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Paartherapeut klärt Verliebt oder abhängig: Wo genau ist die Grenze?

Verliebt oder abhängig: Paar umarmt sich
© Dean Drobot / Shutterstock
Liebe ist die Antwort auf alle Fragen? Nicht ganz. Sie stellt auch ziemlich viele. Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg beantwortet sie alle.

Wann ist es statt Liebe nur Angst und Abhängigkeit? Wenn meine Liebe mein einziges Argument für die Beziehung geworden ist.

Liebe ist immer Abhängigkeit. Positive Abhängigkeit. Ein anderer Mensch wird der wichtigste Mensch für mich. Und ich will der wichtigste Mensch für ihn sein und nicht mehr ohne ihn leben. Für unser Gehirn ist der Geliebte wie eine Droge, in unserem Gefühlsleben aber der Hafen, in dem wir endlich vor Anker gehen können. Wir fühlen unser Sehnen, aber wir fühlen es nicht als Abhängigkeit. Schließlich wollen wir ja gar nicht mehr unabhängig von ihm leben. Das ist etwas anderes, als bei einer Sucht gegen das nächste Glas Wodka, die Linie Koks anzukämpfen und immer zu verlieren. Unsere Liebe ist reines Gefühl. Sie ist ungetrübt durch ökonomische, moralische oder religiöse Zwänge. Der Soziologe Anthony Giddens nannte sie deshalb "reine Liebe".

Lohnt es sich an der Liebe festzuhalten?

Doch in den Beziehungen, in die sie uns führt, geht es nach einiger Zeit manchmal sehr schmutzig zu. Wir werden belogen, betrogen, nicht gleichwertig behandelt. Unsere Argumente gelten nicht, wir bleiben unverstanden, werden nicht gesehen, nicht gehört. Wir fühlen uns entwertet, verachtet. Die Nähe fehlt. Wir leiden. Liebe? Wir fühlen uns nicht mehr geliebt. Aber wir, wir lieben noch! Wir lieben ihn doch!

Manchmal ist es gut, an der eigenen Liebe festzuhalten, selbst wenn sie bröckelt. Manchmal lohnt es sich, auszuhalten und um die Beziehung zu kämpfen. Doch nur, wenn es beide tun.

Sobald ich die Einzige bin, die um die gemeinsame Liebe ringt, kann das ein erstes Warnzeichen sein. Denn in Liebesbeziehungen kann die Liebe nicht einseitig sein. Wenn mich Gedanken beherrschen, dass alles wieder gut wäre, wenn ich selbst nur anders wäre, wenn ich zu denken beginne, der schreckliche Zustand unserer Partnerschaft liege ausschließlich an mir – dann drohe ich an eine Liebe zu glauben, die nicht mehr existiert. Wenn ich daran festhalte, dass meine Partnerin in Wirklichkeit eigentlich ganz anders sei, und ich ihre Lieblosigkeit mir gegenüber endlos entschuldige: Dann mache ich mir etwas vor.

Liebe oder Angst?

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben

Ich tue alles für die Beziehung. Aber bemüht sich mein Partner wirklich noch um mich? Finde ich nur noch, DASS ich ihn liebe, aber nicht mehr, WOFÜR ich ihn liebe, nichts mehr, was mir jetzt noch guttut in der Beziehung? Und kann ich nur noch ein "Aber ich liebe ihn doch" dagegenhalten, wenn meine Freundinnen mir raten, mich zu trennen? Dann treibt mich meine Verlust­angst in abhängiges Verhalten. Dann fürchte ich die Einsamkeit, weil ich mich allein wertlos fühle. Noch gefähr­licher ist es, wenn ich mit niemandem mehr über mein Beziehungsleid spreche. Dann bin ich wie der Alkoholiker, der seine leeren Weinflaschen hinter dem Sofa versteckt.

Wenn wir zweifeln, ob es Liebe oder ob es Angst ist, die uns in unserer Beziehung hält, dann können wir auch auf unser Bindungsmuster blicken. Kann uns eine Beziehung gar nicht nah genug sein? Finden wir immer zu wenig und nie zu viel Nähe, und sind nie wir es, die eine Beziehung beenden? Wenn das unser Muster ist, sind wir gefährdet, uns vorzumachen, es wäre noch Liebe, wo uns in Wahrheit die Angst zu Abhängigen macht.

"Paaradox" ist der Podcast mit Oskar Holzberg und seiner Frau Claudia. Sie sprechen offen über Themen, die Beziehungen immer wieder herausfordern. Lustig, spannend und erkenntnisreich! U. a. auf Audio Now.

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BRIGITTE 06/2021

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