Die Kritik an Dave Chappelle, er sei transphob, übergeht die feinen Unterschiede

Der amerikanische Comedian Dave Chappelle soll von Netflix verschwinden, weil er angeblich in „The Closer“ transphobe Witze macht. Trifft das zu? Eine Analyse.

Der amerikanische Komiker Dave Chappelle steht wegen seines neuen Netflix-Specials „The Closer“ in der Kritik.
Der amerikanische Komiker Dave Chappelle steht wegen seines neuen Netflix-Specials „The Closer“ in der Kritik.AFP

Berlin-Zur etwa gleichen Zeit sind kürzlich auf Netflix die Produktionen „The Closer“ und „Squid Game“ erschienen. Bei Letzterer handelt es sich um die alle Rekorde brechende dystopische Miniserie aus Südkorea. Bei Ersterer um das neue Stand-up-Special des amerikanischen Comedy-Superstars Dave Chappelle, der in den frühen 2000er-Jahren mit seiner hochgelobten Sketch-Sendung „Chappelle’s Show“ auch in Deutschland größere Bekanntheit erlangte.

Obwohl „Squid Game“ und „The Closer“ auf den ersten Blick nicht allzu viel gemein haben mögen, treibt sie doch eine und dieselbe zentrale Frage um: „Wann und wie zeigt sich der wahre Charakter eines oder gar des Menschen an sich?“ Ob diese Frage nicht schon an sich fehlgeht oder viel zu groß ist, um von Netflix-Programmen angegangen werden zu können, lassen wir zunächst einmal dahingestellt. Sowohl Chappelle als auch „Squid Game“ geben indes, wenig überraschend, die gleiche Antwort: „Der wahre Mensch zeigt sich, wenn es wirklich drauf ankommt.“ Also in einer Extremsituation.

Auf der „Squid Game“-Insel ist die Extremsituation der künstlich geschaffene Naturzustand eines Kampfes aller gegen alle um Leben und Tod. Bei Chappelle ist es eine Konfrontation mit den heißesten identitätspolitischen (LGBTQ-)Fragen, die allesamt Shitstorm-Potenzial haben – und deren Anreißen tatsächlich dazu führte, dass Netflix von kritischen Stimmen aufgefordert wurde, das neue Special von Chappelle aus dem Programm zu nehmen, also zu canceln. Die Frage nach dem wahren Charakter des Menschen ist für Chappelle vor allem deswegen zentral, weil ihm nun schon seit Jahren vorgeworfen wird, transphob zu sein. Ein Vorwurf, gegen den er sich in „The Closer“ verwahrt, auch wenn er sich darin durchgehend mit ihm auseinandersetzt und zugleich für Provokationen sorgt.

Chappelles Witze provozieren

Der Transphobie wurde er etwa beschuldigt, nachdem er in seinem früheren Special „Sticks and Stones“ (Stöcke und Steine) für die LGBTQ-Community die Bezeichnung „Alphabet People“ geprägt hatte (ein ironischer Verweis auf die kryptische Buchstabenfolge dieses inzwischen sogar ab und an zu „LGBTQQIP2SAA+“ verlängerten Akronyms). Manche empfanden dies – und ähnliche Witze – als nicht akzeptable Verhöhnung und Trivialisierung einer diskriminierten Gruppe und von deren Anliegen. Andere, einschließlich einiger Mitglieder der Community selbst, hielten dagegen, dass dies einem harmlosen Scherzen gleichkomme und zudem sogar ein möglicherweise bis hin zur Selbstsabotage führendes Problem der LGBTQ- und anderer sozialer Bewegungen auf den Punkt bringe: den Glauben an die absichts- und kontextunabhängige Allmacht, ja wirklichkeitskonstituierende Kraft der Sprache.

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privat
Zur Person
Niklas Straetker lebt in Berlin und New York, wo er an der Columbia University an seiner literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit schreibt. Er interessiert sich für die Beziehungen zwischen Literatur, Philosophie und Recht um 1800/1900, insbesondere bei Kafka, Musil, Kleist und Schiller. Privat befasst er sich mit der Formanalyse von Humor.

In den vergangenen Jahren hat Chappelle so auch Teilen der LGBTQ-, aber auch der #MeToo-Bewegung öfter vorgehalten, ein gebrechliches Temperament zu besitzen, das sich zu sehr an einer zu oberflächlichen Sprachetikette aufhalte und schon bei verhältnismäßig kleinen Unannehmlichkeiten in sich zusammenfalle. Chappelle bringt diesen Vorwurf vor allem dann, wenn er die LGBTQ-Aktivisten mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre um Martin Luther King, aber auch mit der alten Schwulenbewegung vergleicht, die beide buchstäblich unter Gefahr für Leib und Leben ihre Rechte einklagten – und weniger sensibel gewesen seien. In „The Closer“ macht Chappelle nun einige Witze, hinsichtlich derer man fast anzunehmen geneigt ist, er habe sie bewusst als Köder ausgeworfen, um die LGBTQ-Community herauszufordern oder sogar zu provozieren.

Solidarität mit der „Harry-Potter“-Autorin J.K. Rowling

Die von Chappelle in „The Closer“ durchgehend und geradezu als Leitmotiv vollzogene Kontrastierung von nicht wirklich böswilligen Witzen einerseits und glasklar diskriminierenden, unsolidarischen und gewalttätigen Sätzen andererseits ist es, was viele seiner Kritiker für eine unzulässige Anmaßung halten. Indem er sich überhaupt über Phänomene wie das „Misgendern“ (das absichtliche, unabsichtliche oder scherzhafte Benutzen eines Pronomens, das der Geschlechtsidentität einer Person nicht entspricht) oder auch das „Deadnaming“ (die absichtliche, unabsichtliche oder scherzhafte Verwendung des alten Vornamens einer Transperson) lustig mache, nehme er keinerlei Rücksicht auf den psychischen Schmerz, der sich bei denjenigen einstelle, die so etwas tagtäglich erleben müssen. Mehr noch: Die in „The Closer“ getätigten Äußerungen bedeuteten für die Verspotteten tatsächlich eine reelle Gefahr für Leib und Leben.

Nach Dave Chappelles Show kam es am 20. Oktober 2021 zu Protesten vor der Netflix-Zentrale in Los Angeles.
Nach Dave Chappelles Show kam es am 20. Oktober 2021 zu Protesten vor der Netflix-Zentrale in Los Angeles.AP

Diese überaus harsche Anklage wie auch das Bestreben, Netflix dazu zu bringen, Chappelles Specials vollends aus dem Verkehr zu ziehen, sind nicht zuletzt auch als Reaktion darauf zu verstehen, dass er sich in seinem neuen Special explizit mit der „Harry-Potter“-Autorin J.K. Rowling solidarisiert, die bekanntermaßen selbst der Transphobie beschuldigt wird. Um zu verstehen, warum ein solcher Schulterschluss als endgültige Kriegserklärung gegen die Transbewegung aufzufassen sei, muss man indes ein wenig ausholen.

Was TERF bedeutet und welche Prominente so bezeichnet werden

In „The Closer“ bezeichnet sich Chappelle, nur halb im Scherz, als „TERF“. Dieses Akronym stammt aus dem Englischen, funktioniert aber auch genauso auf Deutsch und steht für „Trans-exkludierende radikale Feministin“. Bei den öffentlichen Personen, die laut Transaktivisten unter diese Kategorie fallen, handelt es sich indes um eine ziemlich heterogen zusammengesetzte Gruppe. Sie schließt neben Rowling etwa noch den Podcast-König und Comedian Joe Rogan, die feministische Autorin Margaret Atwood oder die lesbische Tennislegende Martina Navratilova ein, was zeigt, dass selbst oder gerade andere Mitglieder der LGBTQ-Community vor dem Vorwurf der Transphobie nicht sicher sind. Alle gerade Genannten weisen diesen Vorwurf ausdrücklich zurück, behaupten aber dennoch, dass im Zuge der Transbewegung, speziell mit der zur Debatte stehenden automatischen, auch juristisch-institutionellen Vollsubsumption des Begriffes „Transfrau“ unter den der „Frau“ ein von vielen übersehenes Problem eingetreten sei.

Dass man nämlich Gefahr laufe, nicht mehr genug Rücksicht auf die Rechte und Sorgen – wie auch auf das Identitätsgefühl und die gelebte Erfahrung – gerade derjenigen Personen zu nehmen, die mit weiblichen Geschlechtsorganen zur Welt gekommen und in unserer Gesellschaft – nolens volens und von Geburt an – immer schon als „Frau“ behandelt worden sind.  Hinzu kommt noch, dass manche das eigentlich pejorativ gemeinte „TERF“-Label  inzwischen in ironischer Weise auch stolz als Eigenbezeichnung nutzen, womit sie den Schimpfnamen also gewissermaßen „reappropriated“ (sich wiederangeeignet) haben. In den Augen ihrer Kritiker beweist das allerdings umso mehr, dass sie wirklich transfeindlich sind. In mehreren Besprechungen von „The Closer“ heißt es jedenfalls recht lapidar, dass Chappelles Selbst-Identifizierung als TERF bedeute, er bestehe wie alle Anhänger dieser „Ideologie“ darauf, dass Transfrauen schlechterdings keine Frauen seien, sondern, zumindest in letzter Instanz, Männer.

Die Sprache scheint an Präzision zu verlieren

Durch sein Coming-out als TERF tut Chappelle laut manchen Kritikern nichts weniger, als Transpersonen das „Existenzrecht“ als Menschen abzusprechen, womit er sie – als „Dehumanisierte“ – nicht nur im sozio-kulturellen Diskurs „eliminieren“ wolle, sondern auch tatsächliche physische Gewalt gegen die nun Geächteten billigend in Kauf nehme, wenn nicht gar dazu „anstifte“. Durch einen solchen Rückgriff auf das Sprachregister des Existenziellen und Absoluten, auf eine um die Kategorie der „Menschenvernichtung“ schwebende Terminologie rückt man Chappelle und Co. indes unweigerlich in die Nähe derjenigen, die Transpersonen (oder Mitglieder der LGBTQ-Community überhaupt) tatsächlich für biologisch entartet, psychisch gestört, gegen Gottes Gesetz verstoßend oder insgesamt schlicht gemeingefährlich halten – und sie dementsprechend am liebsten in Psychiatrien oder Umerziehungs- und anderen Lagern unschädlich machen, zumindest aber als sichtbare Personen aus dem öffentlichen Raum und Diskurs entfernen wollen.

Was aber, wenn man nun „Transphobe“ letzteren Typs verurteilen und in aller Schärfe kritisieren möchte? Die meisten dafür zur Verfügung stehenden Wörter könnten dann bereits ausgereizt worden sein, um gegen die sogenannten TERFs zu wettern. Gegen Personen also, die etwa der Meinung sind, man solle Geschlechtsdysphorie empfindenden 10-Jährigen keine Pubertätsblocker verabreichen oder den vom eigenen Kind im Teenageralter und Mitgliedern seiner Clique sehr plötzlich initiierten Pronomenwechsel zumindest hinterfragen – oder hormonell noch typisch männliche Testosteronwerte aufweisende trans Frauen nicht ohne Weiteres an Wettkämpfen im Frauensport teilnehmen lassen.

Wenn also die meisten der um „Elimination“ und „Entmenschlichung“ kreisenden Superlative schon für Menschen wie Chappelle oder Rowling gebraucht (oder eher verbraucht) worden sind, so mag sich bei manchen das Gefühl einstellen, dass die Sprache erheblich an Präzision und der gesellschaftspolitische Diskurs an Lauterkeit verliert. In „The Closer“ liegt es Chappelle so auch daran, Argumente gegen ebenjene konsequente Begriffsausweitung ins Feld zu führen und zu zeigen, dass er mit den wirklich Transphoben nichts gemein habe.

Die Freundschaft zu Daphne Dorman

Das Special besteht dabei zu großen Teilen aus Anekdoten, aus der Schilderung von Gesprächen und Erfahrungen, die er in den letzten Jahren in Hinsicht auf seine angebliche Transphobie geführt beziehungsweise gesammelt hat. Er erzählt von Begegnungen mit Wildfremden, mit Trans- oder LGBTQ-Personen oder deren Verwandten und Freunden, die sich ihm gegenüber, sobald sie ihn als Chappelle erkannten, plötzlich eiskalt verhalten oder gar bedroht hätten, weil er durch seine angeblich transphobe Rhetorik Leib und Wohl der Diskriminierten gefährdet habe.

Allerdings kulminiert Chappelles Storytelling in einer ausführlichen Darlegung seiner Freundschaft mit der Transkomödiantin Daphne, die er in seinem Vorprogramm auftreten ließ – angesichts Chappelles Superstar-Status in der anglophonen Welt ein äußerst lukrativer und begehrter Job. Der zentrale Dialog zwischen den beiden ist dabei jener, in dem er ihr gesteht, er habe sie wirklich unglaublich gerne, könne aber das, was sie von ihrer gelebten Erfahrung als Transfrau berichte, nur schwer verstehen. Daphnes Antwort: „Du brauchst mich nicht zu verstehen. Du musst mir nur glauben, dass die Erfahrung, die ich mache, eine menschliche ist.“ Er aber versichert ihr, dass er das tue.

Eine Freundschaft zwischen Christen und Atheisten ist möglich

Vielleicht ist es hilfreich, den Chappelle’schen Appell noch einmal anhand eines Beispiels aus einem anderen, zurzeit nicht viel weniger hitzig diskutierten Konfliktbereich nachzuvollziehen. Wir stellen uns jetzt einmal eine Liebesbeziehung zwischen einer radikalen Atheistin und einem äußerst frommen Christen vor. Kann diese jemals gut gehen, wenn der eine die tiefsten Überzeugungen, ja die womöglich identitätsstiftende Seinsgrundlage des anderen nicht nur verspottet, sondern gemäß dem eigenen Weltbild sogar kategorisch ablehnen und bekämpfen muss?

Tatsächlich gibt es derartige Beziehungen und tatsächlich gelingen sie manchmal auch. Selbst Hadschi-Halef Omar und Kara Ben Nemsi schafften es bekanntlich, einander treue Freunde zu werden, wenngleich Letzterer trotz aller Bekehrungsversuche „ein Giaur“ bleiben wollte, „ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frisst“, wie es schon im allerersten Satz des berühmten Romans heißt. Wenn solchen Antipoden die Liebe oder Freundschaft – oder zumindest das Nicht-Hassen – gelingt, dann deswegen, weil sie hinter allen widerstreitenden Überzeugungen und sexuellen, ethnischen, kulturellen, religiösen, geschlechtlichen und weltanschaulichen Identitäten im anderen einen Menschheitskern erkennen und ihr Gegenüber danach beurteilen, ob er oder sie versucht, in den meisten Interaktionen mit irgendwie geartetem gutem Willen zu handeln und dabei jene Universalebene nicht aus den Augen zu verlieren. Das gilt zumal dann, wenn die eine (die Atheistin) und der andere (der fromme Christ) in ihrem Leben als Individuen direkt aufeinandertreffen, jenseits des Allgemeindiskurses über Ideen, Ideologien und Identität.

Chappelle verschiebt das Gewicht von Comedy zu gesellschaftspolitischer Kritik

Dieser sonderbare Ausflug in das Gebiet des Moralisch-Religiösen mag einem nun vielleicht insofern als gerade passend erscheinen, als sich die Diskussion zwischen Unterdrückern und Unterdrückten – und über sie – zunehmend auf einem solchen abspielt. Wie etwa der Kampf „Chappelle versus LGBTQ-Community“. Oft scheint das Weltgericht nicht weit und die eigene Eschatologie dadurch umso unerbittlicher. Wie das hier bisher Geschriebene vielleicht schon nahelegt, gilt das zum Teil auch für Chappelle selbst. Dieser betreibt in und nicht erst seit „The Closer“ nämlich keineswegs mehr Stand-up-Comedy in dem klassischen Sinn, dass allem Moralisieren gegenüber tendenziell Misstrauen gehegt würde.

Der amerikanische Comedian Dave Chappelle.
Der amerikanische Comedian Dave Chappelle.AP

Vielmehr versucht er sich an etwas, was manche Ähnlichkeit mit dem deutschsprachigen Kabarett aufweist. „The Closer“ gleicht eher einem vollends ernst gemeinten gesellschaftspolitischen Statement, das zwar mit allerlei Witz und Satire gewürzt ist, in dem aber dennoch der Chappelle früher auszeichnende gleichermaßen scharfe, doppelbödige und ins Groteske gehende Humor ganz eindeutig zum Mittel eines ernsteren, nun fast im Modus der Predigt zu entfaltenden Zweckes geworden ist.

Eine Hinwendung zum Pastoralen

Mit seinen Anekdoten darüber, wie er von Menschen, die seinen wahren Charakter ja gar nicht kennen würden, zu Unrecht als transphob gebrandmarkt und geächtet werde, dann aber gegenüber Daphne zeige, aus welchem Holz er wirklich geschnitzt sei, stilisiert er sich, wenn auch wohl mit einem Augenzwinkern, beinahe zu einer Art messianischen Figur, der es obliegt, die zerstrittene Gesellschaft wieder zu einen. Die Anklänge an den Baptismus und dessen afroamerikanische Prediger sind dabei unüberhörbar.

In der amerikanischen Comedy-Community, in der Chappelle tatsächlich, wie er in seinem Special auch nicht zu erwähnen vergisst, in der Regel als möglicher GOAT („Greatest of All Time“) gehandelt wird, stößt seine Hinwendung zum Pastoralen auf ein geteiltes Echo. Die einen erkennen darin ein Hinauswachsen über die Witzemacherei im Sinne einer Reifung zum politischen Intellektuellen, andere vermerken einen Hang zum Größenwahn und wünschen sich den „alten“ Chappelle zurück, weil dieser eben einen begnadeten Comedian, dafür aber keinen großartigen, sondern bloß guten Prediger abgebe. Ganz gleich, wie man dazu stehen mag, wird einem die Schlusspointe der Daphne-Geschichte, die auch das Ende von „The Closer“ markiert, zu denken geben.

Die Schlusspointe von Chappelles „The Closer“

Chappelle berichtet, wie Daphne ihn im Internet nach der Veröffentlichung seines 2019er-Specials „Sticks and Stones“ gegen Vorwürfe, er sei transphob, verteidigt habe, woraufhin ihr durch die eigene Community ein gewaltiger Shitstorm entgegenschlagen und sie im Zuge dessen als Nestbeschmutzerin proskribiert worden sei. Daphne habe sich wenig später das Leben genommen. Seine Kritiker sehen darin nun den Gipfel von Chappelles Heimtücke, weil er den Tod einer Transperson instrumentalisiere, um die Transcommunity als solche verächtlich zu machen und zum Abschuss freizugeben.

Tatsächlich hätte Chappelle wohl versöhnlichere Abschlussworte finden können und die Zuschauer nicht in Form dieses Schocks überrumpeln müssen. Vielleicht kann ein solcher aber auch als bitter nötiges Verfremdungsmoment dienen, das uns aus unserem an der Frage der Instrumentalisierung und so vielem anderen hochgekochten gerechten Zorn herausreißt und uns tatsächlich auf die von Chappelle (wenn auch vielleicht eher grobschlächtig) eröffnete Perspektive eines möglichen vor- oder neben-identitären Menschseins zurückwirft.

Eine Perspektive, aus der man sich, so schwer es einem auch oft fallen mag, dazu zwingt, innezuhalten und die (öffentlichen) Äußerungen von Personen darauf abzuklopfen, ob dort wirklich eine auch die letzte Solidaritäts-Ebene durchbrechende Verachtung, Abwertung und Zerstörung des Menschen als solchen durchscheint. Oder ob man bei allem Ungefälligen doch noch einen guten Willen erkennen kann. Versucht man das nicht und lässt man stattdessen auf Einzelne die geißelnde Twitter-Lawine losrollen, so schafft man womöglich Vogelfreie, die später zu Märtyrern werden.

Anmerkung der Redaktion: Der Autor bevorzugt die Schreibweise „Transperson“ statt „trans Person“. Wir sind bei der Veröffentlichung und Korrektur des Textes seinem Wunsch gefolgt. 

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