Neue Aerodynamik, Comeback der Slicks, Einführung der Hybridtechnologie KERS, neue Fahrer, ein neues Team: Nie zuvor hat sich in der jüngeren Vergangenheit von einer Formel-1-Saison auf die nächste so viel geändert wie im Winter 2008/09. Wir nehmen daher bis zum Eintreffen der Grand-Prix-Community im Albert Park die Teams genau unter die Lupe. Den Anfang macht Renault, das Team, welches mit dem R29 optisch das wahrscheinlich auffälligste Modell der Formel-1-Generation 2009 an den Start bringt: Die breite Nase, die ungewöhnlich taillierten Seitenkästen und die schon aus dem Vorjahr bekannte "Haifischflosse" auf der Motorabdeckung sorgen insgesamt für einen sehr unkonventionellen Look. Der Mehrheit scheint das nicht zu gefallen: Für 46 Prozent der User ist der neue Renault, nach einer Umfrage unseres Partners Motorsport-Total.com derzeit das hässlichste Auto der Formel 1.

Das Auto ist hässlich, doch für Schönheit kann man sich nichts kaufen

Formel-1-Saison 2009, Renault R29
"Das Auto sieht ziemlich hässlich aus, das stimmt", findet auch Formel-1-Experte Marc Surer. Doch in der Königsklasse gibt es bekanntlich keine Schönheits-, sondern nur Geschwindigkeitspreise – und die sollen 2009 häufiger gewonnen werden als im Vorjahr. Damals begann die Saison äußerst ernüchternd und erst mit zwei späten Siegen in Singapur und in Japan gelang Ex-Weltmeister Fernando Alonso die große Wende. Aus den letzten fünf Grands Prix des Jahres holte kein anderer Rennstall mehr Zähler als Renault. Da wurden Erinnerungen an die Weltmeisterjahre 2005 und 2006 wach, als die gelb-blauen Boliden mit Michelin-Reifen und mit Alonso am Steuer nicht zu schlagen waren. Michelin ist inzwischen bekanntlich nicht mehr in der Formel 1 vertreten, Alonsos Heimkehr nach einem Jahr bei McLaren-Mercedes scheint dem französischen Team aber gut getan zu haben. Der Start in den Winter ist dennoch kräftig in die Hose gegangen: Alonso und auch sein teamintern nicht ganz unumstrittener Stallgefährte Nelson Piquet fuhren der Konkurrenz zunächst hoffnungslos hinterher, doch die Performance des R29 wurde dank der konsequenten Arbeit der Ingenieure in Enstone erstaunlich schnell besser. An der innovativen Nase, durch die sich Niki Lauda an einen Mähdrescher erinnert fühlt, wurde dabei festgehalten.

An der Frontpartie konnte der Fehlstart in den Winter nicht liegen

Formel-1-Saison 2009, Renault R29 CFD-Modell
Das am Computer dargestellte Verhalten der Luftströmung an der Front: Je dunkler die Farbe, desto höher der Druck.
"Die breite Nase hat aber den Vorteil, dass dahinter das Chassis stabiler ist, genau wie die Anlenkpunkte der Radaufhängung", analysiert Surer. "Das könnte sich als Vorteil auswirken, wenn es darum geht, die Reifen zum Arbeiten zu bekommen und über die Renndistanz ein konstanteres Auto zu haben. Man kann nicht einfach sagen, dass die schmale Nase von Red Bull das Nonplusultra ist, wenn auch die breite Version Vorteile hat." Der ehemalige Grand-Prix-Pilot vermutet, dass die Renault-Lösung eine insgesamt "bessere Vorderachse" bewirkt. Dahinter könnte der sogenannte Bernoulli-Effeckt stecken: "Der Querschnitt zwischen der Flügelaußenseite und dem Zentrum verjüngt sich und die Luft strömt schneller. Dies sorgt für einen sinkenden Druck unter dem Flügel und führt zu zusätzlichem Abtrieb", erläutert unser CFD-Experte Milad Mafi. An der Frontpartie konnte der Fehlstart in den Winter also nicht liegen. Inzwischen ist das ohnehin kein Thema mehr: "Ich glaube, dass sie ihr Problem, das sie am Anfang des Jahres hatten, bereits im Griff haben", sagt Surer. "Sie sind sehr schnell besser geworden – noch schneller als BMW im letzten Winter, denn sie wussten schon nach drei oder vier Tagen, wo das Problem liegt. Trotzdem bezweifle ich ein bisschen, dass es für ganz vorne reichen wird."

Starke Testwoche in Jerez

Dass der Renault schnell ist, bewies Alonso im Rahmen der letzten Testfahrten in Jerez: Am 16. März erzielte er dort eine Bestzeit von 1:18.343 Minuten – zu jenem Zeitpunkt ein 2009er-Rekord, der jedoch drei Tage später von Kazuki Nakajima noch um fast eine Sekunde verbessert wurde. Insofern ist das Leistungsniveau des französischen Werksteams besonders schwierig einzuschätzen – selbst für die Teaminsider. Grundsätzlich herrscht eine positive Stimmung bei Renault: "Es gab wirklich düstere Zeiten bei den Testfahrten, aber als der neue Wagen dann mal endlich anständig lief, war es richtig gut", strahlt Chefingenieur Pat Symonds und fügt an: "Ich bin zuversichtlich, dass wir einen guten Start in die Saison erwischen werden." Aus dem Vorjahr gilt es in Melbourne einen vierten Platz von Alonso zu überbieten - das sollte wieder im Bereich des Möglichen liegen. "Man geht jede Saison mit dem gleichen Ziel an: Rennen zu gewinnen und den Titel zu holen. Es wäre falsch, sich andere Ziele zu setzen", tönt Symonds selbstbewusst, fügt jedoch im gleichen Atemzug relativierend an: "Natürlich müssen wir auch realistisch bleiben und vielleicht mit moderaten Erwartungen nach Melbourne fliegen. Wir haben aber ein Auto, welches in den Händen unserer Piloten für Siege gut sein sollte."

Alonso die klare Nummer eins

Formel-1-Saison 2008, Fernando Alonso siegt in Singapur
Vor allem in den Händen von Alonso, denn Weltmeistersohn Piquet - Nelson sen. war 1981, 1983 und 1987 Formel-1-Champion - konnte wie schon in der vergangenen Saison auch im Winter nicht überzeugen. Das lag nicht nur an seiner eigenen Performance: "Sie konzentrieren sich auf Alonso", nimmt Experte Surer den 23-jährigen Brasilianer einerseits in Schutz, betont aber andererseits: "Das ist auch richtig so." Alonso hegt indes den Anspruch, nach zwei Jahren Pause wieder Weltmeister zu werden. Rein vom Material her sieht er sich diesbezüglich gut gerüstet: "Wir haben das Basissetup optimiert und verfügen nun über einen Wagen, der angenehm zu fahren und zuverlässig ist", so der Spanier. Sollte es ihm tatsächlich gelingen, an frühere Glanzzeiten anzuknüpfen, dann würden wohl auch endlich die leidigen Gerüchte über einen Wechsel zu Ferrari aufhören. Mit einem Budget von weniger als 200 Millionen Euro und gut 450 Mitarbeitern in Enstone (Chassis) und Viry-Châtillon (Motor) ist Renault 2009 zwar bei weitem nicht der Branchenkrösus der Formel 1, aber doch solide finanziert. Dabei gilt Konzernchef Carlos Ghosn als eiserner Sparmeister - und wenn das Team nicht bald auf die Siegerstraße ausschert, könnte das Grand-Prix-Programm schnell wieder eingestampft werden.

Hochmoderne Fabrik in Enstone

Formel-1-Saison 2009, Chassisfabrik von Renault in Enstone
In Enstone hat Renault aber einen hochmodernen Windkanal, der zu den besten der Formel 1 gehört. Außerdem wurde 2008 ein neues CFD-Zentrum für Strömungssimulationen gebaut - im Sommer wurde es in Betrieb genommen. Kostenpunkt: 40 Millionen Euro. In dieses CFD-Zentrum, das sich Chefingenieur Symonds schon seit Jahren gewünscht hat, steht unter anderem einer der leistungsfähigsten 100 Supercomputer der Welt. Damit man sich solche Investitionen auch in Zukunft leisten kann, muss Teamchef Flavio Briatore möglichst bald einen neuen Hauptsponsor finden, denn die niederländische Großbank ING wird sich am Jahresende wegen der Weltwirtschaftskrise zurückziehen. Also ist man dankbar für jede alternative Einnahmequelle - etwa den Verkauf des Motors an Red Bull Racing. Das Kundenteam fährt mit dem exakt identischen V8-Triebwerk wie Renault. Stichwort KERS: Wurden Renault in der frühen Entwicklungsphase des Energierückgewinnungssystems noch massive Kinderkrankheiten nachgesagt, so ist der R29 neben dem Ferrari F60, dem BMW Sauber F1.09 und dem McLaren-Mercedes MP4-24 nach aktuellem Informationsstand eines von nur vier Autos, die in Melbourne mit KERS ausgestattet sein werden. Red Bull Racing plant vorerst ohne KERS, doch das könnte sich im Saisonverlauf ändern.

Keine personellen Veränderungen

Formel-1-Saison 2009, Pat Symonds, Flavio Briatore, Bob Bell, Team Renault
Personell gesehen ist Renault eines der stabilsten Teams: Briatore sowie seine wichtigsten Helfer Bob Bell (Chassis) und Rob White (Motor) sind schon seit vielen Jahren an Bord, Symonds arbeitet gar schon seit 1982 für den Rennstall aus Enstone - erst noch unter dem Namen Toleman, dann unter Benetton, jetzt unter Renault. Einziger hochrangiger Abgang der vergangenen Jahre war Ex-Alonso-Renningenieur Rod Nelson, der 2007 zu Williams wechselte. Die vielleicht schillerndste Figur neben Superstar Alonso ist mit Sicherheit Teamchef Briatore: Der 58-jährige Playboy aus dem Piemont ziert nicht nur die Sport-, sondern auch die Boulevardseiten dieser Welt. Sein Werdegang ist einmalig: Vom Benetton-Manager zum Formel-1-Teamchef und zum Multimillionär mit eigenem Luxusclub und eigener Modelinie für Superreiche. Nebenbei vergnügte er sich mit Topmodels wie Naomi Campbell, Heidi Klum und heute Elisabetta Gregoraci. Eigentlich wollte Briatore seinen Job schon an den Nagel hängen, doch die Rückkehr des "verlorenen Sohnes" Alonso überzeugte ihn davon, doch noch das eine oder andere Jahr anzuhängen. Gemeinsam mit dem spanischen Ausnahmetalent möchte der Renault-Teamchef an vergangene Erfolge anknüpfen und damit beweisen, dass diese kein Zufall waren. Dann wäre wohl auch Renaults Zukunft in der Formel 1 gesichert.

Renault-Saisonstatistik 2008

Konstrukteurswertung: 4. (80 Punkte)
Siege: 2
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 4
Ausfallsrate: 33,3 Prozent (9.)
Durchschnittlicher Startplatz: 10,2 (5.)
Testkilometer 2009 mit dem neuen Auto: 6.901 (6.)

Fernando Alonso (Startnummer 7):
Fahrerwertung:
5. (61 Punkte)
Siege: 2
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 6,9
Bestes Ergebnis Qualifying: 2.
Bestes Ergebnis Rennen: 1.
Ausfallsrate: 16,7 Prozent (8.)
Testkilometer 2009: 4.634 (2.)

Nelson Piquet (Startnummer 8):
Fahrerwertung:
12. (19 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 13,4
Bestes Ergebnis Qualifying: 7.
Bestes Ergebnis Rennen: 2.
Ausfallsrate: 50,0 Prozent (20.)
Testkilometer 2009: 2.267 (15.)