Der objektivierte Ergebniszeitraum als integraler Bestandteil der Modifizierten Ertragswertmethode

Business Menschen zeigen auf verschiedene Grafiken
von Frank Boos, Dipl.Kfm.

Die Modifizierte Ertragswertmethode hat mittlerweile eine breite Zustimmung und Akzeptanz in der Rechtsprechung durch mehrere Grundsatzentscheidungen des BGH sowie in der betriebswirtschaftlichen Theorie und Praxis gefunden und wird für freiberufliche Praxen sowie kleine und mittlere Unternehmen als geeignete (ja vorzugswürdige) Unternehmensbewertungsmethode an­erkannt1.

Der Ideelle Wert – Ermittlung befristeter Ertragserwartungen

Neben dem Substanzwert ist der Ideelle Wert2, ermittelt nach dem Ertragswertverfahren3, zu berücksichtigen. Ein Erwerber wird dann bereit sein, mehr als den Sach- oder Substanzwert zu bezahlen, wenn er eine Chance sieht, die bisherigen Kunden, Mandanten oder Patienten bzw. das Geschäftsmodell zu übernehmen und auf dem vorhandenen Bestand und der gegebenen Konkurrenzsituation aufbauen zu können. Der Ideelle Wert hat somit einen eigenen Marktwert4 und ist auf der Basis einer befristeten Ertragserwartung zu ermitteln. Diese Begrenzung des Ergebniszeitraums trägt bei Freiberuflern und inhabergeführten Unternehmen in erster Linie der starken Inhaber-/Personenprägung Rechnung und führt dazu, bei der Bewertung eine begrenzte Ertragsdauer zu unterstellen, indem der Ergebnis-(Prognose-)Zeitraum verkürzt wird, um damit einen begrenzten Wirkungszeitraum zu würdigen5, da einerseits der Einfluss des bisherigen Inhabers nur eine begrenzte Zeit nachwirken kann und andererseits ein Erwerber mit gleicher Qualifikation das Unternehmen/die Praxis innerhalb einer entsprechenden Zeit vergleichbar aufbauen (reproduzieren) könnte“6.

Verschiedene Faktoren bei der Länge des Ergebnis­zeitraums – Unternehmensgröße, Unternehmerabhängigkeit und Standort

Je mehr Partner bzw. aktive Unternehmer die Praxis/Kanzlei bzw. das inhabergeführte Unternehmen hat, desto höher ist tendenziell der Ideelle Wert (je Anteil), da die Abhängigkeit des Unternehmens vom Einzelnen mit zunehmender Partner-(Personen-)Zahl zurückgeht und andererseits die Aufbauzeit (Reproduktion) zur Abbildung eines vergleichbaren Unternehmens entsprechend steigt. Die wesentlichen Einflussfaktoren auf die Länge des Ergebniszeit­raums sind somit einerseits im Unternehmen und dessen Größe und Abhängigkeit vom Unternehmer selbst begründet, anderer­seits ist aber auch der Standort des Unternehmens/der Praxis in weiten Teilen ausschlaggebend für die Länge des Ergebniszeit­raums. So wird jedem sofort klar, dass beispielsweise der Aufbau einer Arztpraxis in München aufgrund der dort vorhandenen großen Konkurrenzsituation deutlich länger dauern wird, als der Aufbau einer vergleichbaren Praxis auf dem Lande – wo es heute bereits große Versorgungsengpässe gibt. Auf den objektivierten Ergebniszeitraum bezogen heißt dies, dass dieser bei vergleichbaren Praxen in München höher sein muss als im ländlichen Bereich. Somit ist die Praxis in München auch deutlich mehr wert als die vergleichbare Praxis auf dem Lande, was sich heute nachprüfbar in den Marktpreisen widerspiegelt.

Objektivierung schafft Transparenz und Nachvollziehbarkeit

Da der Ergebniszeitraum der mit Abstand wichtigste Parameter der Modifizierten Ertragswertmethode und somit deren integraler Bestandteil ist, ist dieser mit entsprechend großer Sorgfalt zu er­mitteln und den Adressaten der Bewertung in einer Weise darzu­legen, dass diese den Ansatz des Zeitraums auch transparent nachvollziehen bzw. nachrechnen können – man spricht daher vom „objektivierten Ergebniszeitraum“, welcher auch intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar sein muss. Hierzu gibt es für den Bereich der Bewertung von Arzt-­ und Zahnarztpraxen eine transparente und nachvollziehbare Herangehensweise, welche auch insbesondere im Bankenbereich (Finanzierung von Übernahmen) aus Gründen der Nachvollziehbarkeit Anwendung gefunden hat. Ebenso wurde durch den BVS­Standpunkt 11-­2017 und 10-­2022 die Ermittlung des objektivierten Ergebniszeitraums transparent dargestellt7.

BGHZ 188, 249=FamRZ 2011, 1367 m. Anm. Borth; BGHZ 188, 282=FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch; BGH 08.11.2017 XII ZR 108/16, BVS-Standpunkt Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 11-2017/10-2022
Der Ideelle Wert errechnet sich aus den erwartbaren Nettogewinnen nach Abzug eines individuell zu ermittelnden Unternehmerlohns multipliziert mit dem diskontierten Ergebniszeitraum (dem sog. Rentenbarwertfaktor), vgl. BGHZ 188, 249=FamRZ 2011, 1367; BGHZ 188, 282=FamRZ 2011, 622; BVS-Standpunt Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 11-2017/10-2022
Z. B. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16 –, FamRZ 2018, 93 m. Anm. Borth FamRZ 2018, 173.
BGH FamRZ 2011, 622 Rn. 25; 2008, 761 Rn. 20; 1999, 361, 362.
Schlünder in „Familienrecht zwischen Tradition und Innovation“, Festschrift für Koch, S. 257, 259.
BGH vom 06.11.2013-XII ZB 434/12, FamRZ 2014, 98 Rn. 37; Boos DS 2018, S. 265 – 269.
BGH 09.02.2011 (XII ZR40/09), Rn. 25 „der neben dem Substanzwert vorhandene Good­will gründet sich auf immaterielle Faktoren wie Standort, Art und Zusammensetzung der Mandanten/Patienten, Konkurrenzsituation und ähnlichen Faktoren, soweit sie auf einen Nachfol­ger übertragbar sind; er hat somit in der Regel einen eigenen Marktwert“; vgl. insbesondere Siewert/Boos „Der objektivierte Ergebniszeitraum im modifizierten Ertragswertverfahren“ Betriebswirtschaft im Blickpunkt 9/2011 S. 220 ff. und 9/2012 S. 239 ff. sowie Aufenanger/Butz „Bestimmung eines angemessenen Ergebniszeitraums bei der Bewertung kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU)“ (DS 2018, S. 303 ff.).

Über den Autor:

Frank Boos, Dipl.Kfm.,
ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Unternehmen und Praxen im Gesund­heitswesen, Betriebsanalysen und Betriebs­unterbrechungsschäden in Rastatt.

Der Beitrag ist erstmals in der NJW 14/23 erschienen.