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Ich will mich aber aufregen!

Ich will mich aber aufregen!
© Credit olly/Fotolia.com
Warum dieser Zwang zur Gelassenheit? "Ich will mich aufregen", findet BRIGITTE BALANCE-Autorin Alena Schröder und hält eine kleine Wutrede.

Ich rege mich gerne auf. Man könnte sagen, es ist eine meiner größten Leidenschaften. Mein inneres Rumpelstilzchen tänzelt den ganzen Tag von einem Bein aufs andere, stets bereit, aus der Haut zu fahren und sich selbst in Stücke zu reißen. Was mich am allermeisten aufregt, ist, wenn man mir sagt, dass ich mich nicht so aufregen soll. Warum eigentlich nicht? Warum dieser Zwang zur Gelassenheit? Gelassenheit gilt ja gemeinhin als Königstugend, als Antwort auf alle Fragen des Lebens. Nur wer sie hat, kann angeblich alle Klippen des Alltags mühelos umschiffen. Ich finde, Gelassenheit wird nicht nur überbewertet, sondern ist bei Überdosierung geradezu schädlich! Denn von der Gelassenheit ist es nur ein kleiner Schritt zur Gleichgültigkeit. Meine Chefin befördert nicht mich, sondern ein talentloses Großmaul? Na dann einfach noch härter arbeiten und darauf vertrauen, dass es sich irgendwann auszahlt. Ein Kind will meinem Sohn auf dem Spielplatz mit der Schippe den Schädel spalten? Schön sitzen bleiben, das sollen die Kleinen ruhig unter sich klären. Eine Freundin hat Brustkrebs im Endstadium? Tja, Schicksal, was soll man da schon machen?

Wenn ich nachts nicht schlafen kann vor Wut und kaltem Zorn, sollte ich vielleicht mehr meditieren, mehr Yoga machen, homöopathischen Damiana-Tee trinken oder eine Klangschalen-Therapie in Betracht ziehen. An kostspieligen Angeboten, die mich zu mehr Gelassenheit führen sollen, herrscht nun wirklich kein Mangel. Kann sein, dass es für mein Karma und meinen Blutdruck besser wäre, Vordränglern nicht den Marsch zu blasen, Fahrradfahrer nicht vom Gehsteig zu bellen und mich nicht aufzuregen, wenn ich abends in den Nachrichten das Elend und die Ungerechtigkeit auf der Welt sehe. Aber wenn wir alle vor lauter Entspannung aufhören, uns zu empören, werden wir nicht nur zu langweiligen Zen-Zombies, wir haben auch viel weniger Spaß: Gibt es etwas Schöneres, als eine hitzige und leidenschaftliche Diskussion? Etwas Entspannenderes als einen saftigen Wutanfall? Ich jedenfalls fühle mich angenehm lebendig, wenn mir das Blut in den Adern kocht.

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Dass uns Gelassenheit nicht weiterbringt, lernt man spätestens bei der Kindererziehung. Wenn mein Dreijähriger einen seiner epochalen Wutanfälle bekommt, habe ich mich bislang noch bemüht, darauf mit stoischer Ruhe zu reagieren – das empfiehlt ja auch die einschlägige Ratgeberliteratur. Nutzen tut es nicht, meine Gelassenheit beeindruckt das Kind leider kein bisschen – wahrscheinlich spürt es instinktiv, wie sehr ich es darum beneide, seinen Zorn so ungefiltert und gesellschaftlich akzeptiert in die Welt schreien zu dürfen. Eine Freundin von mir hat übrigens das einzig wirkungsvolle Rezept gegen diese Art kindlicher Ausbrüche gefunden. Als sich ihre Tochter im Supermarkt schreiend auf den Boden warf, legte sie sich einfach daneben und schrie, wild um sich tretend: »Ich will auch ein Eis! Und zehn Tafeln Schokolade! Und ausschlafen will ich auch endlich mal wieder! Und nie, nie wieder mit einem bockigen, schlecht gelaunten Kind einkaufen gehen müssen!« Das hat gewirkt, seitdem benimmt sich die Kleine im Supermarkt wie ein Engel. Und ich kann kaum erwarten, den Trick endlich selbst auszuprobieren.

Text: Alena Schröder Fotos: Privat

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