zurück
Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 Magazin Mitbestimmung

Rätselhaftes Fundstück: 70 Jahre Volksaufstand in der DDR

Ausgabe 03/2023

Im Juni 1953 kommt es in mehr als 700 Städten und Ortschaften der DDR zu einem Aufstand gegen das kommunistische Regime. Die Tage der SED-Diktatur wären gezählt, würden nicht sowjetische Panzer den Widerstand brechen. Von Guntram Doelfs

Die Fotos in der Stasi-Akte sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Aufgenommen während des Aufstandes am 17. Juni 1953 von einem jungen Mann, der an der „Arbeiter- und Bauernfakultät“ studiert, werden die Fotos und der Film erst im Jahr darauf vom Geheimdienst eingezogen. So will er weitere Teilnehmer identifizieren, damit diese, so die Geheimdienstsprache, nicht „negativ in Erscheinung treten“ können. Eines der Fotos zeigt den Jenaer Holzmarkt, an dem mehr als 30 000 Menschen gegen die kommunistische Diktatur protestieren. Das Haus der SED-Kreisleitung und auch die Stasi-Zentrale sind gestürmt worden. Am frühen Nachmittag rollt der erste Sowjetpanzer auf den Platz. Anfangs kommen die Soldaten nur langsam voran, überall gibt es Sitzblockaden. Straßenbahnwagen werden aus den Schienen gehoben und als Hindernisse genutzt. Vergebens. Die T-34-Kampfpanzer walzen über alles hinweg und erreichen schließlich den zentralen Platz. Kurz danach fallen Warnschüsse, um die Menge auseinanderzutreiben. Um 17 Uhr wird der Ausnahmezustand über die Stadt verhängt. Die SED und Stasi-Akten verdrehen den Schrei nach Freiheit zum „Putschversuch faschistischer Agenten und Provokateure“.

Ausgangspunkt des Aufstandes sind Proteste von Arbeitern am 16. Juni auf mehreren Berliner Großbaustellen. Sie lehnen sich gegen die angeordnete Erhöhung der Arbeitsnormen um zehn Prozent auf, ohne zusätzlichen
Lohn. Die Arbeiter verlassen ihre Baustellen und ziehen demonstrierend durch die Stadt, andere Menschen schließen sich an. Der Unmut in der Bevölkerung über die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation
ist groß, nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen DDR. Während die DDR-Medien zunächst schweigen, berichtet der West-Berliner Radiosender RIAS ausführlich über die Vorgänge. Über den auch in der DDR populären Sender verbreiten sich die Infos blitzartig im ganzen Land – und bringen das Fass zum Überlaufen.

Schon seit Anfang Juni gibt es lokale Proteste. Im Jahr 1952 hat es witterungsbedingt eine große Missernte gegeben. Die angeordnete Zwangskollektivierung und die Verstaatlichung der Unternehmen verschärft die bedrohliche Versorgungskrise. Besonders die Preise für Lebensmittel steigen. Der Unmut wächst, was selbst in Moskau wahrgenommen wird. Als nach dem Tod Stalins im März 1953 eine SED-Delegation nach Moskau reist, warnen die russischen Genossen vor einer „zu schnellen“ Kollektivierung und mahnen zur Vorsicht. Doch es ist längst zu spät – und Walter Ulbricht kein Staatsführer mit politischem Instinkt.

So entwickelt sich an diesem 17. Juni 1953 aus den ersten Protesten ein Volksaufstand, der das ganze Land erfasst. Hunderttausende sind auf den Straßen. Die Forderungen werden schnell grundsätzlicher. Werden anfangs noch die Rücknahme der Arbeitsnormenerhöhung oder eine Senkung der Lebensmittelpreise gefordert, kommen schon bald Forderungen nach „Rücktritt der Regierung“ und „Wiedervereinigung“ auf.

Schnell ist den SED-Oberen und der sowjetischen Führung klar: Ohne den massiven Einsatz militärischer Gewalt sind ihre Tage gezählt. Also lässt Moskau die Panzer rollen – auch in dem Wissen, dass den Demonstranten niemand zu Hilfe eilen wird. Der Westen kann in den Konflikt hinter dem Eisernen Vorhang nicht eingreifen – dies würde einen Weltkrieg heraufbeschwören. Was danach passiert, liegt wie Blei auf diesem Staat, bis zu seinem Ende. Sogenannte „Rädelsführer“ werden standrechtlich erschossen. Insgesamt sterben historisch belegt 55 Menschen, entweder direkt getötet oder später nach einem Todesurteil hingerichtet. Unter diesen 55 sind auch fünf Mitarbeiter von DDR-Sicherheitsorganen.

Rund 15 000 Menschen werden verhaftet, mehrere Tausend werden zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch in Jena gibt es einen Toten. Alfred Diener, 26 Jahre alt, der zu einer dreiköpfigen Verhandlungsdelegation
der Demonstranten mit der SED-Kreisleitung gehört hatte, wird am gleichen Tag verhaftet und am 18. Juni 1953 hingerichtet – einen Tag vor seiner geplanten Hochzeit.


Rätselfragen:

  • Die Unruhen in den Städten begannen am 16. Juni 1953 in Berlin auf zwei Großbaustellen. Eine der Baustellen war ein städtebauliches Prestigeobjekt der jungen DDR entlang einer Straßenmagistrale. Wie lautete der damalige Name dieser Straße?
  • Ein Auslöser des Volksaufstandes war die Erhöhung der Arbeitsnorm. Bis zu welchem Stichtag sollte diese Erhöhung in der ganzen DDR umgesetzt werden?
  • Der Volksaufstand brannte sich in das Langzeit-Gedächtnis der SED-Führung ein. Als sich Ende August 1989 die Krise in der DDR zuspitzte, fragte ein Politbüromitglied in einer Besprechung beunruhigt: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“ Um welchen SED-Spitzenfunktionär handelte es sich?

Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 24. Juli 2023 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil.

Preise: 
1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 100 Euro 
2.– 4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro

Schicken Sie uns die Lösung an:
Hans-Böckler-Stiftung
Redaktion Mitbestimmung
Georg-Glock-Straße 18
40474 Düsseldorf
E-Mail: redaktion[at]boeckler.de

Auflösung der Rätselfragen 2/2023:

  • Nürnberg
  • Theodor Leipart
  • RGO (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition)

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen