"Experten"-Kunst

Künstler aus Sonthofen entlarvt mit „Hirnfürzen“ Hohlköpfe

Große Klappe, dicker Arm, im Hirn lauwarm, Objekt zu Lasst die Volksseele kochen

„Große Klappe, dicker Arm, im Hirn lauwarm“: Eine Skulptur von Günther Zitzmann, Mitglied der Oberallgäuer "Experten", für ein Ausstellungsprojekt gegen Populismus.

Bild: Günther Zitzmann

„Große Klappe, dicker Arm, im Hirn lauwarm“: Eine Skulptur von Günther Zitzmann, Mitglied der Oberallgäuer "Experten", für ein Ausstellungsprojekt gegen Populismus.

Bild: Günther Zitzmann

Für Günther Zitzmann, Mitglied der Oberallgäuer „Experten“, muss Kunst etwas mitteilen. In seiner Arbeit verbindet er Gesellschaftskritik mit valentineskem Humor. Wie vielseitig sein Werk ist.
16.01.2021 | Stand: 14:00 Uhr

Geballte Faust, bärbeißiges Gesicht: Der amerikanische Noch-Präsident setzt sich in Szene. Und das gleich doppelt: Das Fernsehbild erscheint zusätzlich auch spiegelverkehrt. Dieser doppelte Trump spitzt hinter einem weit größeren Fernsehbild hervor: Es zeigt ein formatfüllendes Corona-Modell und trägt die Aufschrift „Virus First!“

Sarkastisch spricht die Computermanipulation von Günther Zitzmann, einem Mitglied der Oberallgäuer Künstlergruppe „Die Experten“, eine bittere Wahrheit an. Die Parole des amerikanischen Präsidenten „America first!“ hat sich in der Corona-Pandemie auf schreckliche Weise bewahrheitet – in den Infektions- und Todeszahlen liegen die Vereinigen Staaten an der Spitze.

„Trump war sehr ergiebig“, sagt Günther Zitzmann. Denn für den gebürtigen Oberfranken, der mit einem halben Jahr nach Sonthofen entführt wurde, wie er erzählt, muss Kunst etwas mitteilen. Und das tun Günther Zitzmanns Werke auf sehr vielseitige und fantasievolle Weise, wie seine umfangreiche Internetseite zeigt.

Zwar lebt der 65-Jährige in Heilbronn, aber er ist auch dem Allgäu treu geblieben, seitdem ihn seine Eltern aus beruflichen Gründen einst dorthin verschleppt hatten. Viele seiner künstlerischen Aktivitäten fanden oder finden im Allgäu statt: Schon bevor er an der Akademie und an der Universität in Stuttgart 1978 Kunsterziehung für Gymnasien und Kunstwissenschaft studierte, gab er Malkurse im Sonthofer Jugendhaus und stellte dort aus. Zu einem seiner ersten Schüler wurde Ecke Recla, heute ebenfalls ein „Experte“, erzählt Günther Zitzmann, der bis 2019 am Christoph-Schrempf-Gymnasium in Besigheim bei Ludwigsburg unterrichtete.

In der Vorakademiephase knüpfte Günther Zitzmann Kontakte zur Allgäuer Kunstszene. Etwa zu den „Jungen Oberstdorfer Künstlern“, die erweitert um Gleichgesinnte aus Kempten und Sonthofen zu den „Jungen Oberallgäuer Künstlern“ anwuchsen. Nach einem Sonderpreis bei einem Wettbewerb der Augsburger Allgemeinen und unserer Zeitung entstanden 1985 aus dieser Gruppe „Die Experten“ als Künstlervereinigung. Sie sind bis heute aktiv und planen für 2022 eine große Ausstellung in Sonthofen.

So wie sie oft Gesellschaftskritik mit valentineskem Humor verpacken, pflegt es auch Günther Zitzmann in seinen Werken zu machen, die jenseits des Experten-Zirkels entstanden sind oder entstehen.

Er komme eigentlich von der Malerei her, erzählt er. Mit 13 begann er mit „Malen nach Zahlen“. Danach habe er die Ölmaltechniken autodidaktisch weiter studiert und perfektioniert. „Den Heranwachsenden berühren die Ungereimtheiten des menschlichen Treibens und deren Sinnhaftigkeit ungemein“, erinnert er sich. Seine Internetseite zeigt unter den frühen „Klassischen Tafelbildern“ fantasievoll-drastische Beispiele. Sie beherrscht eine fast albtraumhafte Fantastik, etwa in der Darstellung der damals noch geteilten Stadt Berlin. Auf der einen Seite herrscht der Teufel von Gier und Lust, auf der anderen das alles sehende Auge des roten Bruders. Dazwischen klammern sich notleidende Menschen aneinander und wachsen prächtige Bauten empor.

Wandbilder schuf Günther Zitzmann Ende der 70er Jahre zum Beispiel für das Jugendhaus in Sonthofen und das Pfarrheim in Rieden. Später kombiniert er Malerei auch mit bemalten plastischen Objekten. So entstehen reliefartige Bilder. Seit 1986 experimentiert Günther Zitzmann auch mit fluoreszierenden Farben und deren Wirkung unter dem Einfluss von Schwarzlicht. Auslöser für eine erste Installation in dieser Art war damals eine Ausstellung der „Experten“ in der Markthalle in Sonthofen: „Die Jagd“.

Seit 1982 errichtet Zitzmann auch Skulpturen – in der freien Natur. Sie entstehen zu 80 Prozent im Allgäu, erzählt er. Etwa an der Ostrach, der Stillach, der Breitach, der Iller, der Starzlach. Aus Fundstücken, Wurzeln oder Ästen, die er bemalt, formt er „Thingstätten“. In ihnen verarbeitet er manchmal auch aufgestöberten Zivilisationsmüll.

Diese „Landart“ ist Wind und Wetter und anderen Naturkräften ausgesetzt und deshalb nur von begrenzter Dauer. „Nichts ist für die Ewigkeit“, sagt Günther Zitzmann. Allerdings dokumentiert er diese Arbeiten mit der Fotokamera. Einige waren auch bei der jüngsten „Südlichen“ in Sonthofen zu sehen, der Jahresausstellung der Bildenden Künstler der Region.

Der Auslöser für diese „Landart“ liege in seiner Kindheit, erinnert sich Günther Zitzmann. Mit seinem Großvater zusammen habe er als kleiner Bub die Gemarkungs- und Grenzsteine rot gekennzeichnet. Deshalb seien seine ersten Kunstobjekte in dieser Richtung auch rot bemalte Wurzeln gewesen.

Auch die Wurzeln zu einer anderen Werkgruppe liegen in seiner Jugend. Als Schüler verdiente er sich etwas Geld als Filmentwickler bei einer Zeitung. Er begann Fernsehbilder abzufotografieren. Das macht er auch heute noch, spielt mit Überblendungen und versieht diese mit Kommentaren, die dem Ganzen zusätzliches Gewicht verleihen. Etwa wenn ein Bild vom verschmitzten Karl Valentin mit Bildern von AfD-Bannern und Weltverschwörungsanhängern kombiniert werden, die Bill Gates zur Hölle wünschen: „Querdenker, ja, bitte! Querfront, nein, danke!“, lautet dazu Günther Zitzmanns Kommentar. „Hirnfürze“ nennt der Künstler solche Computeranimationen.

Gerade arbeitet Günther Zitzmann, der im Vorstand des Kunst- und Kulturwerkhauses „Zigarre“ in Heilbronn sitzt und Mitbetreiber der „Produzentengalerie B27“ in Offenau ist, an einer Ausstellung zum Thema Populismus: Für dieses Projekt, das den Titel „Lasst die Volksseele kochen!“ trägt, hat er die ironische Skulptur „Große Klappe, dicker Arm, im Hirn lauwarm“ entworfen. Diese trägt als Kopf einen hohlen Wirbelknochen.

Günther Zitzmann im Internet

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