Braunschweig. Erst im Wasser, dann in der Luft: Libellen und ihre Larven sind ein Wunder der Evolution. Sie sind seit vielen Millionen Jahren erfolgreich unterwegs.

Ob Gartenteich oder Feuchtgebiete wie Braunschweig-Riddagshausen, ob Oker oder Elbe, überall sausen noch bis in den Spätsommer große Flugartisten mit glitzernden Flügeln umher – Libellen. Rund 80 Arten gibt es in Deutschland, etwa 5000 in der Welt und rund 20 an unserem Gartenteich.

Egal wo – Libellenbeobachtungen gehören mit zu den schönsten Naturerlebnissen. Libellen sind unsere größten einheimischen Insekten. Großlibellen mit fast 10 Zentimetern Spannweite und fast ebenso langen Körpern wiegen bis zu 1 Gramm, die winzigen Kleinlibellen dagegen nur rund ein Fünfzigstel davon.

Deren Gehirne wiegen nur wenige Teile eines Tausendstel Gramms – und doch: Wenn sie dicht vor uns in der Luft auf der Stelle schwirren, sich im nächsten Augenblick auf einen Rivalen stürzen oder einem Weibchen nachjagen und dabei einem Vogel mühelos entkommen, dann offenbart sich uns ein unfassbares Naturschauspiel.

Wie kann ein so winziges Wesen derartig blitzschnelle und koordinierte Flugmanöver zeigen?! Wenn wir Libellen studieren, schauen wir in eine andere Dimension.

Wir blicken dabei auch in die Abläufe der Evolution, die wir durch Fragen verstehen lernen können: Wieso kämpfen die Männchen so heftig, was machen die zierlichen Insekten bei akrobatischen Paarungen im Libellenrad?

Männchen kämpfen überall im Tierreich, um Rivalen aus dem Feld zu schlagen, denn jeder strebt höchst egoistisch nach Fortpflanzungserfolg. Weibchen sind sehr wählerisch und paaren sich nur mit den Besten. So wehren sie Männchen konsequent ab oder fliehen vor ihnen. Nur die stärksten oder schnellsten Männchen kommen dadurch zur Paarung.

Die Paarung im Libellenrad ist ein höchst eigenartiger Vorgang. Dabei räumt das Männchen zunächst den Samen eines Vorgängers aus dem Weibchen, bevor es seinen eigenen hineinfüllt. Dadurch gibt das an die Umweltbedingungen am besten angepasste Tier seine Gene weite. Kein Wunder, dass gerade Libellen seit vielen hundert Millionen Jahren so erfolgreich sind. Sie waren lange vor den Dinosauriern da und leben immer noch in großer Zahl.

Auch ihr Leben in den zwei Welten, als Larve im Wasser und als Flugtier in der Luft, hilft ihnen dabei. Vor Vertrocknung und Erfrieren im Wasser geschützt, wachsen sie als Larven in mehreren Jahren heran. Die Quelljungfer Cordulegaster, die auch in der Heide und im Harz vorkommt, hält mit sieben Jahren den Rekord.

Die Larven im Aquarium zu beobachten, ist ebenfalls äußerst spannend. Viele Großlibellenlarven schießen mit Raketenantrieb durchs Wasser. Sie drücken Wasser explosionsartig aus dem Darm. Schmutzteilchen im Wasser sieht man hinter den Larven plötzlich davonwirbeln. Kleinlibellenlarven schlängeln sich beim Schwimmen wie ein Fisch und benutzen als Schwanzflosse drei blattförmige Anhänge am Hinterleib. Libellenlarven sind große Jäger. Mit einer ausklappbaren Fangmaske greifen sie blitzschnell nach allem, was vorbeikommt, besonders nach Mückenlarven. Mehrere Tausend davon soll eine Großlibellenlarve während ihres Lebens verspeisen. In Indien werden Libellen deshalb sogar als Schädlingsbekämpfer eingesetzt, und in Japan werden sie sehr verehrt. Jedes Schulkind lernt die Namen von Dutzenden von Arten.

Noch faszinierender sind die Libellen in ihrem rasanten Leben in der Luft, wenn sie sich fortpflanzen. Allerdings müssen sie sich gerade bei der Liebe vorsehen: Frösche und allerhand Insekten und Vögel stellen ihnen nach. Doch auch hier haben Libellen Schutzanpassungen entwickelt: eine ultrakurze Reaktionszeit, ein großes Gesichtsfeld oder Eiablagen in Tandem mit bewachendem Männchen.

All das und noch viel mehr kann man am Gewässer beobachten. Man muss sich nur Zeit nehmen. Auf einem klappbaren Dreibeinhocker, einem Bestimmungsbuch und einem Fernglas oder Fotoapparat mit einem Teleobjektiv lassen sich wunderschöne Momente erleben und einfangen. Beim Fotografieren fliegender oder kämpfender Libellen müssen sehr kurze Belichtungszeiten (‹ 1/2000 sec) eingestellt werden, und es gilt, schnell zu reagieren. Am besten stellt man die Kamera auf Serienfoto, dann werden einige scharfe Bilder dabei sein. Sitzenden Libellen kann man sich auf wenige Dezimeter nähern, wenn man das ganz langsam macht und sie, ohne zu stören, mit allen Details abbilden.

Zum Beispiel die riesigen Komplexaugen, die aus bis zu 30000 Einzelaugen zusammengesetzt sind. Mit ihnen können Libellen rund zehnmal schneller gucken als wir Menschen, sie sehen alles verlangsamt wie wir durch die Zeitlupentechnik.

Oder die filigranen Flügel: es lohnt sich, ihre Knickfaltenstruktur abzubilden: sie erinnert an einen Fächer, auf ihren Queradern tragen sie winzige Dornen, die für den Erhalt der Luftströmung wichtig sind.