Bayern 2 - Notizbuch


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Vom Duzen und Siezen "Du, Frau Maier...?"

"Wohnst Du noch oder lebst Du schon?" Konsequent duzt der Möbelriese IKEA seine Kunden. Als kollektive Normalanrede ist das "Du" jedoch nicht jedem recht, sorgt ein "Sie" doch für eine respektvolle Distanz. Das Notizbuch-Freitagsforum fragt: Ist das "Du" in Deutschland auf dem Vormarsch?

Stand: 15.07.2016

Symbolbild: Business-Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau | Bild: coloubox.de

In sozialen Netzwerken wie Facebook ist die Anrede "Sie" so gut wie unauffindbar, und unlängst hat sogar Lidl seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das "Du" angeboten - oder vielmehr verordnet. Vom Firmenchef bis zum Regaleinräumer: Alle sind von jetzt an per Du. Wer nicht mitmacht, ist unerwünscht. Die vertraute Anrede mag in gewissen Situationen selbstverständlich sein: im Campingurlaub, auf dem Berg, vielleicht im Fitnessstudio. Aber nicht alle fühlen sich damit wohl - sorgt das höflichere "Sie" doch für eine gewisse Distanz, die auch Respekt ausdrücken kann.

Du oder Sie? Wie lassen sich sprachliche Grenzen ziehen?

Jutta Prediger | Bild: BR/Philipp Kimmelzwinger zum Artikel Notizbuch Jutta Prediger

Etwas anderes als Journalistin wollte sie nie werden. Natürlich fürs Radio! Allerdings glaubte sie anfangs, man müsse in den Apparat hineinkriechen, um daraus sprechen zu können. [mehr]

Gerade im Arbeitsalltag gibt es Situationen, bei denen allzu große Vertrautheit hinderlich sein kann oder zumindest als unangenehm empfunden wird. Ist das kollektive "Du" in Deutschland auf dem Vormarsch? Wie lassen sich mittels Sprache Grenzen ziehen und Distanz bewahren? Wie funktioniert das in anderen Sprachen, die zwischen "Du" und "Sie" nicht unterscheiden? Über das Duzen, Siezen und Grenzen ziehen spricht Jutta Prediger im Notizbuch-Freitagsforum mit ihren beiden Gästen, dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Horst Simon und dem Coach und Stiltrainer Jan Schaumann.

Auszüge aus dem Gespräch:

Notizbuch: Folgendes Szenario: Sie sind auf einer Party eines gemeinsamen Bekannten. Sie duzen einander, Sie duzen auch die anderen - in etwa gleichaltrigen - Gäste. Und dann treffen Sie auf die Eltern des Gastgebers, beide so um die 80 Jahre alt. Würden Sie sie auch einfach duzen?

Horst Simon: Ja. Denn wenn ich "Sie" sage, formuliere ich damit, dass sie eine alte Person ist, die offenbar nicht dazugehört. Nach dem Motto: Wir haben hier gerade eine schöne Party, aber Du schaust offenkundig alt aus, deshalb sage ich "Sie". Das wäre dann ein ausgrenzendes "Sie". Und genau das würde ich ja nicht wollen, wenn es um eine private Veranstaltung geht, wo alle abends gut drauf sind und eine Party feiern.

Jan Schaumann: Ich würde wahrscheinlich automatisch erstmal "Sie" sagen. Es sei denn, sie haben sich bei mir mit dem Vornamen vorgestellt. Dann ist es vollkommen klar, dass sie geduzt werden. Aber ansonsten habe ich das früher so gelernt, dass ich die Eltern meiner Freunde sieze. Und das habe ich bis heute so verinnerlicht, dass ich erstmal „Sie“ sagen würde. Vielleicht hat es etwas mit Respekt oder Distanz zu tun. Ich kann es schon nachvollziehen, was der Professor Simon sagt, dass man damit diese Eltern ausgrenzt. Trotzdem siegt da bei mir der Respekt vor dem Alter.

Herr Schaumann, Sie sind ja schon seit vielen Jahren als Kommunikationscouch sehr viel in Unternehmen unterwegs. Erleben Sie, dass das "Du" jetzt auf dem Vormarsch ist und dass das "Sie" langsam ausstirbt, zumindest im Kollegenkreis?

Schaumann: Es ist eigentlich seit Jahren so, dass man sich innerhalb der Peer-Group eher duzt, aber über die Grenzen der Peer-Group hinaus - also in die höhere Hirarchieebene hinein - siezt. Ich bin davon inzwischen überzeugt, dass das "Sie" in der deutschen Sprache eher ein Auslaufmodell ist. Das beinhaltet keine Wertung. Ich habe einfach das Gefühl, dass das "Sie" auf dem Rückzug ist.

Simon: Ich bin da nicht so ganz sicher. Man hat ja schon mal geglaubt, es würde aussterben. In manchen Sprachen ist es ja auch schon fast ausgestorben. Die Schweden haben in den 70er Jahren sehr stark auf Solidarität und Gemeinschaftlichkeit Wert gelegt. Dort ist es so, dass die dortige höfliche Form praktisch ausgestorben ist. In Deutschland hat man auch schon geglaubt, dass es sich so entwickeln würde. Aber im Gegensatz zu Herrn Schaumann glaube ich schon, dass es gerade junge Leute gibt, die sich mehr siezen.

Wie steht es um das "Hamburger Sie", also die Kombination aus "Sie" und Vorname?

Schaumann: Für die meisten klingt es interessanterweise verknotet. Ich kenne das auch aus Unternehmen. Gerade, wenn diese Unternehmen international operieren, scheint es für einige Ohren die beste Möglichkeit zu sein, sich nicht gleich duzen, aber trotzdem eine Mischform hinzukriegen.

Wenn eine Firma wie Lidl oder Otto das "Du" als Unternehmenssprache etablieren möchte, würden Sie sie dazu ermutigen oder davon abraten? Denn wer dabei nicht mitmachen möchte, grenzt sich ja selbst aus.

Schaumann: Das "Du" beinhaltet für uns eine gewisse Vertrautheit, eine gewisse Nähe. Und ich kann Nähe nicht verordnen. Wenn die oder der Vorsitzende von heute auf morgen beschließt, dass wir uns jetzt alle duzen, dann ist das sozusagen eine verordnete Nähe. Ich glaube, dass wir mit dem "Du" eine menschliche Nähe verbinden. Entweder in der eigenen sozialen Gruppe oder mit einem Menschen, den ich gut kenne, mit dem ich mich gut verstehe und auf der gleichen Wellenlänge liege. Mit der oder dem großen Vorsitzenden bin ich aber in der Regel nicht auf der gleichen Wellenlänge. So etwas kann man meiner Meinung nach schwer verordnen. Nähe muss wachsen. 


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