Das heilige Mountainbike

Henri Lesewitz

 · 20.05.2015

Das heilige MountainbikeFoto: Henri Lesewitz
Das heilige Mountainbike
Greg Herbold wurde 1990 der erste Downhill-Weltmeister der Mountainbike-Geschichte. Unfassbar, mit was für einem Bike er zum Sieg raste. Wir haben das heilige Teil aufgestöbert!

Der Mountainbike-Sport befindet sich in einem fortwährenden Prozess von Zellteilung. Ununterbrochen entwickeln sich neue Kategorien, Sparten, Unterarten. Inzwischen mit einer derartigen Affengeschwindigkeit, dass selbst Szene-Kenner langsam den Überblick verlieren. Freeride, Cross Country, Dirt, Marathon, All Mountain, und, und, und. Noch krasser das Angebot an Technik. Fullys mit viel Federweg, Fullys mit wenig Federweg, Hardtails in diversen Materialien und Laufradgrößen, 3 x 9 Schaltungen, 1 x 11, 2 x 10, Enduros, E-Bikes, E-Fatbikes – um nur mal die mit E zu nennen.

  Auf dem Grundstück von Greg Herbold in Durango steht noch das berühmte Miyata-Team-Mobil aus den frühen Neunzigern.Foto: Henri Lesewitz Auf dem Grundstück von Greg Herbold in Durango steht noch das berühmte Miyata-Team-Mobil aus den frühen Neunzigern.

Hausbesuch bei Greg Herbold

Umso spannender, mal auf die Anfänge des Mountainbike-Sports zurück zu blicken. BIKE-Reporter Henri Lesewitz hatte dazu eine einmalige Gelegenheit, als er zu Besuch bei Greg Herbold weilte. Der Amerikaner, besser bekannt unter seinem Szene-Kürzel HB (sprich: Ätsch Bieh), gewann 1990 in Durango die erste offizielle Downhill-Weltmeisterschaft und ging als erster UCI-Champion der Mountainbike-Historie in die Geschichtsbücher ein. Heute testet Herbold Gabeln, Bremsen und Schaltungen im Auftrag von Branchenriese Sram, zu dem auch Rock Shox gehört. Sein Grundstück ist eine wahre Fundgrube von Technik vergangener Jahre. Als Lesewitz zu Besuch war, konnte er sein Glück kaum fassen: In der Werkstatt stand das originale WM-Bike von 1990, das sonst als Reliquie im Shop „Mountainbike Specialists“ von Ed Zink in Durango hängt, der Keimzelle der legendären WM. Alles an dem Rad ist so, wie in dem Moment, als Herbold hinter der Ziellinie die Jubelfaust in den Himmel reckte.

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  Während des Studiums bekam Herbold den Spitznamen "Hair Ball" verpasst. Der wurde erst zu "H-Ball", dann zu "HB". Selbst seine Mutter nennt ihn so. Foto: Henri Lesewitz Während des Studiums bekam Herbold den Spitznamen "Hair Ball" verpasst. Der wurde erst zu "H-Ball", dann zu "HB". Selbst seine Mutter nennt ihn so. 

Kein Shuttle – „alle Biker waren wie Tiere“

„Damals war der Sport noch nicht in verschiedene Sparten unterteilt. Als Fahrer fuhr man alles. Downhill, Cross Country und auch mal heftige Langstreckenrennen, die ich ja ehrlich gesagt nicht so mochte. Ich wäre damals schon gerne nur runter gefahren. Doch das war undenkbar. Niemand hat geshuttelt. Alle Biker waren wie Tiere", erinnert sich Herbold an die Anfangsjahre, als Mountainbiken weder UCI-Disziplin, noch olympisch war. 1988 bekam er seinen ersten Profivertrag – 800 Dollar pro Monat plus Material. Weil er an seinen Sponsor, den japanischen Radhersteller Miyata, regelmäßig fundierte Testberichte faxte, war er bald auch in die Entwicklung der Bikes involviert. Für die WM in Durango wollten die Japaner für Herbold ein ausgeklügeltes Spezialbike auf die Räder stellen. Doch Herbold winkte ab. Er setzte auf die bewährte Technik des „Ridge Runner Team“ – ein Stahlbike mit gemufften Rohren, das aufgrund seiner filigranen Bauart etwas Komfort versprach.

  Der Experte: Heute entwickelt und testet Greg Herbold unter anderem Gabeln für Rock Shox.Foto: Henri Lesewitz Der Experte: Heute entwickelt und testet Greg Herbold unter anderem Gabeln für Rock Shox.

„Mit den Bikes von damals war es sehr leicht die Kontrolle zu verlieren. Die Kurse waren wahnsinnig schnell. Ein Sturz wäre ein Desaster gewesen, nicht nur wegen der verpatzten Plazierung. Denn hey, wir fuhren ohne Protektoren!", plaudert Herbold. Um die Traktion zu maximieren, entschied sich Herbold für eine Tension Disc von Tioga. Ein Scheibenrad mit selbsttragenden, minimal schlagabsorbierenden Flanken aus Kevlar-Fäden, das ohne die klassischen Speichen auskommt. Aerodynamisch und komfortabel. Perfekt für den Kurs in Durango, der so lang war, dass Herbold sogar eine Rahmenluftpumpe beim Rennen dabei hatte. Die Shimano-Kurbeln ließ HB ausfräsen für einen Hauch von Flex. Die damals ultrafuturistische Federgabel von Rock Shox (Öl/Luft), die erst ein Jahr zuvor der völlig schockierten Öffentlichkeit präsentiert wurde, war von fünf auf brachiale sechs Zentimeter Federweg „aufgebohrt“. Ein großes Kettenblatt, wie es sonst nur die Rennradfahrer fuhren, sorgte für Speed. Die weißen Onza Porcupine-Reifen (2.1 Zoll) galten schon damals nicht als besonders haftstark, mussten aber wegen des Sponsorenvertrags ans Bike. Bar-Ends fuhr Herbold normal immer, nur für das WM-Rennen hatte er sie abmontiert. Normal waren sie teuer bezahlte Werbeflächen, da die Aufkleber der Sponsoren darauf bei Aufnahmen von vorne immer gut zu sehen waren. Langer, flacher Vorbau, leichter Lenker.

  Hinten hart, aber dennoch eine Art Fully: Greg Herbold hatte alles getan, damit sich sein Miyata Ridge Runner Team windelweich fuhr.Foto: Henri Lesewitz Hinten hart, aber dennoch eine Art Fully: Greg Herbold hatte alles getan, damit sich sein Miyata Ridge Runner Team windelweich fuhr.

Weltmeisterschaft 1990: Lycra statt Protektoren

Die Karre war so windelweich, das sie Herbold allen Ernstes als „Fully“ bezeichnet. Es gefriert einem fast das Blut in den Adern, wenn man sich vorstellt, mit einem solchen Rad Vollgas eine Downhill-Rennstrecke hinunterzurasen. Ohne Protektoren. In einer leicht gepolsterten, kurzen Lycra-Hose. Ein Teufelsritt auf Messers Schneide, sozusagen. Herbold brauchte im Finale sechseinhalb Minuten und gewann mit 3,8 Sekunden Vorsprung. Epochenheld John Tomac hat sich bei der Materialwahl etwas verzockt – er fuhr mit Rennradlenker. Der Schweizer Philippe Perakis, der stets in spektakulären Grusel-Outfits startete, war an der Borke eines Baumes zerschellt. An jenem Freitag in Durango ahnte Herbold kaum, welch historische Dimension sein Sieg haben würde. Schon kurz darauf teilte sich der Profisport in die zwei Lager Downhill und Cross Country. Die Bikes wurden entsprechend speziell. Und so ging es dann immer weiter und weiter und weiter und weiter. Eine Kuriosität dieser Entwicklung staubt in einem Schuppen von Herbold vor sich hin. Ein Downhill-Worldcup-Bike mit angebautem Verbrennungs-Motor. Eines der ersten Hybridbikes der Mountainbike-Geschichte. Herbold hatte es sich gebastelt, weil er mit den immer massiver gefederten Bikes kaum noch auf den Berg kam. Dass heute Biker elektroforciert auf die Berge surren, konnte sich aber wohl selbst Herbold damals nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen.

  Doping fürs Bike: Herbolds selbst gebasteltes Hybrid-Bike mit benzinbetriebenem Rasenmäher-Motor.Foto: Henri Lesewitz Doping fürs Bike: Herbolds selbst gebasteltes Hybrid-Bike mit benzinbetriebenem Rasenmäher-Motor.  Greg Herbold wohnt wechselweise in Durango und in Moab. Zu den Trails gondelt er am liebsten mit seinem Geländewagen.Foto: Henri Lesewitz Greg Herbold wohnt wechselweise in Durango und in Moab. Zu den Trails gondelt er am liebsten mit seinem Geländewagen.

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