Amnesty Journal Kroatien 01. November 2016

Gehen oder ausharren

Gehen oder ausharren

Amnesty Journal August/September 2017

Der rechtsradikale Kulturminister Kroatiens, Zlatko Hasanbegović, hat in seiner kurzen Amtszeit die Kulturlandschaft des Landes "gesäubert". Nach seinem Rücktritt im Sommer hoffen oppositionelle Künstler um die Autorin und Dramatikerin Ivana Sajko nun auf Besserung.

Von Doris Akrap
Die Autorin, gebürtige Kroatin, ist taz-Redakteurin, Schwerpunkt Kultur und Gesellschaft.

Als im März bekannt wurde, dass die kroatische Hafenstadt Rijeka im Jahr 2020 europäische Kulturhauptstadt wird, versammelten sich in der Hauptstadt Zagreb Bewohner und Kulturschaffende vor dem Mimara-Museum, um die Entscheidung der EU zu feiern. Nur einer nicht: Der kroatische Kulturminister. Er saß ein paar Ecken weiter in einer Kneipe und bestellte sein drittes Bier. Die Autorin und Dramatikerin Ivana Sajko erzählt diese Episode. Es ist eine der lustigeren, die den Horizont des rechtsradikalen Ministers Zlatko Hasanbegović illustrieren.

Der "Blitzkrieg" gegen die kroatische Kultur

In einem halben Jahr Amtszeit hatte der Kulturminister vollzogen, was ein Kommentator als "Blitzkrieg" gegen die kroatische Kultur bezeichnete. Hasanbegović selbst sprach von der Schaffung einer "einheitlichen Kultur", einer "homogenen Gesellschaft" und das mittels einer Politik der "Lustration". "Darüber haben wir damals alle gelacht. Wir wussten nicht mal, was das Wort genau bedeutete. Und dann plötzlich war sie da, die Lustration, die Säuberung", erzählt Sajko.

Zwischen dem Amtsantritt der "Patriotischen Koalition" im Januar und ihrem Rücktritt im Juni 2016 entließ Hasanbegović 70 Fernsehjournalisten und setzte den Direktor des staatlichen Fernsehens HRT ab. Er wandelte das dritte Programm, das dem Arte-Kanal ähnelt, zu einem Sender für katholische Inhalte um und versuchte dasselbe mit dem dritten Radio-Programm.

Er strich die staatlichen Förderungen für alle Nichtregierungsorganisationen, die sich wie "Kultura Nova" für die Entwicklung der Zivilgesellschaft durch Kultur und Kunst einsetzen, und stellte die Finanzierung unabhängiger Publikationen, Festivals, Kulturveranstaltungen und Einrichtungen mit unliebsamen Mitarbeitern, wie das Nationaltheater in Rijeka, ein. Dies führte dazu, dass der künstlerische Leiter des Theaters, Oliver Frljic, der auch in Deutschland bekannt ist, seinen Job hinwarf.

Das Geld ging stattdessen an Einrichtungen und Projekte, die von der sozialdemokratischen Vorgängerregierung kurzgehalten oder abgeschafft worden waren, wie das Museum für den Vaterländischen Krieg oder die von rechten Kreisen organisierte Gedenkfeier für die Opfer des Massakers von Bleiburg 1945. Revisionistische Filme, wie "Jasenovac – Die Wahrheit" über das gleichnamige kroatische KZ, in dem die Zahl der von der faschistischen Ustascha-Diktatur Ermordeten relativiert wird, feierte Hasanbegović für ihren beispielhaften Umgang mit der kroatischen Geschichte.

Die Gegeninitative "Kulturnjaci"

"Dieser Mann wurde installiert, um uns zu bekämpfen", sagt die Zagreberin Ivana Sajko. Sie gründete gemeinsam mit Schriftstellern, Theatermachern, Designern, Künstlern und Intellektuellen im Frühjahr die Initiative "Kulturnjaci", die die ­Absetzung des Kulturministers forderte. Der Aufruf wurde von Tausenden Menschen unterzeichnet, darunter waren auch internationale Intellektuelle wie Judith Butler, Etienne Balibar oder der ehemalige französische Kulturminister Jack Lang. Im ganzen Land wurden Veranstaltungen und öffentliche Lesungen organisiert, bei denen Umberto Ecos Essay über den "Ur-Faschismus" vorgestellt wurde sowie Werke von Autoren, die aus dem Lehrplan genommen werden sollten.

Mit "uns" meint Sajko alle, die in Kroatien rassistische, chauvinistische und nationalistische Tendenzen offen thema­tisieren. Mit "uns" meint sie alle, die vom Kulturminister als "Parasiten" und "Vaterlandsverräter" eingestuft wurden. "Dem Minister ging es nicht darum, jegliche politische Kunst und Kultur zu zerstören, sondern die unabhängige", sagt sie.

Sajko ist für Theaterstücke wie "Monolog für Mutter Europa und ihre Kinder" oder "Žena bomba" bekannt, in denen sie Feminismus, Krieg und Patriotismus thematisiert, sowie für ihren Roman "Rio Bar" und ihre Essays. Viele der kroatischen Künstler, die sich den "Kulturnjaci" angeschlossen haben, sind weltweit erfolgreich – vom Theaterregisseur Ivica Buljan, der gerade in New York Pasolinis "Pylades" inszeniert, bis zur feministischen Künstlerin Sanja Ivekovic, der das MoMA eine Einzelausstellung widmete.

Es ist wie überall: Unabhängige, politische Künstler sind einerseits die kulturellen Aushängeschilder des Landes, andererseits sind sie die ersten, die in politisch und ökonomisch fragilen Zeiten als Feindbild und Schuldige ausgemacht werden. "Leute wie mich, die die meiste Zeit im Ausland arbeiten, trifft es wenigstens ökonomisch nicht so hart. Aber für alle in Kroatien ist es die Hölle. Sie können nicht mehr arbeiten, müssen auswandern", sagt Sajko.

Den Rücktritt des Kulturministers konnten die "Kulturnjaci" zwar nicht erreichen. Ihre Aktionen wurden jedoch zum Aus­löser für die größte Demonstration, die das Land seit der Unabhängigkeit gesehen hat. Mehr als 50.000 Menschen protestierten im Juni gegen die geplante Bildungsreform, was schließlich zum Rücktritt der gesamten Regierung führte.

Die neue Regierung

Ob die neugewählte Regierung unter der konservativen HDZ rückgängig macht, was Hasanbegović zerstört hat, ist fraglich. Auf die konservativ-populistische Staatspräsidentin Kolinda Grabar Kitarovic können die unabhängigen Kulturschaffenden jedenfalls nicht zählen. Nach einer Attacke auf den regierungskritischen Kolumnisten Ante Tomic hatte sie gesagt, er sei selbst schuld, schließlich habe er eine solche Reaktion mit seinen Texten "provoziert".

"Das ist dieselbe Haltung, mit der die Mörder von Charlie Hebdo entschuldigt wurden", empört sich Sajko. Als die Botschafter der EU und der USA im April um ein Treffen mit Kitarovic baten, um die Sorgen wegen des Kulturministers zu besprechen, hielt die Präsidentin das für eine unerwünschte Einmischung in kroatische Angelegenheiten.

Hasanbegović habe eine Atmosphäre des Misstrauens geschaffen, die von allein nicht wieder verschwinden werde, meint Sajko. "Der Graben zwischen dem patriotischen, katholischen und konservativen Teil der kroatischen Gesellschaft und dem säkularen, unabhängigen, sozialdemokratischen ist tiefer denn je", sagt sie.

Trotzdem warnt sie davor, Kroatien mit Ungarn zu vergleichen. Rechte Populisten wie Hasanbegović seien nicht nur auf dem Balkan, sondern in ganz Europa eine politische Option. Zugleich hält sie nichts davon, die kroatische Gesellschaft als faschistisch zu bezeichnen. Nach der Ära Tudjman habe es in Kroatien mit Ausnahme der kurzen Amtszeit von Hasanbegović keine staatliche Zensur gegeben. Selbst radikale Veranstaltungen wie das "Subversiv-Festival" in Zagreb seien staatlich gefördert worden.

"Wäre Kroatien heute eine faschistische Gesellschaft, hätte es diese riesigen Demonstrationen gegen die Regierung nicht gegeben". Natürlich, sie sei als "serbische Hure" beschimpft worden, ihre Kollegen habe man bespuckt und angefeindet. Aber insgesamt sei es, abgesehen von der ­Attacke auf Tomic, nicht zu Übergriffen gekommen.

Ob und wie die unabhängige Kulturszene Kroatiens über­leben wird, ist unklar. "Ob Leute wie ich noch eine Zukunft in diesem Land haben, wird von der neuen Regierung abhängen", sagt Sajko. Sie lebt derzeit mit einem DAAD-Stipendium in Berlin. Und weil sie skeptisch ist, bleibt sie bei ihrer Zeitungslektüre nun öfter bei den Wohnungsanzeigen hängen.

Dieser Artikel ist in der Oktober/November-Ausgabe 2016 des Amnesty Journal erschienen

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