Symbolbild: Stillgelegte Bahnstrecke
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Keine Schiene, kein Zug, kein Wegkommen. Vor allem in ländlichen Regionen ist der öffentliche Nahverkehr vernachlässigt worden.

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Warum stillgelegte Bahnstrecken nur selten wiederbelebt werden

Keine Schiene, kein Zug, kein Wegkommen. Vor allem in ländlichen Regionen ist der öffentliche Nahverkehr vernachlässigt worden. Nun sollen stillgelegte Bahnstrecken wieder in Betrieb genommen werden. Doch warum passiert trotzdem kaum etwas?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

In den vergangenen Jahrzehnten ist das deutsche Bahnnetz geschrumpft. Vielerorts wurde der Bahnverkehr aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt und Strecken stillgelegt. Aus heutiger Sicht ein Fehler, sagen Experten. Um die Klimaschutzziele im Verkehrsbereich zu erreichen, muss in den kommenden Jahren mehr Personen- und Güterverkehr auf die Schiene verlagert werden. Neben der Sanierung und dem Ausbau der vorhandenen Bahnstrecken sollen auch viele stillgelegte Strecken wieder in Betrieb genommen werden. Das hat sich die Ampel-Regierung sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben.

Experten sehen großes Potenzial

Für den Branchenverband "Allianz pro Schiene" steckt darin ein großes Potenzial. Mindestens 1.300 Kilometer Schienenweg könnten laut Gutachten über diesen Weg wieder ans Bahnnetz angeschlossen werden, sagt Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege. Er schätzt diese Zahl sogar noch höher ein und spricht von 4.500 Kilometern, die reaktiviert werden könnten.

Nur acht Kilometer Strecke wieder in Betrieb genommen

Die Rahmenbedingungen, um stillgelegte Strecken wieder in Betrieb zu nehmen, seien mittlerweile gut. So fördere der Bund solche Vorhaben über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit 90 Prozent der Kosten. In den Bundesländern ist das angekommen. Sie wissen, dass mit der Reaktivierung alter Bahnstrecken Millionen Menschen ans Schienennetz angeschlossen werden können. "Die Zahl der beauftragten Machbarkeitsstudien wächst praktisch täglich", teilt Martin Henke vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen mit. Für knapp 80 von bundesweit rund 100 untersuchten Strecken liegen positive Ergebnisse vor. Eine solche Strecke wieder in Betrieb zu nehmen, würde sich also lohnen.

Trotzdem passiert in der Praxis wenig. Im vergangenen Jahr wurden lediglich acht Kilometer Bahnstrecke reaktiviert. "In diesem Jahr wird es auch einstellig sein", prognostiziert Dirk Flege von der "Allianz pro Schiene".

Wer übernimmt die Kosten für den Zugbetrieb?

Der Grund: Zwar sei die Finanzierung für die Bauarbeiten über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz gesichert, wer aber die Kosten für den Zugbetrieb auf den reaktivierten Strecken übernimmt, sei oft nicht geklärt, sagt Dirk Flege. Er fordert Bund und Länder auf, mehr finanzielle Mittel für den Zugbetrieb zur Verfügung zu stellen. Flege: "Hier braucht es ein Förderprogramm des Bundes", das den Ländern beim Zugbetrieb auf den reaktivierten Strecken finanziell unter die Arme greift. Da müssen Bund und Länder einen Weg finden, "wie man über zehn oder 15 Jahre verlässliche Finanzierungsbedingungen schaffen kann". Betreiber und Fahrgäste müssen sich darauf verlassen können, dass der Zugverkehr auf solchen Strecken langfristig gesichert ist, so der Chef des Branchenverbands.

Auch Güterverkehr soll profitieren

Neben dem Personen- müsse auch der Güterverkehr stärker in den Fokus rücken. Für diesen Bereich könnten ebenfalls viele Strecken wieder ans Bahnnetz angeschlossen werden. Der Bedarf dürfte groß sein, weil nach einer Prognose des Bundesverkehrsministeriums der Güterverkehr in den kommenden Jahren stark zunehmen wird.

Neustart kann bis zu zehn Jahre dauern

Doch selbst wenn Bund und Länder den Hebel umlegen, mehr Geld in die Hand nehmen und stillgelegte Strecken zügig reaktivieren, wird es vermutlich Jahre dauern, bis die Strecken tatsächlich befahren werden können. In "einfachen Fällen" dürften ein bis zwei Jahre vergehen, bis eine Strecke wieder in Betrieb ist. Dort, wo die Schienen entfernt wurden und größere Baumaßnahmen nötig sind, kann es fünf bis zehn Jahre dauern.

Besonders hohe Hürden in Bayern

In Bayern sind aus Sicht der Allianz pro Schiene die Hürden besonders hoch, um stillgelegte Bahnstrecken wiederzubeleben. Nur wenn mindestens 1.000 Fahrgäste pro Werktag zu erwarten sind, wird eine Reaktivierung überhaupt ins Auge gefasst, berichtet Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege. In anderen Bundesländern gibt es eine derart hohe Nachfragegrenze nicht. Flege: "Bayern ist da noch in der Vergangenheit verhaftet. Nach dem Motto: Es muss sich alles rechnen."

Mit Blick auf die Klimakrise, einem veränderten Mobilitätsverhalten der Menschen und der Herausforderung, wie ländliche Räume besser an benachbarte Städte angebunden werden können, sei das bayerische Vorgehen nicht mehr zeitgemäß. Das Verkehrsministerium in Bayern sieht das anders und will an der bisherigen Regelung festhalten. Bei einer geringeren Nachfrage sei es umweltfreundlicher, einen Bus entlang der Strecke einzusetzen. Zudem sei es ohnehin nur "eines von mehreren Kriterien, um in Bayern den Prozess einer Streckenreaktivierung anstoßen zu können", heißt es aus dem Ministerium.

Druck aus Bevölkerung und Kommunalpolitik

Obwohl die Forderung, alte Strecken wieder in Betrieb zu nehmen, nicht neu ist, sind die Experten optimistisch, dass die Appelle aus der Branche dieses Mal nicht verhallen. Der Druck aus der Bevölkerung und aus der Kommunalpolitik sei viel größer als in der Vergangenheit. "Die Menschen wollen ihre Schiene zurück", sagt Dirk Flege.

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