Trotz niedrigem Gehalt und Rückenschmerzen: »Warum Erzieherin für mich der beste Beruf der Welt ist

Trotz niedrigem Gehalt und Rückenschmerzen: »Warum Erzieherin für mich der beste Beruf der Welt ist

Nathalie könnte mit ihrem Studienabschluss locker einen gut bezahlten Job ergattern, aber sie bleibt dabei: Erzieherin zu sein ist viel besser, als Geld zu verdienen (Symbolbild)

Foto: E/Getty Images
Von: Von Jenifer Girke

„Ich kann von den Kindern so viel lernen“, schwärmt Nathalie auch noch nach sieben Jahren in ihrem Traumjob. 

Nathalie (33) verdient nicht gut, ihr Rücken tut ständig weh, ihre Stimme ist stark belastet – dennoch würde die Erzieherin nie einen anderen Beruf ausüben wollen. Und das, obwohl sie studiert hat und ganz einfach wechseln könnte. Das muss wahre Leidenschaft sein!

Erzieherinnen spielen ja nur mit den Kindern, streiken ständig und haben keinen hohen Bildungsgrad. So ein verbreitetes Klischee. 

Wie falsch dieses Bild ist, verrät uns die Erzieherin Nathalie, die schon sieben Jahre lang in derselben Kindertagesstätte in Halle arbeitet. Und das, obwohl sie ganz andere Pläne hatte: Die 33-Jährige hat nach ihrem Abitur Rehabilationspädagogik studiert. Als sie vor ihrem Master-Studium zwei Jahre Wartezeit hatte, suchte sie eine sinnvolle Tätigkeit.

Nathalie entschied sich für eine Ausbildung zur Erzieherin und wusste sofort: „Das, und nur das, will ich machen!“

Eindrucksvoll erzählt uns die junge Frau, wie der Erzieher-Beruf wirklich ist und warum sie sich sofort wieder dafür entscheiden würde.

Kinder sind ein Abenteuer

BILD: Was macht deinen Arbeitsalltag so besonders?

Nathalie: „Es ist immer spannend, es macht mich immer glücklich und selbst wenn ich mit hängenden Mundwinkel hier reingehe, dauert es keine 45 Minuten und ich lächle wieder.“

Was magst du am meisten an deinem Job?

Nathalie: „Diesen einen Moment, wenn dir ein Kind von sich aus seine Freundschaft offenbart. Auf einmal nimmt es deine Hand oder lehnt sich an deine Schulter oder will auf deinen Schoß. Dann weißt du: Wow, jetzt hat es mich adaptiert, jetzt vertraut es mir.

Da hüpft immer wieder mein Herz, weil du diese Freundschaft auch nie wieder verlieren wirst.“

Was magst du am wenigsten an deinem Job?

Nathalie: „Dass Allerschlimmste sind die Auswirkungen unserer Arbeitsbedingungen, besonders unseres Betreuungsschlüssels.

Denn das heißt, dass wir von jemandem, der die Kinder intensiv begleitet und sich auch um Einzelfälle in besonderer Weise kümmern kann, nur noch zu Aufpassern werden.“

Wie sieht denn der Betreuungsschlüssel aus?

Nathalie: „Laut dem Schlüssel kommen im Krippenbereich (6 bis 2,5 Jahre) 5,5 Kinder auf eine Erzieherin. Momentan sind wir unterbesetzt, das heißt, wir müssen uns manchmal zu zweit oder zu dritt um 25 Kinder kümmern, die alle unsere volle Aufmerksamkeit möchten und verdienen.

Und das ärgert mich richtig, wenn ich nach Hause gehe und weiß, dass ich zwar für die Kinder da war und ihre Bedürfnisse gestillt habe, aber ich konnte ihnen eben nichts darüber hinaus schenken.“

Ein Job fürs Leben

Was gibt dir der Beruf zurück?

Nathalie: „Zum einen ist es diese bedingungslose Zuneigung der Kinder; zum anderen sind es die vielen, vielen Erfolge, die man erlebt. Das ist wirklich ein Beruf, bei dem man Tag für Tag für das belohnt wird, was man tut, und zwar von den Kindern.

Auf einmal können sie selbst die Schuhe zubinden oder essen, ohne dass alles in der Gegend herumfliegt. Es kommen sogar die Eltern und erzählen mir: ‚Gestern waren wir im Restaurant und waren zuerst etwas ängstlich, wie das wird, aber es hat plötzlich total gut geklappt und das hat unser Kind alles hier gelernt.‘“

Wie erlebst du die Arbeit mit den Kindern?

Nathalie: „Für mich ist das jeden Tag eine neue Reise, voller Überraschungen und Abenteuer.

Ich kann zwar einen Vorschlag machen, aber was die Kinder dann daraus machen oder wie sie es gestalten, ist immer wieder neu und total faszinierend.“

Kinder zeigen Nathalie, dass es völlig okay ist, zu sagen, was man gerade braucht: „Das hat mir sogar in meiner Partnerschaft sehr geholfen.“ (Symbolbild)

Kinder zeigen Nathalie, dass es völlig okay ist, zu sagen, was man gerade braucht: „Das hat mir sogar in meiner Partnerschaft sehr geholfen.“ (Symbolbild)

Foto: OJO/Getty Images

Was kannst du von den Kindern lernen?

Nathalie: „Was ich durch die Kinder gelernt habe, ist, mit meinen Mitmenschen ehrlicher zu sein. Bei Kindern kann man weder Sarkasmus noch Unehrlichkeit anwenden, weil sie das einfach nicht nachvollziehen können.

Aber wenn das auch Erwachsene mehr berücksichtigen würden, würden wir alle viel besser miteinander umgehen.

Und die Kinder zeigen mir, dass es völlig okay ist, seine Gefühle zu zeigen und zu sagen, was die eigenen Bedürfnisse sind.

Ich wünschte mir echt, dass auch Erwachsene so mit mir umgehen könnten, weil man dann einfach direkter kommunizieren würde.“

Welches Erlebnis wirst du niemals vergessen aus deinem Arbeitsalltag?

Nathalie: „Da gibt es einige! Ich habe mal einen Jungen aus der Ukraine betreut, der sehr übergewichtig war. Er wollte nie raus mit in den Garten gehen und es hat sehr lange gedauert, bis wir ihn soweit hatten, dass er sich draußen auf eine Decke gesetzt hat. Wir haben ihn einfach in Ruhe dort sitzen gelassen, während andere Kinder gespielt haben oder im Planschbecken waren. Irgendwann ist er aufgestanden und herumgelaufen, da hat er einen Himbeerstrauch entdeckt, hat seine Arme hinter dem Rücken verschränkt und an den Beeren geschnuppert.

Nach kurzer Zeit schnappte er sich eine Beere mit dem Mund einfach so weg, wie ein kleiner Dinosaurier, und sein Gesicht fing plötzlich an zu leuchten. Das war so süß! Seitdem wollte er immer wieder in den Garten und war dort gar nicht mehr wegzukriegen.“ 

Die Kehrseite

Hast du auch immer Rückenschmerzen?

Nathalie: „Ja, das habe ich. Ich bin nur 1,50 Meter groß, was eigentlich für den Beruf spricht, aber nach fünf oder sechs Jahren habe ich auch ständige Beschwerden bekommen.

Aber das kommt eben daher, dass die Möbel so extrem niedrig sind und man Bewegungen macht, die man normalerweise nicht tun würde.

Das zweite ist die Stimme, was viele unterschätzen.

Wir reden nun mal den ganzen Tag und bei 25 Kindern muss man auch öfter mal lauter reden.“

Gibt es Klischees über Erzieher, die absolut nicht stimmen?

Nathalie: „Was mich sehr ärgert, ist diese Umschreibung, dass wir ja nur rumsitzen und ein bisschen mit den Kindern spielen müssen. Das stimmt sowieso nicht. Und dann vergisst man auch immer, dass wir zusätzliche Arbeiten erledigen müssen, die nicht in die reguläre Betreuungszeit fallen.

Wir schreiben Entwicklungsberichte und die Portfolios der Kinder, bei denen wir für jedes einzelne Kind Details und wichtige Informationen protokollieren. Das ist sehr wichtig für die Entwicklungsgespräche mit den Eltern.“

Hast du das Gefühl, Eltern schieben die Erziehung zu sehr in eure Richtung?

Nathalie: „Eigentlich nicht, zumindest nicht im Krippenalter. Da herrscht eine sehr enge Kooperation zwischen uns und den Eltern.

Aber wir erleben schon, dass sich manche Eltern nach drei Jahren dann doch sehr stark wieder auf die Karriere konzentrieren wollen und die Betreuungszeit immer weiter erhöht wird, bis die Kinder 40 bis 50 Stunden in der Woche bei uns sind.“ 

Wo siehst du Defizite im Job oder der Ausbildung?

Nathalie: „Ich würde mir wünschen, dass die Ausbildung universitärer ist, damit angehende Erzieher lernen, sich Wissen besser anzueignen und auch zu recherchieren.

Wir brauchen für den Beruf auch mehr pädagogisches und psychologisches Know-how, um Verhaltensweisen von Kindern einfach besser einschätzen und damit umgehen zu können.“

„Wir sind einfach alles für die Kinder: bester Freund, Kummerkasten, Ansprechpartner bei jedem Wehwehchen“, schwärmt Nathalie über ihren Erzieherberuf (Symbolbild)

„Wir sind einfach alles für die Kinder: bester Freund, Kummerkasten, Ansprechpartner bei jedem Wehwehchen“, schwärmt Nathalie über ihren Erzieherberuf (Symbolbild)

Foto: E/Getty Images

Nicht jedermanns Sache

Wer kann Erzieher werden und wer sollte die Finger davon lassen?

Nathalie: „Ich warne immer, dass man, wenn man diese Ausbildung anstrebt, damit kein Geld verdienen kann.

Ich würde es denjenigen empfehlen, die andere gut einschätzen können und ein Gespür dafür haben, was Menschen brauchen. Man sollte auf jeden Fall ein gutes Selbstbewusstsein haben und kein Problem damit haben, Blicke auf sich zu ziehen, denn egal, wo man mit einer Gruppe Kindern hingeht, man steht immer im Fokus.

Wenn dann noch ein Kind rülpst und alle anderen machen mit, muss man da drüberstehen können. Ach ja, und man sollte sich gerne zum Clown machen!“

Warum ist Erzieherin der beste Beruf, den du dir hättest aussuchen können?

Nathalie: „Weil es ein Beruf ist, der mich in positiver Art an meine Grenzen bringt und ich dadurch selbst nach sieben Jahren immer noch neue Seiten an mir selbst kennenlerne.“

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