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Kolumne "Kopfkarussell" Warum Curvy-Models erst der Anfang zu einer positiveren Selbstwahrnehmung sind

Angelina Kirsch in Dessous
© Isa Foltin / Getty Images
Unsere Autorin findet sich in Schönheits-Idealen unserer Zeit nicht wieder. Auch wenn Kurven und Body-Positivity immer präsenter werden, ist dieser Körperkult für sie nur eine Fortsetzung des Problems, sich an nicht erreichbaren Idealen zu orientieren.

Ich hatte schon immer Komplexe, wegen meines Bauchs. Früher viel schlimmer als heute, aber ich mag ihn trotzdem nicht besonders. Als ich gestern durch meine alten Bilder auf Instagram gescrollt habe, bin ich auf ein Bikini-Bild von mir aus dem Jahr 2015 gestoßen. Damals war ich 15 – meine Arme, meine Beine, mein Bauch, alles schlank. Klar, im Vergleich zu heute hatte ich damals einfach eine kindliche Statur. Aber trotzdem weiß ich noch genau, was ich damals beim Posten gedacht habe: "Hier sieht mein Bauch ja gar nicht mal so dick aus, das kann ich posten." Wenn ich jetzt zurückschaue, kann ich einfach überhaupt nicht verstehen, wie ich mich damals so unwohl fühlen konnte.

Obwohl ich immer sehr viel Sport gemacht habe, blieb mein Bauch immer gleich. Nicht dick, aber eben etwas unförmig. Mittlerweile habe ich mich zum Glück damit abgefunden, dass ich nie einen strammen, flachen Bauch haben werde. Und ja, mir ist und war bewusst, dass es viel wichtigere Dinge auf der Welt gibt. Aber solche Gedanken sind nun mal da. Damals hätte es mir auf jeden Fall geholfen, authentische Bilder von Frauen zu sehen und nicht einem Ideal nachzueifern, das für mich nicht erreichbar war und auch niemals erreichbar sein wird. Aber diese Vorbilder haben wir ja heute, oder? Jedenfalls werden die Laufstege von Curvy-Models erobert, die Rundungen und Selbstbewusstsein haben. Body Positivity, liebe deinen Körper! Ach ja, es ist ja fast ein Fest der Fettröllchen. Doch in meinen Augen sind Curvy-Models nicht die Lösung, sondern die Fortsetzung des Problems.

Problem: Curvy-Perfect

Keine Frage – es ist toll, dass es auf den Laufstegen nun immer mehr Models gibt, die keine Size-Zero tragen. Es ist toll zu sehen, dass sich Frauen mit ihren Kurven wohl fühlen und nicht unter Druck gesetzt werden, zu hungern. Es ist toll, dass dadurch immer mehr Firmen größere Kleidergrößen in das Standard-Sortiment aufnehmen. Der Stein ist ins Rollen gebracht – trotzdem bin ich unzufrieden mit diesem Frauenbild. Denn auch wenn wir jetzt alle Fleisch auf den Rippen lieben, soll es doch bitte nicht an den falschen Stellen sein. Po? Super! Brüste? Noch besser! Taille und Oberschenkel? Hmm, da sollten wir wohl lieber zu Shape-Wear greifen, sodass alles am richtigen Platz bleibt. 

Nicht falsch verstehen: Ashley Graham, Kate Upton und Co. sind wunderschöne Frauen, die ihren Erfolg vollkommen verdient haben. Aber diese Frauen entsprechen wieder dem gängigen Ideal: Sie haben dünne Taillen und Rundungen an genau den richtigen Stellen. Als Kim Kardashian die weiblichen Kurven wieder modern gemacht hat, haben das alle gefeiert. Im Gegensatz zum eher androgynen Schönheitsideal der 90er und 2000er, als kleine Popos und eine sehr dünne Figur im Trend lag, wurde eine feminine Figur wieder wertgeschätzt. Aber ist das nicht das Problem? Eine feminine Figur? Was bedeutet das jetzt genau? Meint man damit die berühmte Sanduhr-Figur, mit viel Busen, einer schmalen Taille und breiten Hüften, die in den 50ern angestrebt wurde? Oder bezieht man sich auf die 60er, als jeder schlaksig, klein und puppenhaft sein wollte? Oder meint man mit femininer Figur vielleicht das Ideal der 70er, als ein sportlich trainierter Körper in Mode war? Welcher Frauentyp ist denn jetzt "feminin"

Femininität 

Diese "femininen" Schönheitsideale zu verinnerlichen, finde ich sehr schwierig. Ich habe nämlich etwas gegen die Diskriminierung von Körperformen. Es hat sich geradezu ein Kult entwickelt, dünne Frauen zu "canceln", wie man heute so schön sagt. Oder um Nicki Minajs Worte aufzugreifen: "Fuck those skinny bitches, fuck those skinny bitches in the club!" – ähm, nein?!

Nicht jeder Körper ist dazu berufen, rund und kurvig zu sein. Und es ist erst recht nicht jeder Körper dazu berufen, rund und kurvig an den "richtigen" Stellen zu sein. Und genau das ist mein Problem mit Curvy-Models: Sie sind eben immer noch Models! Also keine Durchschnitts-Frau und bestimmt kein Maßstab. Und ist das schlimm? Nein! Aber man könnte doch bitte aufhören, von einer Body-Positivity-Revolution zu sprechen, wenn man sich dabei auf klassisch wohlgeformte, wunderschöne Models bezieht. Nur weil sie nicht mehr Size-Zero sind, sind sie nicht mehr greifbar. Immerhin bleiben ihr Körper und Gesicht ihr Kapital.

Falsche Vorbilder

Natürlich rutscht das Körperkult-Thema durch Promis wie Kim Kardashian, Nicki Minaj oder Shirin David ins Extreme: Schönheits-OPs, Photoshop und Instagram-Filter setzen dem ganzen die Krone auf. Unsere Wahrnehmung ist durch Instagram und Co. verzerrt – aber das scheint sich jetzt zu ändern. Viele Stars stehen offen zu ihren Schönheits-OPs und auch manche Models zeigen ihre Bilder mittlerweile unretuschiert. Das beste Beispiel dafür ist Sängerin Lizzo: Sie setzt sich für wirkliche Body-Positivity ein, zeigt ihre vermeintlichen "Makel" und klärt darüber auf, dass jeder Körper unterschiedlich und deswegen perfekt ist.

Es gibt immer mehr Positiv-Beispiele, die eine gesunde Einstellung zu sich und zu seinem Körper fördern. Angelina Kirsch, Ashley Graham, Selena Gomez und Camila Cabello zeigen die vermeintlichen "Makel" ihrer Körper offen und stolz. Meine Selbstwahrnehmung hat sich in den letzten Monaten durch diese Frauen komplett verändert. Ich dachte zuvor wirklich, dass Promis oder Models nie so aussehen wie ich, wenn ich mich in einer schrecklich belichteten Umkleidekabine umziehe. Aber das tun sie! Die Pose, das Licht, die Kamera, das Make-up, die Bearbeitung – einfach alles wirkt sich auf das Foto aus, das wir zum Schluss sehen. Doch wenn wir es betrachten, wirkt es so natürlich auf uns und wir fangen an, uns mit dieser Perfektion zu messen.

Ich trainiere meine Selbstwahrnehmung

Man kann seine Selbstwahrnehmung tatsächlich beeinflussen. Ich z.B. abonniere auf Instagram mittlerweile viele Frauen, die zeigen, dass ein Foto nur eine Momentaufnahme der Realität ist. Angelina Kirsch, Natalie Stommel, Hannah (@Namastehannah) oder Clara Guillem (@claraandherself) kann ich an dieser Stelle sehr empfehlen. Sie helfen mir zu erkennen, dass man nicht immer gleich aussieht und sich nicht immer wohl fühlen muss in seinem Körper! Toxische Positivität oder Styling-Tipps, wie man seinen Bauch versteckt, habe ich so satt! Ich umarme mich jetzt mehr selbst. Sehe, was mein Körper jeden Tag leistet. Dass er Leben erschaffen kann und mich überhaupt am Leben hält! Wie toll ist das denn bitte?!

Curvy-Models sind nicht die Lösung des Problems – aber sie müssen es auch nicht sein! Sie setzen es insofern fort, da von manchen jetzt diese außergewöhnlichen Standards als authentisch dargestellt werden. Dadurch wird eine neue Ära des Körperkults gefördert. Curvy-Models sind der erste Schritt in die richtige Richtung. Sie machen der Gesellschaft klar, dass auch größere Frauen wunderschön sind (natürlich!). Der nächste Schritt ist, auch reale, natürliche und vermeintlich "unperfekte" Frauen ins Zentrum der Öffentlichkeit zu rücken. Egal, ob wenig Busen, breite Taille und Schultern, schmale Lippen und große Beine: Das alles ist feminin, weil wir alle Frauen sind! Und wir sollten selbst definieren, was weiblich und erstrebenswert ist. 

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