Politik

Seit November ist Eric Beißwenger (51) Teil der bayerischen Staatsregierung. Der Oberallgäuer ist seit 2013 Mitglied des Landtags. (Foto: Bayerische Staatskanzlei)

05.01.2024

„Wir wollen reingrätschen, wo es nur geht“

Bayerns neuer Europaminister Eric Beißwenger (CSU) über die Regelungswut der EU, wie seine Partei damit umgeht und was ihm die Wertegemeinschaft bedeutet

BSZ: Herr Beißwenger, können Sie den wachsenden Verdruss über Europas Regelungswut verstehen?
Eric Beißwenger: Ja, kann ich nachvollziehen. Die Bürokratisierung auf europäischer Ebene nimmt gelegentlich abstruse Formen an.

BSZ: Zum Beispiel?
Beißwenger: In der Landwirtschaft, bei Ernährung und Umwelt – Bereichen, in denen ich in den letzten Jahren intensiv tätig war – sind es jeweils 50 Prozent. In der Wirtschaft ist es ähnlich.

BSZ: Aus EU-Sicht geht es dabei um die Harmonisierung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Werteraums und um Maßnahmen gegen den Klimawandel.
Beißwenger: Ich glaube, dass zu viel verallgemeinert wird. Wir haben in der EU in den einzelnen Ländern unterschiedliche Probleme. Wenn wir dann aber eine Lösung über alle hinwegstülpen, dann gibt es häufig Verwerfungen. Wenn Sie an das europäische Gebäudeenergiegesetz denken, bei dem eine Sanierungspflicht implementiert werden sollte: Welche Auswirkungen das auf jeden Einzelnen gehabt hätte – auch auf den Wohnungsmarkt! Und dann gibt es nicht einmal eine länderübergreifende einheitliche Gebäudeklassifizierung. Das war gut gewollt, aber nicht gut in der Umsetzung. Auch wir wollen Gebäude energetisch sanieren. Aber nicht mit Zwang, nicht par ordre du mufti von Brüssel oder Berlin. Wir wollen eher wissen: Wie kann man die Menschen vor Ort unterstützen, ihnen einen Anreiz geben? Ein weiteres aktuelles Beispiel für die Regulierungswut ist das Gesetzgebungsverfahren zur Renaturierung der EU.

BSZ: Dieses will Mitgliedsländer verpflichten, bis zum Jahr 2030 Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur umzusetzen. Was ist schlecht daran?
Beißwenger: Ich verstehe ja, wo das herkommt. In Rumänien beispielsweise werden Wälder abgeholzt und der Kahlschlag wird nicht wieder aufgeforstet. So was gibt es aber in Bayern nicht. Wir haben schon eine Vielzahl von Naturschutzflächen. Was schon gut läuft bei uns, brauchen wir nicht noch regulieren. Heißt: Das, was wir auf deutscher oder bayerischer Ebene entscheiden können, hätte ich auch gerne hier entschieden und nicht in Brüssel.

BSZ: Dieser Wunsch ist nicht neu. Die Frage ist, wie man das ändern kann.
Beißwenger: Wir wollen natürlich ein starkes Bayern in der Mitte einer starken EU sein. Aber unsere Aufgabe ist es auch, schon während eines Prozesses den Zeigefinger zu heben und zu sagen: Da sehen wir folgendes Problem, da haben wir diese oder jene Sorge. Und natürlich auch reinzugrätschen, wo es nur geht.

BSZ: Wo wollen Sie aktuell unbedingt reingrätschen?
Beißwenger: Beim geplanten Aus der Verbrennermotoren ab 2035 und beim Lieferkettengesetz auf EU-Ebene, das es unserer Wirtschaft nicht leicht macht, weiter in einem globalisierten Markt zu agieren. Da muss Bayern Flagge zeigen. Wir sind ein wirtschaftlich starkes Land, wir sind kulturell und touristisch ganz stark. Wenn Bayern selbstständig wäre, wären wir vom Bruttoinlandsprodukt her auf Platz sechs in der EU. Wir sind nicht selbstständig, wollen uns aber eine gewisse Selbstständigkeit in unserem Handeln bewahren.

BSZ: Bayern hat in Brüssel eine große Repräsentanz. Was tut die?
Beißwenger: Die wird ab dem neuen Jahr noch deutlich stärker bespielt werden. Mit einem Neujahrsempfang, einem Maibockanstich und auch einem Oktoberfest. Solche Events sind ganz wichtig, um das Netzwerk zu stärken. Denn ohne Netzwerk kommt man in Brüssel nicht weit. Ich selbst werde auch sehr oft in Brüssel sein.

BSZ: Beim Thema Migration wünschen Sie sich mehr Lösungen auf EU-Ebene. Welche?
Beißwenger: Zunächst einmal: Der europäische Asylkompromiss, der noch im letzten Jahr besiegelt wurde, ist gut. Er beendet eine jahrelange Hängepartie und zeigt, dass die EU noch handlungsfähig ist. Wir müssen – natürlich humanitär – wieder die Ordnung herstellen, anders kann ich es nicht bezeichnen. Wir sind mit einer Migration konfrontiert, die durch Pull-Faktoren entstanden ist. Die müssen wir ebenso eindämmen wie das Geschäft der Schlepper und Schleuser.

BSZ: Und wie?
Beißwenger: Der gefundene Kompromiss wird ja nicht sofort wirken. Es wird Jahre dauern, bis alle Maßnahmen umgesetzt sind. Wir brauchen aber schnellstmöglich wieder funktionierende Außengrenzen, Kontrollen auf EU-Ebene. In Bayern machen wir das ja schon seit Jahren wieder erfolgreich. Jetzt zieht das restliche Deutschland auch nach. Wenn ein Land seine Grenzen nicht sichert, dann gibt man ja früher oder später sein Land auf. Und ich verweise auch auf Bayerns Initiative, kein Bargeld mehr, sondern Bezahlkarten auszugeben. Da fällt bei uns dann auch ein Pull-Faktor weg.

BSZ: Sofern es in der Praxis funktioniert.
Beißwenger: Ohne es zu probieren, werden wir das nicht herausfinden.

BSZ: Die EU hat den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau verkündet. Ist die EU wirklich bereit für diesen Schritt? Und sind es die Länder?
Beißwenger: Ich sage mal so: Ich bin sicher, dass wir bereit sind, wenn die Ukraine bereit ist. Aber Sie wissen ja: Bestimmte Faktoren wie die territoriale Einheit des Landes müssen gewährleistet sein. Im Land darf weder Krieg noch Bürgerkrieg herrschen. Außerdem gibt es Anforderungen an die Demokratie – ich weiß nicht, wann die nächste Wahl in der Ukraine stattfinden wird. Die Korruption sollte auch nicht mehr in dem bisherigen Maße vorhanden ist.

BSZ: Also bräuchte man aus Ihrer Sicht jetzt keine Beitrittsgespräche aufnehmen?
Beißwenger: Ganz großes Aber: Ich glaube, dass Gespräche sinnvoll sind, weil man den Ländern auch positive Signale geben und einen Anreiz setzen muss.

BSZ: Nehmen wir mal an: Der Krieg ist vorbei und die Ukraine hat alle anderen Bedingungen an einen Beitritt auch erfüllt. Würde das Land angesichts seiner Dimension die EU nicht sprengen?
Beißwenger: Ich glaube, das wäre aufgrund der Fläche allein schon eine riesige Herausforderung im Agrarhaushalt. Völlig klar, es darf kein Selbstläufer sein und es darf auch kein zeitlicher Ablaufplan vorgegeben werden. Das sehe ich zurzeit auch alles nicht. Aber gegen Gespräche ist nichts zu sagen. Irgendwann wird ja hoffentlich wieder Frieden einkehren. Und dass wir dann mit entsprechenden Assoziierungsabkommen auch schon einen Schritt in die richtige Richtung gehen, ohne über eine EU-Vollmitgliedschaft zu beschließen, das liegt auf der Hand.

BSZ: Im kommenden Jahr sind Europawahlen. Ein Konkurrent der CSU um Stimmen sind die Freien Wähler, mit denen Sie eine Regierung bilden. Wie können Sie verhindern, dass der Wahlkampf die Regierungsarbeit behindert? 
Beißwenger: Ich glaube nicht, dass die Arbeit der Staatsregierung dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. Das halte ich für ausgeschlossen. Die größte Herausforderung ist, dass viele meinen, es sei nicht so wichtig, zur Wahl zu gehen, es sei egal, welche Partei man wählt. Oder wenn man meint, einen Denkzettel verpassen zu müssen. Da sehe ich die Gefahr, dass die extremen Kräfte in ganz Europa stärker werden. Ich glaube, da sollten alle demokratischen Parteien zusammenarbeiten, dass das nicht passiert. Ich bin aber optimistisch, dass wir den Leuten erklären können, dass Europa immense Vorteile bringt.

BSZ: Welche?
Beißwenger: Das erste Mal in der europäischen Geschichte konnten Menschen wie wir, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, alle miteinander in Frieden leben. Das ist ja nicht selbstverständlich. Allein das ist es wert, an diesem Projekt mitzuwirken und dranzubleiben. Und eins ist auch klar: Bayern profitiert als starke Exportwirtschaft im Mittelpunkt Europas ganz massiv. Das Rechenexempel „Deutschland ist Nettoeinzahler, wir zahlen mehr in die EU ein, als wir rausholen“ ist eine Milchmädchenrechnung. Wenn ich die Wohlstandsdividende sehe, dann sind wir deutlich im Plus. Aber es ist kein Selbstläufer. Man muss kämpfen, für das Projekt werben, aber auch wirklich aktiv mitarbeiten, um zu versuchen, es immer wieder in die richtige Richtung zu schieben. (Interview: Thorsten Stark)

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