Kenia: Humanitäre Katastrophe an der Wiege der Menschheit
Der Distrikt Turkana im Norden Kenias ist die Wiege der Menschheit. Jedenfalls stieß man dort und etwas weiter nördlich, jenseits der Grenze zu Äthiopien, auf die frühesten Funde menschlichen Lebens.
Wenn dort also über Hunderttausende von Jahren Menschen leben konnten, dann muss es auch ein sehr fruchtbares Land gewesen sein. Was aber hat sich dann geändert?
Um es mit einem Wort zu sagen: das Klima.
Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Seit 1960 ist die Durchschnittstemperatur dort um zwei Grad angestiegen; die letzten acht Jahre waren die heißesten, die je aufgezeichnet wurden; die Regenfälle haben sich um 25 Prozent verringert.
Man kann zwar in Ostafrika noch Lebensmittel anbauen, aber es hat sich örtlich alles irgendwie verschoben. Turkana ist heute, so weit das Auge reicht, ein staubiges und trockenes Land. Alle Flüsse auf der 230 Kilometer langen Strecke von Lodwar nach Lokitaung sind ausgetrocknet. Die einstigen Flussbetten sind nur mehr staubige Täler.
Dort, wo einst der Fluss Keiro floss, beobachten wir einmal eine Gruppe von rund 30 Leuten, die mehr als eineinhalb Meter tiefe Löcher gruben in der Hoffnung, dort noch die letzten Tropfen Wasser herausholen zu können.
In der ganzen Region sind die Flüsse verschwunden, die einst die Lebensgrundlage von Tausenden von Dorfbewohnern bildeten. Nun müssen die Menschen dort stundenlang gehen, um irgendwo noch Wasser zu finden. Und wenn sie es finden, ist es oft gefährlich verschmutzt. Sie trinken es trotzdem. Haben Sie eine andere Wahl?
Andrew Lodio und seine Familie haben sich in der Nähe des Orts Lokitaung aus nur einem einzigen Grund ein Haus gebaut: weil es dort einen großen, bis zu 50 Meter breiten Fluss gab. Der ist jetzt so trocken wie das ausgedörrte Land, das sich links und rechts seiner einstigen Ufer erstreckt.
"Früher war es anders", erinnert sich Andrew. "Es gab zwar auch früher Dürren, aber keine wie diese. Diese ist die schlimmste, weil sie die gesamte Region betrifft. Wir sind ja sonst, wenn es an einem Ort mal schlecht war, einfach anderswohin gegangen. Aber jetzt ist es überall schlecht. Wir können nirgendwohin.”
Andrew ist ein gebrechlicher Mann. Man sieht es seinen Augen an, dass er tagelang nichts gegessen hat. Zwei Tage, genau genommen. In jedem Dorf in dieser Region ist es dasselbe. Die Ernten sind ausgefallen, das Vieh ist gestorben, die Menschen hungern. Ihre Mägen sind leer; sie sehen auf zum wolkenfreien Himmel und beten um Regen.
Ausgerechnet an der Wiege der Menschheit ist eine humanitäre Katastrophe in vollem Gang.
Eoghan Rice, Mitarbeiter der Caritas Irland (Trocaire)
Juli 2011