Der Film "
Alliierte Kriegsverbrechen - Vergessene Kriegsgräuel im Zweiten Weltkrieg
" ist der einzige Beitrag dieser Art, der bisher jemals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Und auch das nur ein einziges Mal. Ich gehörte 1983 zu den Zuschauern. Das ist jetzt 26 Jahre her und nie mehr habe ich diesen Film vergessen. 2008 entdeckte ich ihn bei Amazon wieder.
Der Film besteht aus zwei Sendungen. Die erste befasst sich mit alliierten Kriegsverbrechen an der West-, die zweite mit jenen an der Ostfront. Erfreulicherweise waren die Macher bemüht, auch den Blick auf die andere Seite nicht völlig außer Acht zu lassen, obwohl das Thema "ALLIERTE Kriegsverbrechen" heißt. So beginnt die erste Sendung mit der als "Massaker von Le Paradis" in die Geschichte eingegangenen Erschießung von 88 britischen Kriegsgefangenen auf Befehl des SS-Obersturmführers Fritz Knöchlein und zeigt dazu ein Interview mit William O'Callaghan, einem der beiden einzigen Überlebenden. Die zweite Sendung wird mit einem Hinweis auf den sogenannten "Kommissarbefehl" eingeleitet, demzufolge alle von der Wehrmacht gefangengenommenen Politkommissare der sowjetischen Armee sofort zu erschießen waren.
Deutlich arbeitet die Sendung heraus, daß die meisten Kriegsgräuel sich gegen besonders Wehrlose richten: Gefangene, Verwundete, Zivilisten. Der jeweilige Sieger übt das Recht des Stärkeren aus. Dies ist keine deutsche Spezialität, sondern ein universelles Phänomen.
Die nun dargestellten Beispielfälle wurden von der am 4.9.1939 gegründeten Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts (WUSt) zusammengetragen und recherchiert. Von ursprünglich rund 8.000 (!) Ermittlungsfällen wurden viele durch Kriegseinwirkung vernichtet; etliche waren bei Kriegsende auch noch nicht vollends bearbeitet. Die verbliebenen 226 Aktenbände lagern momentan im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg/Breisgau. Wer sich dafür interessiert, dem sei Alfred de Zayas Buch "
Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle.
" empfohlen.
Die Palette alliierter Kriegsverbrechen reicht weit: Schiffbrüchige, deutlich gekennzeichnete (!) Lazarette und Rot-Kreuz-Schiffe, sogar ein militärisch gar nicht genutztes italienisches Kloster (Monte Cassino) fielen gezielten Luftbombardements bzw. dem MG- und Artilleriefeuer der westlichen Alliierten zum Opfer. Deutsche Kriegsgefangene wurden bei verschiedenen Gelegenheiten einfach erschossen. Verheerende Bombenangriffe auf deutsche Städte, Tiefflieger, die sogar auf Einzelpersonen im Feld Jagd machen, massenhafte Vergewaltigungen, usw.
Doch es kommt noch schlimmer - nämlich in der zweiten Sendung, die sich mit der Ostfront befasst. Grauenhafte polnische Auschreitungen gegen Angehörige der deutschen Minderheit unmittelbar zum Kriegsbeginn im September 1939, entsetzliche Folterungen und Ermordung deutscher Kriegsgefangener u.a. in Broniki, Grischino und Feodosia. Hinzu kommen NKWD-Morde in Lemberg, wo Tausende von Gefängnisinsassen, zumeist Ukrainer, teilw. auch Polen, Juden(!), Deutsche, unmittelbar vor der deutschen Rückeroberung der Stadt binnen weniger Tage abgeschlachtet wurden. Hier allerdings hätten die Filmemacher durchaus noch erwähnen können, daß das NS-Regime diese Mordopfer auf debile Weise instrumentalisierte, indem es sie nach Entdeckung den jüdischen Bewohnern Lembergs unterschob, was ein Pogrom auslöste.
Schauriger Gipfel ist schließlich das Massaker sowjetischer Truppen an der Zivilbevölkerung im ostpreussischen Nemmersdorf. Der Zeuge Manfred Hoflehner berichtet hier sogar von einer Kreuzigung. Letztere ist inzwischen umstritten (vgl. B. Fisch: "Nemmersdorf, was wirklich geschah", ISBN-13: 978-3932180262), aber die Bilder sind auch so schon erschütternd genug.
Der Film ist aufgrund der drastischen Gewaltdarstellung nichts für Kinder. Jugendliche sollten ihn in Begleitung Erwachsener anschauen, wenn überhaupt.
Ich habe die volle Punktzahl vergeben.
Den ersten Punkt für die Themenwahl, denn die war längst überfällig.
Den zweiten dafür, daß der Film eine eindringliche Mahnung gegen den Krieg an sich ist.
Den dritten dafür, daß der Film nicht versucht, deutsche gegen alliierte Verbrechen aufzurechnen.
Den vierten dafür, daß alle Fälle sachlich vorgetragen werden, so daß die Ereignisse für sich sprechen können. Das genügt nämlich vollkommen.
Den fünften dafür, daß fast alle Fälle durch Augenzeugen kommentiert werden. Viele lesen ihre Aussage offen ab, aber das finde ich angesichts ihres hohen Alters o.k.; die Interviews dürften sehr anstrengend für sie gewesen sein.
Gern hätte ich noch einen 6. Extrapunkt vergeben, nämlich für den beeindruckenden Beitrag des amerikanischen Völkerrechtlers Prof. Benjamin Ferencz am Ende der ersten Sendung. Deutlich hebt er die Einzigartigkeit der Shoah hervor. Er führt auch aus, daß im Zweiten Weltkrieg von allen Seiten Verbrechen begangen wurden. Und daß diese Verbrechen jeden etwas angehen, ob sie ihn nun unmittelbar persönlich betreffen oder nicht. Denn alle Menschen seien Brüder. Und dann kommt ein ganz wichtiger Satz, nämlich daß
ALLE Menschen berechtigt sind, als MENSCH betrachtet zu sein.
Einfach dafür, daß es MENSCHEN sind.
Einfach nur dafür.
Das ist das Minimum, auf das diese Welt sich dringend verständigen sollte. Denn anders ist kein Friede auf Erden erreichbar. Ich denke, daß diese DVD einen kleinen Beitrag in diese Richtung leistet. Allein dafür gebührt den Machern schon größter Dank und Respekt.