Ein Wegweiser mit der Aufschrift "Ordnungsamt Ausländerbehörde".
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In den kommunalen Ausländerbehörden stauen sich die Fallzahlen. Rat- und Hilfesuchende brauchen viel Geduld und Nerven.

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"An der Grenze zur Überlastung": Ausländerbehörden am Limit

Bayerns Ausländerbehörden arbeiten am Anschlag. Asylbewerber und andere Betroffene warten teils Monate auf ihre Bescheide. Das bayerische Innenministerium versucht, dagegen zu steuern. Kritik kommt vom Flüchtlingsrat. Ergänzt durch "Dein Argument".

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Mitarbeitende haben Berge von Akten vor sich, Rat- und Hilfesuchende brauchen viel Geduld und Nerven. Die Lage in den bayerischen Ausländerämtern ist angespannt. Ein Beispiel: die Ausländerbehörde der Stadt Passau.

Leiterin: "An der Grenze zur Überlastung"

Zutritt bekommt hier nur, wer einen Termin hat und von der Security durchgelassen wird. "Wir hatten hier schon unschöne Vorfälle, sogar gewalttätige Übergriffe. Deshalb sind wir vorsichtig", erklärt Karin Schmeller. Als Leiterin des Ordnungsamtes ist sie zuständig für das Passauer Ausländeramt. Jeder Mitarbeitende hier sei für bis zu 3.500 Akten zuständig, Hunderte E-Mails müssen hier am Tag beantwortet werden, sagt sie. Asylleistungen, Aufenthaltstitel, Abschiebungen, dazu Anträge ausländischer Studenten oder von EU-Bürgern und vieles mehr - hier schlägt alles auf. Schmeller sagt: "Die Kollegen sind an der Grenze zur Überlastung."

Auf der anderen Seite des Büros öffnet sich eine Tür. Ein junger Mann betritt den mit einer Glasscheibe abgetrennten Raum. Es geht um eine Aufenthaltserlaubnis. Man brauche ein anderes Passfoto, sagt der Beamte dem Syrer im freundlichen Ton auf Englisch.

Telefone sind abgestellt

Die Wände im Zugang zu den Büros ist mit unzähligen Aktenordnern voll gestellt. Es ist auffallend ruhig. Keine Telefonate. Die Ordnungsamtsleiterin erklärt: "Seit dem Ukraine-Krieg ist die Arbeit noch einmal deutlich mehr geworden. Deshalb mussten wir die Telefone abstellen. Die telefonische Erreichbarkeit hält uns zu sehr von der Arbeit ab, die wir für die Sachbearbeitung brauchen. Anfragen können wir nur noch schriftlich beantworten."

Mittlerweile ist ein Viertel der 52.000 Passauer Einwohner ausländischer Herkunft. Dazu hat die Stadt Passau in den vergangenen eineinhalb Jahren über 700 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Die Zahl der zu bearbeitenden Fälle sei förmlich explodiert, so Karin Schmeller: "Die Mitarbeitenden gehen mit einem unguten Gefühl in den Urlaub. Weil sie wissen, dass sie einen Berg an Arbeit vor sich haben, wenn sie wiederkommen." In normalen Zeiten reicht das Personal gerade so aus. In Ferien- oder Krankheitsphasen wird es schwierig - auch wenn die Behörde zuletzt um eineinhalb Stellen aufgestockt wurde.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund der Kommentare der Nutzer:in „anasemanini“ im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.

Von den rund 13.000 in Passau lebenden Ausländern kommen 8.000 aus Drittstaaten und 5.000 aus EU-Staaten, heißt es von der Stadt Passau. 800 Personen haben derzeit eine Niederlassungserlaubnis, beziehungsweise sind geduldet. Weitere 4.500 Personen haben eine Aufenthaltsgenehmigung. 💬

Auch in Freyung: Langes Warten auf Termine

Ähnlich ist die Situation in Freyung im Bayerischen Wald. Wir sind am Anschlag, heißt es aus dem Landratsamt. Mehr Visumsverfahren für Fachkräfte, Verlängerungen von Aufenthaltstiteln, Fiktionsbescheinigungen, also die Nachweise für ein vorläufiges Aufenthaltsrecht: mehr Fälle in allen Bereichen, schreibt ein Amtssprecher. Lange Wartezeiten seien unvermeidlich, obwohl auch in Freyung die Mitarbeiter etwas mehr geworden sind.

Svetlana Waldschmidt bestätigt das. Sie engagiert sich in einem Helferkreis in Vilshofen im Landkreis Passau für Asylbewerber, begleitet sie bei Behördengängen. Ihr Eindruck: "Ganz klar - die Leute im Amt sind überlastet. Alleine auf einen Termin für eine asylsuchende Familie habe ich schon mal über zwei Monate warten müssen." Ein türkischer Bauingenieur, der seit sechs Jahren in München lebt, hatte bereits vor fünf Monaten ein neues Visum beantragt. Rückmeldung aus der Behörde: Fehlanzeige. "Mein Visum ist im Juli ausgelaufen. Ich fühle mich gestresst und habe Angst, dass ich kein neues bekomme", sagt der Mann im BR-Interview.

Bayerisches Innenministerium versucht, Abläufe zu zentralisieren

Die Situation ist in vielen deutschen Ausländerbehörden angespannt. Die Ausländerbehörde in München berichtet, dass sie monatlich rund 47.000 E-Mails erreichen – im vergangenen Jahr waren es 600.000. Das Bayerische Innenministerium sei sich der Lage bewusst, teilt es auf Anfrage mit. Personalmangel, steigende Zuwanderungszahlen, zusätzlicher bürokratischer Aufwand durch neue Gesetze. Um die örtlichen Ämter zu entlasten, hat die bayerische Regierung seit 2016 zentrale Ausländerbehörden eingerichtet, die sich vordergründig um Ausreisepflichtige kümmert. Im Jahr 2020 wurde auch eine zentrale Stelle für die Einwanderung von Fachkräften eingerichtet, um die Verfahren in dem Bereich zu beschleunigen, so das Innenministerium.

Flüchtlingsrat wirft Staatsregierung "politisches Versagen" vor

In der Realität spüren die örtlichen Ausländerbehörden wenig Entlastung im Alltag. Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat kritisiert daher das Vorgehen des Innenministeriums. Sie merkt an, dass die Zentralen Ausländerbehörden, die vor allem Abschiebungen organisieren, vergleichsweise gut funktionieren würden. In anderen Bereichen fehle es dagegen massiv an Manpower. Sie wirft der bayerischen Staatsregierung "politisches Versagen" an den entscheidenden Stellen vor: "Wir fordern, dass die bayerische Regierung anerkennt, dass Bayern ein Einwanderungsland ist und dass die Behörden somit auch anders ausgelegt werden müssen", so Grote. "Der Fokus muss ein anderer sein, als Leute loszuwerden. Wir wollen Menschen integrieren und dafür braucht es das Personal in den Behörden."

Im Video: Ausländerämter am Anschlag

Berge von Akten, Zehntausende E-Mails pro Woche, zahllose Termine am Tag - das ist der Alltag in unseren Ausländerämtern. Einige deser Behörden scheinen völlig überlastet zu sein. Mit gravierenden Folgen für die Antragsteller...
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Berge von Akten, Zehntausende E-Mails pro Woche, zahllose Termine am Tag - das ist der Alltag in unseren Ausländerämtern.

Ausländerbehörden: "Können nicht Übermenschliches leisten"

Zurück ins Passauer Ausländeramt: Karin Schmeller bespricht sich mit einem Kollegen, lässt sich im Fall des Syrers, der eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, auf den aktuellen Stand bringen. Die Arbeit in der Behörde sei mitunter auch belastend, meint die Ordnungsamtschefin. Vom Bleiberecht eines Asylsuchenden hänge viel ab - der Job, die Wohnung, die Familie. Jede Akte entscheidet über Schicksale. Sorgsame Bearbeitung ist Pflicht und braucht Zeit. Schmeller sagt: "Wir tun unser Bestes, können aber nicht Übermenschliches leisten."

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