Politologin über Aiwanger: Kein Anstand!

Sauer auf Talkmasterin Anne Will: Rechtsanwalt und Freie Wähler-Fraktionschef Florian Streibl (60)

Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff ist seit 2016 Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main

Foto: ARD
Von: JOSEF NYARY

Nach acht Wochen Urlaub ist die ARD-Sonntagstalkerin wieder an ihrem Arbeitsplatz und sputet sich mit einem Bayern-Bashing, bevor in Berlin schon die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Anne Wills späte Frage: „Der Fall Aiwanger – Wie groß ist der Schaden für die politische Kultur?“ Jo mei…

Die Gäste

Günther Beckstein (79, CSU). Der Ex-Ministerpräsident schaffte mit seinem letzten Wahlkampf 2008 nur 43,4 Prozent und wurde zurückgetreten.

Florian Streibl (60, Freie Wähler). Der Fraktionschef macht klar: „Auch wir erwarten, dass Hubert Aiwanger alles tut, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen, insbesondere bei unseren jüdischen Geschwistern.“

Prof. Nicole Deitelhoff (49). Die Politologin wetterte im Juni nach Aiwangers Spruch, in Berlin hätten sie wohl „den Oarsch offen“, damit verlasse der FW-Chef „den Boden des demokratischen Miteinanders“.

Marina Weisband (35, Grüne). Die deutsch-ukrainische Publizistin (Deutschlandfunk) warnt, als Jüdin mache es ihr Sorgen, wie Grenzen aufgeweicht würden: „Die Lage für uns wird immer brenzliger“.

Roman Deininger (45). Der SZ-Chefreporter vermutete bei „Markus Lanz“, dass Aiwanger schon länger von dieser „Zeitbombe“ wusste, die ihn jetzt „eingeholt“ habe.

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Bayerischste Begründungen

FW-Fraktionschef Streibl ist nicht nur Rechtsanwalt, sondern auch Diplom-Theologe und katholisch unerschrocken: Auf die zweifelnde Frage, ob Aiwanger sich denn jetzt tatsächlich wie gefordert in Demut übe, antwortet der Bayer: „Das Bierzelt ist kein Beichtstuhl!“

Seine verblüffend ehrliche Erläuterung: „Wir haben jetzt gerade Wahlkampf in Bayern. Das ist die Erklärung dafür, dass man sich jetzt nicht ins Bierzelt stellt und Asche auf sein Haupt streut!“

Frechste Folgerung

Die Talkmasterin traut ihren Ohren nicht: „Wirklich?“, entfährt es ihr. „Sie behaupten, die Freien Wähler sind das Bollwerk gegen den Antisemitismus. Dann sind die das doch auch im Bierzelt!“

„Ich habe eine Resolution in Landtag initiiert gegen Antisemitismus …“, verteidigt sich Streibl. „Aber nicht im Bierzelt“, inkriminiert Will mit wegwerfender Handbewegung, „da reden Sie antisemitisch!“

Geharnischster Protest

„Zum Gottes Willen!“, widerspricht Streibl. „Also das muss ich mir wirklich verbitten, so eine Unterstellung! Das ist eine boshafte Unterstellung!“

Die Talkmasterin will sich rausreden: „Ich habe nachgefragt, ich habe nicht verstanden“, behauptet sie unschuldig. „Das ist gar nicht boshaft!“

Scheinheiligste Rechtfertigung

„Mir Antisemitismus zu unterstellen!“, beschwert sich Streibl sichtlich sauer.

Will muss kurz grinsen, versucht aber trotzdem weiter, den Gast aufs Glatteis zu führen: „Ich will verstehen, was Sie damit meinen, wenn Sie sagen, sowas macht man nicht im Bierzelt, das Bierzelt ist ja kein Beichtstuhl“, beteuert sie. Uff!

Sauer auf Talkmasterin Anne Will: Rechtsanwalt und Freie Wähler-Fraktionschef Florian Streibl (60)

Sauer auf Talkmasterin Anne Will: Rechtsanwalt und Freie Wähler-Fraktionschef Florian Streibl (60)

Foto: ARD

Realistischste Sorge

Streibl versucht es nochmal: „Die Aufarbeitung muss anderswo geschehen, nicht nur im Bierzelt“, beharrt er. „Es muss ein deutliches Zeichen kommen, aber wenn das jetzt im Wahlkampf käme, würde es völlig falsch verstanden werden, weil, dann man würde sagen, ja, das macht er doch nur, weil er Wahlkampf macht.“

Sein Beispiel: „Wenn Aiwanger heute nach Jerusalem, nach Yad Vashem fährt, sagt jeder: Naja, in ein paar Wochen ist Wahl, das macht er nur deswegen. Es gibt genug Medien, die das dann wieder in die andere Richtung deuten und schreiben.“ Ächz!

Verwunderlichste Wortwahl

Eine zweifelsfreie Aufarbeitung, so der Fraktionschef weiter, könne erst nach der Wahl erfolgen, wenn „diese Missdeutung nicht mehr möglich ist“.

Als nächster ist Beckstein dran. „Ich finde das Flugblatt unendlich blöd“, kommentiert er. Die Talkmasterin hat deutlich Härteres erwartet: „Blöd!“, wiederholt sie sichtlich entgeistert.

Günther Beckstein war 2007 bis 2008 bayerischer Ministerpräsident

Günther Beckstein war 2007 bis 2008 bayerischer Ministerpräsident

Foto: ARD

Kirchlichster Seufzer

„Mir bleibt eigentlich der Atem weg, wenn man dieses Flugblatt liest“, schärft der CSU-Politiker sofort nach, „weil es wirklich in einer Art und Weise mit den Opfern umgeht, wo man fassungslos ist!“ Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen sei „weder vernünftig noch professionell“, sondern ein „Herumgeeiere“.

„Trotzdem sage ich aus meiner Sicht; So, wie Söder das gehandelt hat, das war richtig“, lobt Beckstein dann. „Es war richtig, ihn im Amt zu belassen, denn andernfalls wäre die Reaktion völlig falsch gewesen“ – etwa in Richtung Märtyrer.

Beckstein weiter: „Ich habe mich mit einem Pfarrer unterhalten, der sagt: Wenn ich Bischofskandidat bin, will ich auch nicht aus meiner Schulzeit irgendwelche Dinge vorgetragen bekommen.“

Professionellste Analyse

Aiwanger habe „die ganze Zeit mit einer Doppelstrategie hantiert“, kommentiert Prof. Deitelhoff. „Er hat versucht, seine Rolle herunterzuspielen. Und damit verbunden die Anklage, es gibt eine Schmutzkampagne gegen ihn, er soll politisch und persönlich vernichtet werden. Das ist die Feinstrategie.“

Ihr klares Urteil: „Da lässt er politische Tugenden vermissen, also Anstand, Verantwortungsbewusstsein für meine Taten und was sie bewirken.“ Rumms!

Persönlichstes Statement

„Aiwanger ist nicht nur Politiker“, gibt Streibl zu bedenken, „sondern er ist auch Mensch. Und ich hab auch in der eigenen Familie sowas Ähnliches miterlebt.“

„Sie sind der Sohn von Max Streibl“, sekundiert Will, „der Ministerpräsident war und über die sogenannte Amigo-Affäre zurücktreten musste.“

„Als Politiker ist man gewohnt, politisch angegriffen zu werden“, erläutert der Fraktionschef. „Wenn man aber als Mensch angegriffen wird: Es gibt kaum einen Politiker, der dann korrekt reagiert. Es steht dann ja auch eine Familie dahinter.“

Emotionalste Erinnerung

„Dass der Bruder in die Öffentlichkeit kommt, indem er sich outet, das zieht ja Kreise“, schildert Streibl dann sichtlich angefasst. „Was das mit einer Familie macht, wenn tagtäglich im Halbstundentakt in den Nachrichten kommt, was da alles Böses war!“

„Wenn man den Fernseher anmacht, kommt’s wieder. Wenn man die Zeitung liest, kommt’s wieder“, beschreibt der Fraktionschef die selbst erlittenen Gefühle, „das macht eine Familie fertig. In dieser Situation reagiert keiner mehr so klar, dass er sagt: Ich analysiere das jetzt.“ Und: „Auch die Leute sehen das als eine Kampagne!“

Gretchenfrage des Abends

Der SZ-Chefreporter hat Aiwanger viele Male begleitet. „Halten Sie ihn für einen Antisemiten?“, will die Talkmasterin nun von ihm wissen.

Deininger zögert keine Sekunde: „Nein, das tue ich nicht“, antwortet er. „Der Politiker Hubert Aiwanger ist nie mit Antisemitismus aufgefallen.“

Autor Roman Deininger hat Bücher über die CSU und Markus Söder geschrieben

Autor Roman Deininger hat Bücher ��ber die CSU und Markus Söder geschrieben

Foto: ARD

Grundsätzlichste Befürchtung

Er habe den FW-Chef „oft für seine Entgleisungen entschuldigt“, fügt der Journalist hinzu, „weil er mit sehr vielen Ressentiments konfrontiert wird, weil er mehr Kälber auf die Welt gebracht hat, als andere Menschen Nägel in die Wand geschlagen haben. Ich fand es immer unfair, was dem so an Vorurteilen entgegenschlägt.“

Aber, so Deininger weiter: „Wenn man jetzt sagt, der Hubert Aiwanger meint das nicht so, da müssen wir nicht so genau sein, dann normalisieren wir Dinge, die wir nicht normalisieren sollten in diesem Land.“

Verklausulierteste Entschuldigung

Zu der dünnen Faktenlage bei der ersten Veröffentlichung der Vorwürfe gegen Aiwanger sagt der SZ-Chefreporter im Stil eines Verlagsjuristen: „Die presserechtlichen Voraussetzungen für die sogenannte Verdachtsberichterstattung, die einfach ein legitimes Mittel des Journalismus ist, waren erfüllt.“

An einer Stelle aber wolle er „auch wirklich Demut zeigen“, kündigt Deininger dann an, schiebt noch ein dickes Eigenlob vor und gibt endlich notgedrungen ein Stückchen Kampagne zu: „Wir haben in einem von vielen Artikeln, aber in einem prominenten am Anfang, in der Tonalität danebengelegen. Dafür müssen wir Kritik aushalten. Das tun wir.“ Halleluja!

Windigste Argumentation

„Der exakte Beweis für das Verfassen des Pamphlets fehlt“, räumt der SZ-Mann danach gestenreich ein, „da kam dann diese Bruder-Theorie, aber die SZ hat ja nachgewiesen, dass das Ganze auf einer Schreibmaschine wahrscheinlich verfasst worden sein muss, die im Haushalt Aiwanger stand.“

Deiningers achselzuckende Bewertung: „Es war ja ein Verdacht, der da geäußert wurde. Es war ja nicht ‚Hubert Aiwanger hat‘, sondern ‚sehr wahrscheinlich hat er das getan‘. Das bleibt offen, aber es nimmt ja nichts davon weg, von den Dingen, die jetzt diskussionsbedürftig und erklärungsbedürftig sind.“ Hund sans scho…

Unfreiwilligste Komik

Streibl will die faule Ausrede nicht akzeptieren: „Es gab ja Medien, die die gleichen Informationen hatten und die nichts geschrieben haben“, stellt er trocken fest.

Deininger merkt, dass sich der Teppich unter seinen Füßen bewegt, und schlägt eilig Pflöcke ein: „Die dann aber eingestiegen sind und die Recherche bestätigt haben!“, wehrt er ab.

Doch Streibl lässt sich nicht beirren: „Sie haben den ersten Stein geworfen, und dann haben die anderen nachgelegt“, stellt er cool fest. Deiningers verräterische Antwort: „Wir haben keinen Stein geworfen. Journalisten sind nicht auf der Jagd, die sind bei der Arbeit.“ Horrido joho!

Zitat des Abends

Anne Will:

Ich verehre die Süddeutsche Zeitung!

Fazit

Kraftvolle Griffe in rostige Trickkisten, dicke Portionen Pseudo-Empörung, die falschen Gamsbärte wurden gnadenlos rasiert: Das war eine Talkshow der Kategorie „Quarksoufflé“.

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