Ein Unterstützer Irans: Warum Wladimir Putin von den Spannungen im Nahen Osten profitiert

Irans Raketeneinsatz gegen Israel dürfte Russland dienen. Je größer die Anspannung im Nahen Osten, desto geringer das Interesse des Westens an der Ukraine. Eine Analyse.

Wladimir Putin
Wladimir PutinSputnik Kremlin/Pool/AP

Irans völkerrechtswidriger Angriff auf Israel in der Nacht auf 14. April 2024 sowie die Drohgebärden der vergangenen Wochen verstärken die internationale Sorge vor einem großen Krieg im Nahen Osten.

Durch die Beteiligung der USA aufseiten Israels sowie Russlands aufseiten des Iran würde daraus ein Flächenbrand in der gesamten Region resultieren, welcher einen Weltkrieg entfachen könnte.

Momentan sind aber Russlands Aufmerksamkeit und militärische Ressourcen durch den Krieg gegen die Ukraine zu stark beansprucht. Doch keine Zweifel bestehen daran, dass Moskau im Falle des Vorhandensein s freier Ressourcen den Iran im Kampf gegen die „globale US-Dominanz“ und den „US-amerikanischen Neokolonialismus“ gerne unterstützen würde. Schließlich erhält Russland seit Beginn des offenen Angriffskrieges gegen die Ukraine nachweislich militärische Unterstützung inklusive Technologietransfers (offenbar soll Moskau schon bald auch die neuen iranischen Shahed-101- und Shahed-107-Drohnen erhalten) durch das Ajatollah-Regime in Teheran. Im Gegenzug sicherte Russland vor wenigen Monaten dem Iran die Lieferungen von modernen russischen Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern zu.

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Washington als Hauptfeind Moskaus und Teherans

Ungeachtet gewisser grundsätzlicher Differenzen sowohl ideologischer Natur als auch mit Blick auf die regionale Sicherheitsarchitektur der MENA-Region sehen die beiden Regime mittlerweile Washington als ihren Hauptfeind an und möchten diesen an allen Fronten bekämpfen.

Während der Iran die Todfeindschaft mit Israel sowie den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten als zentrales Kernelement seiner Ideologie betrachtet, haben Russlands Machthaber seit Beginn der Invasion in der Ukraine wiederholt erklärt, gegen den gesamten Westen und insbesondere gegen Washington im Kriege zu stehen. So behauptete Russlands Außenminister Sergei Lawrow bereits im April 2022, dass die Nato durch Waffenlieferungen in einen Stellvertreterkrieg gegen Russland eingetreten sei. Und im September 2023 warf Lawrow den USA vor, die Ukraine seit vielen Jahren auf den Konflikt mit Russland vorzubereiten und mithilfe Kiews Moskau eine strategische Niederlage beibringen zu wollen.

Nikita Smagin, Kolumnist von Carnegie Politika, Iran-Experte des Russian International Affairs Council (RIAC) und ehemaliger Iran-Korrespondent der russischen Nachrichtenagentur TASS (2019–2022), sieht gerade in der offenen Feindschaft gegenüber den USA den wesentlichen Kooperationsanker zwischen Russland und dem Iran. Durch den Austausch von Daten, Erfahrungen und Technologien zwischen Teheran und Moskau sowie die offensichtliche Koordination der gegenseitigen Bemühungen ergänzen sich die beiden Regime in ihrem Hass auf die USA. Damit würden die „Umrisse einer gemeinsamen Front gegen Washington von Osteuropa bis zum Persischen Golf“ immer deutlicher, so Smagin.

Nach Ansicht Smagins sei die russisch-iranische Achse gegen die Vereinigten Staaten momentan am deutlichsten in Syrien zu sehen. Dort kooperierten Teheran und Moskau sehr eng, um Washington aus Syrien hinauszudrängen, so Smagin.

Und tatsächlich, während proiranische Gruppierungen Raketen auf amerikanische Einrichtungen abfeuern, versucht Russland die USA in der Luft unter psychologischen Druck zu setzen, indem beispielsweise regelmäßig Zwischenfälle zwischen russischen und amerikanischen Kampfflugzeugen herbeigeführt oder amerikanische Drohnen attackiert werden.

Solcherart werde jeder erfolgreiche Schlag gegen die amerikanischen militärischen Stellungen durch proiranische Kräfte und jede zielführende Schwächung der politischen Interessen der USA im Nahen Osten von Moskau als ein Punkt zu Russlands Gunsten im geopolitischen Kampf gerechnet, betont Smagin.

Das israelische Luftabwehrsystem „Iron Dome“ feuert, um vom Iran abgefeuerte Raketen abzufangen.
Das israelische Luftabwehrsystem „Iron Dome“ feuert, um vom Iran abgefeuerte Raketen abzufangen.Tomer Neuberg/AP

Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Stier erlaubt!

Die komplexe geopolitische Lage im Nahen Osten bietet jedenfalls zahlreiche Möglichkeiten, die russisch-iranische Kooperation vor dem Hintergrund der Feindschaft gegenüber den USA auch in Zukunft auszubauen und die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten spürbar zu treffen. Denn schließlich ist der Antiamerikanismus in vielen Ländern der Region stark ausgeprägt. Auch sind die Positionen der USA nach dem schmachvollen Abzug aus Afghanistan nachhaltig geschwächt. Eine Möglichkeit der Schwächung Washingtons besteht im Schüren eines Stellvertreterkrieges zwischen dem Iran und Israel.

Nach Ansicht Nikita Smagins leitet der Kreml die „moralische Rechtfertigung“ für derartiges Verhalten aus dem überaus eigentümlich ausgelegten Prinzip der Wechselseitigkeit. Demnach dürfe Putins Russland auf eigenen Wunsch hin so handeln, wie dies – nach Auslegung Moskaus wohlgemerkt – die USA tun. So habe Moskau beispielsweise die im Jahre 2008 erfolgte Anerkennung der abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien sowie die verdeckte Militärintervention im Donbass 2014 und letztlich selbst die Annexion der Krim 2014 und den Überfall auf die Ukraine 2022 durch ein angeblich vergleichbares Verhalten der USA sowie der Nato während des Kosovokrieges 1999, im Irakkrieg 2003 bzw. im Rahmen des internationalen Einsatzes in Libyen 2011 gerechtfertigt, so Smagin.

Nachdem der Kreml aber den Krieg in der Ukraine ausdrücklich als einen „Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland“ betrachte, komme Moskau jedes Recht zu, überall auf der Welt einen Stellvertreterkrieg gegen die USA zu entfachen. Und der Nahe Osten scheine die am besten geeignete Plattform dafür zu sein, so Smagin. Denn die amerikanischen Streitkräfte scheinen verwundbar zu sein, wie die Angriffe proiranischer Kräfte 2024 aufgezeigt haben. Darüber hinaus verfüge Russland in Syrien über eine regionale militärische Infrastruktur und mit Iran über einen engen Partner im Kampf gegen die USA.

Ein Flugzeug der israelischen Luftwaffe
Ein Flugzeug der israelischen LuftwaffeIsraeli Army

Russlands Krieg gegen die Ukraine und Irans Angriffe gegen Israel sind kommunizierende Gefäße

Einen wichtigen positiven Nebeneffekt hätte ein Stellvertreterkonflikt im Nahen Osten aus Moskaus Sicht unabhängig von seinem Ausgang jedenfalls. Ein vollwertiger Militärkonflikt würde den Fokus der USA bzw. des Westens von Russlands Kriegs gegen die Ukraine verschieben, den westlichen Unterstützungsgrad Kiew gegenüber naheliegenderweise verringern und Moskau dadurch einen größeren militärischen sowie politischen Bewegungsspielraum einräumen.

Russlands Fokus liegt derzeit auf der Ukraine. Damit dürften wohl noch keine – umfassenden – russischen Waffenlieferungen an die regionalen proiranischen Terrorgruppen vorliegen. Sollten allerdings die Kriegshandlungen in der Ukraine erheblich an Intensität verlieren oder gar der Konflikt eingefroren werden, dürfte das russische Engagement im Nahen Osten enorm zunehmen. Denn schließlich muss der auf Hochtouren laufende militärisch-industrielle Komplex Russlands ja Abnehmer finden; dazu käme noch ein großer Pool an russischen Militärspezialisten.

Solcherart erweisen sich Russlands Krieg gegen die Ukraine und Irans Angriffe gegen Israel als geopolitisch kommunizierende Gefäße. Die drohende Konflikteskalation im Nahen Osten verschiebt den Aufmerksamkeitsfokus weg von Osteuropa und bedroht mit Blick auf begrenzte Ressourcen die westliche Unterstützungsbereitschaft der Ukraine gegenüber. Dies stärkt Moskaus Positionen im Angriffskrieg gegen Kiew, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines (vorübergehenden) Konflikteinfrierens und birgt damit das Potenzial, einen erheblichen Teil russischer Militärressourcen für den Einsatz im Nahen Osten frei zu machen. Das wiederum bedroht die westlichen Interessen sowie den Weltfrieden nachhaltig.

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