… und dann fiel die Mauer: Wirtschaftkanzleien in Berlin

AZ01/18

Ein Beitrag aus azur 1/2018.

In Berlin echte Berliner zu finden, ist gar nicht so einfach. Die meisten hat es erst nach dem Studium dorthin verschlagen. Das prägt den Anwaltsmarkt der Hauptstadt: In kaum einer anderen deutschen Metropole gibt es derart unterschiedliche Kanzleitypen.

Von Anika Verfürth

Bezzenberger, Finkelnburg, Quack. Welcher Jurist unter 40 kennt diese Namen? Nur wenige. Vor etwa 30 Jahren sah das noch anders aus. Im Berliner Anwaltsmarkt zählten diese Kanzleien zu den prominentesten Namen der Rechtsberatung. Heute haben andere das Zepter in der Hand. Denn seitdem hat sich viel verändert. In der Stadt selbst, aber auch im Kanzleimarkt der Hauptstadt.

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Planänderung: Das Referendariat in Berlin sollte für Raue-Partner Jan Hegemann ursprünglich nur eine Station sein.

Eine Zeitreise: Es ist Mai 1989. Jan Hegemann hat gerade sein erstes Staatsexamen in der Tasche. Sein Interesse am Urheberrecht zog ihn vom Studium in München in das isolierte West-Berlin. Schon damals versammelte die Berliner Kammer für Urheberrecht dort alles, was Rang und Namen hatte. Dank des fliegenden Gerichtsstandes im Urheberrecht war das kein Problem. Damals, vor der Wende, residierten die Kanzleien vor allem am Ku’damm. Dahin verschlug es auch Hegemann, zur Kanzlei Raue Braeuer Kuhla. Mit drei Partnern und vier angestellten Anwälten zählte die Kanzlei im provinziellen Berliner Markt damals zu den größten. Für den gebürtigen Rheinländer, heute 54 Jahre alt, war der Ausflug ins eingemauerte und etwas verstaubte West-Berlin am Anfang nur ein Experiment: „Ich hatte ganz klar das Vorhaben, wieder zurück zu gehen. Doch dann, fünf Monate später, fiel die Mauer.“

Alle Kanzleien fusionieren

Das änderte von einen Tag auf den anderen alles. Für die Anwälte der designierten Hauptstadt bedeutete dies vor allem eines: Treuhandgeschäft. Die gesamte DDR-Wirtschaft musste mit der Wiedervereinigung nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft privatisiert werden. „Das war ein wüstes Geschäft für einen jungen Anwalt. Wir mussten alles machen, denn es gab in Berlin kaum Anwälte für die Masse“, erinnert sich Hegemann. „Das hatte ein bisschen was vom wilden Westen.“

Nicht einmal zwei Monate vor dem Mauerfall sorgte aber noch eine ganz andere Revolution für Schlagzeilen. Manche bezeichnen es sogar als den Urknall im deutschen Rechtsmarkt: das BGH-Urteil im September 1989, wonach Rechtsanwälte sich als überörtliche Sozietäten organisieren dürfen. Bis dato – heute kaum vorstellbar – durften Anwälte ausschließlich an ihrem zugelassenen Standort praktizieren.

Das und der Mauerfall waren der Startschuss für eine Welle von Fusionen in den Berliner Markt hinein. Mit den Zusammenschlüssen entstanden die ersten Wortungetüme auf den Briefköpfen der Kanzleien. Rädler Raupach Bezzenberger etwa oder Schön Nolte Finkelnburg & Clemm und Gaedertz Vieregge Quack Kreile sind nur ein paar Beispiele von denen, die sich damals zusammentaten. „Alle alteingesessenen Berliner Kanzleien sind früher oder später durch die Merger-Maschine gelaufen“, sagt Markus Hartung, geschäftsführender Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School in Hamburg. Bis Ende 2007 war er Managing-Partner von Linklaters Deutschland am Berliner Standort. Auch Hegemann kennt diese Merger-Maschine nur zu gut: „Ich habe fünf Mal den Namen, aber nie die Sozietät gewechselt.“

Boom in Berlin

Die Fusionen und die Wiedervereinigung sorgten für Boomzeiten. Alle wollten nach Berlin, der neuen Hauptstadt, dem Immobilienmarkt Nummer eins, dem künftigen Sitz aller Regierungsarbeit. Dass große Konzerne hier fehlten, tat der Begeisterung keinen Abbruch. Nach den ersten innerdeutschen Zusammenschlüssen zogen kurze Zeit später die britischen und amerikanischen Kanzleien nach. Hegemann war gerade Equity-Partner, als seine Kanzlei 2001 mit einer Washingtoner Kanzlei fusionierte und fortan Hogan & Hartson Raue hieß.

 

Kraffel_Jörg

Zurück in die Hauptstadt: Als seine Vorgängerkanzlei das Berliner Büro schloss, wechselte Jörg Kraffel kurz darauf zu White & Case.

Bei Feddersen Laula Ewerwahn Scherzberg Finkelnburg Clemm dagegen war der Briefkopf über die Jahre weiter geschwollen. Im Jahr 2000, als die Kanzlei ebenfalls mit einer US-Kanzlei fusionierte, fielen die Namen der Merger-Maschine zum Opfer, seit 2004 heißen sie – vergleichsweise schlicht – White & Case. „Erst kam die Wiedervereinigung, dann die deutschen Zusammenschlüsse, dann die internationalen Fusionen. Es ging Schlag auf Schlag in Berlin“, erinnert sich Jörg Kraffel, heute M&A-Anwalt bei White & Case. Auch der 55-Jährige war bereits zur Wende als Rechtsanwalt in Berlin tätig.

Hochkarätige Mandanten? Fehlanzeige

Doch die Stadt entwickelte sich wirtschaftlich nicht so, wie viele gewettet hatten. Anfang der Nullerjahre war klar: anders als erwartet, zogen die Banken nicht von Frankfurt nach Berlin. Auch die meisten Unternehmen dachten gar nicht daran, ihren Hauptstandort umzusiedeln. Die hochkarätigen Mandanten blieben fern. Eine bittere Erkenntnis für Großkanzleien. Eine Debatte um den Standort brach los: Clifford Chance und kurz darauf Lovells entschieden sich zur Schließung ihres Berliner Büros. Kraffel, zu der Zeit Anwalt bei Clifford, kehrte ein Jahr später in die Hauptstadt zurück und wechselte zu White & Case. „In Berlin gibt es ein anderes Grundrauschen. Mandate im Öffentlichen Recht oder Beihilfeprojekte sind für Jahre im Voraus geplant. Und für das Corporate-Geschäft muss man heutzutage so oder so reisen“, sagt Kraffel. Berliner Büros stehen heute noch oft unter Verdacht, auf das Geschäft aus den anderen Standorten angewiesen zu sein.

Nähe zur Politik ist wichtig

Auch Markus Hartung berichtet von seiner Erfahrung im Management von Linklaters: „Eine Wirtschaftskanzlei in Berlin benötigt gutes strategisches Management und lebt von starken Typen.“ Gerade weil die großen Mandanten selten vor Ort sind, sei die Hauptstadt aber für Großkanzleien vor allem als wichtige Achse zu den Ministerien und Verbänden nicht zu unterschätzen. Das zeigte sich vor allem in der Finanzkrise, die zur Bankenrestrukturierung führte. Die Nähe zur Regierung zahlt sich wegen der zunehmenden Regulierung der Wirtschaft aus. Auch heute, wo Fintech der Branche ihren Stempel aufdrückt und Berlin als Technologie- und Start-up-Standort bekannt geworden ist, kommt das den Beratern vor Ort zu Gute. Und so finden sich nach wie vor viele der großen Namen der nationalen und internationalen Rechtsberatung mit einem mehr oder weniger großen Büro in der deutschen Hauptstadt.

Mittlerweile wollen wieder alle nach Berlin. Das gilt heute – rund 30 Jahre später – erneut oder eben immer noch. Die Szene junger Unternehmen ist so groß wie in keiner anderen deutschen Stadt. Kleinteilig gestartet, haben die Start-ups den Berliner Venture-Capital-Markt zu einem der größten weltweit entwickelt und sogar London überholt (Die Welle reiten, S. 32). Nur wenige Großkanzleien schaffen es, diesen Markt für sich als lukrativ zu erschließen.

Das macht die Bahn frei für kleinere, spezialisierte Einheiten. Lacore, Lindenpartners oder Vogel Heerma Waitz sind nur ein paar der Gründungs- und VC-Berater, die seit einigen Jahren den Markt mitbestimmen. „Bis vor Kurzem galt es noch als verrückte Idee, als Anwalt ein Start-up zu vertreten“, berichtet Nathalie Vahsen. Die 42-Jährige ist seit Mitte 2016 Partnerin bei Lacore. Sie bringt die Unterschiede zu ihrer Vorgängerkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer auf den Punkt: „Wichtig ist, ein Start-up von Anfang an zu begleiten. So ist es für Großkanzleien deutlich schwerer, sich mit ihren Stundensätzen dieser Szene zu nähern und Fuß zu fassen.“

Lacore sitzt mit ihrem Büro im Herzen der Stadt, in Mitte, mit direktem Blick auf den Gendarmenmarkt. Denn der Ku’damm ist längst nicht mehr der einzige Ort, an dem Kanzleien heute beheimatet sind. Sie sind verteilt über die gesamte Stadt. Mitte, Kreuzberg, Ku’damm, Regierungsviertel und vor allem: Potsdamer Platz. Wohl einer der Orte in Berlin, der für den Boom nach der Wende steht. „Damals war hier noch alles Brachland“, erinnert sich Hegemann in den Räumlichkeiten der heutigen Kanzlei Raue am Potsdamer Platz 1. Die große Leidenschaft von Kunstmäzen und Namenspartner Peter Raue geht hier an keinem vorbei. Jeder Raum ist mit Gemälden und Skulpturen ausgestattet, allein 600 Gemälde sind zu bewundern.

Palmen, Kokosnüsse und Tukane

Ein Haus weiter, am Potsdamer Platz 11, sieht die Welt ganz anders aus. Hier sind im vergangenen Jahr neue Nachbarn eingezogen. Am Eingang zieht der schwarze Empfangstresen die Blicke auf sich. Darauf rankt eine Orchidee. Er steht vor einer ebenfalls schwarzen Wand, auf der in weißen Buchstaben der Kanzleiname leuchtet: Hyazinth. Zum Meetingraum geht es durch dunkelgrau gestrichene Flure, bis zum Ende des Gebäudes, das die Form eines spitzen Dreiecks hat: Ein lichtdurchfluteter Raum, pastellfarbene Sitzpolster und Samtkissen an den Fensterfronten. Die einzige Wand, die nicht aus Glas besteht, ist mit Palmen, Kokosnüssen und Tukanen bemalt.

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Unkonventionell: Michael Kummermehr von Hyazinth beantwortet Mandantenanfragen auch per Whatsapp.

Michael Kummermehr, an diesem Tag in ausgeleierter, verwaschener Jeans, weißen Turnschuhen und einem grauen Retro-Sweatshirt, ist Gründungsmitglied der Anfang 2017 aus WegnerPartner hervorgegangenen Kanzlei Hyazinth. Die Nachbarn Hegemann und Kummermehr kennen sich nicht. Kein Wunder, werden sie sich nur selten auf ein und derselben Abendveranstaltung oder bei demselben Mandanten treffen.

Bezahlung in Bitcoin?

Hyazinth zählt zu den Jüngsten im Berliner Markt. Die Start-up-Szene und Unternehmen im Wandel möchte sie begleiten. „Letzte Woche fragte ein Mandant, ob er uns mit Bitcoin bezahlen könne. Ich hab gesagt, klar, warum nicht, solange die Voraussetzungen des RVG eingehalten sind“, erzählt der 46-Jährige. Auch wenn die Mandanten oft eben diese Gründertypen in Kapuzenpulli sind, seien diese nicht zu unterschätzen und sehr anspruchsvoll. „Die anwaltliche Beratung ist eine andere. Nicht selten wird da ein Vertrag mit dem Handy abfotografiert und per Whatsapp gesendet. Eine schnelle Reaktion und Einschätzung ist hier das Wichtigste“, so Kummermehr.

Berlin war sehr lange höchst attraktiv als Standort für junge Unternehmen mit wenig Budget. Auch wenn die Mietpreise stark steigen, hält der Hype weiter an, die Szene bleibt vor Ort und wächst immer noch. Das erweitert auch die Möglichkeiten für junge Anwälte, die es in die Hauptstadt zieht. „Das Berufsbild des Wirtschaftsanwalts ist heute insgesamt viel heterogener, und das ist in Berlin besonders stark ausgeprägt“, sagt Matthias Birkholz. Der 55-Jährige ist Partner der vor allem im Prozessrecht groß gewordenen Berliner Einheit Lindenpartners. Doch auch in der Start-up-Szene hat sie Fuß gefasst mit einem speziellen Fokus auf Fintech. „Juristen müssen sich den Arbeitstechniken von Mandanten anpassen. Gerade im Start-up-Bereich arbeiten viele nach agilen Methoden“, berichtet Birkholz.

So hat sich die Kanzlei zuletzt immer wieder neu erfinden und anpassen müssen. Wer sich als Jurist am liebsten mit seinen Büchern und Kommentaren zurückzieht und ein paar Tage an seinem Gutachten feilt, hat in der schnelllebigen Szene keine Chance. „Echtes wirtschaftliches und technisches Verständnis und ernsthaftes Interesse an dem, was die Gründer tun, sind von zentraler Bedeutung“, sagt Nathalie Vahsen von Lacore. Jede Szene sei ein eigenes Ökosystem, bei dem man das Zusammenspiel der Markteilnehmer, den ständigen Austausch zwischen Investoren und Gründern, verstehen müsse.

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Start-ups im Fokus: Matthias Birkholz von Lindenpartners findet, dass sich Anwälte den agilen Arbeitstechniken ihrer Mandanten anpassen sollten.

Offene Gesellschaft

Auch das Netzwerk funktioniert in Berlin anders als in anderen Anwaltsmetropolen. Die Unternehmen sind jung, die Mandatsbeziehungen ebenso. Die Wahrscheinlichkeit, einen Mandanten wieder zu verlieren, ist höher, dafür besteht aber auch viel häufiger die Möglichkeit, neue zu gewinnen. „Das bietet gerade auch jungen Anwälten und Anwältinnen gute Chancen, Mandanten in ihrem Netzwerk von Gleichaltrigen zu akquirieren. Die meisten Gründer sind selber jung und selbstbewußt und trauen dementsprechend auch jungen Anwälten viel zu“, sagt Birkholz. „Da muss man nicht mehr Golf spielen oder von der gleichen Eliteuniversität kommen“, sagt Kummermehr.

In der Art und Weise, wie die Gesellschaft gestrickt ist, zeigt sich Berlin weniger provinziell als andere Großstädte. In Hamburg öffnet vielleicht die Mitgliedschaft im Überseeclub Türen zum Netzwerk von Wirtschaftskontakten. In München werden diese der nächsten Generation mit in die Wiege gelegt, woanders kommt ein junger Anwalt nur an den Mandanten, wenn der Senior-Partner ihn persönlich vorstellt. „Die Berliner Geschichte hat eine eher offene Gesellschaft hervorgebracht. Ihr fehlt das verbindende Element. Das macht es für Neueinsteiger einfach, sich zu etablieren“, erklärt Hartung.

Ran an die Start-up-Szene

Das hat verschiedene Gründe, die weit bis in die Geschichte der Stadt zurückgehen. Berlin ist historisch geprägt durch seine Zuzügler. Es ist also kein Wunder, wenn man sehr selten einen echten Berliner in Kanzleien findet. Und so gestaltet sich auch der Eintritt in die Geschäftswelt einfacher. „Wer will, kann sich als neuer Jurist in der Stadt Tag für Tag durch Häppchen-Veranstaltungen futtern“, sagt Kummermehr. Dies sei aber nur der erste Schritt, um sich im ‚Inner Circle‘ auf Dauer zu etablieren. „Gerade in der Start-up-Szene kommt es darauf an, einen tieferen Fußabdruck zu hinterlassen. Die Mandanten suchen jemanden, der ihre Sprache spricht.“

Die flachen Hierarchien und die zahlreichen Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, bedeuten in der Stadt die besten Voraussetzungen für einen jungen Anwalt, der sich der Szene nähern will. Die Möglichkeiten für den Juristennachwuchs sind also nicht nur vielfältig, sondern der Einstieg auch einfach. Nicht nur die kleineren Einheiten, auch die Großkanzleien der Hauptstadt betonen immer wieder, wie wichtig der Markt als Recruitingplattform ist. Es wollen eben doch alle nach Berlin. –


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