Für das Einfamilienhaus wird es eng

Knappe Flächenressourcen, Wohnraummangel, Nutzungskonflikte und hohe Grundstückspreise: Aus einer Vielzahl von Gründen wird das einstige Ideal vom frei stehenden Einfamilienhaus zunehmend hinterfragt. Für das individuelle Wohnen sind zukünftig kreative Lösungen nötig.

Auf den zehn erschlossenen Bauplätzen in der Hohenheimer Straße können Einfamilienhäuser entstehen. Die Stadt Backnang wartet mit dem Verkauf noch ab, bis die angrenzende Baustelle fertig ist und die Fragen um die Flüchtlingsunterkunft geklärt sind. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Auf den zehn erschlossenen Bauplätzen in der Hohenheimer Straße können Einfamilienhäuser entstehen. Die Stadt Backnang wartet mit dem Verkauf noch ab, bis die angrenzende Baustelle fertig ist und die Fragen um die Flüchtlingsunterkunft geklärt sind. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Rems-Murr. „Wir wollen dieses Spiel Einfamilienhaus gegen andere Wohnformen gar nicht so sehr mitspielen“, erklärt Tobias Großmann, Leiter des Backnanger Stadtplanungsamts. Die Rede ist von der zunehmend häufig vorgebrachten Frage, ob das frei stehende Einfamilienhaus in Anbetracht von Wohnraummangel, knappen Bauflächen und anderen Faktoren wie Naturschutz und Landwirtschaft eine Ressourcenverschwendung darstellt und damit ein Auslaufmodell ist.

Diese Darstellung hält Großmann für zu einfach, obwohl auch er betont, dass die Vergabepraxis der Vergangenheit so nicht fortgeschrieben werden könne. Das Einfamilienhaus als solches will er aber nicht pauschal verteufeln: „Unsere Überlegungen erfolgen immer mit der Maßgabe, dass individuelles Wohnen auch zukünftig möglich ist, aber es braucht dafür intelligente Lösungen.“ Aspekte wie barrierefreies Wohnen im Alter und kurze Wege zur Nahversorgung seien bei Wohngebieten mit der Stangenware Fertighaus zu kurz gekommen. In den vergangenen fünf Jahren sei auch deshalb in Backnang der klare Trend erkennbar, dass Menschen über 50 aus ihren Einfamilienhäusern in innenstadtnahe barrierefreie Wohnungen umziehen.

Nutzungskonflikt um Flächenressourcen

Der Druck auf das Modell Einfamilienhaus wächst vor allem deshalb, weil um die verfügbaren Flächen Nutzungskonflikte herrschen. „Die knappen Flächen bei hoher Nachfrage nach Wohnraum sowie die massiv gestiegenen Bodenpreise machen wirtschaftlichere und damit dichtere Wohnformen notwendig“, erklärt Großmann. Dazu kämen Nutzungskonkurrenzen um hochwertige Böden sowie die naturschutzfachlichen Anforderungen, die gestiegen seien. „Dafür gibt es auch gute Gründe, denn Streuobstwiesen, Frischluftschneisen und wertvolle Ackerböden bedeuten für uns Zukunftssicherheit.“ Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt den Stadtplaner zu der Annahme, dass die Zukunft des Einfamilienhauses vor allem in frei werdenden Einfamilienhäusern in Bestandsgebieten liegt.

Potenziale zur Schaffung von Neubaugebieten mit Einzelhausbebauung gebe es dennoch, sogar im Stadtbereich, sagt Großmann. In der Hohenheimer Straße stehen beispielsweise zehn erschlossene Bauplätze bereit. Mit dem Verkauf der Grundstücke wartet die Stadt allerdings noch, bis der Neubau der angrenzenden Waldorfschule abgeschlossen ist und die Fragen um die Flüchtlingsunterkunft nebenan geklärt sind. Auch auf der Schöntaler Höhe seien Einfamilienhäuser denkbar, sagt Großmann. „Dafür wollen wir aber Haustypen mit flexiblen Wohnformen, bei denen das altersgerechte Wohnen mitgedacht wird.“

Im Flächennutzungsplan der vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft, der neben Backnang auch die Gemeinden Allmersbach im Tal, Althütte, Aspach, Auenwald, Burgstetten, Kirchberg an der Murr, Oppenweiler und Weissach im Tal angehören, sind sowohl Wohnbauflächen ausgewiesen als auch Areale, die perspektivisch als solche infrage kommen. Zu letzteren zählen nicht nur die besagten Flächen auf der Schöntaler Höhe, sondern beispielsweise auch ein größeres Areal nördlich und östlich von Maubach sowie eine Fläche entlang der Hauptstraße zwischen Allmersbach im Tal und dem Ortsteil Heutensbach.

Die Nachfrage ist gesunken – vorerst

Patrizia Rall, Bürgermeisterin von Allmersbach, hat zu der Thematik einen klaren Standpunkt: „In Allmersbach sehen wir Baugebiete für reine Einfamilienhäuser, wie noch vor einigen Jahren üblich und praktiziert, nicht mehr als zeitgemäß. Wir sind der Ansicht, dass dies mit dem schonenden und sensiblen Umgang mit der Ressource Natur und Landschaft nicht einhergeht.“ Zwar gebe es derzeit ohnehin keine konkreten Planungen für Baugebiete, doch würde bei solchen zukünftig verstärkt der Schwerpunkt auf Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser und neue Wohnformen gelegt. Allerdings habe sich auch die Nachfrage gewandelt: „Bis im letzten Jahr war die Anfrage nach Bauplätzen für Einfamilienhäuser bei uns sehr hoch. In der Zwischenzeit ist die Nachfrage stark zurückgegangen.“

Ähnliches weiß der Bürgermeister der Gemeinde Althütte Reinhold Sczuka zu berichten: Die Nachfrage habe in Althütte gegenüber der bis vor zwei Jahren boomenden Entwicklung eine Delle bekommen. Der Wohnraummangel als solcher ist aber dennoch spürbar. „Fakt ist: Wohnraum ist zu wenig vorhanden und müsste hergestellt werden“, stellt Sczuka fest. Als Hemmschuh erwiesen sich hier nicht nur die gestiegenen Baupreise und die Zinsentwicklung, sondern auch die Vorgaben der Landesplanung, welche das Ausweisen größerer Baugebiete in seiner Gemeinde verhinderten.

Zwar sei der Wunsch nach Einfamilienhäusern prinzipiell ungebrochen, „hinzugekommen sind aber Anfragen nach kleineren Bauplätzen oder sogenannten Tiny-Häusern. Auch der Geschosswohnungsbau ist im Gegensatz zu früher von vielen gefragt.“

Es wird immer schwieriger, Bauland auszuweisen

Freie Bauplätze gibt es hingegen im Murrhardter Teilort Siegelsberg. „Vor zehn bis 15 Jahren war die Nachfrage nach Bauland in Murrhardt kaum vorhanden, der Verkauf von Bauplätzen stockte“, berichtet Bürgermeister Armin Mößner. Die Nachfrage sei demgegenüber zuletzt gestiegen, doch werde es immer schwieriger, Bauland auszuweisen. „Das gilt nicht nur für Einfamilienhäuser, sondern auch für Mehrfamilienhäuser.“

Während also einerseits ein Mangel an Wohnraum offenkundig ist, stellt sich andererseits die Frage, ob dies überhaupt mit einer hohen Nachfrage nach Bauplätzen für Einfamilienhäuser einhergeht. Die Verfügbarkeit solcher Bauplätze sei aktuell schwierig zu benennen, weil das vorherrschende Thema ein ganz anderes sei, erklärt Jürgen Beerkircher, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Backnang. „Wir hatten über Jahre einen Boom durch die extrem niedrigen Zinsen, aber aufgrund von Entwicklungen wie den gestiegenen Baukosten, dem Zinsanstieg und der Inflation hat sich das geändert. Wir beobachten aktuell eine Konzentration auf Bestandsimmobilien.“ Wer sich den Hausbau leisten könne und wolle, finde tendenziell auch einen Bauplatz, glaubt Beerkircher. „Das Problem liegt woanders.“ Für einen Abgesang auf das Modell Einfamilienhaus ist Beerkircher daher nicht bereit. „Das Einfamilienhaus ist auf dem Land immer noch gewünscht und mittelfristig wird das auch wieder anziehen. Und zu einem städtischen Mix gehören Einfamilienhäuser auch immer dazu.“

Priorität hat Schaffung von Wohnraum

Wichtig sei vor allem, dass überhaupt gebaut werde, fährt der Vorstandsvorsitzende fort. „Der Bedarf ist da!“ Dazu gehöre der entsprechende politische Wille, indem etwa Bürokratie und strukturelle Hürden abgebaut und die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessert würden, beispielsweise durch eine Senkung der Grunderwerbssteuer oder günstigere Abschreibungsmodelle. Mit Blick auf den Wohnraummangel sei aber auch zu bedenken: Den größten Effekt erziele man durch Neubaugebiete, nicht durch Nachverdichtung – ein Umstand, der nicht zwingend mit dem Bau von Einfamilienhäusern einhergehen muss.

„Aktuell ist zu erkennen, dass der Flächenverbrauch für Bauvorhaben gut überlegt sein muss und im Hinblick auf die fehlenden Wohnungen der Vorzug den Geschosswohnungsbauten gilt“, heißt es dazu von der Kreisbaugruppe in Waiblingen, in welcher der Rems-Murr-Kreis als Hauptgesellschafter engagiert ist. „Somit kann dem Wunsch nach einem Einfamilienhaus immer seltener Rechnung getragen werden.“

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Erstellt:
22. September 2023, 06:00 Uhr

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