Steigt Audi aus?
Rückzug wäre ein Milliardengrab

Der Spiegel berichtet, dass Audis Formel-1-Projekt gestorben sein könnte, bevor es überhaupt Fahrt aufgenommen hat. Angeblich gibt es im Vorstand genug Widerstand. Ein Ausstieg wäre ein Imageverlust und kostet den Konzern eine Milliarde.

Audi - F1-Fabrik - Neuburg - 2023
Foto: Audi

Das Thema schwelt schon seit Ende Juni. Da wurde Audi-Vorstandschef Markus Duesmann beurlaubt und durch Gernot Döllner ersetzt. Fast gleichzeitig kamen erste Gerüchte auf, der Neue könnte dem Formel-1-Projekt die Luft abdrehen. Audi muss dringend seine Produktpalette und die Rendite verbessern. Da hat ein teures Formel-1-Engagement keinen Platz.

Von Duesmann war bekannt, dass er ein Anhänger des Motorsports ist, und dass er Konzernchef Oliver Blume und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Dieter Pötsch hinter sich wusste. Von seinem Nachfolger Döllner ist nur überliefert, dass er unter Blume bei Porsche gearbeitet hat. Wie er zum Motorsport steht, ist Teil der Spekulationen. Die Vertreter der Ausstiegstheorie behaupten, Döllner habe mit Rennautos wenig am Hut.

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Tatsache ist, dass es am Montag dieser Woche (23.10.) ein Treffen der Topmanager von Audi gegeben hat. Dabei kam zur Sprache, dass der Autobauer künftig alle Ressourcen in die Auffrischung seiner Produkte stecken müsse und dass deshalb ein harter Sparkurs angebracht sei. Das Thema Formel 1 ist offenbar nicht explizit gefallen, wurde aber von einigen Vorstandsmitgliedern und Direktoren, die dem Einsatz in der Königsklasse kritisch gegenüber stehen, so interpretiert.

Gernot Döllner
Audi

Audi-Chef Gernot Döllner muss bis zum 9. Dezember schweigen.

Audi in der Schweigepflicht

Die Gerüchte fielen auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil sich die Audi-Formel 1-Mannschaft unter der Leitung von Andreas Seidl sehr bedeckt hält. So lange Alfa Romeo Hauptsponsor und Namensgeber von Audi-Partner Sauber ist, will der Ingolstädter Konzern lieber dezent auftreten. Döllner wiederum ist per Gesetz zum Stillhalten verpflichtet. Seine Schweigepflicht von 100 Tagen endet erst am 9. Dezember. Immerhin äußerte sich Finanzvorstand Jürgen Rittersberger einen Tag nach dem Erscheinen des Spiegel-Artikels. An den Plänen zum Einstieg in die Formel-1 halte die Audi-Führung fest, sagte Rittersberger mit Blick auf Presseberichte. Es gebe momentan keine andere Entscheidung.

Bei Audi erwartet man, dass der neue Vorstandsvorsitzende noch im alten Jahr Stellung zu dem Formel-1-Einsatz nimmt. Um intern wie extern Klarheit zu schaffen. Die Spekulationen werden nämlich auch von außen angetrieben. Audi und Sauber haben bereits eine hohe zweistellige Zahl an Fachpersonal rekrutiert. Das schafft bei den Teams und Herstellern Unruhe, die diese Leute verlieren. Und die streuen gezielt, dass Audi eine Totgeburt sei, um die eigenen Leute davon abzuhalten, sich einem Team anzuschließen, das es womöglich nie gibt.

Weder in der Audi-Motorenfabrik in Neuburg an der Donau noch bei Sauber in Hinwil gibt es derzeit teaminterne Indikatoren, dass bald schon der Vorhang fällt. Es heißt, Döllner schaue sich wegen der angespannten Lage im Konzern lediglich alle Abteilungen an, um Sparpotenzial auszuloten.

So war der neue Vorstandschef letzte Woche in Neuburg, um sich über den Stand der Motorenentwicklung und das Gesamtprojekt zu informieren. Man hört, er habe sich mit seiner Unterschrift sogar auf einer Tafel für namhafte Gäste der inzwischen fertiggestellten Motorsport-Zentrale verewigt. Was auch immer das heißen mag.

Audi - F1-Projekt - Motorenfabrik - Neuburg
Audi

Audi hat viel Geld in den Ausbau des Motorenstandorts Neuburg an der Donau gesteckt.

Regeln für Audi geändert

Trotzdem will niemand eine Garantie abgeben, dass sich die Konzernspitze am Ende nicht doch gegen die Formel 1 entscheidet. Bei Automobilherstellern weiß man nie. BMW stieg 2009 aus, obwohl man vorher den Weltverband genötigt hatte, auf Hydridantrieb zu setzen, obwohl man ihn gegen den Widerstand vieler anderer Player bekam und ihn dann nach ein paar Rennen ausbauen musste, weil er nicht wunschgemäß funktionierte.

Mit Audi und dem damaligen Mitstreiter Porsche ist es das gleiche. Die beiden deutschen Autofirmen ließen sich nur in die Königsklasse locken, weil das Reglement für 2026 nach ihren Wünschen geändert wurde. Die Regeln setzen weiter auf Hybridantrieb, dann aber auf E-Fuels und einen deutlich erweiterten Anteil der Elektropower. Dazu wurde die MGU-H verboten, das Verdichtungsverhältnis von 1:18 auf 1:16 reduziert und ein Ladedrucklimit aufgesetzt.

Einen Ausstieg rund eineinhalb Jahre nach dem Einstieg müsste sich Audi zwei Mal überlegen. Da wäre zunächst der immense Gesichtsverlust. Es wäre eine Geschichte des Scheiterns, die man erst einmal erklären müsste. Auch wenn das nach wenigen Monaten wieder Schnee von gestern wäre, hätte man dann ein Werkzeug verloren, für positives Image zu sorgen.

Seit der Ingolstädter Autobauer Le Mans verlassen hat, hat er nichts mehr, was ihn irgendwie sexy macht. Audi würde ohne den Sport wieder das Hosenträger-Image annehmen, das die Autos hatten, bevor man in den 70er Jahren den Audi quattro für die Rallye-WM erfunden hat.

In fünf Jahren 750 Millionen

Dazu kommt, dass man seinen Aktionären erst einmal erklären müsste, warum man eine Milliarde Investition wegwirft, andererseits gar nicht so viel Geld in die Hand nehmen muss, wie manche Leute dem Formel-1-Projekt andichten. Die Motorkosten sind ab 2026 auf 130 Millionen Dollar pro Saison gedeckelt.

Das Team darf mit allen Zulagen 155 Millionen ausgeben. Da müsste man in der Anfangsphase vielleicht zwischen 30 bis 50 Millionen zuschießen, wenn man am Kostenlimit operieren will. Ein Projekt wie Audi würde aber schnell so viele Partner und Sponsoren anlocken, dass aus dem Rennstall ein Profit-Center wird. Red Bull, Ferrari und Mercedes haben es schon jetzt geschafft. McLaren und Aston Martin sind auf einem guten Weg dort hin.

Audi würde also in fünf Jahren maximal 750 Millionen Euro investieren, dafür aber auf einer Weltbühne stehen und Geschäfte mit Partnern machen, die dieses Projekt begleiten. Zum Beispiel der Kraftstoffhersteller, der mit Audi bereits einen Vertrag für die Zeit ab 2026 abgeschlossen hat.

Sauber - Fabrik - Windkanal - Hinwil
ams

Auch in die Sauber-Fabrik in Hinwil ist bereits viel Audi-Geld geflossen.

Eine Fabrik für 140 Millionen

Das Unternehmen Formel 1 hat bereits hohe dreistellige Millionenbeträge verschlungen und wird weiter kosten, wenn man aussteigt. Der Ausbau der Motorenfabrik samt jeweils drei Prüfständen für Einzylinder und Vollmotor, einen für den Gesamtantrieb und zwei für die ERS-Bausteine wird auf rund 140 Millionen Euro taxiert.

Gleichzeitig wird in der Schweiz bereits kräftig an der Modernisierung der Infrastruktur gearbeitet. Audi hat bereits Ausgaben im neuerdings auf 65 Millionen Dollar erweiterten Rahmen für Kapitalinvestionen bis Ende 2024 in Windkanal, Simulator, Fahrwerksprüfstände und Software freigegeben.

Auch die Entwicklung des Motors für 2026, der bereits seine Prüfstandpremiere absolviert haben soll, steht schon im Lastenheft. Die Kosten dafür sind einfach zu eruieren. Das Reglement erlaubt Audi in diesem Jahr einen Einsatz von 105 Millionen Dollar. Die werden auch ausgegeben, weil das Projekt unter Zeitdruck steht. Wer vorne mitmischen will, darf nicht sparen. Da die Audi-Techniker in Neuburg bereits Mitte 2022 ihre Arbeit begonnen haben, sind da noch einmal mindestens 50 bis 60 Millionen auf der Strecke geblieben.

Beim Personal wurde ebenfalls aufgestockt. In Neuburg arbeiten 350 Mitarbeiter am Antrieb. Sauber hat in letzter Zeit rund 50 neue Leute an Bord genommen. Ziel ist es mittelfristig, den Hinwiler Rennstall auf 900 Angestellte zu bringen. Namhafte Ingenieure der Konkurrenz sitzen noch ihre Arbeitssperren ab, haben aber Verträge. Alle müssten im Fall eines Ausstiegs entschädigt werden.

Kompensationen an Rausing

Audi wird bis Dezember mehr als die Hälfte von Sauber übernommen haben. Das allein steht für eine Summe von 300 Millionen Euro. Die letzte Aufstockung erfolgt dann Ende 2024. Am Ende soll Audi 75 Prozent halten, der bisherige Besitzer Finn Rausing 25. Nach unseren Informationen hat Rausing mit Audi einen Zehnjahresvertrag abgeschlossen.

Bei einer vorzeitigen Auflösung könnte das Audi einen weiteren dreistelligen Millionenbetrag kosten. Rausing müsste in dem Fall wieder die komplette Rechnung allein begleichen. Er hätte bei diesem Szenario wenig Chancen, Sponsoren als Ausgleich zu finden. Gegen dieses Ausfallrisiko soll er sich ausreichend abgesichert haben. Auch das wäre für die Ingolstädter Sparmeister ein schwerer Klotz am Bein.

Bleibt am Ende noch die Theorie, dass Porsche das Projekt übernimmt. Porsche steht bei den Produkten und Finanzen weniger im Kreuzfeuer als Audi. Doch was wäre das für ein Gesichtsverlust für die Stuttgarter Sportwagenschmiede, wenn man die Technik der Konzernschwester übernehmen und mit dem eigenen Etikett versehen müsste. Und was, wenn dann der Porsche-Einsatz aus dem fernen Neuburg koordiniert werden müsste?

Sollte Porsche auf die Idee kommen, aus zu großem Stolz einen eigenen Motor an den Start zu bringen, könnte man nicht vor 2027, wahrscheinlich aber erst 2028 einsteigen. Vorher müsste zunächst die Infrastruktur auf den Stand der Motorenfabrik von Audi gebracht werden. Und es müsste ein Motor entstehen, dessen Entwicklung bis zum Scheitern der Pläne mit Red Bull, Williams und Aston Martin nur mit Halbgas betrieben wurde.

Fazit

Das Formel 1-Projekt von Audi steht auf dem Prüfstand. Wie immer, wenn ein Konzern einen Sparkus ausruft. Es gibt wahrscheinlich im Vorstand so viele Gegner wie Befürworter. Das Ergebnis ist schwer abschätzbar, weil es ein emotionales Thema ist. Die Formel 1 boomt zwar weltweit, nicht aber in Deutschland. Das könnte am Ende den Ausschlag für ein Nein geben. Auch wenn man sich dann dafür verantworten müsste, mindestens eine Milliarde versenkt zu haben. Dass Audi angeschlagen ist, war schon im August 2022 bekannt, als man sich für die Formel 1 entschieden hat. Die Kehrtwende wäre ein weiteres Beispiel für schlechtes Management.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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