades-long neglect of the Holocaust. On the other hand, every national scholarly community in which this neglect existed was influenced by a unique constellation of assumptions and forces, be they determined by Cold War totalitarianism theory, Marxism-Leninism, Zionism, French national shame, or Catholic-Polish nationalism. Berg’s critics must, therefore, ask themselves whether Berg has in fact helped to elucidate the uniquely West German constellation of factors that resulted in scholarly neglect of the Holocaust in that particular country. The story that he tells is all the more compelling because of the book’s implicit assumption (as I see it) that, among all national scholarly communities, it was the West Germans who should have been motivated by a unique moral and intellectual responsibility to conduct scholarship on this subject. When the paucity of research on the persecution and murder of the Jews is compared, for example, to the effort devoted to documenting German resistance to Nazism, or to the experiences of German expellees, it is hard to avoid the conclusion that a psychology of German apologetics was at work. According to Berg, when West German Zeitgeschichte finally undertook to address Holocaust scholarship seriously, its embrace of structuralist paradigms amounted to an avoidance of personal and collective responsibility for National Socialism and its crimes. The accusation against Broszat is especially serious, as it can not be separated from Berg’s revelation that Broszat had been a member of the Nazi party, an affiliation to which Broszat had never admitted during his lifetime (although Broszat had acknowledged having admired Hitler as a youth). In light of this fact, Broszat’s position in the wellknown dialogue with Saul Friedlaender – in which Broszat defended the objectivity of German Zeitgeschichte against the ostensible inherent subjectivity of Jewish scholarship on the Holocaust – might seem all the more ridiculous. Nonetheless, one wonders whether empirical self-delusion, rather than personal motives, might have been behind Broszat’s actions. Broszat would be neither the first nor the last scholar convinced of the persuasiveness of his method and the imperfections of others, and Berg perhaps fails to appreciate the degree to which the structuralism exemplified by Broszat and Mommsen was a dominant fashion in international scholarship. Functionalist interpretations of National Socialism and Holocaust were also embraced by many scholars who had no personal or political reason for doing so. Intellectual convictions need not always be interpreted as reflections of politics or biography. It is also worth noting that functionalist interpretations of the Holocaust were not necessarily tantamount to moral exculpations of German leaders or of the German people, as some critics claimed they were. Academic debates over Zeitgeschichte in Germany sometimes become polarized to the point that constructive discussion is rendered extremely difficult. Nicolas Berg’s book has the potential to produce precisely this effect, as it levels serious charges against the founding fathers of German Zeitgeschichte and some of the venerable institu- Chicago 1996. 2 Novick, Peter, The Holocaust in American Life, Boston 1999. 3 Michman, Dan, Holocaust Historiography. A Jewish Perspective, London 2003. 4 Segev, Tom, The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust, New York 1993. 49 50 Alan Steinweis tions they established. My hope is that the kind of acrimony that has characterized the recent debate over the role of historians during the Nazi era can be avoided this time around. German historical scholarship will benefit from a civil dialogue between older and younger scholars, between the custodians of Zeitgeschichte and specialists in Jewish Studies, between insiders and outsiders. Alan E. Steinweis is an associate professor of History and Judaic Studies at the University of Nebraska-Lincoln. He is the author of „Art, Ideology, and Economics in Nazi Germnay“, and the forthcoming „The Antisemitism of Reason: Nazi Scholarship on Jews and Judaism“. 51 Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus Zu Nicolas Bergs fulminanter Historisierung der Historisierer von Hanno Loewy Hinter Nicolas Bergs Buch steht eine legendäre Kontroverse. 1988 setzten sich Martin Broszat und Saul Friedländer über das Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft, Erinnerung und ihrem Gegenstand, dem beinahe gelungenen Versuch der Vernichtung der europäischen Juden durch eine nationalsozialistisch formierte deutsche Gesellschaft, auseinander. Das „Zauberwort“ des Streits war „Historisierung“. Das Wort mag seitdem an polarisierender Aufladung verloren haben. Doch worum es in dieser Debatte tatsächlich ging, scheint erst heute und mit einem Blick erschließbar, der mit „Historisierung“ nicht positivistische Wissenschaftsgläubigkeit meint, sondern wissenschaftliche Kritik an der Historizität geschichtswissenschaftlicher Deutungen. Berg stellt in seinem Buch das Vorhaben der „Historisierung“ auf die Füße, nicht mehr und nicht weniger. Bergs Material ist dabei so präzise gewählt wie ungewöhnlich. Statt sich vor allem mit den historiografischen Hauptwerken seiner Protagonisten auseinanderzusetzen, erschließt er insbesondere jene Metatexte und Quellen, in denen sich Intentionen, Selbstbilder und Posituren westdeutscher Historiker offener, aber auch diskursiver Art ihren Ausdruck verschafften: Korrespondenz und Reden, entlegene Entwürfe für nie geschriebene Gesamtdarstellungen und Einleitungen, Forschungsprogramme und innerinstitutionelle Vermerke, eben all das, was vielleicht noch nicht zu Ende gedacht, vielleicht aber auch dem Lebensprozess der Wissenschaft noch mehr angehört, als manches andere schließlich Veröffentlichte. Insofern ist sein Buch auch alles andere als eine „voluminöse Sammelrezension“, wie Christian Geulen in der Frankfurter Rundschau es nannte – immerhin einer der wenigen Rezensenten, der den Versuch machte, sich auf Bergs Methodologie einzulassen.1 Wenn etwas Bergs Zweifel daran nährt, dass es sich bei Martin Broszat tatsächlich um „eine der wenigen Lichtgestalten unter den deutschen Zeithistorikern“ (Ullrich) handelt, dann sicherlich nicht seine tabuisierte Parteimitgliedschaft. Vielmehr ist es eine kritische Re-Lektüre des Funktionalismus im Kontext seiner tatsächlichen und bislang nie ernsthaft diskutierten Entstehung in den späten 40erJahren – eine Entstehung, die eben gerade nicht (jedenfalls nicht nur) aus der berechtigten Kritik des späteren Intentionalismus hervorging, wie Ullrich schreibt, sondern aus jenem Geist der Sachlichkeit, der auch einen Ernst Jünger unmittelbar nach 1945 mit Alfred Andersch und dem Gründungsgeist der Gruppe 47 verband. Die daraus sprechende „Nüchternheit“ lohnt es sich wohl noch einmal genauer anzusehen, genauer auch, als es Berg in seinem Buch vermag, das sich geistesgeschichtliche Exkurse zu Recht verbietet. Und sie freilich umso nachdrücklicher einklagt. Nicht nur in Bergs Buch, sondern auch in dessen Kritik erweist sich indes die Folge von geschichtswissenschaftlichen Perspektiven und Diskursen nicht nur als Chronologie, sondern als Generationenfrage, und damit nicht nur als Geschichte von „Erkenntnisgewinnen“ und Brüchen, sondern als Geflecht von Loyalitäten und Konflikten, Identifikationen und Versöhnungen, Tradierungen und Wiederkehr von Verdrängtem sowie Erbschaften, die manchmal auch erst von Enkeln angetreten oder ausgeschlagen werden. In der Re-Lektüre der „heiligen Nüchternheit“ eines sachlichen Funktionalismus erweist sich dieser nicht so sehr als Rationalität, sondern als Rationalisierung einer Erfahrung, die nicht in der Erinnerung von „Tätern“, sondern deren „Mitläufern“ geronnen ist, die ihrer eigenen inneren Beteiligung einen zugleich verstehenden und entlastenden Rahmen zu verschaffen geeignet sein mag. Wer das Buch nicht (aus welchen Interessen auch immer) als moralische Skandalisierungsgeschichte missverstehen will, der kann es 1 „Zwischen 53 Erinnerung und Erforschung“, in: Frankfurter Rundschau, 5.9.2003. 54 Hanno Loewy Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus immer noch sehr unterschiedlich lesen: als eine kritische Rekonstruktion der „Erfolgsgeschichte“ des Funktionalismus in der Deutung des Holocaust – und seine Entzauberung. Als ernüchternde Betrachtung über die fehlgeschlagene „Begegnung“ zwischen deutschen und jüdischen Historikern nach 1945, und die Illusionen, die man sich heute noch über diesen Austausch macht. Ja, man mag es auch als Positionsbestimmung für den Versuch lesen, jenseits der überlebten Kontroversen das Terrain für die Annäherung an die Geschichte des Holocaust in Deutschland neu zu arrondieren. Immer aber geht es darum, wie im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs unterschiedliche Erinnerungen artikuliert oder unterdrückt, befragt oder vorausgesetzt, thematisiert oder instrumentalisiert werden. Wie also jene Spannung wirksam wird, um die es zwischen Broszat und Friedländer doch im Kern ging. Eine Spannung, die Friedländer, souverän (oder verzweifelnd?) um Rationalität (oder um so etwas wie Versöhnung?) bemüht, bis zu Broszats frühem Tod nicht zum Bruch eskalieren ließ. Welche Selbstdeutungen und Rollenzuweisungen in diesem Spannungsfeld ermöglichen es, wissenschaftliche Fragen an eigene Erfahrungen und Erinnerungen anzuschließen, bzw. Erfahrungen und Erinnerungen in den wissenschaftlichen Diskurs einzuschließen, auszuschließen oder an ihn zu assimilieren – in der ganzen abgründigen Doppeldeutigkeit dieses Begriffs? Wie verhalten sich Vergangenheit und Gegenwart zueinander? Wie verhält sich eine mögliche Historisierung des Holocaust zu einer Perspektive der „Sieger“, also einer nur ex-post gegenüber einem vergangenen Leiden (kategorisch: einem Leiden anderer) abzugewinnenden Distanz, die die fortdauernde Gegenwart des Traumas notwendigerweise ausgrenzen muss? Ist die Erinnerung der Opfer mit einer historiografischen Rekonstruktion der Ereignisse unvereinbar? Und ist die Historiografie der früheren Täter und Mitläufer, bzw. ihrer Nachkommen von perspektivischer Aufladung (Subjektivität) etwa leichter zu befreien? Ist die Perspektive der Täter der Zugang zur Erklärung der Tat, und damit die „Mitläufererzählung“ so etwas wie ein notwendiger Schlüssel, eine historiografisch privilegierende Erfahrung? Oder erschließt sich die Tat erst aus einer kritischen „Dekonstruktion“ dieser Täterperspektive, ihren Mythen und Selbstbildern? Und aus welcher Perspektive kann eine solche Dekonstruktion des Täterbilds erfolgen? Aus der Perspektive der Opfer, oder gleichsam aus einem diskursiven Zwischenraum? Oder womöglich aus der Perspektive einer schon in einem Zwischenreich zwischen Tätern und Opfer gemachten Erfahrung (wie Dan Diner es seinerzeit am Beispiel der Judenräte vorgeschlagen hatte)? Was sind die Folgen eines geschichtswissenschaftlichen Selbstbildes, das sich einer Selbstthematisierung im Zeichen reflektierter Erinnerung entschlägt? Berg nähert sich den durch Broszat und Friedländer seinerzeit aufgeworfenen Fragen in vier konzentrischen Kreisen, deren jeweiliger Gegenstand einerseits durch die reale Chronologie der wissenschaftlichen Diskurse vorgegeben, andererseits von ihm im Blick auf ihre Vor- und Nachgeschichte neu kontextuiert und historisch verankert wird. Der Höhepunkt von Wulfs Kontroverse mit dem Institut für Zeitgeschichte und insbesondere mit Martin Broszat und Helmut Krausnick nimmt dabei keineswegs nur darum einen breiten Raum in Bergs Darstellung ein, um dem Historiker Joseph Wulf, der sich schließlich 1974 in Berlin aus dem Fenster seiner Wohnung in den Tod stürzte, späte Gerechtigkeit und „Anerkennung“ widerfahren zu lassen, sondern weil in ihr der Preis evident wird, den die funktionalistische Identifikation mit dem tragisch-sachlichen Selbstbild der Täter am Ende fordert: den Verlust einer kommunikativen Perspektive auf die widersprüchlichen, ideologischen und pragmatischen Dimensionen der Tat, jenseits der selbstgerechten Positur der Täter und den retrospektiven Identitätsbedürfnissen nationaler Kollektive. „In seiner [Broszats] Auseinandersetzung mit jüdischen Historikern standen sich eben nicht subjektive jüdische Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung gegenüber, sondern hier stießen zwei in die Wissenschaft verlängerte Gedächtnisse aufeinander.” (S. 55 56 Hanno Loewy Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus 615) Bergs Konzentration auf den Gedächtnisbegriff erweist sich in seiner Polarisierung zwischen jüdischem und deutschem zuweilen als zu eng geführt, ja ihm selbst verdächtig. Mit Autoren wie Martin Broszat, Hans Buchheim oder Hans Mommsen führt er in seine Darstellung schließlich die dritte, durchaus distinkte Generation mit eigenen verbindenden (vielleicht manchmal aber auch trennenden) Erfahrungen ein. Und er demonstriert das Problem künstlich homogenisierter Gedächtnisse gleichsam selbstbewusst nicht nur spezifisch in seiner differenzierten Analyse der Arendt-Rezeption, sondern durchweg, wenn er in den beiden abschließenden Kapiteln zunächst die beiden Großdeutungen der 60er-Jahre, im Zeichen von Totalitarismustheorie und Faschismustheorie, in ihren jeweiligen programmatischen Defiziten vorführt. Der Kontext der Politisierung der 60erJahre und die jeweiligen politischen Funktionen der beiden Erklärungsmodelle bleiben dabei eher im Hintergrund, auch wenn deutlich wird, wie sehr Karl Dietrich Brachers Ausformulierung des Totalitarismusbegriffs einem Versuch der Westintegration verbunden bleibt, und im Gegenteil dazu, sich das Hantieren mit Faschismustheorie der kategorischen, aber durch die Teilung Europas und die Erbschaft des Stalinismus korrumpierten Alternative eines sozialistischen Weges verpflichtet bleibt. Berg zeigt, wie freilich in beiden Deutungsparadigmen die Vernichtung der europäischen Juden systematisch keinen Ort finden kann. Wulfs Selbstmord stand, wie Berg aufweist, neben dessen ganz privaten Dimensionen mindestens ebenso im Zeichen seiner immer spürbareren Heimatlosigkeit auch innerhalb der kritischen (linken) Öffentlichkeit in Deutschland und dem Scheitern seines Projekts, in der so genannten Wannseevilla in Berlin ein Dokumentations- und Forschungszentrum zum Holocaust zu etablieren, wie auch in der Folge seiner Ausgrenzung aus dem etablierten, vom Institut für Zeitgeschichte dominierten geschichtswissenschaftlichen Diskurs. Berg stellt die Diskurse um Totalitarismus und Faschismus, sys- tematisch nicht ganz stimmig, für den Gang seiner Argumentation aber dennoch fruchtbar, jenen selbstquälerischen, vielfach gebrochenen, vor allem aber instrumentalisierend missverstandenen Versuchen Hannah Arendts gegenüber, das radikal neue historische Ereignis des gesellschaftlich und arbeitsteilig begangenen Massenmords in Beziehung zur Tradition des Antisemitismus zu setzen, Kontinuitäten und Brüche dieser Beziehung zu erkunden. Wenn uns mit Berg auffällt, wie sehr doch Arendts Positionen in den 50er-Jahren und der im Eichmann-Buch formulierte Strukturalismus sich aneinander reiben, so hätte es gut getan, an dieser Stelle die Widersprüche innerhalb der polarisierten kommunikativen Gedächtnisse auf deutscher oder jüdischer Seite noch deutlicher werden zu lassen. Es war, wie Berg zurecht andeutet, schließlich Arendts eigene kritische, ja dissidente Position gegenüber jüdischen Versuchen, den Holocaust zu einem Gründungsereignis und Stiftungsmythos eigener Staatlichkeit zu interpretieren, die ihre Eichmann-Interpretation mit einem Begehren auflud, in dieser Figur einen Schlüssel zur Universalisierung zu erkennen. Keineswegs ging es ihr in diesem Buch freilich um universalistische, zivilisations- bzw. modernitätskritische Sinnstiftung, wohl aber um universalisierende Kritik an den Versuchen, Auschwitz zur Begründung einer kollektiven Identität partikularistisch zu okkupieren, wie sie es im Kontext des Eichmann-Prozesses schmerzlich empfand. Eher en passant erwähnt Berg Arendts wenige Jahre später aufgebrochene Kontroverse mit Hans Magnus Enzensberger, dessen vermeintlicher Anschluss an ihr Buch in einer Gleichsetzung von Auschwitz mit „moderner Politik“ und den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki gipfelte. Arendt muss spätestens hier erkannt haben, wie sehr ihr Buch missverstanden werden konnte und bis heute wird. Gekennzeichnet von solcher Vereinnahmung (zum Beispiel von Seiten Hans Mommsens) erscheint schließlich auch der vermeintliche Siegeszug des Funktionalismus, der gegenüber intentionalistischen Deutungen (nicht zuletzt auch unter Bezugnahme auf Arendt, die sich dagegen nicht mehr wehren kann) sich als die komplexere (also „wissenschaft- 57 58 Hanno Loewy lichere“) Interpretation Geltung verschaffen konnte. So bleibt Bergs Interpretation des FunktionalismusIntentionalismus-Streits und seines Höhepunkts in den 80er-Jahren letztlich nicht ganz konsistent. Denkt man seine eigene Rekonstruktion dieser Forschungsauseinandersetzung konsequent zu Ende, und insbesondere seine Entdeckung ihrer Frühgeschichte um 1950, so erweist sich die Polarisierung selbst in ihren Extremen als ausgesprochen deutsches Paradigma. Wenn Berg hingegen diese Polarisierung im Gang seiner Argumentation schließlich auch als Gegensatz zwischen jüdischem und deutschem Gedächtnis interpretiert, werden unterschiedliche Ebenen des Konflikts, vor allem aber unterschiedliche Bedeutungen verwandter Ideen und ähnlich klingender Signalbegriffe in verschiedenen Kontexten ununterscheidbar, während die Konflikte, vor allem aber die Differenz der Erfahrungen innerhalb der jeweiligen vorausgesetzten „Kollektive“, verwischt werden. Was so unterschiedliche Autoren wie Wulf und Hilberg, Arendt und Reitlinger, Adler und Friedländer vor dem Hintergrund ihrer konträren Erfahrungen in der Emigration, im Versteck oder im Lager (erst recht aber auch Autoren wie Eugen Kogon und Hermann Langbein, die als Nichtjuden Zeugen der Vernichtung in den Lagern wurden), wie auch ihrer unterschiedlichen Beziehung zur deutsch-jüdischen Tradition trotz aller Kontroversen gemeinsam blieb, war zunächst einmal, dass es so etwas wie eine Tat und viele Täter überhaupt gab, dass sie von der Verantwortlichkeit von Tätern für ihr Handeln und von der Komplementarität von Ideologien und pragmatischen Interessen im Grundsatz ausgingen. Auf beiden Seiten der deutschen Intentionalismus-Funktionalismus-Kontroverse verflüchtigte sich das Gros der Täter hingegen in einen Kreis Verführter, Getriebener, Verstrickter oder ihren eigenen Sachzwängen Ausgelieferter, und die Tat löste sich entweder in der Dämonie eines wahnsinnigen Führers auf, oder in der Struktur einer „kumulativen Radikalisierung“, deren Ergebnis nur retrospektiv, das heißt jenseits der Verantwortung der Beteiligten auszumachen war. Von Hans 59 Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus Buchheim bis Hans Mommsen bleibt das Ergebnis ihrer „komplexen“ Sicht auf die Geschichte ein tragischer Epos, eine Geschichte von „tragischer Verstrickung“2 und schicksalhafter „Selbstläufigkeit“, die „sich allen Beteiligten von selbst auf[drängte]”.3 Wenn man nun zugleich über den Binnenzusammenhang wissenschaftlicher Diskurse hinausblickt, dann erweist sich die von Berg konstatierte Erfolgsgeschichte des Funktionalismus als durchaus weniger eindeutig. Der Hitlerismus eines extremen deutschen „Intentionalismus“ erwies sich im gedenkpolitischen und massenmedialen öffentlichen Raum durchaus als nachhaltig und wirksam, ja durchaus dominant. Man denke nur an die Geschichte des Berliner Holocaust-Denkmals neben den mittlerweile wieder unsichtbaren Ruinen des Führerbunkers, oder an die populäre Resonanz eines ZDF-Geschichtsfernsehens, das von „Hitlers Frauen“ bis zu „Hitler’s Holocaust“ (so der englische Titel der in Deutschland unter dem Namen „Holokaust“ ausgestrahlten Serie) die Geschichte des Nationalsozialimus zu „Hitlers Welt“ zurichtet. Zu zeigen wäre freilich auch, dass der Erfolg des Strukturalismus als „wissenschaftliche“ und des Hitlerismus/Intentionalismus als „populistische“ Strategie keineswegs gegenläufig sind, sondern sich in ihrer Wirkung gegenseitig bedingen und bestärken. Einfacher ausgedrückt: Während der Hitlerismus sich im Endeffekt als Entlastungsstrategie für die Massen erweist, enthält der Funktionalismus zumindest einmal einen bunten Strauß von theoretisch begründeten Entlastungsangeboten für diejenigen, die sich für etwas Besseres halten. Im Grunde aber läuft beides auf dasselbe hinaus. 2 So z.B. in Buchheim, Hans, Das Dritte Reich. Grundlagen und politische Entwicklung, München 1958, S. 43. 3 So Hans Mommsen zuletzt in: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen ‚Endlösung der Judenfrage’, München 2002, S. 168f. Vgl. die ausführliche Rezension zu diesem Buch von Christian Gerlach in: Quinkert, Babette; Dieckmann, Christoph; Tönsmeyer, Tatjana (Hgg.), Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kollaboration“ im östlichen Europa 1939-1945 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 19), Göttingen 2003, S. 274ff. Gerlach weist Mommsen hier nicht nur ideologische Kurzschlüsse und Sprachkonstruktionen, sondern auch groteske sachliche Fehlleistungen nach. 60 Hanno Loewy Bergs frappierende Schilderung der widersprüchlichen Dynamik der legendären Stuttgarter Konferenz über „Entschlussbildung zum Völkermord“ von 1984 lässt den Schluss zu, dass jener Schulenstreit nicht nur eine erkenntnistheoretische Sackgasse formierte, sondern innerhalb einer weltweit sich entwickelnden Holocaustforschung so etwas wie eine deutsche Hegemonie nicht nur einforderte, sondern in mancher Hinsicht vielleicht auch durchsetzte. Dies steht nur scheinbar in einem Widerspruch zur verblüffend gegenläufigen Wirkung, die das funktionalistische Paradigma außerhalb Deutschlands als kritisches Potential entfaltet hat, um den Blick auf Strukturen, Mechanismen und Funktionen zu öffnen, die jenseits des Ereignisrahmens des Nationalsozialismus als bedrohlich empfunden werden. Hannah Arendt und Raul Hilberg, so gegensätzlich sie sich einander auch erschienen sind, haben den Funktionalismus durchaus fruchtbar rezipiert und gegen jüdische Mythenbildungen und nationale Identitätskonstruktionen ins Feld geführt. Dass ihnen solche Kritik dabei zur Produktion gleichsam von Gegenmythen geriet, sei es der „Banalität des Bösen“ oder auch der Leugnung jüdischen Widerstandes, sollte auch hier Anlass zur kritischen Betrachtung der Karrieren politischer und wissenschaftlicher Ideen, zur Reflexion über die in ihrem Gepäck verborgenen Probleme sein, und nicht zur identifikatorischen Traditionsbildung. Deutlich aber wird hier, wie unterschiedlich sich scheinbar identische Begriffe von Struktur und Funktion mit Bedeutung aufladen, je nachdem, ob aus einer Perspektive der Opfer der radikale Verlust von Subjekthaftigkeit und Identität, geschichtlichem Sinn und moralischer Eindeutigkeit thematisiert wird (wie es in unterschiedlichster Form nicht nur jüdische Wissenschaftler wie Arendt, Hilberg oder Adler versuchten, sondern auch Autoren wie Imre Kertész, Primo Levi oder Jean Améry) – oder ob aus einer „Mitläuferperspektive“ (um nicht von Tätern zu sprechen, sondern von denen, die sich mit ihnen wie auch immer als Mitläufer oder Nachkommen identifizieren wollen) jede Verantwortung jenseits tragischer Selbstbilder von „Verstrickung“ und „Schick- 61 Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus sal“ zum Verschwinden gebracht werden. Niemand anderes als Imre Kertész hat diesen Zwiespalt offener artikuliert, als in seinem Galeerentagebuch, in dem er in verschiedenen Einträgen zwischen 1963 und 1968, sein eigenes Projekt eines Porträts des „funktionalen Menschen“4 in der „STRUKTUR“5 der Lager als Absage an den „Helden der Tragödie“ formuliert. Und zugleich darauf hinweist, das die Rede vom „Schicksal“ nichts anderes war, als Hitlers Versuch, „Dinge als ‚unumgängliches Schicksal’ erscheinen zu lassen, die durchaus nicht unumgänglich waren, die auch ganz anders hätten geschehen können, oder sogar überhaupt nicht hätten geschehen müssen“.6 Der Verführung, am Ende von soviel Kritik doch noch ein paar Spuren positiven Ausblicks zu formulieren, erliegt leider auch Bergs Rekonstruktion der Geschichte der Anziehung und Abstoßung, die das Verhältnis westdeutscher Historiker zum Holocaust geschrieben hat. Sein Versuch zu zeigen, wie es der schließlich vierten von ihm ins Spiel gebrachten Generation von Historikern gelingt, die Polarisierung der vergangenen Diskurse zu unterlaufen, zwingt so gegensätzliche Perspektiven wie die Ulrich Herberts, Michael Zimmermanns oder Götz Alys zusammen. Dabei verliert Berg seine eigene methodische Perspektive auf die Historiografie ein wenig aus dem Blick. Eine Perspektive, die diese nach 1945 geborene Generation in ihrem ganz eigenen Generationenkonflikt positionieren und ihre wissenschaftlichen Texte einer ähnlich kritischen Rekonstruktion ihrer Blindstellen und Schlagseiten öffnen müsste. (Götz Alys zivilisationskritisches Paradigma beispielsweise würde sich einem solchen Blick womöglich nicht als radikal Neues, sondern als Wiederkehr von allzu Bekanntem erweisen.) So ist manches an diesem an überraschenden Einsichten so reichen Buch methodisch noch nicht bis ans Ende realisiert. Der Gene4 Kertész, Imre, Galeerentagebuch. Reinbek 1997, S. 8. S. 26. 6 Ebd., S. 23. Vgl. dazu den Aufsatz von Meyer, Thomas, Die Logik der STRUKTUR. Imre Kertész’ „Roman eines Schicksallosen“ und Theodor W. Adornos SchönbergInterpretation, in: Peter Weiss Jahrbuch 12 (2003), S. 145-163. 5 Ebd., 62 Hanno Loewy rationenbegriff, von Berg selbst ein-, aber kaum durchgeführt, wäre, systematischer ins Spiel gebracht, noch für manche Einsicht gut, ohne dass man gleich mit den üblichen soziologischen Monstren wie „Alterskohorten“ operieren müsste. (In diesem Zusammenhang vermisst man besonders einen biografischen Anhang der über das beeindruckend ausgebreitete Spektrum von Beteiligten und die Struktur ihrer Konflikte einen klareren Überblick verschaffen könnte.) Christian Geulens Hinweis darauf, dass zwischen den von Berg dynamisch gegen- und ineinander gesetzten Paradigmen der Erforschung und Erinnerung auch die Dimension der die Diskurse jeweils prägenden zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen (und Interessen) zu ihrem Recht kommen sollten, weist in eine ähnliche Richtung. Freilich auch darauf, dass Bergs Buch in vieler Hinsicht Neuland betreten hat, und dass von einer kritischen Selbstreflexion der Geschichtswissenschaften in Deutschland noch überhaupt keine Rede sein kann. Bergs Studie ist demnach nicht nur eine mutige Pionierleistung, sondern bleibt hochgradig voraussetzungsvoll, nicht nur weil er darauf verzichtet hat, die Broszat-Friedländer-Kontroverse am Ende seines Buches noch einmal im Lichte der nun gewonnenen Erkenntnisse zu rekonstruieren und neu zu lesen. Dies, wie manches andere, worauf er verweist, überlässt er souverän, vielleicht zu souverän, seinen Leserinnen und Lesern, ohne selbst explizit Synthesen herzustellen. Zuweilen hätte ein entschiedeneres Lektorat hier im Reichtum der überraschenden und weitgehend neu erschlossenen, hin und wieder aber in extenso zitierten wissenschaftsgeschichtlichen Quellen durchaus Raum schaffen können, um die Schneisen, die Berg durch sein Material legt, noch weiter verfolgen zu können. Manches besonders starke Detail der Arbeit hat sich so zuweilen in den Fußnoten versteckt. So auch der Zusammenhang zwischen Helmut Schelskys Biografie und der Genese seines Paradigmas von der „skeptischen Generation“, indem die enge Verbindung von tragischem Selbstbild, Heroismus und Sachlichkeit vor und nach 1945 63 Die Geburt der „Sachlichkeit“ aus dem Geist des tragischen Heroismus einem geradezu ins Auge springt. So bleibt Nicolas Berg am Ende bei der differenzierten Beschreibung beider Selbstbilder stehen, des „tragischen“ und des „sachlichen“, und überlässt es dem Leser zu erkennen, wie sehr diese beiden scheinbar so gegensätzlichen Paradigmen einander nicht nur bedingen, sondern im Grunde zur gemeinsamen Grundausstattung eines deutschen Grundkonsenses über die eigene Rolle im Nationalsozialismus wurden. Nicht nur am Beispiel Schelskys wäre es möglich, dieses Selbstbild von der „Bewältigung“ der Vergangenheit, durchaus in den Nationalsozialismus zurück zu verlängern. (Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung der gleichnamigen Rezension im Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte, Göttingen 2004.) Hanno Loewy, Literatur- und Filmwissenschaftler, 1995-2000 Gründungsdirektor des Fritz Bauer Instituts, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems in Österreich und Lehrbeauftragter für Medienwissenschaften an der Universität Konstanz. 64 Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe Zur Debatte um die Täternähe der „kritischen Zeitgeschichte“ von Habbo Knoch Auch wenn das Buch von Nicolas Berg nun zum Anlass eines seltenen eigenen H-Soz-u-Kult-Forums wird, bewegt sich die Debatte doch vor allem im engeren fachwissenschaftlichen Diskurs. Gleichwohl ziehen Bergs Vorwürfe die Protagonisten der „kritischen Zeitgeschichte“ in einen Sog, in dem das „Goldhagen-Phänomen“ noch nachwirkt: die mediale Verstärkung des tief in das Gemüt der deutschen Gesellschaft reichenden Vorwurfs einer kollektiven Täterdisposition. Gewiss geht es auch bei den Zeithistorikern um mehr als um eine innerfachliche Generationsdebatte. Aber der Stigmatisierung durch eine vermeintliche „Täternähe“ sollte die wissenschaftshistorisch relevantere und erinnerungskulturell zentralere Frage nach der Entwicklung der öffentlichen Aufgabe der Zeitgeschichte in Deutschland sowie nach ihren Absichten, Möglichkeiten und Versäumnissen nicht vorschnell untergeordnet werden. Im Folgenden wird deshalb zunächst die Genese der Zeitgeschichte aus dieser Perspektive heraus skizziert (I.), vor deren Hintergrund dann die Dynamiken der Debatte um den Vorwurf der „Täternähe“ (II.) betrachtet und Thesen zur zukünftigen Positionierung der NS-Zeitgeschichte (III.) entwickelt werden. I. Die Genese der Zeitgeschichte Erst seit den 80er-Jahren ist der Holocaust als eigenständiger Deutungsrahmen dominant gegenüber jenem ursprünglichen Bezugsfeld der deutschen Zeitgeschichte geworden, aus dem der Stil der Sachlichkeit der „kritischen Zeitgeschichte“ erwuchs: dem Versuch, die NS-Zeit als Ganzes in den Blick zu nehmen. Die Perspektiven, Themensetzungen und Ausblendungen der „Generation Broszat“ jedoch, wie Berg es praktiziert, an einem erinnerungsmoralischen Maßstab zu messen, der sich selbst erst in einem mühseligen transnationalen Erinnern als demokratische „civil religion“ Bahn gebrochen hat, wird 65 dem Deutungsraum seiner historischen Akteure nicht gerecht. Bergs zu Recht gestellte Frage, warum der Holocaust im engeren Sinne von so geringer Bedeutung auch in den NS-Studien der kritischen Zeithistoriker war – und nur dies ist eigentlich kontrovers an seinem Buch –, lässt sich allein aus der besonderen Positionierung der deutschen Zeitgeschichte im multiplen Spannungsfeld von politischer Camouflage, medialer Vergangenheitsmythisierung und wissenschaftlicher Abstandnahme zur „Zeitgeschichte“ beantworten. Statt sich zuwenig mit „Erinnerung“ befasst zu haben, wie Berg es ihr vorwirft, war die zweite Generation der Zeithistoriker womöglich gerade zu sehr auf eine Kontrolle und Steuerung der Vergangenheitsverwandlungen der deutschen Gesellschaft bedacht und dadurch an sie gebunden. Als Hans Rothfels 1953 Zeitgeschichte programmatisch „als Aufgabe“ definierte, schrieb er den Historikern nicht nur eine auch zuvor durchaus wahrgenommene öffentliche Rolle zu. Er sah als ihre „Aufgabe“ vielmehr an, wissenschaftliches Korrektiv der zeitgenössischen Meinungsbildung über die NS-Zeit zu sein. Allein ihr aus historischer Perspektive gewonnener Interpretationsrahmen und eine um Kenntnisse der „Mitlebenden“ zu erweiternde Quellenanalyse galten ihm als Garanten für in seinen Augen unverfälschte Erkenntnisse. Beides diente auch dazu, Zeitgeschichte überhaupt als Wissenschaft gegenüber anderen Epochen und Stilen der Geschichte zu legitimieren. Dem Zeithistoriker räumte Rothfels damit einen Anteil an der Wiederherstellung der Bürgerlichkeit über intellektuelle Trägergruppen ein, die ihre Zunftregeln als Reaktion auf das Versagen des Bürgertums angesichts der „kollektivistischen“ Herausforderungen kräftigen sollten. So galt der Historiker-Ordinarius nicht allein als Experte, sondern als Bürge einer deutschen Rezivilisierung und (nationalkonservativen) Demokratisierung. Damit war der Zeitgeschichte eine Scharnierfunktion zwischen Geschichtswissenschaft, Politik und Öffentlichkeit zugewiesen. Sie forderte von Beginn an zum Überschreiten und Auflösen, aber auch zum Bestätigen und Verankern der systemspezifischen Codes von 66 Habbo Knoch Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe Wissenschaft und politischer Meinungsbildung heraus. In ihrer ersten Phase zielte die Zeitgeschichte jedoch kaum darauf ab, die öffentliche Meinung direkt zu gestalten. Vornehmliche Adressaten waren neben bürgerlichen Intellektuellen juristische und politische „Entscheider“. Dies entsprach der habituellen Nähe der ersten Zeithistoriker, die von ihrer Ausbildung her keine waren, zum Nationsund Staatsdenken der deutschen historiografischen Tradition. In ihrer politikhistorischen Ausrichtung sah sich die Zeitgeschichte als Reflexionsinstanz für die nahzeitliche Tiefendimension der bundesdeutschen Rückgewinnung staatlicher Souveränität. Aus der Aktennähe resultierte ein Selbstverständnis zwischen Geheimdiplomatie und Skandalisierungspotential. Gegenüber einer auf Sensationelles aus dem Leben von NS-Prominenten wartenden Öffentlichkeit, die in der Absetzung von den „Bonzen“ ihre private Vergangenheitsbewältigung betrieb, wurde ein durch Ausbildung und Staatsnähe der Zeitgeschichte angelegter methodischer Konservatismus des „Informationsmanagements“ verankert. Solange an Identität und Stabilität dieses Staatswesens noch Zweifel bestanden, blieb die Zeitgeschichte dem eng verhaftet – auch in jenen thematischen Modifikationen und Schwerpunktsetzungen, mit denen sich die „kritische Zeitgeschichte“ der politischen Binnenstruktur des NS-Systems zuwandte. Mit der Zeit wurde das Bewusstsein, als Nationalhistoriker Wächter und Korrektiv für die historische Sinnstiftung einer bürgerlichen Elite zu sein, von einer Ausdifferenzierung und breiten Verflechtung von Zeithistorikern in die Schnittstellen der verschiedenen Deutungssysteme überformt. Ein wesentlicher Anschub dazu waren die wiederkehrenden Täterdebatten ab Mitte der 50er-Jahre. Die mit ihnen verbundenen Entlarvungen von Tätern und Mittätern waren mit einer Politisierung der zeithistorischen Information verbunden. In ihrer juristischen Sensibilität waren diesbezügliche Aussagen oder gar Belege zunehmend in eine außerwissenschaftliche Informationssteuerung verflochten: Ausstellungsmacher fanden oder nutzten Belege, um Täter zu individualisieren, in den Medien kam es, teilweise auch nach eigenen Recherchen, zu Skandalisierungen, Strafverfolgungsbehörden schritten gegen Veröffentlichungen ein. Der selbsterklärte Expertenstatus der (Zeit-)Historikerzunft stand zur Disposition, zumal mit der konkurrierenden zeithistorischen Beschäftigung in Politikwissenschaft, Pädagogik und Psychologie auch auf Aufklärungsinteressen und frühe mediale Thematisierungslogiken reagiert wurde, in die sich der „lange Blick“ des Historikers nur bedingt fügte. So war die nachgeholte Vergangenheitspolitik der Jahre zwischen 1955 und 1965 auch Inkubationsphase für einen „public turn“ von solchen Zeithistorikern wie Martin Broszat oder Hans Mommsen. Gerade diese trugen dazu bei, das traditionelle Wächteramt des Historikers von einem auf Identitätsstiftung und Sinngebung angelegten Konsensmodell zu einer kritischen öffentlichen Distanzierung von einem Wissenschaft gewordenen Alltagsbild des Nationalsozialismus umzuformen. Denn nach der ersten Generation vor allem nationaler Sinnsuche prägte die Zeitgeschichte seit den 60er-Jahren eine Streit- und Deutungskultur, für die Polarisierungsdynamiken kennzeichnend waren. In ihnen wurden Interpretationen „mittlerer Reichweite“ wie in der Intentionalismus-Funktionalismus-Kontroverse gegeneinander paradigmatisch akzentuiert. Trotz ihrer Rezeption in der bürgerlichen Öffentlichkeit blieben es im Kern fachinterne Auseinandersetzungen, die nach Mustern der wissenschaftlichen Schulbildung Inklusionen und Exklusionen erzeugten sowie Historikergenerationen voneinander abgrenzten. Diese Kontroversen waren auf das NS-System im Ganzen bezogen, können ohne den medialen „Hitlerismus“ der Zeit nicht verstanden werden und atmeten nicht unbeträchtlich den Geist der 60er und 70er-Jahre: das Vertrauen auf umfassend erklärende „Metanarrative“, die (partielle) Erweiterung politikhistorischer Ansätze um die Kategorie „Gesellschaft“ als Makrocontainer für alles Soziale und die politische Erweiterung der Historikerzunft, in der sich ein wissenschaftlicher Stellvertreterkonflikt um die Reformbedürftigkeit der Bundesrepublik niederschlug. Aber sie blieb dem na- 67 68 Habbo Knoch Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe tionalen und politischen Rahmen des öffentlichen und politischen Deutungsbedarfs eng verhaftet: Als erklärungsnotwendig galt immer noch der Nationalsozialismus als gesamtes System – und damit wurde, verstärkt durch Studentenbewegung, Terrorismus und Rechtsstaatsfrage der 70er-Jahre, die spannungsreiche Pluralisierung der Bundesrepublik indirekt mitverhandelt. Die erst danach einsetzende gesellschaftliche Etablierung des Holocaust als zentralem Bezugsfeld der Erinnerung ging der entsprechenden historischen Forschung in Deutschland nicht nur begrifflich („Zivilisationsbruch“) um Jahre vorher. Erst die in den 80er-Jahren sich ausbreitende Selbstversicherung, nach den Krisen von „1968“ und „RAF“ über eine krisenresistente und streitfähige demokratische Kultur zu verfügen, und die gleichzeitige Betonung der Zentralität des Holocaust gegen den konservativen Versuch einer nationaldeutschen Identitätsstiftung ließen die Ermordung der Juden als „Zivilisationsbruch“ aus dem Deutungsgeflecht des NS-Systems heraustreten. Zeitgeschichte als Wissenschaft wurde zunehmend mit der öffentlichen Thematisierung verkoppelt und durch sie gesteuert. Hier bahnte sich jene Umkehrung an, die heute den Generationskonflikt ausmacht – jener Paradigmenwechsel, den Holocaust nicht als Fall zu verstehen, der Aufschluss über die Funktionsweise des Nationalsozialismus geben kann und nur aus den Strukturen des gesamten NS-Systems zu erklären ist (wie exemplarisch bei Hans Mommsen), sondern ihn (oder die NS-Verbrechen insgesamt) als genuines Feld zu betrachten, das aus sich selbst eine Fülle eigener Fragen produziert, die nur in Teilen oder bedingt eine Rückkopplung an das NS-System verlangen. disziplinären, massenmedialen und politischen Informationsformen über den Mord an den Juden. Der Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung ist im Wesentlichen ein Produkt der Erinnerungskultur selbst – nicht umgekehrt. Gleichzeitig tragen besondere „deutsche“ Formen der Forschung und Erinnerung zu den NS-Verbrechen den Blick immer über den „Holocaust“ hinaus: Zahlreiche Studien zu Konzentrationslagern und anderen Verfolgtengruppen sowie verschiedene Ansätze, den Mord an den Juden in breitere Kontexte der Besatzungsgewalt des „Vernichtungskriegs“ oder der modernen Gewaltgeschichte zu rücken, differenzieren das (selbst uneinheitliche) mediale Feld der Holocaust-Erinnerung erheblich. Auch in der gegenwärtigen Erinnerungskultur ist somit nicht ausgemacht, ob der Holocaust als ein von anderen NS-Verbrechen abgrenzbares oder als ein in sie integriertes Geschehen zu interpretieren ist – und damit bleibt auch die Frage der Einbettung in das NS-System und dessen Strukturen nach wie vor von großer Relevanz. Indem Berg jedoch einen medialen, kommemorativen und transnationalen Prozess, der die menschheitsgeschichtliche Dimension des Holocaust hervorgehoben hat, auf eine Zeit zurückprojiziert, in der man sich dieser Bedeutung auch international gesehen nur in wenigen Ausnahmen bewusst war, operiert er mit dieser Engführung der NS-Verbrechen auf den Holocaust, als ob deren Angemessenheit wissenschaftlich bereits entschieden wäre. Bergs Vorwurf einer mangelnden Distanz der „kritischen Zeitgeschichte“ zu den Selbstauskünften der Mitläufer und Täter findet Resonanz in einer Öffentlichkeit, die seit einem Jahrzehnt in einem Maße für Fragen der NS-Täterschaft sensibilisiert ist, wie dies nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit und um 1960 vergleichbar der Fall war. Indem Berg als Nachwuchshistoriker ausschließlich solche Gründungszeithistoriker angreift, die nicht nur für eine linksliberale Generation prägend waren und als untadelig galten, macht er den schon mit Goldhagen verbundenen, massenmedial verstärkten Generationskonflikt in der Historikerzunft explizit. Bergs Bekun- II. Die Dynamiken der Debatte um den Vorwurf der „Täternähe“ Historiografiegeschichtlich ist noch herauszuarbeiten, warum sich seit den späten 80er-Jahren der Holocaust zögerlich als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand in Deutschland etablierte. Offensichtlich ist aber, dass die Zeitgeschichte als Wissenschaft hier vor allem reagiert hat. Sie konkurriert in einem vielschichtigen Feld aus inter69 70 Habbo Knoch Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe dung, es bedürfe nicht des „Pathos der Skandalisierung“, um etwa das Geschichtskonzept der frühen Gesamtdarstellungen von Hans Buchheim und Martin Broszat als „Mitläufer-Erzählungen“ zu deuten, weil beide „in abstrakter Form ausschließlich die gedächtnisgeschichtliche Perspektive derer [explizieren], die mitgemacht haben“ (S. 424), kann denn auch nur rhetorisch gemeint sein: Angesichts des notorischen Skandalisierungspotentials der Zeitgeschichte und einer gewollten Verletzung von Professionstabus war in den eher versteckten und doch scharf formulierten Thesen zur mangelnden Entbindung von den Tätersichten ein fach- und wissenschaftsübergreifender Sensationsüberschuss enthalten, den man nur bei großer Naivität oder Unkenntnis der öffentlichen Sensibilisierungsschwellen übersehen konnte. Jeder Versuch nun wie im Falle Goldhagens unterhalb der medialen Sensation den Blick vom Buch auf den Streit und vom Anklagegestus auf die Sache zu lenken, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Angegriffenen gegen die Kritik abschotten zu wollen. Bergs Argumentation ist tendenziell selbstimmunisierend: War nicht gerade „Versachlichung“ die diskursive Lösung der Gründungszeithistoriker, um weitergehende (Selbstan-)Fragen an eine ihnen nun vorgeworfene mentale Verstrickung zu vermeiden? Indem Berg die Sachlichkeit der „kritischen Zeitgeschichte“ zu einem biografisch begründeten Distanzierungsmodus erklärt, desavouiert er ein unabhängig von diesen Protagonisten geltendes Wissenschaftsprimat. Das ist an sich nicht zu kritisieren, bedarf aber einer übergreifenden Thematisierung von Objektivitätsstandards. Bergs Kritik dient hingegen sowohl der im Buch eher vage bleibenden Rechtfertigung einer anderen (nicht mehr „sachlichen“?) Holocaust-Forschung, als auch implizit seiner eigenen Art der Kritik, deren unübersehbare Unausgewogenheit Volker Ullrich als früher Rezensent auf das begrüßenswerte Moment persönlichen Zorns und Eifers des Verfassers zurückgeführt hat.1 Doch warum ist es zu begrüßen, wenn durch den Verzicht auf Differenzierung als wissenschaftlichem Distinktionscode die ohnehin richtigerweise permeable Grenze zwischen Zeitgeschichte und öffentlicher Meinungsbildung appellativ aufgelöst wird? Das spricht keineswegs für eine Trennung von Zeitgeschichte und Öffentlichkeit, wohl aber für die Beachtung der systemauflösenden Dynamik von Codes, wie es für die Zeitgeschichte immer schon der Fall war – trotz und gerade wegen ihrer zunehmend dialektischeren Beziehung angesichts der dauernden medialen zeithistorischen Selbstproblematisierung der deutschen Gesellschaft in den vergangenen zwanzig Jahren. Im Verzicht auf Differenzierung liegt ein zirkuläres Potential von Kritik, das sich auch bei Goldhagen beobachten ließ. Welchen Spielraum gibt es für Zugeständnisse, wenn die Skandalisierung des Biografischen keine nichtbiografischen Sachargumente mehr erlaubt, ohne dass sie als Bestätigung der kritisierten Festungsmentalität gelesen werden können? So entstehen auf Polarisierung angelegte Bekenntnisschleifen, denen sich Historiker wie Hans Mommsen öffentlich kaum selbst mehr entziehen können: Die mit der Kritik an der Person gleichgesetzte Wissenschaftshistorisierung trägt mit zum Dogmatismus bei, den die Kritik erst unterstellt. In den Bekenntnisschleifen werden akademische Zugehörigkeiten unter den Augen einer Öffentlichkeit verhandelt, die kaum über die Hintergründe der „Wachablösung“ (Hans Mommsen) in der deutschen Zeitgeschichte informiert ist.2 In der Nachfolge Goldhagens setzt hierbei die Öffentlichkeit vielleicht mehr noch als Berg selbst auf ein moralisches Argument, indem die auf den Suizid hin interpretierte Ausgrenzung Joseph Wulfs aus dem wissenschaftlichen Establishment als Folge des Sachlichkeitspathos dargestellt wird. Gegenüber der hier ersichtlich mitschwingenden Schlagzeile des aufgedeckten Skandals muss in der seit Goldhagen verstärkten Diskurslogik der Anschaulichkeit und der Nähe zum 1 Ullrich, 71 Volker, Forschung ohne Erinnerung. Nicolas Bergs Buch über den Holo- caust und die deutschen Historiker sorgt für Streit, in: DIE ZEIT Nr. 29, 10.07.2003, S. 39. 2 Mommsen, Hans, Täter und Opfer – ein Streit um die Historiker, in: Die Welt, 13. 09. 2003. 72 Habbo Knoch Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe Geschehen jede Kontextualisierung, die Strukturen der seinerzeitigen Zeitgeschichte analysiert, als Ausflucht erscheinen. Es ist eben nicht gelungen, Strukturanalysen und ihre Begrifflichkeit in der massenmedialen Historisierung der jüngsten Vergangenheit nachhaltig zu verankern. Dort unterliegt die zunehmende Thematisierung des Eventfernsehens, aber auch des populären Buchmarkts einer Logik, die neben der Skandalisierung vor allem Formen der Personalisierung und Dramatisierung einfordert: Geschichte wird immer noch greifbar gemacht durch Ereignisse, Biografien und Erfahrungen. Die mediale Präsenz des Holocaust, die ihn überhaupt erst zu einem so dominierenden Bezugsobjekt historischer Gegenwartserfahrung gemacht hat, verdankt sich in wesentlichen Teilen genau diesen Mustern. Nachdem die politisch motivierten Vermeidungshaltungen erodiert waren, hat sich der Holocaust, getragen von Zeitzeugen, in den 90er-Jahren als Prozess lebensgeschichtlicher Erfahrungen und Verarbeitungen in der Erinnerungskultur verankert. Auch die Vergangenheitsbewältigungsforschung tendiert in diese Richtung: Hohe Aufmerksamkeit finden psychosoziale Dynamiken der individuellexemplarischen oder familiären Vergangenheitsverwandlung. Was in abstrakterer Form mit dem „Zivilisationsbruch“ angedacht war, hat in der Orientierung am „Trauma“ seine individualisierbare Seite gefunden. Inwieweit folgen neuere Ansätze der Holocaust-Forschung womöglich auch in Teilen diesen Codes? Welcher Komplexitätsgrad, welche Art der Begriffssprache werden noch zugelassen, wenn sie nicht mehr in ein diskursives Feld vermittelbar sind, das sich von einer Struktur- und Systemanalyse immer weiter entfernt? Werden andererseits solche Perspektiven durch die zunehmende Verschränkung von Medialisierung und historischem Arbeiten desavouiert? Zeitgeschichte würde ihre öffentliche Aufgabe verfehlen und verlieren, wenn sie auf ihr Potential der öffentlichen Skandalisierung verzichten würde, auch und gerade, wenn es um die Binnenstrukturen der „Zunft“ selbst geht. Inwieweit darf und sollte aber die Kalkulati- on medialer Wirkung Teil der wissenschaftlichen Arbeit sein? Inwieweit müsste die Reflexion über die Ingangsetzung medialer Schleifen selbst zur wissenschaftlichen Kompetenz von Zeithistorikern gehören? Oder gilt gerade deren Inszenierung, wie im Falle Goldhagens, trotz aller „professionellen“ Skepsis zukünftig selbst als Qualitätsausweis? Zeitgeschichte im Spannungsfeld von Öffentlichkeit und wissenschaftlichen Standards muss augenscheinlich Praktiken und Techniken der Besetzung und Positionierung dieses Feldes selbst mehr als bisher zum wissenschaftsrelevanten Standard erklären. 73 III. Die zukünftige Positionierung der NS-Zeitgeschichte Viel gewichtiger als die Frage der Medialisierung scheint im Falle des Ansatzes von Berg aber diejenige nach methodischen Standards einer Wissenschaftsgeschichte und, mehr noch, nach der Beurteilung des Verhaltens historischer Akteure zu sein. Dabei kann für Historiker kein besonderer Maßstab gelten. Doch indem Berg das Postulat der „synchronen“ Betrachtung eines eigentlich „diachronen“ Prozesses unter der Maßgabe des „Gedächtnisses“ aufstellt, weist er die Forderung ab, Urteilsmaßstäbe nicht allein aus gegenwartsbezogenen Deutungen zu gewinnen, sondern diese mit den Sagbarkeitsbedingungen und Handlungsräumen der Zeit der Zeitgenossen rückzukoppeln. Berg verzichtet auf eine historische Kontextualisierung des wissenschaftlichen Handelns einiger seiner Protagonisten, weil er eine – gleichzeitig nicht ausdifferenzierte – Interpretation des Holocaust und damit verbundene, aktuelle Forschungsansätze als Leitideal setzt und diese zum alleinigen Maßstab auch für die Bewertung früherer Forschungen heranzieht. Um einen solchen Zugang hinreichend zu rechtfertigen, wäre die zeitunabhängige Tauglichkeit eines solchen Ansatzes aufzuweisen – was wiederum das Ende einer Geschichtsschreibung bedeutete, die sich der „Falsifizierbarkeit“ ihrer Erkenntnisse zu unterwerfen bereit ist. Zu Ende gedacht, bedeutet Bergs Ansatz die Aufgabe der Zeitgeschichte als kritischer Wissenschaft überhaupt. Doch wegen des Ausgleitens der „Epoche der Mitlebenden“ der 74 Habbo Knoch Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe NS-Zeit steht der Umgang mit nationalsozialistischer Zeit und den NS-Verbrechen an der Schwelle zu einer neuen Stufe der Historisierung. Wehrmachtsausstellung, Luftkrieg und Parteimitgliedschaften sind biografisch letztmalig angebundene Themen. Entweder wird das Verständnis der Zeitgeschichte selbst über die spezifisch deutsche Konnotation des Nationalen und des Miterlebens hinaus erweitert oder die NS-Zeit und mit ihr die NS-Verbrechen wandern generationell aus der Zeitgeschichte aus, da sich die Verschränkung der Wissenschaft mit der lebensgeschichtlichen Relevanz ihrer Themen unweigerlich lösen wird. Auf die bevorstehenden runden Gedenktage reagieren die öffentlichen Sender mit einer „Nazi-Olympiade“: In Dokudramen und Fernsehfilmen werden NS-Größen, nationalkonservativer Widerstand und Kriegsende groß herausgebracht. Die Regisseure sehen sich dank einer neuen Schauspielergeneration und anderem Publikum nun dazu in der Lage, nicht mehr „didaktisch, spröde, introvertiert, angstbesetzt“ zu filmen, sondern „epischer“ und „emotionaler“ Geschichten zu „erzählen“.3 Zeitgeschichte des Nationalsozialismus hat hier weiterhin die Aufgabe, der medialen Sehnsucht nach Einzelpersonen, die Geschichte greifbar machen sollen, alternative Interpretationen an die Seite oder, wo nötig, pointiert gegenüberzustellen. Andernfalls läuft die Zeitgeschichte des Nationalsozialismus ähnlich wie in den 50erJahren Gefahr, die öffentlichen Deutungen der NS-Zeit gar nicht mehr gegen ihre Medialisierung beeinflussen zu können. Gerade weil hier aber tendenziell ein NS- und Widerstands„kult“ zurückzukehren drohen, kann sich die Zeitgeschichte als der Öffentlichkeit zugewandte Wissenschaft nicht auf den Holocaust im engeren Sinn beschränken. Martin Broszat wollte mit der „Historisierung“ des Nationalsozialismus die Zeitgeschichte aus ihrer öffentlichen und politischen Verklammerung gelöst sehen. Wie so viele in den 80er-Jahren ging er dabei von einem absehbaren Ende einer durch lebensgeschichtliche Bindungen motivierten Medialisierung und Erinnerung der NSZeit aus. Das hat sich als falsch erwiesen. Insbesondere die Privatisierung des öffentlichen Erinnerns durch Selbstzeugnisse und Lebensgeschichten hat zu einer zyklischen Revitalisierung des kommunikativen Gedächtnisses geführt. Zukünftig ist jedoch zu fragen, welchen Stellenwert „der Nationalsozialismus“ im Verhältnis zum Holocaust als menschheitsgeschichtlichem Ereignis, zu den Kriegsund Nachkriegserfahrungen als deutscher „Opfergeschichte“ und zu den anderen deutschen „Zeitgeschichten“, insbesondere der SBZ/DDR-Geschichte, haben wird. Gegen eine Versäulung dieser Felder im zukünftigen Erinnern, wie sie sich in den gegenwärtigen öffentlichen Debatten um Luftkrieg, Vertriebenenzentrum oder SEDGedenkstätten abzeichnet, ist der Nationalsozialismus – als implodierendes System und als Erfahrungszusammenhang – für die weiteren dieser Bezugsfelder als zeitliche und funktionale Gelenkstelle der Gewaltgeschichte der Moderne zu interpretieren. Darin ist er sowohl als Kulminations- und Ausgangspunkt deutscher Krisen und Gewalt als auch als Bezugsgröße der europäischen Gewaltgeschichte des „langen“ 20. Jahrhunderts zu perspektivieren. Hier zeigt sich die ungebrochene und eher noch wachsende Aktualität der Forschungsperspektiven der „kritischen Zeitgeschichte“ auch und gerade gegen manche Trends der gegenwärtigen Erinnerung. Wie in einem Brennglas offenbaren die Überforderungen von Historikern durch den Holocaust zudem Grenzen einer solchen Geschichtsschreibung der „Moderne“, insbesondere hinsichtlich der Generierung von öffentlichem Wissen, der Medialisierung und der diskursiven Prägung von Handlungsräumen. Dies verweist auf den Bedarf differenzierterer Konzepte von „Gesellschaft“ als sie in den 60er und 70er-Jahren Anwendung fanden oder bereit standen. Ein Weg dorthin kann über die bislang erst in Ansätzen durchdrungene innere Medialität massenmoderner Gesellschaften führen. Bei den unterschiedlichen Perspektiven auf die NS-Verbrechen, die sich mehr dem 3 Der tiefe Blick der wasserblauen Augen. Startschuß zur Nazi-Olympiade: Das Dritte Reich ist das große Thema dieses Fernsehjahres – und auch des nächsten, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 01. 02. 2004, S. 27. 75 76 Habbo Knoch Systemverhältnis von Politik und Gesellschaft oder den Handlungsräumen von Tätergruppen zuwenden, handelt es sich nicht um einen unvereinbaren Unterschied. In einer auf die Folgen der Medialisierung von Volksgemeinschaftsutopie und Massengewalt reflektierenden Verbindung von „Gesellschaft“, „Handlungsraum“ und „Individuum“ eröffnet sich die Möglichkeit, die NS-Verbrechen aus einer Verflechtung von Handeln, Imagination und Medialisierung zu erklären. Dabei würde deutlich werden, dass die nach 1945 lang gehegten Trennungskategorien zwischen „Tätern“ und „Gesellschaft“ aufgrund einer diskursiven Kollektivierung im massenmedialen Raum und ihren Auswirkungen auf Habitus, Selbstentwurf und Handlungsdisposition in der Zeit der Tat gar nicht bestanden haben. Das schließt die wissenschaftshistorische Arbeit an dieser Aversion als einer Erblast der traditionellen Geschichtswissenschaft ein, deren Auswirkungen auf die Verkürzungen und Ausblendungen – auch der „kritischen“ – Zeitgeschichte noch der Untersuchung harren. Habbo Knoch ist Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen. Dissertation: „Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur“ (Hamburg: Hamburger Editionen 2001). Habilitationsprojekt zu „Großstadthotels und die Erfindung der transitorischen Privatheit im europäischen Bürgertum 1870-1930“. 77 Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel von Robert P. Ericksen This work represents a recent, ambitious, lengthy and perhaps courageous effort by Nicolas Berg to explore the response of West German historians to the horrors of the Nazi regime, especially in terms of the single greatest horror, the persecution and murder of European Jews. It is an ambitious project, since it covers numerous historians and half a century. It is lengthy at nearly 800 pages, and it may be courageous in that German doctoral students in history have been very slow to look behind the closed doors of their forebears in the profession. The famous Historikertag at Frankfurt in 1998 pushed open those doors, and Berg’s work is now one of several dealing with the behavior and ideas of German historians and their relationship to the Nazi state. Berg brings to this effort three important qualities. First, he is conversant with the complex of issues that distinguish history from memory, but which also leave the two deeply intertwined. He rightly stresses the significance of his subtitle, „Erforschung und Erinnerung,“ for the two concepts cannot be easily separated. Research was conducted by the first two generations of historians writing about the Nazi past, but they were also remembering that past. Not only that, they were sharing in the nationwide tensions that grew out of defeat, deprivation, danger, personal guilt, national guilt, horror at the atrocities now widely exposed, and anxiety over questions of career and economic wellbeing represented by the Allied policy of denazification. Finally, they were emerging from the twelve-year experience of the thousand-year Reich, a time which had been intoxicating for some and frightening or oppressive for others. We should not be surprised if this complex of tensions produced complicated and even dysfunctional results. Any attempt to assume that historians were simply writing history — a questionable assumption at any time or place — must be especially suspect in the complex circumstances of post-war Germany. 79 Berg also brings to this study a useful exposure to Jewish points of view, having worked in the Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig and having published on questions dealing with the Shoah. As he illustrates in this book, German historians were hardly eager to listen to Jewish memories or analyses in the early aftermath of 1945. Yet, it seems a most obvious truism that the memories and analyses of German historians could not be entirely trusted, that they would be tempted to hide, distort and downplay the reality of the Shoah, both to protect their nation and to protect themselves. And it seems equally obvious that no one could describe the horrors with as much vigor and attention to detail as the victims. Berg quotes Gerhard Ritter in a letter of 1948 which bristles at the idea that foreigners should be allowed to enter the conversation. Ritter called it a scandal, „wenn die Deutschen von Fremden über ihre eigene Geschichte belehrt werden“ (p. 134). The real scandal occurred, of course, when German historians refused to listen to outsiders, whether Jewish or otherwise. Berg also has the benefit of youth. The first two generations of postwar historians lived through the Nazi period, either as professors of history or as students and members of the Hitler Youth. The ‘60s generation studied under doctor fathers who had experienced Hitler, frequently with enthusiasm and with the result that skeletons remained in their closets. Berg’s generation now studies with professors who could not have been Nazis. In that sense it is the first generation which can pursue questions without fear of drawing blood, and thus the freest generation to do the work represented by this book. Now I will turn to Siegfried Kaehler, a student of Friedrich Meinecke who came to Göttingen University from Halle in 1936 at the age of fifty-one. Berg makes excellent use of Kaehler, both because his extensive Nachlass is available in the Universitätsbibliothek in Göttingen and because his correspondence with other major historians has recently been published.1 Kaehler illustrates several important 1 Kaehler, Siegfried A., Briefe 1900-1963. Herausgegeben von Walter Bußmann und 80 Robert P. Ericksen characteristics for Berg. For example, when Friedrich Meinecke published Die deutsche Katastrophe in 1946, Kaehler was among those who pushed the ambiguity of the title in one particular direction, the catastrophe which happened to Germany, rather than the catastrophe unleashed by Germans (p. 90-97). Kaehler did not want to use the concept of Irrweg to understand the Nazi state, as if Germans had made a wrong turn. He did not want to accept any analysis which assumed continuity within German history. As he wrote to Meinecke, he thought the concept of Weg and Irrweg was „selbst ein grosser Irrweg“ (p. 107ff., especially n. 7). Rather than blame Germans for the crimes of the Nazi regime, he placed those crimes outside German history, crimes for which he and other Germans should not be held responsible. Berg also describes Kaehler in his relationship to the „Jewish question“ and, in that context, his relationship to Hans Rothfels. They were students together, and then colleagues in the discipline; but their relationship collapsed when Rothfels left Germany. Though a Protestant from the age of nineteen and a conservative, patriotic German, Rothfels lost his position at Koenigsberg because of his Jewish parents. After being arrested during the pogrom of „Kristallnacht“, and then being allowed to slip through a back door out of respect for an injury from the Great War and his continuing use of crutches (p. 151), Rothfels fled Germany for England and America. He taught at Brown University and at the University of Chicago, before returning to teaching posts in Germany. He took up a guest position at Göttingen in 1949 and then moved to Tübingen, where he held a chair from 1951 until his retirement. Correspondence between Kaehler and Meinecke shows that they viewed Rothfels as just the right person to give credibility to their defense of Germany against its critics and enemies. For whatever reasons, he shared their desire to give German history a benign treatment, stressing the suffering of Germans rather than the Günther Grünthal, (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 58), Boppard 1993. 81 Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel suffering of Germany’s victims, and claiming that the crimes must be attributed to a small number of criminals rather than a large number of the German people. Although Kaehler welcomed Rothfels back to Germany and the two of them gradually rekindled their friendship, Berg also shows that Kaehler did not easily leave behind the antisemitic stereotyping of the Nazi era. In May 1945, for example, Kaehler spoke of the need to defend Germany itself „gegen die bereits im Gang befindliche Verleumdung durch demokratisch jüdische Propaganda [. . . ]“. In February 1946 he wrote to Gerhard Ritter about the problem of too many Jews teaching at German universities before 1933. When he arrived at Halle in 1932, he writes, “ [daß] von den 17 Lehrstühlen nicht weniger als 5 [. . . ] mit Volljuden besetzt waren; [. . . ]“. He then describes a Jewish dean at Marburg who told authorities in Berlin that further Jewish appointments were „nicht tragbar.“ And Kaehler adds, „so kluge Juden hat es leider aber nicht immer gegeben, sonst würden die peinlichen Vorgänge von 1933 sich nicht ereignet haben“ [apparently in reference to the Aryan paragraph introduced in April that year]. (p. 183) I quite agree with Berg’s description of Kaehler. He was a patriotic, conservative historian who saw his role as defending German values, German pride, and the German nation against its critics. In the process, he and his colleagues did not want to look too closely at the crimes committed against Jews and others by the Nazi state. The crimes had to be acknowledged in general, of course, so that an argument of historical discontinuity had to be developed to remove the Nazi era from the normal historical threads of cause and effect. It is interesting to compare Berg’s picture of Kaehler after the collapse of Nazism with his earlier role at Göttingen. When he arrived in 1936, the university had been politicized. He had been appointed specifically with the belief that he would combine academic renown with political enthusiasm for the Nazi state. Already in 1937 he gave the Festrede on January 30, celebrating the fourth anniversary of 82 Robert P. Ericksen Hitler’s rise to power. Speaking on the topic of „Wehrverfassung und Volk,“ he praised Hitler for his overturning of the Versailles Treaty: „Der unbeirrbaren Tatkraft des Führers und Reichskanzlers dankt das deutsche Volk die Wiederherstellung seiner Wehrhoheit ebenso wie die friedlich Ausserkraftsetzung des Versailler Diktats.“2 „Der unbeirrbaren Tatkraft des Führers“ certainly seems a phrase designed by Kaehler to show his allegiance to Hitler. However, he later claimed to have stood up against the Nazis and their politicization of the university. The one identifiable instance involves Kaehler’s response to the intervention of Walter Frank, head of the Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands. The latter tried for several years to get his colleague, Erich Botzenhart, an appointment at Göttingen. Such an appointment would have to be based almost entirely upon Botzenhart’s political enthusiasm for the regime, for, although he had finished a doctoral dissertation on Freiherr vom Stein, he was not habilitiert and did not appear on the list of finalists selected by the faculty. Kaehler protested this appointment, both in a faculty meeting and in a letter to the Rektor, but to no avail. He rarely had to work with Botzenhart, for the latter spent the war years in an eager search for activities which would keep him out of the military. When Botzenhart suffered removal from his chair by the British in July 1945, Kaehler vowed never to allow him back, and he succeeded.3 2 Kaehler, Siegfried A., Wehrverfassung und Volk in Deutschland von den Freiheitskriegen bis zum Weltkriege. Rede zur Reichsfeier am 30. Januar 1937, gehalten in der Aula der Georgia Augusta, in: Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen, 18.2 (1937), p. 2. 3 Kaehler to the Dekan, 28.05.45, Personalakte Botzenhart, Universitätsarchiv Göttingen. It is in this letter that Kaehler describes the contested circumstances of Botzenhart’s arrival in Göttingen. See also Ericksen, Robert P., Kontinuitäten konservativer Geschichtsschreibung am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte. Von der Weimarer Zeit über die nationalsozialistische Ära bis in die Bundesrepublik, in: Becker, Heinrich; Dahms, Hans-Joachim; Wegeler, Cornelia (Eds.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte, zweite, erweiterte Ausgabe, München 1998, p. 427-53. One hesitates to criticize a 100page bibliography for incompleteness, but this volume by Becker, Dahms and Wegeler and the chapter on historians might have been noted. 83 Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel The Botzenhart episode almost certainly represented for Kaehler proof that he stood outside the Nazi enthusiasm. He considered himself a representative of that older, purer Germany, before the Nazi ruffians took over. Without doubt he valued academic standards and both resented and opposed the machinations of enthusiastic Nazis at Göttingen to fill vacancies with purely political appointees. He also spent time after the collapse of the Nazi state giving public lectures, despite ill health (stomach cancer) and the fact that he had carried much of the load of the history seminar practically by himself in the latter years of the war. He gave these lectures, on one occasion to an audience of 800, in order to establish for his German listeners the guilt of the Nazi state for the outbreak of the war and to avoid the development of any future stab-in-the-back legend. What Kaehler failed to do, however, despite his mostly quiet opposition to some of the more egregious manifestations of the Nazi state, was to confront his own past enthusiasm for important elements in the Nazi ideology. He and his colleagues had created an environment in which the „unbeirrbaren Tatkraft des Führers“ received too much praise and too little critique. Then, as Berg shows, this general stance of public enthusiasm, coupled – in some instances – with private doubt, gave way to a defensive stance on the right of Germans to be patriotic. This lingering patriotism might be understandable. However, it actively inhibited the wider historical analysis of the Nazi state which had to be left to subsequent generations. Kaehler’s approach also incorporated an unwillingness to look closely at the experience of Jews. He seemed unable to accept the story of victims as anything more than an attack upon Germany by its enemies. Hermann Heimpel arrived in Göttingen only after the war, but he then pursued an extraordinarily successful career as professor of history, Rektor of his university, head of the West German Rektorenkonferenz and the Historikerverband, Vice President of the Deutsche Forschungsgemeinschaft, and director of the Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen from 1957. Heimpel’s complicity in the Nazi state seems greater than Kaehler’s. At Freiburg in 1933 he joined in 84 Robert P. Ericksen Heidegger’s enthusiasm for the „rebirth“ of Germany. After an interim period of several years in Leipzig, his political avidity earned him a call to the new Reichsuniversität created under high Nazi expectations in Straßburg, a city only recently reclaimed by military success in France. Berg shows that Heimpel wrestled with his past in an effort to combine personal and group memory with historical Wissenschaft. In the 1950s he became the first to develop the concept of Vergangenheitsbewältigung (p. 248ff.). Speaking at a Volkstrauertag in 1955, he mentioned not only the death of German soldiers, but the suffering of Jewish and other victims, using words like „Vernichtung,“ „Liquidation,“ „Konzentrationslagern“ and „Todeskammern“ (p. 251). Four years later he told his audience: „Der Mensch hat die Neigung und die Fähigkeit, im Sinne seiner Lebenserhaltung, zu vergessen. Und besonders die Schuldigen — wir Schuldigen — denken nicht gern zurück.“ (p. 262, my emphasis added). Heimpel wrestled in particular with the fact that his mentor, Siegmund Hellmann, suffered removal as a Jew from his post in Leipzig, a position Heimpel then received, almost as his personal booty! Looking back nearly half a century later, on the occasion of his own eightieth birthday in 1981, Heimpel remembered that Hellmann „musste in Theresienstadt in einer Masse von Gequälten einsam sterben. In München war er mein Lehrer gewesen, und oft hatte ich ihm meine Verehrung gezeigt — solange das kein Risiko war“ (p. 246), the last phrase representing ironic awareness, unusual honesty, or both. Berg describes Heimpel as an example of Protestant Bußfertigkeit, a characteristic he also ascribes to Reinhard Wittram, a postwar Göttingen colleague. Wittram’s case indicates even more need for personal repentance, since he had joined the Nazi party, helped develop a völkisch rationale for German-occupied eastern Europe, and gave wartime lectures praising the Führer and damning „artfremden Bolschewismus“ (p. 233ff.). Both Wittram and Heimpel incorporated in their postwar reflections the Protestant idea that all are sinful and that honest reflection and repentance are necessary. The latter is said 85 Nicolas Berg’s Reflections on Goettingen, Siegfried Kaehler, and Hermann Heimpel to have spent his last years making notes in the margins of his Bible and heavily underlining „forgive us our sins“ in his copy of Luther’s catechism (p. 246f.). Heimpel represents both intelligence and honesty in his attempt to combine memory of the recent past with his work as a German historian. Berg does not simplify the process, noting, for example: „Ein Blick auf verstreute Briefäusserungen Heimpels in der unmittelbaren Nachkriegszeit macht aber deutlich, dass die Versuche der intellektuellen Aufrichtigkeit in den 50er Jahren in der Deutung der eigenen Vergangenheit, die seine Nachkriegsberühmtheit begründeten, einen Lernprozess benötigten“ (p. 243). I would add one other comment, primarily as a suggestion for future research. The reliance of Heimpel and Wittram upon Protestant motifs, as stressed by Berg, might take into consideration recent critiques of the Protestant stance. Berg already describes the Protestant theologian, Helmut Thielecke, „als geradezu fanatische[n] Gegner der ‘Entnazifizierung,’“ (p. 267) and the work of Clemens Vollnhals among others has raised questions about the willingness of Protestants to face the past honestly.4 In fact, the generally positive view of Protestants which emerged in the early postwar years has been increasingly exposed as a myth, a myth actively developed by postwar Protestants for self-serving purposes.5 Whether this should be taken into account in the analysis of Heimpel’s Protestant Bußfertigkeit remains to be seen. Robert P. Ericksen is Professor of History at Pacific Lutheran University, Tacoma, Washington. He has written about theologians within Nazi Germany and churches in relation to the Holocaust, with a recent edited volume in Kirchliche Zeitgeschichte, on Christian teachings about Jews and a research project dealing with the Nazi period at Göttingen University. 4 Vollnhals, Clemens, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, München 1989; Vollnhals, Clemens, Die Hypothek des Nationalprotestantismus. Entnazifizierung und Strafverfolgung von NSVerbrechern nach 1945, in: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), p. 51ff. 5 See, for example Ericksen, Robert P.; Heschel, Susannah, „German Churches and the Holocaust,“ in: Stone, Dan (Ed.), Historiography of the Holocaust, London 2004. 86 Historiografiegeschichte und ihre Kontexte Historiografiegeschichte und ihre Kontexte Zur Kritik an ’Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung’ von Nicolas Berg I. Rhetorischer Basalt und diskursive Inschriftentafel: Die Frage nach dem Kontext einer Darstellung der historiografischen Holocaust-Deutungen in Westdeutschland Bis Anfang der 50er-Jahre erinnerten allein die Brandspuren und Steinreste der 1938 zerstörten Synagoge auf dem Wiesbadener Michelsberg an den auch dort durchgeführten Novemberpogrom. Dann verwandelte die Stadt die Überreste in Tradition und stellte zum Gedenken eine Basalt-Stele des Künstlers Egon Altdorf mit der Aufschrift „Der Welt Gewissen ist die Liebe“ auf die Fundamente. Dies war eine Entscheidung, die zugunsten einer zeit- und geschichtsenthobenen Abstraktheit ausfiel, mit der aber auch wirklich alles verdeckt war, was es hier zu erinnern galt. Erst als die Wiesbadener Jüdische Gemeinde Einspruch erhob und anmerkte, dass das Denkmal nun weder Hinweise auf die Synagoge erhielt noch auf den Grund ihrer Zerstörung, geschweige denn die Namen derer, die seinerzeit für die Brandstiftung verantwortlich waren, änderte man die Beschriftung. Die neue, zusätzlich angebrachte Tafel lautete nun: „Zum Gedenken an die Synagoge, die hier bis 1938 stand.“ – Nun fand zwar der eigentliche Grund für das Gedenken Ausdruck, aber es gab erneut keinen Hinweis auf die Ursache ihrer Zerstörung. An diesem Beispiel ist deutlich zu erkennen, wie zäh man im Nachkriegsdeutschland einem allgemein verbreiteten VergessenWollen die Klarheit der Äußerungen zur eben erst vergangenen Zeit Stück für Stück, Zeile für Zeile abringen musste. Konkretheit und Deutlichkeit waren gerade das zu Vermeidende; es wurden Interpretationskontexte geschaffen („die Welt“, „das Gewissen“ und „die Liebe“) oder weggelassen (der deutschlandweite Pogrom im November 1938), bis Formulierungen und Begriffe gefunden waren, in denen 87 man sprechend schweigen konnte.1 Welchen Kontext wählt man nun aber aus heutiger Sicht, um diese enthistorisierenden Vorgänge historisch zu verstehen, zu interpretieren und darzustellen? Die Stadtgeschichte Wiesbadens erscheint wenig adäquat, stellt die dortige Mahnmalsdebatte in den 50er-Jahren doch nur ein Beispiel unter vielen dar, dem aus Celle, Hamburg, Flensburg, Freiburg, Hildesheim, München, Minden und Aachen ganz ähnliche Episoden an die Seite gestellt werden könnten.2 Auch eine Biografie über den Künstler, der den ausgewählten Entwurf gestaltet hatte, wird uns die Fragen, die wir mit dem Wiesbadener Gedenk-Beispiel verbinden, kaum beantworten können, so viel persönlicher Kontext auch immer in ihr enthalten sein möge. Eine denkbare Annäherung wäre vielleicht in einer Untersuchung der Kunst- und Formvorstellungen der 50er-Jahre gegeben, also der Analyse jener semantischen Chiffren, die eben der Zeit entstammten, die sie in Ausschreibungen ausrief, dann auswählte und bauen ließ. Damit wäre zwar die Erkenntnis der Formensprache solcher Pathosgesten vorangetrieben – also ein Kontext eröffnet, der im Thema angelegt ist, aber die Frage selbst, warum es nämlich Einsprüche der jüdischen Gemeinde benötigte, um ein Gedenkprojekt daran zu erinnern, für welche Erinnerung es gebaut wurde – diese Frage würde auch durch den kunsthistorischen oder kunsttheoretischen Kontext der 50er-Jahre nicht beantwortbar gemacht. So scheint es nicht weit hergeholt, den damaligen Konflikt selbst als den besten Kontext zu nehmen, der sich für die Rekonstruktion der damaligen Wirklichkeit anbietet, in der er so und nicht anders stattfand und entschieden wurde. Auf diese Weise erhält ein gegenwärtiges Interesse an einer vergangenen Zeit seine „historischen Fragen“, mit denen sich zwei Zei1 Das Wiesbadener Beispiel ist folgendem Beitrag entnommen: Klaus Naumann, Mahnmale, in: François, Etienne; Schulze, Hagen (Hgg.), Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 1, München 2001, S. 622-637; vgl. auch: Ders. (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001; Berg, Nicolas, Formen der Verdrängung. Zur intellektuellen Marginalisierung des Holocaust in Deutschland nach 1945, in: Transversal. Zeitschrift des Centrums für Jüdische Studien 4.2 (2003), S. 79-103. 2 So zurecht: Naumann, Mahnmale (s. Anm. 1), S. 624. 88 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte ten ins Gespräch bringen lassen. Diese gegebene „Zwei-Zeitigkeit“ der eigenen historischen Arbeit zuzulassen, ist eine Aufgabe, die man als Historikerin und als Historiker gar nicht wählen oder zurückweisen kann, ganz gleich, welcher Vergangenheit man sich zuwendet. Der dem Konflikt um das Mahnmal an die Synagogenzerstörung auf dem Wiesbadener Michelsberg zugrunde liegende Problemkontext lautet: Welche gesellschaftlichen Erinnerungs- und Vergessensregeln waren seinerzeit gültig? Welche Erfahrungshorizonte werden in der Differenz zwischen dem Denkmalsprojekt auf der einen und dem Einspruch von jüdischer Seite auf der anderen Seite greifbar? Welche Formen der Erinnerung bot die Zeit an – und mit welchen „Kosten“ war die Wahl der sich hierbei anbietenden Optionen verbunden? Die in meinem Buch „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker – Erforschung und Erinnerung“ gewählten Fragen und Leitlinien der Interpretation zielen auf solche Differenzen unterschiedlicher Erfahrungshorizonte und Vergangenheitsinterpretationen, wie sie in dem Beispiel der Wiesbadener Basaltstele zum Ausdruck kommen. Ist es hier jedoch die öffentliche Gedächtnispraxis im Gewand von Erinnerungsstätten und Gedenktafeln, so dort der veröffentlichte Wissens- und Deutungshorizont einer Fachwissenschaft, wie er in Büchern, Zeitschriften, Rezensionen oder Zeitungsartikeln dokumentiert ist. Es sind „Denkmäler“ und „Inschriften“ anderer, rhetorischer Art, die im wissenschaftlichen Diskurs aufgerichtet und angebracht werden, nicht aus Stein und Messing, sondern aus Papier und Büchern, Ideen und Begrifflichkeiten. Die zu untersuchende „rhetorische Basaltstele“ in diesem Zusammenhang wäre, metaphorisch gesprochen, z.B. Hermann Heimpels Vorlesung über die „Deutsche Geschichte“, mit der er die Sehnsucht nach metanoia im Modus jener spezifischen protestantischen Bußfertigkeit verband, von der ein ganzes Kapitel handelt.3 Die „diskursive Inschriftentafel“ von Heimpels Anrufung des Gewissens könnte man – in Analogie zu jenen frühen Wiesbadener Gedenkversuchen – in seinen recht vage gebliebenen Schuld- und Schambekenntnissen sehen, die zwar öffentlich geäußert wurden, nichtsdestotrotz aber jeden konkreten Bezug auf die eigenen opportunistischen Schriften der 30er und 40er-Jahre zu vermeiden wussten. Der Wunsch nach genauer Benennung von Zeitpunkt und Grund der Synagogen-Entweihung und Brandstiftung, wie ihn die jüdische Gemeinde in Wiesbaden einforderte, entspräche in der Arbeit der Lakonik jener Dokumentations-Bände, die zur gleichen Zeit Joseph Wulf erarbeitete, in den 50er-Jahren noch gemeinsam mit seinem Kollegen Léon Poliakov, später dann – über ein Jahrzehnt lang – allein.4 Neben Fragen, die auf das Problem berücksichtigter oder nicht beachteter Kontexte zielen, in denen eine historiografiegeschichtliche Arbeit zu situieren ist, die die Entstehungsbedingungen, Verbreitungsformen, Verteidigungen und Wirkungen von historischen Texten und Deutungen zum Thema hat, hat die Suche nach einer mehrdimensionalen Geschichtsschreibung auch noch einen zweiten Aspekt. Dieser hat mehr mit der Themenwahl zu tun, als mit dem Verfahren der Quelleninterpretation und der Perspektivierung der Darstellung. Denn der rezeptionsgeschichtliche Ansatz des Buches macht ein Nachdenken über die Aufnahme gerade dieser Studie in der fachlichen Öffentlichkeit schon a priori nicht leicht, wenn Diskussionsbeiträger sowohl die Frage stellen, wie man in einer solchen Arbeit stärker „als Autor erkennbar“ bleiben könne (Berger, Eckert im Editorial), zugleich aber auch die „überzogene Kommentierung“ der Texte als zu „bewertungsfreudig“ kritisieren (Longerich). Es scheint, als werde bereits die historiografiehistorische Themenwahl, nämlich die Arbeit 3 Vgl. Schulin, Ernst, Hermann Heimpel und die deutsche Nationalgeschichtsschreibung. Vorgetragen am 14. Februar 1997 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 9), Heidelberg 1997; Berg, Nicolas, Hermann Heimpel, Reinhard Wittram und Fritz Ernst oder die „Demonstration protes- 89 tantischer Bußfertigkeit“ im Deutschland der 50er Jahre, in: Ders., Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003, S. 220-269. 4 Berg, Nicolas, „Prähistorische Ausgrabungen“ und „absolute Objektivität“ (Joseph Wulf): Zur „Verschobenen Historiographie von Quelleneditionen und Dokumentensammlungen, in: ebd., S. 323-370; weitergeführt in: Ders., Ein Außenseiter der Holocaustforschung: Joseph Wulf (1912-1974) im Historikerdiskus der Bundesrepublik, in: Leipziger Beiträge für jüdische Geschichte und Kultur 1 (2003), S. 311-346. 90 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte der Historiker selbst in Augenschein zu nehmen, mit der Forderung konfrontiert, dass man in diesem Fall nicht nur die Zeitgebundenheit der analysierten Vorgänge und der kritisierten Kollegen, sondern sogleich auch die eigene mitbearbeiten möge. Dies ist indes eine Forderung, die Historikern, die die diplomatischen Verhandlungen auf dem Wiener Kongreß untersuchen oder eine Biografie von Friedrich Ebert schreiben, nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit abverlangt wird. Schon die Vorstellung trägt humoreske Züge – als wäre zuerst der Nachweis zu erbringen, dass man selbst keine Fehler auf dem Parkett der Diplomatie machte, ehe man solche in einer vergangenen Zeit analysiert und kritisiert. Die direkte Interpretation einer selbstverfassten Arbeit durch den Autor ist aber auch deshalb prekär, da diese Interpretation ja im Buch selbst enthalten ist – und somit nicht einfach nur wiederholt werden sollte. Wie man es dreht und wendet: Auch nach den Beiträgen in diesem Forum, den vorangegangenen vielen Besprechungen und den im Einzelnen instruktiven Diskussionen der letzten Wochen und Monate wird deutlich, dass das Interesse, das dem Buch bisher insgesamt zugekommen ist, neben vielen sehr bedenkenswerten Einwürfen5 auch einen irritierenden Ton mit sich gebracht hat. Der hierbei immer wieder geäußerte Vorwurf, es fehle der Arbeit an „Kontext“, ließe sich so verstehen, als gäbe es für die Thematik und Fragestellung des Buches einen ganz bestimmten Kontext, den zu beachten ich mich indes aus undurchsichtigen Gründen geweigert hätte. Oder aber – und auch das ist nur eine deutende Vermutung – der eingeklagte „Kontext“ ist hier möglicherweise eine Chiffre für die Artikulation eines diffusen Unbehagens an der Arbeit, das sich wiederum an ihren Kernthesen entzündet und nicht an den Rändern des Textes, ein Unbehagen also, das die Arbeit nicht missversteht, aber ihre Ausführungen nicht akzeptiert. Dies hieße denn aber, dass sehr wohl ein oder mehrere Kontexte in dem Buch vorhanden sind, nur eben nicht diejenigen, die man als Leser und Kritiker erwartet hat oder die man als Historikerin oder Historiker selbst gewählt hätte. Da offenkundig der Grad der Aufmerksamkeit, die Deutlichkeit der Kritik und die Genauigkeit der Debatte in diesem Punkt nicht kongruent sind und der Eindruck, dass teilweise am Buch und dem von ihm selbst aufgestellten Bedingungen vorbei argumentiert zu werden scheint, sich zunehmend verstärkt, möchte ich mich einer Stellungnahme nicht entziehen. Denn es ist noch nicht ausgemacht, ob das Material der vier Kapitel, die zentrale Grundthese des gesamten Buches oder auch die bei der Lektüre, Analyse und Darstellung verwendeten methodischen Leitlinien, ebenso wahrgenommen werden, wie einzelne Seiten, marginalere Passagen oder Fußnoten des Textes, die z.T. im Fokus der bisherigen Diskussion stehen. Die Möglichkeit, dass aber gerade dies angesichts jener akzidentiellen Verschiebungen ausbleiben könnte, die notorisch in den Epitheta des „jungen, zornigen“ Historikers aufscheinen, und die die polemische „Abrechnung“ mit der Zunft, das Skandalon der „Provokation“, der „Skandalchronik“ oder gar den „fehlenden Respekt“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken – diese Möglichkeit ist gegeben, und mit ihr der Anlass zur Stellungnahme. Es geht in dem Buch „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker – Erforschung und Erinnerung“ weder um eine Anklage noch um die Verteidigung einzelner Personen, ihrer vergangenen forschungsleitenden Positionen oder einzelner ihrer Bücher. Dies wären im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses zwar völlig legitime Vorhaben, immer vorausgesetzt, es werden dabei gute Argumente vorgebracht. Und somit wäre es auch durchaus denkbar gewesen, wenn die Studie ihren Fokus auf eines der vielen Interpretationsmo- 5 Vgl. zum Beispiel die erste Besprechung des Buches überhaupt, vgl.: Rupnow, Dirk, Professionelle Geschichtsschreiber, der nationalsozialistische Massenmord und die vergessene Erinnerung, in: Fritz Bauer Institut, Newsletter Nr. 25 (2003), S. 41-43 (der Text war bereits Anfang Mai online): „Die Forschung entwickelt sich nicht linear zu immer größerer Aufklärung hin, sondern ist von Gegenläufigkeiten und Ungleichzeitigkeiten geprägt. Wir müssen im Blick behalten, was wir bei unserer erinnernden Tätigkeit vergessen und inwieweit wir mit unseren Begriffen und Bildern Gefahr laufen, eine Tradition der Täter fortzuschreiben. Bergs Buch sollte dementsprechend immer neben den Arbeiten der Holocaust-Forschung gelesen werden.“ (S. 43) 91 92 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte delle gerichtet hätte, die im Untersuchungszeitraum entwickelt worden sind. Dann wäre – wahrscheinlich unter einem anderen Titel – dieses stark gemacht und gegen Kritik verteidigt worden, das noch unausgeschöpfte Potential hätte aufgezeigt und seine nicht ausreichend gewürdigten Seiten beleuchtet werden können. Dies wäre ohne Zweifel ein interessantes Arbeitsprojekt geworden – nur eben ein ganz anderes. Der Ansatz des Buches situiert sich aber in einer anderen Weise – und folglich ändern sich auch die Voraussetzungen der Kritik. Hier ging es nicht um die Stärkung einer Position, sondern um eine kritische Analyse der Dauerdebatte um „Auschwitz“ selbst – und dies speziell am Beispiel des Nachdenkens und entlang der Geschichtsinterpretationen von Historikern. Man darf hier dem Titel und dem Untertitel der Arbeit sehr wörtlich folgen und sollte beide nicht willkürlich erweitern oder verengen –, um daraufhin dann Kritik an den dann „fehlenden“ Aspekten zu schärfen, die jedoch im Buch selbst gar nicht angekündigt werden. Das Buch heißt nicht „Der Nationalsozialismus im Urteil der westdeutschen Historiographie“, sondern „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“ – und dieser Unterschied ist erkenntnistheoretisch von grundlegender Bedeutung; es heißt aber auch nicht: „Der Holocaust im Gedächtnisraum der Bundesrepublik“, sondern „und die westdeutschen Historiker“ – also seine Rezeption, aber nicht im allgemeinen öffentlichen Diskurs der Medien, im Gebrauch der Bilder oder der Sicht mehr oder weniger bekannter literarischer Beschreibungsversuche und auch nicht im Gerangel der parlamentarischen Debatte im Rahmen der Politik.6 Und es wird an zwei Stellen der Einleitung auf die grundlegende Bedeutung des Untertitels hingewiesen – bis hin zu einer kurzen Reflexion über das Bindewort „und“ in „Erforschung und Erinnerung“. Was aus meiner Perspektive notwendig erschien, auf den ersten 40 Seiten als Vorhaben entwickelt wird und folglich der Organisation des Buches zugrunde liegt, war die Hoffnung, eine Geschichte der Wahrnehmungen und Wahrnehmungsweisen des Völkermords an den Juden zu schreiben, wie sie durch die deutschen Historiker zwischen 1945 und 1989/90 vorgebracht wurden. Das Buch versucht, diese Erklärungen und Deutungen selbst historisch begreifbar zu machen. Zu diesem sehr allgemein formulierten Vorhaben gehörte in ganz besonderer Weise die methodisch umzusetzende Anerkennung jener fundamentalen Ausgangskonstellation, dass nämlich alle im Buch untersuchten Wortmeldungen, die ganz frühen Interpretationen der späten 40er und 50er-Jahre ebenso wie die der 70er und 80er, in jeweils bestimmter Hinsicht und natürlich mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen, Deutungen der Zeitgenossen waren. Dieses „Doppelverhältnis“ zur Vergangenheit – als seinerzeit mitwirkende Akteure und/oder Augenzeugen der NS-Zeit und als rückblickende Analytiker und Deuter – genau dies war Ausgangspunkt und Leitlinie der Fragestellung und wurde deshalb auch zu einem roten Faden des Buches insgesamt. Es ist eine exemplarisch am Beispiel der Historiker argumentierende, problemorientierte Untersuchung von wichtigen historiografischen Holocaust-Diskurse in Westdeutschland zur Diskussion gestellt worden, sicher nicht vollständig, aber sicher auch keine „Abrechung mit den Vätern“, kein „800seitiger polemischer Essay“, kein „Handbuch“ der westdeutschen Holocaust-Historiografie und auch keine riesige „Sammelrezension“ von Büchern und Aufsätzen zum Thema aus heutiger Sicht. Stellungnahmen solcher Art verkennen den methodischen Zugriff auf das Material, die durchgängig gedoppelte Fragestellung und das explizit gemachte Erkenntnisinteresse. 6 Vgl. die Schwerpunkte folgender Untersuchungen zu Bildern und Fotografien, zur Nachkriegsliteratur und zu Bundestagsdebatten: Brink, Cornelia, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998; Knoch, Habbo, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001; Braese, Stephan, Die andere Erinnerung. Jüdische Autoren in der westdeutschen Nachkriegsliteratur, Berlin 2001; Briegleb, Klaus, Missachtung und Tabu. Eine Streitschrift zur Frage: Wie antisemitisch war die Gruppe 47? Berlin 2002; Dubiel, Helmut, Niemand ist frei von Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, Mün- 93 chen 1999. 94 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte Zu diesen drei Punkten, der Auswahl von Quellen und Material, der zentralen These, wie sie sich in der Fragestellung einerseits und im Aufbau der Arbeit andererseits niederschlägt, sowie zum erkenntnisleitenden Interesse und der Methode einer gedächtnisgeschichtlichen Herangehensweise, sollen deshalb im Folgenden noch einmal Anmerkungen folgen (II), ehe ich abschließend eine Zusammenfassung mit dem Blick auf die problematischen Seiten der bisherigen Debatte aus meiner Sicht zu ziehen versuche (III). und nur im Rahmen seiner Spielregeln zu argumentieren? Oder ist es das Solitäre des einzelnen gelehrten Geistes? Ist es die jeweilige Zeit und die Diagonale des in ihr möglichen Denkens? Oder die Sprache und ihre Begriffsbildung? Sind es die Probleme, um die gestritten wurde und die Konflikte, die ungelöst und unbeantwortet bleiben, bis eine andere Zeit sie wieder aufgreift? Konrad Schilling hat in seiner sehr grundsätzlich angelegten, umfangreichen Gesamtdarstellung zum historischen Selbstverständnis der Bundesrepublik zwischen Entnazifizierung und Wiedervereinigung vorgeschlagen, drei Ebenen der Analyse zu unterscheiden: Erstens die „empirische Ebene“ der handelnden Personen, zweitens eine „sprachlich-kulturelle Ebene“, in der man sein Selbstverständnis formuliert, sowie drittens eine (ebenfalls sprachliche) „reflexiv-gebrochene, diskursive Ebene“, in der die Auseinandersetzung eben über dieses Selbstverständnis stattfindet.8 Diese Ebenen, so Schilling, hätten natürlich Zonen der Überschneidung, gleichwohl könnte man doch „hinreichend exakt“ entlang ihrer Grenzen differenzieren und „relativ genau“ bestimmen, wie sie zusammenhängen und welche Befunde zu welcher Ebene gehörten. Ohne diesen Vorschlag nun im Einzelnen zu diskutieren – die Anlage des Buches von Schilling unterscheidet sich von meinem in vielen Punkten –, sei hier nur auf einen Aspekt verwiesen, der den Unterschied in den Argumentationen aufzeigen kann: Auch die erste Ebene, also der Bereich, der bei Schilling als „empirisch“ bezeichnet wird und in dem Personen „handeln“ –, auch diese Ebene ist im Falle der westdeutschen Historiker ja, analog zu den beiden anderen von ihm genannten, „sprachlich-kulturelles“ Handeln, also Produktion von Texten, Sinnstiftungsprozesse über Worte und Begrifflichkeiten. Anders ausgedrückt: Die drei Ebenen Schillings fließen mit Blick auf das kulturelle und diskursive Handeln von Historikern stärker zusammen, sie lassen sich nicht leicht voneinander trennen und mein Vorschlag ging dahin, einen Kontext gerade an der Stelle zu öffnen, II. Geschichtszeit und Gedächtniszeit: Zur Auswahl der Quellen, zur Fragestellung und zur Methode der Interpretation Die Frage nach dem Kontext von Historiografiegeschichte ist wieder einmal aufgeworfen7 , hier am Beispiel des im Forum diskutierten Buches über die Deutungen und Interpretationen des Holocaust durch deutsche Historiker. Erstens werde, so der Vorwurf, Historiografie als System verkannt, zweitens sei kein „sicherer Maßstab“ entwickelt worden, um den Stellenwert einzelner Forschungen des Themas innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft zu situieren und drittens sei auch die Verankerung der deutschen Historiografie als „Teilsystem“ eines weiter zu denkenden kollektiven Gedächtnisses gescheitert – dies in etwa die Summe der Einwände, die im Grundsätzlichen argumentieren (Longerich, Knoch). Da umgekehrt im Rahmen des Forums zugleich auch erkannt und anerkannt wurde, dass der Versuch, die Kategorien „Erforschung“ und „Erinnerung“ zusammenzudenken, einen Kontextualisierungsversuch auf der methodisch-theoretischen Ebene darstellt (Berger, Koonz), scheint die Breite der Meinungen darüber, was Kontext sei und was Dekontextualisierung, weit auseinander zu gehen. Ist das Fach der Kontext 7 Vgl. z.B. exemplarisch die Debatte neueren Datums zwischen Thomas Brechenmacher und Daniel Fulda in der Zeitschrift „Historisches Jahrbuch“: Brechenmacher, Thomas, Postmoderner Geschichtsdiskurs und Historiographiegeschichte. Kritische Bemerkungen mit Blick auf eine narrativistische Darstellung, in: HJb 119 (1999), S. 295306; Fulda, Daniel, Erschrieben oder aufgeschrieben? Zu einigen Problemen der aktuellen Historiographieforschung, in: HJb 120 (2000), S. 301-316. Die Auseinandersetzung bezog sich auf Fulda, Daniel, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760-1860, Berlin 1996. 95 8 Schilling, Konrad, Scheitern an der Vergangenheit. Das deutsche Selbstverständnis zwischen Re-Education und Berliner Republik, Berlin 2002, S. 67ff. 96 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte wo nicht die Grenze zwischen ihnen betont wird, sondern die osmotischen Zonen des Überganges. Deshalb basiert das Buch „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker – Erforschung und Erinnerung“ in dieser Perspektiven sozusagen dreifach auf Sprache: „Lebenswelt“, „Kommunikation“ und „Reflexion“ sind am Beispiel der Geschichtswissenschaft Sprache hoch drei. Deshalb berücksichtigt es auch Bücher und Vorträge über das Thema „Goethe und die Geschichte“, einen Band Erinnerungen über eine Kindheit in München vor 1914, eine Vorlesung über die „Erlebnisgeschichte“ des deutschen Volkes seit 1911 und ein religionsphilosophische Reflexion über das Achte Gebot („Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen“). Es wird eine Radioansprache zu Neujahr 1956 ebenso analysiert wie eine Gerichtsreportage über die Verhandlungen im Prozess gegen Adolf Eichmann, eine Gesamtdarstellung „Deutsche Geschichte“, in welcher der Name Hitlers mit „H.“ abgekürzt wird ebenso wie Beiratsprotokolle, in denen die Arbeitsvorhaben eines zeithistorischen Forschungsinstituts diskutiert werden. Das „close reading“ wird an Forschungsberichten über den deutschen Widerstand praktiziert, aber auch anhand von Briefen über Chancen von Remigration und Neuanfang, Dokumentationsbände mit Exzerpten aus Dissertationen deutscher Universitäten zwischen 1933-1945 werden ebenso berücksichtigt wie die Fachrezension, in der dieses Vorhaben als „Telefonbuch zur Fortführung der Entnazifizerung“ verhöhnt wird. Interviews von Studenten zur Studienzeit der Lehrer ihrer Lehrer in der frühen Bundesrepublik bergen eine Fülle von Hinweisen auf ideen-, mentalitäts- und historiografiegeschichtliche Details aus der Zeit, wie Akademie-, Grab- und Gedenkreden – kurz: Die Quellen des Buches „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“ sind programmatisch weit gefasst. Einerseits galt es für die Arbeit in historiografiegeschichtlicher Perspektive auch historische Bücher als „normale“ Quellen zu lesen, als Texte demnach, die eine genaue Analyse ihrer Argumentation, ihrer Struktur, ihrer Lücken und – vor allem – ihrer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte benötigen. An- dererseits aber waren die Informationen und Kenntnisse zum Nachdenken über den „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner), den die Durchführung des Völkermordes an den europäischen Juden bedeutet hat, nicht nur aus den publizierten Forschungstextsorten, den Fachaufsätzen und zeitgeschichtlichen Monografien zu ziehen. Neben den unpublizierten Archivalien weist das Literaturverzeichnis der Studie zehn Seiten mit Briefen, Briefwechseln, Memoiren, Erinnerungsinterviews und Tagebüchern aus – ein bisher eher als mindergültig oder bestenfalls zweitrangig behandeltes Arsenal an partikularen Erinnerungen und allgemeinen Reflexionen, das zuvor noch kaum je ernsthaft in die Holocaust-Debatten einbezogen worden war. Es mag erstaunen, aber offensichtlich musste erst eine Studie mit dem Untertitel „Erforschung und Erinnerung“ konzipiert werden, um diesen zumeist publizierten, aber brachliegenden Fundus auf die gesammelten wissenschaftlichen Untersuchungen zu beziehen, die zum Teil auf den Schreibtischen derselben Akademiker und Intellektuellen entstanden sind. Obwohl die Studie mit Artefakten individueller Erinnerung arbeitet und zugleich versucht, den sich wandelnden, kollektiven Rahmen zu erkennen, in denen sie zu verschiedenen Zeiten Ausdruck des Allgemeinen waren oder aber eben dieses Allgemeine veränderten, kann ihr nicht entnommen werden, dass das Argumentieren mit der Kategorie der Generation gleichbedeutend mit einer Erklärung sei. Mit dem Geburtsjahrgang ist der lebensgeschichtliche Hintergrund der jeweiligen Forschungsleistungen natürlich nicht einmal zur Hälfte erklärt. Aber es gibt eben sehr viele „historische“ Daten, die erst im Rückblick und erst einer jüngeren Generation überhaupt ins Auge fallen. In einem Radiofeature über Eberhard Jäckel sagte dieser, dass es für ihn nach dem Krieg einen großen Impuls gab, aus Deutschland wegzugehen – ganz und für immer. Dies ist wohl nicht verschriftlicht worden und damit dem Vergessen anheim gegeben, aber so etwas haben außer ihm auch gleichaltrige Kollegen geäußert, z.B. Gerhard A. Ritter an anderer Stelle. Die „Nach-45er-Dichotomie“ dieser 97 98 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte Generation – entweder auswandern oder aber Historiker werden – das erscheint mir z.B. als ein eminent „historisches“ Faktum, schwer greifbar und interpretierbar, aber in solchen autobiografischen Äußerungen eben doch in den Blick zu bekommen und als Kontext für ein solches Thema bedeutsam.9 Solche Art von Quellen wurden im Buch „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“ verwandt, wenn natürlich nicht ausschließlich und deshalb entsprechend behutsam. Doch in den vielen wenig beachteten Memoiren, in den spektakulären Interviews, die Rüdiger Hohls und Konrad H. Jarausch unter dem sprechenden Titel „Versäumte Fragen“ gesammelt haben, auch in dem eher unbemerkt gebliebenen Band von Hartmut Lehmann und Gerhard Oexle mit dem Titel „Erinnerungsstücke – Wege in die Vergangenheit“ von 1997, sind eine Menge Hinweise zum Selbstbild und Selbstverständnis der Historiker enthalten, zur Auffassung über die eigene Person und die gewählte Rolle als wissenschaftlicher Fachmann, sowie zum Verhältnis von „bedrängender“ Vergangenheit und einer Gegenwart, die diesem Drängen gerecht zu werden hofft.10 Diese Auswahl der Quellenbasis hat bereits viel mit der These, der Fragestellung und dem Erkenntnisinteresse zu tun. Diese liegen vornehmlich im Schnittpunkt von Historiografie und Wissenschaftstheorie – zwei Bereiche, die in der Geschichtswissenschaft methodisch nicht so entfernt voneinander sind, wie manchmal behauptet wird.11 Interesse und Fragestellung hatten ihren Schwerpunkt nicht ausschließlich auf den einzelnen historiografischen Leistungen zum Thema, denen sodann nur die Aura zu nehmen war, indem man auf schlichte Weise das wissenschaftliche Werk und die private Person konfrontiert – mit einer beide Bereiche verrechnenden Bilanz. Ein solches Verfahren wird man im Buch aber nicht finden. Das Interesse bezog sich auch nicht auf ein privat verstandenes individuelles Gedächtnis, zu welchem der Zugang ja vielfältig verstellt ist. Schwerpunkt des Interesses war vielmehr das Spannungsverhältnis beider – das epistemologische Problem, dass das Gedächtnis und seine Zeitlogik des Rückblicks und die wissenschaftliche Erforschung, die der genealogischen Ordnung der Geschichtszeit verpflichtet bleibt, nicht willentlich voneinander zu separieren sind. Das Buch hat deshalb bis in die Gliederung der Kapitel hinein systematisch den synchronen und den diachronen Ansatz stets gleichgewichtig verhandelt, Geschichtszeit und den Aspekt der Chronologie dabei ebenso beachtend wie Gedächtniszeit, mit ihrem Eigensinn. Es interessierte die Selbstwahrnehmung der Historikerakteure und Geschichtsinterpreten und das, was der einzelne hierbei und auf wissenschaftlichem Wege für Erkenntnisse gewonnen hat – und wie er beides aufeinander bezogen hat. Es interessierte die Definition von Themen – und die Abgrenzungen zu von anderen formulierten Interessen an der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Selbstwahrnehmung in Deutschland nach 1945 und das reale Verhalten zuvor differierten so stark voneinander, dass dies in die historischen Interpretationen der Historiker insgesamt eingegangen ist. „Ich weiß“, so schrieb Peter de Mendelssohn 1949 in seinen „Gegenstrahlungen“, einem „Tagebuch zu Ernst Jüngers Tagebuch“ – „ich weiß. Es ‚gehört sich nicht’, einen Autor gegen sich selbst zu zitieren. Man darf sich irren, darf sich täuschen. Man darf sogar die eigenen Gedankenspuren verwischen, wenn es gilt, einem intellektuellen Inferno zu entkommen. Auch das darf man. Aber darf man stillschweigend unterstellen, die Fußtapfen stammten von einem anderen, der zufällig den nämlichen Weg gegangen?“12 Diese 9 Vgl. die Überlegungen zu den von ihm so genannten „45ern“ bei Moses, Dirk, The Forty-Fivers. A Generation Between Fascism and Democracy, in: German Politics and Society 50 (1999), S. 95-127; aufschlussreich auch: Bude, Heinz, Generationen im 20. Jahrhundert. Historische Einschnitte, ideologische Kehrtwendungen, innere Widersprüche, in: Merkur 54 (2000), S. 567-579. 10 Berg, Nicolas, Zwischen individuellem und historiographischem Gedächtnis: Der Nationalsozialismus in Autobiographien deutscher Historiker nach 1945, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 13.2 (2000), S. 181-207; Lehmann, Hartmut; Oexle, Otto Gerhard (Hgg.), Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit, Rudolf Vierhaus zum 75. Geburtstag, Köln 1997; Hohls, Rüdiger; Jarausch, Konrad H. (Hgg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000. 11 Im Anschluss an: Kiesewetter, Hubert, Geschichtswissenschaft und Erkenntnistheorie, in: ZfG 43 (1995), S. 581-613, bes. S. 612. 99 12 de Mendelssohn, Peter, Gegenstrahlungen. Ein Tagebuch zu Ernst Jüngers Tage- 100 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte provokante Frage brachte die deutschen Verhältnisse nach dem Krieg auf den Punkt. Hier lautete die Frage aber umgekehrt: „Haben wir etwas getan, oder ist etwas mit uns geschehen?“ – das war es, was man im Jahrzehnt nach dem Kriegsende zu beantworten hatte.13 Dabei antwortete man allerdings zumeist nicht auf den ersten, sondern auf den zweiten Teil der Frage. Während Max Weinreich in Amerika bereits 1946 ein Buch über „Hitler´s Professors“ vorgelegt hatte, welches den intellektuellen Anteil der akademischen Elite an der Vernichtung der europäischen Juden thematisierte und das in Deutschland bis heute nicht übersetzt wurde, sollte es bei den deutschen Historikern noch Jahre und Jahrzehnte dauern, bis sie sich zur unvoreingenommenen Erforschung der eigenen Rolle im „Dritten Reich“ bereit fanden.14 Ich bin davon überzeugt, dass die vielkommentierte Kontroverse zwischen Joseph Wulf und Martin Broszat in den 60er-Jahren weniger auf dem Gebiet des Streitgegenstandes als vielmehr auf dem Feld der Historiografiegeschichte spektakulär ist, und eben hier verdient die Auseinandersetzung auch eine besondere Aufmerksamkeit. Wir erfahren in diesem Streitfall nicht nur etwas über die beteiligten Kontrahenten, sondern durch den Streit wird auch ein Fenster auf die Geschichtswissenschaft im Deutschland der 60er-Jahre und auf die Mentalität der in ihr tätigen Akteure geöffnet. Noch einmal anders formuliert: Die Historisierung der Erforschung des Nationalsozialismus kann nicht anders, als auf die Historizität der an ihr beteiligten Personen einzugehen; also auf das, was man gemeinhin den „lebensgeschichtlichen Hintergrund“ bezeichnet. Die Zeitgebundenheit, die den Forschungen vorausliegenden Fragen, Grundimpulsen und Annahmen, der Rahmen, innerhalb dessen das Interesse sich entwickelt, die Horizonte der Gesellschaft und der Wissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt – all das ist Kontext einer solchen Fragestellung. Will man das Lebenswerk von Joseph Wulf in die Fachdiskussion zurückholen, kann das nicht anders als „historisch“ geschehen, denn erst aus dem Zeitabstand wird deutlich, dass große Teile der modernen Holocaustforschung hier eine Instanz haben, die sie zuvor nur nicht kannten. Wulf ist insofern nicht einfach nachträglich „recht“ zu geben, aber er sollte auch nicht erneut und vorschnell aus dem Fachkontext vertrieben werden, indem man ihn heute auf eine Weise erinnert, die schon seinerzeit seiner Marginalisierung durch Helmut Krausnick und Martin Broszat Vorschub geleistet haben, nämlich als bloß „Betroffenen“, allein als Überlebenden des „Dritten Reiches“, also als Opfer. In die Fachdiskussion hineinholen – das hieße zu zeigen, dass er als Zeitzeuge, Überlebender oder Opfer nicht notwendig unschärfer argumentierte als seine nichtjüdischen Historikerkollegen, die nicht in Auschwitz inhaftiert waren. Wenn meine Interpretation nicht fehl geht, ist hier der Grund dafür zu suchen, dass er es wo immer möglich vermieden hat, im Namen der Erinnerung gegen die fachwissenschaftliche Forschung eines nichtjüdischen deutschen Historikers zu reklamieren. Joseph Wulf „historisch“ zu verstehen, heißt aufzeigen, dass er seine Argumente aus der Faktizität der Vorgänge im Warschauer Ghetto selbst ableitete und dies mit Dokumenten, mit historischen Argumenten und mit dem erforsch- buch, in: Der Monat 2 (1949), S. 149-174. 13 Mohr, Heinrich, Die Schuldfrage im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg, in: GWU 5 (1954), S. 282-297, Zitat S. 292. 14 Weinreich, Max, Hitler´s Professors. The Part of Scholarship in Germany´s Crimes against the Jewish People, New York 1946 (Neuauflage in engl. 1999); vgl. zum Stand der jüngeren Diskussion v.a.: Schöttler, Peter (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt am Main 1997; Schulze, Winfried; Oexle, Otto G. (Hgg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1998. Anhand dieser beiden Sammelbände lohnt sich vielleicht eine kurze Bemerkung zu den mitunter rätselhaften Konjunkturen des öffentlichen Interesses. Während die Sektion zur deutschen Geschichtswissenschaft auf dem Leipziger Historikertag von 1994, in welcher vier der Beiträge aus dem Band von Schöttler vorgetragen wurden, wenig wahrgenommen wurde und ohne nennenswerte publizistische Resonanz blieb, entwickelte sich die entsprechende Sektion auf dem Historikertag in Frankfurt am Main, die zur Grundlage des Bandes von Schulze und Oexle wurde, vier Jahre später zu einer wochenlangen Dauerdebatte in den bundesdeutschen Feuilletons. Ein paar Nachweise dieses Echos verzeichnet Lerchenmueller, Joachim, Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“, Bonn 2001, S. 8f. 101 102 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte ten Kenntnisstand des Faches „Geschichte“ belegte. Deswegen und vor dem Hintergrund einer sich gegenwärtig polarisierenden Diskussion ist es eben nicht allein der moralischen Fairness, sondern primär der historischen Genauigkeit geschuldet, wenn man betont, dass Joseph Wulf nicht mit „Erinnerung“ gegen „Erforschung“ plädiert hat, sondern mit „Erforschung“ gegen „Erforschung“ argumentierte. Wenn also der Streitfall zwischen Wulf und Broszat etwas Exemplarisches aufweist – dann hier und nicht durch die Tatsache der NSDAP-Mitgliedschaft von Broszat oder durch den später erfolgten Suizid von Wulf, auch wenn dies beides historische Fakten sind, die unsere Erklärungsbemühungen weiter auf sich ziehen müssen. Eine gedächtnisgeschichtliche Methode vermag solche wichtigen Distinktionen leichter zu analysieren als „reine“ Historiografiegeschichte. Geschichtswissenschaft steht in einem gesellschaftlichen und erinnerungspolitischen Kontext – die Arbeit vernachlässigt parallele Entwicklungen in Politik, Kultur oder Öffentlichkeit, betont aber den Aspekt der Rezeption eines Ereignisses aus dem Grunde, da sie an der Funktionalisierung von bestimmten Ansichten zu Gunsten und Ungunsten anderer interessiert ist. Eine gedächtnisgeschichtlich angeleitete Re-Lektüre von historiografischen (aber auch literarischen, publizistischen und politischen) Texten verspricht Erkenntnis, weil damit auch in den kreisförmigen Vermeidungsbewegungen des Nicht-Aussprechens, des Andeutens oder des Verallgemeinerns und Relativierens der „Kern“ des Umgangs mit den Massenverbrechen des Nationalsozialismus, nämlich die Vernichtung der Juden, „sichtbar“ gemacht werden kann. Die Gedächtnistheorie der letzten Jahre hat diesen direkten Zusammenhang von „Erinnerung“ und „Vergessen“ stark betont, aber man kann dies nicht nur theoretisch argumentieren, sondern eben auch an den Texten selbst zeigen. Ein solcher historischer Blick (von heute aus) auf den historischen Blick von Gestern, also auf die Forschung und ihr „Vergessenes“, ist an die Perspektive ex post gebunden. Das ist jedoch nicht anders zu haben, und wie jedes andere Ereignis in der Vergangenheit ist auch die Geschichte der Geschichtswissenschaft eine bestimmte Art von Ereignis und somit der Erforschung wert. Aber der Blick darf, hier gebe ich vorsichtigen Einwänden wie denen von Norbert Frei völlig recht, keinerlei Häme in sich tragen, so er sich nicht selbst dementieren möchte15 , da man sich nicht herausnehmen kann aus der Tatsache, dass es blinde Flecken der eigenen Sichtweise gibt, die andere bemerken und korrigieren oder ergänzen. Das aber gleichsam in einem Buch leisten zu müssen, kann nicht ernsthaft die zentrale Forderung der Kritik sein. 103 III. Zusammenfassung: Von moralischen und anderen Argumenten – die problematische Seiten der bisherigen Rezeption Die Rezeption des Buches „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker – Erforschung und Erinnerung“ seit Mai 2003 hat aus meiner Sicht bisher drei markante Tendenzen offenbart, die im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden sollen. Zum einen ist das überaus große Interesse an Buch und Thema selbst eine Art von „Datum“, das jede Erwartung übertrifft und nicht zu selbstverständlich genommen werden sollte. Die vielen ausführlichen Rezensionen, die engagierten Widersprüche und kritischen Einwürfe gegen einzelne Thesen, die vielen Einladungen zu Vorträgen und Diskussionen und nicht zuletzt auch der Dank, der den Verfasser in persönlichen Briefen erreicht hat – all das verweist auf eine besondere gegenwärtige Atmosphäre, die sich in der Diskussion um das Buch, vielleicht auch bereits im Buch selbst verdichtet hat. Eine solche breit gestreute Aufmerksamkeit von Beginn an kann dabei natürlich auf sehr verschiedene Art und Weise gedeutet werden, z.B. mit der besonders „geschickten“ Vorabveröffentlichung der Broszat-Wulf-Kontroverse in der „Süddeutschen Zeitung“16 im Speziellen (Eckert) oder mit dem Nachwirken des Goldhagen-Phänomens und den Dynamiken der Medialisie15 Frei, Norbert, Diskussionsbemerkung, in: Beschweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Göttingen 2001, S. 150. 16 Berg, Nicolas, Die Lebenslüge vom Pathos der Nüchternheit. Subjektive jüdische Erinnerung und objektive deutsche Zeitgeschichtsforschung? Joseph Wulf, Martin Broszat und das Institut für Zeitgeschichte in den sechziger Jahren, in: Süddeutsche Zeitung (München), Nr. 163, 17. Juli 2002. 104 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte rung im zeithistorischen Diskurs im Allgemeinen (Knoch). Solche Interpretationen erscheinen aber den diversen, oben geschilderten Phänomenen kaum angemessen und sie sind auch deshalb nicht realistisch, weil es keine Sache der Intention allein ist, die schmale Ressource Aufmerksamkeit auf ein Buch zu lenken; ein solcher Ansatz überschätzt zumal die Möglichkeiten, die einem hierfür zur Verfügung stehen. Meines Erachtens verhält es sich genau umgekehrt. Anstatt eine Rezeptions-„Lenkung“ zu unterstellen und damit das gesamte Projekt zu diskreditieren, ist das reale und weit verbreitete Unbehagen an den diversen Holocaustdebatten, die nur noch in dritter Ableitung und als „Meta-Metadiskurse“ fortgesetzt zu werden scheinen, eine viel bessere Erklärung. Das Interesse rührt offensichtlich eher daher, dass aus diesen miteinander verschraubten und zunehmend essentialisierten Interpretations-Modellen, verhärteten Standpunkten und Deutungshegemonien, ein genuin historischer Ausweg gefunden werden musste, der die Debatten selbst historisch zu verstehen sucht. Eine zweite Tendenz, eng mit dem ersten Punkt zusammenhängend, scheint darin zu liegen, dass die Aufmerksamkeit selbst ein Argument in der Kritik am Buch wird, und dass darüber hinaus die formulierten Einwände mitunter fundamentalistische Argumente enthalten haben, die vor allem deshalb irritieren, weil auf den Zuruf, man möge ein ganz und gar anderes Buch geschrieben haben, natürlich gar nicht adäquat reagieren werden kann. So wird auch der immer wieder vorgebrachte Vorwurf, es fehle der Arbeit an „Kontext“, sie sei in ihrer Fragestellung „retrospektiv“, mithin also „unhistorisch“, „meinungsfreudig“ und apodiktisch angelegt, dem Anliegen des Projekts nicht gerecht. Dieser Habitus des Grundsätzlichen in den Entgegnungen, sehr oft gemischt mit Spekulationen über die Motive des Verfassers, münden zumeist wie von selbst in dem Fazit, der Autor sei „moralisch“, bzw. urteile mit der moralischen Elle des Spätgeborenen. Damit setzt ein Teil der Rezeption unbewusst in bemerkenswerter Weise eine Konstellation fort, die Teil der Thematik des Buches ist und wo dies bemerkt wurde, wird es als „zirkulärer“ Trick des Verfassers gedeutet, der hiermit schon im Text einer zukünftigen Kritik vorgebaut habe. Die These aber, dass nämlich die deutsche Holocaustforschung über Jahrzehnte einen Diskurs ausgebildet hat, in welchem jüdische Historiker in einen speziellen SelbstlegitimierungsZwang genötigt wurden, wurde im Ganzen noch nicht ebenso intensiv wahrgenommen – und dies trotz der im Buch umfangreich dokumentierten Materialbasis. Vielmehr ist zu bemerken, dass weite Teile der Kritik sich an einzelnen Detailbefunden aufgehalten hat, z.B. der Frage der Parteimitgliedschaft von Martin Broszat oder an der Frage, wie gerecht die Kritik der Balance von „intentionalistischem“ und „strukturalistischem“ Deutungsmodell geworden sei17 und dabei zugleich im Ganzen den guten Willen der jeweiligen Historiker nach 1945 als ausschlaggebendes Argument vorbrachte, ganz so, als wäre es das Ziel oder der Gegenstand des Buches, diesen in Abrede stellen zu wollen. Hier ging es aber nicht um das wie immer zu gewichtende aufrichtige Bemühen der einzelnen Personen, die durch die Studie ja überhaupt nicht unterschlagen wird (sei dies am Beispiel von Friedrich Meinecke, von Hermann Heimpel oder von Martin Broszat), Institutionen (das „Institut für Zeitgeschichte“ in München) oder gar ganzen Generationen, sondern es ging um deren jeweilige epistemologische Perspektive auf das Ereignis selbst, so, wie es sich in den Büchern und Arbeiten niedergeschlagen hat. Der entscheidende 105 17 Vgl. zur Frage der Parteimitgliedschaft im Allgemeinen die folgende, selten zitierte Textsammlung: War ich ein Nazi? Politik – Anfechtung des Gewissens. Mit Beiträgen von Joachim Günther, Hans Egon Holthusen, Hans Hellmut Kirst, Rudolf KrämerBadoni, Alexander Lernet-Holenia, Jens Rehn, Heinz Winfried Sabais, Hermann Stahl, Wolfgang Weyrauch und mit einer Anleitung für den Leser von Ludwig Marcuse, München 1968; was diese Diskussion auch immer für „Blüten“ treiben wird – bisher stehen sie noch mehrheitlich in der Tradition dieser Textsammlung. Dass das „Internationale Germanistenlexikon“ fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt dieser Angaben in die Diskussion gerückt wurde, ist ihm nicht anzulasten. Was man ihm noch entnehmen kann, zeigt Hans-Harald Müller „Veranschaulichung“, die er am Beispiel des Emigranten Bernhard Blume exemplifiziert, vgl.: Müller, Hans-Harald, Ein Magazin voller Geschichten zur deutschen Philologie. Das „Internationale Germanistenlexikon“ und das Leben. Eine Veranschaulichung, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 50, 1. März 2004, S. 14. 106 Nicolas Berg Historiografiegeschichte und ihre Kontexte Punkt liegt aber dort, wo die Methode der „Gedächtnisgeschichte“ nicht nur zu der ein oder anderen Revision einzelner Ansichten, sondern auch zu theoretischen Implikationen insgesamt nötigen würde – aber eben dies ist bisher ausgeblieben. Der Standort dessen, der als Zeithistoriker die Rolle derer, die das Sprechen über den Holocaust steuern, einnimmt, ist mehr als bisher geschehen, in die Historiografie zum Thema einzubeziehen. Die deutsche Zeitgeschichtsforschung hat – unabhängig von ihren jeweiligen Akteuren – beim Thema Holocaust die eigenen (nichtjüdischen, deutschen) Erinnerungen an die NS-Zeit ebenso unterschlagen wie das Gedächtnis jüdischer Überlebender. Die Tendenz, die Gleichung zu hypostasieren, dass Juden subjektiv und lediglich moralisch urteilten, da sie „nahe“ der Thematik ständen und ihr Blick von (generös zugestandener „berechtigter“) Trauer begrenzt werde, während die deutsche zeithistorische Fachwissenschaft objektiv verfahre und deshalb „harte“ Erkenntnisse produziere, also nicht „Gedächtnis“, sondern „Geschichte“ repräsentiere – diese erkenntnistheoretisch fatale Diskursdichotomie, die noch weit hinein bis in die 80er-Jahre als Regel bezeichnet werden kann, wurde im Buch erstmals umfassend historisch dargestellt, kontextualisiert und – als Diskursfalle – kritisiert. Wenn nun, und dies ist der abschließende, dritte Punkt, auf den zu kommen nicht ausbleiben kann, die Rezeption eines Buches, das die Differenz zwischen jüdischen und nichtjüdischen Erfahrungskontexten in historiografischen Texten aufzusuchen sich bemüht hat, sich nun im Jahre 2003 und 2004 selbst in eine jüdische und eine nichtjüdische aufzuspalten droht, dann wäre im Grunde genommen die Grundthese der Arbeit bestätigt, das Buch selbst indes widerlegt worden. Ich bin hingegen der Auffassung, dass wir auf intellektuellem Wege zu Erkenntnis- und Reflexionsfortschritten gelangen können, also nicht in vergangenen Rahmen kollektiver Gedächtnisse verbleiben müssen, wenn wir uns das Nachdenken über eben jene Rahmungen, von den Maurice Halbwachs gesprochen hat, als Thema gewählt haben. Da nichtjüdische Zeithistoriker bisher sehr stark „das Morali- sche“ des Ansatzes betonen, die These als „übers Ziel hinausgeschossen“ wahrnehmen, „Übertreibungen“ und „Einseitigkeiten“ vermuten, ist allerdings die Sorge nicht gering, dass eine solche Rezeption das historisch kontextualisiert präsentierte Material nicht in die Diskussion hineinzuholen gewillt ist. Die Diskussion selbst ist dann zwar üppig gewesen – und somit gäbe es auch keinen Grund, sich zu beklagen – aber die Belege aus den Quellen wären dann auf der Strecke geblieben, und das Profil, mit welchem erkennbar zwischen der Grundthese und den Nebenaspekten unterschieden würde, verwischt. Vielleicht bräuchte es hierfür weniger die Spezialisten für das „Dritte Reich“, den Nationalsozialismus oder den Holocaust, sondern eher Historiografie-Historiker mit Interesse an Methodenwahl und theoretischen Prämissen oder auch Kommentare aus den Literaturund Kulturwissenschaften? 107 Nicolas Berg studierte Geschichte, Germanistik und Slavistik in Freiburg im Breisgau und arbeitet seit 2001 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig. Er ist Mitherausgeber des Bandes »Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst« (München 1996). Schwerpunkte seiner Arbeit sind allgemeine Historiografie- und Wissenschaftsgeschichte, deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert und Probleme der Geschichtskultur und Gedächtnisgeschichte. Derzeit arbeitet er an einer Untersuchung zu Herkunft, Semantik und Wandel der Metapher vom jüdischen „Luftmenschen“. 108