Schönes kontra Alltägliches

Internationale Möbelmesse Köln 1998

Vor der Fahrt nach Köln zur Internationalen Möbelmesse fiel mir aus der Zeitung wieder einmal ein bunter Möbelprospekt entgegen. Eine Ansammlung von Massivholzmöbeln der scheußlichsten Sorte. Billig zwar, aber eine Krönung der Geschmacklosigkeit und konstruktiven Fragwürdigkeit.

Schreibtische werden alten Bauernmöbel nachempfunden, mit Aufsätzchen oder Galerien gelegentlich garniert und das alles mit Computern und Objekten der modernen Zeit dekoriert. Selbst der alte Toilettentisch feiert wieder seine Auferstehung, obwohl doch jeder, der sich so ein Möbel leisten und aufstellen kann, über ein perfektes Bad mit Waschbecken und Spiegel verfügen.

Alles das ist natürlich in Massivholz gefertigt, in Rahmen- und Füllungskonstruktion, wenn auch in Dreischichtplatte mit der Oberfräse imitiert. Hauptsache, es sieht „gesund“ aus. Die abgebildete Garderobe – als Baum mit weit ausladender Krone gestaltet – an der man

die Kleidungsstücke hängt, macht uns spätestens jetzt bewußt, daß der Kunde in der „Ökowelle“ ertränkt werden soll.

Ist das denn wirklich ökologisch und auch ökonomisch, wenn sich jeder mit solchen Möbeln einrichtet, wobei jedes für sich einen halben Baum vom besten Holz verbraucht und sich so in der Wohnungseinrichtungein ganzes Stück Wald befindet?

Und so scheußlich verarbeitet wird man sich irgendwann von diesen Möbeln trennen und wieder neue Möbel kaufen, die wieder ein weiteres Stück Wald beanspruchen.

Holz ist ein so wertvoller Werkstoff, der es verdient, zu besseren, geschmackvolleren und zeitloseren Möbeln verarbeitet zu werden.

Gottlob war der Eindruck auf der Möbelmesse und in den vielen Showrooms völlig anders. Hier war jugendliche Frische und Ehrlichkeit in Form und Farbe angesagt.

Weniger Schnickschnack an oder auf den Schränken, wie Fähnchen und Giebelchen. Klare Formen, helle und freundliche Farben waren zu sehen.

Die wichtigsten Holzarten sind Ahorn, Birke, Buche aber immer noch Kirsche undEiche. Ganz zaghaft kommt Nußbaum in den Vordergrund, teilweise interessant kombiniert mit hellen Hölzern wie Ahorn.

Im Wohnbereich ist die große kompakte Wohnwand kaum noch zu finden. Sie wird abgelöst durch leicht wirkende Regale, die im Wechsel mit durch Türen oder Schubkästen geschlossenen Schrankeinheiten stehen. Schlichte Flächen sind vorherrschend, vielleicht im Wechsel mit rahmenlosen Glasflächen, die durch rückwärtige Behandlungen opak gemacht wurden.

Die Böden betonen die Horizontale und werden vielfach in eine großflächige Holzrückwand mit einem besonderen Schienensystem eingesteckt.

Überhaupt fällt die Abkehr vom klaren Quadratraster auf. Die Horizontale wird bei der Gestaltung der Möbel betont und so das liegende Rechteck im Format 1,5 : 1 oder im

E Format eines Doppelquadrats als Gestaltungsmodul bevorzugt. Rahmen und Füllungen, allerdings in handwerklicher sauberer Fertigung, sowie der Rhythmus von sichtbaren Regalseiten und Einlegeböden, werden gern zur Gliederung und Betonung des liegenden Rechtecks eingesetzt.

Besonders beliebt sind wieder die Einzelmöbel. Aus dem vorgenannten Trend heraus ist besonders die Anrichte wieder stark im Kommen. Sie kann in ihrer Länge die ganze Breite der Wandfläche überspannen und somit eine ausdrucks-volle Horizontale in den Raum bringen.

Auffallend ist bei vielen Möbeln die Liebe zum Detail. Feinere Beschläge, hier und da sinnfällige Einteilungen von Schubladen und Fächern.

Im Schlafzimmer werden Schrank und Bett immer mehr zu einem eigenständigen Thema. Beim Bett spielt, abgesehen von den auf Gesundheit und Natürlichkeit bedachten Matratzen und verstellbaren Lattenrosten, besonders das obere Betthaupt eine dominierende Rolle. Mal dient es als Rückenlehne, um im Bett bequem sitzen zu können, um zu lesen, Musik zu hören oder fernsehen. Zum anderen kann man im Betthaupt Gegenstände auch Bettwäsche unterbringen oder seitlich Ablagen herausfahren und tagsüber wieder dahinter verstauen.

Sonst steht das Bett in der Regel vom Boden frei und leicht im Raum.

Die Schränke bringen immer mehr Technik im Innenraum zur Unterbringung derKleider, Hosen, Anzüge, Hemden, Unterwäsche usw. Alles findet im Schrank wohlgeordnet seinen angestammten Platz, auf drehbaren oder schwenkbaren Stangen, in Innenschubkästen, Auszügen und Körben.

Alles ist durch die Dreh- oder Faltschiebetüren gut zugänglich und durch die eingebaute Beleuchtung fein illuminiert.

Kleiderschränke sind weiterhin nahezu raumhoch und werden hier und da durch offene Regale oder eingebaute Mediencenter aufgelockert.

In extremen Fällen ist an diesem Element Schrank die Grenze zwischen Wohnraum und Schlafraum fließend. Die Schränke sind in verschiedenen Räumen und unterschiedlichen Funktionen zu nutzen. Dies ist besonders für junge Leute oder Singles gedacht. Sie wollen den Schlafraum als erweiterten Wohnraum nutzen, sich nicht schon beim Einrichten auf eine bestimmte Funktion des Raumes festlegen.

Die Polstermöbel zeigen sich in bewegter Form. Steife Kantigkeit wird durch gefällige bis verspielte Rundungen abgelöst. Die Verwandelbarkeit der Sitzmöbel wird als neue Aufgabe entdeckt und von einigen Herstellern interessant gelöst. Durch Drehung der Sitzfläche, durch Umklappen der Seitenteile und Rückenlehnen, oder durch Hinzufügen weiterer Elemente entstehen größere Sitzflächen für den Besuch oder gar Liegeflächen für die Gäste. Bei Cor sind Rückenlehne mit Armlehne an der Raumwand befestigt. Die Sitze sind davor beliebig umzustellen oder mit passendem Beistelltisch zu kombinieren.

EDie Farben sind hell, geradezu

sonnig und frühlingshaft. Vorherrschend sind unifarbene Stoffe im hellen Gelb, Grün und Blau. Wenn Dessins, dann höchstens Streifen, also Muster geometrischer Art. Florales ist bei den modernen Polstermöbeln kaum zu finden. Bei den Textilien spielt der Gedanke der Gesundheit eine große Rolle. Wolle, Baumwolle, Leinen und auch Leder dominiert bei den Bezügen der Polstermöbel. Die Gestelle werden zum Teil sichtbar. Sie sind aus Holz, aber auch aus Aluminium oder Stahl, verchromt.

Bei den Kinderzimmern ist man ständig auf der Suche nach den Bedürfnissen, der seelischen Empfindung und dem Spieltrieb eines Kindes. Leider sind dies immer nur Momentaufnahmen in der Entwicklungsphase der Heranwachsenden. Doch viele Hersteller haben auch diese Dinge berücksichtigt und damit erreicht, daß ein aus dem Kindesalter herausgewachsener Jugendlicher in den verwandelten Kindermöbeln wohnen kann, ohne sich zu schämen.

Ein besonders eigenständiges Möbel stellen die Kinderschreibtische dar.

Mit ihren zahlreichen Funktionselementen und vielfachen Verstellmöglichkeiten geraten sie zu wahren Möbelmaschinen, die so etwas vom Reiz eines (Kinder)-Möbels verloren haben.

Insgesamt zeigte die Möbelmesse ‘98 ein frisches und begehrenswertes Angebot, das im krassen Gegensatz zu dem anfangs zitierten offerierten Angebot des Prospektes stand.

Wolfgang Nutsch