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Interview Warum der Schaden durch den Brexit kaum aufzuwiegen ist

Premierminister Johnson beim Besuch einer Teefabrik
Premierminister Johnson beim Besuch einer Teefabrik
© dpa
Volkswirte sind sich einig: Der Brexit wird der britischen Wirtschaft massiv schaden. Schon jetzt macht sich die Unsicherheit bemerkbar. Welche Folgen schon spürbar sind, erklärt Ökonom Amit Kara vom britischen National Institute of Economic and Social Research

Amit Kara ist stellvertretender Forschungsdirektor für globale makroökonomische Analyse am National Institute of Economic and Social Research in London. Dort arbeitet er zu den Schwerpunkten Eurozone und globale Volkswirtschaften. Davor war er unter anderem für die Bank of England als Research Economist, bei UBS als Chefvolkswirt für Großbritannien, als UK Equity Strategist und zuletzt bei HSBC tätig.

Capital: Einer Studie Ihres Instituts zufolge könnte der Brexit die britische Wirtschaft 70 Mrd. Pfund kosten. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

AMIT KARA: Die EU ist ein großer Wirtschaftsblock in direkter Nähe zu Großbritannien – und ist deshalb sein größter Handelspartner. Spannungen in den britisch-europäischen Handelsbeziehungen bedeuten für Großbritannien Kosten in verschiedenen Bereichen. Der wichtigste von ihnen ist der Verlust eines automatischen Zugangs zum jeweils anderen Markt für Waren und Dienstleistungen aufgrund von nicht-tarifären Handelshemmnissen und dem negativen Einfluss auf die Produktivität. Wir wissen, dass es Einschränkungen im Dienstleistungssektor geben und der Personenverkehr einschließlich Fachkräften eingeschränkt sein wird. Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass eine weniger offene Wirtschaft, weniger produktiv ist. Unserer Einschätzung zufolge werden Handelsabkommen mit anderen Ländern uns nicht für die Verluste durch den Brexit entschädigen. Zum einen aufgrund der größeren Distanz und zum anderen, weil Handelsabkommen weniger weitgehend für den Dienstleistungsaustausch als für den Warenaustausch sind.

Die Studie erwähnt auch den Einfluss politischer Unsicherheit auf die künftige Entwicklung der britischen Wirtschaft. Wie ist der Einfluss bisher?

Der Brexit hat verschiedene Effekte: Die Forschung zeigt, dass wegen des Brexits das Bruttoinlandsprodukt seit 2016 um 2 bis 2,5 Prozent geringer ausgefallen ist, als wenn sich die Briten für einen Verbleib in der EU entschieden hätten. Umfragen zeigen außerdem Auswirkungen auf die Investitionen: Sie fielen geringer aus, als wenn die Briten sich für den Verbleib in der EU entschieden hätten. Und das trotz einer entgegenkommenderen geldpolitischen Haltung in Großbritannien und anderswo. Je länger die Unsicherheit andauert, desto größer ist der Einfluss auf die Investitionen. Und zu einem gewissen Grad müssen wir damit rechnen, dass diese Verluste nicht so schnell wieder rückgängig gemacht werden können. Ist eine Firma einmal aus Großbritannien weggezogen, wird es lange dauern, diesen Schritt wieder umzukehren.

Wo Sie das Verhalten der britischen Firmen ansprechen. Wie haben die sich bisher auf den Brexit vorbereitet?

Das hängt vom jeweiligen Sektor ab. Zum Beispiel ist der Finanzsektor schon seit Tag eins im Vorbereitungsmodus. Das liegt vor allem daran, dass die Zentralbanken den Sektor gezwungen haben, sich frühzeitig vorzubereiten. Über den Finanzsektor hinaus zeigt sich: Multinationale Unternehmen sind besser vorbereitet als kleinere Firmen. Einige unserer aktuellen Daten umfassen die Anzahl an Firmen, die sich für die Vervollständigung der notwendigen Export-Regularien nach dem Brexit registriert haben. Dort zeigt sich, dass ihr Anteil immer noch relativ gering ist. Trotzdem ist viel davon noch unbekannt.

Jetzt wird es einen Brexit mit Austrittsabkommen geben. Was bedeutet ein Deal für Großbritanniens Wirtschaft?

Zuallererst wird natürlich die Unsicherheit zu einem gewissen Teil kleiner, weil man zumindest weiß, dass Großbritannien nicht einfach aus der EU rauscht. Doch auch mit einem Austrittsabkommen bleiben die Details unklar. Auch das Ergebnis eines künftigen Handelsabkommens ist unbekannt – angenommen, dass es überhaupt eines gibt. Andererseits wird Großbritannien sich mit der EU auf ein Austrittsabkommen einigen müssen. Denn es kann nicht keine Handelsbeziehung mit seinem größten Handelspartner haben. Die einzige Frage ist: Wann wird man sich auf einen Deal einigen? Grundsätzlich denke ich, dass noch viele Fragen offen sind. Aber immerhin bedeutet ein Deal, dass man wieder auf dem richtigen Weg ist – und letztlich einige dieser Fragen beantworten kann.

Der Brexit ist außerdem mit spürbaren Kosten für die britische Wirtschaft verbunden. Wie kann man auf diese Kosten reagieren?

Nach der Übereinkunft über einen Deal gilt bis Ende 2020 die Übergangsphase. Solange bis es ein endgültiges Handelsabkommen gibt, wird die Wirtschaft unter der Unsicherheit leiden. Das Ziel in dieser Zeit sollte es deshalb sein, so eng wie mögliche Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU aufrechtzuerhalten. Die Regierung hat dazu einige einfache Möglichkeiten: Zum Beispiel kann sie fiskalpolitisch eingreifen – und dafür steht ein gehöriger Geldbetrag zur Verfügung. Aber wenn es Einschnitte gibt, die schwer wiegen und vor allem die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft betreffen, kann die Regierung mit Extra-Ausgaben ungeachtet in welcher Höhe nichts mehr ausrichten. Daher ist es wichtig, dass es ein hohes Maß an Kooperation auf beiden Seiten gibt. Das ist die beste Möglichkeit, einen fließenden Übergang zu ermöglichen.

Was genau sollte die britische Regierung denn tun, um die Folgen des Brexits abzuschwächen?

Der Handel mit der EU wird unterbrochen. Alle Maßnahmen, die die Folgen dieser Unterbrechung so klein wie möglich halten, wären ein erster richtiger Schritt – zum Beispiel eine lange Übergangsphase. Wenn diese Phase verlängert werden muss, dann sollte man sie verlängern. Außerdem wäre Ehrlichkeit über die Folgen und Vorteile der nächsten Schritte wichtig. Gleiches gilt für die Freizügigkeit von Arbeitskräften und eine vernünftige Fiskalpolitik. Vor allem Maßnahmen für bestimmte Sektoren werden entscheidend sein: Man müsste beispielsweise sicherstellen, dass bestimmte Branchen wie der Flugverkehr und die Pharmaindustrie Teil der europäischen Regelungen bleiben. Auch sollte es Vereinbarungen und Verfahren geben, um Einschnitte in den Lkw-Transport gering zu halten. All diese Details müssen ausgearbeitet werden. Aber grundsätzlich muss die Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU auf einem hohen Niveau bleiben – auch nach dem Brexit.

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