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Gebäudesanierung Förderstopp bringt Energieberatungs-Start-ups in Not

Ein Dach mit Solarpanelen
Der Bund bezuschusste Sanierungsfahrpläne mit bis zu 80 Prozent
© Herrmann Agenturfotografie / IMAGO
Gleich zwei politische Entscheidungen lassen die Nachfrage nach Online-Energieberatungen einbrechen. Haben sich Anbieter und Investoren verzockt?

Der Stopp von Förderprogrammen und eine entschärfte EU-Richtlinie für die Sanierung von Wohngebäuden belasten das Geschäft mit Energieberatungen. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker (GIH) fürchten zwei Drittel der befragten Mitglieder um ihre Existenz. Der Umsatz sei vielerorts dramatisch zurückgegangen. Auch Start-ups, die zuletzt mit viel Geld und entsprechenden Online-Angeboten auf einen Boom bei Sanierungen für Einfamilienhäuser spekuliert hatten, stehen vor herausfordernden Monaten.

„Es herrscht extreme Verunsicherung in der ganzen Branche“, sagte Jörg Überla, Gründer der Münchner Energieberatungs-Plattform 42watt, auf Anfrage von Capital. „In unserer täglichen Arbeit machen wir die Erfahrung, dass viele Hauseigentümer ihr Sanierungsprojekt jetzt zunächst verschieben, bis die Förderung geklärt ist. Andere versuchen, mit unserer Unterstützung bei den noch laufenden Programmen noch vor Jahresende eine Zusage zu bekommen“, so Überla.

Auch beim Berliner Konkurrenten Enter (vormals Baupal) scheint die Situation problematisch. Auf Fragen von Capital möchte das Unternehmen lieber nicht antworten. „Die Lage ist aktuell so dynamisch, dass wir keine konkreten Aussagen treffen“, teilte eine Unternehmenssprecherin mit. Das Start-up Fuchs & Eule aus Mannheim um den früheren Mitgründer des Vergleichsportals Aroundhome ließ eine Anfrage gänzlich unbeantwortet.

Sparpläne im Haushalt führen zu Förderstopp

Offenbar wurden die Anbieter innerhalb weniger Tage von gleich zwei politischen Entscheidungen überrascht. Da ist zum einen die Haushaltssperre, die das Finanzministerium am 21. November nach einem Urteil des Bundesverfassungsgericht verfügt hatte. In der Folge stoppte die Ampel-Koalition diverse Förderprogramme aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF), darunter auch die Bundeszuschüsse für Energieberatungen.

Diese sahen hohe Fördersätze etwa bei Sanierungsfahrplänen (ISFP) vor. Sie zeigen Eigentümern konkrete Schritte und Empfehlungen auf, um ihre Immobilie energieeffizient zu optimieren, zum Beispiel durch den Einsatz von Dämmmaterialien und Wärmepumpen. Die Kosten für solche Beratungen – in der Regel zwischen 1600 und 2100 Euro – übernahm der Bund zu gut 80 Prozent. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern waren das maximal 1300 Euro, bei Mehrfamilienhäusern bis zu 1700 Euro.

Davon hofften auch Start-ups zu profitieren. Auf ihren Webseiten versprechen sie Kunden eine minutenschnelle und transparente Analyse des energetischen Zustands ihrer Immobilie. Um den Sanierungsfahrplan kümmern sich die Anbieter genauso wie um die nötigen Förderanträge. Wer bei Google nach dem Stichwort „Sanierungsfahrplan“ sucht, bekommt die Angebote von 42watt und Enter prominent angezeigt.

Ein vielversprechendes Geschäft offenbar auch aus Sicht von Investoren: Beide Unternehmen schlossen erst in diesem Jahr hohe Finanzierungsrunden ab. 42watt um Mitgründer Jörg Überla sicherte sich im September eine mittlere einstellige Millionensumme, der Konkurrent Enter hingegen sammelte im April knapp 20 Mio. Euro ein. Auch der junge Berliner Anbieter Purpose Green mischt mit Venture-Capital-Geld von Investoren mit.

Anbieter warben bei Investoren mit Bundeszuschüssen

In den Gesprächen mit Investoren sollen einige Anbieter die Vorzüge ihres Geschäftsmodells stark mit den Bundeszuschüssen begründet haben. „Der Fakt, dass die Konsumenten nur 20 Prozent der Rechnung zahlen, hat das Produkt natürlich deutlich attraktiver gemacht“, sagt ein beteiligter Investor, der namentlich nicht genannt werden will. Nach Informationen von Capital soll die Förderung bei einigen Anbietern zuletzt bis zu 80 Prozent vom Gesamtumsatz ausgemacht haben.

Für die Start-ups und ihre Investoren könnte sich das nun rächen. Die hohe Abhängigkeit vom Geldhahn der Bundesregierung sei zwar jedem Investor bewusst gewesen, sagt ein Beteiligter. Ein Risiko hätten darin aber nur wenige gesehen. „Die Förderungen gab es ja schon, bevor die Grünen in der Regierung waren. Deshalb ist man immer davon ausgegangen, dass es kein politisches Thema ist, die Förderungen also auch in einer Nicht-grünen Bundesregierung weiter angeboten werden“, so der Investor. „Dass durch die Haushaltsperre jetzt hier gespart wird, kommt für einige sicher überraschend.“

Jörg Überla, Gründer des Berliner Energieberater-Startups 42watt, sieht für seine Firma dennoch kein Existenzrisiko. Grundsätzlich ziele sein Geschäftsmodell darauf ab, Eigentümer auf dem gesamten Weg zum klimaneutralen Haus zu begleiten. „Daher baut unser Geschäft auf mehreren Säulen auf – und davon bilden die Fördermittel in der kurzfristigen Planung einen Teil“, sagt Überla. Das Unternehmen bietet etwa auch Beratungsdienste rund um die Wärmepumpe an. Die Nachfrage nach Sanierungsfahrplänen sei durch die allgemeine Verunsicherung aber verständlicherweise stark zurückgegangen. Eine „seriöse Prognose“ für die kommenden Monate könne er derzeit nicht abgeben.

Entschärfte EU-Gebäuderichtlinie bremst Wachstum

Doch auch langfristig und unabhängig von künftigen Förderungen könnte sein Geschäft und das anderer Anbieter belastet bleiben. Zumindest dürfte es weniger stark wachsen als kalkuliert. Grund ist die sogenannte Gebäuderichtlinie, die die EU Anfang Dezember nach kontroversen Diskussionen entschärft hat.

Ursprünglich sah die Richtlinie eine Sanierungspflicht für Eigentümer älterer Ein- und Zweifamilienhäuser vor, wovon sich vor allem Start-ups einen Extraschub für ihr Geschäft mit Sanierungsberatungen erhofften. „Wir haben ein extremes Momentum. Wir wachsen aktuell sehr deutlich“, sagte Enter-Gründer Max Schroeren etwa noch im April dem „Handelsblatt“.

Eine Sanierungspflicht soll es nun jedoch nicht mehr geben. Die Einigung der EU sieht nur die allgemeine Vorgabe vor, den durchschnittlichen Energieverbrauch bei Gebäuden um mindestens 16 Prozent bis 2030 und mindestens 22 Prozent bis 2035 zu senken. Energieberatungen dürften zwar weiter gefragt sein, doch viele Hausbesitzer dürften ihre Sanierungspläne erst einmal für längere Zeit aufschieben. Schon allein, um Kosten zu sparen.

Was das auf lange Sicht für die jungen Anbieter bedeutet, wird sich zeigen. In Investorenkreisen bemüht man sich teilweise um Optimismus: „Die neue Richtlinie schafft klare und verbindliche Einsparziele, die in sieben Jahren erfüllt sein müssen. Das Sanierungsgeschehen wird merklich anziehen, die Nachfrage nach entsprechenden Lösungen deutlich steigen“, sagt einer, der an einem großen Anbieter beteiligt ist.

Zuspruch gibt es auch aus der Branche der Energieberater selbst: Laut Benjamin Weismann vom GIH-Bundesverband würden trotz der aktuellen Notlage immer mehr Hauseigentümer erkennen,  dass auch eine weniger oder gar nicht geförderte Energieberatung sinnvoll sei. „Der Job eines Energieberatenden soll aus unserer Sicht nicht ein ,Förderungsoptimierungsberater' sein, sondern die Sinnhaftigkeit dieser Dienstleistung sollte den Kunden überzeugen“, sagt Weismann. Schließlich spare eine Energieberatung nicht nur viel Energie und somit Kosten, sondern vermeide etwa auch Baumängel beim Sanieren. Für Start-ups muss das keine schlechte Nachricht sein: Sie können sich nun wieder stärker auf das Produkt fokussieren – oder müssen ihr Geschäftsmodell gegebenfalls anpassen.

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