Bundesgericht
Kantonsgericht Baselland gerüffelt: Der Gerüstbauer ist für seinen Fehltritt nicht verantwortlich

Erst gaben die Gerichte der Baustellenaufsicht die Schuld – dann dem Arbeiter. Die letzte Instanz hat jetzt entschieden: Es liegt doch an der Aufsicht.

Maximilian Jacobi
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Dieser Bauarbeiter bewegt sich nur mit Sicherung über die unfertige Verschalung des neuen Stockwerks.

Dieser Bauarbeiter bewegt sich nur mit Sicherung über die unfertige Verschalung des neuen Stockwerks.

Symbolbild: Sandra Ardizzone

Dass es auf Baustellen zuweilen drunter und drüber geht, ist unvermeidlich: Gerüste werden gebaut, Gussformen gezimmert, die Formen mit Beton ausgegossen. Und das alles gleichzeitig. Das Drunter und Drüber einer bestimmten Baustelle sorgt sogar in Gerichtssälen für Chaos. Aber der Reihe nach.

Die Aufgabe scheint unmissverständlich: Im Februar 2016 soll der Gerüstbauer ein bestehendes Gerüst auf besagter Baustelle aufstocken. Die Teile dafür hat der Kran auf dem neuen Stockwerk des Rohbaus bereits deponiert. Die Aufgabe des Mannes besteht darin, diese Teile auf dem Gerüst zu verteilen. Dafür nimmt er den kürzesten Weg über das neue Stockwerk, statt über das Gerüst drum herum. Plötzlich tritt er ins Leere, fällt in ein Loch, hält sich noch fest am Rand, seine Kräfte lassen nach und er stürzt drei Meter tief auf Betonboden.

Um das neue Stockwerk in Beton zu giessen, war zuvor ein Bretterboden ausgelegt worden, die sogenannte Verschalung. Der Gerüstbauer hatte angenommen, die Verschalung sei bereits vollständig. Beim Sturz zog er sich Fussverletzungen zu, wie aus Gerichtsakten hervorgeht. Für seinen Unfall macht der Mann den Baustellenleiter verantwortlich. Im Herbst 2020 treffen der Gerüstbauer und der Polier vor dem Strafgericht Baselland aufeinander.

Missachtete Sorgfaltspflicht oder Eigenverantwortung?

Der Gerüstbauer sagt, er habe gelernt, auf Baustellen dürfe es keine ungesicherten Löcher geben. Er habe auch nicht gewusst, dass sich die Verschalung des 11. Stocks noch in Arbeit befand. Er fordert Schadensersatz.

Der Polier entgegnet, auf Baustellen sei klar, dass man sich nicht auf Verschalungen bewege. Es sei denn, der Bretterboden sei explizit dafür freigegeben worden. Zwar hätte der Kran bereits Gerüstteile auf der Verschalung abgelegt. Aber nur an vereinbarten Stellen. Die gesamte Fläche der Etage habe er noch nicht freigegeben.

Das Strafgericht gibt dem Gerüstbauer recht: Das Loch hätte gesichert sein müssen. Es verurteilt den Polier wegen fahrlässiger einfacher Körperverletzung und eines Verstosses gegen die Bauregeln zu einer Geldstrafe von 400 Franken. Über den Schadensersatz, den der Gerüstbauer fordert, soll das Zivilgericht entscheiden.

Entscheidung durch Behörden-Pingpong

Der Polier wiederum fechtet das Urteil an. Er erklärt, dass es unsinnig sei, die Löcher beim Verschalen zu sichern. Diese seien erstens nicht permanent und zweitens diene das Verschalen gerade dem Schliessen der Löcher, weshalb sich drittens niemand auf unfertiger Verschalung zu bewegen habe. Normalerweise gingen Gerüstbauer daher auf dem Gerüst.

Nach dieser Begründung spricht das Kantonsgericht dann den Polier im Frühling 2022 frei: Der Aufseher habe nicht davon ausgehen müssen, dass die Verschalung betreten werde.

Diese Entscheidung wiederum missfällt den Gerüstbauer. Er zieht vors Bundesgericht. Dieses hat nun befunden, dass der Polier als Aufseher die Pflicht habe zu verhindern, dass jemand die Verschalung betreten kann. Insbesondere unerfahrene Temporärarbeiter wie der Gerüstbauer.

Das Bundesgericht kassiert das Urteil. Der Ball liegt damit wieder beim Kanton. Welche Erkenntnisse die Baselbieter als Nächstes aus dem Bauchaos ziehen, gilt abzuwarten.