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Kommentar Es geht uns gut

Die öffentliche Debatte ist von immer neuen Problemen geprägt. Dabei geht es uns eigentlich gut, die Deutschen sind bloß wehleidig
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmiedingist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. 
 

Krise, Krise, Krise. Schlechte Nachrichten verkaufen sich gut. Auch deshalb wird die öffentliche Diskussion vielfach von einer Abfolge immer neuer Probleme geprägt. Aber vielleicht bietet uns gerade die nachrichtenarme Zeit der „sauren Gurken“ im Sommer mal die Gelegenheit, uns etwas zurückzulehnen und einen großen Blick auf den Zustand unseres Landes zu werfen.

Für den Volkswirt ist der Befund einfach: So gut wie heute ging es Deutschland noch nie zuvor. Der Arbeitsmarkt boomt, die Preise sind stabil, die Einkommen der Arbeitnehmer und Rentner wachsen kräftig und ohne durch irgendeinen Geldwertschwund aufgezehrt zu werden. Der Staat erwirtschaftet einen schönen Überschuss von etwa 0,7% der Wirtschaftsleistung, die staatliche Schuldenquote geht kräftig zurück. Nach einem Höhepunkt von knapp 80% kann sie bis 2019 wieder unter den Wert von 60% der jährlichen Wirtschaftsleistung sinken.

Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, als viele Bürger genau das Gegenteil erwartet hatten. Nachdem die Europäische Zentralbank sich den Finanzkrisen der Jahre 2008-2009 sowie 2011-2012 mit einer sachgerecht energischen Geldpolitik entgegengestemmt hatte, hatten ja manch praxisferne Bewohner professoraler Elfenbeintürme ebenso wie viele Laien vor einer angeblich drohenden großen Inflation gewarnt. Sie hatten schlicht übersehen, dass in einer Finanzkrise die Nachfrage nach Liquidität sprunghaft steigt. Ein ausgeweitetes Angebot an Zentralbankgeld dient also nur dazu, die entsprechende Nachfrage zu bedienen. Es löst keinen inflationären Konjunktur- oder Kreditboom aus.

Deutschland braucht Einwanderer

Ebenso haben Horden von Kassandras in den Jahren 2011-2012 gewarnt, dass die Euro-Rettungspolitik Deutschland an den Rand des Ruins führen könnte. Sogar vom drohenden Staatsbankrott war die Rede, wenn Deutschlands Steuerzahler die Hilfsprogramme für angeschlagene Südländer absichern würden. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Zwar ist das kleine Griechenland zurück in die Krise gerutscht, da es vor anderthalb Jahren eine Regierung gewählt hat, die – auf deutsche Verhältnisse übertragen - einer Koalition zwischen dem Sahra Wagenknecht-Flügel der Linkspartei und dem Alexander Gauland-Flügel der ebenso inkompetenten AfD entspräche. Aber in den vier anderen Ländern, die sich im Finanzmarktsturm für einige Zeit unter einen Rettungsschirm flüchten mussten, läuft die Wirtschaft wieder rund, mit gewissen Abstrichen in Portugal. Als Lohn ihrer Reformen gehören Spanien, Irland und Zypern heute zu den Spitzenreitern beim Wirtschaftswachstum in Europa. Deutschland bekommt seine Hilfskredite gut verzinst zurück. Die Hilfe zur Selbsthilfe für unsere Nachbarn hat sich insgesamt zu einem guten Geschäft entwickelt.

Auch beim Aufregerthema der vergangenen zwölf Monate, dem Zustrom an Flüchtlingen und Migranten, haben sich mittlerweile die Wogen wieder etwas geglättet. Nachdem Merkels humanitäre Geste des vergangenen Sommers, in Ungarn gestrandete Flüchtlinge unmittelbar nach Deutschland zu lassen, zunächst einen kaum kontrollierten Ansturm ausgelöst hatte, sind Deutschland und seine europäischen Partner mittlerweile wieder zu geordneten Verfahren zurückgekehrt. Da der Asylantrag von Migranten nun bereits in Griechenland geprüft wird, hat der Anreiz nachgelassen, in Afghanistan die Koffer zu packen in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland. Entsprechend ist die Zahl der Flüchtlinge und Migranten in Deutschland wieder auf ein wirtschaftlich verkraftbares Maß zurückgegangen.

Deutschland braucht Einwanderer. Schließlich kann eine alternde Bevölkerung sich später nicht selbst pflegen. Die Zahl der offenen Stellen ist bereits heute so hoch wie nie zuvor. Da allerdings viele der Zuwanderer aus Vorderasien oder Nordafrika nicht die geeigneten Qualifikationen mitbringen, wird es Zeit und Geld kosten, sie zu integrieren. Die ebenfalls zahlreichen Zuwanderer aus anderen EU-Staaten haben es leichter, in unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Aber dank seiner Finanzkraft und seines leistungsfähigen Bildungssystems hat Deutschland bessere Möglichkeiten als nahezu alle anderen Staaten in Europa, seine Zuwanderer so zu schulen, dass viele von ihnen auf Dauer doch einen produktiven Arbeitsplatz finden können. Natürlich gelingt dies nur, wenn der Zustrom sich in Grenzen hält, wie das derzeit wieder der Fall ist.

Beschäftigungsfreundliche Wirtschaftspolitik zahlt sich aus

Wie gut es Deutschland geht, zeigt sich auch an einer weiteren Zahl: seit vier Jahren steigt die Zahl der Geburten. Angesichts der guten Wirtschaftslage wächst sogar der Mut zum Kind.

Manche Klagen, die man in Deutschland immer wieder hört, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als unberechtigt oder zumindest weit übertrieben. So haben die Niedrigstzinsen nur am Rande etwas mit der Geldpolitik der EZB zu tun. Sie drücken vor allem den Wunsch vieler Anleger aus, lieber festverzinsliche Rententitel zu kaufen oder ihr Geld bei der Bank anzulegen, als damit reale Werte wie Aktien zu erwerben. Risikoscheu hat eben ihren Preis. Auch die Klage, dass dies die deutsche Alterssicherung untergrabe, sollte möglichst nicht in allzu aggressivem Ton vorgetragen werden. Denn ob die Rente sicher ist, hängt vor allem von zwei anderen Faktoren ab. Erstens müssen wir fragen, ob eine Inflation den Wert der Ersparnisse und Renten aufzehrt. Dank der sachgerechten Geldpolitik der EZB ist dies nicht der Fall. Stattdessen ist das Preisniveau stabiler als je zuvor. Zweitens beziehen die meisten Rentner den größten Teil ihrer Einkommen aus der umlagefinanzierten Rente. Da die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit Anfang 2006 um satte 20% gestiegen ist, steht die staatliche Rente heute auf weit soliderem Fundament als zuvor. Eine beschäftigungsfreundliche Wirtschaftspolitik zahlt sich aus.

Populisten bedrohen unseren Wohlstand

Natürlich ist die Liste der Probleme lang. Das richtige Steuern der Zuwanderung wird uns noch lange beschäftigen. Der Aufstieg populistischer Protestparteien und -politiker im In- und Ausland bedroht unseren Wohlstand. So sehr sie sich voneinander unterscheiden, so verbindet doch die Abneigung gegen Freihandel die Rechtsausleger in Frankreich (Le Pen) und den USA (Trump) mit den linken Spinnern andernorts, einschließlich der deutschen Variante in der Partei der Linken. Im britischen Votum für einen Austritt aus der EU hat sich die Revolte gegen die offene Gesellschaft schon einmal Bahn gebrochen. Die Welt ist nur einen Clinton-Skandal vom Risiko eines US-Präsidenten Trump entfernt. Würde dieser dann seinen Worten taten folgen lassen und einen Handelskrieg mit China anzetteln, könnte das gerade die ausfuhrabhängige deutsche Wirtschaft erschüttern.

Neben den US-Wahlen werden uns auch andere politische Risiken wie das anstehende Verfassungsreferendum in Italien oder die Entwicklungen in Russland und der Türkei in den kommenden Monaten in Atem halten. Aber bevor wir uns wieder den schlagzeilenträchtigen Krisen zuwenden, sollten wir einmal kurz inne halten. Trotz aller Probleme und mancher Ungerechtigkeiten im Lande geht es Deutschland insgesamt gut. Das ist eine gute Ausgangslage, um die anstehenden Herausforderungen bewältigen zu können.

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