Frau schaut genervt auf das Smartphone in ihrer Hand 
Bei jungen Frauen kommt in Sachen Dating oft noch (gesellschaftlicher) Zeitdruck hinzu. Das macht es für sie besonders mühsam, sagt die Expertin.
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Ein Swipe links, ein Swipe rechts – je nachdem, ob man das Profil ansprechend findet. Die meisten Dating-Apps funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip: Einmal nach links wischen bedeutet kein Interesse, bei einer Daumenbewegung nach rechts kann man dann – so denn das Interesse erwidert wird – miteinander schreiben und sich vielleicht schon bald verabreden.

Was in der Theorie und für manche, die noch nie selbst online gedatet haben, nach einem ganz netten Zeitvertreib klingt, ist in der Praxis oft ganz anders. Denn wer selbst schon einmal online auf der Suche nach Gspusis oder der großen Liebe war, wird bei den Worten von Psychotherapeutin Vera Schweiger nur müde nicken: "Dating ist oft wahnsinnig frustrierend", sagt sie zum STANDARD. Deshalb sollte man sich besonders gut überlegen, wann man sich in den Datingdschungel begibt – und wann man die Apps lieber geschlossen lässt.

STANDARD: Sie sagen, Dating sei mentale Arbeit. Was meinen Sie damit?

Schweiger: Man lernt dabei ständig neue Leute kennen. Das ist zwar oft auf einer sehr oberflächlichen Ebene, aber trotzdem lastet ein gewisser Druck auf diesen Kontakten. Man möchte ja, dass sich etwas daraus entwickelt. Auf diesen Plattformen wird man aber sehr auf das Äußerliche und nur ein paar wenige Fakten über sich selbst reduziert. Sie sind nicht dafür ausgelegt, Menschen mit ihren komplexen Persönlichkeiten kennenzulernen. Wenn man ständig auf wenige Attribute reduziert und in Schubladen gesteckt wird, ist das ziemlich hart. Das laugt auf Dauer wirklich aus.

STANDARD: Dazu kommt dann häufig die Bewertung, möglicherweise Ablehnung oder das eigene Zurückweisen des anderen. Was macht das mit der Psyche?

Schweiger: Ablehnung ist gesellschaftlich nicht erwünscht. Wenn wir gefragt werden "Hättest du Lust, mit mir Essen zu gehen?", dann ist es eher verpönt, zu sagen, dass man keine Lust hat. Meistens versteckt man sich dann hinter Entschuldigungen, dass man keine Zeit hätte. Das heißt, beim Dating sind wir ständig auch in Situationen, mit denen wir nicht gelernt haben umzugehen. Wir haben nicht gelernt, Menschen abzulehnen.

STANDARD: Entschuldigt das Ihrer Meinung nach das sogenannte Ghosting, also wenn sich jemand plötzlich einfach nicht mehr beim Gegenüber meldet, statt unangenehme Wahrheiten auszusprechen?

Schweiger: Entschuldigung ist es keine, aber manche Leute können nicht damit umgehen, jemandem offen zu sagen: "Es tut mir leid, das passt für mich jetzt nicht." Das ist auch einfach nicht angenehm. Es gibt dieses schöne Zitat von Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Dem stimme ich definitiv zu. Man muss sich halt überlegen, wie man sie sagt.

STANDARD: Trotzdem tut es dann weh …

Schweiger: Absolut. In der Psychotherapie sprechen wir oft von Ressourcen. Soziale Ressourcen können etwa Menschen, die uns guttun und bei denen wir uns fallenlassen können, sein. Es können aber genauso gut unsere Hobbys oder bestimmte Aktivitäten sein. Kurzum geht es bei den Ressourcen um alles, aus dem wir mental Energie schöpfen.

STANDARD: Was hat das mit Dating zu tun?

Schweiger: Wer gut auf die eigenen Ressourcen achtet, steigert damit den Selbstwert. Und das ist ja der springende Punkt beim Dating. Dass man sich bei Zurückweisung eben nicht fragt "Bin ich vielleicht nicht gut genug?" oder "Was mache ich bloß falsch?", weil man meistens eben gar nichts falsch macht. Es hat nichts mit einem selbst zu tun.

Deshalb ist es so wichtig, sich darüber bewusst zu sein, was einem das Leben abseits einer potenziellen Beziehung bietet. Was sind positive Aspekte in meinem Leben? Und genau diese Aspekte sollte man auch aufrechterhalten, wenn man sich in den Datingprozess begibt, und sie keinesfalls vernachlässigen. Dating sollte nicht zum wichtigsten Lebensinhalt werden.

STANDARD: Weil es eher Ressourcen raubt?

Schweiger: Genau, Dating ist dahingehend oft eine Extrabelastung. Man sollte sich fragen, ob man diese Ressourcen gerade hat oder ob einen vielleicht andere Lebensbereiche, etwa die Arbeit oder ein familiärer Konflikt, nicht gerade ohnehin genügend Ressourcen kosten, sprich: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu daten?

STANDARD: Und wenn die Antwort Ja ist?

Schweiger: Dann ist es wichtig, sich den eigenen Handlungsspielraum bewusst zu machen. Was an diesem ganzen Prozess kann ich kontrollieren? Ich kann entscheiden, wie ich auf diesen Plattformen auftrete, wie ich mich gebe, wozu ich Ja und wozu ich Nein sage. Gleichzeitig ist auch wichtig zu verstehen, wo meine Kontrolle endet. Man kann nicht kontrollieren, ob man bei jemandem gut ankommt oder nicht. Das hat nichts mit einem selbst, sondern mit den Geschmäckern und Erfahrungen der anderen Person zu tun. Wir können das nicht beeinflussen. Das zu akzeptieren kann schwierig sein.

STANDARD: Wie kann das dennoch gelingen?

Schweiger: Die wenigsten geben sich nach einer Ablehnung genügend Zeit. Wenn etwas wirklich wehgetan hat und man von einer Person, bei der man sich Hoffnungen gemacht hat, abgewiesen wird, darf man ruhig einmal traurig sein oder sich vielleicht auch darüber ärgern. Diese Gefühle sollte man nicht einfach unterdrücken und weitermachen, als sei nichts gewesen, sondern lieber einmal eine Pause vom Dating machen.

Psychotherapeutin Vera Schweiger
Wer einen guten Selbstwert hat, kommt mit Turbulenzen im Datingleben besser klar, betont die Psychotherapeutin Vera Schweiger.
David Rousal

STANDARD: Oft steckt hinter Dating aber auch Zeitdruck. Manche Personen mit Kinderwunsch etwa haben das Gefühl, sie könnten sich eine Datingpause nicht leisten. Das sei ja dann verlorene Zeit ...

Schweiger: Ja, dieser Zeitdruck ist da und gerade bei Frauen mit Kinderwunsch nicht wegzuleugnen. Aber erfahrungsgemäß ist es meist so, dass die Ergebnisse dann nicht unbedingt gut werden. Wer Zeitdruck hat, arbeitet nicht so genau und gewissenhaft. Und so ähnlich ist es auch beim Dating. Die Lösung kann also nicht sein, sich in Beziehungen zu stürzen. So werden nämlich vielleicht Grenzen überschritten, und es passieren Dinge, mit denen ich mich eigentlich gar nicht so wohlfühle.

Es gibt auch einen gewissen gesellschaftlichen Zeitdruck, von dem Frauen deutlich mehr betroffen sind als Männer. Singlefrauen über 30 behandeln wir gesellschaftlich anders als Singlemänner im selben Alter.

STANDARD: Er ist der umtriebige Bachelor, und sie wird mit unangenehmen Fragen gelöchert.

Schweiger: Genau. Ihr werden alte Rollenbilder übergestülpt. Warum bist du nicht verheiratet? Warum hast du noch keine Kinder? Deshalb ist es auch wichtig, zu hinterfragen, ob der Zeitdruck wirklich von einem selbst oder von außen kommt. Es wird immer noch von Frauen erwartet, dass sie das alles wollen. Aber vielleicht ist das ja gar nicht so.

Das macht Dating für Frauen noch ein Stück weit anstrengender. Ganz abgesehen davon, dass Dating für sie ja auch mit einem gewissen Sicherheitsrisiko verbunden ist. Generell wird es umso schwieriger, je weiter eine Person von der vermeintlichen Norm abweicht, weil es eben wenig mit Persönlichkeit zu tun hat. Man sieht zuallererst immer nur ein Bild. Wer nicht konventionell attraktiv ist, nicht weiß ist oder vielleicht einen hierzulande ungewöhnlichen Namen hat, hat es schwieriger.

STANDARD: Menschen, die daten, berichten oft sehr ähnliche Geschichten. Eine erzählt etwa, dass sie immer wieder von Männern geghostet wird. Ein anderer schildert, dass es am Ende nie für etwas Ernstes reicht. Scheint es nur so, als gebe es da ein bestimmtes Muster?

Schweiger: Nein, wir haben in allen Lebensbereichen gewohnte Verhaltensmuster, warum sollte es beim Dating anders sein? Vergangene Beziehungen und Erfahrungen prägen uns, und möglicherweise ist noch nicht alles aufgearbeitet. Wenn man merkt, dass einem immer wieder dieselben Dinge passieren, ist es durchaus sinnvoll, sich zu fragen: Wo lasse ich möglicherweise zu, dass meine Grenzen überschritten werden? Welche Verhaltensmuster aus meiner Vergangenheit tun mir nicht gut? Dafür kann man sich vielleicht auch professionelle Hilfe holen.

STANDARD: Grenzen zu setzen und sie zu kommunizieren kann man also lernen?

Schweiger: Natürlich, das kann man sehr gut lernen. In erster Linie geht es allerdings darum, die eigenen Grenzen überhaupt zu kennen. Manche Menschen können das nur sehr schwer fühlen, weil sie es nie gelernt haben, es immer allen recht machen mussten und in Rollenbilder gedrängt wurden. Aber man kann lernen, diese eigenen Grenzen zu setzen und Nein zu sagen. Mit jedem Mal üben wird es leichter.

STANDARD: Stichwort Selbstentwicklung. Es heißt ja oft, man müsse sich vorher selbst lieben, bevor man jemand anderen lieben könne. Stimmen Sie dem zu?

Schweiger: Nur begrenzt. Die Selbstfindung ist ja nie wirklich abgeschlossen. Aber natürlich hilft es, wenn man sich selbst zumindest mag. Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist, wird das auch in einer Beziehung nicht auf magische Weise auf einmal sein. Wenn man die Verantwortung für die eigene Selbstliebe an den Partner oder die Partnerin abschiebt, wird es problematisch.

Für jemanden, der wirklich gar nicht Nein sagen kann, ist Dating auch bis zu einem gewissen Grad gefährlich. Möglicherweise sagt die Person dann Ja zu potenziell traumatisierenden Dingen, gerade im sexuellen Bereich.

STANDARD: Kann man lernen, mit Zurückweisung umzugehen, oder wird es immer wieder wehtun?

Schweiger: Zurückweisung tut weh, und das ist auch in Ordnung. Das Ziel kann nicht sein, den Schmerz nicht zu spüren. Es geht eher darum, wie man damit umgeht. Sagt man "Ich bin traurig. Das ist blöd, dass es so gelaufen ist, und ich hätte mir es anders gewünscht"? Oder sagt man "Ich wurde abgelehnt. Das liegt sicher daran, dass ich nicht hübsch und interessant genug bin"? Ja, es wird immer wehtun, aber lasse ich es zu, dass es an meinem Selbstwert kratzt?

STANDARD: Das klingt vernünftig, trotzdem fällt es vielen schwer, sich eine Zurückweisung nicht zu Herzen zu nehmen. Haben Sie konkrete Tipps?

Schweiger: Wichtig ist, über den Schmerz zu reden und die sozialen Ressourcen wie die Familie oder Freundinnen und Freunde zu aktivieren. Dann schluckt man das nicht hinunter und leidet still vor sich hin, sondern teilt den Schmerz. Außerdem sollte man jetzt noch bewusster die Freizeit mit schönen Dinge füllen, gute Filme schauen, den Hobbys nachgehen, vielleicht beim Sport Erfolgserlebnisse sammeln oder ein neues Buch lesen.

STANDARD: Das Onlinedating endet ja nicht auf der Dating-App, oft folgt man einander auch auf anderen Social-Media-Apps. Was meinen Sie, sollte man einander wieder entfolgen, wenn die Kennenlernphase unschön endet?

Schweiger: Eine Frage ist dabei entscheidend, nämlich: Ist es hilfreich für mich? Wenn ich sehe, wie sein oder ihr Leben ohne mich weitergeht, und ich mir bei jedem geposteten Urlaubsfoto ausmale, dass ich das hätte sein können an seiner oder ihrer Seite, hilft mir das dann? Bringt mich das irgendwie weiter im Leben? Oder würde ich mich vielleicht besser fühlen, wenn ich die Person blockiere?

STANDARD: In der Internetsprache ist oft von Red und Green Flags die Rede. Red Flags sind Verhaltensmuster beim Gegenüber, die darauf hindeuten, dass man nicht zusammenpasst oder gar toxisch füreinander wäre. Green Flags sind hingegen vielversprechende Anzeichen. Was sind denn für Sie als Psychotherapeutin Green Flags?

Schweiger: Wenn jemand sehr reflektiert erscheint und gelernt hat, Grenzen einzuhalten. Wenn jemand um Zustimmung fragt und achtsam mit den Bedürfnissen anderer umgeht und gleichzeitig seine eigenen gut kommunizieren kann. Im Grunde also jemand, der offen kommunizieren kann und mir ein gutes Gefühl gibt.

STANDARD: Ist das Bauchgefühl also ein guter Ratgeber beim Dating?

Schweiger: Grundsätzlich ja. Die meisten Leute spüren sehr gut, was ihnen guttut und was nicht, das merke ich auch in der Praxis immer wieder. Aber das Problem ist, dass sie oft nicht danach handeln. Das Bauchgefühl allein reicht nicht, man sollte sich schon auch die Zeit nehmen, darauf zu hören. Möglicherweise kommen dadurch eigene Bedürfnisse und Wünsche zum Vorschein, denn die Psyche meint es grundsätzlich immer gut mit uns. (Magdalena Pötsch, 10.3.2024)