Der jüngste Film von Francis Ford Coppola, ein persönliches Geschenk an E.A.Poe-Liebhaber, mit 3D-Passagen: Elle Fanning als Geist und Val Kilmer als kriselnder Schriftsteller in "Twixt" (2011)

 

 

Foto: Slash / Zoetrope

Ein Bild- und Tongedicht - Synthesizer-Score von Jeremy Schmidt (Black Mountain) -, eher ein Trip als eine Handlung:  "Beyond the Black Rainbow" von Panos Cosmatos (Kanada 2010).

 

 

Foto: Slash / Chromewood

Studie in Angst aus einem Land, das mit Gewaltexzessen so seine Erfahrungen hat: "The Squad" ("El páramo") des Kolumbianers Jaime Osorio Marquez (2011).

 

 

Foto: Slash / Alta

Suburbia-Dasein gebiert in "Excision" (Richard Bates Jr., USA 2012) Splatter-Fantasien: Anna Lynne McCord mit Film-Mutter Traci Lords.

 

 

Foto: Slash / BXR

Satirischer Blick auf Koreas Pop-Industrie hinter einer Horror-Handlung um einen verfluchten Song: "White: Melody of Death" (2011).

 

 

Foto: Slash / Doo

Unerwarteter Mystery-Thriller des als Regie-Brutalos bekannt gewordenen Pascal Laugier: Jessica Biel in "The Tall Man" (2012).

 

 

Foto: Slash / SND/Minds Eye

Markus Keuschnigg, Filmkritiker bei FM4 und der "Presse", erhielt erstmals 2008 im Rahmen des Linzer Crossing-Europe-Filmfestivals die Möglichkeit, eine "Nachtsicht"-Schiene zu programmieren. Gezeigt wurden vom regulären Kinobetrieb vernachlässigte europäische Genrefilme zwischen Schock und Kunstanspruch jeweils in Spätabend-Vorführungen. Obwohl vom Fleck weg sehr populär, gestaltete es sich äußerst mühsam, danach in Wien ein Filmfestival auf die Beine zu stellen, das auch amerikanische und asiatische Werke vorstellen kann; 2010 war es schließlich so weit.

derStandard.at: Das /slash-Festival kann nach zwei erfolgreichen Ausgaben auf eine Zuschauer-Community bauen, die ziemlich netzaffin und über die Filme vorab informiert ist - und sie sind nicht wenige, wie der Zuspruch der vergangenen Jahre zeigt. Für die anderen: Wofür steht /slash als Festival, als Begriff?

Keuschnigg: Mit "slash" wollen wir "schlitzen", ein System aufschneiden und zerschneiden. Und zwar jenes System, das Filme in bieder-bürgerliche Kategorien wie gut und schlecht einteilt und für die Kino letzten Endes immer Kunst sein muss. Aufschneiden wollen und müssen wir aber auch die Tradition von Filmfestivals, die immer mehr zu langweiligen, leidenschaftslosen Establishment-Vehikeln werden. Wir wollen keine Hierarchien einziehen, sondern bestehende Hierarchien einreißen. So viel sei einmal zur Programmatik gesagt. Vom Programm her wollen wir das zentrale österreichische Filmfestival für das fantastische Kino sein, das im Besonderen Genres wie Horror, Fantasy und Science-Fiction ausstellt.

derStandard.at: Im Netz ist über diese Art von Kino sehr viel zu lesen, mehr als über den Arthouse-Sektor - allerdings überwiegt eine spezifische Horror-Fanboy-Perspektive. Wie sehr taugt Googeln zum Informieren?

Keuschnigg: Man kann schon googeln, aber darf halt nicht aufhören, eigenständig zu denken. In diesem digitalen Sturm, in dem so vieles mit ein paar Klicks verfügbar scheint, wird es immer wichtiger, Filme selbst zu erfahren. Man könnte heutzutage vermutlich ein ganzes Festival anhand von Zweit- und Drittinformationen aus dem Netz programmieren und letztendlich ein solides Programm zusammenstellen. Ich glaube aber an die Wichtigkeit einer Kuratorenschaft, dass sich persönliche Vorlieben und Spleens im Programm abdrücken müssen und das /slash somit zu einem unverwechselbaren Erlebnis machen.

Ich selbst habe aufgrund meiner eigenen Biografie ein großes Interesse an den vielen engen Verbindungen zwischen Horror-Kultur und queeren Erfahrungswelten. Daher finden sich Filme im Programm, die bei anderen Festivals des fantastischen Films eventuell nicht zu sehen sind. In diesem Jahr etwa die Low-Budget Grand Guignoleske "All About Evil" von Joshua Grannell, der als Drag Queen Peaches Christ seit mehreren Jahrzehnten das Castro Theatre in San Francisco rockt. Und natürlich auch die extrem rare Langfassung von Clive Barkers psychosexuellem Monstermärchen "Nightbreed".

derStandard.at: Manche spezifisch französische Glanzlichter der "Nachtsicht"-Schiene wie "A l'Interieur" oder "Amer" scheinen es nie zu Wiener Screenings geschafft zu haben.

Keuschnigg: Leider. Mittlerweile hätte ich selbst vermutlich die Möglichkeit, solche außergewöhnliche Arbeiten auch in Wien zu zeigen. Die Tatsache, dass das vor einigen Jahren, als ich die Filme in Linz am Crossing Europe vorgestellt habe, nicht geschehen ist, zeigt einfach nur überdeutlich, wie ignorant die Kino- und Verleihlandschaft gegenüber dem Fantastischen ist. Oder wie sehr sie sich auch davor fürchtet. Wenn ich mir dann ansehe, mit wie viel europäischem Wohlfühlschund man vor allem in den Innenstadtkinos zugemüllt wird, weiß ich wieder, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.

derStandard.at: Ein Überblick zeigt eine hohen Programmanteil von Komödie bzw. schwarzer Satire, auch dank der Themenschiene "Zombies" - die ja längst im übertragenen, spöttischen Sinn in die Alltagssprache eingegangen sind. Ist das Programmatik, oder hat sich der Komikanteil ergeben?

Keuschnigg: Ich persönlich empfinde die Kombination Horror und Humor als außergewöhnlich problematisch, da zu oft und sehr schnell auf Naheliegendes gesetzt wird. Trotzdem beobachte ich natürlich, dass groteske oder ironische Variationen auf klassische Horrormodelle wie eben die Zombie- oder Schlitzerfilme aktuell hoch im Kurs stehen.

Beim /slash-Filmfestival haben wir auch den Auftrag, unserem Publikum einen guten und möglichst umfassenden Überblick über die aktuelle Befindlichkeit der internationalen Produktionslandschaft zu geben. Das heißt, dass ein möglicher hoher Anteil an fantastischen Komödien auch ausdrückt, dass ich im vergangenen Jahr besonders viele fantastische Komödien gesehen und dann die für mich besten und interessantesten ausgewählt habe.

derStandard.at: Soeben laufen zwei Filme im Kino, "Sleep Tight" von Jaume Balagueró und "The Cabin in the Woods" von Drew Goddard (zu dem Sie eine lobende Kritik geschrieben haben), die wie Vorboten von /slash wirken. Warum sind sie nicht Teil von ihm?

Keuschnigg: Die Arbeit von Jaume Balagueró verfolge ich schon seit vielen Jahren. Sein internationaler Durchbruchsfilm "REC", den er gemeinsam mit Paco Plaza inszeniert hat, hat seine Österreich-Premiere zum Beispiel in Linz gefeiert. Auch "Sleep Tight" war zum ersten Mal in Linz zu sehen, bei der diesjährigen Edition des Crossing-Europe-Filmfestivals. Da er jetzt zum Glück auch regulär in den heimischen Kinos anläuft, fällt er natürlich als /slash-Film aus.

"The Cabin in the Woods" haben wir im Rahmen unserer Sonderveranstaltung "/slashing Europe" Anfang Mai in Wien gezeigt. Wofür wir sehr dankbar waren, denn nicht selten sind es gerade größere US-amerikanische Filme, die wir nicht zeigen dürfen. Gründe dafür sind etwa, dass eine Vorführung nicht in die Verleih- oder Marketingstrategie der großen Unternehmen passt, die die Rechte am jeweiligen Film halten. Diese Entscheidungen treffen aber leider so gut wie immer Menschen, die wenig Ahnung von ihrem potenziellen Publikum haben - und die eine Plattform wie das /slash bis auf wenige Ausnahmen leider noch nicht zu schätzen wissen.

derStandard.at: Ein markantes Beispiel aus jüngster Zeit, bei dem erfolglos angefragt wurde?

Keuschnigg: Beispiele gibt es zuhauf. Die Neuverfilmung des legendären 42nd-Street-Films "Maniac", produziert von Alexandre Aja und besetzt mit Elijah Wood, wurde vom Verleiher etwa nicht für eine Vorführung freigegeben, da der Film Ende des Jahres auch regulär in den Kinos anlaufen wird. Bei Studiofilmen wie "Dredd 3D" würde zu viel Zeit zwischen einer Premiere beim /slash und dem deutschen Kinostart liegen.

Für andere Verleiher sind wir aber schlichtweg auch zu klein und unwichtig. Als Programmverantwortlicher des Festivals ist es mir aber ohnehin wichtiger, einen guten Kontakt zu unabhängigen Produzenten und Filmemachern, im Besonderen aus dem Low-Budget- und Underground-Segment, zu pflegen. Die sind so gut wie immer extrem hilfsbereit und enthusiastisch. Sie freuen sich, ein Publikum zu bekommen und dass ihre Filme gesehen werden können.

derStandard.at: Die wesentlichen Festivals zur Vorauswahl sind ziemlich weit im Westen von Europa: Brüssel, Porto, Sitges bei Barcelona.

Keuschnigg: Ich fahre außerdem noch auf die großen Filmmärkte in Berlin und Cannes und lasse mich von Kollegen und Freunden beratschlagen, die sich auf exotischeren Festivals wie dem SXSW in Austin, Texas, tummeln.

derStandard.at: Etwas Spezielles ist das Akzeptanzproblem im deutschen Sprachraum. Eigenwillig, weil tatsächlich sehr viel abendfüllende Genrearbeit geleistet wird - aber eben nur für die TV-Hauptabende: die "Tatort"-Krimis, die Pilcher-Liebesdramen etc. mit ihren engen thematischen und geschmacklichen Grenzen. Ist hier eine Änderung in Sicht?

Keuschnigg: Es ist ja recht interessant, dass sich im gesamten deutschsprachigen Raum das Konzept der Premium-Serie, wie sie etwa in den USA seit über einem Jahrzehnt produziert wird, nicht durchgesetzt hat. Im Kinobereich sieht die Situation noch viel düsterer aus, nicht zuletzt, da die Förderstellen ihr oftmals eindimensionales Kunstverständnis mit allgemeiner Relevanz verwechseln und die kulturelle Landschaft daher nicht nur berechenbar, sondern auch schrecklich langweilig machen.

Schön langsam bricht aber zumindest in Österreich etwas auf: Man hört, es gebe mehr Drehbucheinreichungen, die den fantastischen Genres zuzurechnen sind. Und einige werden dann tatsächlich auch produziert. Marvin Kren, der vor einigen Jahren mit dem Zombiefilm "Rammbock" reüssieren konnte, hat gerade den Monsterfilm "Gletscherblut" abgedreht. Beim /slash wird er das Projekt erstmals in der Öffentlichkeit vorstellen - anhand eines Trailers und mit Einblicken in die Produktionsgeschichte. Dadurch, dass wir beim /slash solche Projekte ausstellen, hoffe ich natürlich auch, dass wir jungen FilmemacherInnen Mut machen können, sich in fantastischen Genres zu versuchen.

Bezüglich der Filmfestival-Förderpolitik fange ich jetzt gar nicht an, mich zu beschweren. Das würde zu lange dauern. Mein Team und ich arbeiten jedenfalls unter prekären, existenzgefährdenden Bedingungen. Und obwohl wir zwei Jahre lang bewiesen haben, wie erfolgreich und intelligent man ein solches Festival gestalten kann, bewegt sich zumindest bei den großen Fördereinrichtungen wenig. Im Vergleich zu den größeren österreichischen Festivals operieren wir mit etwa einem Hundertstel bis Hundertfünfzigstel des Budgets. Oder auch: Mit dem Geld, für das wir ein ganzes Festival ausrichten, schaffen andere nicht einmal einen Tag. 

derStandard.at: Zum Festival-Schwerpunkt "Film und Computerspiel": Eine der Annahmen der großen Filmindustrie vor zehn, 15 Jahren war, dass die beiden eng verschmelzen werden. Wurde das seither nicht eher zu einer Underground-Angelegenheit?

Keuschnigg: Es ist tatsächlich so, dass sich die Dramaturgien von großen Spielen und bestimmten fantastischen Filmen angenähert haben. Auch, dass es diverse ästhetische und inhaltliche Austauschleistungen gibt, ist nicht abzustreiten. Was ja immer noch kaum bekannt ist: Die Videospielindustrie ist weitaus finanzstärker als die Filmindustrie. Und ein Blockbuster-Game hat im Durchschnitt auch mehr Budget als ein Hollywood-Film.

Zudem geschehen viele technische Innovationsleistungen mittlerweile innerhalb der Videospielentwickler - und die Filmindustrie macht sie sich anschließend nutzbar. Noch vor zehn Jahren war das umgekehrt. Mit geht es letztendlich aber auch darum, die Kulturformen des fantastischen Films und des Videospiels aneinander zu binden. Einerseits überschneidet sich ein Großteil der Rezipienten, andererseits werden beide vom Establishment nicht ernst genommen, verdienen es aber, intelligent und enthusiastisch diskutiert zu werden.

derStandard.at: Eine klassische Frage an einen Kurator ist die nach einem persönlichen Tipp ... jenseits von denen, die in der Katalogbroschüre bereits erwähnt sind. Als Diskussionsanstoß ein paar Fotos und Filme (siehe l.inke Spalte).

Keuschnigg: Ein Film, um den ich mich im letzten Jahr leider erfolglos bemüht habe und der es jetzt endlich ins Programm geschafft hat, ist "White: Melody of Death". Ummantelt mit einer klassischen japanischen Geistergeschichte, dekonstruieren die koreanischen Regisseure einen heiligen Gral der Kulturindustrie ihres Landes, nämlich den des K-Pop. Große Unterhaltungskonzerne casten gutaussehende junge Männer und Frauen in Boy- und Girl-Bands, wo sie dann zu einem Hungerlohn extrem hart arbeiten müssen, bis sie irgendwann zusammenbrechen. Der resultierende Film ist nicht nur hochspannend, sondern auch subversiv.

derStandard.at: Apropos Coppolas "Twixt": 3D im Genre-Kino - ist das im Kommen? Derzeit kehrt ja wieder Skepsis ein.

Keuschnigg: Ich gehöre da grundsätzlich auch zu den Skeptikern und glaube nicht, dass das der heilige Gral ist, der eine angeschlagene Filmindustrie retten wird können. Aber wenn Regisseure wie Francis Ford Coppola oder Tsui Hark ("Flying Swords of Dragon Gate") sich die Technik aneignen und sie dazu verwenden, ihre fantastischen Sensibilitäten als Geschichtenerzähler zu erweitern, dann ist das unbestreitbar lässig - und nicht selten atemberaubend.

derStandard.at: Oft versucht, selten ohne Krämpfe erreicht: der Eventcharakter eines Filmfestivals.

Keuschnigg: Nicht wenige werfen dem /slash eine Eventisierung vor. Mir ist das wurscht. Film war für mich immer schon mehr, als nur gottesdienstartig und fesch angezogen in einem Saal zu sitzen und regungslos einen Film zu genießen. Ich versuche, die fantastischen Welten unserer Filme auch in die außerfilmische Wirklichkeit zu reißen, indem wir Themenpartys schmeißen, passende musikalische Umrahmungen liefern oder, wie heuer beispielsweise, nach einem Spukhausfilm eine tatsächliche Geisterbeschwörung im Kino versuchen. Wer weiß, vielleicht können wir dem Publikum dann ja etwas mit nach Hause geben. Einen Geist zum Beispiel. (H. C. Leitich, derStandard.at, 14.9.2012)