Ausgabe Mai 2018

Zwei Völker – zwei Staaten: Die israelische Überlebensfrage

Am 14. Mai dieses Jahres begeht der Staat Israel seinen 70. Geburtstag. Und selten in seiner jüngeren Vergangenheit war die Lage so angespannt – in seiner näheren Umgebung, aber auch im Inneren des Landes. Mit dem Syrien-Krieg, an dem auch alle regionalen Großakteure beteiligt sind, spitzt sich der Konflikt zwischen Israel und dem Iran massiv zu. Gleichzeitig wird das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern anscheinend immer aussichts- und hoffnungsloser. So hat der „Marsch der Rückkehr“ gegen den israelischen Grenzzaun bereits zu zahlreichen Toten auf palästinensischer Seite geführt. Von immer mehr Akteuren wird das Konzept der Zweistaatenregelung daher mittlerweile für tot erklärt. Und dies nicht nur von Personen wie dem neuen US-Sicherheitsberater John Bolton, der schon immer dagegen war, sondern auch von langjährigen Befürwortern des Konzepts.

Die Idee der Aufteilung des britischen Mandatsgebietes Palästina zwischen Juden und Arabern, zwischen Israelis und Palästinensern, hat eine lange Geschichte. Sie reicht vom Vorschlag der Peel-Kommission 1937 über den Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 bis zu den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats aus den Jahren 2002 und 2016 und der Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002.[1] Die Akteure des Konflikts vermochten es aber bis heute nicht, sich darauf zu einigen. Im Gegenteil: Die fortgesetzte israelische Besatzung seit 1967 und der Abbruch der Verhandlungen führten dazu, dass sich die Realität immer weiter von diesem Konzept entfernt hat. Seit Jahren mehren sich deshalb diejenigen Stimmen, die die Zweistaatenregelung für den israelisch-palästinensischen Konflikt für nicht mehr realisierbar halten oder gar für mausetot. Das Eintreten dafür wird zunehmend als illusorisch, rückständig, phantasielos und überkommen charakterisiert.

Anfang dieses Jahres erschienen nun auch noch die Ergebnisse einer Umfrage, die ein israelisches und ein palästinensisches Forschungsinstitut durchgeführt hatten. Danach unterstützen erstmalig weniger als 50 Prozent der jüdischen Israelis und der Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen eine Zweistaatenregelung.[2] Immer mehr schrumpft die Zahl derjenigen, die davon überzeugt sind, dass auch heute noch ein israelischer Rückzug und ein Ende der Besatzung möglich ist – und somit auch die Lebensfähigkeit eines palästinensischen Staates.[3]

Tatsächlich sprechen die „facts on the ground“ eine schwer zu widerlegende Sprache: Heute gibt es etwa 400 000 bis 600 000 jüdische Siedler auf palästinensischem Gebiet – je nachdem, ob man die Siedlungen um Jerusalem mitzählt oder nicht. Mit ihren Häusern und der sie begleitenden Infrastruktur von Straßen, Bebauungsplänen und Dienstleistungen wurden Fakten geschaffen, wurden Landnahmen „erfolgreich“ vollzogen.

Zudem wird der politische Wille zur Durchsetzung der Zweistaatenlösung bezweifelt. In der Tat ist die Mehrheit im israelischen Kabinett dagegen. Ja, mehr noch: Der Likud und die Partei Jüdisches Heim fordern die Annexion der von Israel kontrollierten C-Gebiete in der Westbank. Die beiden großen Oppositionsparteien Zionistische Union und Yesh Atid treten, wenn überhaupt, nur halbherzig für die Zweistaatenregelung ein. Nur die schwache Meretz-Partei und die mehrheitlich von palästinensischen Bürgern Israels gewählte Joint List fordern noch explizit das Ende der israelischen Besatzung und die Umsetzung der Zweistaatenregelung.

Auch die palästinensische Führung lässt Zweifel an ihrem Willen zur Zweistaatenlösung aufkommen. In einer Rede, die der palästinensische Präsident Mahmud Abbas Anfang Januar 2018 vor dem Zentralkomitee der PLO hielt, bezeichnete er den Staat Israel als ein Resultat des europäischen Kolonialismus und bestritt seine organische Beziehung zur jüdischen Geschichte. Präsident Abbas verfügt zudem über keine formale Legitimität mehr, da seine offizielle Amtszeit längst abgelaufen ist. Auch seine eigene, persönliche Legitimation befindet sich in den Augen der palästinensischen Bevölkerung auf einem Tiefpunkt – aufgrund der ungeregelten Nachfolge, des autoritären Regierungsverhaltens, von Korruptionsvorwürfen und der fortgesetzten Sicherheitszusammenarbeit mit Israel. Dazu kommt die Spaltung der palästinensischen Seite in den von der Hamas beherrschten Gazastreifen und die von der Fatah beherrschte Westbank. Bislang sind noch alle Bemühungen zur Überwindung dieser Spaltung gescheitert. Das liegt nicht zuletzt an der veränderten Lage in der Region, die den Palästinensern massiv geschadet hat.

Der Palästina-Konflikt: Vom Zentrum an die Peripherie

War der israelisch-palästinensische Konflikt lange der entscheidende ideologische wie geopolitische Konflikt der gesamten Region gewesen, hat er für die arabischen Staaten heute nicht mehr die gleiche zentrale Bedeutung wie früher. Sie selbst versinken entweder in Gewalt und Chaos (Syrien, Jemen, Libyen, Irak), sind zu unbedeutend oder schwach (Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien, Algerien) oder sehen den Hauptfeind im Iran und sind vor diesem Hintergrund zur Kooperation mit Israel bereit (Saudi-Arabien, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate).

Zudem fehlen Initiativen und der erforderliche Druck von außen auf die Konfliktparteien. Die US-Administration, ohnehin nie ein ganz neutraler Verhandlungspartner, ist mit eigenen bzw. mit anderen Problemen beschäftigt. Sie äußert sich widersprüchlich oder unterstützt bedingungslos die israelische Regierung.[4] Die Europäische Union schließlich ist ebenfalls mit sich bzw. mit anderen drängenden internationalen Problemen beschäftigt. Außerdem nimmt innerhalb der EU die Polarisierung im Blick auf die Bewertung israelischer Politik zu. Rechtsnationalistische und populistische Regierungen wie in Polen und Ungarn finden in der vorherrschenden Mischung aus Nationalismus, Populismus, Demokratiefeindlichkeit und Islamophobie zunehmend Übereinstimmung mit der israelischen Regierung. Demgegenüber schrumpft die Unterstützung der Palästinenser und damit auch der Zweistaatenlösung. Was aber wären bei alledem die Alternativen?

Ein Staat, aber keine Lösung

Zum einen gibt es die Forderung nach der Einstaatenregelung – ein Staat mit gleichen Rechten für alle in ihm lebenden Bewohner. Das Konzept knüpft an die Position der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) an, die bis in die 1970er Jahre einen demokratisch-säkularen Staat gefordert hat, in dem Muslime, Christen und Juden friedlich zusammenleben. Eine Variante dieser Position vertritt heute die Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ (BDS), die 1995 von zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Westbank und dem Gazastreifen ins Leben gerufen wurde. Sie fordert ein Ende der israelischen Besatzung, völlige Rechtsgleichheit für die in Israel lebenden Palästinenser und das Rückkehrrecht für vertriebene oder geflohene Palästinenser. Israel soll so lange boykottiert und mit Sanktionen belegt werden, bis diese Forderungen umgesetzt sind. In welcher staatlichen Struktur diese Forderungen umgesetzt werden sollen, wird dabei bewusst offengelassen. Während in Israel diese Konzepte nur von Splittergruppen linker jüdischer Israelis unterstützt werden, gibt es auf der politischen Rechten durchaus vereinzelt Überlegungen zu einem Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem Staat. Allerdings sehen sie keine völlige Rechtsgleichheit vor.

Von denjenigen, die sich für eine Einstaatenregelung mit gleichen Rechten für alle einsetzen, wird allerdings oft ignoriert oder bestritten, dass sich Juden nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch als Nation verstehen.

Die ganz überwiegende Mehrheit der jüdischen Israelis begreift sich als Zionisten. Sie wollen in einem mehrheitlich jüdischen Staat leben, der allen Juden offensteht, die ebenfalls dort leben wollen. Nach den jahrhundertelangen Verfolgungen in der jüdischen Geschichte, die in der millionenfachen Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden im Holocaust gipfelte, gibt es keinen Anlass anzunehmen, diese historisch begründete Haltung werde sich auf absehbare Zeit ändern. Auch die Lage von Minderheiten in den Staaten des Nahen Ostens ist für die Mehrheit der jüdischen Israelis ein Grund für die Ablehnung einer staatlichen Struktur, in der sie auf absehbare Zeit in der Minderheit sein würden.

Die Vertreter des Einstaatenkonzepts können daher – jenseits voluntaristischer Absichtsbekundungen – nicht erklären, warum die von ihnen präferierte Regelung eine größere Aussicht auf Verwirklichung haben sollte als eine Zweistaatenregelung. Die PLO hat sich daher in ihrer Entwicklung mit guten Gründen von dem Konzept des demokratisch-säkularen Staates verabschiedet, weil sie es für nicht durchsetzbar hielt.

Alle Konzepte, die die aktuelle Struktur des Staates Israel in Frage stellen, sind somit nicht dazu geeignet, die verhärteten Fronten aufzuweichen. Sie sind deshalb keine tauglichen Modelle für ein konfliktfreieres Zusammenleben beider Völker.[5] Und die Einstaatenkonzepte auf der politischen Rechten in Israel sind es ebenso wenig, schon weil sie den Gazastreifen und die dort lebende palästinensische Bevölkerung meist nicht mit einbeziehen.

Daneben wurden in den vergangenen Jahren von israelischen und palästinensischen Friedenskräften verschiedene Modelle entwickelt, die entweder eine Konföderation der Staaten Israel und Palästina oder von Israel, Palästina und Jordanien anstreben – oder aber eine gemeinsame Heimat auf der Grundlage von zwei Staaten. Diese verschiedenen Modelle können durchaus wichtige Hinweise für eine künftige notwendige Kooperation der Staaten Israel und Palästina liefern. Hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit stehen sie jedoch vor den gleichen Problemen wie das Zweistaatenkonzept, weil sie alle mehr oder weniger darauf aufbauen. Auch sie sind somit keine wirkliche, realisierbare Alternative zur Zweistaatenlösung.

Die binationale Vision

Gleiches gilt für die Vision eines binationalen Staates. Bereits 2012 hat Micha Brumlik die These aufgestellt, das die Politik der israelischen Rechten vielleicht ganz entgegen ihrem Ziel das wahr werden lassen könnte, „was Martin Buber für das einzig Humane und Vernünftige in Israel/Palästina hielt: einen binationalen Staat“.[6] Er erklärt dort allerdings mit keinem Wort, wieso es realistischer sein soll, die Voraussetzungen für einen binationalen Staat zu schaffen, als die Voraussetzungen für eine Zweistaatenregelung. Für einen binationalen Staat müsste nämlich ebenso wie für die Zweistaatenregelung nicht nur ein Ende der israelischen Besatzung erreicht werden. Darüber hinaus müssten die israelische Politik und Gesellschaft auch noch mehrheitlich bereit dafür sein, die Raison d‘être des Staates Israel als garantiertem Zufluchtsort für verfolgte Juden aufzugeben. Das soll realistischer sein, realpolitisch tauglicher als die Zweistaatenregelung? Das also soll der Plan B sein, weil es an der Zeit ist, „dass die Freunde Israels endlich aus dem leerlaufenden Traum der Zweistaatenlösung erwachen“?

Nein, dafür spricht nicht allzu viel. Der palästinensische Parlamentarier Marwan Barghuthi, der in Israel wegen Unterstützung von Terroraktionen verurteilt und inhaftiert ist, hat dagegen die wahrscheinlicheren Alternativen wie folgt beschrieben: „Wenn die Zweistaatenregelung misslingt, wird der Ersatz nicht die Lösung eines binationalen Staates sein, sondern ein anhaltender Konflikt, der sich auf der Grundlage einer existentiellen Krise ausweitet – ein Konflikt, der keinen Kompromiss kennt.“[7]

Angesichts dieser ziemlich realistischen Drohkulisse befürworten denn auch nach wie vor die Vereinten Nationen, die Europäische Union, Russland, China, die Arabische Liga und die PLO das Zweistaatenkonzept. Doch ist das angesichts der real existierenden Hindernisse bloß „eine Übung in geistiger Faulheit“, wie Roger Cohen in der „New York Times“ schrieb?[8]

Tatsächlich haben diejenigen ein Glaubwürdigkeitsproblem, die noch immer für die Zweistaatenregelung eintreten – angesichts der völlig offenen Frage, wer mit wem wann und unter welcher Schirmherrschaft erneut Verhandlungen aufnehmen wird.

Nur die Forderung nach zwei Staaten zu wiederholen, reicht nicht aus. Sie muss vielmehr mit neuem Nachdruck vertreten werden. Viele Palästinenser und kritische liberale und linke Israelis vertreten die Meinung, es werde sich nichts zum Positiven entwickeln können, solange die israelischen Entscheidungsträger und die israelische Gesellschaft nicht zu einer neuen Kosten-Nutzen-Rechnung veranlasst werden, was die Fortsetzung der israelischen Besatzung anbelangt. Oder anders ausgedrückt: Nur wenn die Besatzung teuer wird, wird sich etwas ändern.

Die Rolle der EU

Hier aber sind vor allem die Staaten der EU gefordert. Die EU ist der größte Handelspartner Israels und der größte finanzielle Unterstützer beider Konfliktparteien. Sie muss viel intensiver und konsequenter als bisher mit positiven und negativen Anreizen arbeiten sowie konsequenter und umfassender als bisher eine Politik umsetzen, die klar differenziert – zwischen dem Kernland Israels in den Grenzen von vor 1967 und den seither besetzten Gebieten. Das forderte zuletzt die Resolution 2234 des UN-Sicherheitsrats.[9] Konkrete Vorschläge dazu sind längst ausgearbeitet.[10] Es fehlt allerdings bis heute an der Umsetzung.

Auf die palästinensische Seite muss die EU vor allem Druck machen, um die Spaltung zwischen Fatah und Hamas zu überwinden. Wenn die EU dies alles tut, wird ihr gewiss wie schon bisher in vergleichbaren Fällen von der israelischen Regierung „ökonomischer Terrorismus“, Delegitimierung Israels und Antisemitismus vorgeworfen werden. Und von der palästinensischen Regierung wird der Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten kommen. Diese Anwürfe muss die EU und müssen die Vertreter ihrer Staaten nicht nur selbstbewusst beantworten. Sie müssen sich auch viel stärker direkt an die israelische und die palästinensische Gesellschaft wenden. Es reicht nicht aus, in Brüssel in bürokratischer Sprache beiden Konfliktparteien für den Fall einer Friedensvereinbarung eine spezielle privilegierte Partnerschaft mit der EU anzubieten, wie zuletzt im Dezember 2013. Vertreter der EU müssen viel stärker den Diskurs innerhalb der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft und ihren Medien führen.

Die EU muss darüber hinaus ihre Politik und ihre diplomatischen Initiativen mit der in Israel ebenfalls noch vielfach unbekannten Friedensinitiative der Arabischen Liga verbinden.

Schließlich gehört das Thema der Sicherheitsgarantien in den Mittelpunkt der EU-Politik. Auch dazu liegen bereits ausgearbeitete Vorschläge vor, die nur endlich aufgegriffen werden müssen.[11] Spätestens an diesem Punkt wird klar werden, dass die Vorstellung illusorisch ist, die EU könne unabhängig von den USA die führende Rolle im Umgang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt übernehmen. Egal, was man von der aktuellen US-amerikanischen Politik hält oder wie man sie analysiert: Ohne integrale Beteiligung der USA wird der israelisch-palästinensische Konflikt nicht zu regeln sein.

Nur wenn der notwendige Druck einhergeht mit dem glaubwürdigen Eintreten für eine Zweistaatenregelung, kann verhindert werden, dass er in der israelischen oder palästinensischen Gesellschaft kontraproduktiv wirkt, sprich: die ohnehin bereits existierende Wagenburgmentalität weiter verstärkt. Der Druck muss daher so in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet werden, dass Israelis, vor allem jüdische Israelis, erkennen können, dass man ihnen ihren Staat nicht wegnehmen, sondern vielmehr seine Existenz festigen will. Palästinenser müssen erkennen können, dass die fortgesetzte Existenz des Staates Israel nicht die Fortsetzung eines entrechteten Lebens unter Besatzung bedeuten muss. Und schließlich müssen beide Seiten erkennen können, dass die Verwirklichung der eigenen Selbstbestimmung nicht auf Kosten der Verwirklichung der Selbstbestimmung der anderen Seite gehen muss und gehen darf.

Keine Chance ohne Zivilgesellschaft

Allerdings wird dafür Druck von außen alleine nicht reichen. Sowohl in der israelischen als auch in der palästinensischen Gesellschaft müssen diejenigen Kräfte unterstützt werden, die für eine Zweistaatenregelung eintreten, und diese müssen ihrerseits Druck von innen entwickeln.

Für die israelische Gesellschaft hat der Politologe Menachem Klein[12] von der Bar-Ilan-Universität auf folgenden wichtigen Aspekt hingewiesen: Die rechtsnationalistischen Kräfte in Israel hätten die richtige Diagnose, aber die falsche Therapie, die Friedenskräfte dagegen die falsche Diagnose, aber die richtige Therapie. Die Rechtsnationalisten behaupteten, es ginge bei dem Konflikt nur um die Akte 1948, also die Staatsgründung wie die Selbstbehauptung Israels, und folgerten daraus, dass ein Kompromiss nicht möglich sei. Die Friedenskräfte dagegen redeten vornehmlich von der Akte 1967 und leiteten daraus den Zweistaatenkompromiss und den Rückzug aus den besetzten Gebieten ab. Tatsächlich aber müssten, so Menachem Klein, sowohl die Akte 1948 als auch die Akte 1967 thematisiert werden, also jüdische Selbstbehauptung und das Ende der Besatzung. Die Akte 1948 müsse im Rahmen des Zweistaatenkonzepts geregelt werden. Schließlich stamme dieses nicht aus der Zeit nach 1967, sondern wurde in Form des Teilungsplans der Vereinten Nationen 1947 vorgelegt. So müsse dann erklärt werden, wie trotz 1948 auf der Grundlage von 1967 ein Kompromiss in Form einer Teilung des Landes und der Koexistenz zweier Staaten nicht nur möglich, sondern auch weniger risikoreich sei als die Fortsetzung der Besatzung.

Auch wenn die Lage in Israel und Palästina derzeit hoch verfahren und fast aussichtslos scheint, ist die Zweistaatenlösung nach wie vor das einzige realpolitische und die Geschichte beider Völker berücksichtigende Konzept, das dazu geeignet ist, einen einigermaßen fairen – wenn auch von vielen Israelis und Palästinensern nicht als gerecht empfundenen – Ausgleich der unterschiedlichen und gegensätzlichen Interessen zu gewährleisten. Gibt es eine Garantie, dass es dazu kommen wird? Nein! Aber alle anderen Konzepte sind entweder noch unrealistischer oder noch weniger dazu geeignet, die Bürger- und Menschenrechte der Betroffenen umzusetzen und zu sichern.

Bedeutet die Umsetzung der Zweistaatenregelung, dass friedliche Zeiten anbrechen und die Konflikte ein Ende haben? Nein! Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat zwischen einer Shakespeare-Lösung und einer Tschechow-Lösung der Nahost-Tragödie unterschieden. „Bei Shakespeare pflastern am Ende Tote die Bühne. Bei Tschechow sind alle enttäuscht, desillusioniert, melancholisch, erschöpft – aber lebendig. Mehr ist nicht möglich. Aber das ist sehr viel.“[13]

Vielleicht ist es dieses Bild, das der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, vor Augen hatte, als er im Dezember 2017 nach der Erklärung von US-Präsident Donald Trump zum Status Jerusalems erklärte: „In diesem Moment großer Anspannung möchte ich eines klarstellen: Es gibt keine Alternative zur Zweistaatenregelung. Da ist kein Plan B.“[14] Man wird sich daher mit Blick auf die Zweistaatenregelung an den berühmten Satz von Mark Twain erinnern müssen, den er 1897 an eine New Yorker Zeitung schrieb, nachdem diese aufgrund von Gerüchten einen Nachruf auf ihn veröffentlicht hatte: „Der Bericht über meinen Tod war eine starke Übertreibung.“

[1] Jörn Böhme und Christian Sterzing, Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts, Frankfurt a. M. 2018, S. 149 ff.

[2] Yael Marom, Support for two states drops below 50 % among Jewish Israelis & Palestinians alike, +972 Blog, 25.1.2018.

[3] Noam Sheizaf, The Israeli negotiator who thinks the two-state solution is still possible, +972 Blog, 27.3.2013.

[4] Riad Othman, Trump und Jerusalem: Die gefährliche Kraft des Faktischen, in: „Blätter“, 2/2018, S. 17-20.

[5] Jörn Böhme, Was bedeutet „Freundschaft mit Israel“?, in: „Alsharq“, 8.12.2017.

[6] Micha Brumlik, Plan B, in: „israel&palästina – Zeitschrift für Dialog“, 4/2012, S. 30-43.

[7] Adnan Abu Amer, Barghouti: Arab Peace Plan Damages Palestinian Cause, in: „Al-Monitor“, 28.5.2013.

[8] Roger Cohen, The One-State Two-State Blues, in: „The New York Times“, 17.2.2017.

[9] Resolution 2334 (2016), 7853. Sitzung des Sicherheitsrats, 23.12.2016, www.un.org.

[10] Hugh Lovatt, Occupation and Sovereignty: Renewing EU Policy in Israel-Palestine, www.ecfr.eu, 21.12.2017; Dossier: Alternative Approaches to the Israeli-Palestinian Conflict, in: „Alsharq”, 11.12.2017.

[11] Ilan Goldenberg, Major General (Res.) Gadi Shamni, Nimrod Novik und Colonel Kris Bauman, A Security System for the Two-State Solution, www.cnas.org (Center for a New American Security), 31.5.2016.

[13] „Ich lade die Toten zum Kaffee ein“ (Interview mit Amos Oz), in: „Welt am Sonntag“, 7.11.2004.

[14] U.N. chief says no alternative to two state solution in Middle East, „Reuters“, 6.12.2017.

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