Speisen an der Schmerzgrenze: So schmeckt es im völlig wahnsinnigen Pink Room in Berlin

Als Gastro-Kritikerin muss man auch mal dahin, wo’s wehtut. Das weiß unsere Autorin nach einem Besuch im Pink Room nur zu gut. Doch sie wurde belohnt.

Irgendwo auf dem reich verzierten Teller muss auch ein bisschen was zu essen liegen.
Irgendwo auf dem reich verzierten Teller muss auch ein bisschen was zu essen liegen.Ben Fuchs

In diesem Jahr gab es viel von der Farbe Pink zu sehen und zu lesen. Unter anderem las ich, dass wegen der Ausstattung des „Barbie“-Films die Farbe hier und da zeitweise knapp geworden sei, so behauptete es jedenfalls die Set-Designerin. Weitaus interessanter fand ich einen kulturhistorischen Text, in dem stand, Pink zähle zu den Farben der Welt, die am längsten bewusst durch den Menschen genutzt worden sei, um Schönheit zu symbolisieren.

Frühzeitliche Jäger in den Anden des heutigen Perus trugen angeblich schon vor rund 9000 Jahren Lederbekleidung, die sie mit rotem Ocker einfärbten – was entstand, war ein Rosaton. Im Laufe der Jahrtausende, so stand es in dem Artikel, habe die Farbe Pink die verschiedensten Wandel ihrer Bedeutung erfahren, habe nicht nur Attraktivität, sondern auch Macht symbolisiert, Geschlechtsidentitäten geprägt – und natürlich Barbies Kleiderschrank bestimmt.

Wenn allerdings Pink in diesem Jahr für etwas steht, dann meiner Meinung nach für Reizüberflutung bis zur Schmerzgrenze. Das gilt auch für The Pink Room in Berlin, das neue, opulent-plüschige Restaurant der Bellboy Group am Gendarmenmarkt, die dort auch die Bellboy Bar betreibt.

Schon die Bar ist mit ihrem Great-Gatsby-Look und Drinks, die schon mal in einer Miniatur-Badewanne als trinkbares Schaumbad samt Ente serviert werden, völlig überinszeniert. Das Restaurant Pink Room im Nebenraum der Bar geht noch eine Umdrehung weiter: Reicht im Bellboy noch eine Federboa, um sich nicht underdressed zu fühlen, wäre im Pink Room vermutlich eine rosafarbene Rokoko-Perücke à la „Bridgerton“ angemessen.

Darf’s ein bisschen mehr sein? Es darf: Plüsch und schwer schwülstige Opulenz im Pink Room.
Darf’s ein bisschen mehr sein? Es darf: Plüsch und schwer schwülstige Opulenz im Pink Room.Ben Fuchs

Denn der Pink Room ist ein fantastisch-skurriles Filmset; schon der Zugang über einen knallroten Aufzug, der sich als Attrappe entpuppt, suggeriert genau das. Hier kann man die Realität hinter sich lassen, eintauchen in einen rosaroten Themenpark mit geschwungenen Sofas, schwerem Plüsch und falschem Gold sowie einer mehrstöckigen Brunnenskulptur in der Mitte, deren Plastikentchen ihrem Betrachter den Fake quasi entgegenschreien.

„Ein Restaurant als Scherz“, so hatte es ein Kollege durchaus wohlwollend formuliert. „Aber ist es ein gelungener?“, fragte sich die Kritikerin in mir natürlich sofort. Das gilt es beim Essen rauszufinden. Und so viel ist schon vor dem ersten Happen der wahlweise sechs oder neun Gänge klar: Auch jenseits der opulenten Inszenierung hat es sich die Bellboy Group einiges kosten lassen und einen der besten Köche Berlins engagiert, Gal Ben-Moshe.

Im Pink Room treffen zwei sehr unterschiedliche Küchen aufeinander

Derzeit ist er nominiert als Berliner Meisterkoch, sein Sterne-Restaurant Prism steht für eine ebenso präzise wie aufwendige Levante-Küche. Im Pink Room fusioniert er seine nun mit der japanischen Aromensprache. An seiner Seite steht Paris Katsampis, zwar gebürtiger Grieche, aber einer, der jahrelang als Chefkoch für die japanischen Nobu-Restaurants durch die Welt tourte und nun das Sushi-Angebot in den Läden der israelischen Bellboy Group verantwortet.

Im ehrgeizigen Fine-Dining-Menü des Pink Rooms treffen also zwei Küchen aufeinander, die nicht weiter voneinander entfernt liegen könnten: das laute, üppige und wilde Aromen-Mischmasch des kulinarischen Schmelztiegels Levante und die feine, cleane und elegante japanische Küche mit ihrer Reduktion auf einige wenige Aromen.

Eskapismus im Glas: Auch die Drinks kommen fantasievoll daher.
Eskapismus im Glas: Auch die Drinks kommen fantasievoll daher.Ben Fuchs

Die rohe, fleischige Felsenauster mit einem Wasabi-Chimichurri und Pankomehl-Crunch als Amuse deutet schon an, dass diese Fusion erstaunlich gut funktionieren kann. Zudem der pure Meeresgeschmack sich hier mühelos behauptet und sich in der Abfolge der Gänge immer auch ruhigere Kompositionen am Teller finden.

Richtig los geht es dann mit einer Fülle an Reizen in Form eines Hamachi-Ceviche zum Weglöffeln: Frische Kumquats und eine Kokosnuss-Limetten-Creme geben den Ton an. Ganz unjapanisch ist das nicht, denn Kokospalmen wachsen auch in Okinawa. Daneben explodieren typische Ceviche-Aromen vom süß-sauren Granité aus Fischsoße, Knoblauch und roter Zwiebel, oben poppt ein Crunch aus Quinoa. Das eigentliche Wunder ist, dass die Gelbschwanzmakrele in perfektem Schnitt und Qualität trotzdem das Highlight bleibt.

Die Drinks stehen den üppig dekorierten Tellern in nichts nach

Ähnlich geht auch der folgende geflämmte Zander im Kombu-Algen-Dashi, gepaart mit einer üppigen Beurre Blanc, in die Gal Ben-Moshe die Anis-Noten von Arak gebannt hat, geschmacklich nicht unter. Umso erstaunlicher ist das, weil noch weiter unten, am tiefen Tellergrund, ein Chawanmushi, also ebenso üppiger Eierstich, sowie obendrauf fast speckige, gegrillte Fava-Bohnen und ein fettig frittiertes Kadaif-Stroh beigegeben sind.

Eskapismus bieten übrigens auch die begleitenden Drinks von Marian Beke, der als Bartender für seine Extravaganz bekannt ist. Manche sind genial, bei manchen, wie dem geklärten Tomatensud mit Monk Fruit, reicht ein Schluck, um zu merken: Nicht meins.

Beste Balance: Der Fisch geht trotz üppiger Beurre blanc und Anis nicht unter.
Beste Balance: Der Fisch geht trotz üppiger Beurre blanc und Anis nicht unter.Ben Fuchs

Reizüberflutung kann anstrengend, aber auch anregend sein. Im Falle des Pink Room empfinde ich letzteres. Denn auch wenn es bei manchen Drinks und Gerichten wie dem Thunfisch mit seiner intensiven Vanille-Ponzu bis an die Schmerzgrenze geht, bleibt das Esserlebnis stets lustvoll. Zumal es im nächsten Gang fast puristisch, also sehr japanisch wird – von der Präsentation mal abgesehen. Begleitet von jeder Menge Trockeneisnebel wird eine Riesenmuschel an den Tisch gebracht. Darin Sushi und Nigiri in feinster Qualität und Zubereitung, wie man es nicht an vielen Orten Berlins bekommt.

Fermentierter schwarzer Knoblauch, erdiger Trüffel, frisch geriebene Wasabiwurzel oder Shiso setzen dann Akzente bei den kunstvoll gerollten California Rolls mit Lachs, den lackierten Nigiri mit Blauflossen-Tunfisch, dem Sashimi von der Jakobsmuschel und den rohen Eismeer-Garnelen und Rogen auf Reis in der Schale. Für 95 beziehungsweise 139 Euro ist das auch von den Portionen her großzügige Menü ein echter Deal.

Nach einem weiteren Fischgang folgt Fleisch: Ein samtiges Beef Tataki, mit Gewürzkruste ummantelt, und einem schmelzenden Foie-Gras-Parfais darauf. Leider ist die Portwein-Yuzu-Shoju-Jus schon etwas kalt, aber die Kombination mit Kürbis bleibt genial. Wirklich over the top ist eigentlich nur das Semifreddo aus Joghurt und Rosenöl, das in Form eines Happy Buddha, umringt von Pistaziencrumbles und Türkish Delights, vom Teller lacht. Weniger süß und gefälliger dagegen ist der Tamago-Kuchen mit einem Reis-Eis.

Dem Pink Room gelingt es, begleitend zum absurden Setting eine ebenso skurril fantastische kulinarische Sprache zu entwickeln. Ja, es ist Reizüberflutung bis an die Schmerzgrenze – doch im besten Sinne.

Preisangaben: Tasting-Menü mit sechs Gerichten 95 Euro, Tasting-Menü mit neun Gerichten 139 Euro, Drink Pairing alkoholisch 85 Euro, Drink Pairing alkoholfrei 49 Euro

The Pink Room. Mohrenstraße 30, 10117 Berlin. Do–Sa ab 19 Uhr. www.pink-room.de