Keynote-Speech

Joschka Fischer: Zeit der Illusionen ist vorbei

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Joschka Fischer: Zeit der Illusionen ist vorbei
Joschka Fischer © Regina Sablotny

Nein, ein Gesundheitspolitiker war Joschka Fischer nie. „Gott sei Dank“, so der deutsche Außenminister und Vizekanzler a.D., „das hat es mir ermöglicht, 75 Jahre alt zu werden …“ Ein Satz zum Schmunzeln in Fischers Keynote-Speech am Freitagmorgen auf dem DRG-Forum. Seinem Publikum dennoch ein paar ernsthafte Worte zum deutschen Gesundheitswesen mitzugeben, war ihm ein Anliegen: Die Pandemie habe gezeigt, wie wertvoll ein krisenfestes Gesundheitssystem ist. Die Absicherung im Krankheitsfall für alle, ein solidarisches System – das gehöre für ihn schon zu den Grundrechten Europas. Bleiben würden die Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Counterparts und auch die Kostendebatten, das sei Demokratie. „Aber je mehr ihr den Geruch von Lobbyisten habt, desto schwächer werdet ihr. Und je mehr ihr darauf zurückgreifen könnt, was ihr wirklich leistet im Gesundheitswesen, desto stärker werdet ihr.“

Nicht in Pessimismus vefallen

Fischers eigentliche Rede „Ein Jahr nach der Zeitenwende“ hatte jedoch die großen globalen Themen, die akuten Herausforderungen für Europa, im Blick: Den Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die technologische Umwälzung. Konflikte, Krisen, Gefahren – einen stabilen Rahmen für Europa gibt es längst nicht mehr, das machte der ehemalige Spitzenpolitiker in seinem eher düsteren Zukunftsszenario sehr deutlich. Das sei jedoch überhaupt kein Grund, in Pessimismus zu verfallen, so Fischer. Nein, die Zeit der Illusionen sei nur endgültig vorbei. „Jetzt zählt Realismus.“

Druck von außen lässt Europa enger zusammenwachsen

Seine Überzeugung: Der starke außenpolitische Druck wird Europa enger zusammenwachsen lassen. Und das sei dringend notwendig, um Krisen zu bewältigen. „Europa muss mehr werden als ein gemeinsamer Markt, es muss eine geopolitische Kraft werden.“ Es habe ja immer einige EU-Skeptiker auch in Deutschland gegeben. „Aber wo stünden wir denn nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ohne die Europäische Union, ohne die Nato?“

Die Aufkündigung des europäischen Konsens durch Wladimir Putin werde dauerhafte und globale Konsequenzen haben. Europa werde mit der Bedrohung aus dem Osten leben müssen. Doch der Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato zeige auch: Putin habe das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte: die Nato zu schwächen. Wie wird dieser Krieg ausgehen? Am Ende werde es einen Kompromiss geben, der keine Seite zufriedenstellt, vermutet Fischer.

Aufrüstung ist unverzichtbar

Deutlich seine Haltung zur weiteren Aufrüstung: Diese sei aus zwei Gründen unverzichtbar, auch wenn er das zutiefst bedaure, zum einen wegen der russischen Bedrohung, zum anderen wegen der Unsicherheit darüber, wie lange wir uns auf eine Verteidigung aus Amerika verlassen können. „Ich kann die Tatsache nicht vergessen, dass Donald Trump und damit eine radikale Alternative zum vernünftigen Politiker gewählt wurde. Und wer garantiert uns, dass er nicht wiedergewählt oder es einen Trump 2.0 geben wird?“

Deutschland müsse sich seiner Rolle in Europa jedoch auch bewusst werden und als starke Kraft eine Führungsrolle einnehmen. Das Aufrechterhalten eines guten deutsch-französischen Verhältnisses gehöre ebenso dazu wie die Akzeptanz der Türkei als wichtiger Nachbar und das kluge Agieren gegenüber China.

Klimaschutz: Zeit für Realismus

Zur Klimakrise: „Wir hatten seit Angela Merkel alle gern die Illusion, wir wären weltweit führend im Klimaschutz.“ Doch auch hier sei es Zeit für Realismus. Wenn Deutschland sich von technischen Innovationen verabschiede, könne es sich auch ganz verabschieden, so Fischer. Seine Überzeugung: Die Zukunft werde nicht im Verbrennermotor liegen, man werde auch im Klimaschutz von technischen Innovation profitieren. „Klimaschutz heißt ein Ende der auf der Verbrennung von Kohlenstoff basierenden Energie. Das ist keine grüne Ansicht, sondern eine objektive Erkenntnis.“

Noch einmal zum Schmunzeln am Ende Fischers Antwort auf eine Frage aus dem Publikum, wie man denn auf populistische Strömungen im Land reagieren, wie damit umgehen sollte? „Vor Populisten hätte ich an Ihrer Stelle nicht zu viel Angst. Denn wo geht denn der Populist hin, wenn er krank ist: etwa in den Keller?“

Großer Applaus für den Ex-Außenminister und DRG-Keynote-Speaker 2023.

Autor

 Lena Reseck

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