Eigentlich wollte Tim Davie am Dienstag über die prekäre Finanzlage des berühmtesten öffentlich-rechtlichen Senders der Welt sprechen. Stattdessen musste sich der BBC-Generaldirektor für eine dubiose Affäre rechtfertigen, die seit dem Wochenende die britischen Medien dominiert: Die Beschwerdeabteilung der Anstalt sei schwerwiegenden Vorwürfen gegen einen prominenten Moderator wochenlang nicht energisch nachgegangen. Premier Rishi Sunak sprach von "schockierenden und beunruhigenden Anschuldigungen" und mahnte eine rasche Aufklärung an.

Security-Kraft vor dem BBC-Portal
Security-Kraft vor dem BBC-Portal vor der Erklärung von Generaldirektor Tim Davie zu Vorwürfen gegen einen BBC-Moderator.
EPA / Andy Rain

"Schädliche Situation"

Gestützt auf die Eltern des mutmaßlichen Opfers, hatte das Boulevardblatt "Sun", Teil des Imperiums von Medienzar Rupert Murdoch, vergangene Woche über das fragwürdige Verhältnis zwischen einer heute 20-jährigen Person und dem BBC-Mann berichtet. Ihr Kind sei drei Jahre lang, erstmals also im minderjährigen Alter, für sexuell eindeutige Fotos bezahlt worden. Die Gesamtsumme von 35.000 Pfund (40.780 Euro) habe zum Konsum von Crack beigetragen.

Davie bestätigte am Dienstag, die Eltern hätten sich im Mai erstmals an den Sender gewandt. Weil zwei Nachfragen unbeantwortet blieben, habe man die Sache auf sich beruhen lassen. Erst nach der "Sun"-Veröffentlichung wurde der Journalist suspendiert und die Kriminalpolizei eingeschaltet. Allerdings meldete sich unterdessen ein Anwalt der Kanzlei Child & Child mit einer Erklärung des mutmaßlichen Opfers bei der BBC: Die Behauptungen der Eltern seien "Unsinn", zwischen der jungen Person und dem BBC-Moderator sei "nichts Strafbares oder Unangemessenes" vorgefallen.

Einer minderjährigen Person für Sexfotos Geld zu bezahlen gilt auf der Insel als strafbare Handlung. Ein Vorermittlungserfahren der Kripo soll jetzt zunächst klären, ob eine Straftat vorliegt. Erst dann werde die BBC selbst weiterermitteln, erläuterte der Intendant. In jedem Fall werde die Angelegenheit Auswirkungen haben. Unter anderem müsse überprüft werden, ob das Beschwerdesystem korrekt funktioniert. "Die Situation ist natürlich schädlich für die BBC", räumte Davie in einem Interview mit dem eigenen Sender ein.

Während die britischen Medien den Namen des beschuldigten Moderators eisern verschweigen, kursiert die Information längst auf den angeblich sozialen Medien. In der jüngsten Schmuddelaffäre dürfte viel davon abhängen, wie genau die BBC-Verantwortlichen über Dauer und Höhe der Zahlungen ihres Moderators Bescheid wussten. Am Dienstag berichtete der Sender über einen zweiten jungen Menschen. Dieser habe den Moderator auf einer Partnerplattform kennengelernt und sei später, als er mit der Veröffentlichung des Namens kokettierte, von dem Mann beschimpft und bedroht worden.

Gebühren eingefroren

Die BBC steht seit Jahren unter hohem Druck der Brexit-Regierung. Die Konservativen haben dem berühmten Sender harsche Einsparungen verordnet und die Rundfunkgebühr bei jährlich 159 Pfund (185,34 Euro) pro Haushalt eingefroren. Davie musste deshalb mehr als 1.000 Stellen einsparen, zudem wurde bei Lokalradios und terrestrischen TV-Sendern das Sendevolumen verringert. Im vergangenen Jahr schrieb die Corporation dennoch rote Zahlen in Höhe von 141 Millionen Euro.

Die jüngste Affäre weckt ungute Erinnerungen an eine Reihe von Fällen sexueller Vergehen, für die sich prominente BBC-Leute im vergangenen Jahrzehnt verantworten mussten. So wurde der beliebte BBC-Entertainer Jimmy Savile posthum als hundertfacher Vergewaltiger und Leichenschänder geoutet. Die Art und Weise, wie sein früherer Arbeitgeber vor und nach Saviles Tod mit den längst bekannten Vorwürfen umging, beschädigte damals die Glaubwürdigkeit des BBC-Journalismus massiv; eine spätere Untersuchung förderte schwere Führungsmängel sowie "organisatorisches Chaos" zu Tage.

Abschaffung der Gebühr gefordert

Der Vizegeneralsekretär der regierenden Tories, Lee Anderson, nannte die BBC deshalb am Montag "eine Oase für Perverslinge" und forderte die Abschaffung der Rundfunkgebühr. Unsinn, erwiderte die Downing Street: Der öffentlich-rechtliche Sender mache wichtige Arbeit und werde von den Briten in Ehren gehalten. (Sebastian Borger, 12.7.2023)