Braunschweig. Nackte, die auf der Straße Menschen angreifen - angeblich verursacht von einer neuen Droge, die auch Suchtberater beunruhigt.

Unser Leser Wilhelm Hustedt aus dem Kreis Gifhorn fragt:

Sind Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenzial so gefährlich wie bei Crystal Meth?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

„Die Konsumenten erkennen wir schnell. Sie sind oft völlig verwirrt.“
„Die Konsumenten erkennen wir schnell. Sie sind oft völlig verwirrt.“ © Petra Bunke, Leiterin der Drogenberatungsstelle Drobs in Braunschweig

Samstagnachmittag in Wolfsburg: Ein junger Mann randaliert nackt auf offener Straße. Er steht unter dem Einfluss einer synthetischen Droge. Diese und ähnliche Mittel wurden in den USA für einige Zeit unter der Bezeichnung Badesalze offen gehandelt, weil es noch keine Gesetze gegen den Vertrieb und Konsum dieser Substanzen gab. Seit einigen Jahren kursieren die Drogen auch in Deutschland.

In den USA führten extreme Einzelfälle von Kannibalismus unter Drogeneinfluss zu Horror-Schlagzeilen über eine neue „Zombiedroge“. Allerdings lässt sich derartiges Extremverhalten kaum allein auf die Wirkung einer Droge zurückführen.

Der junge Wolfsburger hatte ebenfalls eine Substanz genommen, die auch als Badesalz verkauft wurde: Methylendioxypyrovaleron (MDPV). Die Wolfsburger Polizei erklärte, es sei der erste Vorfall mit dieser Droge in Wolfsburg. Man werde die Entwicklungen aufmerksam beobachten.

Anders ist die Situation in Göttingen. Das „Göttinger Tageblatt“ nannte die Stadt vor kurzem die „Hochburg der Modedroge Flex“, wie MDPV in der Göttinger Szene genannt wird. Diese Einschätzung bestätigt auch Markus Lingemann von der Drogenberatung Drobz in Göttingen. 2012 hatte die Polizei einen Ring von Heroin-Händlern gesprengt. „Flex hat das entstandene Vakuum gefüllt“, vermutet der Sozialpädagoge.

2014 hätten sich etwa 70 Süchtige wegen MDPV an Drobz gewandt, sagt Lingemann. Wie viele Konsumenten es gebe, könne man kaum abschätzen. Doch selbst innerhalb der Drogenszene gebe es Sorgen: „Andere Abhängige schicken wegen dem, was sie beobachten, Hilferufe an die Polizei.“

MDPV gilt als vielfach potenter als das Medikament Ritalin, das gegen Aufmerksamkeitsdefizit-Störungen verschrieben wird. Es wirkt euphorisierend und aufputschend. „Die Droge unterdrückt Hunger und Müdigkeit, steigert die sexuelle Erregbarkeit und subjektiv die Konzentration“, sagt Lingemann.

Doch die Substanz hat heftige Nebenwirkungen: schwere Psychosen mit Wahnvorstellungen, gesteigerte Aggressivität, Paranoia und ein starker Drang zum weiteren Konsum. „Die Leute tun Dinge, die sie sonst niemals machen würden“, fasst der Suchtberater zusammen. Sie seien extrem unangenehm und für die Berater schwer zu handhaben.

Das bestätigt auch Petra Bunke, die Leiterin der Drogenberatungsstelle Drobs in Braunschweig: „Die Konsumenten erkennen wir schnell. Sie sind oft völlig verwirrt und verhaltensauffällig.“ Einige neigten zur Selbstverletzung, kratzten sich blutig und bauten unter dem Einfluss der Droge alle sozialen Hemmungen ab.

„Peevee“, so wird MDPV in der Braunschweiger Szene genannt, sei in der Stadt angekommen, sagt Bunke. Seit etwa einem Dreivierteljahr falle es der Beratungsstelle stärker auf. Bunkes Stellvertreter, Klaus Bremer-Huhn, berichtet von extremen Vorfällen: Herz-Kreislauf-Versagen in zwei Fällen. Ein Peevee-Konsument habe Verfolgungswahn entwickelt und sich aus Angst in den Tod gestürzt.

Innerhalb der Braunschweiger Drogenszene sei Peevee längst ein Thema – nicht als Einstiegsdroge, sondern als Ergänzung vor allem für die klassische Heroin-Klientel. Doch auch in der Szene seien viele beunruhigt, sagt Petra Bunke: „Viele unserer anderen Klienten warnen uns: Das ist ein übles Teufelszeug.“