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Nach dem Beben kamen Kinderhändler und die Cholera

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«Unsere Zukunft hängt von uns ab»: Staatschef Michel Martelly appellierte an einer Pressekonferenz an alle Einwohner, beim Aufbau mitzuhelfen. (11. Januar 2013)
Beim grossen Beben von 2010 starben mehr als 220'000 Menschen: Ein Kreuz auf einem Massengrab nördlich von Port-au-Prince. (8. Januar 2013)
350'000 Menschen warten noch auf ein neues Dach über dem Kopf: Baustelle in einem Vorort von Port-au-Prince. (8. Januar 2013)

Der Karibikstaat Haiti hat der über 220'000 Opfer des grossen Erdbebens von 2010 gedacht. Die Nationalflaggen wehten am Samstag auf Halbmast und die Regierung rief einen Tag des Gedenkens aus. Präsident Michel Martelly appellierte an alle Einwohner, gemeinsam am andauernden Wiederaufbau des Landes mitzuhelfen. «Unsere Zukunft hängt von uns ab», sagte der Staatschef.

Drei Jahre nach dem verheerenden Beben sprechen Hilfsorganisationen von Fortschritten auf dem Weg für eine Stabilisierung, betonen aber zugleich die enormen Probleme des bitterarmen Landes. Nach Ansicht der Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen» ist vor allem die öffentliche Gesundheitsversorgung unzureichend. Verglichen mit der Zeit kurz nach dem Erdbeben habe sich die Lage natürlich gewaltig geändert, sagte die Projektkoordinatorin der Organisation in Haiti, Claudia Evers, der Nachrichtenagentur dpa. Wenn man durch Port-au-Prince fahre, sehe man kaum noch Zerstörungen.

Haitis grosse Probleme

Die Probleme des Karibikstaates sind allerdings zahlreich. Manche sind Folgen des Erdbebens, andere bestanden vorher, und wiederum andere kamen neu dazu. Gelöst werden konnten bisher nur einzelne:

  • Zuwenig Häuser: 1,5 Millionen verloren bei dem Beben ihre Wohnung. Hunderttausende Überlebende haben nach EU-Angaben immer noch kein festes Dach über dem Kopf. 350'000 Menschen lebten weiter in Notunterkünften, erklärte die EU-Kommission diese Woche in Brüssel. Während die EU mit Hilfsprogrammen zwar einer halben Million Menschen zu einer dauerhaften neuen Bleibe verholfen habe, seien viele andere noch ohne eigenes Obdach.
  • Unhygienische Verhältnisse und schlechte Gesundheitsversorgung: Nach dem Beben war in Haiti die Cholera ausgebrochen. In den beengten, unhygienischen Lebensverhältnissen dieser Siedlungen konnte sich die Krankheit rasend schnell verbreiten. Cholera verursacht heftigen Durchfall und Erbrechen und kann innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird. Fast 8000 starben nach Angaben der UNO bislang. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen gibt an, Mediziner hätten allein im vergangenen Jahr in Haiti knapp 23'000 Cholera-Patienten behandelt. Gegen Ende vergangenen Jahres zählte die Hilfsorganisation demnach noch immer mehr als 500 Krankheitsfälle pro Woche. Die Mehrheit der Bevölkerung hat laut Arnan nach wie vor keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu sanitären Einrichtungen. Dennoch sei die Behandlung von Cholera «in den wenigen verbliebenen öffentlichen Gesundheitseinrichtungen bislang nicht ausreichend integriert». Der für Haiti zuständige Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen, Joan Arnan, sagte: «Leider hat sich in den vergangenen Jahren hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung kaum etwas getan.» Die haitianischen Einrichtungen seien geschwächt, Geldgeber hätten ihre Zusagen nicht eingehalten und die Regierung und die internationale Gemeinschaft hätten keine klaren Prioritäten gesetzt. Die Organisation betreibt in Haiti nach eigenen Angaben noch immer vier Krankenhäuser.
  • Vertreibungen: «Als ob Unsicherheit, Krankheiten, Hurrikans nicht genug wären, müssen viele Menschen in den Behelfsunterkünften ständig fürchten vertrieben zu werden», kritisiert Javier Zúñiga von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Seit dem Erdbeben seien bereits Zehntausende Menschen aus den Camps vertrieben worden. Etwa 80'000 Menschen, die in den auf privaten Grundstücken errichteten Lagern lebten, müssten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) damit rechnen, zwangsweise geräumt zu werden.
  • Kinderhandel: Fortschritte gibt es offenbar bei der Bekämpfung des Adoptionshandels mit haitianischen Kindern, der nach dem Beben im Januar 2010 einen Höhepunkt erreicht hatte. Wichtiger Grund dafür sei die Ratifizierung des Haager Übereinkommens zur Internationalen Adoption durch den Inselstaat, sagte Gertraud Matthias, Expertin für humanitäre Hilfe bei Terre des Hommes Deutschland, im dapd-Interview. Seit der Ratifizierung der Haager Konvention müssten sich Adoptionen von haitianischen Kindern ins Ausland nun an gesetzliche Vorgaben halten. 2010 waren aus dem schwer zerstörten Haiti im grossen Stil Kinder von Kinderhändlern für Adoptionen ins Ausland geschleust worden. Darunter befanden sich laut Gertraud Matthias keineswegs nur Waisen. Viele Eltern hätten ihre Kinder schlicht einer besseren Versorgung wegen in Waisenhäusern untergebracht und nichts von deren Adoption im Ausland gewusst. Das sei nun nicht mehr ohne Weiteres möglich. Aber natürlich gebe es immer Dunkelziffern und schwer nachvollziehbare Wege, fügte die Expertin hinzu. Auch Pädophile hatten die chaotische Situation nach dem Erdbeben ausgenutzt und in Einzelfällen Kinder ins Ausland verschleppt. Das sei generell ein Problem nach Katastrophen. «In allen Regionen besteht die Gefahr, dass Pädophile die Situation ausnutzen», erläuterte Matthias. «Haiti war kein Einzelfall.» Die Hilfsorganisationen seien sich dessen bewusst und ergriffen dagegen Massnahmen. Dazu gehöre, das Personal, das vor Ort eingesetzt werde, genau zu überprüfen.
  • Kinderarbeit:Auch wenn der internationale Handel mit haitianischen Kindern eingedämmt werden konnte, besteht nach Angaben von Matthias das Problem innerhalb des Landes jedoch weiterhin. In Haiti gebe es «die schlechte Tradition», dass arme Eltern ihre Kinder bei wohlhabenden Familien unterbrächten, wo sie schwere Hausarbeiten verrichten müssten. Die «Restavecs» – wie diese Kinder in Haiti genannt werden – seien Ausbeutung und oftmals auch sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Diese Ausbeutung sei leider nach aussen wenig sichtbar. Inzwischen seien aber auch die haitianischen Behörden auf das Problem aufmerksam geworden und versuchten, wie auch die internationalen Organisationen, diesen Kindern zu helfen, beispielsweise indem ihnen wenigstens eine grundlegende Schulausbildung ermöglicht wird.
  • Verheerende Stürme: Mehrere Tropenstürme trafen die Haiti schwer, besonders der Wirbelsturm Sandy. Schwere Regenfälle hatten im November 2012 für grossräumige Überschwemmungen gesorgt, als der Hurrikan Sandy westlich an Haiti vorbeizog. Nach Behördenangaben kamen dabei über 50 Menschen ums Leben, und 70 Prozent der Ernte wurden zerstört.
  • Darbende Wirtschaft: Haiti lebt immer noch zu einem guten Teil von der internationalen Hilfe. Insgesamt kam die humanitäre Hilfe aus dem EU-Budget fünf Millionen Haitianern oder jedem zweiten Einwohner des Karibikstaates zugute und betrug bislang gut 440 Millionen Euro. «Natürlich ist noch ein weiter Weg zurückzulegen», bilanzierte die Behörde kurz vor dem dritten Jahrestag des Bebens am Samstag. Die Unterstützung aus Europa diente gemäss EU-Angaben auch für längerfristige Projekte wie die Schulbildung. Als gutes Zeichen vermerkte die EU ein Wirtschaftswachstum zwischen sechs und sieben Prozent im vergangenen Jahr.

«Noch weiter Weg»

Die Internationale Staatengemeinschaft sicherte Haiti zu, den schwierigen Wiederaufbau des Landes auch in Zukunft zu unterstützen. Die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die USA verwiesen auf bereits erzielte Fortschritte.

Die EU bekräftigte am Samstag ihre Hilfszusagen. Etwa jeder zweite Haitianer – also gut fünf Millionen Menschen – habe seit Januar 2010 von humanitären Hilfeleistungen der EU profitiert, hiess es in einer Erklärung der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton sowie der EU-Kommissare Kristalina Georgiewa und Andris Piebalgs. Sie beklagten, dass die Hilfe weiterhin von politischer Instabilität in dem Land behindert werde.

Der UNO-Sonderrepräsentant in Haiti, Mariano Fernandez, sprach den Angehörigen der Erdbeben-Opfer sein Mitgefühl aus und versicherte, die UNO werde weiter ihr Bestmöglichstes tun, um den Wiederaufbau zu stützen und den Rechtsstaat zu stärken. Bei dem Erdbeben starben auch 96 Angehörige der UNO-Stabilisierungsmission Minustah.

sda/dapd/AFP/mw