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3. Untersuchungsausschuss

Dissens über die offenen Spuren im NSU-Ausschuss

Akte aus dem NSU-Untersuchungsausschuss

Der Ausschuss setzte seine Zeugenbefragungen fort. (DBT/Photothek)

Die ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin Arnold seien Zufallsopfer der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gewesen. So lautet die Einschätzung der Oberstaatsanwältin Anette Greger, die am Donnerstag, 29. September 2016, vor dem 3. Untersuchungsausschuss des Bundestages (NSU II) unter Leitung von Clemens Binninger (CDU/CSU) als Zeugin ausgesagt hat. Greger ist eine der Anklagevertreterinnen im NSU-Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer am Oberlandesgericht in München.

Das letzte Opfer in der NSU-Mordserie

Der tödliche Überfall auf Kiesewetter und Arnold wirft noch immer Fragen auf, ob neben den bisher bekannten Tätern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht noch weitere Personen an der Tat beteiligt waren. Kiesewetter und Arnold waren am 25. April 2007 in ihrem Dienstwagen, den sie auf einem Parkplatz in Heilbronn geparkt hatten, von mindestens zwei Tätern überfallen worden.

Die Täter schossen den beiden aus kurzer Distanz in den Kopf und raubten anschließend unter anderem die Dienstwaffen der Beamten. Kiesewetter war sofort tot, sie ist das wohl letzte Opfer in der NSU-Mordserie. Arnold überlebte den Angriff schwer verletzt.

Sonderbare Zufälle und offene Spuren

Sie sei während der Ermittlungen selbst in Heilbronn gewesen, sagte Greger. Der Tatort habe sie beeindruckt: „Als Täter hätte ich niemals diesen Tatort und diese Tatzeit gewählt“, gab sie zu Protokoll. Die Straßenbahn fahre in unmittelbarer Nähe vorbei. Tagsüber könne man sich keine 30 Sekunden unbemerkt dort aufhalten, ohne dass ein Passant vorbeikomme. Der Heilbronner Parkplatz sei - wie schon das Internetcafé in Kassel - eigentlich ein undenkbarer Ort für einen Mord. Hätten die Mörder ihre Tat geplant, hätten sie die Polizisten woanders abgepasst, sagte Greger.

Der Vorsitzende Binninger äußerte sein Misstrauen ob der vielen sonderbaren Zufälle und offenen Spuren im Zusammenhang mit dem Mordfall. So ist das Opfer Kiesewetter zum Beispiel in der gleichen Region in Thüringen aufgewachsen wie das NSU-Trio. Kiesewetters damaliger Gruppenführer bei der Polizei war ein Mitglied des rassistischen Geheimbunds Ku-Klux-Klan, der auch im Umfeld der Terrorgruppe eine nicht unbedeutende Rolle spielt.

Rätselhafter Polizistenmord in Heilbronn

Überhaupt passt der Fall nicht in die Serie der anderen NSU-Morde an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern. Während bei diesen Attentaten offenkundig fremdenfeindliche Motive im Vordergrund standen, bleiben die Tatmotive des Heilbronner Polizistenmords bis heute völlig rätselhaft.

Die Abgeordneten befragten Greger unter anderem auch zu einer anonymen DNA-Spur, die im Rücken- und Brustbereich an Arnolds Dienstkleidung gefunden wurde. Sicher scheint bisher nur: Sie stammt nicht von Mundlos oder Böhnhardt. Gut möglich also, so lautete Binningers Hypothese, dass diese Spur von einem weiteren Täter stammt. Die Täter hätten ihren Opfern mit roher Gewalt die Koppeln von den Hüften gerissen und sie dabei mehrmals bewegen müssen. Trotz allem wurde keinerlei DNA von Mundlos und Böhnhardt am Tatort gefunden.

„Keine Anhaltspunkte auf weitere Täter“

Wenn Böhnhardt und Mundlos wie bei ihren zahlreichen Raubüberfällen Handschuhe und Masken getragen haben, wäre das Fehlen von DNA-Spuren durchaus erklärbar, erwiderte Greger. Sie gehe bei der anonymen DNA-Spur nicht von einer Täterspur aus. „Wir haben, Stand jetzt, keine Anhaltspunkte, dass weitere Täter mit dabei waren“, sagte Greger und blieb auch nach mehrstündiger Befragung bei ihrem Urteil. 

Bei den anderen Morden sei davon auszugehen, dass die Täter sich nie lange am Tatort aufgehalten hätten. Sie hätten die Opfer nicht oder nur kurz angesprochen und dann sofort per Kopfschuss hingerichtet. „Dabei müssen nicht unbedingt Spuren hinterlassen worden sein“, sagte Greger.

Neun weitere namentlich Beschuldigte

Neben den fünf Angeklagten im Münchner NSU-Prozess werde aktuell noch gegen neun andere namentlich Beschuldigte und eine unbekannte Person ermittelt, stellte Greger fest. Indizien dafür, dass andere Personen als die Haupttäter Böhnhardt und Mundlos an den Taten des NSU unmittelbar beteiligt waren, gebe es aber nicht. Dem NSU werden neben 15 Banküberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin zur Last gelegt. Laut Greger gibt es nach wie vor keine Augenzeugen von den Mordtaten.

Ausführlich befragte der Ausschuss die Zeugin zu weiteren anonymen DNA-Spuren, die an den insgesamt 27 NSU-Tatorten sicher gestellt wurden, bisher aber keiner Person zugeordnet werden konnten. Es sei nach wie vor nicht klar, wie mit diesen Spuren bei den Ermittlungen umgegangen worden sei, sagte der Ausschussvorsitzender Binninger. Greger antwortete: Nach ihrer Kenntnis seien alle Spuren, die im NSU-Komplex angefallen seien mit den DNA-Mustern der Beschuldigten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe abgeglichen worden.

Binninger kritisiert Ermittlungsarbeit

Das reichte Binninger aber offenkundig nicht. Bereits im Vorfeld der Sitzung hatte er darauf verwiesen, dass von 100 Personen aus dem NSU und seinem erweiterten Umfeld lediglich 19 Profile in der DNA-Datenbank des BKA gespeichert und damit vollumfänglich mit weiteren unbekannten Straftaten recherchierbar seien. 

Auch von den vielen Personen, die an den Tatorten gearbeitet haben – also etwa den Polizeibeamten und Mitarbeitern der Spurensicherung – lägen nur teilweise DNA-Proben. Er könne nicht nachvollziehen, warum nicht wenigstens von allen Beschuldigten DNA-Profile gespeichert worden seien, sagte Binninger: „Wir finden, dass die DNA-Spurenlage nur sehr selektiv geprüft worden ist.“

Greger stellt fehlende Rechtsgrundlage fest

Für eine umfassende DNA-Abgabe aller Personen, die Zugang zum Tatort hatten oder mit den dort sicher gestellten Asservaten Kontakt hatten, fehle die Rechtsgrundlage, erklärte Greger. Eine DNA-Abgabe sei ein schwerwiegender rechtlicher Eingriff, vergleichbar mit einer Hausdurchsuchung. So etwas könne nur angeordnet werden, wenn ein schwerwiegender Tatverdacht bestehe und davon auszugehen sei, dass die beschuldigte Person auch in Zukunft schwere Straftaten verüben könnte. 

Einen solchen Tatverdacht gegen eine weitere Person neben dem NSU-Trio gebe es aber nicht. „Wir haben also keinerlei Anlass, an einem Tatort wie dem Internetcafé allen Zeugen DNA abzunehmen und dann alles mit allem zu vergleichen“, sagte Greger. Mit offenen Spuren müsse man in diesem Verfahren mitunter leben.

Binninger: Zu früh auf drei Haupttäter festgelegt

„Uns wäre lieber, wenn sie mit den offenen Spuren nicht leben, sondern weiter ermitteln würden“, entgegnete Binninger. Seiner Auffassung nach hat sich die Staatsanwaltschaft zu früh auf die drei Haupttäter Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe festgelegt. 

Einige der anonymen Spuren könnten durchaus von möglichen Mittätern stammen, so die Meinung der Abgeordneten. Greger sah das freilich anders. Sie habe keine Spur außer Acht gelassen und werde auch weiterhin neuen Hinweisen nachgehen, versicherte sie dem Ausschuss.

„Aktion Konfetti“

Ergebnislos verlief die anschließende Befragung des Verfassungsschützers Lothar Lingen, der schon einmal 2012 vor dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge ausgesagt hat. Lingen war jahrelang Referatsleiter der Abteilung 2B „Forschung und Werbung“ im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und in dieser Funktion verantwortlich für die Rekrutierung menschlicher Quellen - insbesondere aus dem rechtsextremen Milieu. Er gilt als Hauptverantwortlicher für die Vernichtung mehrerer sensibler V-Mann-Akten, kurz nachdem der NSU im Jahr 2011 enttarnt worden war.

Der Vorgang wurde als „Aktion Konfetti“ in den Medien bekannt und kostete den damaligen BfV-Präsident Heinz Fromm den Job. Nach wie vor ist unklar, wie nah der deutsche Inlandsgeheimdienst tatsächlich an den untergetauchten Rechtsterroristen dran war, ob er schon frühzeitig über deren Taten und Aufenthaltsorte informiert war und ob die geschredderten Akten womöglich Aufschluss darüber gegeben hätten.

Keine Aussage zur Schredderaktion

Wie bisher schwieg Lingen auch vor dem Ausschuss zu den Gründen für die Aktenvernichtung. Seinen Anwalt ließ er gleich zu Beginn erklären, dass er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache und sich zu der Schredderaktion nicht äußern werde. Offensichtlich befürchtet Lingen, sich selbst zu belasten und damit weitere Ermittlungsverfahren gegen ihn loszutreten.

Dem Ausschuss blieb damit nur die Möglichkeit, einige allgemeine Fragen zu Lingens beruflichem Werdegang und zu allgemeinen Arbeitsabläufen im BfV zu stellen. Selbst bei diesen tat sich Lingen sichtbar schwer. Er sprach auffällig leise und wandte sich immer wieder fragend zu den anwesenden Mitarbeitern der Bundesregierung um.

„Ich war für die damaligen Fälle nicht zuständig“

Ob er denn selbst einen der sogenannten T-Fälle betreut habe, wollten die Abgeordneten wissen. (Lingen: „Nein, ich war für die damaligen Fälle nicht zuständig.“) Ob er im Vorfeld der Schredderaktion mit anderen Behörden telefoniert habe? („Wir waren in diesen Tagen intensiv mit der eigenen Aktenprüfung beschäftigt.“) Ob er einen Panzerschrank im Büro stehen habe? („Ja, einen sehr großen.“) Viel mehr war aus Lingen nicht herauszubekommen.

Der 3. Untersuchungsausschuss soll offene Fragen zur Arbeit der staatlichen Behörden bei den Ermittlungen im Umfeld der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) klären und Handlungsempfehlungen erarbeiten. (fza/04.10.2016)

Liste der geladenen Zeugen
  •     Anette Greger
  •     Lothar Lingen
  •     B.W., Bundesamt für Verfassungsschutz

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