Im Trachtengewand Tiroler Viergesang, Jodler und Walzer zu singen gehörte zum Standardrepertoire der Rainer Familiy. "Da wurde die Klischeevorstellung von Tirol bedient", sagt der Musikethnologe Thomas Nußbaumer von der Universität Mozarteum.

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Innsbruck – Sie waren die erste deutschsprachige Musikgruppe mit internationalem Erfolg. Zwischen 1839 und 1843 tourte die Rainer Family mit Tirolerliedern, Jodlern und Walzern in der Tracht durch Amerika.

Der Tiroler Musikethnologe Thomas Nußbaumer von der Universität Mozarteum hat sich zusammen mit der Musikwissenschafterin Sandra Hupfauf der Rainer Family und ihren Vorgängern, den Geschwistern Rainer, gewidmet. Das Hauptaugenmerk des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts liegt in der musik- und kulturhistorischen Bedeutung der Gesangsgruppe aus dem Zillertal. Bislang sei die Sängergruppe als Kommerzmusik und Folklore abgetan worden und habe daher in der Volksmusikforschung keine Beachtung erfahren. "Die Wirklichkeit zeigt, dass viele Sänger Volkslieder gesungen haben, die heute noch im Repertoire sind", betont Nußbaumer.

Die Rainer Family um den damals 18-jährigen Ludwig Rainer sei im Auftrag eines amerikanischen Geschäftsmannes von einem Agenten quasi gecastet worden, sagt Nußbaumer. Danach gingen sie auf Amerikatournee, wo zwischen den Großstädten New York, Boston und New Orleans ihr Bekanntheitsgrad stieg. Die Mitglieder Rainer Family waren so etwas wie die Erfinder des bis heute erfolgreichen volkstümlichen Schlagers, indem sie musikalische mit kommerziellen Interessen geschickt verbanden.

In den USA machten die Rainers auch den typischen Tiroler Viergesang berühmt. Damit hatten sie auch Einfluss auf die amerikanische Musikgeschichte. "Die Entwicklung der Barbershopmusik und der Countrymusik wurde davon beeinflusst", sagt der Musikwissenschafter.

Die sogenannten Nationalsängergesellschaften fungierten auch ganz explizit als Werbeträger für ihre Heimatregionen. "Da wurde die Klischeevorstellung von Tirol bedient, wie es nur gegangen ist", sagt Nußbaumer. Traditionelle Instrumente wie das Xylofon und die Zither wurden genauso eingesetzt wie Jodler und Walzer. In Europa und Amerika habe schon im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine gewisse Alpenbegeisterung geherrscht, sagt Nußbaumer. Mit ein Grund dafür sei Andreas Hofer. "Hofer hat für Aufsehen gesorgt, weil er vorgeführt hat, dass Napoleon nicht unverwundbar ist. Es hat ins Klischee gepasst, dass die Tiroler Bauernschützen die modernste Armee der Welt aufhalten können", erläutert der Musikethnologe. Die Sängergruppen haben dann das Klischee der Tiroler Musik geschaffen.

Bereits die Eltern und Onkel, die sogenannten Rainer-Geschwister Anton, Felix, Josef und Maria Rainer, gingen ab 1824 in Europa auf Reisen, um zu singen. Die Idee der reisenden Familie gab es bereits 100 Jahre bevor die berühmteste singende Familie, die Trapp-Familie aus "Sound of Music", nach Amerika auswanderte.

Lieder ins Englische übersetzt

Die Rainer-Geschwister sangen in bürgerlichen Salons und an Fürstenhöfen. Bis 1838 reisten sie durch Deutschland und Großbritannien und waren gerngesehene Gäste am Londoner Hof. Die Geschwister Rainer ließen ihre Lieder in London übersetzen. Der Pianist Ignaz Moscheles gab sie unter dem Titel "The Tyrolese Melodies" zweisprachig, im Tiroler Dialekt und in adaptierten englischen Übersetzungen, heraus. "Die Adaptionen sind auf ein adeliges und bürgerliches Publikum zugeschnittene Verschönerungen", sagt Nußbaumer. Dabei seien Zweideutigkeiten in puncto Erotik verlorengegangen, um das Bild vom frommen Naturmenschen aus den Alpen nicht zu zerstören.

Für seine Forschung zog Nußbaumer viele Quellen heran. Zentral für die Aufarbeitung des Liedrepertoires sind freilich die Notendrucke – mit denen die Rainers als eine der ersten Gruppen ein Medium zur Vervielfältigung nutzten. Aber auch persönliche Dokumente und Passagierlisten aus Amerika oder Zeitungen wurden als Belege ausgegraben. Im Tagebuch der Prinzessin Victoria, der Tochter von Georg IV. aus England, beschreibt diese detailliert die Bekanntschaft mit den Rainers. Über die Rainer Family gebe es auch einen rätselhaften Roman – dessen Verfasser unbekannt ist, sich aber mit der Liebesgeschichte zwischen Helene Rainer und ihrem Tourmanager beschäftigt – und ein Tagebuch von Ludwig Rainer, das seit 25 Jahren verschollen ist. Es sei fast eine detektivische Vorgehensweise, sagt der Musikethnologe.

Mit dem Quellensammeln ist noch nicht Schluss. 1858 war Ludwig Rainer in Sankt Petersburg am russischen Zarenhof. Auch die Rainer-Geschwister hatten Kontakt zu Zar Alexander, der sie in Fügen singen hörte. Eine russische Kollegin hebe derzeit Dokumente aus, um auch diese Zeit der berühmten Familie zu erforschen. (Stefanie Ruep, 11.1.2017)