Model statt Puppe: Marlis Petersen (als Olympia) probt "Hoffmanns Erzählungen" (mit Arturo Chacón-Cruz als Hoffmann).

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Roland Geyer inszeniert: weg von Märchenhaftigkeit.

Foto: Th. a. d. Wien

 Intendant Roland Geyer inszeniert nach einer weniger gelungenen Produktion im März nun selbst. Ein Probenbericht in drei Teilen.

Wien - Probenpause im Theater an der Wien, fünf Tage vor der Premiere. Vor dem Bühneneingang wird soeben hektisch telefoniert: "Es geht drunter und drüber!" Drinnen macht Ausstatter Herbert Murauer noch rasch ein Foto von Marlis Petersen, das mit einem Gemälde überblendet und als Videoprojektion verwendet werden soll: "Dauert nur eine Minute!"

Dann bittet die Sängerin den Standard in ihre Garderobe, wo geschätzte zwanzig Paar Schuhe stehen und die noch nicht ganz fertigen Kostüme der Olympia, Antonia, Giulietta und Stella hängen. Alle vier großen Frauenrollen in Jacques Offenbachs fantastischer Oper Hoffmanns Erzählungen wird die Sopranistin zwischen 4. und 10. Juli verkörpern. Sie ist Feuer und Flamme für diese fordernde Aufgabe - und auch für die Regieideen von Intendant Roland Geyer, der sich im Mai kurzfristig von William Friedkin getrennt hat, als sich abzeichnete, dass man auf keinen gemeinsamen Nenner mehr kommen würde. Ursprünglich hätte der Filmregisseur (French Connection, Der Exorzist) zwei Versionen des Stücks erarbeiten sollen; nach seiner wenig überzeugenden Regiearbeit vom März und Meinungsverschiedenheiten über das weitere Vorgehen entschloss sich Geyer, selbst in die Bresche zu springen.

Über die Art und Weise, wie er das tut, ist Petersen überrascht: "Ich weiß nicht, wo er diese Energie hernimmt. Er probt den ganzen Tag, arbeitet dann noch nach und bereitet den nächsten Tag vor. Und dann unterrichtet er auch noch nebenher Mathe, verschwindet vormittags kurz und kommt dann wieder ins Theater."

Die Herausforderung, vor der die Sängerin selber steht, nimmt sie ziemlich gelassen: "Ich habe zum Glück die Gabe, mich in viele Rollen zu begeben und trotzdem Distanz zu halten. Ich liebe es, vielfältig zu agieren. Vielleicht bin ich auch gerade durch meine neue CD mit Frauenfiguren bei Goethe dafür besonders trainiert (Harmonia Mundi France, Anm.)."

Eben noch hat Petersen erzählt, wie viel Spaß ihr die Arbeit macht, nun steht sie nach der zwanzigminütigen Pause schon wieder auf der Bühne: Geprobt wird noch ohne Kostüme, aber mit vollem Einsatz. Dirigent Riccardo Frizza unternimmt letzte Abstimmungen mit den Sängern und dem Chor; nur selten schaltet sich der inszenierende Intendant ein, modifiziert das Tempo auf der Bühne oder die Bewegungen des Arnold-Schoenberg-Chors.

Oder er bittet Petersen, ihren Catwalk nochmals ein wenig grotesker zu machen. Denn in der Rolle der Olympia hat die Sängerin ein Model "à la Heidi Klum" zu mimen und, wie sie selbst sagt, "oberflächliches Blabla" zu simulieren. Keine Puppe diesmal, sondern eher ein Püppchen.

Nach der Probe entledigt sich Geyer seines Schals ("Der ist nur wegen der Klimaanlage!"), bestellt im Theatercafé nebenan eine Pannacotta und erläutert sein Regiekonzept: "Olympia als Model war der Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Sie ist eine von drei Männerfantasien - neben der unschuldigen Antonia, die sich für den Mann aufspart, und Giulietta, der Tobenden im Bett. Diese Klischees und ihre Überzeichnungen bildeten den Kern meiner konzeptuellen Ideen."

Den Verdacht, dass solche Ideen bereits vorhanden waren, bevor er sich entschloss, diese Regie zu übernehmen, bestätigt Geyer: "Bei den meisten Opernprojekten habe ich bereits bestimmte Vorstellungen, bevor ich mit dem Regisseur spreche - nicht im Detail, aber konzeptuell. Bei Hoffmanns Erzählungen waren ja von vornherein zwei Versionen geplant. Die Aufführungsserie im Juli sollte von den Frauenfiguren ausgehen, für die Premiere im März hatte ich William Friedkin vorgeschlagen, im Stil eines Hitchcock-Krimis zu inszenieren - unter der prinzipiellen Prämisse, dass das Gute und Böse in jedem von uns steckt. Jedenfalls wegkommen wollte ich von einer märchenhaften Inszenierung, wie sie an der Staatsoper zu sehen ist."

Dabei waren zunächst einmal finanzielle Probleme zu bedenken: "Wir hatten nicht allzu viel Budget vorgesehen, sondern nur ein wenig für neue Kostüme. Aus dem Problem, dass ich eine neue Bühne und eine neue Ausstattung brauchte, wurde die Grundidee eines Theater-an-der-Wien-Figurenmuseums, so wie bei Madame Tussauds, mit Opernfiguren unserer letzten 20 Produktionen. Da gibt es einen Papageno, Hamlet, Eurydice, Don Giovanni, Serse usw."

Diese scheinbar unvermittelt auftauchenden Figuren stellt er freilich durchaus in einen gedanklichen Zusammenhang mit dem Stoff der Oper: "Für meine Inszenierung habe ich mich nochmals intensiv mit dem Werk von E. T. A. Hoffmann beschäftigt. Was ich davon auf die Bühne bringen will, ist neben der psychologischen Zeichnung der Hauptfiguren vor allem das Groteske und den plötzlichen Sprung von einem ins andere. Bei ihm gibt es immer wieder abstruse Situationen, die nichts mit der Grundgeschichte zu tun haben, Fantasien, Halluzinationen."

Von der Fantasie, in Zukunft neben seiner Intendanz regelmäßig selbst auch Regie zu führen, ist Geyer freilich weit entfernt: "Ich bin nicht der Typ dafür, ein großes Haus zu leiten und gleichzeitig künstlerisch tätig zu sein. Andere mögen das machen, das will ich gar nicht kommentieren. Aber sich voll auf einen Kreativprozess einzulassen und parallel dazu ein Haus zu führen, wie ich mir das vorstelle, das geht nicht."

Außerdem verweist er darauf, dass seine Inszenierung nur zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt denkbar war, zumal im Mai die Wiener Festwochen im Theater an der Wien gastierten, somit keine Eigenproduktion zu bewältigen war. Ist er aber dennoch auf den Geschmack gekommen? "Bis 2018 bin ich hier als Intendant. Es kann sein, dass ich 2015/16 wieder Regie führe - aber was das ist, sage ich noch nicht." (Daniel Ender, DER STANDARD, 4.7.2012)