Flucht aus einem zermalmten Land nach Berlin

Wir haben alles verloren, nur nicht unsere Hoffnung

Die albtraumhafte Odyssee einer Familie aus dem Kosovo

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Die Familie Krasnici (v. li.): Vater Mehdi (47), Samir (15), Sarah (17), Mutter Kimete (42). Sie flohen unter Todesangst aus dem Kosovo.
Die Familie Krasnici (v. li.): Vater Mehdi (47), Samir (15), Sarah (17), Mutter Kimete (42). Sie flohen unter Todesangst aus dem Kosovo.Thomas Lebie Lizenz

Moabit-Sarah (17) und ihr Bruder Samir (15) sind gebürtige Berliner. Trotzdem leben sie in der Wärmehalle in Moabit, einer Flüchtlings-Notunterkunft. Auf ihrem Pass steht nicht Deutschland, sondern Kosovo. Statt einer behüteten Kindheit in Neukölln erlebten die Geschwister kriegsähnliche Zustände in der Heimat. Bis ihre Eltern, Mehdi und Kimete Krasnici (47,42) nach 14 Jahren so verzweifelt waren, das unmöglich Scheinende erneut zu wagen: eine zweite Flucht nach Deutschland.

Die erste Flucht der Krasnicis liegt bereits lange zurück: 1995 flüchtete das Ehepaar vor dem blutigen Kosovo-Krieg nach Berlin. Man lebte jahrelang in Neukölln, hatte zwar keine Arbeitserlaubnis, aber fasste Fuß. Soziale Kontakte, Freunde, ein Dach über dem Kopf.

Dann kamen die Kinder, erst Sarah, zwei Jahre später Samir. Beide wurden in Neukölln geboren. Die Krasnicis von damals waren glücklich. Sie stellten sich ihre Zukunft vor – und die ihrer Kinder, die es als Deutsche mal besser haben sollten. Doch noch ehe Sarah alt genug für die Kita war, wich der Zukunftstraum 2001 einem Albtraum.

„Sie haben uns einfach abgeschoben. Der Krieg war ja offiziell aus“, flüstert Vater Mehdi. Der 47-Jährige hat Tränen in den Augen, blickt beschämt zu Boden, wohl um nicht angesichts seiner Kinder völlig die Fassung zu verlieren. Dann erzählt er weiter. Wie er zurückkam ins Heimatdorf. Sein Haus in Schutt und Asche vorfand, abgebrannt. Das Dorf: halb ausgerottet. 170 oder mehr Tote. Ein Massaker.

Keiner habe ihnen da unten geholfen, ihm und seiner Frau. Dass die Kinder erst ein und drei Jahre alt waren – egal. „Die ersten zwei Jahre lebten wir in einem Zelt“, so Krasnici. Dann war die Brandruine wieder halbwegs bewohnbar. Zwar ohne Wasserleitung und nur mit notdürftig Strom, aber immerhin. Auch neue Arbeit fand Krasnici, in einem Restaurant.

Dann aber der nächste Schlag: „Die Schutzgeldmafia brannte das Restaurant nieder.“ Dass die Mafia auch heute noch weite Teile des Kosovo im Griff hat, bestätigt auch der oberste Kommandant der deutschen KFOR-Soldaten, Siegfried Zeyer. Die Entwicklung der organisierten Kriminalität sei nach wie vor ein großes Problem, sagt er in einem Interview, das die Bundeswehr selbst online gestellt hat. Zeyers generelle Einschätzung der Lage im Kosovo: „ruhig, aber nicht stabil“. Nicht stabil hieß für die Krasnicis permanente Angst. Todesangst allerdings hatten sie erst im Auto des Schleppers, der sie nach Deutschland bringen sollte. 4500 Euro hatte der bekommen. Geld, das die gesamte Verwandtschaft zusammengekratzt hatte. „Da kam ein schwarzer Kombi. Getönte Scheiben. Wir durften nicht reden. Er fuhr in den Wald. Wir wussten nicht, bringen sie uns um oder nach Deutschland“, sagt Krasnici und rückt näher an seine Liebsten.

Am 16. Dezember 2014 kam er mit ihnen schließlich in Berlin an. Weihnachten feierten die Krasnicis im Flüchtlingsheim. Mit nichts. Außer einem Funken Hoffnung. „Lieber tot, als zurück“, sagt Kimete Krasnici. Es ist ihr erster und einziger Satz im gesamten Interview. Und ihr Ernst. Doch: Für die Behörden sind Menschen wie die Krasnicis sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Ihre erneute Abschiebung ist wahrscheinlich.