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Überwindung der Not in der Dritten Welt durch marktwirtschaftliche Ordnung? | APuZ 8/1987 | bpb.de

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APuZ 8/1987 Die Entwicklungproblematik Überlegungen zum Stand der Diskussion Überwindung der Not in der Dritten Welt durch marktwirtschaftliche Ordnung? Militante Konflikte in der Dritten Welt Kommentar und Replik

Überwindung der Not in der Dritten Welt durch marktwirtschaftliche Ordnung?

Werner Lachmann

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach mehr als drei Jahrzehnten Entwicklungsplanung, nach dem Versagen der verschiedenen dirigistischen und planwirtschaftlichen Instrumentarien, sollte der marktwirtschaftlichen Lösung zur Überwindung der Not in der Dritten Welt eine Chance gegeben werden. Unter einer marktwirtschaftlichen Konzeption (im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft) ist keine „Laissez-faire“ -Ökonomie des Frühkapitalismus zu verstehen, sondern eine Wirtschaftsordnung, die leistungsorientierte Anreize setzt und den Schwachen in Würde am wirtschaftlichen Erfolg teilnehmen läßt. Der Markt allein ist zwar weder hinreichend noch notwendig zur Überwindung der Not in der Dritten Welt — aber ohne ihn wird ihre Überwindung kaum möglich sein. Erfolgreich ist das Konzept einer Sozialen Marktwirtschaft nur, wenn beide Bereiche, der marktwirtschaftliche und der soziale, beachtet werden. Die Industrieländer haben eine moralische Pflicht, den Entwicklungsländern bei der Überwindung ihrer wirtschaftlichen Not zu helfen. Die Hilfe sollte aber subsidiär gegeben werden. Zuerst sind die Eliten der Dritten Welt gefordert, ihren Beitrag (Abbau von Preisverzerrungen, Rechtssicherheit, Bodenreform usw.) zu leisten. Statt mehr Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen (über ihren ordnungspolitisch vernünftigen Einsatz muß nachgedacht werden!), sind die Industriestaaten aufgefordert, den Entwicklungsländern größere Handelserleichterungen zu gewähren, damit sie sich in echter Selbsthilfe die notwendigen Devisen verdienen können. Hier sind in der Politik der Industrieländer Korrekturen im Sinne der Marktwirtschaft notwendig. Handel statt Hilfe heißt nicht zuletzt auch mehr Achtung vor den Partnern aus der Dritten Welt.

I. Die Lage in der Dritten Welt

Tabelle 1: Einige Kennziffern zur Lage der ärmsten Entwicklungsländer — im Vergleich mit denen marktwirtschaftlicher Industrieländer Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1986

Nach dem Jahresbericht der UNO-Wirtschaftskommission für Afrika hat sich die Situation dort im letzten Jahr weiterhin verschlechtert. Für Gesamtafrika wurde ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von % ermittelt — bei einem Anstieg der Bevölkerungszahl um 3%. Das Pro-Kopf-Einkommen ist also wiederum gesunken; ebenfalls sanken die Exporteinnahmen, während die Auslandsverschuldung stieg. Auch in den Entwicklungsländern anderer Kontinente kann von einer Überwindung der wirtschaftlichen Notlage nicht gesprochen werden. Nach 30 Jahren Entwicklungsplanung und -hilfe muß darüber nachgedacht werden, ob eine Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Instrumenten eine Möglichkeit eröffnet, die große Not der Armen in den Entwicklungsländern zu lindern.

Obgleich einige wenige Entwicklungsländer beachtliche wirtschaftliche Fortschritte erzielen konnten, hat sich die wirtschaftliche Situation der Entwicklungsländer insgesamt in den letzten 20 Jahren nicht verbessert. Im Jahre 1984 hatten die Länder mit niedrigem Einkommen (außer China und Indien) ein Pro-Kopf-Einkommen (PKE) von 190 US-Dollar im Vergleich zu 11 430 US-Dollar in den 19 marktwirtschaftlichen Industriestaaten, deren 733 Mio. Einwohner (15, 5% der Weltbevölkerung) ungefähr 68% des Welteinkommens erwirtschafteten 1). Dabei deutet ein niedriges PKE auf gravierende Mängel in den allgemeinen Lebensumständen hin: Die durchschnittliche Lebenserwartung für die Bewohner Afrikas südlich der Sahara sank 1984 beispielsweise auf 48 Jahre (1981: 50 Jahre); im Vergleich dazu leben die Einwohner der Industriestaaten des Westens mit ihren durchschnittlich 76 Jahren mehr als 50% länger. Säuglingssterblichkeit und Kindersterbeziffern lagen erheblich über denen der Industriestaaten 1983 lag das tägliche Kalorienangebot in den Entwicklungsländern bei 90% des Bedarfs, während die Einwohner der Industrieländer durchschnittlich 130% zur Verfügung hatten. Zusätzlieh ist zu bedenken, daß es sich hierbei um Durchschnittszahlen handelt, d. h., einem großen Teil der Bevölkerung in den Entwicklungsländern stehen erheblich weniger Kalorien zur Verfügung. Der im Vergleich zu den Industrieländern wenig ausgebaute Gesundheitssektor führt zu einer hohen Mortalität und Morbidität der Bevölkerung.

Die Möglichkeiten der Regierungen in der Dritten Welt, ihren Einwohnern wirtschaftlich zu helfen, sind als gering einzuschätzen. Daher haben die OECD-Staaten allein seit 1975 ca. 280 Mrd. US-Dollar (in Preisen von 1980) als Entwicklungshilfe geleistet. Diese Hilfe scheint wenig bewirkt zu haben; Kritiker sehen darin sogar einen Kausalfaktor für die sich weiterhin verzögernde Entwicklung es fiel sogar das Schlagwort der „tödlichen Hilfe“ Die Verantwortlichen in den Industrieländern sind aufgefordert, über eine erfolgreichere Konzeption zur Überwindung der Not in der Dritten Welt nachzudenken. Im deutschen Sprachraum wird neuerdings in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit ordnungspolitischer Maßnahmen hingewiesen

II. Mögliche Ursachen des Entwicklungsdefizits

Tabelle 2: Kennziffern zum srilankischen food-stamps-Programm Quelle: Central Bank of Ceylon: Review of the Economy sowie Annual Report (verschiedene Jahrgänge)

Wenn man nach den Ursachen des Entwicklungsdefizits forscht, muß man zuvor die Frage nach dem Motor der Entwicklung stellen. Allerdings sind hierauf die Antworten der Ökonomen nicht eindeutig. Im wirtschaftswissenschaftlichen Denken der letzten zwei Jahrhunderte hat jede ökonomische Schule ihren eigenen Motor der wirtschaftlichen Entwicklung propagiert was bis heute noch nicht anders ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Erfahrung des raschen Wiederaufbaues in Europa eine große Rolle. Die Marshallplanhilfe sorgte für die Überwindung der Hauptengpässe — Kapital und Devisen — und brachte einen ungeahnten Entwicklungsaufschwung. So waren dann auch die entwicklungspolitischen Vorstellungen anfänglich dadurch geprägt, daß in der Kapital-bzw. Devisenknappheit ein wesentliches Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung gesehen wurde. Vor solchen monokausalen Ansätzen der Erklärung des Entwicklungsdefizits ist aber zu warnen, da der Entwicklungsprozeß vielschichtig ist: Er hat ökonomische Ursachen, ist aber auch von kulturellen, politischen, religiösen, ethnischen und klimatischen Faktoren abhängig. Auch die einfache Gegenüberstellung „Markt versus Plan“ reicht nicht aus. Dennoch müssen Kausalketten herausgearbeitet werden, die aufzeigen, wie einzelne Veränderungen zu einem wirtschaftlichen Wachstum beitragen können. Auch wenn mehrere Einflüsse eine Rolle spielen, ist es dennoch wichtig, über den Beitrag der einzelnen Faktoren nachzudenken. Die Entwicklungshindernisse werden meist im Fehlen bestimmter Faktoren gesehen. So fehlen Devisen, Kapital, technisches Know-how, natürliche Ressourcen, Unternehmer, eine effiziente Entwicklungsplanung. Beliebt ist der Hinweis auf externe Ursachen: Kolonialismus, die Politik der transnationalen Konzerne, der internationale Kapitalismus als Wirtschaftsordnung usw. Zu wenig wird darauf geachtet, daß Entwicklung — das Wort deutet es schon an — einen Prozeß darstellt. Es muß nach den Gründen gesucht werden, die einen wirtschaftlichen Wachstumsprozeß erleichtern; Entwicklung wird nicht von Entwicklungsfaktoren, sondern von Menschen gemacht. Deshalb muß beim Nachsinnen über die Entwicklungshindernisse auf den Menschen und auf die Möglichkeit, ihn wirtschaftlich zu motivieren, eingegangen werden.

III. Die Bedeutung der Motivation

Entwicklung kann einerseits als ein Zustand und andererseits als ein Prozeß analysiert werden. Bei der Zustandsanalyse geht es vor allem um strukturelle Faktoren, bei der prozeßanalytischen Sichtweise kommt es auch entscheidend auf die Motivation der einzelnen Bürger an. Schon Gunnar Myrdal wies in seinem berühmten Werk „Das asiatische Drama“ auf die Wichtigkeit der Leistungsbereitschaft hin Das Verhalten der Menschen ist aber in einem hohen Maße abhängig von den politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen ihrer Gesellschaft. Da auch in den Entwicklungsländern arbeitsteilige Gesellschaften leben, müssen auch sie einen Koordinationsmechanismus entwickeln, der einen gesellschaftlichen Ausgleich (soziale Versöhnung) mit der notwendigen ökonomischen Effizienz (optimale Allokation der wirtschaftlichen Ressourcen) verbindet.

Die fast 30jährige Entwicklungsgeschichte scheint zur Genüge gezeigt zu haben, daß eine staatliche Entwicklungsplanung Hunger, Armut und Not vermehrte — statt sie zu überwinden; die Gesellschaft wurde korrumpiert; die Vetternwirtschaft kam zur Blüte, kurz: die angestrebten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ziele ließen sich unter staatlicher Regie nicht erreichen.

Nicht umsonst ist seit einigen Jahren auch in den Entwicklungsländern eine größere Offenheit für ordnungspolitische Fragen zu beobachten. Die Sozialisierung leidet nämlich unter der Ineffizienz des Verwaltungsapparats und motiviert nicht zur Einkommenserzielung. Der einzelne Mensch — in allen Schichten und Bereichen der Gesellschaft — muß zur wirtschaftlichen Leistung (auch mit finanziellen Mitteln) ermuntert werden. Es ist entscheidend, eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität in den Entwicklungsländern mit einem wirksamen Anreizsystem anzustreben.

IV. Wie läßt sich Leistung motivieren?

Die neuere Wirtschaftstheorie hat herausgefunden, daß Eingriffe des Staates ins Wirtschaftsgeschehen nicht eine vermehrte Erstellung von Gütern und Dienstleistungen zur Folge haben müssen. Vielmehr läßt sich durch Lizenzen, Transfers oder Subventionen ein Nicht-Leistungseinkommen erzielen; da die „Geber“ dieser „Gaben“ die Kosten nicht zu tragen haben — weil die Allgemeinheit oder die Konsumenten zur Kasse gebeten werden —, besteht die Gefahr der Vergeudung knapper Mittel. Zusätzlich ist zu befürchten, daß die Bürokratie durch ihren starken Einfluß auf das Wirtschaftsgeschehen eben darum korrumpiert werden kann. Im allgemeinen gilt ein übermäßiger Staatsinterventionismus als leistungshemmend

Anders verhält es sich in einer mehr marktwirtschaftlich orientierten gesellschaftlichen Ordnung. Der einzelne Unternehmer muß mit seinem Vermögen (Privateigentum) für die Konsequenzen seiner Entscheidung geradestehen. Sieht er Gewinnmöglichkeiten, wird er Ressourcen mobilisieren, um diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Dabei lassen sich —bei funktionierendem Wettbewerb — Gewinne nur erreichen, wenn man die Konsumentenwünsche weitgehend erfüllt, also neue Güter billiger bzw. alte Güter zu einer besseren Qualität zur Verfügung stellt. Ein funktionierender Wettbewerb sorgt auch dafür, daß Innovationen — auch zur Verbilligung der Produktion — durchgeführt werden. Motivationsanalytisch ist hier wichtig, daß der Entscheidungsträger auch die Konsequenzen seiner Entscheidung zu tragen hat, daß positive Sanktionen in Form von Gewinnen und negative in Form von Verlusten zu einer ständigen Korrektur unternehmerischer Fehlentscheidungen führen.

Die Entscheidung für eine marktwirtschaftliche Ordnung bedeutet kein totales Umschwenken auf den reinen Markt. In einer Sozialen Marktwirtschaft hat der Staat vielmehr wichtige Aufgaben zu erfüllen: Bei externen Effekten zunehmenden Skalenerträgen oder unvollständigen Informationen muß der Staat korrigierend in den Wirtschaftsprozeß eingreifen. Die europäische Wirtschaftsgeschichte zeigt, daß der Staat auch Pionieraufgaben übernehmen kann (muß?) — aber es muß private Konkurrenz zum Staat zugelassen sein. Wo nämlich durch Marktkräfte ein besseres wirtschaftliches Ergebnis zu erzielen ist, muß der staatliche Einfluß zurückgedrängt werden können. Gesucht wird der größtmögliche Freiraum zur Entfaltung des Unternehmertums einerseits sowie Kriterien für dennoch notwendige staatliche Aktivitäten andererseits. Die entscheidende wirtschaftspolitische Frage ist also mehr die nach den Sektoren und Bereichen, in denen die jeweilige Regierung wirtschaftspolitisch aktiv werden sollte

V. Merkmale einer Sozialen Marktwirtschaft

Die Soziale Marktwirtschaft besteht nicht aus einem für immer gültigen, unumstößlichen Satz von wirtschaftspolitischen Regeln. Sie ist vielmehr eine Ordnungsidee mit bestimmten allgemein formulierten Stilelementen. Die konkreten Maßnahmen müssen sich immer an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Allgemein gesprochen läßt sich die Soziale Marktwirtschaft durch folgende Elemente charakterisieren: allgemeines Prinzip des Wettbewerbs, Aufrechterhal-tung des Wettbewerbs (Ordnungspolitik), Glättung des Wirtschaftsprozesses (Konjunkturpolitik) und Korrektur des Wettbewerbsergebnisses (Sozialpolitik).

Allgemeines Prinzip des Wettbewerbs Die Anerkennung des Wettbewerbsprinzips beinhaltet die Möglichkeit freier Planungskompetenz der Unternehmer über ihre Produktionsweise, über Produktionsniveau und -Struktur sowie über die Höhe der Investitionen. Die Haushalte entscheiden über die Aufteilung ihrer Einkommen in Konsum und Ersparnisse; durch ein funktionierendes Preissystem werden die ökonomischen Entscheidungen dezentral gesteuert. Das Verteilungsergebnis hängt jedoch von den Startbedingungen (Vermögensverteilung) und der Leistungskraft der Individuen ab: Mit Hilfe eines marktlichen Wettbewerbs kommt es zu einer optimalen Nutzung der knappen Ressourcen einer Gesellschaft — nicht jedoch zu einer als gerecht empfundenen Einkommensverteilung. Der Wettbewerb führt zur Maximierung des Volkseinkommens, doch kann er diese Aufgabe nur dann erfüllen, wenn dem Verhalten der Unternehmen wirtschaftliche Sanktionen drohen. Solche Sanktionen sind nur dann möglich, wenn die Nach-frager auch auf Preis-und Angebotsänderungen reagieren, also in ihren Kaufentscheidungen nicht unbeweglich sind.

Ordnungspolitische Aufgaben des Staates: Ein funktionierender Wettbewerb bedarf bestimmter institutioneller Voraussetzungen. Dazu gehört eine Rechtsordnung, die Möglichkeiten eröffnet, unternehmerisch tätig zu sein, d. h. Gewerbefreiheit und Vertragsfreiheit müssen gewährleistet sein. Ein funktionsfähiges Geld-und Währungssystem muß zudem die Kalkulierbarkeit wirtschaftlicher Entscheidungen ermöglichen. Wettbewerb funktioniert nur bei freiem Marktzutritt; ist dieser nicht gegeben, verliert der Wirtschaftsprozeß seine Dynamik, weil sich die Unternehmen arrangieren und sich beispielsweise durch Absprachen zu Lasten der Konsumenten bereichern. Deshalb ist eine aktive Wettbewerbspolitik in einer Sozialen Marktwirtschaft unerläßlich. Es darf also nicht zur wirtschaftlichen Anarchie kommen, zum ungeordneten, erbarmungslosen Kampf aller gegen alle; notwendig ist ein geordneter Wettbewerb. Mit Hilfe der Wettbewerbspolitik setzt und überwacht der Staat die Spielregeln des Wettbewerbs, die von den Unternehmen eingehalten werden müssen; der Staat ist der Schiedsrichter im Wettkampf der Unternehmen um die Gunst der Konsumenten. Eine Soziale Marktwirtschaft benötigt also einen starken Staat; dieser Staat muß in der Lage sein, sich auch mit den Mächtigen der Gesellschaft anzulegen. Konjunkturpolitik: Die Soziale Marktwirtschaft geht nicht von einem störungsfreien Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Konjunkturelle Störungen müssen durch eine aktive Wirtschaftspolitik abgefedert werden. Dazu sind nicht nur prozeßpolitische Eingriffe im Rahmen der Geld-und Fiskalpolitik notwendig, sondern auch das Schaffen von Anreizen, die die Erreichung makroökonomischer wirtschaftspolitischer Ziele wie eine hohe Vollbeschäftigung, einen stabilen Geldwert, eine vertretbare Einkommensverteilung, ein Außenhandelsgleichgewicht, ein stetiges Wachstum und die Bewahrung einer lebensfähigen Ökologie gewährleisten. Die Regierung hat, mit anderen Worten, nicht nur eine Stabilisierungspolitik, sondern auch eine Stabilitätspolitik zu verfolgen

Sozialpolitik: Individuelle soziale Komponenten werden beim Wettbewerbsprozeß nicht beachtet; nur die Leistungskraft des einzelnen zählt. Das Marktergebnis ist deshalb oft sozial nicht akzeptabel. Eine Umverteilungspolitik zugunsten der wirtschaftlich Schwächeren ist notwendig, wobei diese sozialpolitischen Maßnahmen der Umverteilung aber so marktkonform wie möglich gestaltet sein müssen. Sie sollen dazu dienen, einen wirtschaftlichen Ausgleich herzustellen; damit haben sie eine gesellschaftlich versöhnende Funktion zu übernehmen. Bei einem sozialen Ausgleich sind auch die wirtschaftlich Schwachen dazu bereit, diese marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsordnung zu akzeptieren. Der gesellschaftliche Friede ist —wie schon angedeutet— ebenfalls ein wichtiger Faktor einer stetigen wirtschaftlichen Entwicklung. Auch bei der Durchführung der Sozialpolitik bedarf es eines starken Staates, der berechtigte Interessen der Schwächeren durchsetzen und ungerechtfertigte Interessen von wirtschaftlichen Gruppen abwehren muß, damit die staatliche Sozialpolitik zur freien Entfaltung der vorhandenen Ressourcen (bei Beachtung der ökologischen Restriktionen) beitragen kann.

VI. Inwieweit ist das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft auf die Entwicklungsländer übertragbar?

In letzter Zeit wird oft leichtfertig die Übertragung der Sozialen Marktwirtschaft auf Entwicklungsländer gefordert. Ebenso energisch wird darauf verwiesen, daß ein marktwirtschaftliches Modell nicht ohne weiteres auf die Entwicklungsländer anzuwenden sei. Eine empirische Überprüfung, inwieweit marktwirtschaftlich orientierte Entwicklungsländer einen größeren Entwicklungserfolg aufweisen konnten, führte in einer internationalen Querschnittsanalyse nicht zu einer zwingend klaren Aussage Wir wollen daher die Frage der Übertragbarkeit anhand der genannten Punkte diskutieren.

Von den Kritikern einer Übertragbarkeit des Konzepts der Marktwirtschaft wird vorgetragen, daß insbesondere im Subsistenzbereich inverse Preis-und Angebotsreaktionen vorliegen und daß es an dynamischen Unternehmern mangele; außerdem sei die Sparfähigkeit und -Willigkeit als gering einzuschätzen. Wie überzeugend sind diese Thesen?

Neuere Studien aus dem Agrarbereich haben gezeigt, daß auch die Landwirte in der Dritten Welt auf Preisanreize mit einer Ausweitung ihres Angebots reagieren Dieses Verhalten gilt nicht nur für Agrarexporteure. Der Landwirt muß allerdings an den Markt angeschlossen sein, d. h., er muß Möglichkeiten haben, seine Mehrproduktion auch abzusetzen, wozu eine Mindestinfrastruktur im ländlichen Raum notwendig ist. Oft hört man das Argument, daß die Unternehmer kein Interesse an industriellen Investitionen hätten; es herrsche ein „Basarkapitalismus“ vor Die Unternehmer seien an kurzfristigen Gewinnen im Handel interessiert und dächten nicht daran, ihr Kapital industriell (d. h. langfristig) anzulegen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fordern dieses unternehmerische Verhalten allerdings geradezu heraus: Wegen der großen politischen Rechtsunsicherheit wird das Kapital nur kurzfristig angelegt, so daß es bei persönlicher Gefahr leicht mobilisiert werden kann.

Bei größerer Rechtssicherheit ist damit zu rechnen, daß auch dieses Kapital potentiell für Industrieinvestitionen zur Verfügung steht. Dynamische Unternehmer — obwohl ebenso knapp wie in den Industrieländern — sind auch in den Entwicklungsländern latent vorhanden.

Die generelle Sparunfähigkeit ist ebenfalls bestreitbar Es ist bekannt, daß auch im Subsistenzbereich Ersparnisreserven vorhanden sind; verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die hohen Horte (insbesondere in Asien) und auf die nicht ausgenutzten Möglichkeiten eines Mehreinsatzes von Arbeit, wobei das Zusatzeinkommen dann gespart werden kann. Die extreme Ungleichheit in der Einkommensverteilung erlaubt ferner zusätzliche Ersparnisse, da die Wohlhabenden einen größeren Teil ihres Einkommens zur gesellschaftlichen Kapitalbildung zur Verfügung stellen könnten. Der internationale Demonstrationseffekt mag die Sparwilligkeit senken, weil die Konsumausgaben ansteigen. Doch muß ebenso auf den möglichen Motivationseffekt verwiesen werden: Der Wunsch nach einem höheren Lebensstandard, der aus dem internationalen Demonstrationseffekt resultiert, kann auch Kräfte mobilisieren, die zur größeren Anstrengung und Erzielung eines höheren Einkommens führen; ein höheres Wachstum ist die Folge, da höhere Konsumausgaben Arbeitsplätze durch eine gestiegene Nachfrage sichern können. Ein Luxus-zoll kann verhindern, daß die erhöhte Nachfrage durch vermehrte Importe gedeckt wird. Oft bringen allerdings die einheimischen Eliten ihre Ersparnisse ins Ausland. Hiergegen hilft nur eine größere Rechtssicherheit und eine marktkonforme Wechselkurs-und Außenhandelspolitik. Bei einem freien Kapitalmarkt besteht keine Notwendigkeit, die inländischen Ersparnisse im Ausland anzulegen — es sei denn, die Rentabilität wäre dort höher. Das hohe Fluchtkapital aus vielen Entwicklungsländern belegt, daß einheimi- sehe Ersparnisse möglich sind; der Kapitalmangel ist in einem großen Maße das Ergebnis eines wirtschaftspolitischen Fehlverhaltens. Allerdings ist es ratsam, auch die kulturellen, sozialen und religiösen Hindernisse zu studieren

Neben diesen hauptsächlich mikroökonomischen Aspekten muß auch auf die Möglichkeiten des Staates hingewiesen werden, die zum Funktionieren einer Sozialen Marktwirtschaft erforderlichen Leistungen zu erbringen. Der Staat ist insbesondere in drei Bereichen gefordert, nämlich in der Ordnungs-und Wettbewerbspolitik, der Konjunkturpolitik und der Sozialpolitik.

Im Rahmen der Ordnungs-und Wettbewerbspolitik ist auf die institutioneilen Rahmenbedingungen des Entwicklungsprozesses zu verweisen. In der Fachliteratur wird oft die These vertreten, daß die ärmeren Entwicklungsländer mit dem Konzept einer Marktwirtschaft überfordert seien; erst nachdem ein gewisser Entwicklungsprozeß stattgefunden habe, könne man sich auf die marktwirtschaftlichen Kräfte verlassen Hiergegen ist jedoch einzuwenden, daß die administrativen Erfordernisse für eine Entwicklungsplanung viel höhere Ansprüche an die Verwaltungen und Bürokratien stellen als der Markt. Auch in den Entwicklungsländern scheitern die Bürokratien am Informationsproblem. Durch eine dezentrale Lenkung können außerdem Planungskosten eingespart werden, weil die Produktivkräfte, die mit der Planaufstellung und Durchführung beauftragt sind (oft hochqualifizierte Akademiker), in anderen Bereichen produktiver eingesetzt werden könnten.

Die Entwicklungsländer scheinen mit ihren Verwaltungen jedoch bei der Implementierung einer Eigentumsordnung und der notwendigen größeren Rechtssicherheit überfordert zu sein. Zum Teil mag es am fehlenden politischen Willen der Eliten liegen, diese Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Marktwirtschaft zu erfüllen. Probleme ergeben sich zusätzlich dadurch, daß zwischen den einzelnen Bausteinen der institutioneilen Infrastruktur Komplementärbeziehungen bestehen, so daß die Einführung einzelner Maßnahmen eher zu einer Verschlechterung als zu einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen führt. Ordnungspolitische Defizite finden wir insbesondere bei der Markt-, Geld-und Finanzverfassung. Ohne eine Verbesserung dieser Grundvoraussetzungen läßt sich eine Marktwirtschaft kaum operational gestalten. Die Voraussetzungen einer effektiven Konjunkturpolitik sind in den Entwicklungsländern ebenfalls kaum gegeben. Wegen der rudimentären und fragmentierten Finanzmärkte ist eine Geldpolitik analog zu der in den Industrieländern kaum möglich. Die politisch abhängige Zentralbank wickelt im Rahmen der Geldpolitik vornehmlich Kreditgeschäfte mit der Wirtschaft und dem Staat ab; die in den Industrieländern eingesetzten geldpolitischen Instrumente fehlen. Eine monetäre Alimentierung der Staatsschuld führt zu Inflationsgefahren. Es sind in den Entwicklungsländern kaum Kräfte vorhanden, die eine marktkonforme Wirtschaftspolitik durchsetzen könnten. Selbst bei vorhandenem politischen Willen wären die Bürokratien überfordert, da sie kaum in der Lage sind, rationale Zweckmäßigkeitsentscheidungen zu treffen. Fortschritte sind jedoch im Bereich der Strukturpolitik zu beobachten, da einige Entwicklungsländer durch Preiskorrekturen versuchen, eine Anpassung der Agrarproduktion an die Nachfrage zu vollziehen; die bisherige Vernachlässigung der Landwirtschaft — wegen der forcierten Industrialisierung— wird mehr und mehr als entwicklungshemmend erkannt. Vereinzelt sind auch Fortschritte bei der Stabilisierung des Geldwertes zu beobachten. Eine aktive Steuerpolitik ist in den Entwicklungsländern noch nicht möglich, da die Staatseinnahmen vorwiegend von der Erhebung indirekter Steuern (inklusive Zölle) herrühren und direkte Steuern, an denen die Politik ansetzen könnte, kaum erhoben werden. Indirekte Steuern machten 1983 bei den ärmsten Entwicklungsländern im Durchschnitt 64, 2% der Staats-, einnahmen aus, während in den Industrieländern der Anteil 20, 4% der Gesamteinnahmen betrug. Die Gesamteinnahmen des Staates erreichten in den ärmsten Entwicklungsländern 13, 6% des Bruttosozialprodukts und in den Industrieländern 27%.

Noch gravierender sind die Probleme einer marktkonformen Sozialpolitik. Eine allgemeine staatliche Sicherungspolitik existiert nur in wenigen Entwicklungsländern, während in den Industrieländern die Einnahmen der staatlichen Sozialversicherung mittlerweile (1983) 34, 1% der Staatseinnahmen ausmachen. Den Entwicklungsländern fehlt diese Umverteilungsmasse. Oft greifen sie statt dessen zu nicht-marktkonformen Mitteln wie Mindestlöhne oder niedrige Erzeu19 gerpreise, ohne zu beachten, daß sie damit ihrer wirtschaftspolitischen Entwicklung langfristig schaden. Hier muß mit Hilfe der Industriestaaten Abhilfe geschaffen werden; eine sozialpolitische Abfederung marktwirtschaftlicher Maßnahmen ist zur Durchsetzbarkeit der marktwirtschaftlichen Instrumente notwendig.

Zuletzt soll noch auf den Versuch eines Effizienz-Vergleichs der beiden Wirtschaftsordnungen für Entwicklungsländer hingewiesen werden Eine IFO-Untersuchung kommt zum Ergebnis, daß die marktwirtschaftlich orientierten Entwicklungsländer insgesamt wirtschaftlich besser abgeschnitten haben als die mehr sozialistisch orientierten Entwicklungsländer. Dies gilt insbesondere für solche Staaten, die schon ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erzielen konnten. In diesen Entwicklungsländern ist auch das höhere Wachstum nicht mit einer Verschlechterung der Einkommensverteilung erkauft worden. Insbe-sondere wird darauf hingewiesen, daß niedrigere Ersparnisse mit einer höheren Wachstumsrate einhergehen, so daß angenommen werden kann, daß das Kapital in den marktwirtschaftlich orientierten Entwicklungsländern effizienter genutzt wurde. Die sozialistischen Entwicklungsländer haben dagegen im Bildungsbereich besser abgeschnitten. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung sind nicht so eindeutig wie erwünscht; allerdings mag dies auch auf statistischen und methodischen Problemen beruhen. Es gibt weder rein marktwirtschaftliche noch rein sozialistische Entwicklungsländer; die Gewichtung und Ermittlung des ordnungspolitischen Faktors ist subjektiv. Schwierigkeiten bereitet auch die Klassifizierung der einzelnen Entwicklungsländer in ordnungspolitische Gruppen; deshalb sind die Ergebnisse nicht besonders aussagekräftig. Einzelne Länderstudien und Sektoranalysen ergeben ein klareres Bild zugunsten marktwirtschaftlicher Anreize.

VII. Gesellschaftliche und soziale Probleme der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Signale

Die Implementierung eines operationalen Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft ist in den Entwicklungsländern in einem Guß kaum möglich. Da aber viele wirtschaftliche Probleme mit Markt-und Preisverzerrungen ursächlich im Zusammenhang stehen, ist es schon ein Schritt in die richtige Richtung, diese Verzerrungen abzubauen. Ein Hemmnis stellt die Mindestlohn-und Niedrigzinspolitik dar, die zu einer kapitalintensiven Produktionsweise, einer vermehrten Arbeitslosigkeit und zu einer Verschwendung knappen Kapitals führt. Hemmend ist auch die verfehlte Agrarpreispolitik, die die Landflucht fördert, eine Reduzierung der Agrarproduktion zur Folge hat und sogar durch notwendige Agrarimporte die Devisenbilanz unnötigerweise belastet.

Aber auch die Geld-und Wechselkurspolitik der Entwicklungsländer ist ihren Entwicklungszielen nicht nützlich: Eine überbewertete Währung erschwert Exporte und forciert Importe, ein hoher Zollschutz vermindert die Wettbewerbsnotwendigkeit für die einheimische Industrie. Alle diese Verzerrungen müssen abgebaut werden. Wieso scheint dies so schwierig zu sein?

Jede Rücknahme von Interventionen, die solche Verzerrungen begründen, benachteiligt die bisherigen Gewinner des staatlichen Eingriffs, die sich natürlich wehren. Eine Erhöhung der Lebensmittelpreise, die bisher aus sozialpolitischen Gründen niedrig gehalten wurden, kann ein revolutionäres Feuer entfachen; die Unruhen in Marokko, Tunesien, Polen oder Ägypten haben gezeigt, wie schwierig eine solche Preiskorrektur ist. Leichter wäre eine Erhöhung der Erzeugerpreise durchzusetzen. Den Ländern der Dritten Welt fehlt die finanzielle Möglichkeit, die Konsumentenpreise durch Subventionen wieder auf das sozialpolitisch notwendige Maß zu senken. Was wirtschaftspolitisch notwendig ist, kann aus sozialpolitischen und allgemein politischen Gründen nicht durchgeführt werden. Ein Abbau von Handelsregulierungen bringt ebenfalls Konflikte mit den Eliten, die bisher daran verdienten Oft wird gemutmaßt, daß die Eliten der Entwicklungsländer überhaupt kein Interesse an der Besserstellung ihrer Armen haben; da sie nicht sicher sind, wie lange sie ihre Macht behaupten können, werden sie keine langfristige Politik verfolgen, die mit kurzfristigen (eigenen) Opfern verbunden ist. Wie lassen sich die Verteilungskämpfe entschärfen? Inwieweit können die Industrieländer mithelfen, die notwendigen marktwirtschaftlichen Maßnahmen sozialpolitisch abzusichern?

VIII. Das Lebensmittelgeldprogramm Sri Lankas — Beispiel eines marktwirtschaftlichen Lösungsversuches unter Beachtung sozialpolitischer Zielsetzungen

Wenige Entwicklungsländer sind in einigen Bereichen auf einen marktwirtschaftlichen Kurs übergegangen. Man kann aber nur von einer punktuellen Liberalisierung sprechen und nicht von einem Zuwenden zum Ordnungskonzept der (Sozialen) Marktwirtschaft. Ein erfolgversprechendes Beispiel soll einen Hinweis zur Überwindung des Konflikts zwischen marktwirtschaftlicher Effizienz und sozialem Ausgleich liefern

Sri Lanka begann schon während des Zweiten Weltkriegs mit einer effektiven Sozialpolitik. So wurde ein Reisversorgungsprogramm (Reisrationierung) eingeführt, das jedem Einwohner (unabhängig von der Einkommenshöhe) zwei bis vier britische Pfund Reis (paddy) kostenlos zur Verfügung stellte. Um dieses Programm finanzieren zu können, mußten die Erzeugerpreise niedrig gehalten werden, was zu einer sinkenden Produktion führte. Sri Lanka mußte daher — insbesondere nach der Ölpreiskrise— immer mehr knappe Devisen für den Import von Reis ausgeben, bis Mitte der siebziger Jahre die Budget-und Devisenbelastung nicht mehr tragbar war. Nach dem Wahlsieg der United National Party (UNP) strebte die neue Regierung insgesamt ein markt-wirtschaftlicheres Wirtschaftskonzept an, wozu auch eine Reform der bisherigen Reiszuteilung gehörte. Im September 1979 wurde ein völlig neues Programm in Kraft gesetzt, das foodstamps-scheme Food stamps, auf inländische Währung lautende Coupons, die allein zum Kauf von inländischen Nahrungsmitteln verwendet werden können, wurden an die ärmsten Familien ausgegeben. Mit der Etablierung dieses Programms wurde die bisherige allgemeine Subventionierung der Grundnahrungsmittel eingestellt und der Reispreis freigegeben. Das Programm erlaubte die Liberalisierung der Agrarmärkte, und die sozialen Härten wurden durch einen gebundenen Transfer (in Form des Lebensmittelgeldes) gemildert, der das Existenzminimum an Lebensmitteln sichert. Gegenüber der Reiszuteilung sind durch das neue Programm die folgenden Elemente eines Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft eingeführt worden:

— die Lenkungsfunktion des Preises wird genutzt; — die Konsumentensouveränität wird stärker beachtet (freie Auswahl zwischen zehn landwirtschaftlichen Gütern; freie Verfügbarkeit der Mittel nach Einlösung der stamps auf dem Sparbuch); — durch freie Händlerwahl wird der Wettbewerb gefördert (beim Zuteilungsprogramm waren die Haushalte an einen bestimmten Lieferanten gebunden); — zusätzlich werden folgende sozialen Komponenten berücksichtigt: Einkommenshöhe und Alter der Empfänger sowie die Familiengröße. Diese Subventionierung der Nachfrage führte zu einer Erhöhung der Preise und der Produktion von Rohreis (vgl. Tabelle).

Die einheimischen Konsumgewohnheiten werden nicht negativ beeinflußt, wie oft bei der Nahrungsmittelhilfe, und die Zielgruppe der Armen wird durch dieses Programm direkt erreicht.

Durch Verdienstmöglichkeiten auf dem Lande wird der Landflucht vorgebeugt; der einheimische Produktionsanstieg setzt Devisen für den Import entwicklungspolitisch wichtiger Industriegüter frei.

Transfers dieser Art sind allokationsneutral und verhindern eine Verschwendung knapper Ressourcen. Das Programm benötigt übrigens weniger Budgetmittel als die alte Reiszuteilung

Entwicklungspolitiker sollten darüber nachdenken, wie die Industriestaaten den Entwicklungsländern bei der Implementierung marktwirtschaftlicher Anreize helfen könnten. Marktwirtschaftliche Konzepte — die kurzfristig zu Lasten der Armen gehen können — müssen sozialpolitisch abgefedert werden! Durch ein Programm, das Sri Lanka mittlerweile mehr als sieben Jahre vorexerziert, ist ein Weg gewiesen, der das gleichzeitige Erreichen der sozialen und marktwirtschaftlichen Ziele ermöglicht. Es wäre zu überlegen, ob die staatliche Entwicklungshilfe nicht solche oder ähnliche Programme in den Entwicklungsländern unterstützen sollte. Die Enttäuschung der bisherigen Entwicklungshilfe fordert förmlich zum Nachdenken über ordnungspolitische Alternativen der staatlichen Entwicklungshilfe auf

IX. Die protektionistischen Welt-Rahmen-Bedingungen als Entwicklungshemmnis

Gegenwärtig ist weltweit eine Zunahme des Wirtschaftsprotektionismus zu beobachten. Insbesondere in sogenannten sensiblen Bereichen werden zum Schutz der Arbeitsplätze in den Industriestaaten Importe der Entwicklungsländer ausgegrenzt. Verwiesen sei auf die verschiedenen „Selbstbeschränkungsabkommen“, eine erzwungene Exportbeschränkung der Entwicklungsländer. Es ist fast grotesk, den Entwicklungsländern — im Rahmen der technischen Hilfe— Export-kapazitäten aufzubauen und dann —bei Erfolg der Entwicklungshilfebemühungen— die Exportmöglichkeiten einzuschränken. Auch die Industrieländer sind ordnungspolitisch gefordert: Handel ist besser als Hilfe, die ja teilweise zurückgezahlt werden muß! Hilfe zur Selbsthilfe muß durch Handel ermöglicht werden, um die Würde des Partners zu wahren. Ein freier Welthandel hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen gewaltigen Anstieg der Weltwohlfahrt mit herbeigeführt; wieso werden diese Erfahrungen vergessen? Eine aktive Handelsanpassungspolitik kann die binnenwirtschaftlichen Probleme der Industriestaaten glätten. Die Anpassung gemäß der langfristigen komparativen Kosten würde die Wirtschaft der Industrieländer insgesamt sogar wettbewerbsfähiger machen, da ineffiziente Erhaltungssubventionen unterblieben.

Besonders im Agrarbereich finden wir in allen Industrieländern eine hohe Protektion vor Bei einer weltweiten Liberalisierung des Rind-und Lammfleischmarktes käme es — wie Berechnungen ergeben — zu einer Erhöhung des internationalen Preisniveaus um 16% und zu einer Zunahme des Welthandelsvolumens auf diesem Markt von 235%; bei einer Liberalisierung für Milchprodukte aller Länder würde das Welthandelsvolumen um 190% erhöht (bei Preissteigerun- gen auf dem Weltmarkt von 67%). Beachtet man, daß das Dumping der Überschüsse durch subventionierte Preise oder Nahrungsmittelhilfe die Weltmärkte (und damit die Exporteinnahmen der Entwicklungsländer) destabilisiert, wird deutlich, daß die Industriestaaten bei der Liberalisierung Vorleistungen zu erbringen haben. Die Auswirkungen der Protektion dürfen nicht partiell (für den einheimischen Arbeitsmarkt des Produkts allein), sondern müssen gesamtgesellschaftlich bewertet werden. Unser Protektionismus ist mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar und schadet den Entwicklungsländern in ihrem Entwicklungsprozeß Es gehört zur Aufrichtigkeit deutscher Politik, nicht nur in den Entwicklungsländern eine Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Regeln vorzuschlagen, sondern hier selber endlich einmal glaubwürdige Akzente zu setzen!

X. Eine Soziale Marktwirtschaft auf Weltebene ist gefordert.

Eine Soziale Marktwirtschaft müßte also auf Weltebene angestrebt werden. Beide Bereiche, der des Marktes und der des sozialen Ausgleichs, müssen dabei weltweit beachtet werden. Die Soziale Marktwirtschaft ist erst einmal eine Marktwirtschaft, d. h., die Preise müssen marktgerecht festgelegt werden; der Staat hat sich auf seine Aufgaben zu beschränken und darf nicht verzerrend in den Wirtschaftsprozeß eingreifen, was sowohl für die Entwicklungsländer als auch für die Industrieländer gelten muß. So muß verstärkt auf eine effektive internationale Wettbewerbsordnung gedrängt werden. Da solche globalen Lösungsvorschläge schwierig zu realisieren sind, wäre es schon ein erster Schritt, eine liberale Außenhandelspolitik anzustreben, um in Richtung eines stärkeren Wettbewerbs zu marschieren

Dazu müssen auch die nicht-tarifären Importbeschränkungen abgebaut werden. Den Entwicklungsländern ist die Möglichkeit einzuräumen, durch Handel ihre Devisen zu erwirtschaften, statt sie sich über Entwicklungshilfe zu erbetteln. Investitionsschutzabkommen —verbunden mit einem Kodex des guten Verhaltens seitens der transnationalen Konzerne— würden Privatinvestitionen fördern und den internationalen Technologietransfer erleichtern.

In der Wirtschafts-und Sozialpolitik sollten marktkonforme Instrumente eingesetzt werden. Eine solide Finanz-und Geldpolitik ist gefordert, um die Monetarisierung der Wirtschaften in der Dritten Welt voranzutreiben, was durch hohe Inflationsraten behindert wird. In Bundesstaaten ist ein Finanzausgleich üblich, der die Regierungen der einzelnen Länder in die Lage versetzt, regionale Entwicklungsdefizite auszugleichen. Es müßte überlegt werden, wie die Entwicklungshilfe der Industrieländer sinnvoll im Rahmen eines internationalen Finanzausgleichs eingesetzt werden könnte, wobei auch sozialpolitische Auflagen möglich wären, und ob die Entwicklungshilfe nicht bei der Implementierung der sozialen Komponente im Rahmen einer internationalen Sozialen Marktwirtschaft eine helfende Funktion übernehmen kann, statt — wie bisher — teilweise als externe Strukturpolitik zu dienen. Ein Beispiel wäre die Förderung von Sozialversicherungssystemen in der Anfangsphase durch Mittel der Entwicklungshilfe, wodurch langfristig auch eine Reduzierung des Bevölkerungswachstums zu erwarten ist.

XI. Wie es zu machen wäre -Einige konkrete Maßnahmen

Den Industrieländern ist zu raten, erst einmal selbst einen marktwirtschaftlichen Ansatz konse-quenter zu verfolgen: So müßten beispielsweise zunächst die GATT-Regeln eingehalten werden. Der Eintritt für eine Weltmarktwirtschaft wirkt unglaubwürdig — und daher wohl so wenig überzeugend—, weil in Krisen auch die Industrieländer sofort zum Protektionismus greifen. Es muß wieder deutlich werden, daß eine Marktwirtschaft eben nicht ein Schönwetter-Konzept ist, sondern sich gerade in Krisen bewährt. Die deutsche Wirtschaftspolitik greift in Krisen jedoch immer wieder in den anderen Köcher; Monopole durch Fusionen, staatliche Eingriffe der Struktur-bewahrung usw. zeigen, daß selbst das Land der Sozialen Marktwirtschaft sich in der Praxis oft auf dirigistische Instrumente verläßt. Im Rahmen eines Politik-Dialogs bei marktwirtschaftlichen Vorleistungen seitens der Industrieländer müßte den Entwicklungsländern gezeigt werden, daß die Marktwirtschaft auch bei ihnen dynamische Kräfte aktiviert Kleine Schritte, in einem konsistenten Gesamtrahmen, sollten den Anfang bilden. Die Preise müssen dort, wo Verzerrungen auftreten, so gesetzt werden, „als ob es eine Marktwirtschaft gäbe“. Durch ihre falsche Wirtschaftspolitik haben sich die Entwicklungsländer teilweise in Krisen manövriert, aus denen sie nur herauskommen, wenn deren Ursachen abgebaut werden. Insbesondere in den folgenden Bereichen sind Korrekturen angebracht:

Mindestlohnpolitik: In vielen Entwicklungsländern gelten Mindestlohnvorschriften; der Mindestlohn liegt höher als das Wertgrenzprodukt vieler Arbeitnehmer; diese haben deshalb kaum Beschäftigungschancen. Der relativ hohe Lohn — bei gleichzeitiger Zinsverbilligung— führt zu einer kapitalintensiven Produktionsweise, die das Arbeitslosenproblem verschärft (und der Faktor-ausstattung des Landes nicht entspricht). Wegen der fehlenden Arbeitslosenversicherung müssen sich die Arbeitslosen selbständig im tertiären Bereich verdingen, so daß es zu einer hohen Quote versteckter Unterbeschäftigung kommt. Ein Abbau der Mindestlöhne kann die Beschäftigung Arbeitsloser wieder lohnend machen

Agrarpolitik: Die Agrarpreise liegen im allgemeinen unterhalb des Weltmarktniveaus und der ökonomischen Produktionskosten. Die Bauern haben keinen Anreiz zur Marktproduktion, wodurch der fragile Subsistenzbereich wächst und das Entstehen monetärer Wirtschaftskreisläufe verhindert wird. Die Vernachlässigung des Agrarsektors ist wohl eines der stärksten Entwicklungshemmnisse; deshalb sind Preiserhöhungen und der Aufbau von Lagerkapazitäten und Vermarktungswegen unerläßlich für einen sich tragenden Entwicklungsprozeß. Die sozialen Probleme der Armen müssen durch andere Maßnahmen als durch niedrige Preise gelöst werden. Eine verstärkte Nahrungsmittelhilfe bringt zwar einen Transfergewinn —, unterminiert aber langfristig die Wachstumschancen Auch die defiziente Agrarverfassung behindert eine Entwicklung des ländlichen Raums Die Verfügungsrechte der Bearbeiter des Bodens müssen verbessert werden, damit Investitionen für Pächter attraktiver werden.

Geldpolitik: Hohe Inflationsraten erschweren eine ökonomische Kalkulation: Industrielle Investitionen werden unsicher, Ersparnisse gehen in wertbeständige Anlagen. Auch der Aufbau einer effektiven Finanzordnung wird durch die Inflation behindert; nach wie vor sind die Kapitalmärkte in den Entwicklungsländern unterentwikkelt, wofür auch eine Niedrigzinspolitik verantwortlich ist. Den Entwicklungsländern muß geraten werden, die Finanzintermediation zu fördern und das Eigenpotential an Ersparnissen auszuschöpfen, das wegen einer verfehlten interventionistischen Finanzmarktpolitik nicht mobilisiert bzw. produktiv verwendet werden kann Der im Stilgedanken der Sozialen Marktwirtschaft geforderte stabile Geldwert würde Ersparnisse für die wirtschaftliche Entwicklung bereitstellen helfen. Wechselkurspolitik und Devisenbewirtschaftung: Der überhöhte Wechselkurs der Währungen von Entwicklungsländern behindert deren Exporte und fördert die Importe über die chronischen „Zahlungsbilanzdefizite“ dürfte man sich eigentlich nicht wundern. Die deshalb notwendige strenge Devisenbewirtschaftung schreckt zusätzlich potentielle ausländische Investoren ab, so daß das wirtschaftspolitische Ziel eines außen-wirtschaftlichen Gleichgewichts kaum erreicht werden kann. Die wirtschaftliche Unsicherheit führt zusätzlich zur Kapitalflucht: Einige Entwicklungsländer sollen mehr Fluchtkapital im Ausland haben, als deren staatliche Verschuldung ausmacht. Der hohe Zollschutz läßt ferner marode Firmen weiter existieren. Jungfer hat in einer empirischen Studie gezeigt, daß Entwicklungsländer mit Devisenbewirtschaftung (aufgrund überhöhter Wechselkurse) erheblich niedrigere Wachstumsraten aufweisen als Länder ohne Devisenbewirtschaftung. Dabei unterscheiden sich die Investitionsquoten nur unwesentlich; beim marginalen Kapitalkoeffizienten konnten hingegen erhebliche Unterschiede festgestellt werden. Jungfer schließt daraus, daß die Länder mit strenger Devisenbewirtschaftung für ihre Entwicklung mehr Kapital benötigen als solche mit einer marktkonformeren Politik. So ist es verständlich und auch angebracht, daß der internationale Währungsfonds bei seinen Konditionen im Rahmen der Vergabe von Kreditfaszilitäten immer wieder einen Abbau der überbewerteten Wechselkurse fordert. Marktkonforme Wechselkurse helfen nicht nur beim Abbau des Verschuldungsproblems, sondern erleichtern ein wirtschaftliches Wachstum und helfen dadurch, die Not in der Dritten Welt zu lindern.

XII Fazit: Der Marktwirtschaft eine Chance!

Nach mehr als drei Jahrzehnten „Entwicklungsplanung“ und dem Versagen der verschiedenen dirigistischen und planwirtschaftlichen Instrumentarien sollte der marktwirtschaftlichen Lösung eine Chance gegeben werden; die Not in den Entwicklungsländern ist zu groß, als daß man es nicht mit marktwirtschaftlichen Elementen versuchen sollte. Immerhin hat sich das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft — trotz aller Beschränkung in der praktischen Wirtschaftspolitik — in der Bundesrepublik als robust erwiesen. Unter einer Sozialen Marktwirtschaft ist jedoch keine Laissez-faire-Ökonomie des Frühkapitalismus zu verstehen, sondern eine Wirtschaftsordnung, die leistungsorientierte Anreize setzt und den Schwachen in Würde am wirt-38) schaftlichen Erfolg partizipieren läßt. Bedenkt man, daß ein großer Teil der Führungskräfte nach dem Krieg meinte, daß ein kriegszerstörtes Land sich nur mit Hilfe einer sozialistischen Planung erholen könne, muß das Wagnis Ludwig Erhards bewundert werden, auf marktwirtschaftliche Kräfte zu vertrauen. Einen ähnlichen Mut müßten auch die Politiker in den Entwicklungsländern zeigen.

Der Markt ist weder hinreichend noch notwendig für die Überwindung der Not in der Dritten Welt — aber ohne ihn wird ihre Überwindung kaum möglich sein Erfolgreich ist das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nur, wenn es in beiden Komponenten, der marktwirtschaftlichen und der sozialen, ganz durchgeführt wird. Die Industrieländer haben eine moralische Verpflichtung, bei der Überwindung der Not mitzuhelfen. Statt mehr Entwicklungshilfe sind größere Handelserleichterungen gefordert; ihre Hilfe sollten sie subsidiär leisten, d. h., erst einmal sind die Entwicklungsländer und ihre Eliten dazu aufgefordert, ihren Beitrag (Abbau von Preisverzerrungen, Bodenreform usw.) zu leisten. Die Bundesregierung sollte den Mut aufbringen, sich weltweit verstärkt für Elemente der Sozialen Marktwirtschaft einzusetzen. Es ist das dem Menschen gemäße wirtschaftliche Konzept.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Alle Daten stammen aus den Weltentwicklungsberichten, die die Weltbank seit 1978 jährlich herausgibt. Die meisten Daten wurden aus dem Weltentwicklungsbericht 1986 entnommen.

  2. Vgl. dazu die Tabellenangaben.

  3. Lord Bauer würde die Entwicklungshilfe ganz abschaffen. Gunnar Myrdal würde sie nur noch als Sozialhilfe gewähren, weil sie — mit wenigen Ausnahmen — die Armen kaum erreicht. Vgl. P. T. Bauer, Reality and Rhetoric. Studies in the Economics of Development. Cambridge 1984; G. Myrdal, Relief Instead of Development Aid, in: Intereconomics, März/April (1981), S. 86— 89.

  4. Literaturhinweise finden sich in: W. Lachmann, Realitätsnähe der Entwicklungshilfe im Rahmen der von der Bundesregierung verfolgten Entwicklungsstrategie, in: G. Rüther (Hrsg.), Die notwendige Hilfe. Grundlagen, Leitlinien und Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, Melle 1986, S. 17— 44.

  5. Vgl. A. J. Halbach u. a., Wirtschaftsordnung, sozioökonomische Entwicklung und weltwirtschaftliche Integration in den Entwicklungsländern, Bonn 1982; Wissenschaftlicher Beirat beim BMZ (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Entwicklungserfolg, Köln 1985; H. P. Fröhlich, Mehr Marktwirtschaft — auch in Entwicklungsländern, Köln 1986; R. Clapham, Soziale Marktwirtschaft in Entwicklungsländern; in: Ludwig Erhard-Stiftung (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft als nationale und internationale Ordnung, Stuttgart 1978, S. 78— 92; Ludwig Erhard-Stiftung (Hrsg.), Marktwirtschaft draußen. Beispiele geglückter Übernahmen oder Ansätze in Ländern der Dritten Welt, Stuttgart und New York 1982; D. Lösch, Markt oder Staat für die Dritte Welt? Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik in Entwicklungsländern, illustriert am Beispiel der Republik Malawi, Hamburg 1983.

  6. Entwicklung soll hier als ein rein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff verstanden werden. Es geht also um die Überwindung der wirtschaftlichen Not, um Über-windung der materiellen Existenzangst, die durch mangelnde Befriedigung der Grundbedürfnisse hervorgerufen wird. Einer Bewertung der kulturellen Entwicklung der Völker nur gemäß wirtschaftlicher Daten soll nicht das Wort geredet werden!

  7. Verwiesen sei auf den dogmengeschichtlichen Über-blick in: W. Lachmann (Anm. 4), S. 23ff.

  8. Die deutsche Übersetzung der Kurzfassung des drei-bändigen Werkes erschien als G. Myrdal, Asiatisches Drama — Eine Untersuchung über die Armut der Nationen, Frankfurt 1980; vgl. auch die Ausführungen zu den Untersuchungen von McClelland und zur Diskussion hinsichtlich der Relevanz der Max-Weber-These in: H. R. Hemmer, Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer; München 1978, S. 164 ff.

  9. Verwiesen sei auf das von der Wirtschaftstheorie herausgearbeitete Problem des „Gefangenendilemmas“. Hierbei handelt es sich um den Konflikt, daß die einzelwirtschaftlich optimalen Entscheidungen gesamtgesellschaftlich negativ zu bewerten sind. Wenn jeder beispielsweise das soziale Netz bis zum letzten ausnutzt, mag es sein, daß dieses Netz nicht mehr zu finanzieren ist. Das Gefangenendilemma zeigt die Problematik kollektiver Absicherungen auf. Vgl. W. Lachmann, Ausweg aus der Krise. Fragen eines Christen an Marktwirtschaft und Sozialstaat, Wuppertal 1984, S. 21 ff.

  10. Beim Vorliegen externer Effekte stimmen die gesellschaftlichen Kosten bzw. Nutzen nicht mit den privaten überein. Liegen die gesellschaftlichen Kosten über den privaten, dann kommt es auf dem Markt zu einer Über-produktion (Problem der Umweltverschmutzung); ist der gesellschaftliche Nutzen höher als der private, haben wir eine gesellschaftliche Unterversorgung zu erwarten. Der Unternehmer muß für den Nutzen, den er der Gesellschaft stiftet, für den er aber nicht über den Markt bezahlt wird, kompensiert werden. Gleiches gilt für die nicht über den Markt abgerechneten Kosten (Umweltverschmutzung).

  11. Bei Kostendegression wegen möglicher Massenproduktion (zunehmende Skalenerträge) versagt der Marktmechanismus. Hier gibt es einen Konflikt zwischen der optimalen Betriebsgröße einerseits und der Notwendigkeit des Wettbewerbs andererseits. Eine Liberalisierung des Außenhandels hilft, den Konflikt zu lösen.

  12. Oft sind Investitionen durch hohe Rentabilitätsrisiken gekennzeichnet. Obgleich der gesellschaftliche Nutzen hoch sein kann, werden sich Private scheuen, Investitionen vorzunehmen. Hier ist es möglich, daß der Staat helfend eingreift, um bei Unsicherheit Risiken mitzutragen.

  13. Ein ausgezeichnetes Buch, das die wirtschaftspolitische Betrachtungsweise mit dem Effizienzgedanken verbindet, ist: E. Sohmen, Allokationstheorie und Wirtschaftspolitik, Tübingen 1976.

  14. Zu den ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs, die eine gute Marktversorgung gewähren sollen, gehören: Steuerungsfunktion, Allokationsfunktion, Innovationsfunktion, Anpassungsfunktion, Verteilungsfunktion, Kontrollfunktion. Vgl. H. Berg, Wettbewerbs-politik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, München 19852, Bd. 2, S. 23I.

  15. Bei der Stabilisierungspolitik greift der Staat in den Wirtschaftsprozeß ein, bei der Stabilitätspolitik setzt er den optimalen Rahmen durch ein sinnvoll gestaltetes Anreizsystem (Ordnungspolitik).

  16. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMZ (Anm. 5), weniger kritisch; H. P. Fröhlich (Anm. 5).

  17. Unter einer inversen Angebots-oder Preisreaktion versteht man ein anormales Verhalten bei Preisänderungen: Steigt der Preis, dann wird das Angebot gesenkt, weil der Produzent mit einem bestimmten Einkommen zufrieden ist, das er jetzt mit einem niedrigeren Angebot erzielen kann. Sinken die Löhne, dann werden die Arbeitnehmer, wenn sie zur Erzielung des Einkommens von den Löhnen abhängig sind, mehr — statt weniger — an Arbeitsleistungen anbieten. Bei inversen Angebotsreaktionen sind auch sozialpolitische Schutzmaßnahmen notwendig.

  18. Vgl. die Literaturhinweise in: W. Lachmann, Nachfrageaugmentierende Grundbedürfnisstrategien und ihre externe Finanzierung. Dargestellt am Beispiel eines food stamp-Programms, in: Zeitschrift für Wirtschaft-und Sozialwissenschaften, (1982), S. 53— 76.

  19. Vgl. E. Tuchtfeldt, Ordnungspolitische Konzepte in der Dritten Welt, in: Ludwig Erhard-Stiftung, Marktwirtschaft draußen (Anm. 5), S. 9— 38.

  20. Vgl. H. Hesse und H. Sautter, Entwicklungstheorie und -politik Bd. 1: Entwicklungstheorie, Tübingen und Düsseldorf 1977, S. 44 ff.

  21. Unter dem internationalen Demonstrationseffekt versteht man das Verhalten, das Eliten der Entwicklungsländer an den Tag legen, wenn sie den aufwendigen Konsum der im Land lebenden Europäer nachahmen.

  22. Vgl. W. Lachmann, Entwicklung muß von innen kommen, in: factum, (1981) 11 /12, S. 18— 27. „Changes in people are at the core of development. Development lags behind in any ‘New Society’ unless there exists a ‘New Man’ who’s personality, believes and behaviour are congruent with development goals”. Vgl. D. G. Baker, Development Models and Strategies. The Problem of Human Motivation, in: Journal of Contemporary African Studies, (1982) 3, S. 211— 240.

  23. So auch der wissenschaftliche Beirat des BMZ (Änm. 5).

  24. Das Ergebnis der IfO-Untersuchung verbesserte sich (größere Signifikanz der These, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung zu einem höheren Wachstum führt), wenn Länder-Umgruppierungen vorgenommen wurden. Es wäre wohl angebracht, auf eine volle Zuordnung der Entwicklungsländer auf marktwirtschaftliche und zentralverwaktungswirtschaftliche Staaten zu verzichten und das Hauptaugenmerk auf den Außenhandelsbereich zu legen. Südkorea kann kaum als eine Marktwirtschaft — in unserem Sinne — angesehen werden. Immerhin gibt es jedoch dort viele Wettbewerbsbereiche, obgleich die Preisverzerrungen ebenfalls sehr hoch sind. Dennoch hat sich Südkorea auf den internationalen Wettbewerb durch eine konsequent betriebene exportorientierte Industriepolitik vorbereitet. Vgl. B. Balassa u. a., Development Strategies in Semi-Industrial Economies, Baltimore and London 1982.

  25. In diesem Zusammenhang spricht man von einer rentenabsichernden Gesellschaft. Vgl. A. O. Krueger, The Political Economy of the Rent-Seeking Society, in: American Economic Review, 64 (1974) 3, S. 291— 303.

  26. Sri Lanka ist mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 360 US-Dollar (1984) eines der ärmsten Entwicklungsländer; das Pro-Kopf-Einkommen gleicht dem des Sudan. Die Lebenserwartung bei Geburt war 1984 jedoch mit 70 Jahren erheblich höher als die erreichten 48 Jahre des Sudan. Im Zeitraum 1982— 1984 stieg der Index der Pro-Kopf-Nahrungsmittelproduktion im Vergleich zum Zeitraum 1974— 1976 auf 125 an, eine Steigerung, die nur noch von China (128) und Jordanien (136) übertroffen wurde; für den Sudan lag dieser Index bei 93. Zum food-stamps-scheme Sri Lankas vgl. die ausführlichen Erläuterungen in: W. Lachmann, Das „Food-Stamp-Programme“ von Sri Lanka — ein Beitrag zu einer Grundbedürfnisstrategie?, in: Internationales Asienforum, 12 (1981) 4, S. 341— 352; ders., Effizienz versus Sozialpolitik — Wirtschaftstheoretische Grundlagen einer armutsorientierten Agrarpreispolitik und empirisches Ergebnis am Beispiel des „FoodStamps-Scheme" von Sri Lanka, in: E. Zurek/E. Krüsgen (Hrsg.), Erzeugerorientierte Markt-und Preispolitik in den ärmsten Entwicklungsländern, Feldafing 1985, S. 153— 172.

  27. Bei den food stamps handelt es sich nicht um die bei uns nach dem Krieg verwendeten Lebensmittelmarken. Es handelt sich vielmehr um gezinktes Geld, das nur zum Kauf bestimmter Güter verwendet werden kann. Das Programm sieht vor, daß Familien bis zu fünf Personen mit einem Höchsteinkommen von 300 Rs. pro Monat Lebensmittel-und Leuchtpetroleumgeld erhalten, dessen Höhe vom Alter der Familienmitglieder abhängig ist. Erwachsene erhalten 15 Rs. monatlich, Kinder zwischen 8 und 12 Jahren 20 Rs. und Säuglinge bzw. Kleinkinder (bis 7 Jahre) 25 Rs. Dazu kommen kerosene stamps für die Familie in Höhe von zur Zeit monatlich 15, 5 Rs. Diese stamps sind jeweils nur einen Monat gültig und werden alle drei Monate ausgegeben. Nicht verbrauchte stamps können innerhalb von 15 Tagen auf ein Sparkonto gutgeschrieben werden, wobei über das Konto dann frei verfügt werden kann.

  28. Die Kosten der Nahrungsmittelsubvention betrugen 1975 2, 3 Mrd. Rs. — das food-stamps-scheme kostete 1985 1, 4 Mrd. Rs.

  29. Vgl. W. Lachmann, Zur sozialpolitischen Abfederung marktwirtschaftlicher Instrumente in Entwicklungsländern, in: Orientierungen, (1987) 31.

  30. Vgl. die ausführlichen Beispiele und Berechnungen im Weltentwicklungsbericht 1986, insb. Kap. 6, Agrarpolitik in den Industrieländern.

  31. Der Protektionismus der Industrieländer ist daher eine Gefahr für einen reibungslosen Ablauf des Wachstumsprozesses und für eine zufriedenstellende Lösung des Schuldenproblems, vor dem viele Entwicklungsländer stehen (Weltentwicklungsbericht 1985, S. 44). Hemmend sind insbesondere Maßnahmen des modernen Protektionsmus, die der nicht-tarifären Handelshemmnisse. Allein im Zeitraum 1980— 1983 haben sich diese Handelshemmnisse in den USA verdoppelt und in der EG um 38% erhöht.

  32. Zum Preissystem und der Aufgabe des Staates in Entwicklungsländern vgl. Weltentwicklungsbericht 1983, insb. Kap. 5 und 6, wo eine leistungsorientierte Preispolitik gefordert wird. Es ist bedenklich, wenn in der Bundesrepublik reine Exportkartelle nach § 6 I GWB durch bloße Anmeldung wirksam werden.

  33. Wichtig ist vor allem die Überzeugungsarbeit. Es müßten Programme entworfen werden, die das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft der eigenen Bevölkerung — insbesondere den Politikern, die es oft gar nicht verstanden haben — und auch den Eliten der Entwicklungsländern näherbringen.

  34. Auch beim Aufbau einer Arbeitslosenversicherung sollten die Industrieländer den Entwicklungsländern im Rahmen einer internationalen Sozialen Marktwirtschaft helfen. Komplementäre sozialpolitische Maßnahmen müßten ergriffen werden.

  35. Gelegentlich wird argumentiert, daß die Nahrungsmittelhilfe bei vorgegebener EG-Agrar(überschuß) politik eine verlustsenkende Strategie sei. Das mag kurzfristig stimmen. Es muß jedoch überprüft werden, ob die Wachstumsverluste der Entwicklungsländer den Transfergewinn nicht überkompensieren, zumal die Entwicklungsländer nicht in der Lage sind, die Gegenmittel des Transfers optimal einzusetzen. Nahrungsmittelhilfe gilt allgemein als doppelt gebundene Hilfe und damit als inferior. Das Geldäquivalent der Nahrungsmittelhilfe ist kleiner als I und damit inferior gegenüber einem monetären Transfer.

  36. Vgl. die detaillierten Ausführungen in: W. Lach-mann, Möglichkeiten des Aufbaus einer eigenständigen Ernährungsbasis in den Ländern der Dritten Welt, in: Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Antrittsvorlesungen, Bd. 1, Mainz 1986, S. 47— 89.

  37. Durch ein wirksames Finanzsystem ist es möglich, daß viele kleine Sparer die Mittel für größere Projekte zusammenlegen (Losgrößentransformation). Der Finanzintermediär kann durch Investition in mehrere Projekte den Totalverlust reduzieren (Risiko-Transformation: You should never carry all eggs in one basket). Jedenfalls ist es möglich, die Ersparnisse in einer Region, wo Investitionen nicht so produktiv sind, dahin zu lenken, wo die gesellschaftliche Produktion am höchsten ist (Lokale Transformation). Diese drei Funktionen werden auch zur Anlageumwandlungsfunktion zusammengefaßt. Vgl. H. -G. Geis, Die Rolle der finanziellen Infrastruktur bei der Kapitalbildung. Einige Ergänzungen, in: H. Priebe (Hrsg.), Eigenfinanzierung der Entwicklung, Berlin 1975, S. 69— 78.

  38. Überhöhte Wechselkurse wirken wie eine Subvention der Einfuhr bzw. wie ein Zoll auf die Ausfuhr. Bei fixen Wechselkursen kommt es zu einem Nachfrageüberschuß nach ausländischen Währungen, der — da Marktanpassungen nicht vorgenommen werden — durch eine Rationierung kontrolliert werden muß. Deshalb kommt es zu Überfraktuierungen der Einfuhr und zu Unterfraktuierungen der Exporte sowie zu überhöhten Devisenanforderungen der Antragsteller (um Kürzungen vorzubeugen). Die Bürokratie ist zu einer effektiven Zuteilung der Devisen nach gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten nicht in der Lage. Die Währungsbürokratie ist ebenfalls Pressionen verschiedener politischer Lobbies ausgeliefert, woraus Willkür und Korruption folgen. Gegen Fehlentwicklungen gibt es nun keinen Sanktionsmechanismus mehr.

  39. Vgl. J. Jungfer, Die Hemmung des Wirtschaftswachstums in Entwicklungsländern durch Devisenbewirtschaftung, in: ORDO, 37 (1986), S. 235— 237.

  40. Peter Timmer sagte einmal: „Getting prices right is not the end of development, but getting them wrong is!“

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Werner Lachmann, Dr. phil., geb. 1941; seit 1983 Professor für Wirtschaftswissenschaften (Wirtschaftspolitik) an der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz; Studium in Heidelberg, Rutgers (USA) und Louvain (Belgien); Habilitation in Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Wirtschaftspolitik im Ungleichgewicht, Frankfurt 1983; Ausweg aus der Krise, Wuppertal 1984; Leben wir auf Kosten der Dritten Welt?, Wuppertal 1986; Fiskalpolitik, Heidelberg 1987. Dazu Veröffentlichungen in inländischen und ausländischen Fachzeitschriften und Sammelbänden zu den Themen: Entwicklungspolitik, Geldpolitik, Fiskalpolitik und Wirtschaftsethik.